Pressespiegel: Russland und Syrien

„NUR EIN SCHRITT NOCH BIS ZUM CHAOS
Russland und China haben vorgeschlagen, die Resolution der UNO bestmöglich der Realität anzupassen.
Ich meine, daß die Position Russlands und Chinas im Sicherheitsrat sehr gut begründet war.
Erstens, die Ereignisse in Syrien – ebenso wie in Libyen – paßten von Anfang an nicht zu den weitverbreiteten Vorstellungen vom „arabischen Frühling“ als von den breiten Massen getragene Demonstrationen gegen autoritäre Regimes in der arabischen Welt. In beiden Staaten waren das von vornherein bewaffnete Aktionen gegen die Macht. Wer ihnen die Waffen gab und sie zu deren Anwendung aufstachelte, wird die Zeit erweisen.
Zweitens. Die Berichterstattung der Massenmedien eines Teils der westlichen und arabischen Staaten nahm von Anfang an eine nicht objektive Position ein. Völlig einseitig stellten sie das Geschehen in Syrien als gewaltsame Unterdrückung friedlicher Demonstranten, die nach Demokratie lechzten, dar. Die syrische Regierung verkündete die Aufhebung des Ausnahmezustandes, den künftigen Verzicht der Baath-Partei auf das Machtmonopol und die Einführung eines Mehrparteiensystems, sie versprach freie Wahlen sowohl für die Besetzung des Parlamentes als auch des Präsidentenamtes, usw. Von Seiten der Opposition gab es keinen einzigen entgegenkommenden Schritt. Gleichzeitig läßt sich darauf schließen, daß ein beträchtlicher, wenn nicht überwiegender Teil der Bevölkerung auf der Seite der syrischen Regierung Bashir al-Assads steht.
Drittens. Russland und China waren nicht prinzipiell gegen eine Resolution der UNO – sie sollte nur der tatsächlichen Lage in Syrien entsprechen, da ihre Wirkung wesentlich davon abhängen wird. Es ging darum, auf die in der Resolution vorgesehene und vom Standpunkt des Völkerrechts unannehmbare Forderung des sofortigen Rücktritts der gesetzlich gewählten Regierung Bashir al-Assads zu verzichten, und nicht die Schuld am Blutvergießen einseitig der syrischen Staatsführung anzulasten, während die andere Seite der Konfliktparteien jeder Verantwortung entbunden würde. Ebenso sprachen wir uns gegen die Verhängung von Sanktionen aus. Auch einige andere, von einer Reihe westlicher und arabischer Staaten eingebrachte Behauptungen des Resolutionsentwurfes riefen unsere Bedenken hervor. Solche Behauptungen könnten, wie sich bereits am Beispiel Libyens gezeigt hat, Vorwand für eine bewaffnete Intervention in Syrien sein. China und Rußland haben nicht die Absicht, sich ein zweites Mal täuschen zu lassen. Vor nicht allzulanger Zeit ersuchten die USA die beiden Mächte, kein Veto gegen die Resolution zu Libyen einzulegen – es handle sich ja nur um die Einrichtung einer Flugverbotszone, um Ghaddafi daran zu hindern, die friedliche Bevölkerung zu bombardieren. Damals wurde der „amorphe“ Teil der Resolution dazu ausgenützt, den Sturz von Ghaddafis Regime herbeizuführen.
Was steht hinter der jetzigen antisyrischen Kampagne? Die USA und ihre NATO-Verbündeten wollen die seit dem Frühjahr 2011 in der arabischen Welt über die Bühne gehenden Ereignisse dazu verwenden, mißliebige Regimes loszuwerden. Syrien fiel dieser Strategie in erster Linie deshalb zum Opfer, weil es dem Iran nahe steht. Der Sturz der derzeitigen syrischen Führung ist Teil eines Plans zur Isolierung des Irans. Aber die ganze Annäherung Syriens an den Iran erfolgte seinerzeit nur deshalb, weil der arabisch-israelische Konflikt bis heute nicht beigelegt ist. Ich erinnere mich, wie Hafiz al-Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten mir einmal gesagt hat: „Wir werden alles unternehmen, um Israel nicht alleine gegenüberzustehen.“ Da der Nahostkonflikt nicht gelöst ist und ständig explosive Tendenzen aufweist, versicherte Syrien sich der Rückendeckung durch den Iran.
Aber warum stellt sich die Mehrheit der arabischen Staaten gegen die Regierung Assad? Ich denke, daß der Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten hier eine bedeutende Rolle spielt. Dieser Gegensatz verschärfte sich nach der Intervention der USA im Irak. Die syrische Führung stürzt sich auf die Alawiten, die den Schiiten näher stehen. Die arabische Liga ist von sunnitisch regierten Staaten dominiert, die die Errichtung eines „schiitischen Gürtels“ Libanon-Syrien-Irak-Iran befürchten.
Was für Folgen hätte ein etwaiger Sturz der jetzigen syrischen Führung? Es wäre gut, wenn die Autoren der abgelehnten UNO-Resolution darüber nachdenken würden. Es gibt genug Anschauungsbeispiele dafür, was verantwortungslose Politik im Nahen Osten und Nordafrika anrichten kann. Dem muß man unbedingt die vereinten Kräfte entgegensetzen, um zu verhindern, daß die Ereignisse ins Chaos abgleiten, zu Bürgerkriegen führen und eine Lösung des arabisch-israelischen Konfliktes vollends verunmöglichen.“
Jevgenij Primakov in: Rossijskaja Gazeta, 6.2.
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Aus Primakov spricht ein Kenner der arabischen Welt, aber auch der Vertreter einer Großmacht, die seit dem Ende der Sowjetunion einiges an Rückschlägen in ihrem Streben als gleichberechtigter Partner des „Westens“ hinnehmen hat müssen. Rußland wollte keinen offenen Konflikt im Nahen Osten oder wegen Jugoslawien riskieren, mit dem Ergebnis, daß es zu einem Statisten der Weltpolitik degradiert wurde, der zu den imperialistischen Kriegen und Interventionen nur Ja und Amen sagen darf. Putin hat unlängst einmal bemerkt, daß Rußland sich dafür nicht länger hergeben wird.
Einmal sehen, was das für Folgen hat.

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