Staatsbankrott, Einmarsch, Bürgerkrieg?

VENEZUELA AUF DER KIPPE
„Das südamerikanische Land braucht möglicherweise eine Hilfe von 30 Milliarden Dollar (25,5 Milliarden Euro) pro Jahr.
Der IWF hat Vorbereitungen für ein mögliches Rettungspaket für Venezuela in der Höhe von 30 Milliarden $ in die Wege geleitet.
Diese Maßnahme wird von einer der kompliziertesten Umschuldungen von Staatsanleihen weltweit begleitet.
Der IWF unterhält seit 2007 keine offiziellen Verbindungen mit Venezuela und hat seit 13 Jahren keine Länderanalyse über dieses Land erstellt.“ (Expansion, 23.10. 2017)
Man muß sich vor Augen halten, was es heißt, wenn ein Land mit dem IWF die Beziehungen abbricht, wie es Venezuela unter Chávez getan hat. Es heißt, daß es vom internationalen Kredit ziemlich abgeschnitten und auf seine eigenen Ressourcen zurückgeworfen ist. Es bedeutet auch, daß seine Währung nicht mehr konvertibel ist und Importe und Exporte der Devisenbewirtschaftung unterliegen, d.h. der Staat eine Art Außenhandelsmonopol einnimmt.
Chávez hat seinerzeit mit dem IWF gebrochen, weil er erstens nicht bereit war, die Bedingungen zu akzeptieren, die der IWF für seine Kreditierung verlangt und wo alle Versorgungsleistungen an die Bevölkerung als unnötige Kosten zu streichen sind. Zweitens gab es in Lateinamerika nach dem Bankrott des Musterschülers Argentinien, das vom IWF fallengelassen worden war, eine gewisse Ernüchterung bezüglich des IWF und der segensreichen Wirkungen des Kredits. Und drittens dachten Chávez und seine Mitstreiter damals: Was brauchen wir Kredit, wir haben ja das Öl!
Erdöl als Devisenquelle
2007 stand der Ölpreis auf über 60 $ pro Barrel, Tendenz steigend. Zwei Jahre später auf mehr als 120 $. Heute ist er auf 45 $ pro Barrel gesunken. Es ist also von vornherein sehr riskant, auf einen solchen Rohstoff zu setzen und das Gedeihen einer ganzen Volkswirtschaft davon abhängig zu machen. Aber Chávez hatte damals überhaupt hochfliegende Pläne von einer Einigung Lateinamerikas und etwaiger Einführung einer Einheitswährung à la Euro, und der Kredit erschien sowieso unbegrenzt.
Mit Hilfe chinesischer und iranischer Fachleute war damals auch der Abgang der einheimischen Fachkräfte durch Entlassungen nach dem gescheiterten Putsch irgendwie aufgefangen worden.
Aber heute, 10 Jahre später, leidet die Wirtschaft Venezuelas nicht nur an den niedrigen Ölpreisen, sondern auch an einer stark gesunkenen Förderung. Erstens blieben die Chinesen und Iraner nicht ewig, die entlassenen venezolanischen Erdöl-Fachleute gingen ins Ausland, vor allem nach Brasilien, und die venezolanische Regierung kämpft seither mit Personal- und in Folge dessen mit technischen Problemen.
Außerdem aber hat Venezuela die gleichen Probleme wie einige Jahrzehnte vorher der Iran und Kuba: die ganze Technologie der Erdölförderung kommt aus den USA und nach dem politischen Bruch mit der Weltmacht wird es schwierig bis unmöglich, sich Ersatzteile oder neuere, verbesserte Anlagen aus den USA zu besorgen. Auch eine Umstellung auf andere Anlagen ist praktisch unmöglich, weil die USA nicht das metrische System verwenden, also ihre Technologie auf ganz andere Normen aufbauen. Das ist natürlich auch eine Methode, Abhängigkeiten zu schaffen, und sobald es zu politischer Gegnerschaft kommt, werden diese Abhängigkeiten schlagend.
Kredit ist im Falle Venezuelas endlich
Venezuela ist daher immer mehr auf Kredit angewiesen, um seine Importe tätigen zu können. An der grundlegenden Problematik einer einheimischen Bourgeoisie, die sich lieber auf Export-Import-Geschäfte verlegt, anstatt den einheimischen Markt mit Waren aus eigener Produktion zu versorgen, haben auch alle Jahre des Chavismus nichts geändert.
Siehe hierzu: Rollback in Lateinamerika
Als Ergebnis der ungenügenden eigenen Produktion und den durch Devisenmangel geschrumpften Importen kommt es zu schweren Versorgungsengpässen in Venezuela, Hamsterkäufen in Grenzstädten zu Kolumbien und einem Kampf ums tägliche Überleben, der dem Land eine besonders hohe Kriminalitätsrate beschert.
Daß Venezuela überhaupt Kredit erhält, liegt am weltweiten niedrigen Zinsniveau, wo man mit höher verzinsten Wertpapieren noch punkten kann, auch wenn man Ukraine oder Venezuela heißt und die Rating-Agenturen einen als Ramsch einstufen. Oder, wie im Falle Venezuelas, die Staatsanleihen selbst niemand mehr haben will, aber die der staatlichen Erdölgesellschaft noch einen Hauch von Solidität verströmen. So hat Goldman Sachs im Frühjahr ein größeres Paket dieser Anleihen gekauft, was große Entrüstung bei US-Politikern und venezolanischen Oppositionellen hervorgerufen hat, die offenbar Venezuela in den Bankrott treiben wollen, um die Regierung Maduro zu stürzen:
„US-Banken dürfen künftig keine Geschäfte mehr machen mit dem venezolanischen Ölkonzern PDVSA. Das Weiße Haus will so die “Tyrannei” in Venezuela stoppen.“ (Die Zeit, 25.8. 2017)
Maduro selbst hat, um das zu vermeiden, bei Rußland und China um Umschuldung ersucht, die ihm auch gewährt wurde. Auf Dauer ist das Problem der mangelnden Einnahmen und nötigen Ausgaben in Devisen so jedoch nicht zu lösen.
Was ein Bankrott Venezuelas sowohl im Land selbst – das ja dann endgültig von Devisenimporten abgeschnitten wäre – als auch im internationalen Finanzsystem auslöst, wird sich möglicherweise bald zeigen.

