Ein kontroversieller Begriff

WAS IST EIGENTLICH EINE KLASSE?
Existiert in China eine „Klassengesellschaft“? Gibt es „Klassenjustiz“? Haben wir bei der medizinischen Versorgung eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“? Niemand will heute zur Arbeiterklasse gehören, sondern bezeichnet sich als Teil der „Mittelklasse“.
Alles Gründe, einmal die Frage zu stellen: Was ist eine Klasse, und wie wird dieser Begriff heute verwendet?
Marx, der die Geschichte als eine der Klassenkämpfe betrachtete, meinte, die Zugehörigkeit zu einer Klasse bestimme das Bewußtsein der Menschen. Er hielt die Klasse für etwas sehr Elementares, über das die Menschen sich selber definieren. Vielleicht täuschte er sich darin. Auf jeden Fall bestimmte er die Klassen über ihr Eigentum und ihre Einkommensquellen: Die einen, die nichts haben, müssen irgendjemandem ihre Arbeitskraft verkaufen, um von einem dafür gezahlten Lohn leben zu können. Die anderen, die genug Eigentum haben und dieses vermehren wollen, stellen die Eigentumslosen an, um aus deren Arbeit für sich Gewinn zu machen. Die Armut der einen ist daher Voraussetzung für den Reichtum der anderen.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Leute, die nichts haben, gibt es weltweit jede Menge. Wenn sie keinen Benützer finden, der sich mit Hilfe ihrer Arbeit bereichern will, so können sie noch eine Nische suchen, innerhalb derer sie sich subsistenzmäßig weiterbringen, sich mit illegalen Tätigkeiten Einkünfte verschaffen, oder sich im sozialen Netz über Wasser halten, sofern sie in einem Land leben, wo es ein solches gibt. Sonst können sie noch versuchen, auszuwandern, oder sie verhungern eben. Die Arbeiterklasse ist heute global vertreten, ebenso wie das Kapital. Das kann sich auf der ganzen Welt sein Ausbeutungsmaterial zusammensuchen: für Textilproduktion in Bangladesch, für Autoproduktion in Osteuropa, für Elektronik in Thailand oder China, usw.
Die Arbeiter- und die Ausbeuterklasse gibt es also nach wie vor.
Marx meinte, irgendwann würden nur mehr diese beiden Klassen übrigbleiben, und den Gegensatz zwischen sich so auf die Spitze treiben, daß es unweigerlich zu einer gesellschaftlichen Umgestaltung kommen müsse. Darin täuschte er sich, unter anderem deshalb, weil er die Rolle des Staates falsch einschätzte. Es gibt heute eine Menge Staatsbeamte: Lehrer, Ärzte, Verwaltungsbeamte, die keiner der beiden Klassen angehören. Außerdem hat sich das Kleineigentum, das besteht, ohne fremde Arbeit anzuwenden, auch irgendwie erhalten, bzw. entsteht stets von neuem aus Mitgliedern anderer Klassen.
Das tut aber der Bestimmung von Arbeiter- und Unternehmerklasse keinen Abbruch.
Unlängst hörte ich, es gäbe gar keine Arbeiterklasse mehr, weil die kein Bewußtsein von sich selbst hätte. Diese Sichtweise hat den Widerspruch, daß es eine Klasse ja bereits geben muß, damit man ein Bewußtsein von ihr entwickeln kann.
Die Mitglieder der Arbeiterklasse wollen jedenfalls nicht als Arme gelten, die sich von anderen ausbeuten lassen müssen. Deshalb möchten sie – zumindest in unserer Weltgegend – alle zur Mittelklasse gehören.
Was ist diese „Mittelklasse“? Dort finden sich Leute aus allen Schichten: Selbständige, Arbeiter, Beamte, Kleinunternehmer, sogar Angehörige des Bauernstandes. Es handelt sich also um keine Klasse im herkömmlichen Sinne, die über ihre Einkommensquelle bestimmt ist. Mit „Mittelklasse“ ist vielmehr ein Ideal bezeichnet, dem alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft anhängen: vom fixen Arbeitsplatz oder der eigenen Firma, dem sicheren Auskommen, der Vereinbarkeit der gegensätzlichen Interessen in der Marktwirtschaft. Diese diffuse Personengruppe bringt in einem fort Enttäuschte hervor, Gescheiterte, die als Loser, Drop-Outs, Sozialfälle vor sich hin gammeln, aber um so stärker an dem Ideal festhalten, an dem sie persönlich gescheitert sind. Sie sind ein Beweis des Funktionierens der Klassengesellschaft: Die funktioniert nämlich genau so, daß sich die Ausgesteuerten und Eigentumslosen selbst Sand in die Augen streuen über ihre tatsächliche Lage und mit aller Kraft versuchen, sich durch Anpassungsleistungen aller Art von der Klasse der Eigentumslosen in irgendeine Art von Eigentümer zu bewegen. Und wenn das schiefgegangen ist, sich entweder selber die Schuld geben, d.h. bei sich selbst die Gründe suchen, warum der Klassenaufstieg nicht gelungen ist. Das ist die Abteilung Psychotherapie oder Alkoholismus. Oder aber, und davon lebt die ganze politische Rechte, andere zu suchen, die man dafür verantwortlich machen kann, daß man sich den Erfolg, der einem zusteht, nicht auf die Fahnen heften kann.
Wenn schließlich die bürgerliche Presse irgendwo „Klassen“, also irgendeine angebliche Ungerechtigkeit, Ungleichheit festmacht, so bedient sie damit nur das Bedürfnis derer, die zwar nichts haben, aber gerne zur Klasse der Besitzenden gehören würden.
Marx hatte also recht und unrecht gleichzeitig: Die Klassenzugehörigkeit beeinflußt das Bewußtsein der Menschen zwar ziemlich gründlich, aber keineswegs in dem Sinne, in dem er es erhoffte. Gerade angesichts der trostlosen Lage, in dem sich ein guter Teil der Menschheit befindet, entsteht zwar ein Bedürfnis zur Überwindung dieser Lage, aber auf rein individueller Grundlage: Wie komme ich da heraus? und mit allen Illusionen, die hierzu nötig sind.
Das Bewußtsein einer gesellschaftlichen Lösung – der Aufhebung der Eigentumsverhältnisse – kann erst aus einer Kenntnis der kapitalistischen Ökonomie folgen. Es ist also die Aufgabe aller Kommunisten, sich diese anzueignen und zu verbreiten.

