Massensterben in Seoul

STAMPEDE

Tödliches Vergnügen

Der offizielle Body-Count hält derzeit bei 156 Toten bei der Massenpanik in Seoul. Dazu kommen 103 Verletzte, es können also noch mehr werden.

Man erinnere sich zurück an einige ähnliche Events dieser Art:
Perm 2009: 158 Tote
Duisburg 2010: 21 Tote
Budapest 2011: 3 Tote
Madrid Arena 2012: 5 Tote
(Kein Anspruch auf Vollständigkeit.)
Die meisten Opfer dieser Art von Ereignissen verzeichnete bisher allerdings ein Diskotekenbrand in Buenos Aires im Jahr 2005: 194 Tote, rund 700 Verletzte.

Berichterstattung
Die Medien überschlagen sich zwar in Entsetzensbekundungen aller Art, bleiben aber – ähnlich wie bei School-shootings und sonstigen Amokläufen – sehr im Deskriptiven stecken. Dazu kommen noch breitgetretene Schilderungen der Trauer der Angehörigen, brennendheiße Augenzeugenberichte von Überlebenden, und die Frage: Hätte das verhindert werden können?

Diese intellektuell sehr bescheidene Darbietung verzichtet auf jeglichen Versuch einer Erklärung und trieft vor Verständnis für die armen jungen Leute, die bei ihrer Vergnügungssucht zu Tode gekommen sind. Diese Unglücksraben! Nach 2 Jahren Pandemie und Einschränkungen wollten sie endlich wieder Gas geben und dann das!

Weder soll man fragen, was Leute bei solchen Halloween- und ähnlichen Festivitäten eigentlich bewegt, noch soll man fragen, was eigentlich in einer Gesellschaft los ist, wo Freizeitgestaltung lebensgefährlich ist.

Dieses Getöse um die „Tragödie“ und „unfaßbar“ und „schrecklich“ ist also durchaus absichtlich und will die Ursachen von solchen Todesfällen im Dunkeln lassen. Das ist eigentlich sehr rücksichtslos gegenüber den vergangenen und zukünftigen Opfern dieser Massenveranstaltungen, weil damit sichergestellt ist, daß sich diese Art von Todesfällen wiederholen werden.

Jugendkultur heute
Seit ein paar Jahrzehnten wurden die Kinder und Jugendlichen als Konsumenten entdeckt. Gegenüber den Zeiten, wo das Taschengeld gerade einmal für einen Lutscher oder ein Eis reichte, sind schon Kinder heute relativ zahlungskräftig, weil ihre gestreßten Eltern sich gerne von ihren Erziehungsaufgaben freikaufen, indem sie dem Nachwuchs Geld in die Taschen stopfen, um damit bei McDonalds zu futtern und sich irgendwelche modischen Fetzen zu kaufen – und nicht zu Hause zu quengeln, daß man unbedingt ein Kleidungsstück haben muß, das der Sitznachbar oder irgendwer in der Gasse in der Schule bereits besitzt und zur Schau stellt.
Diese Willhaben-Generation pflegt diese Art von Konsumverhalten dann weiter, wenn sie bereits im Rahmen des Möglichen flügge geworden ist und über irgendeine Art von Einkommen verfügt. Stipendien und Minijobs geben zwar nicht viel her für große Hupfer, aber für etwas an Drogen und ein paar Cocktails und Partys reicht es doch. Besonders beliebt sind eben Massenveranstaltungen, weil es gibt diesen gelungenen Individuen ein Gefühl der Sicherheit, in Gesellschaft von ganz vielen Leuten zu sein, die sich genauso aufführen wie sie. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil es sich im Grunde um sehr unsichere Menschen mit unklaren Zukunftsperspektiven handelt, die oftmals im Alltag ganz legale Pillen schlucken, um mit ihren psychischen Problemen zu Rande zu kommen.

Diese seltsame Art von Jugendkultur ist allen Entscheidungsträgern in dieser Gesellschaft recht.

Den Politikern deshalb, weil solcherart beschäftigte Jugendliche nicht lästig werden, nicht soziale Forderungen stellen, keine gefährlichen Ansichten hegen und überhaupt ihre grauen Zellen nur im Rahmen des unbedingt Nötigen betätigen. Eine unpolitische, unkritische Generation, die den jeweils gültigen politischen Zielen nichts entgegensetzen kann, weil es schon am elementarsten Wissen für irgendwelche Gesellschaftskritik gebricht.

Der Unternehmerklasse deshalb, weil sie damit rechnen können, irgendeinen gut beworbenen Schnickschnack auf jeden Fall massenhaft absetzen zu können. Hauptsache, er ist billig und knallig genug und kann als moralisch einwandfrei beworben werden.

Die Medien lieben diese orientierungslose und formbare Masse auch, weil sie immer als Kronzeuge und Manövriermasse für irgendwelche gerade anstehenden Kampagnen (Klima, Tierschutz, Freiheiten aller Art, Kriegshetze) einsetzbar ist und sich auch willig dafür hergibt.

Halloween
Das Halloween ist eine richtig erfolgreich lancierte Massenhysterie, die die Dominanz der US-Kultur in der Welt befestigen soll.
In einer Mischung von Grusel, Fasching, Theater und Konsum machen sich Leute auf, um möglichst originell in einer Masse von Leuten aufzufallen, die alle genau das Gleiche vorhaben. Die Geschäftswelt freut sich: Bei Textilindustrie, Handel, Kosmetikindustrie, Gastronomie usw. klingeln die Kassen und die ganze Maskerade wird dann zum großen Teil weggeschmissen, sodaß der Zirkus nächstes Jahr wieder von vorne losgeht. Während Christbaumschmuck doch hin und wieder am Dachboden gelagert wird, wäre es höchst uncool, im nächsten Jahr zu Halloween wieder mit den gleichen Vampir-Klamotten wie im Vorjahr aufzukreuzen.

Wer immer sagt: Was macht ihr da eigentlich, ihr Idioten?! – ist ein Spielverderber und ein Ekel.

Und so wird dieses Treiben jedes Jahr von viel Werbung und Aufmerksamkeit begleitet und auch nach dem Massensterben in Seoul braucht man sich keine Sorgen machen, daß Halloween selbst in Mißkredit geraten könnte.
Dafür ist die Schuldsuche gut, der Präsident entschuldigt sich, der Polizeichef oder ein Unterwaschel von ihm tritt zurück und alles geht weiter wie bisher.

Das alles geschieht in einem Frontstaat des derzeitigen Weltkrieges, wo die überlegene Kultur des Westens gegen die Verrückten und Autokraten verteidigt werden muß.


Rückerinnerung: Venedig und der Karneval

3 Gedanken zu “Massensterben in Seoul

  1. Aber du willst nicht behaupten, dass Massenpanik zum Halloween feiern gehört. Es sind zwei Gegenstände. Zuerst sagst du es würde sehr deskriptiv berichtet, um dann das Verständnis für die Vergnügungssucht zu kritisieren, die du nicht aufbringen kannst. Dann kritisierst du Halloween. Das ist m.E. ein Gegenstandwechsel.

    Offiziell heißt es, dass zu wenig Polizei vor Ort war. Das ist ein negativer Grund, der aber darauf verweist, dass Massenveranstaltungen eine Ordnung haben müssen, damit es nicht zu Situationen kommt, in denen sich die Menschen gegenseitig erdrücken und sich so gegenseitig die Luft zum Atmen nehmen. Dann entsteht Angst, der unkontrollierte Fluchtreaktionen auslöst und die Situation verschlimmert. Also braucht es Sicherheitsabstände oder Ausweichmöglichkeiten, die im Vorfeld geplant werden müssen und bei der Veranstaltung aufrechterhalten werden müssen.

    "Besonders beliebt sind eben Massenveranstaltungen, weil es gibt diesen gelungenen Individuen ein Gefühl der Sicherheit, in Gesellschaft von ganz vielen Leuten zu sein, die sich genauso aufführen wie sie."

    Ist das nicht allgemein beim Feiern von Festen seit Urzeiten der Grund. Party heißt ja auch Gesellschaft.

  2. @Kehrer

    Ha ha, ich sehe, ein Freund von Partys aller Art!

    Aber soviel kann man doch festhalten: Ohne Massenveranstaltungen keine Not zu Sicherheitsvorkehrungen und keine Massenpanik?

    Früher gab es solche Katastrophen nur bei Fußballveranstaltungen. Da wurde dann etwas gemacht, seither sond die sicher. (Tribünen verstärkt, keine Stehplätze, weniger Zuschauer überhaupt usw.).

    Dafür haben eben diese Großpartys oder wie immer das nennen will, immer mehr zugenommen und da wird man doch einmal nachfragen dürfen, warum gerade die große Menge so attraktiv ist? (Für die Teilnehmer nämlich, für die Veranstalter ist es kein Rätsel.)

  3. Ohne Atemluft keine Menschheit. Das macht die Atemluft aber nicht zum Grund der Menschheit. Ohne Autos keine Autounfälle. Soll man deshalb auf Autos verzichten. Ohne "ohne" weniger verkehrte Erklärungen.  Jedenfalls ist die Massenveranstaltung nicht schon dadurch kritisiert, dass ohne sie auch keine Massenpanik ausbrechen kann. Halloween find ich jetzt auch nicht schlimmer als Fasching/Karneval. Von beidem bin ich kein Freund. Beim Karneval in Rio gibt es regelmäßig Tote.

    "Da wird man doch einmal nachfragen dürfen, warum gerade die große Menge so attraktiv ist?" Klar darf man. Man ist als kleiner Einer teil von etwas Großem. Man ist als Individuum teil einer Gemeinschaft ohne mit jemandem etwas gemein haben zu müssen außer dem Bedürfnis zu feiern. Konkurrenten vereinzeln sich notwendig, weil Konkurrenz eben einen Gegensatz einschließt. Daher das Bedürfnis nach Gemeinschaft in der Freizeit als Kompensation, die aber gleichzeitig so oberflächlich bleibt, dass keiner seine Vereinzelung wirklich aufgeben muss. 

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