25 Gedanken zu “Staatsbankrott, Einmarsch, Bürgerkrieg?

  1. Anlässlich dessen, dass heute in Chile gewählt wird
    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/markenbewusster-macher
    In den Kommentaren unter dem Artikel
    wird das als eine neue Tour angedeutet,
    Faschismus und Demokratie zu versöhnen.
    (Es fehlt der Bezug auf riesige Arbeitermassen,
    die darin anscheinend sich in ihrer Lage als Beauftrager
    gewürdigt sehen wollen – und solche Typen daher freiwillig wählen…)
    – … daher nun für manche eine etwas andere Tour …
    http://programm.ard.de/?sendung=28007384828239
    (Wenn man dort das Bild anklickt, dann kann man sich den Film
    direkt in der 3-SAT-Mediathek angucken…)

  2. Piñera war doch schon einmal Präsident, also so was besonders Neues ist der und seine Tour nicht.
    Generell gilt für ganz Lateinamerika eben die allgemeine Lage, daß ihre Ökonomien sich trotz des zeitweiligen, von China ausgelösten Rohstoffbooms nicht grundlegend gewandelt haben.
    Man sollte sich nicht zu sehr durch das Getöse der – auch linken – Presse beeindrucken lassen, die in Personen die große Chance zur Veränderung sehen. Die Führer kommen und gehen, die Misere bleibt.

  3. Zu Cuba und Iran:
    Die Beschwichtigungsversuche der EU in Cuba und in Iran werden von den USA derzeit vermutlich noch als Gemeinschaftlichkeit bei der Durchsetzung derselben Ziele gewertschätzt.
    So ist die alternative Weltpolitik der EU im Schatten der USA auch aus Sicht der USA nützlich. Sie verdeutlicht ja sogar die Unhinterfragbarkeit der harten US-Positionen, indem sie die EU-Alternativposition als ziemlich mickrig darstellt.
    Falls aus Erpressung aber Übergänge zum tatsächlichen Krieg resultieren würden, sahe das ‘Burden-Sharing’ vermutlich schon etwas anders aus …

  4. Na ja, im Falle des Iran stehen ja wichtige wirtschaftliche Interessen dahinter. Die EU betrachtet den Iran als einen großen zahlungsfähigen Markt, auf dem man seine Produkte absetzen kann – ähnlich wie unter dem Schah.
    Und die jetzige Regierungsmannschaft hat sich meiner Einschätzung nach im ökonomischen Bereich genau die Politik Pahlevis zum Vorbild genommen, nur verstärkt auf die EU setzend.