339 Gedanken zu “Ein kontroversieller Begriff

  1. Un­längst hörte ich, es gäbe gar keine Ar­bei­ter­klas­se mehr, weil die kein Be­wußt­sein von sich selbst hätte. Diese Sicht­wei­se hat den Wi­der­spruch, daß es eine Klas­se ja be­reits geben muß, damit man ein Be­wußt­sein von ihr ent­wi­ckeln kann.

    Das viel weitreichendere Argument, die Basis, ist bereits in der (akademischen) Vorstellung verankert, das wir alle in einer fordistischen Ökonomie unser Leben fristen, in welcher der fordistische Staat, die Eigentümer und ihre Bedürfnisse, betreut, reguliert werden usw. usf.. Diese Diskussion lebte von der (bedrohlichen) Existenz des Realen Sozialismus, der vorangegangenen Weltkriege, der Weltwirtschaftskrise, dem Aufstieg der Gewerkschaften, der Arbeiterkämpfe usw.., dem die fordistische Antwort darauf, bzw. die frohe Botschaft des institutionalisierten Klassengegensatzes, entgegengehalten wurde. Wir “alle” leben in einem Fahrstuhl, der seine Richtung nach oben gerichtet hat.
    Lustig ist auch daß z.B. von der angelsächsischen Ideologie dominierte Staaten im wissenschaftlichen Diskurs weiterhin von der Existenz von Klassen ausgegangen wird, während in Staaten die von sozialstaatlich gefärbten Ideologien dominiert (vorwiegend Deutschland) werden, die „Auflösungstendenzen“ von Klassen abgefeiert wurde.
    Die Integrationsideologie von der fordistischen Ökonomie, samt ihrer staatlich regulierten Insitutionen, lebt ebenso von der Tatsache daß in Nordamerika bzw. in Europa ein wie auch immer geartetes Klassenbwußtsein der Arbeiter doch gegeben hat. Hohe gewerkschaftliche Organisierung, Streikbereitschaft, differenzierte Arbeiter- und Klassenmilieus usw.. Diese lösen sich nun auf, und mit ihnen auch die gewerkschaftliche Kampfkraft, die gewerkschaftliche Solidarität, sowie die zu der Arbeiterklasse dazu gehörenden sozialen und Klassenmilieus. Die Wirtschaftskrisen auf der anderen Seite wurden fortan als naturgeschichtliche Katastrophen in ihre Sachzwangrethorik entlang diskutiert, und dementsprechend intellektuell aufgelöst.
    Dem ist die Tatsache entgegenzuhalten daß die Klassengesellschaft über Bildung und Milieuzugehörigkeit (soziale Herkunft) zwar pluraler, sich aber im Wesentlichen über die Generationen hinweg reproduzieren konnte. Alte Klassenmilieus und Bewußtseinsformen scheinen sich zunehmend aufgelöst zu haben, unter dem Deckmantel der neu ausgelebten Individualität sind allerdings neue Klassenmilieus im Entstehen begriffen, die sich mit anderen, der Klassenzugehörigkeit überkreuzenden Parametern des Geschmacks, usw. überkreuzen (Bourdieu usw.).
    Ein Zusammenhang zwischen Klasse und Bewußtseinsformen scheint also auch in der postfordischen Gesellschaft zu existieren, nur eben kein Bewußtsein, daß sich Staat und Kapital kritisch gegenüber stellen würde. An diesem fehlenden, politisierten Klassenbewußtsein stützt sich eben auch der moderne Diskurs, der die Existenz von Klassen mit Haut und Haaren ablehnend gegenüber steht.

