Großbritannien und die EU

BREXIT OHNE ENDE
Man erhält den Eindruck, daß die EU-Politiker Deutschlands und Österreichs, und auch die Medien dieser Länder, sich so richtig weiden an den Debatten im britischen Parlament und an den Schwierigkeiten, die den Austritt – oder Nicht-Austritt? – Großbritanniens begleiten.
Die Szenarien, die in der deutschsprachigen Presse ausgemalt werden, sind düster: Womöglich brauchen die Briten ein Visum, sobald sie europäischen Boden betreten, und überall bricht der Warenverkehr zusammen. Die City geht unter, außer sie übersiedelt rechtzeitig nach Frankfurt.
Man merkt all diesen Bildern das Wunschdenken an, doch endlich einen imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und ihn ohne Krieg besiegen zu können.
Mit der Wirklichkeit hat das allerdings wenig zu tun.
Es ist gut, sich an die Zeit vor der EU, also vor 1992 zurückzuerinnern: Da gab es keinen Euro, das Umwechseln von Geld – wie es nach GB bis heute nötig ist – war gang und gäbe. Überall gab es Wechselstuben.
Die Briten brauchten wie alle Bürger Westeuropas kein Visum, um irgendwo hin zu reisen. Die einzigen Staaten, die bis 1990 Visa verlangten, waren einige sozialistische Staaten, keineswegs alle.
Überall an den Grenzen gab es Grenzkontrollen und Zollstationen. Rund um die Flüchtlingskrise wurden von einigen Staaten Forderungen erhoben, die Grenzstationen zu rehabilitieren und wieder Grenzkontrollen durchzuführen. Das hätte aber den freien Warenverkehr behindert und wurde deswegen verhindert – vor allem von Deutschland, das am meisten von dieser Zollfreiheit des Schengenraums profitiert.
1. Der Freihandel
Freihandel ist Forderung und Vorteil der Staaten mit erfolgreicher Kapitalakkumulation. Sie können mit ihren Waren fremde Märkte erobern und deren Kapitale an die Wand drücken, weil sie sie im Preis unter- und in der Qualität überbieten können. Freihandelszonen einzurichten, ist daher ein Dienst der Regierungen der potenteren Staaten an ihrem Kapital, den dieses Kapital gerne ausnützt, um seine Marktanteile im Ausland zu Lasten der Konkurrenten zu erhöhen.
Man kann sich dabei natürlich auch verkalkulieren. Viele Politiker von EU-Staaten waren für den Abbau aller Schranken des Warenverkehrs, weil sie dachten, daß ihr einheimisches Kapital diesen Wettbewerb bestehen könnte. Später, als sich diese Annahme als Irrtum herausstellte, hatten sie nicht mehr die Mittel, den Konkurrenznachteil wieder wettzumachen. Selbst wenn sie auf Protektionismus gesetzt hätten, hätten sie gar kein Kapital mehr gehabt, das unter dem Schutz der Zollschranken zumindest den inneren Markt bedienen hätte können. Verschiedene Unternehmen der Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie Griechenlands oder Spaniens oder anderer Staaten waren bereits der Konkurrenz mit potenteren Marktbeherrschern zum Opfer gefallen.
Es wäre aber auch gar nicht möglich gewesen, weil schon allein mit dem Euro ein Sachzwang geschaffen worden war, der Abschottung nach außen verunmöglicht.
2. Pfund und Euro
Die Briten wollten den Euro nie, weil sie nicht bereit waren, die mit der nationalen Geldschöpfung verbundene Souveränität aufzugeben. Sie wollten im Gegenteil das Pfund als Partner, aber auch Konkurrenten des Euro stark machen. Und als die Eurokrise losging, so wollten sie nicht für die Stützung dieser Währung geradestehen. Das ist der ökonomische Hintergrund des Brexit. Die britischen Eliten waren und sind gespalten in der Frage, wie sie der Eurokrise entkommen könnten. Und welcher Art ihr Austritt sein könnte/sollte und wie er nicht aussehen sollte.
Die britische Wirtschaft und das Pfund beruhen nämlich zu einem beachtlichen Teil auf der EU und auf dem mit der EU betriebenen Freihandel. Erstens als Finanzzentrum und Warenbörse. Viele der Rohstoffe, die ihren Preis an der Londoner Börse erhalten, werden nämlich in der Kontinental-EU nachgefragt. Die City ist somit das Tor, durch das diese Materialien in die EU gelangen. Selbst wenn sie irgendeinen Hafen auf dem Kontinent anlaufen – ihr Preis wurde in London festgelegt, und oftmals auch der Vertrag dort abgeschlossen. Die City bedarf also der EU als Absatzmarkt. Darauf beruht ein großer Teil ihrer Bedeutung.
Auf der anderen Seite hat Großbritannien seit Thatchers Zeiten zwar einiges an produktiver Basis eingebüßt, geblieben ist jedoch seine Bedeutung als Handelsplatz. Viele Fertigprodukte der EU-Unternehmen wandern über Großbritannien in alle Ecken des Commonwealth. Hier kommt der Freihandel in die andere Richtung ins Spiel: GB importiert zollfrei und günstig und seine Unternehmen können einiges aufschlagen, wenn das Zeug über bilaterale Zollfrei-Verträge in die Zentren und Ränder des einstigen Empire verscheppert wird.
GB hat also bei einem EU-Austritt wirtschaftlich einiges zu verlieren bzw. müßte sich durch diesen Schritt sozusagen neu erfinden.
3. Die Souveränität und ihre Außenposten
Ansonsten wird es teilweise von den Schatten seiner kolonialen Vergangenheit eingeholt: Der Status von Gibraltar und von Nordirland wird fraglich: Teil der EU oder Teil Großbritanniens? Es ist nicht ausgeschlossen, daß der nordirische Bürgerkrieg wieder losgeht und eine Art Besatzungsregime nötig wird, um das Territorium beim Vereinigten Königreich zu halten.
Gibraltar ist zwar ein leichterer Fall, weil es dort von innen kein Interesse gibt, den Status als Offshore-Paradies zu verlieren. Hier ist es aber vor allem Spanien, das den Felsen gerne heim ins Reich holen möchte und durch Blockaden zu Land und Wasser den Bewohnern und der britischen Regierung das Leben schwer machen kann.
Schließlich hat Schottland angekündigt, bei der EU bleiben zu wollen und damit separatistische Begehrlichkeiten in Aussicht gestellt, falls GB die EU verläßt.
GB hat zwar ein sehr hochgerüstetes Militär, das aber nicht für den Einsatz gegen die eigene Bevölkerung vorgesehen ist. Verlust vieler bisheriger Einkommensquellen und dazu eine Art Militärregierung in verschiedenen Landesteilen – das erinnert an die Regimes von Salazar und Franco, die auch ein Eingeständnis von wirtschaftlicher Schwäche waren, sodaß der Staat bzw. das Kolonialreich nur mit Gewalt und Krieg zusammengehalten werden konnte.