  5. Na ja, der geheimdiplomatische Kontakt überrascht wirklich nur denjenigen, der das propagandistische Getöse vor allem Kubas für die ganze Wahrheit genommen hat.
    Siehe dazu: Die Aussöhnung zwischen Kuba & den USA
    https://cba.fro.at/296607
    https://cba.fro.at/297283
    Was die Dezentralisierung der Betriebe betrifft, so muß man das nicht unbedingt als „Zerlegung“ begreifen. Solange das Außenhandelsmonopol besteht und die USA wieder auf eine härtere Gangart schalten, ist Kuba sowieso weiter auf China angewiesen. Um so mehr, als sein Verbündeter Venezuela sich inzwischen tatsächlich langsam zerlegt.
    Man denkt bei Dezentralisierung immer an die Perestroika, aber immerhin hat Jugoslawien auch recht lange auf dieser Grundlage funktioniert. Dort wurde allerdings das Außenhandelsmonopol aufgegeben.

  6. Es hängt alles davon ab, wie diese Dezentralisierung aussieht.
    Wenn sie heißt, daß sich die Betriebe ihre Mittel selbst beschaffen müssen auf dem Markt, so geschieht eben das, was die Perestroika verursacht hat: die Versorgung bricht zusammen.
    Man müßte sich das in Kuba eben genauer anschauen, um das beurteilen zu können.

  7. Na ja, vielleicht sollte man sich wirklich die Mühe machen und die sog. Hauptdirektiven (pdf) mal durchlesen. Allerdings bekommt hier einer richtig Kopfschmerzen, konstatiert einerseits, “Was heute in der kubanischen Gesellschaft auf dem Spiel steht sind die Prinzipien und die Politik der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität, die Stützpfeiler und Banner des kubanischen revolutionären Prozesses” und fordert dann reichlich verschwurbelt die mehr oder weniger ‘ideologische Begleitung’ der ganzen Veranstaltung. Und das alles offenkundig nur, um denen, die in allen Gesellschaften immer schon die Dreckarbeit machen müssen die tatsächlichen Produzenten sind, zu vertickern, dass ab sofort irgendwie Schluss mit lustig o.s.ä. ist.
    Ob “Betriebe effizienter wirtschaften” sollen oder, wie seinerzeit in der DDR die sog. ‘sozialistische Warenproduktion’ mittels ‘materieller Interessiertheit der Werktätigen’ angekurbelt wird, läuft m.E. aufs Gleiche raus. Es bereitet gewissermaßen den ‘Nährboden’, auf dem Gedankenfürze wie Perestroika erst ‘gedeihen’ können. 👿
    Abgesehen davon stellt sich m.E. (beruhend auf ‘Erfahrungen’ aus der DDR-Wirtschaft) die Frage, wie ‘sozialistische Gewinne’ rekapitalisiert werden sollen. In einem derart ‘geschlossenen System’ ist Geld zwischen einzelnen Betrieben weniger tatsächliches Zahlungsmittel, dafür ‘betriebswirtschaftliche Rechengröße’. Das verhält sich ganz ähnlich wie das ‘Festpreis’-System für ‘individuelle Verbrauchsgüter’ o.s.ä. Erst auf der Basis ist es überhaupt möglich, von staatlicher Subvention für ‘Sozialklimbim’ zu reden.
    Markt heißt aber zwingend Konkurrenz (ganz egal ob da ‘Überschüsse’ verkauft werden oder alles), anders lässt sich ein ‘abstrakter Wert’ überhaupt nicht ‘ermitteln’. Diese Konkurrenz ist aber begrifflich m.E. das Gegenteil von gesellschaftlichem Plan, gleichgültig ob der von einer Behörde vorgegeben wird oder als Folge allgemeinen Palavers zustandekommt.

  8. Mal grobschlächtig formuliert: die Abkehr davon, für die Bevölkerung eine eigene staatlich regulierte Währung aufrecht zu erhalten, völlig getrennt vom Weltmarkt, plus dem Abschaffen der (Reste von) Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, die ja bereits schon seit längerer Zeit stark zusammengestrichen wurde, das wäre dann der prinzipielle Übergang zur Marktwirtschaft.
    Dazu passen derzeit anscheinend aber eher nebulöse Formulierungen, die oben bereits von Samson verlinkt und aufgespießt wurden …
    “… diese Orientierung und die Vorausschau haben Wirksamkeit in direkter Proportion zum allgemeinen Zustand der Gesellschaft, nicht nur zur Festigkeit und Tiefe der verschiedenen Überzeugungen…”
    Wer hätte das gedacht ….
    https://amerika21.de/analyse/189777/kuba-sozialistische-ideologie
    Da auch Raul Castro demnächst abtritt, wird mehr Klartext vermutlich erst von seinen Nachfolgern zu erwarten sein…

  9. Die “drei Dokumente” habe ich nicht gelesen, wenn aber das drin steht, was der Professor hier erzählt, dann ist as unerfreulich.