  2. Er hielt die Klas­se für etwas sehr Ele­men­ta­res, über das die Men­schen sich sel­ber de­fi­nie­ren. Viel­leicht täusch­te er sich darin.

    Da bist du schon einen Schritt weiter. Vielleicht genügt es in erster Linie den Erfahrungshorizont der Arbeit bzw. des Lohnarbeiters als Einkommensquellenbeziehers (im Kapitalismus) zu durchleuchten. Zweitens definieren sich Lohnarbeiter, auf dieser Grundlage, zwar nicht als klassenselbstbewußte Subjekte, aber dann doch als selbstbewußte Eigentümer der Ware Arbeitskraft, und darüberhinaus auch als Bürger. Das tun sie eben nur als Figuren der vorgegeben Klassenstruktur in der bürgerlichen Gesellschaft!

  3. @star wars
    Wie du ja weißt, halte ich von dem ganzen Fordismus-Gerede nix.
    Was das Bewußtsein betrifft, so haben sich eben der Bourgeois ebenso wie der Proletarier in selbstbewußte Citoyens verwandelt, die sich über ihre nationale Zugehörigkeit definieren und nicht über ihre Klassenzugehörigkeit, und konsequenterweise von einem Klassengegensatz gar nichts mehr wissen wollen.
    Und darin haben verschiedene Organisationen der Arbeiterklasse ihren Anteil: die haben die Arbeiter zu Staatsbürgern und Stimmvieh erzogen.
    Das halte ich immer noch für einen wesentlicheren Charakterzug des modernen Bürgers als die Stellung zum Eigentum: die freiwillige Unterordnung unter die Staatsmacht, das nationale “Wir”.

  4. Das halte ich immer noch für einen wesentlicheren Charakterzug des modernen Bürgers als die Stellung zum Eigentum: die freiwillige Unterordnung unter die Staatsmacht, das nationale „Wir“.

    Dann frag ich mich dann doch was diese “freiwillige Unterodnung unter die Staatsmacht” zu bedeuten hat: Das Niederknüppeln des Bürgers unter der Staatsmacht, denn konsequenterweise kann ich deine unmittelbare Verknüpfung der Staatsmacht mit dem ominösen “nationalen “Wir”” nichts anderes abgewinnen. Denn da sind doch schon ein paar Übergänge der Bewußtseinsbildung notwendig bevor dem selbstbewußten Staatsbürger die Gemeinschaftsideologie des “Nationalen “Wir”” auch einleuchtet. Deswegen und auch billig dein Zusatz daß diese Unterordnung unter der Staatsmacht freiwillig stattfindet.