4. Klamauk aus dem Parlament

Diesen ganzen – von den britischen Politikern gewußten – Widersprüche bringen das seltsame Schauspiel hervor, das die britische Regierung und ihr Parlament seit der Brexit-Abstimmung bieten und das mehr an Monty Pythons Flying Circus erinnert als ein Musterland der demokratischen Entscheidungsfindung:
Erst tritt der Regierungschef zurück, der die Abstimmung angesetzt hat und gesteht damit ein, daß er sich verkalkuliert hat.
Die Politiker, die den Austritt befürwortet haben, treten zurück, weil sie von ihrem eigenen Erfolg überwältigt sind.
Dann kommt eine Dame, die verkündet, den Brexit durchführen zu wollen und kassiert eine Niederlage nach der anderen:
Wollt ihr mit einem Freihandelsabkommen austreten?
Nein!
Wollt ihr ohne ein Freihandelsabkommen austreten?
Nein!
Wollt ihr in der EU bleiben?
Nein!
Bleibt noch die Möglichkeit, noch einmal abstimmen zu lassen und zu hoffen, daß es für die EU ausgeht.
Erstens hätte das aber eine schiefe Optik, solange abstimmen zu lassen, bis man das erwünschte Ergebnis hat.
Zweitens könnte es aber noch einmal mit Nein! ausgehen, und was dann?

23 Gedanken zu “Großbritannien und die EU

  1. Die Ergebnisse der Europa-Wahl, der Streit zwischen ‘Souveränisten’ und ‘Pro-Europäern’, sowie Formen und Inhalte des Wahlkampfes 2019 waren Thema beim Jourfixe München am 08.07.2019, hier protokolliert:
    https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf190708-wahlen-eu.pdf
    Gegenstand der Debatte war der neue Artikel im Gegenstandpunkt 2/2019:
    Die Wahlen zum EU-Parlament 2019
    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/wahlen-zum-eu-parlament-2019
    (Dieser Artikel ist insgesamt online frei verfügbar!)
    Zu Beginn des Artikels wird darauf hingewiesen, dass die Art und Weise, wie dieses Mal für die EU-Wahl geworben wurde, sich deutlich von früheren EU-Wahlkämpfen unterschieden hat. Unter Titeln wie ‘Ausbau oder Rückbau der EU?’ oder ‚mehr oder weniger Brüssel?’ wurde von zwei gegnerischen Lagern eine Schicksalswahl ausgerufen und die Frage aufgemacht, ob und wie es mit der EU überhaupt weitergehen könne.
    Was sind das für Alternativen…???
    (…)

    Neoprene hat übrigens in einen Thread die Abschrift eines Vortrages von Peter Decker am 4. Mai 2017 in Nürnberg eingestellt …
    Europa hat heute viele Feinde…
    … so beginnt der Vortrag von Peter Decker über die aktuelle Lage Europas und über die Deutungen der expliziten ‚Freunde Europas‘:
    Die europäische Einigung – Ein deutsches Weltmachtprojekt
    https://www.argudiss.de/node/414
    https://www.argudiss.de/sites/default/files/doku/gesamtaufnahmen%28mp3%29/europa_nbg_0517_ges.mp3
    Zu sehen und zu hören ist der Vortrag und die Diskussion unter:
    https://www.youtube.com/watch?v=VMKyLM2XkBQ
    http://Neoprene.blogsport.de/images/DeckerzuEuropa20170504NbgMitschrift_01.rtf
    … wobei die ‘Fragilität’ des europäischen Weltmachtprojektes seit 2017 erhebliche weitere ‘Kratzer’ abgekriegt hat, sowohl von Seiten der USA als auch direkt aus dem Inneren der EU ….