    “Man stellte sich nicht der Realität, dass nur die Rückgewinnung des Wertes der Arbeitskraft die Rückgewinnung der Arbeit als Wert herbeiführen würde (was im Übrigen der marxistischen Ethik-Vision-entspricht, einer Ethik aus Fleisch und Blut und nicht ätherisch, nicht losgelöst vom Alltag). Lange Zeit wurde das Kernthema der Bewertung des realen Beitrages und seiner Beziehung zur Verteilung des Sozialproduktes hinausgeschoben.”

    Die “Realität” ist das Zauberwort. Diese gebietet einfach, dass dem Arbeitsvolk nur der Wert seiner Arbeitskraft bezahlt wird. Das ist ethisch in Ordnung, weil dadurch die Arbeit als Wert wieder geschätzt wird. Reine Ideologie. Als wäre die Wertschätzung der Arbeit das Problem. Durch das Bezahlen der Arbeitskraft, bekommt der Arbeiter soviel vom Sozialprodukt, wie er real beigetragen hat zu seiner Produktion. Marktwirtschaft als Erfüllung sozialistischer Gerechtigkeit.

    “Die Ignoranz gegenüber den wirtschaftlichen Beziehungen und der Psychologie des Austausches von Äquivalenten, die sich über Jahrhunderte im Bewusstsein der Menschheit herausgebildet haben, mag für eine gewisse Zeit des revolutionären Prozesses gut funktioniert haben und schien ein Sprung in die Zukunft zu sein; auf lange Sicht erwies sich das aber als kontraproduktiv für das gesunde Funktionieren der Wirtschaft, zumal der Produzent und die Gesellschaft im Allgemeinen nicht in der Lage waren, vom Wert der Arbeit unabhängige Arten der Verteilung anzuerkennen, jenseits der Gebiete von Bildung, Gesundheit, sozialer Sicherheit und Sozialfürsorge. Letztlich gewann der Äquivalenzaustausch die Schlacht im Alltagsleben.”

    Klar Äquvalententausch ist eine Psychologie, keine Ökonomie. Diese Äquivalenzpsychologie hat sich “über Jahrhunderte” eingegraben und die revolutionäre Ignoranz konnte nicht gut gehen, weil sie nicht gutgegangen ist. “Letztlich gewann der Äquivalenzaustausch die Schlacht im Alltagsleben.” Realität widerlegt Revolution. Das muss der Revolutionär einfach anerkennen.

    “Natürlich bestand das Gegenstück nicht darin, den auf der Vorherrschaft des gesellschaftlichen sozialistischen Eigentums und der Planwirtschaft basierenden sozioökonomischen Stoffwechsel des Landes zugunsten der Herrschaft des Marktes und des Privateigentums abzuschaffen. Daher das, was man jetzt versucht: eine Wirtschaftsreform, bekannt als “Aktualisierung”, die darauf gerichtet ist, die wirtschaftlichen Beziehungen über verschiedene Mechanismen, über die der sozialistische Staat verfügt, zu regulieren; darunter die Begrenzungen des Privateigentums und des Gewinns, die Steuern, die Normen sozialer Verantwortlichkeit, die Beschäftigungspolitik etc. All dies muss durch einen erneuerten politisch-ideologischen Zusammenhang begleitet werden.”

    Regulierung der Wirtschaft durch den Staat. Kennt man irgendwoher. Offenbar sind Kubas Kommunisten Fans der sozialen Markwirtschaft geworden. Da entdeckt der Herr Professor umfangreichen Bedarf an Ideologie:

    “Ein Reformprozess ist nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit “Reformismus”. Eine Reform ist revolutionär, wenn sie Revolutionäre mit revolutionären Grundsätzen und revolutionären Zielen machen.”

    Genial. Wenn Revolutionäre Reformismus machen, dann ist es kein Reformismus.

    “Die Entscheidung, die wirtschaftliche Struktur auf eine gemischte Wirtschaft auszurichten, ist weit davon entfernt, das Scheitern oder den Rückzug des Sozialismus zu bedeuten, sie beweist seine Aktualität und Fähigkeit trotz der noch fortbestehenden sozialen Mängel und der enormen Herausforderungen, mit denen er konfrontiert ist. “

    Marktwirtschaft ist kein Rückzug des Sozialismus, das i s t der Sozialismus in seiner mangelbehafteten Realität. – Ja dann! Also besonders raffiniert sind die Ideologien des Herrn Professor nicht gerade.