  5. Jetzt noch mal

    Was das Bewußtsein betrifft, so haben sich eben der Bourgeois ebenso wie der Proletarier in selbstbewußte Citoyens verwandelt, die sich über ihre nationale Zugehörigkeit definieren…

    Ja das stimmt, aber dennoch sind citoyens immer auch Proletarier geblieben. Es ist doch nicht so daß die Bewußtseinsbildung auf gesellschaftlicher Ebene im luftleerem Raum schwebt, in dem Sinne daß nur abgehobene, distinguative Konversation über das nationale “Wir” stattfindet. Das nationale “Wir” ist doch eine Gemeinschaftsideologie, in Vorraussetzung und nur vor dem Hintergrund der Klassengegensätze, die tagtäglih auch unter der Nase jeden Bürgers und jeden Proletrariers, stattfinden. Das spannende ist doch wie die Realität der privaten und Klassengegensätze mit dieser Gemeinschftsideologie zueinander findet, weswegen auch der Kommunisten “tauglichen Argumente” nicht auf fruchtbaren Boden fallen können. Da ist es nur billig zu meinen, dass diese “tauglichen Argumente” nicht auf fruchtbaren Boden fallen, weil der böse böse Staat den Proletariern ständig zwischen den Beinen dazwischenhaut.

  6. dennoch sind citoyens immer auch Proletarier geblieben

    Wieso “dennoch”? Doch vielmehr deshalb! Die stolze Einreihung in den Staatsverband ist doch gerade die ideale Grundlage dafür, sich mit seiner miesen gesellschaftlichen Stellung abzufinden. Wieviele Slumbewohner oder Kriegsinvaliden der USA sagen doch gern in die Kamera, wenn man sie fragt: “I’m proud to be an American!”

    Es ist doch nicht so daß die Bewußtseinsbildung auf gesellschaftlicher Ebene im luftleerem Raum schwebt

    Es ist immer Zeichen einer argumentativen Schwäche, wenn man sich eine absurde Position ausdenken muß, um dann gegen sie vom Leder zu ziehen.

    Das spannende ist doch wie die Realität der privaten und Klassengegensätze mit dieser Gemeinschftsideologie zueinander findet

    Die Spannung hält sich in Grenzen. Die beiden müssen doch nicht wie zwei Königskinder “zueinander finden”, sondern das nationale Wir IST die Hinantanstellung aller Gegensätze unter einen gemeinsames Ziel, die Teilnahme am Staatsverband, an der Nation.
    Der “fruchtbare Boden” ist mir eigentlich ziemlich wurscht. Es ist doch komisch, immer das Bewußtsein der “Massen”, “Arbeiter”, “Bürger” usw. zu bejammern, anstatt ihm mit Argumenten zu Leibe zu rücken.

  7. Wieviele Slumbewohner oder Kriegsinvaliden der USA sagen doch gern in die Kamera, wenn man sie fragt: „I‘m proud to be an American!“

    Ja klar Nestor, aber dennoch sind die deswegen doch nicht gern verstümmelt aus dem Krieg zurückgekommen. Die Unannehmlichkeiten z.B. man kann nicht mehr richtig laufen, bleiben dennoch. Und auch der Slumbewohner wünscht sich eine bessere Stadtviertelpolitik, weniger Kriminalverbrechen, bessere Aufstiegsmöglichkeiten usw..

    Die beiden müssen doch nicht wie zwei Königskinder „zueinander finden“, sondern das nationale Wir IST die Hinantanstellung aller Gegensätze unter einen gemeinsames Ziel, die Teilnahme am Staatsverband, an der Nation.

    Nochmal Nestor, die verbale und sontige intelektuelle Verarbeitung usw. der Klassengegensätze bringen diese Klassengegensätze nicht zum verschwinden, und das merken alle Nationalisten. Der Gegensatz der Privateigentümer verschwindet nicht weil sich diese solch für einem Mist auf ihre Gegensätze einbilden. EIN gemeinsames Ziel gibt es auch nicht, weil die Vorstellung eines WIR im Nationalverband nur eine Illusion ist.