  2. Aus einer eher ‘linkskeyniastischen Sicht’, der Zeitung FR vermutlich gemäß, stellt Stepha Kaufmnn einige Eigentümlichkeiten des EURO-Schuldenregimes der EZB heraus – und landet auch bei dem entsprechenden Fazit, dass die ‘Schwarze Null’ kontraproduktiv sei …
    https://www.fr.de/wirtschaft/absurde-angst-vorm-defizit-12830160.html
    Nicht zur Sprache kommt das widersprüchliche Konstrukt des EURO, der, aus Sicht der europäischen konkurrierenden Nationalstaaten für sie ein Mittel zwecks Verbesserung ihrer weltweiten nationalen Konkurrenzsituation sein soll – dies aber ja nur dann auch möglich machen kann, wenn er ein stabiles Weltgeld ist.

  3. Johnsons Ankunft in der Brexit-Realität
    Nach der Machtübernahme droht der Brexit-Kater: Großbritanniens neuer Premier Boris Johnson spürt heftigen Gegenwind für seinen harten Kurs gegenüber der EU – sogar in Washington.
    Boris Johnson: Politologe über britische „Schwäche“ und ein „Gespenst im Hintergrund“
    Der neue britische Premier Boris Johnson würde sein Land auch ohne Deal aus der Europäischen Union (EU) austreten lassen. „Die Folgen für den Handel Großbritanniens könnten verheerend sein“, warnt Politologe Thomas Jäger im Sputnik-Interview. Der Experte für internationale Beziehungen sieht „außenpolitische Schwächung“ Londons durch den Brexit.

  4. Man bedenke auch: Das Pfund hat im Laufe der Zeit mit dem Yen gleichgezogen, und ca. 5% der Währungsreserven sind in £ bzw. des Volumens des Welthandels entfallen darauf.
    Wenn jetzt Großbritannien abschifft, und auch der Euro an Volumen verliert, so dürfte dieses Loch durch den Dollar aufgefüllt werden, und er gewinnt wieder Marktanteile zurück.

  5. EU verliert Glauben an Brexit-Deal
    Die EU und Großbritannien steuern auf den Chaos-Brexit zu. London ist aus Brüsseler Sicht nicht mehr an Verhandlungen interessiert. Der Schaden für das Land wäre groß – der Nutzen für Premier Johnson wohl auch.
    Konstruiert und ausgeschlachtet
    Innerparteiliche Antisemitismusvorwürfe gegen linken Flügel von Labour
    Von Christian Bunke, Manchester
    Die politische Atmosphäre in Großbritannien bleibt trotz parlamentarischer Sommerpause fiebrig. Vor allem die Angriffe auf den linken Flügel der oppositionellen Labour-Partei und deren Parteichef Jeremy Corbyn gehen täglich weiter. Die Kampagne ist gut koordiniert und läuft über unterschiedliche Kanäle. Es gibt zwei Hauptziele: Labour soll wieder zu einer bürgerlich-liberalen Kraft werden, wie es die Partei unter Anthony Blair war; und Labour muss sich mit Haut und Haaren dem Kampf gegen den Brexit verschreiben, selbst wenn es der Partei den Sieg bei kommenden Parlamentswahlen kosten könnte.
    Ein bisheriger Höhepunkt der Kampagne gegen Corbyn und seine Unterstützer war die Ausgabe des BBC-Magazins »Panorama« vom 10. Juli mit dem Titel: »Ist Labour antisemitisch?« Die Frage wurde enthusiastisch mit »ja« beantwortet. Als Hauptzeuge wurde der stellvertretende Parteichef Thomas Watson herangezogen. Watson gehört zum blairistischen Parteiflügel, unterstützte die Invasion des Irak und Afghanistans durch US-amerikanische und britische Truppen und führte Wahlkämpfe mit Slogans wie: »Wer Liberaldemokraten wählt, stimmt für den ungezügelten Zuzug von Asylanten.«
    Generell haben Corbyns innerparteiliche Kritiker kein Problem, mit dem rechtskonservativen Lager zusammenzuarbeiten. Am 4. August veröffentlichte die Tageszeitung Daily Mail, die mittlerweile das »Remain«-Lager unterstützt, ein Interview mit Alan Johnson, der von 2009 bis 2010 britischer Innenminister war und zum inneren Kreis des neoliberalen Parteiflügels gehört. Für ihn würde Yvette Cooper einen besseren Job als Parteichefin machen als Corbyn. Cooper war Innenministerin unter Blair und für Wahlkampfslogans wie »Nur Labour kann die illegale Migration eindämmen« verantwortlich. Heute gehört sie zu jenen, die wie auch Thomas Watson dem linken Flügel der Labour-Partei die Tolerierung antisemitischer Positionen vorwerfen.
    Anfang August schließlich erschien eine Studie des Community Security Trust (CST), einer Organisation, die sich der Sicherheit der jüdischen Bevölkerung in Großbritannien verschrieben hat. In dem »Triebwerke des Hasses – Die Onlinenetzwerke hinter Labours Antisemitismuskrise« betitelten Dokument wird behauptet, es gebe ein Onlinenetzwerk, das den Antisemitismus in der Partei befeuern würde. Laut dem CST äußert sich dieser folgendermaßen: 36 Twitter-Accounts forderten die Abwahl von Watson, beschäftigten sich »überproportional« mit Israel und versuchten, Angriffe auf Corbyn abzuwehren.
    Scharf zurückgewiesen werden derlei Analysen von der »Jüdischen Stimme für Labour« (JVL), einem Zusammenschluss linker jüdischer Parteimitglieder. In zahlreichen Dokumenten aus den vergangenen Wochen hält die Organisation fest, dass es natürlich Antisemitismus in der Labour-Partei gebe, dieser aber weniger ausgeprägt sei als in der übrigen britischen Gesellschaft. Außerdem sei die Zahl jüdischer Parteimitglieder in den letzten Jahren gestiegen und viele von ihnen seien überzeugte Linke. Zudem gebe es Beweise, dass überproportional viele jüdische Parteimitglieder vom blairistischen Flügel mit dem Antisemitismusvorwurf überzogen würden, die gleichzeitig Corbyn-Unterstützer seien. Hier zeige sich, dass der Antisemitismusvorwurf zur Bekämpfung des linken Parteichefs missbraucht werde.