    “Das beinhaltet aber eine kolossale Herausforderung auf dem Feld der Ideen, zumal eben diese Maßnahmen die ökonomische und soziale Basis dafür erneuern und erweitern , dass sich die Psychologie vom Austausch der Äquivalente, Individualismus und Egoismus reproduzieren und verstärken und sich die Werte der liberalen Denkweise wieder artikulieren. “

    Genau. Dass die netten Revolutionäre von gestern zu kapitalistischen Konkurrenzgeiern und egoistischen Arschlöchern mutieren – das ist höchstens eine “kolossale Herausforderung”! Vielleicht kann ja der Papst den Kubanern ins Gewissen reden.

  10. @Krim

    Offenbar sind Kubas Kommunisten Fans der sozialen Markwirtschaft geworden.

    Möglicherweise waren sie das schon immer.
    Die Marktwirtschaft war für viele der linken Bewegungen der 3. Welt deshalb schlecht, weil sie ihr Land benachteiligte, zu postkolonialer Abhängigkeit verdammte, einen großen Teil der Bevölkerung für überflüssig erklärte, usw.
    Man nehme China, von wo die kubanische Staatspartei sicher viele Inspirationen erhält: dort ist doch die Marktwirtschaft super, wenn sie der Nation dient!
    Woran Kuba meines Wissens nach wie vor festhält, ist das Gesundheitswesen und das Ausbildungswesen, das sind ihre Errungenschaften, an denen wird festgehalten.
    Bezüglich des Restes sind sie flexibler, als viele Kuba-Fans oder Ex-Fans wahrhaben wollen.

  11. Na ja. Früher waren sie ja eher Verfechter einer sozialen Planwirtschaft. Was auch schon kein Lob darstellt. Jetzt sieht sich der Staat offenbar als Begrenzer kapitalistischer Auswüchse: “darunter die Begrenzungen des Privateigentums und des Gewinns, die Steuern, die Normen sozialer Verantwortlichkeit, die Beschäftigungspolitik etc.”
    Viel übrigbleiben tut da nicht von ihrem Sozialismus, wenn der Staat nur noch die (regulierende, bremsende) Gewalt einer ansonsten kapitalistischen (marktwirtschaftlichen) Gesellschaft sein will. Der macht dann mit der Zeit sämtliche Übergänge, die auch für kapitalistische Staaten so selbstverständlich sind.
    “dort ist doch die Marktwirtschaft super, wenn sie der Nation dient!” Nur unterscheiden sie sich darin von ganz normalen kapitalistischen Staaten gar nicht mehr. Darin sind sich alle Nationen einig.
    “Woran Kuba meines Wissens nach wie vor festhält, ist das Gesundheitswesen und das Ausbildungswesen, das sind ihre Errungenschaften, an denen wird festgehalten.” Ja das wird dann aber so eine Art nationale Besonderheit, wie sie in jeder Nation existieren. Die irgendwie zum nationalen Selbstverständnis dazugehören, denn dem Nationalismus schwören sie ja nicht ab, “nur” dem Kommunismus/Realsozialismus oder was das war. Sie selbst wollen sich das natürlich nicht sagen lassen, denn, wie wir gelernt haben, wenn Revolutionäre Martkwirtschaft machen, ist das noch lange kein Kapitalismus und wenn Revolutionäre Reformismus machen ist das noch lange keine Konterrevolution.

  12. @Krim

    Na ja. Früher waren sie ja eher Verfechter einer sozialen Planwirtschaft.