  8. “Der Gegensatz der Privateigentümer verschwindet nicht, weil sich diese solch für einem Mist auf ihre Gegensätze einbilden.”
    (star wars)
    Das ist einerseits schon recht. Stimmt ja sicherlich:
    Das eine ist das Faktum, das andere das Bewusstsein (incl. Verdrehung, Ideologisierung) dieses Faktums.
    Du wolltest ja aber nicht nur festhalten, dass es sich “um zwei unterschiedliche Ebenen” handelt, oder?
    Sondern so etwas wie: ewig können die doch nicht in ihrer Verblendung verharren, – Oder?
    (Einige wenige Veteranen der US-Kriegspolitik der vergangenen Jahrzehnte sind ja teilweise in der US-Antikriegspolitik wiederzufinden. Mehrheitlich aber doch wohl in den stinkordinären Veteranenbewegungen, bei deren schaurigen Ritualen sie sich gerne mit Krüppeln und US-Fahnen ablichten und abfeiern lassen.
    Die 68er waren doch auch zumeist Profs, Lehrer, Pastoren, Studis und Kids, die sich selbst ihren Reim auf ihren Staat bilden mussten
    (es gab dort auch Kriegsveteranen,
    aber die meisten Studies und Hipppies waren das glaub ich nicht,
    will aber damit jetzt nicht vom Thema wegführen!)
    Den jetzigen Aufschwung sozialistischer Bewegungen in den USA unter Führung von Afghanistan- und Irak-Krüppeln habe ich jedenfalls nicht mitbekommen.
    Dies mal nur kontrafaktisch gesagt.)
    (Einen “Aufschwung” sozialistischer Bewegungen nach solchen “Unfällen” oder “Katastrophen” des nationalen WIR scheint mir historisch allenfalls mal dann eingesetzt zu haben, wenn diese Veteranen für ihr Leid nachträglich ihr nationales Wir verantwortlich machen, und obendrein der Staat selber arg angeknackst aus solchem Krieg hervorgegangen ist, wie 1918 Russland und tw Deutschland.
    (“Die Junker oder der Zar haben den Staat vergeigt,
    bzw. nur in die eigene Tasche gewirtschaftet,
    kein Wunder, dass wir dafür bluten mussten”.)
    Anschließend sind sie dann mehrheitlich vermutlich auch eher von der Vorstellung eines neuen WIR angetan gewesen, der sich endlich ihrer annehmen möge, Staatskritiker in größeren Massen innerhalb sozialistisch/kommunistischer Bewegungen hat doch m.E. die Erfahrung, dass das nationale Wir eine Ideologie ist, historisch eher selten hervorgebracht …
    Oder fallen dir dafür andere Beispiele ein?)
    Welche Bewusstseinstheorie o.dgl. bei dir dahinter steckt, könntest du vielleicht noch mal erläutern.
    Was genau meinst du also mit: “das merken alle Nationalisten”.
    Was merken sie, welche Schlüsse zieht wer daraus? Und dann?
    Also wieso gibts einen Weg zurück
    zum Klassenstandpunkt,
    nach der Registrierung,
    dass das WIR schädlich ist?
    (Die Kriegsbeispiele sollen nur die Härte des WIR unterstreichen. Es soll nicht nahegelegt werden, dass im Normalvollzug von Staatlichkeit eher zum
    “Klassenbewusstsein” zurückgefunden würde!
    – Wieso das denn auch, wenn dafür nicht mal die
    nationalen Katastrophen taugen?)

  9. Das eine ist das Faktum, das andere das Bewusstsein (incl. Verdrehung, Ideologisierung) dieses Faktums.
    Du wolltest ja aber nicht nur festhalten, dass es sich „um zwei unterschiedliche Ebenen“ handelt, oder?
    Sondern so etwas wie: ewig können die doch nicht in ihrer Verblendung verharren, – Oder?

    Nein. Die Interessensgegensätze werden auch also solche wahrgenommen, und zweitens wollen ja auch alle Privateigentümer sein, und diese Interessensgegensätze austragen. Bloß wird an der Idee eines vernünftigen Miteinanders im Gemeinwesen ebenfalls festgehalten. Es bleibt aber in diesem Fall nur ein Ideal, an dem festgehalten wird.

  10. “EIN gemeinsames Ziel gibt es auch nicht, weil die Vorstellung eines WIR im Nationalverband nur eine Illusion ist.” (…)
    “Bloß wird an der Idee eines vernünftigen Miteinanders im Gemeinwesen ebenfalls festgehalten. Es bleibt aber in diesem Fall nur ein Ideal, an dem festgehalten wird.”
    (star wars)
    Was ist denn der Inhalt des Ideals, woran macht sich die “Idee eines vernünftigen Miteinanders im Gemeinwesen” als “Ideal” geltend? Wäre solches Ideal störend oder eher befeuernd für z.B. aufkommende faschistische Bewegungen (oder z.B. den Front National in Frankreich)?
    Welche Inhalte hat solches Ideal?
    Wo existiert also dieses Ideal eines vernünftigen Miteinanders weiterhin, nimm doch ruhig das Beispiel eines vorgestellten nationalistischen französischen Weinbauarbeiters oder eines Werftarbeiters aus Nantes (oder sonst ein Beispiel, gerne aus oben zitierten US- oder deutschen Geschichtsetappen) mir ist unklar, wo bzw. bei wem du dein Ideal verortest).
    (Falls du damit das Ideal der “Volksgemeinschaft” gemeint haben solltest, hätte ich dich vermutlich missverstanden,
    oder?)
    Oben hast du das mal so formuliert:
    “aber dennoch sind citoyens immer auch Proletarier geblieben.”
    Dass dir die nationalistische Verblendung des Proletariats nicht gefällt, ist ja schön.
    Hast du aber außer deinem eigenen Missfallen am Zustand des Proletariats 2013 irgendwo tatsächliche nachweisbar faktische Hinweise für deine Wünsche gefunden? (Wenn nicht in sozialen Bewegungen, dann in Medien, in auswärtigen Bewegungen, oder wo? – oder ist das alles nur
    d e i n eigenes linkes Ideal,
    das “s o l l t e” so sein?)
    Mit dieser Vorstellung eines “Miteinanders” werden sie schon Mutti gewählt haben oder Peer,
    “vernünftig” – werden sie sich allesamt übersetzen
    in den Kackbegriff des “kleneren Übels”.
    – Aber das hast du ja eher gerade nicht gemeint.
    Sondern???