  6. Ja, überall herrscht die Haupt-Panik, daß Corbyn an die Macht kommen könnte – in der EU, in den USA und bei den britischen Eliten selbst.
    May hat ihm ja mehr oder weniger im Abgang ans Herz gelegt, doch gefälligst ihrem Beispiel zu folgen und zurückzutreten.

  7. Bitte hier nur Sachen posten, die sich auf GB und sein Verhaltnis zur EU beziehen.
    Zukünftig falsch plazierte Postings werden nicht mehr übersiedelt, – das ist zu zeitaufwendig –, sondern gelöscht.

  8. Als Ausgleich zum Brexit verspricht sich Boris Johnson viel von einem Handelsabkommen mit den USA – wahrscheinlich zu viel.
    Der britische Premier Boris Johnson gibt sich entschlossen: Am 31. Oktober wird Großbritannien die EU verlassen, ob mit Austrittsregelung oder ohne. Ökonomen sagen den Briten für den Fall eines No-Deal-Brexit eine lange Rezession voraus, die Regierung in London entwirft bereits Notfallpläne für die ersten Novemberwochen. Als Ausgleich zum Brexit stellt Johnson ein Handelsabkommen mit den USA in Aussicht, das schon dieses Wochenende angekündigt werden könnte. Doch das wird die britische Wirtschaft nicht retten. Denn die Verhandlungen mit Washington dürften sich über Jahre hinziehen und Großbritannien am Ende wenig bringen… (Forts…)
    https://www.fr.de/wirtschaft/brexit-neuer-handelspartner-usa-eine-britische-illusion-12933264.html

  9. Für Spannung ist gesorgt:
    Drohendes Brexit-Chaos: Rücktritte nach Johnsons Zwangsschließung des Parlaments
    London – Der britische Premierminister Boris Johnson hat mit der von ihm verordneten Zwangspause des Parlaments einen Sturm der Empörung auf der Insel ausgelöst – auch in der eigenen Partei. Die Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, gab am Donnerstag ihren Rücktritt bekannt.

  10. Aus Sicht von Boris Johnson handelt es sich um einen Fall von nationalem Notstand und nationaler Selbstbefreiung – Unterschiede zwischen dem normalen Procedere der Institutionen und dem Kriegsfall (‘Notstand’) werden eingeebnet.
    Das Procedere der Demokratie stört da nur noch weitgehend, das Aushandeln und Abwägen gilt für die Gutwetterzeiten der Demokratie, damit die Interessen sich allesamt dem Staatswohl als passend zur Verfügung stellen können. In Zeiten des Notstandes gilt solches Procedere eher als hinderlich (und nicht mehr als förderlich, wie ansonsten).
    https://www.deutschlandfunk.de/ringen-um-den-brexit-politologe-johnsons-taktik-geht-auf.694.de.html?dram:article_id=458957

  11. Die Aussage des Herrn von der Ebert-Stiftung, der Brexit würde uns noch weiter begleiten, erscheint mir wohlbegründet.
    Die Vorstellung hingegen, mit einer zollmäßigen Abkopplung Nordirlands ließe sich die Angelegenheit lösen, ist absurd: Das käme ja einer Aufgabe Nordirlands gleich, und würde die Auflösung des Vereinigten Königreiches einleiten.

