GELDFETISCH
Angesichts der Verhandlungen zwischen der Eurogruppe und Griechenland um die Fortführung der Kreditstützungsprogramme lassen sich die Kommentare, vom angesehensten Ökonomen bis hin zum kleinsten Wirtshaustisch-Eiferer, in zwei Kategorien einteilen:
1. Die Griechen sind faul (korrupt, hinterfotzig, untüchtig usw.)
2. Die Deutschen sind böse (haben Herrschaftsanspruch, betreiben Waterboarding, sind unmenschlich, undemokratisch usw.)
Fast alles, was in den letzten Wochen und Monaten dazu geschrieben worden ist, läßt sich auf diese beiden Grundauffassungen zurückführen. Selbst wenn der einfache Rassismus oder die primitive Schuldzuweisung weggelassen wird, so bleibt die Kernaussage doch die: wo sind die Gründe dafür, daß etwas schiefgelaufen ist – in Griechenland oder bei der EU-Führung?
Wer dabei fein heraußen ist, ist die Hauptperson, oder graue Eminenz der ganzen Angelegenheit, nämlich der Euro selbst.
1. Geld, Weltgeld
Dem Geld werden von der VWL alle möglichen hohen und schönen Funktionen zugeschrieben: Es enthebt die Menschen der Mühsal, ständig Säcke mit Kartoffeln herumzutragen, um sie gegen Kochtöpfe oder Schuhwerk einzutauschen. Das ist insofern verlogen, als die meisten Menschen nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft.
Das Geld dient also in erster Linie dazu, die Menschen zum Verkauf ebendieser zu nötigen, oder sich sonst irgendwie jobmäßig zu betätigen, ihre Arbeitskraft also in irgendeiner Form zu Geld zu machen, sei es als Lohnarbeiter, Staatsangestellter oder als „neuer Selbständiger“, vulgo Ich-AG.
Das Geld diene dazu, daß die Waren zu den Kunden kommen, heißt es. Auch das ist eine dicke Lüge. Das Gegenteil ist der Fall. Ka Geld, ka Musi! Wer das nötige Kleingeld nicht aufbringen kann, kommt an gar keine Ware heran, nicht einmal ein Dach über dem Kopf kann sich so jemand leisten. Die nicht zahlungsfähigen Bedürfnisse kommen in der VWL gar nicht vor, fallen nicht unter „Nachfrage“ und sind kein Faktor in den Kalkulationen der Unternehmen.
Das Geld dient also weiters dazu, die Menschen vom konkreten Reichtum dieser Gesellschaft zu trennen.
Diese beiden Eigenschaften des Geldes machen es zu einem Instrument der Klassenherrschaft.
Neben der Aufrechterhaltung der Eigentumsordnung verpflichtet die Staatsgewalt alle ihre Bürger auf ein einziges gültiges Zahlungsmittel und verschafft sich durch die Ausgabe dieses Geldes ein zusätzliches Zwangsmittel, mit der es die Nützlich-Machung der Besitzlosen für die besitzende Klasse sicherstellt.
Das Geld ist also ein Mittel der staatlichen Kontrolle über die damit verwaltete Gesellschaft. Es ist wichtig, sich diese Eigenschaft vor Augen zu halten angesichts der Tatsache, daß ein Haufen Staaten vor inzwischen mehr als 15 Jahren dieses Element seiner Souveränität mit Freude und Jubel einer übergeordneten Instanz überantwortet hat.
Das Geld ist weiters das Maß der Werte, dasjenige Medium, in dem der abstrakte Reichtum der Gesellschaft gemessen wird. Die Gewinne der Unternehmer, aber auch die Steuereinnahmen und die Ausgaben des Staates, die Handelsbilanz und das heilige Wirtschaftswachstum werden in Geld gemessen, und zwar in Weltgeld. Um zu wissen, ob ein Geschäft wirklich lohnend war, verlassen sich die Unternehmer der ganzen Welt nicht auf windige brasilianische Reals oder türkische Lira. Sie messen es in Dollar oder in Euro.
Für die Unternehmen ist es also ein unverzichtbarer Dienst, ihnen staatlicherseits ein Geld zur Verfügung zu stellen, mit dem sie auf der ganzen Welt ihren Geschäften nachgehen und ihre Gewinne bilanzieren können.