  11. Dass innerhalb der Gewerkschaften, im akademischen Milieu, bei diversesten linken Parteien oder Sekten auch mal anders gedacht wird, wird so sein, eine umgekehrte Determination zu absolut und ewiglich “Nicht_Klassenbewusstsein” würde mir natürlich auch nicht einleuchten, gibt ja immer mal wieder den einen oder anderen, und manche oppositionelle linke Betriebszeitung vertritt ja auch ganz vernünftiges Zeugs!
    Und wenn zu Demos aufgerufen wird, kommen ja auch etliche – manche aber doch eher, damit ihre Gewerkschaft im nationalen Laden nicht so einfach völlig untergebuttert werden soll, sondern gleichberechtigt(er) sein soll.
    Aber mit dem Begriff des “Klassenbewusstseins” ist sowohl in linker Tradition (Lenin, Lukacs) als auch in der Tradition der Nach-68er doch wohl ein bisschen mehr gemeint…
    Ein Gegenargument zu Nestors Behauptung entdecke ich in der Faktizität solche Randphänomene also nicht.
    Nach wie vor heißen ihre Haupt-Favoriten vermutlich Peer oder Mutti oder Hannelore (oder z.B. städtische oder nationale Fußballhelden…).
    So etwas wie Kenntnis des Kapitalismus gibts nicht,
    stattdessen massenweise BLÖD-Zeitungs-Lektüre.
    (So ein Drecksblatt könnte sich gar nicht auf dem Markt halten,
    wäre es hierzulande so ganz anders als von Nestor dargestellt. Dass man dem Proletariat noch extra Geld geben müüste, damit sie son Schietkram kaufen, ist leider nicht so ganz die Wahrheit…)

  12. Was ist denn der Inhalt des Ideals, woran macht sich die „Idee eines vernünftigen Miteinanders im Gemeinwesen“ als „Ideal“ geltend?

    Es ist umgekehrt, es sind Organisationsprinzipien des bürgerlichen Gemeinwesens, die sich ebenso als Werte oder Ideale manifestieren können, welche sich als “Idee eines vernünftigen Miteinanders im Gemeinwesen” geltend machen – im Kapitalismus Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Schutz des Eigentums.

    Wäre solches Ideal störend oder eher befeuernd für z.B. aufkommende faschistische Bewegungen (oder z.B. den Front National in Frankreich)

    Dann werden diese Ideale eben modifiziert bzw. andere Ideale oder Werte, im vergleich zu einer Demokratie, nehmen an Bedeutung zu (faschistische Bewegungen). Den Volkskörper vor Schädlinge oder Schwache säubern, Opferbereitschaft.

  13. @star wars

    die verbale und sontige intelektuelle Verarbeitung usw. der Klassengegensätze bringen diese Klassengegensätze nicht zum verschwinden,

    Wie denn auch?! Wenn man die Gegensätze durch Wegwünschen oder Interpretation zum Verschwinden bringen könnte, so wäre Revolution und Aufhebung des Privateigentums in der Tat überflüssig.
    Die Wirklichkeit ist immer härter als die Einbildung …

    und das merken alle Nationalisten.