  12. Ich habe bei den Brexit-Hardlinern noch nie verstanden, wieso sie einen Kurs fahren, der das Ende von Großbritannien bedeuten könnte: Sturgeon hat gerade wieder angekündigt, daß Schottland ein neues Referendum über die Unabhängigkeit haben will, wenn GB aus der EU ohne Deal austritt (und wie sollte der denn auch aussehen, es geht halt nur ohne Deal oder gar nicht). Wales hängt massiv an EU-Geldern für die Lanwirtschaft und Nordirland hätte entweder bei einem No-Deal-Brexit wieder recht schnell eine “harte” Grenze zur Republik Irland oder es würde von GB abgehängt, wenn Johnson doch eine Zollunion von ganz Irland in der EU akzeptieren würde. Beide Irland-Varianten verheißen nichts Gutes für das Good-Friday-Abkommen und den Frieden in Nordirland. Was verspricht sich denn der Johnson von einem im worst case auf England zusammengeschnurrten Austrittsgebiet? Das soll neue imperiale Größe verheißen?

  13. Derzeit scheint es darum zu gehen, dass allseits Gesprächsbereitschaft geheuchelt wird, damit die Folgen des BREXIT der anderen Seite zugeschoben werden können.
    Da die EU neben der jahrelangen Knebelung der Briten dann auch noch schuld an deren Chaos-Lage ist, bräucht es danach erst recht einen starken Premier Boris Johnson.
    https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/harter-brexit-immer-wahrscheinlicher-eu-parlament-stimmt-verlaengerung-dennoch-zu/
    Schon beim Entscheid für den BREXIT ging es erst einmal darum, diesen zu erreichen, mit welchen Argumenten auch immer.
    Auch bei Trump war es erst einmal wichtig, gewählt zu werden und den Posten zu kriegen. Dafür wurden diverse Verheißungen versprochen, wie beim BREXIT, oder wie jetzt beim aktuellen Kurs von Boris Johnson.
    Die Macht erhalten zu wollen – das ist schon die gesamte Strategie. (Von Boris Johnson wurde doch berichtet, dass er für den Tag nach der BREXIT-Auszählung zwei Reden vorbereitet hatte: eine, in der er den gewonnenen REMAIN begrüßt hätte, und eine, in der er die BREXIT-Zustimmung begrüßt hat. Das würde gut passen.)

  14. Die Brexit-Anhänger denken ähnlich wie die Brexit-Gegner: Was ist gut für GB? Also nicht, was haben Landwirte, alleinerziehende Mütter oder Erasmus-Studenten davon? (Die dienen auch bei den Anhängern nur zu Bebilderung der Wohltat, die die EU für GB hat.)
    Die Brexiteers meinen, die EU ist ein sinkendes Schiff, das man möglichst bald verlassen sollte, koste es, was es wolle.
    Was das dann alles für GB bedeutet, das läßt sich überhaupt nicht abschätzen.
    Die Folgen für die Rest-EU auch nicht.
    Was die Dame aus Schottland betrifft, so gibt es in der britischen Verfassung zwar die Möglichkeit eines solchen Austrittsreferendums – zum Unterschied von der deutschen, österreichischen, spanischen usw. – es muß aber von der Regierung oder dem Parlament genehmigt werden.
    Cameron hat das vorige anscheinend als Probegalopp für das Brexit-Referendum genehmigt, und als es gut ausging, gedacht, jetzt kann er die Brexit-Abstimmung auch wagen.
    Keine andere Regierung wird so ein Referendum genehmigen, und ob die Schotten und Waliser tatsächlich einen bewaffneten Aufstand wagen, bezweifle ich.
    Aber – wer weiß, heutzutage ist alles möglich.

  15. Ein Interview in El País mit dem ehemaligen britischen Finanz- und Wirtschaftsminister Philip Hammond:
    Er macht auf Folgendes aufmerksam: Am Anfang, nach dem Brexit-Referendum, war die EU in Panik, daß dem Austritt GBs andere folgen würden. Deshalb wollten sie GB mehr oder weniger bestrafen.
    Seither hat sich diese Befürchtung erübrigt, im Augenblick denkt kein anderer Staat an Austritt.
    Die EU hat derzeit jede Menge wirtschaftliche Probleme, und merkt, was sie mit deinem Austritt von GB ohne Vertrag zu verlieren hätte.
    Schließlich hat sich auch erwiesen, daß die Abstimmung pro-Brexit kein Betriebsunfall war und daß die Haltung „Raus aus der EU!“ in GB mehrheitsfähig ist.
    Es ist also eine leere Hoffnung, Anti-Brexit-Mini-Parteien zu finanzieren und auf ein 2. Referendum zu hoffen.

