IMPERIALISMUS ZU ZEITEN VON CORONA
Wie reagieren die alten Mächte auf ihren weiter fortschreitenden Abstieg?
Mit Säbelrasseln, jawohl!
Mit Handelskriegen, mit Drohungen, mit Bojkotten.
Aufgrund der ständigen Vorstöße und Provokationen der imperialistischen Großmächte ist wieder eine frische Pinnwand notwendig.
@Neoprene
Österreich ist als Trittbrettfahrer der eingerichteten Weltordnung immer sehr gut gefahren mit seiner Neutralität. Es hat wenig Militärkosten und kann sich aussuchen, an welchen weltpolitischen Hotspots es sich im Rahmen von UNO-Missionen betätigt, um Verantwortung zu zeigen.
Gleichzeitig ist es zumindest in Rußland und China genau deswegen wohlgelitten und bekommt oftmals Sonderkonditionen.
Säbelrasseln geht nur, wenn ein Staat auch genügend Säbel hat. Deutschland z.B. denkt, dass man auch ohne Säbel erfolgreich rasseln könne. Dafür haben die ja extra den Rasselschauspieler Maas. Nur der Erfolg bleibt halt zumeist aus.
Du meinst also, diese ganzen laut angekündigten Aufrüstungsbekenntnisse sind nur ein Versuch, das bescheidene Rüstungsarsenal zu vertuschen?
Ich halte das für möglich, aber natürlich nicht sehr effizient.
Nein, es geht nicht um “Vertuschung”. Wie auch, wo jeder Zeitungsleser das alle zwei Wochen bis zur Einsatzbereitschaft noch der letzten Fregatte oder der Hubschrauber vorgejammert bekommt von den Medien, die wirklich aufrüsten wollen.
Und Deutschland kündigt auch gar nicht “laut” an aufrüsten zu wollen. Grundsätzlich schon ein wenig, aber zumindest Trump vermisst die Einhaltung der Zusagen an die NATO.
“Effizient” ist deshalb weder die Beschwichtigungspolitik von Merkel und Scholz Trump gegenüber geschweige denn der Militärapparat, den die Bundeswehr mit großen Mühen einsatzbereit zu halten sucht.
Wobei ja da immer die Grundsatzfrage mitschwingt, für welche Einsätze die Bundeswehr eigentlich überhaupt wieder fit gemacht werden soll. Für eine Rolle wie in Östereich ist sie eine Nummer zu groß, für einen Krieg z.B. in Libyen reicht es vorn und hinten nicht.
Ja, aber einen Krieg in Libyen will ja kein EU-Staat, deswegen überlassen sie auch der Türkei und Rußland das Feld.
Keiner will ein eigenes EU-Afghanistan.
Und wenn man eh nicht will, braucht man auch das Gerät dazu nicht.
Peter Decker zur Ukraine (Teile 2 und 3):
Die Forderungen des IWF:
Respekt vor den Regeln der Marktwirtschaft erzwingen!
Der IWF nimmt die Krise regelrecht als Gelegenheit wahr, die Erpressung zu verschärfen, mit der er die Selenskyj-Regierung seit ihrem Amtsantritt konfrontiert – neuen Kredit, im Hinblick auf die Corona-Krise sogar noch ein paar Milliarden Dollar mehr, gibt es nur bei der Zustimmung zu “Reformen”, eine Erpressung, die umso wirksamer ist, als die Genehmigung des IWF-Kredits auch von Seiten anderer Kreditgeber zur Bedingung für den Zugang zu ihren Krediten gemacht wird… (Fortsetzung des Textes – hier:)
https://www.heise.de/tp/features/Die-Forderungen-des-IWF-Respekt-vor-den-Regeln-der-Marktwirtschaft-erzwingen-4789632.html?seite=all
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Der Teil 1 ist bereits vor einigen Tagen veröffentlich worden:
https://www.heise.de/tp/features/Von-Russland-befreit-bis-zum-Ruin-verwestlicht-von-Krisen-ueberrollt-4789630.html
Das ist doch der Witz jeden IWF-Kredites und nicht eine Besonderheit bei der Ukraine. Also was heißt da „Verschärfung“?
Bei einer Erpressung muß der Erpresser davon ausgehen können, daß sein Opfer nicht zurückschlagen kann. Deshalb treten Erpresser ja zumeist auch anonym auf. Hier wird auf offener Bühne agiert. Und jeder weiß, daß die Ukraine gar nicht Pleite gehen kann ohne recht weitgehende Wellen zu schlagen. Könnte es deshalb nicht sein, daß die bisher in der Tat zu einem großen Teil folgenlosen Kredite zustande kamen, weil umgekehrt die Ukraine die Kreditgeber damit erpresst, daß sie to big to fail sei?
Das glaube ich auch.
Da stehen sich zwei mafiöse Organisationen gegenüber, und die ukrainischen Politiker haben da recht viel Erfahrung …
US-Politiker wollen die Entsendung von medizinischem Personal als Menschenhandel sanktionieren:
USA: Sanktionen gegen Staaten, die Ärzte aus Kuba einstellen?
https://amerika21.de/2020/06/240957/us-drohung-gegen-aerzteprogram-kubas
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Entscheidung in London: Wer bekommt beschlagnahmte Milliarden aus Venezuela?
https://amerika21.de/2020/06/240968/venezuela-usa-milliarden-citgo-gold
Die Sache ist für GB heikel, weil sie den Finanzplatz London in Zeiten des Brexit gefährdet. Wenn Vermögenswerte, die in GB gelagert oder gehandelt werden, dort konfisziert werden können, wird fraglich, wie viele Staaten dann noch dort Rohstoffgeschäfte machen werden. Oder ihr Vermögen britischen Banken anvertrauen werden.
Angela Merkel hat 6 Zeitungen ein Interview gegeben:
https://www.theguardian.com/world/2019/may/15/angela-merkel-interview-europe-eu-unite-challenge-us-russia-china
https://www.sueddeutsche.de/politik/angela-merkel-interview-coronakrise-1.4948760
Offenbar zitieren die 6 jetzt daraus, was ihnen lustig ist. Ich bin auf das Interview über eine russische Zeitung gekommen, dort heißt die Überschrift:
„Die USA wollen nicht mehr Weltmacht sein“
Ausgeführt wird das im Text so:
„Wir sind mit dem Wissen aufgewachsen, dass die Vereinigten Staaten Weltmacht sein wollen. Wenn die USA diese Rolle nun aus freiem Willen aufgeben wollen, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken.“
Vielleicht findet wer die Originalzitate, aber das wäre doch irgendwie nachdenkenswert.
Außenpolitik für Monopole
Bundesregierung definiert für Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft globalen Führungsanspruch. Sanktionen nach US-Vorbild angestrebt
Von Jörg Kronauer
Manchmal liefern kleine, recht unscheinbare Details einen entscheidenden Erkenntnisgewinn. Das gilt auch für das Programm für die am Dienstag beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft, das die Bundesregierung vergangene Woche verabschiedet hat. Es solle dazu beitragen, heißt es gleich am Anfang, »Europa wieder stark zu machen«. »Wieder« – denn da mögen sich noch so viele Europäer immer noch als Mittelpunkt des globalen Geschehens fühlen, der festlegt, was gut ist für die Welt und was zu geschehen hat: Im »pazifischen Jahrhundert«, wie manche es nennen, ist »Europa« das nicht mehr. Es ist dabei, im globalen Maßstab Einfluss zu verlieren.
»Europa stärken«: Das hat entsprechend für die Bundesregierung im zweiten Halbjahr 2020, in dem sie der EU nun auch offiziell präsidiert, Vorrang – denn die EU-Mitgliedstaaten, alleine zu klein, könnten in der Welt »nur gemeinsam« ihre Interessen durchsetzen, heißt es im Ratspräsidentschaftsprogramm. Gestärkt werden soll, vor allem auch wegen der Coronakrise, zunächst die Wirtschaft. Zu den ersten Aufgaben der Bundesregierung gehört es, eine Einigung über den 750 Milliarden Euro schweren »Recovery Fund« herzustellen, den die EU-Kommission auflegen will, und den EU-Haushalt zu verabschieden. Absprachen dazu wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag abend (nach jW-Redaktionsschluss) in Meseberg mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron treffen. Zum Bemühen, den Unternehmen in der EU aus der Krise zu helfen, kommt das Bestreben hinzu, sie fit zu machen für die globale Konkurrenz. So solle »bei Fusionskontrollverfahren die globale Konkurrenzsituation im Blick« sein, fordert das Programm; das richtet sich gegen die Praxis der EU, die Schaffung erdrückender Monopole (»europäische Champions«) zu unterbinden, um Spielräume für kleinere und mittlere Unternehmen nicht zuletzt in kleineren Mitgliedstaaten zu wahren. Zudem will die Bundesregierung die Vorschriften für staatliche Beihilfen in strategisch wichtigen Branchen – bei der »Schaffung von Infrastrukturen wie Breitband- und Mobilfunknetzen« etwa – vereinfachen.