    Die kubanischen Revolutionäre hatten keine Ahnung von Ökonomie, als sie an die Macht kamen. Ähnlich wie die Bolschewiki vor der Revolution hatten sie sich damit überhaupt nicht beschäftigt. Zunächst einmal brach alles zusammen, und nachdem sie sich der SU zugewendet hatten, so kamen erst einmal Lebensmittellieferungen, damit es überhaupt genug zum Fressen gab.
    Dann kamen tschechische Ökonomen und richteten das System ein, was ziemlich unverändert zumindest bis in die 90-er Jahre lief. Damals wurde auch die „Libreta“ eingerichtet, das Buch mit den Lebensmittelmarken, das heute schon ziemlich ausgedünnt ist. Abgeschafft haben sie es nicht, aber man kommt damit nicht einmal bis zum Ende der 1. Woche, wie ich von einer kubanischen Freundin weiß.
    Das System war halt extrem unproduktiv, was die Lebensmittelversorgung anging, und auf Importe angewiesen, für die Kuba kein Geld hat.
    Jede Menge Land lag brach, weil erst unter Raúl Castro eine Art Kataster angelegt wurde, also einmal geschaut wurde, was eigentlich da war. Das ist nämlich die Grundlage, um zu planen, wie man das Land nutzen kann.
    Es war auch verboten, auf eigene Faust Land urbar zu machen. Man muß da nämlich in Kuba Bäume und sehr widerstandsfähige Sträucher ausreißen, um an den an und für sich fruchtbaren Boden zu gelangen.
    Die Viehhaltung war auf Futtermittelimport aus dem RGW angelegt, der nach 1990 ausblieb, weshalb der Viehbestand drastisch zurückging, was nicht nur die Fleisch-, sondern vor allem die für den kubanischen Versorgungsstandpunkt wichtige Milchproduktion betraf.
    Die ganzen schönen Vorstellungen über die gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind ja schön und gut, aber irgendwo muß das Zeug ja herkommen, was man da unters Volk werfen will, und das war einer der Pferdefüße des ganzen Realsozialismus – daß die treusorgen Landesväter sich immer mehr um die Distribution als um die Produktion gekümmert haben.

  13. Den Engpass der Milchproduktion, den gab es schon nach der Revolution, weil die alten Großgrundbesitzer alles Vieh verkauft haben und im Endeffekt nicht mehr genug Milch für die Kinder da war. Dann gab es es diese merkwürdige Kuhgesetz, dass man wie ein Schwerverbrecher bestraft wird, wenn man eine Kuh/Rind schlachtet. Noch nicht mal die Bauern, denen die Kuh gehört bzw. die sie füttern, dürfen Hand an sie legen.
    “Es war auch verboten, auf eigene Faust Land urbar zu machen. Man muß da nämlich in Kuba Bäume und sehr widerstandsfähige Sträucher ausreißen, um an den an und für sich fruchtbaren Boden zu gelangen.” Ich hatte nicht den Eindruck, dass Kuba so zugewaldet war. Ein bisschen verwahrlost vielleicht. Wie kann das sein, dass man sich als sozialistischer Staat keinen Überblick über die Ökonomie verschafft. Eine Vermessung der Flurstücke ist ja eigentlich das erste.

  14. Vor der Revolution wurden Rinder vor allem wegen des Fleisches gehalten. Es gab auch nicht so viele, weil die Normalbevölkerung, also die armen Schwarzen, sowieso über das Schweinefleisch nicht hinauskamen.
    Daß Kinder Milch trinken sollen, war eine Forderung der Revolution, die überhaupt erst so etwas wie eine Milchwirtschaft einführte, Milchkühe importierte und züchtete und Milch – eben über die Libreta – an die Haushalte mit Kindern zuteilte.
    Das von dir erwähnte Kuhgesetz kommt meines Wissens erst nach 1990 auf, als es überhaupt so etwas wie private Rinderhaltung gab, nachdem der Viehbestand dramatisch zurückgegangen war.

  15. Was den Wald oder vielmehr das Gestrüpp angeht, so kommt es auch auf den Teil des Landes an, in dem man sich aufhält. Ich war vor allem im Osten unterwegs, in der Sierra Maestra, dort ist mir das seinerzeit deutlich aufgefallen, wieviel zugewucherte Gegend es dort gibt.

  16. Es gab auch schon vor 1959 einen Weltmarkt, sodass es für die Viehzucht nicht unbedingt einen einheimischen Markt gebraucht hat.

    “Warum ist Rindfleisch in Kuba so schwer zu bekommen? Das ist eigenartig, vor allem wenn man bedenkt, dass hier 1959, vor Castros Revolution, mehr Kühe als Menschen lebten. Über sechs Millionen Rinder für etwas weniger als sechs Millionen Menschen, erzählt John Parke Wright IV, ein Händler aus Florida, der Kühe nach Kuba verkauft. Seine Familie betreibt die Lykes Ranch, eine der größten Rinderfarmen der USA, und sie macht seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Geschäfte mit Kuba.
    „Was ist aus dieser großen Rinderzucht-Tradition geworden?”, frage ich ihn.
    „Die haben alle Kühe aufgegessen.”
    Ich lache, weil ich das für einen Witz halte. „Nein, ganz im Ernst”, sagt er. „Vor ein paar Jahren habe ich einen der comandantes aus Revolutionszeiten gefragt, wo der Fehler liegt. Er meinte: ‚Wissen Sie, wir hatten Hunger, wir waren jung-also haben wir sie gegessen.'”
    In den 1970ern und 1980ern füllten die Sowjets den Bestand mit kräftigen Holstein-Rindern auf. Aber als Futter brauchte man Getreide, und als die UdSSR auseinanderbrach, brach auch die Getreideversorgung zusammen. Wegen des Klimas allein konnte man die Herde nicht von kubanischen Gräsern ernähren-und so verendeten Zehntausende von Kühen auf den Weiden.”