  16. Die Drohung mit dem Bruch
    »Brexit«-Verhandlungen während der Coronakrise: EU stellt Maximalforderungen, Britannien will Fakten schaffen
    Von Jörg Kronauer
    Doch, es gibt sie noch: die Verhandlungen darüber, wie die EU und Großbritannien ihre Beziehungen nach dem britischen Austritt aus der Union gestalten wollen. Seit sich die Covid-19-Pandemie auch in Europa auszubreiten begonnen hatte, waren sie nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch im politischen Geschehen in den Hintergrund gerückt. Und sie verschwanden fast gänzlich in den Kulissen, als sich erst EU-Verhandlungsführer Michel Barnier, dann der britische Chefunterhändler David Frost mit Covid-19-Symptomen in Quarantäne zurückzogen. Jetzt aber scheinen sie wieder in Gang zu kommen. Fanden zuletzt vor allem technische Gespräche zwischen den beiden Seiten statt, um die eigentlichen Verhandlungen vorzubereiten, so wollen Barnier und Frost nächste Woche den Zeitplan für das weitere Vorgehen abstecken. Und es kann ja kaum anders sein: Schon dabei zeichnen sich heftige Differenzen ab.
    Denn: Großbritannien hat sich auf ein hohes Verhandlungstempo festgelegt. Demnach soll das Abkommen über die zukünftigen Beziehungen zwischen den britischen Inseln und dem Kontinent bis zum Jahresende stehen. Mehr noch: Sollten sich bis Juni keine nennenswerten Fortschritte in den Gesprächen abzeichnen, dann werde man anfangen, konkrete Vorbereitungen für einen Abschied von der EU ohne Austrittsvertrag zu treffen, hieß es immer wieder aus der Regierung in London. Das würde bedeuten: Die Wirtschaftsbeziehungen, die dieses Jahr übergangsweise noch den alten EU-Standards folgen, würden ab dem 1. Januar 2021 nach WTO-Regeln abgewickelt; in Fragen der Außenpolitik würde lediglich fallweise kooperiert. Wenn man so will: Es wäre ein nachträglicher »harter Brexit«.
    Der Hintergrund für den Wunsch nach strikter zeitlicher Begrenzung: Premierminister Boris Johnson hat aus der Art und Weise, wie Brüssel seine Amtsvorgängerin Theresa May immer wieder ausmanövrierte, den Schluss gezogen, der EU könne man selbst die geringsten Zugeständnisse nur abtrotzen, indem man ihr glaubhaft mit dem Bruch droht, den sie unbedingt vermeiden will, um das Vereinigte Königreich auch in Zukunft als profitablen Absatzmarkt sowie als Kooperationspartner für ihre Weltpolitik nutzen zu können. So ist es Johnson gelungen, den »Brexit« durchzusetzen, der schließlich am 31. Januar 2020 erfolgte, und so versucht er es nun erneut. Die EU wiederum setzt, um ihm das taktische Instrument der Drohung mit dem Bruch aus der Hand zu schlagen, darauf, die Verhandlungen möglichst weit in die Zukunft zu verlängern. Aktuell kommt ihr zugute, dass die Coronakrise bereits jetzt viel Zeit gekostet hat und auch weiterhin eigentlich alle Kräfte verschlingt – damit dürfte es immer schwieriger werden, die Gespräche bis Jahresende abzuschließen. Zudem finden sich, wenn man nur sucht, immer wieder Möglichkeiten, Zeit zu schinden. Beispielsweise in der Frage, ob man die Verhandlungen per Videokonferenz führen kann: London will das; die EU hingegen, die sogar ihre Gipfel online abhält, äußerte zuletzt Bedenken und würde die Debatten lieber bei persönlichen Treffen führen – das wird erst in einiger Zeit möglich sein.
    Inhaltlich hat EU-Verhandlungsführer Barnier am 13. März einen Entwurf für das Abkommen vorgelegt. Das Papier besteht mehr oder weniger aus den gesammelten Maximalforderungen der Union. So gesteht Barnier Großbritannien zwar den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt zu und trägt damit nicht zuletzt den Interessen von Konzernen wie BMW und Airbus Rechnung, die einen möglichst zollfreien Austausch zwischen ihren Werken im Vereinigten Königreich und in der EU wünschen. Dafür verlangt er aber, dass London praktisch alle Standards der Union einhält: bei den staatlichen Subventionen etwa, bei den Steuern, bei den Sozial- und Umweltstandards. Das soll nicht nur für die aktuellen EU-Standards gelten, sondern auch für die künftigen. Ließe sich London darauf ein, müsste es seine Gesetzgebung auf Dauer weitgehend an Brüsseler Vorgaben ausrichten. Dies nicht mehr tun zu müssen, das war ein zentrales Motiv einer relevanten Fraktion der britischen Bourgeoisie, den Brexit anzustreben. Hinzu kommt, dass eine Übernahme von EU-Standards den Abschluss eines britisch-US-amerikanischen Freihandelsabkommens nach Lage der Dinge faktisch unmöglich machen würde. Ein solches Abkommen strebt die Tory-Regierung in London aber an.