In der globalen Mächtekonkurrenz will Berlin die EU nicht nur in Abgrenzung zu China, sondern auch in gewisser Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten positionieren. Gegen chinesische Unternehmen richtet sich etwa die Forderung, gegen »Wettbewerbsverzerrungen durch staatlich kontrollierte und subventionierte Unternehmen aus Drittstaaten« einzuschreiten; dazu hat die EU-Kommission schon ein »Weißbuch« auf den Weg gebracht, das Investitionen aus China beschränkt. Auch heißt es, die Union müsse »digital souverän« werden, »um auch zukünftig aus eigener Kraft handlungsfähig zu bleiben«; man wolle deshalb »daran arbeiten, dass Europa bei digitalen Schlüsseltechnologien über Kompetenzen auf internationalem Spitzenniveau verfügt«. Sucht man das zu konkretisieren, kann man daraus durchaus die Absicht ableiten, etwa die 5G-Netze, wenn möglich, eigenständig aufzubauen, um nicht in Abhängigkeit von Huawei zu geraten. Allerdings sieht das Ratspräsidentschaftsprogramm auch keinen prinzipiellen Ausschluss des Konzerns vor, wie ihn Washington bekanntlich verlangt. Offen im Gegensatz zur US-Politik steht die Aussage, die EU solle unter deutscher Ratspräsidentschaft die »Kooperation mit China ausbauen« – dies zudem nicht nur ökonomisch, sondern auch im Rahmen gemeinsamer Absprachen in der Afrikapolitik.
In den Abschnitten des Programms, die sich explizit mit der EU-Außenpolitik befassen, finden sich Passagen, die nicht wirklich neu sind, aber aufgrund der Entwicklung vor Ort inzwischen einen anderen Klang haben als noch vor wenigen Jahren. So beansprucht Berlin etwa »eine besondere Verantwortung« der Union »für die Länder des Westlichen Balkans sowie unsere südliche und östliche Nachbarschaft und unseren Nachbarkontinent Afrika«. Das tut es seit Jahren – mit dem Unterschied, dass sich heute beispielsweise Serbien immer stärker China zuwendet und im Libyen-Krieg nicht mehr einfach Chaos herrscht, sondern Russland und die Türkei sich – wie auch in Syrien – zu den maßgeblichen äußeren Mächten aufgeschwungen haben. Dass die EU über Länder, die sie zu ihrem unmittelbaren Einflussbereich zählt, die Kontrolle zu verlieren beginnt, ist neu. Wohl auch deshalb soll sie nach dem Willen Berlins ihr Instrumentarium erweitern und nicht nur, so heißt es im Ratspräsidentschaftsprogramm, ihre »externen EU-Krisenreaktionsfähigkeiten« stärken, sondern auch die Kapazitäten »zur Verhängung und Umsetzung von Sanktionen« erweitern – von ökonomischen Zwangsmaßnahmen also, wie sie Washington immer stärker nutzt.
Aggression nach außen geht nicht ohne Repression im Innern: Die Bundesregierung will nicht nur eine grenzüberschreitende »Europäische Polizeipartnerschaft« etablieren, sondern auch »die Resilienz von Gesellschaften im Umgang mit falschen und irreführenden Informationen (…) stärken«, um der »Polarisierung gesellschaftlicher Debatten (…) entgegenzuwirken«. So drückt man es heute aus, wenn man missliebige Ansichten aus dem Diskurs drängen will.
“In die zweite Liga” (29.06.2020)
Kanzlerin Merkel empfängt Präsident Macron in Meseberg. Frankreich fällt in der Krise noch stärker hinter Deutschland zurück.
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Zu Absprachen über die am Mittwoch beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft und über den Recovery Fund der EU empfängt Kanzlerin Angela Merkel am heutigen Montag Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Das Zusammentreffen soll mit Blick auf den Kampf gegen die Coronakrise eine stabile deutsch-französische Geschlossenheit suggerieren. Tatsächlich wird Frankreich erheblich schwerer von der Krise getroffen als die Bundesrepublik. Es profitiert vergleichsweise wenig vom EU-Recovery Fund und fällt zudem im innereuropäischen Machtkampf mit Deutschland weiter zurück. Frankreich drohe “in die Zweite Liga” abzusteigen, heißt es in französischen Kommentaren. Auch mit Blick auf den 80. Jahrestag des deutschen Einmarschs nach Frankreich hat Macron kürzlich berichtet, er beschäftige sich zur Zeit mit der Schrift “L’étrange défaite”, in der der französische Historiker Marc Bloch 1940 die Ursachen für die französische Kriegsniederlage zu analysieren suchte. Unter Bezug auf die gemeinsame Weltkriegsgeschichte treiben Paris und London ihre Kooperation voran.
Absprachen in Meseberg
Dem heutigen Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Schloss Meseberg wird erhebliche symbolische Bedeutung zugeschrieben. Es soll mit Blick auf die am Mittwoch beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft, unter der wichtige Beschlüsse für den Kampf mit der Coronakrise gefasst werden müssen, eine angebliche deutsch-französische Geschlossenheit demonstrieren. Besprochen werden sollen vor allem die EU-Finanzen und die geplanten Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft nach der Krise. Meseberg steht allerdings symbolisch auch für die Tatsache, dass Berlin sich seit vielen Jahren dagegen sperrt, französischen Interessen in der EU Rechnung zu tragen, wenn sie deutschen Interessen nicht entsprechen. Dies war exemplarisch beim vorigen Zusammentreffen von Merkel und Macron in Meseberg der Fall. Damals, am 19. Juni 2018, hebelte Berlin auf einem deutsch-französischen Ministerrat Macrons entschiedene Vorstöße, ein Eurozonenbudget und einen Eurofinanzminister zu etablieren, erfolgreich aus.[1] Beide Schritte hätten beitragen können, die Eurozone zu stabilisieren, wurden – und werden – von der Bundesregierung jedoch zurückgewiesen: Sie könnten dazu führen, dass die Bundesrepublik etwas höhere Summen als bisher in die ärmeren Länder der südlichen Eurozone umlenken muss. Berlin lehnt das ab.
In schwieriger Lage
Frankreich befindet sich vor dem heutigen Treffen in einer überaus schwierigen Lage. Seine Wirtschaft ist schon jetzt deutlich härter von der Coronakrise getroffen worden als diejenige der meisten anderen EU-Staaten – insbesondere auch Deutschlands. Laut aktuellen Schätzungen der OECD wird die französische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 11,4 Prozent einbrechen, mehr als in jedem anderen Land der Union. Die Bundesrepublik zählt mit einem Minus von 6,6 Prozent zu den am glimpflichsten davonkommenden EU-Mitgliedern.[2] Tritt eine zweite Pandemiewelle ein, würde die deutsche Wirtschaft der OECD zufolge zwar um 8,8 Prozent schrumpfen, die französische allerdings sogar um 14,1 Prozent; schlimmer wären die Folgen nur für Spanien (minus 14,4 Prozent). Weil Paris stark verschuldet ist – der Schuldenstand dürfte dieses Jahr auf über 120 Prozent der Wirtschaftsleistung anschwellen [3] -, hat es deutlich geringere Spielräume als Berlin, seinen Unternehmen mit Konjunkturprogrammen unter die Arme zu greifen. Zugleich wird Paris laut aktuellen Schätzungen der EU-Kommission deutlich weniger von dem geplanten Recovery Fund profitieren als etwa Italien oder Spanien und nur etwas mehr als die Bundesrepublik: Es soll Zuschüsse in Höhe von knapp 39 Milliarden Euro erhalten, während Italien knapp 82, Spanien gut 77 Milliarden Euro bekommen soll. Deutschland kann demnach auf Zuschüsse von knapp 29 Milliarden Euro hoffen.