    Um das zu “merken”, müßten sie ja erst einmal ihre mißliche Lage aus einem Klassengegensatz erklären. Davon kann aber keine Rede sein.
    Wenn die Unternehmer von der Arbeiterschaft selbst, und den Gewerkschaften als solche gelobt werden, die “Arbeitsplätze schaffen” oder dieselben “erhalten”, so ist doch damit ausgedrückt, daß die arbeitende Menschheit ihre Stellung als anhängige Variable des Kapitals gefressen hat und nach ihrer Benützung durch das Kapital verlangt. Der Gegensatz ist also gestrichen, und als Bedroher dieser Idylle werden die Ausgesteuerten anderer Nationen gesehen, die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.
    “Gemerkt” wird bei dieser Bewußtseinslage nix.

  14. Aber mit dem Begriff des „Klassenbewusstseins“ ist sowohl in linker Tradition (Lenin, Lukacs) als auch in der Tradition der Nach-68er doch wohl ein bisschen mehr gemeint…

    Von Klassenbewußtsein war ja auch nicht unbedingt die Rede, sondern von Klassen/Klassenlage/Bewußtsein. Und da ist eben festgehalten worden daß die Klassenlage durchaus das Bewußtsein/Bewußtseinsbildung beeinflußt, auch wenn sich die Proleten ihrer Klassenlage nicht wirklich bewußt geworden sind. Umgekehrt, wie kommt du denn darauf daß nur dann die Klassenlage das Bewußtsein beeinflußt, wenn die Proleten ein richtiges Bewußtsein von ihr entwickelt?

  15. Worauf beziehst du dich mit deiner umgekehrten Frage?
    Oben angedeutet hast du, dass in faschistische Ideologie “irgendein Bewusstseinseinfluss” der Lage als Proletarier drinstecke.
    Das mag sowohl bei Nazi-Wählern als auch bei SS-Fußvolk-Leuten, so sie denn Arbeiter sind, so vage irgendwie so (gewesen) sein.
    Gleichfalls waren damals noch mehr Leute christlich gebunden. Das wird sie wohl auch “beeinflusst” haben.
    Die Verdrehung eigener missliebiger Erfahrungen in “Ohnmachtserfahrungen” (falls Arbeiter ihre Lage so deuten; oder z.B. Arbeitslose) und in den Wunsch nach einem starken nationalen Führer, der ganz für sie da sei und mit den “Volks-Schädlingen”, die schuld am schlechten Zustand seien, aufräumen solle, ist der Sache nach doch aber nicht selbstverständlich. Von wegen Ohnmacht!
    (Die andere Fraktion wirds auf den mangelnden Glauben oder die mangelnde Nächsteliebe der unchristlichen Politiker geschoben habe, gabs wohl nicht so arg viele.) Kapiert haben sie aber doch da nix, obwohl bei beiden Deutungen “irgendwie” ihre Klassenlage so vage irgendwie “eine Rolle gespielt haben mag”, so könntest du das vermutlich formulieren.
    Begründung dafür bei dir ist, “daß die Klassenlage durchaus das Bewußtsein/Bewußtseinsbildung beeinflußt”.
    “durchaus beeinflusst” ist aber eine gut gewählte extrem beliebig ausdeutbare Floskel. Auch das heutige Novemberwetter beeinflusst einen vermutlich beim Schreiben. Aber dass es dich bestimmen würde, würdest du vermutlich so oder so nicht sagen mögen …
    (Zu leugnen, dass einen alles mögliche “beeinflusse”, wäre Blödsinn. Dass es einen bestimme, aber doch hoffentlich gleichfalls.)
    “Irgendeinen” Einfluss willst du argumentativ retten,
    das hört sich dann eher nach dem umfallenden Reissack in China aus der Chaos-Theorie an. Die wird schon auch stimmen, irgendwie irgendwo beeinflusst einen irgendwie alles …
    Irgendwie.
    (Wichtiger als solch beliebiger Allerleikram von allerlei Einflüssen ist doch der eigene Reim, mit dem man sich das alles dann erst noch zusammenschustern muss im eigenen Hirn, was einem tagtäglich so an Einflüssen passiert.)

  16. Randbemerkung:
    “Beeinflusst irgendwie”, “verhält sich irgendwie dazu”, das sind solche sprachlichen Ausdrucksweisen, deren Wahrheitsgehalt deswegen erst gar nicht überprüft werden kann, weil sie eine inhaltliche Bestimmung erst gar nicht sagen wollen.
    Deswegen waren solche Ausdrucksweisen gern benutzt bei den Theoretikern der “Widespiegelungstheorie”. Irgendwie spiegelt alles den Einfluss bestimmender ökonomischer Gesetzmäßigkeiten wieder, so konnte Goethe als früher Gewerkschaftler gelesen werden (war er nicht irgendwie durch die Frühanfänge der Industrialisierung beeinflusst?)
    Es gab mal ein Philosophisches Wörterbuch der DDR (von Buhr),
    “Das Philosophische Wörterbuch ist der Name des von Georg Klaus und Manfred Buhr 1964 bis 1987 herausgegebenen, zunächst einbändigen, ab 1970 stark erweiterten zweibändigen Wörterbuchs, das im Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig erschien und zu einem der bedeutendsten Wörterbüchern der marxistischen Philosophie zählt. Das Wörterbuch hatte bis 1975 eine Auflage von über 320.000 Exemplaren. Aufgrund seiner Popularität erschien es auch in der BRD im Rowohlt Verlag, hier in drei Bänden und unter dem Titel: Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie. Seit den 1970er Jahren gilt es auch bei westdeutschen Philosophiestudenten als Standardwerk.”(Wiki)
    inzwischen eher seltener gelesen, Standardwerk aber vermutlich eher unter den Realsozialisten…
    … da waren all diese interessierten Dummheiten hübsch alfabetisch sortiert aufgeschrieben…
    (Interessiert war das deswegen, weil “vom Standpunkt der Arbeiterklasse geschrieben”, alles als Gesetzmäßigkeit hin zum Guten dargestellt werden musste. Da tat man sich dann schwer damit, den Säulenheiligen der eigenen Auffassung, der geliebten Arbeiterklasse, Fehler vorzuwerfen. (Sie war dann immerzu durch Monopole bestochen, verführt etc.)Eigentlich hatte sie aber doch irgendwie schon den richtigen Klassenstandpunkt …

  17. Ich weiß gar nicht, warum man Lukács, Lenin, den Faschismus und andere dicke Brummer anführen muß: es genügt doch, sich an Gewerkschaftsparolen oder die von Leserfranz zitierte BLÖD-Zeitung und andere Medien zu halten, um zu wissen, wie das Bewußtsein der Arbeiterklasse heute ausschaut!

  18. Leserfranz, du hast einen Knall. Was hätte mir einleuchten sollen, die Abstraktion “Klassenbwußtsein” hast du doch überhaupt in diese Diskussion hineingebracht. Keine Zeile steht etwas von “Linken” oder von Lukacz, oder von einer linken Lehrerbewegung, und die Faschisten hast doch überhapt du erst in diese Debatte ins Spiel gebracht. Ich habe zig mal deine abstrusen, aus der Luft gegriffenen Behauptungen über Klassenbewußtsein zurückgewiesen, und jedes Mal bist du, nach einen von deiner Seite aus nur gespielten Einverständnis mit meinen Gegendarstellungen, einen Kommentar später wider auf deine, aus der Luft gegriffenen, Kustgriffe zurückgekommenen. Du kannst froh sein daß ich auf diesen Scheiß überhaupt geantwortet habe.

  19. Übrigens auf einen “irgendwie irgendwo” Bewußtseinseinfluß der Klassenlage steht auch nirgendwo was drin, im Gegenteil ich habe mich in meinem Ausgangspost einige Forschungsdiskussionen über Gewerkschaftsbeteiligung, Bildungsbeteiligung und Klassenlage bezogen. Das die Diskussion zugegebenermaßen dann etwas sehr abstrakt geführt worden ist, liegt wohl in der Natur des Ausgangspostings.

  20. “Und da ist eben festgehalten worden daß die Klassenlage durchaus das Bewußtsein/Bewußtseinsbildung beeinflußt, auch wenn sich die Proleten ihrer Klassenlage nicht wirklich bewußt geworden sind.”
    (star wars)
    Ich dachte, dass das deine Gegenthese gegen Nestor sei.
    (Gerne auch incl. deiner Ausführungen in deinem Ausgangspost.)
    Nestor hatte vorher darauf hingewiesen, dass selbst “Kriegskrüppel” vom Nationalismus nicht lassen wollen. Daraufhin hast du den dann mit einer anderen Bedeutung versehen, er sei nämlich dann wiederum mehr als schlicht nur Nationalismus.

  21. Ja, ich kann nur wiederholen, was ich schon weiter oben vertreten habe: Im nationalen “Wir” ist jedes Bewußtsein von Klassengegensatz und Ausgebeutet-Werden aufgelöst.

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