    Viele weitere Forderungen des EU-Verhandlungsführers folgen ebenfalls der Maxime: »Wir wollen alles.« So verlangt er einen vertraglich garantierten Zugang für Fischer aus der EU zu britischen Gewässern. Schwanken sollen lediglich die Fangquoten, und dies unter Berücksichtigung angeblich wissenschaftlicher Erkenntnisse und ohne politische Kontrolle. London besteht auf Vorrechten für britische Fischer, die stets hinter der EU zurückstehen mussten, und will den Zugang für EU-Kutter jedes Jahr politisch aushandeln. Barnier erklärt, das Vereinigte Königreich müsse die Europäische Menschenrechtskonvention auf Dauer anerkennen, der freilich die EU bis heute nicht beigetreten ist. Die britische Regierung hingegen besteht darauf, die Menschenrechte auf nationaler Ebene zu garantieren. Zudem soll London die Brüsseler Datenschutzstandards weitgehend übernehmen. Dies freilich lehnt Großbritannien ab.
    Klar ist: Auf dieser Grundlage werden die Verhandlungen zu heftigen Debatten führen. London hat mittlerweile eigene Gegenvorstöße gestartet. So hat es angekündigt, in Zukunft den EU-Schutz der Ursprungsbezeichnungen von Lebensmitteln nicht mehr garantieren zu wollen. Damit wäre zum Beispiel die Bezeichnung »Parmesan« nicht mehr für Käse aus bestimmten Gebieten in Norditalien reserviert; »Parmesan« könnte dann auch aus den USA nach Großbritannien geliefert werden. Der Vorschlag hat in der EU, die mit ihren Ursprungsbezeichnungen unter dem Vorwand, europäische Esskultur bewahren zu wollen, verdeckte Marktabschottung betreibt, empörte Reaktionen hervorgerufen. Stoff für Streit ist genug da.
    Hintergrund Pandemie bringt EU in Zugzwang
    Welche Folgen wird die Coronakrise für die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die künftigen Beziehungen haben? Glaubt man Äußerungen aus Brüssel, dann wird London, durch die Krise geschwächt, nicht umhinkommen, zentrale Forderungen der Union zu erfüllen – denn es wird sich etwa Zölle im Handel mit der Union nicht leisten können, die unweigerlich in Kraft träten, wenn sich beide Seiten nicht auf ein Abkommen einigen könnten. Nach dieser Logik müsste sich Brüssel nur stur stellen und abwarten, bis die britische Regierung unter dem Druck ihrer Wirtschaft früher oder später einknickt. Diese Sicht auf die Dinge wird in Deutschland, aber auch unter EU-Anhängern in Großbritannien gern verbreitet.
    Anders schätzen »Brexit«-Befürworter die Lage ein. Die Coronakrise werde nicht nur das Vereinigte Königreich, sondern auch die EU hart treffen, heißt es da; die Mitgliedstaaten der Union, allen voran übrigens Deutschland mit seiner mächtigen Exportindustrie, würden in der Krise alles daran setzen wollen, ihren britischen Absatzmarkt nicht zu verlieren. Schließlich habe zum Beispiel die deutsche Industrie im Warenhandel mit Großbritannien im vergangenen Jahr einen Überschuss von satten 40 Milliarden Euro erzielt. London könne also eine Deadline setzen – Ende 2020 – und dann in aller Ruhe verhandeln; Brüssel werde sich bald bewegen und Zugeständnisse machen müssen.
    Jenseits der beiderseitigen Zockerlogik bringt die Coronakrise einen gravierenden Nachteil für die EU mit sich: Die Union ist von inneren Konflikten zerrissen. Soll sich Großbritannien wirklich eng an ein Staatenkartell binden, das die Krise womöglich nicht übersteht? Zumal sich, so hat es der frühere konservative Umweltminister Owen Paterson formuliert, die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise ohnehin ziemlich in die Länge ziehen dürfte; dabei seien diejenigen Staaten im Vorteil, die ihre Angelegenheiten so regeln könnten, dass sie »zu ihren eigenen Umständen passen«. Nicht mehr an die EU gebunden zu sein, das erweist sich dann als strategisches Plus. (jk)