Deutschland im Vorteil
Paris hatte in den vergangenen Jahren erhebliche Mühe darauf verwandt, die Dominanz Berlins in der EU zu durchbrechen. Präsident Macron hatte seine Kernziele dazu im September 2017 in seiner berühmten Rede an der Sorbonne genannt. Zwar ist er im Wesentlichen daran gescheitert, sie gegen die Bundesregierung durchzusetzen [4]; doch konnte Frankreich im vergangenen Jahr zumindest ökonomisch ein wenig aufholen: Während die deutsche Wirtschaft mit einem Wachstum von 0,6 Prozent stagnierte, wuchs die französische immerhin um 1,3 Prozent. Dieser – vergleichsweise schwache – Aufholschritt wird nun dadurch, dass Deutschland deutlich glimpflicher durch die Krise kommt, mehr als zunichte gemacht. Die Bundesrepublik habe ihre “Unternehmen besser geschützt als Frankreich”, heißt es in der französischen Presse; sie sei mit Blick auf die Situation nach der Krise deutlich im Vorteil.[5] Dabei könne sie Frankreich “in die Zweite Liga verbannen”.[6]
L’étrange défaite
In Frankreich hat der sich deutlich abzeichnende erneute Rückschlag gegenüber Deutschland in Verbindung mit dem Gedenken an den deutschen Einmarsch vor 80 Jahren – am 10. Mai 1940 – zu historisch geprägten Reaktionen geführt. So sind, heißt es in einem Bericht, in der öffentlichen Debatte zuletzt “Parallelen zum Einmarsch deutscher Truppen 1940 gezogen” worden, den das Reich habe vollziehen können, obwohl sich Frankreich “mit der Befestigungslinie Maginot damals gewappnet fühlte”.[7] Zwar habe Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire derartige Vergleiche zurückgewiesen; doch habe Macron erklärt, er habe die Schrift “L’étrange défaite” “auf seinem Nachttisch” liegen. “L’étrange défaite” (“Die seltsame Niederlage”) wurde 1940 von dem französischen Historiker Marc Bloch verfasst, der am 16. Juni 1944 von der Gestapo ermordet wurde. Die Schrift sucht die Ursachen für die rasche französische Kriegsniederlage zu analysieren. Vergleiche werden darüber hinaus mit der Zeit nach der französischen Niederlage im Krieg von 1870/71 gezogen. So urteilt etwa die Historikerin Mona Ozouf, das schon im Jahr 1959 publizierte Buch “La Crise allemande de la pensée française” des Historikers Claude Digeon (“Die deutsche Krise des französischen Denkens”), das sich mit der Debatte in Frankreich ab 1871 befasst, werfe “Fragen” auf, “die wir uns noch immer stellen”.[8] “Im Elysée-Palast”, wird berichtet, “verweist man dieser Tage gern auf Digeons Buch, um die Katastrophenstimmung in der abflauenden Epidemie zu erläutern”.[9]
Britisch-französische Bündnisse
Historisch grundiert ist auch Macrons jüngster Besuch in London gewesen, dessen äußerer Anlass die Erinnerung an die berühmte Rede von Charles de Gaulle am 18. Juni 1940 war. De Gaulle kündigte damals über die BBC von seinem Exil in der britischen Hauptstadt aus anhaltende Gegenwehr gegen die deutsche Besatzung an: “Was auch immer geschieht, die Flamme des französischen Widerstands darf nicht erlöschen, und sie wird nicht erlöschen!” Macron diskutierte im Gespräch mit dem britischen Premierminister Boris Johnson nicht nur den Fortgang der Brexit-Verhandlungen, sondern auch gemeinsame französisch-britische Initiativen in der Außenpolitik; zudem soll auch die bilaterale französisch-britische Militärkooperation ausgebaut werden, die mit den “Lancaster House Treaties” am 2. November 2010 in die Wege geleitet worden war. Bei der Unterzeichnung der Verträge hatte der damalige britische Premierminister David Cameron explizit darauf hinwiesen, Großbritannien und Frankreich hätten “eine gemeinsame Geschichte durch zwei Weltkriege hindurch”.[10] In Berlin war der Bezug – auch – auf die gegen Deutschland gerichtete “Entente Cordiale” von 1904 als Versuch interpretiert worden, eine “neue Entente Cordiale” gegen deutsche Übermacht im heutigen Europa zu schaffen.[11] Im November soll der zehnte Jahrestag der Vertragsunterzeichnung offiziell begangen werden. Dabei ist unter anderem die Präsentation einer neuen, von Großbritannien und Frankreich gemeinsam entwickelten Anti-Schiffs-Rakete geplant.
Transatlantische Konflikte (II) (30.06.2020)
Berlin und Brüssel bereiten Gegenmaßnahmen gegen US-Sanktionen im Konflikt um Nord Stream 2 vor.
BERLIN/MOSKAU/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Deutschland und die EU bereiten im Konflikt um die Erdgaspipeline Nord Stream 2 Gegenmaßnahmen gegen drohende US-Sanktionen vor. Das hat nach entsprechenden Berichten in US-Medien die EU-Kommission bestätigt. Hintergrund ist nicht nur, dass Nord Stream 2 erhebliche ökonomische und energiestrategische Bedeutung für die Bundesrepublik besitzt. Hinzu kommt, dass extraterritoriale US-Sanktionen, wie Washington sie etwa auch gegen Iran verhängt hat, im globalen Mächtekampf ein Mittel darstellen, das Berlin und Brüssel bislang nicht aushebeln können. Entwickelt die EU kein Gegeninstrument, dann kann die US-Regierung sie in jedem transatlantischen Konflikt um die Politik gegenüber Drittstaaten zum Nachgeben zwingen; eine eigenständige EU-Weltpolitik wäre kaum möglich. Deutsche Wirtschaftskreise raten allerdings, um ihr US-Geschäft nicht zu schädigen, von einfachen Gegensanktionen ab. Gegenmaßnahmen in Sachen Nord Stream 2 sind Thema einer für morgen anberaumten öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestags.
Rückwirkende Sanktionen
In Washington ist am vergangenen Donnerstag von Abgeordneten beider Parteien der Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act (PEESCA) in das Repräsentantenhaus eingebracht und in die zuständigen Ausschüsse überwiesen worden. Bei dem Gesetzesentwurf handelt es sich um eine Ergänzung von PEESA (Protecting Europe’s Energy Security Act), einem Gesetz, das am 20. Dezember vergangenen Jahres – formal als Teil des National Defense Authorization Act (NDAA) – von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet wurde. Sieht PEESA ökonomische Zwangsmaßnahmen gegen die Betreiber von Spezialschiffen vor, die an der Verlegung der Rohre von Nord Stream 2 beteiligt sind, so soll PEESCA die Sanktionen auf Personen und Firmen ausweiten, die die Verlegearbeiten in welcher Form auch immer unterstützen. Ihnen drohen dann Einreiseverbote und Kontosperren in den Vereinigten Staaten. PEESCA könnte laut Beobachtern spätestens im September im Kongress verabschiedet und von US-Präsident Donald Trump per Unterzeichnung in Kraft gesetzt werden. Gelten soll es laut aktuellem Planungsstand rückwirkend (!) ab dem 19. Dezember 2019. Damit übt es bereits jetzt konkret abschreckende Wirkung aus.
“Stoppen Sie JETZT”
Dabei reicht der Kreis der Personen und Unternehmen, die von den Zwangsmaßnahmen getroffen würden, weit. PEESA hatte vor allem auf die schweizerisch-niederländische Firma Allseas gezielt, einen Spezialschiffbetreiber, dessen Mitarbeit für die Verlegung von Pipelines wie Nord Stream 2 als faktisch unverzichtbar galt.[1] Allseas hat sich tatsächlich gezwungen gesehen, vorzeitig aus dem Bau der Erdgasröhre auszusteigen. Dazu beigetragen hat ein Drohbrief zweier US-Senatoren, in dem es hieß: “Stoppen Sie JETZT und lassen Sie die Pipeline unfertig zurück …, oder Sie riskieren, Ihr Unternehmen für immer aufzugeben” (german-foreign-policy.com berichtete [2]). An die Stelle des Allseas-Spezialschiffs ist inzwischen ein aufwendig beigeschafftes und umgebautes russisches Verlegeschiff getreten. PEESCA sieht nun vor, Sanktionen gegen Schweißer, Logistiker, Caterer und andere Personen und Unternehmen zu verhängen, die das russische Schiff versorgen; Versicherer sollen ebenso getroffen werden wie zum Beispiel IT-Dienstleister, deren Angebote auf dem Schiff genutzt werden. Unter Umständen könnten die Zwangsmaßnahmen sogar Angestellte deutscher Behörden bestrafen, die qua Amt mit Nord Stream 2 zu tun haben.[3]
Milliarden auf dem Spiel
Ein Verzicht auf Nord Stream 2 kommt für die Bundesrepublik schon aus ökonomischen Gründen kaum in Betracht. Zum einen sind deutsche Firmen involviert: Die Energiekonzerne Wintershall Dea und Uniper sind direkt an dem Pipelinevorhaben beteiligt; sie haben jeweils Kredite in Höhe von fast einer Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus gilt Nord Stream 2 als höchst nützlich nicht nur für die deutsche Erdgasversorgung, sondern auch, weil die Leitung Deutschland faktisch zur westeuropäischen Verteilerdrehscheibe für russisches Erdgas macht. Hinzu kommt, dass im Rahmen der breiten deutsch-russischen Erdgaskooperation insbesondere die BASF-Tochterfirma Wintershall Dea unmittelbar Zugriff auf reiche sibirische Erdgaslagerstätten erhalten hat; für den deutschen Energiekonzern eröffnet das die Möglichkeit, “europäischer Champion” zu werden, wie Vorstandschef Mario Mehren vor etwas über einem Jahr erklärte.[4] Scheitert Nord Stream 2, dann beschädigt das die deutsch-russische Erdgaskooperation, und die Chancen für Wintershall Dea auf eine europäische Spitzenposition verschlechtern sich.