    https://www.vice.com/de/article/znk388/rotes-gold-0000859-v10n10
    Vielleicht auch interessant:

    “Kuba hat heute eine ganz andere Wirtschafts- und Außenhandelsstruktur als vor 30 Jahren. Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt (BIP) belief sich 2012 nur noch auf rd. 3,6%. Dabei sind immer noch 10,5% aller Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig; der Anteil der ländlichen Bevölkerung liegt bei 25%. Auf Produkte der Zuckerwirtschaft und der übrigen Land- und Ernährungswirtschaft (Zitrusfrüchte, Tabak, Kaffee, Fischerei) entfielen 2011 nur noch 11% des Warenexports, der in den letzten Jahren stark geschrumpft ist. Der Dienstleistungsexport rangiert wertmäßig weit vor diesem. In 66 Ländern tätige medizinische Fachkräfte (44.000) und andere Experten brachten jedes Jahr ansteigend mehrere Milliarden Dollar ein, 2013 sollen es etwa 10 Mrd. USD gewesen sein. Der Tourismus (2,8 Millionen Besucher) sorgte 2013 für Bruttoeinnahmen von über 2,5 Mrd. USD. Etwa 2,6 Mrd. USD sind 2013 durch Geldüberweisungen (Sachwerte nicht eingerechnet) der Auslandskubaner ins Land geströmt.”

    https://cubaheute.de/2014/09/27/landwirtschaft-hat-wieder-prioritat-in-kuba/
    Kein Wunder, dass Kuba am Gesundheitswesen festhält, wenn das so ein Exportschlager ist.

    “Nach offizieller Statistik (2012) entfielen von den Gesamtimporten (8,1 Mrd. USD) allein 21% auf Nahrungs- und Futtermittel.”

    Man sollte doch denken, dass ein Sozialistisches Land mit im Prinzip fruchtbaren Böden wie Cuba es hinkriegen müsste die benötigten Lebensmittel selbst zu produzieren.

    “Seit 2008 werden ungenutzte Flächen zum Nießnutz an natürliche und juristische Personen (CPA, UBPC, CCS) übergeben; bis 2013 gingen 1.54 Mio. ha an 173.000 Nutzer. Die gesetzlichen Vorschriften setzten zunächst ein Limit von 13,42 ha (1 Caballería, traditionelles kubanisches Flächenmaß). Seit 2014 können bis zu 67 ha übertragen werden. Diese „Neubauern“ müssen in benachbarte Staatsgüter, UPBC, CPA oder CCS integriert sein, um den Zugang zu Dienstleistungen, Betriebsmitteln und die Vermarktung zu gewährleisten. Sie unterliegen damit auch staatlicher Kontrolle.”

    https://cubaheute.de/2017/08/19/kuba-verbessert-bedingungen-fuer-private-landwirte/

  17. Also die Story von dem Ami muß man schon etwas interpretieren.
    Erstens, wie ich schrieb, waren die Viecher vor der Revo reine Fleisch-Rinder oder zumindest vor allem dafür vorgesehen. Zweitens waren sie für den Normal-Kubaner vor der Revo nicht vorgesehen, Rind- und Kalbfleisch waren den oberen Schichten vorbehalten.
    Nach dem Sieg der Revo, wie gesagt, brach einmal der ganze ökonomische Kreislauf zusammen und man aß, was da war. Dazu kommt noch – ähnlich verhielt es sich mit dem Weißbrot nach der französischen Revolution, das bis dahin nur von den feinen Leuten gegessen worden war –, daß viele Kubaner es als eine Art Belohnung auffassten, daß sie jetzt endlich einmal Rindfleisch essen konnten.
    Die Holstein-Rinder waren ein spezielles Anliegen Castros und der kubanischen Führung, weil sie eben gute Milchkühe sind. Daß die aus der SU kamen, glaube ich nicht. Vielleicht wurden sie mit Hilfe der SU besorgt, dort war diese Rasse meines Wissens aber nicht besonders verbreitet.
    Die kubanische Wirtschaft mit dem BIP zu messen, ist noch problematischer als bei einer richtigen Marktwirtschaft.
    Dort wird ja als Wachstum gefeiert, wenn Immobilienpreise in die Höhe gehen oder Wertpapiere steigen, obwohl dem gar keine Produktion entspricht.
    Der interne Konsum in Kuba, sofern über die Libreta und sonstige Zuteilungen von Kooperativen vermittelt, geht in das BIP gar nicht ein.
    Und das Problem bleibt: Was Kuba an Nahrungsmitteln nicht selbst produziert, das muß es importieren, und dafür braucht es die sauer erwirtschafteten Devisen, ob jetzt mit Tourismus oder Arztexport.