Hat der eigene Staat kein solches Geld, so muß er es sich auf dem Geld- und Kreditmarkt besorgen, durch Verschuldung, oft über Standby-Kredite des IWF. Die Verschuldung ist also für die meisten Staaten dieser Welt unumgänglich, wenn ein solcher Staat als Standort für Unternehmen taugen und eine Kapitalakkumulation auf seinem Territorium ermöglichen will. Damit ist natürlich nicht garantiert, daß sie auch gelingt, weil die Konkurrenz schläft nicht, alle machen es genauso und im allgemeinen heftet sich hier der Erfolg an die Fersen vorangegangener Erfolge.
Ein stabiles und überall einsetzbares Geld ist also eine Grundforderung der unternehmerischen Kalkulation und eine notwendige Vorleistung eines Staates für sein nationales Kapital.
2. Der Euro
Mit dem Euro glaubten seine Schöpfer den großen Wurf gemacht zu haben: Hier gibt es ein Geld, das auf einen Schlag alles erfüllt, was Staat und Kapital von so einem Geld erwarten: stabil, weil mit geringer Inflation ausgestattet; international als Zahlungsmittel anerkannt; innerhalb der EU ohne Wechselkurse und die sich daraus ergebenden Probleme; gegen Spekulanten wie Soros gesichert; Kredit floß in Strömen – und der sorgsam vorbereitete fulminante Start ließ schönste Hoffnungen aufkeimen, daß dieses gemeinsam geschöpfte Wundergeld den Dollar als Leitwährung einmal ablösen könnte.
Man kann sagen, daß auch diese Euro-Macher seinerzeit einem Geldfetisch aufgesessen sind: sie dachten, mit dem „richtigen“ Geld würde sich der ökonomische Erfolg automatisch einstellen. Daß das Geld irgendetwas damit zu tun hat, was die damit beglückten Untertanen oder gar die Politiker selber treiben, wurde von allen Schöpfern des Euro zwar irgendwie begriffen, aber eben nur als Einbahnstraße: wenn das richtige Geld da ist, so garantiert es den Geschäftserfolg der Unternehmer, denen es zur Verfügung gestellt wird. Es kann also nichts mehr schiefgehen, so die Überzeugung.
3. Kritik
Diejenigen wenigen Kritiker, die die Einführung des Euro seinerzeit bemängelten, kamen aus Deutschland und hatten einen Gesichtspunkt im Auge: daß die nationale Bilanzierung des kapitalistischen Geschäftserfolges und das gemeinsame Geld einen Widerspruch darstellten. Sie fürchteten, die schwächeren Ökonomien würden den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands schmälern und es letztlich um die Früchte seiner wertschöpfenden Arbeit bringen.
Diese Kritik war moralisch-nationalistisch und bewegte sich auf der gleichen Ebene wie die Euro-Erzeuger: das gemeinsame gute Geld könnte durch Schmarotzer mißbraucht werden. Das „gute Geld“ wurde hier als eine Art Belohnung der Tüchtigen aufgefaßt, die durch südlichen Schlendrian und östliche Korruption gefährdet wäre.
Heute, wo das Projekt Euro im Sinne einer Konkurrenz zum Dollar gescheitert ist, und er nur mehr mit außergewöhnlichen Anstrengungen am Leben gehalten wird, sehen sich diese Leute in ihrer Kritik bestätigt. Manchen erscheint eine Rückkehr zur DM wünschenswert, andere wiederum haben begriffen, daß das für die vom Euro ermöglichten Erfolge Deutschlands unangenehme Auswirkungen haben könnte.
Diese Kritik, die sich vor allem um die Nation und ihren Erfolg sorgt, gilt zu Recht als rechts. Daher positionieren sich alle Leute, die sich als links verstehen, genau umgekehrt und verteidigen den Euro. Die bösen Deutschen wollen den Griechen den Euro „wegnehmen“, und sie wieder mit ihrer windigen Drachme vor sich hin wurschteln lassen. Der Euro wird also als eine Art Wohltat aufgefaßt, und Armut und Elend, die er verursacht, als Ergebnis einer verfehlten Sparpolitik. Der Euro wird damit sozusagen in 2 Teile geteilt: Ein gutes Geld, das Prosperität schaffen könnte, wenn es nicht eine Politiker-Kaste von Betonköpfen gäbe, die alle segensreichen Wirkungen dieses guten Geldes zunichte macht. Euro – gut, Politik – schlecht! – so tönt es aus diversen linken Blogs und Webseiten.