Konkurrenz aus China
Schließlich könnte Russland, sollten seine Erdgasbindungen an Westeuropa Schaden nehmen, sich auch beim Erdgas erheblich stärker in Richtung China orientieren. Im vergangenen Dezember leitete Gazprom erstmals Pipelinegas in die Volksrepublik – durch die neue Erdgasleitung Power of Siberia. Vergangene Woche kündigte Gazprom-Chef Alexej Miller an, sein Unternehmen denke nicht nur über eine Ausweitung der Transportkapazitäten von Power of Siberia nach; es treibe auch den Bau einer zweiten Pipeline (Power of Siberia 2) entschlossen voran. Auf lange Sicht könnten die Pipelinelieferungen nach China auf mehr als 130 Milliarden Kubikmeter jährlich ausgeweitet werden. Europa verlöre damit seine Position als wichtigster Käufer russischen Erdgases außerhalb der Länder der ehemaligen Sowjetunion.[5] Bereits Ende 2018 hatte das an der Universität Oxford angesiedelte Oxford Institute for Energy Studies darauf hingewiesen, zwar seien “die europäischen Konsumenten und Politiker” bislang “in der relativ bequemen Position eines Monopolabnehmers russischer Erdgasexporte aus Westsibirien”. Die sich abzeichnende Zunahme der Gaslieferungen in die Volksrepublik werde jedoch “die russische Verhandlungsposition stärken” und Moskau helfen, “langfristigen Druck” auf die EU aufzubauen.[6] Ein Scheitern von Nord Stream 2 beschleunigte diesen Prozess.
Im globalen Mächtekampf
Abgesehen von den gravierenden ökonomischen Schäden, die ein Scheitern von Nord Stream 2 verursachen könnte, brächte es für Deutschland und die EU einen ernsten politischen Rückschlag mit sich. Bereits im Machtkampf um das Atomabkommen mit Iran hat sich herausgestellt, dass Berlin und Brüssel nicht in der Lage sind, die extraterritorialen US-Sanktionen gegen Teheran zu überwinden; sie haben damit im globalen Mächtekampf im Mittleren Osten den Kürzeren gezogen. Könnte Washington auch den Konflikt um Nord Stream 2 mit extraterritorialen Sanktionen für sich entscheiden, wäre es eine zweite große Niederlage für Deutschland und die EU. Diese müssten damit rechnen, von den Vereinigten Staaten auch bei weiteren Streitigkeiten auf gleiche Weise zum Nachgeben gezwungen zu werden – im nächsten Schritt eventuell in den Auseinandersetzungen um Huawei, dann womöglich im Streit um weitere Sanktionen gegen Russland oder China. In letzter Konsequenz erwiese sich das europäische Staatenkartell als unfähig, eine eigene Politik gegen Washington durchzusetzen: Ihm bliebe im erbitterten Kampf um die Weltmacht nur eine untergeordnete Position.
Deutsch-europäische Souveränität
Entsprechend dringen Berlin und Vertreter der deutschen Wirtschaft auf Gegenmaßnahmen. US-Medien berichteten in der vergangenen Woche zunächst, die Bundesregierung dringe auf Schritte der EU, die sich trotz unterschiedlicher Interessen bei Nord Stream 2 – Polen und die baltischen Länder etwa lehnen die Pipeline ab – nicht von äußeren Mächten auseinanderdividieren lassen dürfe.[7] Kurz darauf bestätigte die EU-Kommission, man arbeite an einem Mechanismus, durch den “die Wirkung durch Drittstaaten verhängter, extraterritorial angewendeter Sanktionen” möglichst umfassend reduziert werden solle.[8] Details sind nicht bekannt. Aus der deutschen Wirtschaft heißt es, Gegensanktionen oder Strafzölle gegen die USA seien nicht wünschenswert – sie schadeten auch dem deutschen US-Geschäft. Vorteilhafter sei ein “bei der EU angesiedelter ‘Schutzschirm'”, der allgemein gegen extraterritoriale Sanktionen schützen könne.[9] Wie dies im Einzelnen erreicht werden soll, ist freilich völlig unklar. Am morgigen Mittwoch wird sich der Ausschuss des Deutschen Bundestags für Wirtschaft und Energie in einer öffentlichen Anhörung mit dem Thema befassen – unter dem Motto “Sicherung der Souveränität deutscher und europäischer energiepolitischer Entscheidungen (Nord Stream 2)”.[10]
Björn Hendrig: Der “Westen” – ein Auslaufmodell?
Große Aufregung in Deutschland: Die USA wollen mehrere Tausend Soldaten abziehen. Amerika verabschiede sich damit von der “transatlantischen Wertegemeinschaft”, kritisieren Politiker und Medien – Ein Kommentar
Mit dem angekündigten Truppenabzug demonstriert US-Präsident Donald Trump erneut seinen Unmut über die seiner Ansicht nach zu geringen deutschen Rüstungsausgaben. Diese Kritik ist, um mit ihm zu sprechen, “not fair”: Schließlich ist die Bundesregierung gewillt, das Militärbudget auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2024 und auf die von den USA geforderten 2 Prozent bis spätestens 2031 zu erhöhen (so Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Grundsatzrede am 7. November 2019 vor Studenten der Bundeswehr in München).
Jedoch geht das den Amis zu langsam. Ihre “Ansage”, die Ausgaben bereits bis 2024 um 2 Prozent zu erhöhen, wird von Deutschland nicht befolgt. Richard Grenell, bis Juni Botschafter der USA in Berlin, erklärte in Zusammenhang mit geplanten weiteren Sanktionen gegen die Erdgaspipeline “North Stream 2”: “Deutschland muss aufhören, die Bestie zu füttern, während es zugleich nicht genug für die Nato zahlt.” Mit “Bestie” meint Grenell Russland.
Sanktionen der USA? Einmischung in innere Angelegenheiten! sagt Deutschland
Undankbare Europäer, unfaire Chinesen und dreiste Russen
Ein Abzug, der zum Vorstoß wird
Schluss mit den Trittbrettfahrern!
Aufrüstung und Bündnisse schmieden: Sieht so ein globaler Rückzug aus?
Kein Abschied aus der internationalen Gemeinschaft: “America first” überall!
Europäischer Eiertanz: Zwischen halbherzig mitmachen und harsch ablehnen
Die führenden Mitglieder auf europäischer Seite, Deutschland und Frankreich, verstehen das auch durchaus richtig. Trotzdem können sie auf die Hilfe der USA bei der Absicherung der für sie so nützlichen Weltordnung nicht verzichten. Und gleichzeitig können und wollen sie sich in für sie wesentlichen Fragen der Außenwirtschaft und Außenpolitik nicht von den USA vorschreiben lassen, wie sie ihre nationalen Interessen verfolgen. Eine unschöne Situation für unsere europäischen Führungsmächte! Ihre Konsequenz zur Zeit: Sie versuchen, den bisher für sie so erfolgreichen Rahmen doch irgendwie aufrecht zu erhalten. Mehr Rüstung liegt ja durchaus auch in ihrem eigenen Interesse, die Erhöhung des Rüstungsetats fällt ihnen also so schwer nicht – eher schon die Frage, welche Waffen angeschafft werden sollen.