  17. Es ist daran zu erinnern, was der Vorteil des UK mit der Zollunion war und ist: Es war der Vermittler zwischen der EU und dem Commonwealth, eröffnete also der EU Absatzmärkte über das eigene Territorium hinaus.
    Darauf zu verzichten wäre für beide Seiten unvorteilhaft.

  18. Intrige aufgedeckt
    Großbritannien: Bericht macht Kampagne des Parteiapparats gegen ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn öffentlich
    Von Christian Bunke, Manchester
    Eigentlich würde man in Parteizentralen Jubelgeschrei und Feierlaune erwarten, wenn das eigene Lager einen völlig überraschenden Wahlerfolg errungen hat. Bei den Angestellten der Labour-Parteizentrale im Jahr 2017 war die Stimmung jedoch ganz anders, nachdem Parteichef Jeremy Corbyn dramatische Stimmengewinne bei der Unterhauswahl verzeichnen konnte. Nach neuen, von der Zeitung Independent am Montag veröffentlichten Statistiken, fehlten ihm nur 2.500 Stimmen für eine parlamentarische Mehrheit. Die Reaktionen in der Parteizentrale? »Ich muss kotzen«, »Das wird eine lange Nacht für uns«, »Glaubt bloß nicht, dass ich das jetzt feiere«.
    Diese Aussagen sind Auszüge aus einem Chatverlauf in einer Whatsapp-Gruppe, die von Mitarbeitern der Labour-Parteizentrale einzig zu dem Zweck eingerichtet worden sein soll, den Wahlkampf 2017 zu sabotieren und einen Bummelstreik gegen die linke Parteiführung zu organisieren. Das geht aus einem mehr als 800 Seiten starken Bericht hervor, welcher eigentlich Mängel bei der Aufarbeitung von Antisemitismusvorwürfen gegen Mitglieder der Labour-Partei zum Thema hat. In Auftrag gegeben hatte den Bericht die noch amtierende Labour-Generalsekretärin und Corbyn-Vertraute Jennifer Formby. Unbekannte stellten ihn ins Internet, seitdem schlagen im Umfeld der britischen Sozialdemokraten die Wogen hoch.
    Die zentrale Beschuldigung im Bericht: Bis zum Jahr 2018 sollen Vorwürfe bezüglich tatsächlicher oder angeblicher antisemitischer Vorfälle in der Partei durch den damaligen Generalsekretär Iain McNicol und seine Mitarbeiter verschleppt worden sein. Das E-Mail-Postfach zur Sammlung solcher Anschuldigungen soll monatelang nicht angeschaut worden sein. Als Formby das Amt von McNicol übernahm, will sie Fälle vorgefunden haben, welche über Jahre hinweg nicht bearbeitet worden waren. Formby bemühte sich sodann um eine systematische Restrukturierung des Beschwerdeverfahrens, wurde dabei aber vom Apparat in der Parteizentrale massiv behindert.
    Dies, so wird im Bericht weiter ausgeführt, sei Bestandteil einer Sabotagekampagne gegen den linken Parteichef Corbyn sowie die »Trots«, Kurzform für »Trotzkisten«, in der Partei gewesen. Die Bezeichnung »Trots« ist ein in Großbritannien unter konservativen Gewerkschaftsfunktionären sowie bürgerlichen sozialdemokratischen Politikern gebräuchliches Schimpfwort für alle, die eine weiter links stehende politische Auffassung haben als die eigene. Mit dem Begriff werden somit Sozialisten und Kommunisten jeder Couleur denunziert und zum Abschuss freigegeben.
    Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen. Der Bericht zitiert aus Zehntausenden Chatverläufen und E-Mail-Protokollen, in denen angeregt wird, Corbyn zu »erschießen«, zu »verbrennen« oder zu »ermorden«. Es werden Gewaltphantasien über kommende »Säuberungen« gegen Parteilinke geäußert, Chatverläufe zeigen auf, dass bürgerliche Journalisten auf eine wegen rassistischer Hetze in den Medien emotional mitgenommene Politikerin angesetzt wurden, und belegen die Existenz einer im geheimen agierenden Gruppe im Parteiapparat, die systematisch die Social-Media-Accounts missliebiger Parteimitglieder durchforstete, um diesen Fehlverhalten für einen möglichen Parteiausschluss anlasten zu können. Wenn auch nur ein Teil der erhobenen Vorwürfe stimmt – es wird deutlich, dass der Parteiapparat offen gegen einen Erfolg des Corbyn-Projekts gearbeitet hat.
    Neben McNicol tauchen prominent die Namen Emilie Oldknow und John Stolliday in dem Bericht auf. Beide arbeiten inzwischen nicht mehr für Labour und sind nun ranghohe Funktionäre der Großgewerkschaft Unison. Sie zählt zu den eher konservativ orientierten britischen Gewerkschaften und hievte den nun amtierenden Labour-Parteichef Keir Starmer mit auf seinen Posten, ohne jedoch vorher die Mitgliedschaft darüber zu konsultieren. Auch innerhalb der Gewerkschaft kommt es immer wieder zu Verfolgungswellen gegen linke Aktivisten. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass 25 Unison-Vorstandsmitglieder und Hunderte Aktivisten einen offenen Brief an den Gewerkschaftsvorstand geschrieben haben, in dem die Gewerkschaft zu einer eigenen Untersuchung des Falls aufgefordert wird.

  19. Das Dilemma der Sozialdemokratie: Gegen das Kapital mag sie nicht antreten, für die Betreuung der Arbeiterklasse ist sie inzwischen recht überflüssig.

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