Was soll man schließlich von der in diesem Chor fehlenden Kommunistischen Partei Griechenlands halten, die sich als Vertreterin der griechischen Arbeiterklasse versteht und ausgerechnet mit einem eigenen nationalen Geld den arbeitenden Massen dienen will?
Wir sind also in der öffentlichen Meinung mit dem konfrontiert, was Marx im „Kapital“ zu Recht als „Fetisch“ bezeichnet.
Erst macht man etwas, – das Geld ist ja eindeutig eine Schöpfung der menschlichen Gesellschaft, heute: ihrer politischen Eliten –,
dann sagt man, es kommt vom lieben Gott persönlich – den Herrgott ersetzt heute die „ohne-nicht“-Bestimmung: ohne Geld geht es nicht, da bricht alles zusammen;
und dann fällt man auf die Knie und betet es an.
“Was soll man schließlich von der in diesem Chor fehlenden Kommunistischen Partei Griechenlands halten, die sich als Vertreterin der griechischen Arbeiterklasse versteht und ausgerechnet mit einem eigenen nationalen Geld den arbeitenden Massen dienen will?”
Du hältst es ja anscheinend nichtmal für nötig, dich über die KKE-Linie zu informieren. Du unterstellst das einfach, weil die ja einfach linke Nationalisten sein müssen.
http://inter.kke.gr/en/articles/AUFRUF-DES-ZK-DER-KOMMUNISTISCHEN-PARTEI-GRIECHENLANDS-1-MAI-2015-DER-KAMPFTAG-DER-ARBEITERKLASSE/
Ich nehme zur Kenntnis, daß die KKE ihre Ansicht geändert hat. Die längste Zeit, z.B. im Wahlkampf von 2012, hat sie das „Zurück zur Drachme“ vertreten. Anscheinend hat der Umstand, daß die EU-Führung selber Griechenland aus der Eurozone hinauswerfen wollte, einen Kurswechsel hervorgerufen.
Man kann also sagen, was sie jetzt gegen Lazafanis und seine Leute vorbringen, ist die Korrektur ihrer eigenen Linie von vor einem Jahr.
Mir geht übrigens aus den von dir geposteten Artikeln nicht hervor, wie die KKE zur Währungs- oder Geldfrage steht, und ob es diesbezüglich überhaupt eine Linie gibt. Sie werfen ja nur dem linken Syriza-Flügel bzw. der Abspaltungspartei vor, aus den falschen Gründen auf die Drachme zu setzen, weil sie sich nämlich weiter am Weltmarkt beteiligen wollen.
Nein, die Partei hat seit Beginn der Krise 2008 konsequent gegen allen Druck diesselbe Linie durchgehalten. Schon damals hat sie es abgelehnt, sich in Debatten der Regierungsbeteiligung und der Frage, ob Griechenland besser mit dem Euro oder der Drachme fährt, verwickeln zu lassen.
Ich weiss nicht, was dir unklar ist, aber aus den Zitaten und den verlinkten Artikeln geht eindeutig hervor, dass sie einer Rückkehr zu einer nationalen Währung nichts abgewinnen kann, weil die allein gar nichts daran ändern würde, dass für die Sanierung des Standorts und der internationalen Kreditwürdigkeit Griechenlands ihre Klientel weiter bluten wird. Die KKE sagt wortwörtlich, dass man sich nicht vor die zynische Wahl stellen soll, in welcher Währung die eigene Verelendung berechnet wird.
Der Standpunkt der KKE ist, dass es um die Systemfrage Kapitalismus oder Sozialismus zu gehen hätte, und nicht um die Währung: sie hält Euro oder Drachme für eine irreführende, falsche Alternative. Weil die KKE für ein sozialistisches Griechenland votiert, ist ohnehin klar, dass ein solches aus dem Euro geschmissen würde und die EU verließe.
Von linken Freunden des Grexit wird der KKE dagegen vorgehalten, dass sie den Euro verteidige, als der Generalsekretär der KKE im Fernsehen verlauten ließ, dass ein kapitalistischer Grexit keine Besserung für die Leute bedeutet.
So wird der Partei von verschiedenen Seiten jeder nur erdenkbare Unsinn vorgeworfen, der nie und nimmer gleichzeitig wahr sein kann.
Du hast es bei der KKE nicht mit einem eurokommunistisch degenierten Sozenhaufen, sondern mit einer recht einzigartigen KP zu tun, die anfang der 90er ihr halbes ZK weggesäubert und sich seitdem ideologisch vollkommen neu positioniert hat.
Hier ein Artikel von Thanasis Spanidis, einem Vertreter der KKE-Auslandsorganisation in Deutschland.
Du kannst der Syriza-Kritik eigentlich immer sehr gut entnehmen, was die Partei will.
http://lowerclassmag.com/2015/07/jenseits-der-eurolinken-ein-gastbeitrag/
@Xoxor
ich bin dir sehr dankbar, daß du die Position der KKE so gründlich darstellst.
Ich muß aber feststellen, daß sich die KKE – wie schon seit Jahren – ständig an der Kritik von Syriza aufreibt – die ich ja teilweise durchaus teile – aber eine eigene Politik jenseits des demokratischen Prozedere auch nicht auf die Reihe kriegt.
Sie bemüht sich meines Wissens nicht um den Vesuch der Einigung mit den Anarchisten, um eine revolutionäre Perspektive und eine Kritik des staatlichen Gewaltmonopols, das die Einbindung in den Weltmarkt auf ihrer Agenda hat.
Wenn die KKE da eine gründliche Kritik hinkriegen würde, überhaupt gegen die Herrschaft des Geldes als Mittel der Kontrolle der Gesellschaft etwas Vernünftiges produzieren würde, so könnte sie zu einer Speerspitze der gesellschaftlichen Umgestaltung werden. Sie hätte dann international Sympathisanten, das ist sicher.
Worauf ich hinaus will, ist, daß man Warenproduktion, Tausch und Geldwirtschaft als die Grundübel unserer Gesellschaft(en) begreifen muß, und nicht nur die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit – das ist nämlich ein Nachschößling der staatlich garantierten und durchgesetzten Eigentumsordnung, aus der ergeben sich alle weiteren Widersprüche unserer Gesellschaft, Armut und Elend weltweit. Und das Geld ist das hauptsächliche Schmiermittel dieser Ordnung und der Klassengesellschaft überhaupt.
Die Beschäftigung mit Syriza und die andauernde Polemik ist keine irrationale Obession der KKE – wie das manchmal so dargestellt wird, sondern hat seinen Grund darin, dass sie um dieselbe Klientel mit Syriza nun mal konkurrieren muss – und Syriza (oder jetzt die Abspaltung) hat da logischerweise als die großartige linke Alternative zu den etablierten Systemparteien einen besonderen Stellenwert. Eine Kampagne gegen Pasok kann sich die KKE schließlich sparen. Die KKE hatte guten Grund, vor Syriza zu warnen. Sie wurde dafür als dogmatisch gescholten, als unzeitgemäßes politisches Fossil. Heute lacht keiner mehr so schnell über ihre Analysen, in denen jeder konkrete Schritt der Syriza an der Regierung aus der Logik ihres nationalen Rettungsprogrammes vorweggenommen wurde.
Weiterhin stand die hart gebliebene Parteiführung mit ihrer Weigerung, mit Syriza in eine Koalition zu gehen, unter großem öffentlichem Druck und auch in den Reihen der Sympathisanten gab es Kritik. Auch da nochmal ein Grund, Klarheit und Geschlossenheit in der eigenen Anhängerschaft zu schaffen.
Was meinst du mit politischer Praxis jenseits des demokratischen Prozedere?
Eine parlamentarische Strategie zum Sozialismus verfolgt die KKE nicht. Sie hat ungefähr das gleiche Verhältnis zu Wahlen wie die Komintern Parteien in den 20ern.
“Sie bemüht sich meines Wissens nicht um den Vesuch der Einigung mit den Anarchisten, um eine revolutionäre Perspektive und eine Kritik des staatlichen Gewaltmonopols, das die Einbindung in den Weltmarkt auf ihrer Agenda hat.”
Zur zweiten Hälfte des Satzes: Klar kritisert die KKE den bürgerlichen Staat – dabei macht sie nicht alles richtig, z.B. macht sie den theoretischen Fehler, die Bourgeoisie als Auftraggeber der Staatsgewalt zu verstehen, das aber hat keine weitere Bedeutung, weil sie das Argument vom ideellen Gesamtkapitalisten durchaus kennt. Und gegen den Weltmarkt sind sie sowieso immer als Gegener der europäischen Integration gewesen. Sie sagen aber, dass ein sozialistisches Griechenland sich nicht komplett vom Weltmarkt abtrennen könnte (sehr vernünftig, sich nicht von der unsinnigen Vorstellung einer Weltrevolution abhängig zu machen), also auf Außenhandel angewiesen sein wird – was gar aber keine Sache ihrer freiwilligen Entscheidung ist, sondern des puren ökonomischen Zwanges.
Die erste Hälfte des Satzes amüsiert mich: sich mit Anarchisten gemeinsam um eine revolutionäre Perspektive bemühen?
Die Anarchos hassen die KKE ungefähr so sehr wie die KKE die Verräter & Abtrünnigen aus den eigenen Reihen hasst, die in Syriza Karriere gemacht haben. Die KKE dagegen hält die Anarchos für geistig verwirrtes Lumpengesindel, das man sich am besten vom Leibe hält – wenn nötig auch mit Schlägen des Parteiselbstschutzes. Und ich denke, sie hat sehr recht damit.
– Die Anarchisten sind politisch irrelevant, ein Haufen von radikalen Studis und Gesellschaftsaussteigern, deren Vorstellung von Revo ungefähr die Verallgemeinerung eines autunomen Zentrums auf die Gesellschaft ist, also nichts als Elendsselbstverwaltung. Wer weiss wie autoritär es in so autonomen Zentren und anarchistischen Zirkeln zugeht, kann über den Antiautoritarismus nur lachen.
– Gerade, weil du betonst, wie wichtig Kritik von Ware und Geld: Sie sind theoretische Nullen. In Griechenland hast du es mit klassischen Anarchisten der dümmsten Sorte zu tun, die Proudhon gegen Marx hochhalten und bestimmt nichts über Ware und Geld wissen wollen. Wozu auch, das Spannungsfeld zwischen Staat und Individuum, wobei der Zweck des ersteren die Unterdrückung des letzteren ist, ist ja viel interessanter.
– Daraus folgt auch, dass KKE und Anarchos nicht im mindesten eine ähnliche Vorstellung von einer zu realisierenden Alternative haben. Die Anarchisten wollen wegen Staat, Boss versus rebellisches Individuum keine vernünftige Planwirtschaft, sondern eine hierarchiefreie Selbstverwaltung der Produktion, also wieder Elendsverwaltung. Sie unterstützen mit ihren europaweiten Solinetzwerken und Kleinkrämervertriebsstrukturen die Übernahme bankrotter, brach liegender Betriebe durch Belegschaften, die versuchen, mit irgendwelchen Produkten eine Geschäftsnische zu finden. Also keine Kritik der Ausbeutung, sondern ihre Selbstorganisation als Mittel aus der Krise. Die Partei dagegen hält von aus der Not geborenen, als Basisrevolution von unten gehypten Selbstausbeutungsinitiativen von Kooperativen und übernommenen Betrieben wenig, bei denen dadurch Zitat KKE die Belegschaften “Arbeiter und fungierende Kapitalisten in einem wurden“, weil sie am Kapital nicht als erstes seine hierarchische Betriebsorganisation stört – sodass ihr zufolge ganz viel Basisdemokratie und Selbstorganisation der Profitproduktion ohne Boss wagen an dem Grund der Misere vorbeigeht. Deswegen verweigerte sie und ihre Gewerkschaft Pame die Unterstützung der Selbstverwaltungsprojekte und bekämpfte die Illusion, die juristisch legale Übernahme bankrotter, nicht mal als Gegenstand irgendeines Geschäftsinteresse gehandelter Betriebe durch die Arbeiter hätte irgendwas mit einer Aufhebung des Kapitalismus “von unten” zu tun und wäre mehr als eine mit Verschuldungs- und Insolvenzrisiken verbundene blosse Alternative zur Erwerbslosigkeit. Die KKE will zentrale Planwirtschaft ohne Tausch, die Anarchisten Selbstverwaltungsproduzenten, die auf erbärmlichem Niveau Warenproduktion betreiben.
Die Kritik hier an den Autonomen dürfte zu großen Teilen auch auf die griechischen Anarchisten passen
http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/88/88_2/autonom.htm
Wenn du die Sozialismuspositionen der KKE mal genauer durchlesen willst, hier ein Dokument aus 2009
http://data6.blog.de/media/310/6645310_711cbc7ee6_d.pdf
Ein Zusatz noch. Ich halte Kapitalkritik für vollkommen ausreichend, was eine taugliche Agitation der Massen angeht. Wer außer den geschulten Marxisten, abgesehen von ein paar Akademikern, kann denn was mit Wertformanalyse anfangen? Wenn ich vor den Lohnarbeitern aufzeige, dass der Ausschluss von den Produktionsmitteln, die Privateigentum sind, Grund ihrer Misere ist, ich klar mache, was denn ein kapitalistisches Wachstum ist, brauche ich keine Erläuterungen, wie sich das Kapital aus der Ware ableitet. Aus einer richtigen Kritik am Kapital folgt ja nie und nimmer ein Zurück zur einfachen nichtkapitalistischen Warenproduktion, damit das Kapital auf ein neues entstehe: wo die Kritik gerade sich am Ausschluss von den produktiven Mitteln stört und der Ausschluss einen als Klasse kollektiv trifft, kann man niemals dahin kommen, auf eigene Rechnung Waren produzieren zu wollen.
Ich denke, dass da ein Missverständnis vorliegt und Nestor mit seiner Bemerkung
“Wenn die KKE da eine gründliche Kritik hinkriegen würde, überhaupt gegen die Herrschaft des Geldes als Mittel der Kontrolle der Gesellschaft etwas Vernünftiges produzieren würde, so könnte sie zu einer Speerspitze der gesellschaftlichen Umgestaltung werden.”
weniger an die Etablierung möglichst vieler Kapital-Lesekreise (als erstem Schritt) gedacht hat (Xoxors “Wertformanalyse”), sondern schon auch an eine korrekte Kapitalismus-Kritik – und das so verbreitet wie möglich.
Mir fiele da z.B. eher die Agitationsschrift “Arbeit und Reichtum” (in griechischer Übersetzung!) (vgl. auch die Protokolle der Münchner JF dazu: 2013 / 2014)ein.
PS: Nein, ich könnte bei der Übersetzung nicht mithelfen.
@Xoxor
Das war ja auch nie klar definiert. Letztlich haben sie ihre Anhänger zu Stimmvieh erzogen und gegen die Machtübernahme der Nationalsozialisten gabs dann keine Strategie oder Gegenwehr.
Also, die KKE verfolgt keine Strategie zum Sozialismus, aber bleiben lassen will sie den Parlamentarismus nicht, und was sie sonst für eine Strategie hat, hmm, vielleicht weißt du da mehr.
Das schlechte Verhältnis zu den anderen Gruppen (Syriza, Anarchos) ist sicher beidseitig, aber eigentlich gehört die Menschheit über Staat, Kapital, Geld aufgeklärt – jenseits einer „Klientel“ – und nicht nur gegen falsche politische Konzepte gewettert.
Das meine ich mit „politischer Praxis jenseits des demokratischen Prozedere“.
Welche Kritik und ausreichend wofür?
Wie soll denn Kapitalkritik ohne Warenanalyse gehen? Wie kommt der Mensch an Milch und Brot? Doch nur, indem er Geld hinlegt. Es wird also nur das produziert, wonach es eine zahlungsfähige Nachfrage gibt. Wenn Tausch und Geldwirtschaft nicht ins Visier genommen werden, so ist jede Kritik der Ausbeutung matt, und verkommt zu einem Ideal der Vergesellschaftung der Lohnarbeit.
Natürlich, wenn man genau die vorhat, so ist diese Kritik ausreichend.