Zudem sind Konzessionen gegenüber amerikanischen Ansprüchen in der Weltpolitik möglich: Aktionen gegen gewählte, aber aus US-Sicht lästige Regierungen auf der Welt (Iran, Syrien, Venezuela, Bolivien) wären in manchen Fällen nicht unbedingt die eigene Option. Man kann das aber diplomatisch unterstützen oder sogar dabei mitmachen, um die USA freundlich zu stimmen. Und dabei versuchen, gleichzeitig noch irgendwie ein eigenes Profil zu wahren – ein Eiertanz, bei dem man kaltblütig Regierungen & Völker über die Klinge springen lässt.
Eine Grenze gibt es allerdings auch: Die Deutschen, die ansonsten am allermeisten versuchen, den Gegensatz, den die USA ihnen aufmachen, unter den Tisch zu kehren, wollen sich in der heiklen Frage ihrer Energie-Souveränität den Forderungen aus Washington nicht beugen. An “North Stream 2” halten sie trotz des amerikanischen Widerstands fest. Kein Wunder also, dass die westliche “Wertegemeinschaft” etwas bröckelt … (Björn Hendrig)
Bezeichnend, daß die Froschfresser, wenn sie denn schon in der Vergangenheit wühlen, nicht auf die Kooperation des Vichy-Regimes mit den Nationalsozialisten kommen … Das ist wohl intern auch eine zu heiße Kartoffel.
Es ist offensichtlich, daß so etwas wie ein Zusammenschluß der Verliererstaaten gegen Deutschland und seine Adjutanten (Österreich, Holland, Skandinavier) derzeit nicht angedacht wird. Die Kreditmacht Deutschlands ist für alle zu wichtig.
Auch der Euro ist nicht mehr im Gerede, seit seinerzeit Marine Le Pen im Wahlkampf ihre Gegnerschaft aufgegeben hat.
Im Gegenteil, man hat den Eindruck, im Sog der Coronakrise klammern sich alle verstärkt an ihn.
Ich hab mir jetzt einmal angeschaut, wer diese KSK sind, die jetzt wegen Neonazi-Nähe aufgelöst oder umstrukturiert werden.
Die sind nach der Wiedervereinigung als schnelle Eingreiftruppe formiert wurden, um dem Ideal der neuen Weltmacht EU/Deutschland zu entsprechen, demzufolge man immer und überall auf der Welt militärisch eingreifen können sollte, um die dortigen Machthaber Mores zu lehren.
Das Highlight ihrer Einsätze war ihr Auftreten in Ex-Jugoslawien.
Herausgekommen ist eine Nazi-Truppe, von der man gute Gründe hat anzunehmen, daß sie ihr reichliches Arsenal einmal im Inland einsetzen wollten.
Man kann das als eine Art Aufklärung darüber sehen, wohin die Ambitionen des neuen Großdeutschland geführt haben: Zu eine Gefährdung ihrer inneren Verfasstheit.
Das Interview, das Merkel vor ein paar Tagen mehreren europäischen Zeitungen gegeben hat, kann man jetzt bei der Bundesregierung in Gänze nachlesen:
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/interview-kanzlerin-sz-1764690
@Leser
Posts wie der letzte hier werden ab jetzt gestrichen.
Peter Decker: Ukraine (4)
Von Russland befreit, bis zum Ruin verwestlicht, von Krisen überrollt. Die Ukraine in den Zeiten von Corona – Teil 4
Die Art von Krieg im Osten gegen Teile des eigenen Volks und deren russische Unterstützung, die sich die Ukraine mit ihrem Lagerwechsel eingehandelt hat, erfüllt zwar für die westlichen Mächte die Funktion, Russland dauerhaft allerlei Kosten zu bereiten, bringt aber die Ukraine in eine zunehmend unhaltbare Lage: Ihr an der Front aufgebautes Militär, schlecht ausgerüstet und schlecht ernährt, ist zwar gemeinsam mit den fanatischen Freiwilligen-Milizen dazu in der Lage, mit ihrem Dauerbeschuss die Ostgebiete zu terrorisieren, aber irgendeine Sorte von Sieg ist nicht abzusehen, sodass sich, je länger sich die Sache hinzieht, Kriegsmüdigkeit im Volk ausbreitet.
Der neue Präsident wollte den Konflikt unbedingt beenden; es ist nur so, dass Selenskyj bei dieser Materie außenpolitisch so gut wie nichts in der Hand hat – stattdessen werden seine Bemühungen mit einer Radikalisierung der inneren Fronten und einer Bloßstellung seiner relativen Machtlosigkeit beantwortet.
Die Bedingungen für die Umsetzung eines sogenannten Friedensplans sind in den Minsker Verträgen festgelegt, und über den Prozess wachen die vertragschließenden großen Mächte. Es waren schließlich Deutschland und Frankreich, die angesichts des drohenden Durchmarsches der (pro-)russischen Kräfte im Osten “eine Art Rettungsanker für die damalige Führung der Ukraine” (Die Zeit, 10.12.19) ausgeworfen und Russland einiges konzediert haben, um die vollständige Niederlage der Ukraine abzuwenden: Die Verträge Minsk I und II ratifizieren die Verluste der Ukraine, aufgrund derer den Ostgebieten Rechte, also von der Ukraine zu erfüllende Pflichten zugestanden werden mussten: Gewährung eines in der Verfassung verankerten Sonderstatus, freie Wahlen in den abtrünnigen Gebieten, Amnestie für die Kämpfer usw.1
Seit über fünf Jahren weigert sich die ukrainische Führung, auch nur einen einzigen der dreizehn Punkte des Abkommens zu erfüllen, weil die nichts anderes als die Anerkennung der verlustig gegangenen Souveränität im Osten zum Inhalt haben. Leisten kann sich die Ukraine diese Verweigerungshaltung, weil und solange sie dabei eine an den Friedensverhandlungen gar nicht beteiligte Macht hinter sich hat.
Die USA hatten und haben nicht viel übrig für die europäische Konkurrenz und deren Verhandlungen mit Russland und haben der Kiewer Regierung vor vier Jahren vom damaligen Sonderbotschafter Volker ihre eigene Lesart von “Minsk” beibringen lassen, die die vertraglichen Festlegungen schlicht und einfach negiert, nämlich in Umkehrung der vertraglich festgelegten Reihenfolge die Übergabe der Kontrolle über die Grenze zur Voraussetzung für die anderen vereinbarten Regelungen erhebt, was nicht einfach eine Frage der Reihenfolge von Schritten in einem irgendwie “gemeinsamen Friedensfahrplan” ist, sondern der Umkehrung des diplomatisch ratifizierten Kriegsergebnisses gleichkommt.2 Russland soll die Kontrolle über die Volksrepubliken herschenken – “Die Kontrolle über die ukrainische Grenze zurückgeben!” – und die militärische Niederlage der Ukraine ungeschehen machen.
Mit diesem forschen Antrag auf Revision fängt sich Selenskyj nicht nur von Russland, das nicht daran denkt, seine vertraglich gesicherte Position zu räumen, eine klare Abfuhr ein. Auch die europäischen Führungsmächte sind nicht dazu aufgelegt, sich Korrekturen ihres Abkommens diktieren zu lassen, mit dem sie sich ihren Einfluss auf das Kriegsgeschehen und die russische Seite bewahren wollen….. (Forts.):
https://www.heise.de/tp/features/Krieg-und-Frieden-im-Donbass-4789634.html
Deutsch-französische Konflikte (06.07.2020)
Neue Differenzen in der EU: Paris dringt auf mehr Kooperation mit Russland und mehr Konfrontation gegenüber der Türkei.
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Ernste außenpolitische Konflikte zwischen Berlin und Paris überschatten den Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Auf Unmut stößt in der deutschen Hauptstadt zum einen, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine Bemühungen um eine engere Kooperation mit Russland fortsetzt; kürzlich vereinbarte er während einer zweistündigen Videokonferenz mit seinem russischen Amtskollegen einen baldigen Moskaubesuch. Deutschland beansprucht die Führung über die EU-Russlandpolitik für sich. Hinzu kommt der eskalierende Konflikt zwischen Frankreich und der Türkei, der sich erheblich zugespitzt hat, nachdem ein türkisches Kriegsschiff im Juni eine französische Fregatte mit seinem Zielradar erfasste. Paris hat sich deshalb aus einer NATO-Operation zurückgezogen und verlangt eine Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Ankara. Dies läuft dem Interesse Berlins an einer gewissen Kooperation mit der Türkei zuwider, die der Wahrung des Flüchtlingsabwehrpakts sowie geostrategischer Interessen dient. Der Streit könnte nächste Woche bei einem EU-Außenministertreffen eskalieren.