  18. “das bis dahin nur von den feinen Leuten gegessen worden war –, daß viele Kubaner es als eine Art Belohnung auffassten, daß sie jetzt endlich einmal Rindfleisch essen konnten.” Ja, das klingt plausibel.
    “Die Holstein-Rinder waren ein spezielles Anliegen Castros und der kubanischen Führung, weil sie eben gute Milchkühe sind.” Im Nachhinein, war das keine so gute Entscheidung. Da hätte er vielleicht auf eine Rasse setzen sollen, die mit kubanischem Futter zurechtkommt, aber etwas weniger Milch bringt. Aber hinterher ist man immer schlauer.
    Die kubanische Wirtschaft mit dem BIP zu messen mag nicht korrekt sein, die Aussagen des Zitats sind aber deshalb nicht falsch.
    Es ist halt schon ein etwas merkwürdiger Zustand wenn die Hauptdeviseneinnahmequelle von Auslandskubanern, Tourismus und Medizinischen Dienstleistungen kommt.
    Ich finde es auch so merkwürdig, dass offenbar die staatlichen Betriebe nicht in der Lage sind die verfügbaren Landwirtschaftlichen Flächen selbst in Bebauung zu nehmen. Wenn die Versorgungslage der Bevölkerung schlecht aussieht müsste man doch denken dass das das Erste ist, was Not tut. Dieser Dornenbusch scheint sich auch nur in Folge der Verwahrlosung ausgebreitet zu haben. Klar, dass man den armen Leuten jetzt erlaubt ein Stück ungenutztes Land zu bebauen ist ja eigentlich das mindeste. Aber warum macht der Staat das nicht?

  19. Na ja, als die Holstein-Rinder angeschafft wurden, zählte Kuba auf die Sowjetunion als Futtermittel-Lieferant und keiner ahnte, daß sie einmal den Geist aufgeben würde.
    Bei der LW waren ja auch andere Dinge eigenartig, wie das Beibehalten der Zuckerrohr-Monokultur, anstatt dort auf den guten Büden landesübliche Lebensmittel anzubauen.
    Wahrscheinlich wollte die SU damit und den Zuckerrohr-Deals sicherstellen, daß Kuba abhängig bleibt und sich nicht irgendwann aus dem sozialistischen Lager vertschüßt. Zum Unterschied von den RGW-Staaten hatte die SU dort ja keine als brüderliche Hilfe verbrämten Besatzungstruppen stationiert.
    Warum es keine staatliche Kampagne des „Neulands unterm Pflug“ gibt, ist sicher nicht leicht zu erklären. In Kuba war die LW-Politik immer halbherzig. Eigentlich hätten sie gerne alles maschinell betrieben. Fortschritt! Da es aber weder Maschinen noch Treibstoff gab, so wurden die wenigen Ressourcen für Cash Crops (Zuckerrohr, Kaffee, Kakao) eingesetzt, und ansonsten überließ man es den Leuten, sich irgendwo ihre Wurzeln anzubauen und schwarze Schweindln zu halten.
    Um irgendein über den Eigenbedarf hinausgehendes Zeug auf dem Markt zu verkaufen, brauchte es x Stempel und Genehmigungen, weil wenn sich da womöglich jemand bereichert und seinem Kind teure Klamotten umhängt, so sind Sozialismus und Egalitarismus gefährdet. (Kulaken …)
    Inzwischen ist das etwas anders, wie ich so höre, aber lange hatten die Vorsitzenden der Komitees zur Verteidigung der Revolution (= Bürgermeister) anderes zu tun, als sich um die Landwirtschaft zu kümmern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert