Bald auch Bürgerkrieg in Europa?

DIE EU MISCHT DIE UKRAINE AUF
Um zu verstehen, was heute in der Ukraine geschieht, ist es hilfreich, sich zurückzuerinnern, wie dieser Staat entstanden ist.
Der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 gingen keine Demonstrationen oder Straßenkämpfe voraus, wie in der DDR, der Tschechoslowakei oder Rumänien. Niemand ging auf die Straße und forderte einen eigenen Staat. Der Satz, mit dem Wikipedia die Geburt dieses immerhin mehr als 45 Millionen Einwohner zählenden Staates zusammenfaßt: „Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion erlangte die Ukraine im Jahr 1991 ihre staatliche Unabhängigkeit“ – zeugt von der intellektuellen Anspruchslosigkeit dieser Enzyklopädie, die offenbar gar nicht so genau über die Umstände informieren will. Drei sowjetische Regional-Häuptlinge trafen sich nämlich im Dezember 1991 auf einer Datscha in Weißrußland und schnapsten miteinander aus, daß sie jetzt neue, „eigene“ Staaten gründen wollten. Diese wodkatrunkene Zusammenkunft wird, wenn überhaupt, als „Belavezha-Abkommen“ gehandelt, und damit wurden die Staaten Rußland, Weißrußland und die Ukraine geschaffen.
Die Episode ist deshalb wichtig für die heutige Entwicklung, weil es in der Ukraine kein Staatsvolk, keinen Staatswillen gibt, auf den sich die jeweiligen Regierungen stützen könnten. Der ukrainische Nationalgedanke entwickelte sich seinerzeit im damals österreichischen Galizien und dort ist er auch geblieben. Er war und ist antipolnisch und antirussisch, schließt also einen Teil der Bevölkerung der Ukraine – immerhin 8,5 Millionen, oder über 18% der Bevölkerung, – dezidiert aus. Aber nicht nur die restlichen Minderheiten der Ukraine passen eigentlich in den ukrainischen Nationalstaat schlecht hinein, sondern auch ein beträchtlicher Teil der Ukrainer selbst, – also derer, die sich in den Volkszählungen zur ukrainischen Nationalität bekennen, – spricht oft Russisch oder ein Mischmasch, und interessiert sich überhaupt nicht für „seinen“ Staat.
Während also die meisten Bewohner der Ukraine für diesen Staat nichts übrig haben, spricht in ihren Augen eine Menge gegen ihn. Die Ukraine hat es nach über 20 Jahren ihres Bestehens zu keiner Ökonomie gebracht. Nachdem in den 90-er Jahren flächendeckend jahrelang keine Gehälter gezahlt wurden – weder Lehrern noch Ärzten noch Fabriksarbeitern oder Bergleuten – so wurde auch seither durch Betriebsschließungen und Massenentlassungen klargestellt, daß dieses Staatsgebilde für einen guten Teil seiner Bevölkerung keine Verwendung hat. Ukrainische Söldner kämpften am Balkan und in den Bürgerkriegen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ukrainische Gastarbeiter findet man in der EU von Portugal bis Skandinavien. Sie stellen das größte Kontingent an Arbeitsemigranten in Rußland. Eine Generation von Kindern wächst ohne Eltern auf, weil diese sich in fremden Landen verdingen müssen. In den Hafenstädten der Ukraine, wo wegen mangelnder Nachfrage aus dem Hinterland sogar der Schmuggel eher kümmerlich verläuft, richten sich die perspektivlosen Jugendlichen mit Heroinsucht und Aids zugrunde.
Schließlich hat auch im Westen jeder mitgekriegt, daß dieses Land sich seine Energieversorgung nicht leisten kann und auf Preisnachlässe und Kredite Rußlands angewiesen ist.
Dadurch ist natürlich auch der Staatsapparat selbst schlecht ausgestattet, weil weder aus Steuern noch aus Zöllen nennenswerte Einnahmen in die Staatskasse fließen. Kredit hat so ein Staat wie die Ukraine sowieso keinen. In den 90-er Jahren wurden vor Wahlen regelmäßig IWF-Kredite erteilt, damit die im Amt befindliche Regierung irgendwelche ausstehenden Gehälter zahlen und dadurch überhaupt so etwas wie eine Wahlbeteiligung erzielen konnte, damit die Wahlen nicht zu einer Farce verkommen, und der neuen Regierung jegliche Legitimation abhanden käme. Die Ukraine mußte sich also verschulden, um überhaupt den Staatsapparat in die nächste Legislaturperiode weiterschleppen zu können.
Die mangelnde ökonomische Grundlage verhindert somit auch das Zustandekommen einer Staatsräson. Der Staat kann sich gar keine Ziele setzen, er ist mit Selbsterhalt beschäftigt.
Die relativ dünne herrschende Elite der Ukraine ist in der Frage zur EU gespalten, bzw. inzwischen schon eher EU-skeptisch. Während sie auf den westlichen Markt, vor allem Arbeitsmarkt nicht verzichten kann und will, haben doch alle möglichen Illusionen bezüglich der Segnungen der Westintegration in den letzten Jahren einen Dämpfer bekommen. Sowohl die Euro-Krise als auch die Zypern-Konfiskation im Frühjahr 2013, bei der auch ukrainische Geschäftsleute Federn lassen mußten, die ihr Geld in einer der zypriotischen Banken verstaut hatten, zeigen die Grenzen für das Geschäft auf, das ukrainischen Betrieben winkt. Die Nachbarländer Ungarn und Rumänien sind nicht gerade leuchtende Beispiele dafür, wie gut man mit der EU fährt. Die EU verteufelt zwar die Abhängigkeit der Ukraine von Rußland, zahlt aber die Öl- und Gasrechnungen der Ukraine nicht.
Es ist also ganz verkehrt, wie es die westlichen Medien darstellen, daß Janukowitsch sich von Putin „unter Druck setzen“ hat lassen und deswegen das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet hat. Es war eher im Gegenteil, daß er sich der Rückendeckung Putins für diesen Schritt versichert hat – der ja auch nicht seine einsame Entscheidung, sondern der Beschluß des ukrainischen Parlamantes, der Rada, war. Genaugenommen hat das Parlament eine Begnadigung Julia Timoschenkos abgelehnt, die die EU ihrerseits zur Bedingung der Unterzeichnung des Abkommens gemacht hatte. Der Kabinettsbeschluß, von dem Abkommen zurückzutreten, war nur eine Folge der Abstimmung im Parlament.
Der Versuch der EU und der sie unterstützenden Medien, so etwas wie eine Neuauflage der Orangen Revolution hinzukriegen, verlaufen diesmal etwas turbulenter. Die von der EU offen unterstützten Oppositionsführer, der farblose Technokrat Jazeniuk und der Boxer Klitschko, kriegen langsam selber kalte Füße angesichts der Lawine, die sie mit losgetreten haben. Die ukrainischen Faschisten hingegen sehen ihre Stunde gekommen: Endlich können sie mit dem nötigen Rückenwind aus dem Westen, Bewaffnung und Medienunterstützung auf die Staatsmacht losgehen und versuchen, sich als entscheidende Kraft in das Machtgefüge einzubringen.
Die Gewaltbereitschaft der rechten Opposition ist weniger überraschend als die geringe Gegenwehr, die der ukrainische Staat dem entgegenzusetzen hat. Die schlechtbezahlten Polizisten, das Militär, das eigentlich auch nicht weiß, was seine Aufgabe ist – sie alle sind offenbar nicht bereit, mit der notwendigen Gewalt gegen Demonstranten einzuschreiten, die das Zentrum der Hauptstadt in ein Trümmerfeld verwandeln. Janukowitsch und seine Partei können aber auch auf keine eigenen Freiwilligen zählen, die man mit entsprechender Bewaffnung auf ihre Gegner loslassen könnten.
Und die westlichen Medien päppeln Faschisten und vermummte Straßenkämpfer, die im eigenen Land sofort niedergeknüppelt und verhaftet würden, stacheln sie an und verlangen von der bedrängten ukrainischen Regierung „Zugeständnisse“.
Was wollen sie eigentlich, die EU-Politiker und ihre der Tagespolitik noch vorauseilenden Meinungsmacher? Syrische oder ägyptische Zustände an der Ostgrenze der EU?

8 Gedanken zu “Bald auch Bürgerkrieg in Europa?

  1. Ja, danke!
    Die Ambitionen sind ja ebenso eindeutig wie unverschämt.
    Allerdings ist die Ukraine ein etwas größerer Brocken als Kosovo. So einfach einmarschieren kann man dort nicht, und sollte die NATO sich zu einem gemeinsamen Vorgehen einigen können und ein Bombardement anfangen, so wären wir in WK III – das wäre dann der letzte.
    Ich vermute, es wird viel probiert und ausgereizt werden, was Rußland sich gefallen läßt, die roten Telefone werden heißlaufen und die Scheisse von dem allen fressen die Bewohner der Ukraine.

  2. Ich denke eher, für einen WK III fehlt quasi sowas wie ein Grund. Dagegen lässt sich der Zweck, sowas wie meinetwegen ‘singuläre Weltmacht’ o.s.ä. erreichen, wenn die Amis damit durchkommen und die Ukraine quasi zerlegen wie seinerzeit Jugoslawien:
    http://www.voltairenet.org/article182059.html
    Auf den fehlenden Staatszweck hast du ja schon hingewiesen. Allerdings fehlt der in Spanien oder Italien m.E. ebenso, und wenn man sich die ökonomische Konkurrenz unter den deutschen Bundesländern ansieht, braucht es neben Fußball auch eine gehörige Portion nationaler Propaganda, um den Laden zusammenzuhalten. Dass diese Propaganda nach außen aggressiv daherkommt, wundert dann schon weniger.

  3. Glauben heiß nix wissen, wie man bei uns sagt.
    Das erste, was mir bei dem Text von Voltairenet auffällt, ist das „nicht die EU … sondern die USA …“ Und das ist bei der Ukraine genauso verkehrt wie seinerzeit am Balkan: Zwei Weltmächte tragen an dem Objekt ihre Konkurrenz aus. Bei der orangenen Revolution zogen sie übrigens noch an einem Strang.
    Ansonsten sind die Geschichten mit den ukrainischen Nazis (Stetsko usw.) zwar richtig, es ist aber nicht korrekt, eine organisatorische Kontinuität zwischen diesen Leuten und der Swoboda herzustellen. Die Swoboda-Typen haben sich zwar an ihnen inspiriert, wie ja leider alle, also auch Linke, sich gerne an historischen Vorbildern aufrichten, aber sie sind eine jüngere und etwas anders gestrickte Organisation.
    Dieser Verschwörungstheorie-Vorwurf kommt immer gern von Leuten, die irgendwie zu faul zum Lesen, Nachdenken oder Widerlegen sind.

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