“Deutsch-französische Renaissance”?
Beobachter hatten zuletzt vermehrt von einer Annäherung der Berliner Politik an Paris und von einer neuen Phase der deutsch-französischen Kooperation gesprochen. Ursache war vor allem der geplante 750 Milliarden Euro schwere EU Recovery Fund, mit dem sich die Bundesregierung zum ersten Mal auf eine Schuldenaufnahme seitens der EU eingelassen hat. Das sei ein Schritt in Richtung auf die lange von Frankreich geforderten Eurobonds, heißt es zuweilen. Berlin bewege sich – “endlich” – auf Paris zu, übernehme in “Wirtschaft und Geopolitik” zunehmend Positionen Frankreichs, urteilte in der vergangenen Woche das Fachblatt “Internationale Politik”; womöglich könne man bereits einen “Anfangspunkt einer deutsch-französischen Renaissance” konstatieren.[1] Tatsächlich folgt die Zustimmung Berlins zur EU-Schuldenaufnahme vor allem dem Interesse, bedeutende Absatzmärkte der deutschen Wirtschaft in der südlichen Eurozone zu retten – vor allem Italien und Spanien, die in der Coronakrise vom Kollaps bedroht sind, mit den bisherigen Mitteln der EU aber wohl nicht mehr hinlänglich gestützt werden können (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Der Bundesrepublik, die im Grundsatz völlig unverändert auf einer harten Austeritätspolitik beharrt, gehen im Kampf gegen die Krise die Alternativen aus.
Von Lissabon bis Wladiwostok
Gleichzeitig verschärfen sich die außenpolitischen Differenzen zwischen Berlin und Paris. Das betrifft zum einen die französischen Bemühungen um eine engere Kooperation mit Russland, die Präsident Emmanuel Macron am 19. August vergangenen Jahres mit einem Empfang für seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin an seinem Sommersitz Fort de Brégançon gestartet hatte. Damals hatte Macron von einer neuen “Sicherheitsarchitektur” gesprochen, die “von Lissabon bis Wladiwostok” reichen, also die EU und Russland umfassen solle – ein Versuch, unter Anknüpfung an alte gaullistische Traditionen außenpolitisch wieder stärkere Eigenständigkeit gegenüber der deutschen Dominanz in der EU zu erlangen.[3] Macron hatte ursprünglich geplant, am 9. Mai den Moskauer Feiern zum 75. Jahrestag des alliierten Sieges über das NS-Reich beizuwohnen. Dies scheiterte nur daran, dass diese wegen der Covid-19-Pandemie verschoben werden mussten.
Ein Zeitfenster für die Kooperation
Vor rund zehn Tagen, am 26. Juni, tauschten sich Macron und Putin dann zwei Stunden per Videokonferenz aus. Macron sei mit Blick auf die Kooperation mit Moskau zuversichtlich, erklärte ein Sprecher des französischen Präsidenten nach dem Gespräch; er sei der Meinung, “mit Russland bei einer gewissen Anzahl an Themen Fortschritte machen zu können”.[4] Macron will nach Möglichkeit im August, auf jeden Fall aber noch im Lauf dieses Jahres nach Moskau reisen, um die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu intensivieren. Das “Zeitfenster” sei günstig, weil Washington aufgrund der bevorstehenden US-Wahlen nur eingeschränkt opponieren könne, urteilt ein Pariser Stratege.[5] In Berlin freilich ruft Macrons Vorstoß, der in Eigeninitiative ohne explizite deutsche Zustimmung geschieht, erhebliche Verstimmung hervor. Der Élysée-Palast habe den Austausch “tiefgehend und substantiell” genannt, heißt es mit kritischem Unterton in deutschen Medienberichten; Macron habe “bewusst” die “Wortwahl” nicht übernommen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft getroffen habe. Merkel habe zu diesem Anlass einen “kritisch konstruktiven Dialog” mit Moskau angemahnt.[6] Tatsächlich beansprucht die Bundesregierung die Führung der EU-Russlandpolitik für sich.
Erdgaskonflikt im Mittelmeer
Hinzu kommt der sich heftig zuspitzende Konflikt zwischen Frankreich und der Türkei, der bereits die NATO beschäftigt und nun auch die EU zu erfassen droht. Hintergrund sind gravierende Differenzen zwischen Paris und Ankara einerseits im östlichen Mittelmeer, andererseits in Libyen. Im östlichen Mittelmeer zentrieren sich die Auseinandersetzungen aktuell um große Erdgasvorräte im Seegebiet südlich von Zypern, die in dessen Ausschließlicher Wirtschaftszone nach Artikel 55 des Seerechtsübereinkommens liegen und daher von Nikosia verwaltet werden. Die Türkei erhebt dennoch – unter Rückgriff auf völkerrechtliche Hilfskonstruktionen – in Teilen Anspruch auf sie. Frankreich hat zuletzt seine Zusammenarbeit mit Zypern deutlich intensiviert, auch militärisch; zugleich hat Nikosia den französischen Energiekonzern Total an der Ausbeutung der zypriotischen Erdgaslagerstätten beteiligt.[7] Der Streit, der aus den sich überlappenden zypriotisch-türkischen Erdgasansprüchen resultiert, wird dadurch verschärft, dass Frankreich im Libyenkrieg klar auf den ostlibyschen Warlord Khalifa Haftar setzt, während die Türkei die “Einheitsregierung” in Tripolis aufrüstet und ihr zuletzt zu einem erfolgreichen militärischen Vorstoß gegen Haftars Truppen verholfen hat.[8] Möglich war das dank umfassender illegaler Waffenlieferungen, wie sie Ankara auf der Berliner Libyen-Konferenz am 19. Januar zu unterlassen zugesagt hat.[9]
Mit dem Zielradar erfasst
Der französisch-türkische Konflikt ist nach einem gefährlichen Vorfall auf dem Mittelmeer am 10. Juni heftig eskaliert. An jenem Tag versuchten zuerst eine griechische, dann eine französische Fregatte, ein Frachtschiff zu kontrollieren, das mutmaßlich eine erhebliche Menge an Waffen aus Istanbul nach Tripolis transportierte und dabei von türkischen Kriegsschiffen eskortiert wurde. Als die französische Fregatte – sie war im Rahmen der NATO-Operation “Sea Guardian” vor Ort – den Frachter kontrollieren wollte, wurde sie von den türkischen Kriegsschiffen daran gehindert; eines von ihnen erfasste die Fregatte sogar mehrmals mit dem Zielradar.[10] Eine Untersuchung des Vorfalls durch die NATO, die Paris umgehend beantragte, sucht den Konflikt offenbar zu dämpfen, um die ohnehin überaus angespannten Beziehungen zwischen dem Westen und Ankara nicht zu gefährden.[11] Dies wiederum nimmt Paris nicht hin. Es hat vergangene Woche angekündigt, sich aus “Sea Guardian” zurückzuziehen, sollte das Bündnis nicht entschlossener gegen die häufiger werdenden türkischen Übergriffe vorgehen. Zudem fordert Frankreich, die bestehenden EU-Sanktionen gegen Ankara auszuweiten. Dies könnte bereits nächste Woche bei einer Zusammenkunft der EU-Außenminister am 13. Juli geschehen.
“Konstruktiver Dialog”
Auch dies läuft deutschen Interessen zuwider. Berlin ist seit Jahren bemüht, die Konflikte mit Ankara einzugrenzen – zum einen, um den Flüchtlingsabwehrpakt nicht zu gefährden, zum anderen aus geostrategischen Erwägungen (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Entsprechend sind die Sanktionen gegen die Türkei, die die EU vergangenes Jahr verhängte, um die Erdgasinteressen ihres Mitglieds Zypern zu verteidigen, ungewohnt mild ausgefallen: die Visa- und Kontosperren betreffen lediglich zwei Vorstandsmitglieder des türkischen Energiekonzerns TPAO (Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı, Turkish Petroleum Corporation). Außenminister Heiko Maas kündigte in der vergangenen Woche anlässlich eines Treffens mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu an, die Bundesregierung werde sich während ihrer EU-Ratspräsidentschaft “für eine pragmatische Zusammenarbeit und einen guten, konstruktiven Dialog” mit Ankara stark machen.[13] Damit zeichnen sich weitere außenpolitische Streitigkeiten mit Frankreich deutlich ab.
Afghanistan: Ein “russischer Plot” gegen die USA?
Ein handfester Nachweis dafür, dass russische Geheimdienste den Taliban oder deren kriminellen Verbündeten Belohnungen für getötete US-Soldaten versprochen haben, liegt nicht vor. Dennoch ist dies gerade ein Wahlkampfthema
Grüner Programmentwurf mit Bekenntnis zu militärischen Interventionen
Kaum Licht und viel Schatten in der Friedensfrage – Ein Kommentar
Bösartige Verdrehung
Debatte zur Wehrpflicht
Von Nico Popp
Die Verfallsgeschichte der SPD ist auch eine Geschichte der Umdeutung, Aufweichung und Entkernung von Begriffen und Programmen. Dass von den Genossinnen und Genossen unter »sozialer Demokratie« einmal Sozialismus verstanden wurde, wusste 2013, als die Partei ihren 150. Geburtstag feierte, niemand mehr. Die in der SPD lange schon mehrheitsfähige Identifikation der liberal-parlamentarischen Ordnung mit »der Demokratie« war so sedimentiert, dass niemand den Festrednern widersprach, die alle so taten, als habe die Partei nie andere Ziele gehabt als einen gepflegten Parlamentarismus und die »soziale Marktwirtschaft«.
Zu den Forderungen, die eine lange Geschichte der Um- und Überformung hinter sich haben, gehört die nach der »Demokratisierung« der bewaffneten Macht des Staates: »Volkswehr an Stelle der stehenden Heere«, hieß es 1891 im Erfurter Programm. Die antimilitaristische Parole war so populär, dass die SPD-Führung 1918/19 alle Register ziehen musste, um sie abzubiegen: Zusammen mit den alten Offizieren, deren aus der Truppe heraus angegriffene Kommandogewalt sie vollumfänglich wiederherstellte, legte sie durch Übernahme großer Teile der protofaschistischen Freikorps in die Reichswehr der »demokratischen« Republik die Grundlage für den nächsten Griff nach der Weltmacht.
Einen Weltkrieg später brauchte die SPD immerhin ein paar Jahre, um sich mit der Wiederaufrüstung und der Wiedereinführung der Wehrpflicht zu arrangieren. Dabei tauchte das Argument auf, die Wehrpflicht – die keinen anderen Zweck hat als den, dem Staat für den Kriegsfall eine im militärischen Handwerk ausgebildete und sofort mobilisierbare Menschenreserve zu verschaffen – sei eigentlich nichts anderes als ein einziger großer Beitrag zur »Demokratisierung« der Truppe: Der Mangel der Reichswehr sei gewesen, dass sie ein »Staat im Staate« gewesen sei; in der Bundeswehr, in der »alle Schichten der Gesellschaft« dienten, sei derlei ausgeschlossen.
Man muss vieles nicht verstanden haben, um sich diese absurde Perspektive – das Problem mit dieser Armee sei, dass nicht jeder in ihr diene – einleuchten zu lassen. Bei der SPD-Abgeordneten Eva Högl, »Wehrbeauftragte« des Bundestages, ist das eindeutig der Fall. Ihr Wehrpflicht-Vorstoß blamiert sich zunächst durch Denkfehler, auf die die DFG-VK am Sonntag in einer Stellungnahme hinwies: Auch die Wehrmacht war eine Wehrpflichtigenarmee, und es sind nicht die »Wehrpflichtigen am Ende der Befehlskette«, die über den politischen Charakter der Truppe entscheiden. Allerdings steckt mehr darin: nämlich eine fast schon bösartige Verdrehung der alten Kritik am Militarismus. Es geht hier auch darum, künftige große und kleine deutsche Kriege zu einem Projekt der gesamten Gesellschaft zu machen. Dass die kommen, ist jedenfalls sicher, solange eine SPD regiert, die sich nicht an der NATO und nicht an »deutscher Verantwortung« für die Weltgeschicke stört, sondern daran, dass Nazis dabei mithelfen wollen.
Die Gerüchte um die Russen und die Taliban tun ja so, als müßte man den Taliban extra was zahlen, damit sie US-Soldaten umbringen.
Das ist doch denen ihr Lebenselixir!
Ähnlich absurd ist die Debatte um die Wehrpflicht.
Da weiß die deutsche Politik eigentlich nicht, wofür sie überhaupt eine Armee braucht und gegen wen es denn gehen soll, und für dieses Nicht-Programm soll jetzt die Jugend mobilisiert werden?
Die Geoökonomie des Wasserstoffs (08.07.2020)
EU bereitet Gründung einer “Europäischen Wasserstoffallianz” vor. Berlin will in der Branche “globale Nummer 1” werden.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Mit der Gründung einer “Europäischen Wasserstoffallianz” am heutigen Mittwoch will die EU-Kommission europäische Unternehmen als führende Kräfte in der globalen Nutzung von Wasserstoff als Energieträger positionieren. Offizielles Ziel ist es, die Dekarbonisierung von Verkehr und Industrie voranzutreiben. Dazu sollen Bereiche für regenerative Energien erschlossen werden, die diesen bislang verschlossen waren – so etwa der Antrieb von Schiffen oder das Befeuern von Hochöfen. Als Mittel dazu gilt Wasserstoff, der aus erneuerbaren Quellen gewonnene Energie aufnehmen und jederzeit wieder abgeben kann. RWE kooperiert schon mit ThyssenKrupp bei der Herstellung klimaneutralen Stahls mit Hilfe von Wasserstoff. Weil in Deutschland nicht genug erneuerbare Energie gewonnen werden kann, ist die Nutzung von Wind- und Solarkraft etwa aus Nordafrika geplant; mit Marokko besteht bereits ein Abkommen. Auch die Bundesregierung strebt in der noch jungen Wasserstoffbranche eine globale Führungsposition an, gerät dabei allerdings in scharfe Konkurrenz vor allem zu Japan und China.
Ein neuer Energieträger
Kernziel der geplanten Nutzung von Wasserstoff als Energieträger ist es, Bereiche für erneuerbare Energien zu öffnen, die diesen bislang noch verschlossen sind: etwa den Antrieb von Flugzeugen und von Schiffen sowie bestimmte Tätigkeiten in der Industrie. Wasserstoff hat die Eigenschaft, Energie speichern und bei Bedarf wieder freisetzen zu können, etwa mit Brennstoffzellen, wie sie schon heute manche U-Boote in Bewegung setzen. Herstellen lässt er sich, indem man mit Wind- oder Sonnenkraft Strom erzeugt und diesen nutzt, um per Elektrolyse Wasser in seine Bestandteile zu zerlegen – in Sauer- und eben in Wasserstoff. Mit sogenanntem grünem Wasserstoff kann man dann mit Hilfe von Brennstoffzellen Autos und Schiffe antreiben oder Hochöfen befeuern. Ein Pilotprojekt treiben in Deutschland derzeit RWE und ThyssenKrupp voran: RWE will durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien Wasserstoff produzieren und ihn an das ThyssenKrupp-Stahlwerk in Duisburg liefern, wo er als Ersatz für die Einblaskohle dienen soll.[1] Damit könne man bis zu 50.000 Tonnen klimaneutralen Stahl herstellen, heißt es. Die Bundesregierung will die Nutzung von Wasserstoff entschlossen vorantreiben; am 10. Juni hat sie eigens eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Gefördert werden soll sie mit Milliardenbeträgen.
Wasserstoff aus der Sahara
Eine grundlegende Schwierigkeit für Berlin liegt darin, dass der Erzeugung erneuerbarer Energien in Deutschland selbst Grenzen gesetzt sind. Das führt zum einen dazu, dass zumindest übergangsweise “blauer” oder gar “grauer” Wasserstoff genutzt werden muss; er wird aus Erdgas gewonnen, wobei Kohlendioxid entsteht und entweder freigesetzt (“grauer” Wasserstoff) oder gebunden und langfristig gelagert wird (“blauer” Wasserstoff). Soll die Nutzung von Wasserstoff einen signifikanten Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, ist “grüner” Wasserstoff prinzipiell unverzichtbar. Dieser wird freilich auch auf lange Sicht lediglich zum Teil in der Bundesrepublik gewonnen werden können. Die Bundesregierung setzt daher auf umfassende Importe – und hat als Lieferanten Länder etwa in den Wüstengebieten Nordafrikas im Blick. So hat Berlin schon am 29. November 2019 ein “Reformabkommen” mit Marokko unterzeichnet, das unter anderem eine Kooperation bei der Produktion “grünen” Wasserstoffs vorsieht.[2] Weitere Liefervereinbarungen werden angestrebt; von “grünem Wasserstoff aus der Sahara” ist immer häufiger die Rede.[3]
Desertec
Im Grundsatz ist der Plan nicht neu. Bereits die am 30. Oktober 2009 unter Beteiligung führender deutscher Konzerne (E.ON, RWE, Deutsche Bank) gegründete Desertec Industrial Initiative (Dii) zielte darauf ab, Wind- und Sonnenenergie in Nordafrika zu gewinnen und sie in die EU zu leiten; dies sollte freilich per Gleichstromleitung durch das Mittelmeer geschehen. Man werde bis 2050 womöglich gut 15 Prozent des EU-Energiebedarfs auf diesem Wege decken können, hieß es; von einem Gesamtinvestitionsvolumen von 400 Milliarden Euro war die Rede.[4] Strategen planten bereits, die Dii zusätzlich zu ihrem ursprünglichen energiepolitischen Zweck auch zu nutzen, um eine enge politische Anbindung der nordafrikanischen Wind- und Sonnenenergielieferanten an die EU zu erreichen. Das ehrgeizige Vorhaben stieß jedoch rasch auf Widerstände aller Art. So waren die Lieferanten in spe nicht begeistert von dem deutschen Ansinnen, ihren Strom nach Europa verkaufen zu sollen, während sie selbst an Strommangel litten; der Unmut über neue neokoloniale Abhängigkeit von den europäischen Hauptmächten kam hinzu. Die arabischen Unruhen von 2011 sowie der Libyenkrieg verkomplizierten die Lage weiter; nach und nach sprangen maßgebliche Konzerne ab, bis sich die Dii 2014 in eine kleinere Dienstleistungsfirma transformierte.[5] An das Vorhaben, erneuerbare Energie aus Nordafrika nach Europa zu leiten, knüpft Berlin nun mit der neuen Wasserstoffstrategie an.
“Nummer 1 in der Welt”
Dabei legt die Bundesregierung ehrgeizige Ziele vor. Mit Blick auf die umfassende, überaus vielfältige Wertschöpfungskette, die die Produktion und die Nutzung von Wasserstoff bieten, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon im Oktober 2019 gefordert, Deutschland solle “bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt” werden.[6] “Deutsche Forschung und Unternehmen gehören zur Weltspitze bei Wasserstofftechnologien”, heißt es im Bundesministerium für Bildung und Forschung; es gebe durchaus “die einmalige Chance, mit unserem Know-How zum Ausstatter einer globalen Energiewende zu werden”.[7] Die Bundesregierung hat entsprechend die in Entwicklung befindlichen Wasserstofftechnologien zur “Wertschöpfungskette von strategischem Interesse” erklärt – in Kooperation mit der EU. Die Union hat nun angekündigt, am heutigen Mittwoch eine “Europäische Wasserstoffallianz” zu gründen, die die Nutzung von Wasserstoff auf EU-Ebene vorantreiben soll. Der Führung der neuen Allianz sollen Konzerne wie Shell, Gasunie (Niederlande), SNAM (Italien) EDF (Frankreich) oder Daimler angehören.[8] Es geht um lukrative Profite: Die gesamte EU-Wasserstoffbranche könne bis 2050 ein Volumen von 800 Milliarden Euro erreichen, ist zu hören.
Globale Konkurrenz
Dabei ist die Konkurrenz in der Branche schon jetzt scharf. Japan etwa, das – im Gegensatz zur Bundesrepublik – auch auf wasserstoffbetriebene Pkw setzt, hat bereits im Jahr 2017 eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen und strebt es Beobachtern zufolge an, im Weltmaßstab die führende “Wasserstoffmacht” zu werden.[9] Als Lieferanten “grünen” Wasserstoffs hat es nicht Nordafrika, sondern Australien im Blick. Deutschlands härtester Konkurrent könne freilich, erklärt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), China werden. Die Volksrepublik setzt in ihrer Industriestrategie “Made in China 2025” ebenfalls auf die Nutzung von Wasserstoff; sie wird, so heißt es bei der SWP, energisch versuchen, ihre “Technologie- und Innovationsführerschaft voranzutreiben”.[10] Darüber hinaus sei damit zu rechnen, dass “grüner” Wasserstoff beim Ausbau der Neuen Seidenstraße einen bedeutenden Stellenwert einnehmen werde. Mit Blick auf die klar zunehmende globale Rivalität spricht die SWP von einer “Geoökonomie des Wasserstoffs”.
Blau-grüne Zukunftsvision: Deutsche wollen mit Russen Wasserstoffanlage bauen
Die Auslandshandelskammer Russland hat für einen schnellen Ausbau der Deutsch-Russischen Wasserstoffpartnerschaft als Pilotprojekt den Bau einer industriellen Wasserstoffanlage vorgeschlagen. Ein entsprechendes Papier der Wirtschaftslobbyisten ging am Montag an zuständige Behörden. Die Partnerschaft war vorab Thema auf ministerieller Ebene.
Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs (09.07.2020)
USA planen neue Sanktionen gegen Russland und China – mit gravierenden Folgen auch für die EU.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Ein europäischer Außenpolitik-Think Tank warnt vor einer dramatischen Ausweitung des US-Wirtschaftskriegs zu Lasten Deutschlands und der EU. Wie es in einer aktuellen Analyse des European Council on Foreign Relations (ECFR) heißt, lässt das jüngste US-Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 keinen Zweifel daran, dass Washington im Wirtschaftskrieg kein “Tabu” mehr kennt. Das Gesetz, das in einigen Monaten in Kraft treten kann, soll unter anderem Zwangsmaßnahmen gegen Vertreter staatlicher deutscher Stellen ermöglichen. Der ECFR weist nun auf weitere Sanktionsvorstöße insbesondere aus den Reihen der Republikaner hin, die gravierende Folgen für die deutsche Wirtschaft hätten. So heißt es in Washington nicht nur, man solle Russland zum “staatlichen Terrorsponsor” erklären. Gefordert wird auch, Russland vom Zahlungsdienstleister SWIFT abzuschneiden und weitere Sanktionen gegen China zu verhängen. Den Versuch der EU, mit dem Finanzvehikel INSTEX die US-Sanktionen gegen Iran auszuhebeln, wollen US-Abgeordnete unterbinden. Vorgeschlagen werden zudem “Finanzmanöver”.
Kein Tabu mehr
In einer gestern publizierten Untersuchung warnt der European Council on Foreign Relations (ECFR) vor einer erheblichen Ausweitung des US-Wirtschaftskrieges mit weitreichenden Folgen für Deutschland und die EU. Konkreter Anlass ist ein neues US-Sanktionsgesetz (Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act, PEESCA), das kürzlich in das Repräsentantenhaus eingebracht wurde und laut aktuellem Stand wahrscheinlich gemeinsam mit dem Gesetz zum US-Verteidigungshaushalt (National Defense Authorization Act, NDAA) verabschiedet wird; dann könnte es in wenigen Monaten in Kraft treten. PEESCA richtet sich gegen die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 und eröffnet dazu erstmals die Option, Sanktionen gegen Vertreter staatlicher deutscher Stellen zu verhängen (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Bisher sei “schlicht undenkbar” gewesen, dass die Vereinigten Staaten mit derartigen Maßnahmen gegen Verbündete vorgingen, heißt es beim ECFR; die USA brächen nun aber offensichtlich “ein Tabu nach dem anderen”.[2] Das errege umso mehr Besorgnis, als eine Gruppe republikanischer Abgeordneter aus dem US-Kongress soeben ein umfassendes Positionspapier veröffentlicht habe, das auf eine weitere Verschärfung des Wirtschaftskriegs dringe. Tatsächlich enthält das Papier diverse Forderungen, die Deutschland und die EU direkt oder indirekt schwer träfen.
Vom Finanzsystem abschneiden
Dazu zählt etwa die Forderung, Russland von dem internationalen Zahlungsdienstleister SWIFT auszuschließen und es damit faktisch vom globalen Finanzsystem abzuschneiden. Zwar hätten die Vereinigten Staaten keine unmittelbare Kontrolle über SWIFT, heißt es in dem republikanischen Positionspapier. In der Tat ist die Organisation in Belgien angesiedelt. Doch könne Washington Sanktionen gegen SWIFT verhängen, die erst dann aufgehoben würden, wenn der Dienstleister Russland aussperre, heißt es weiter. Die Strategie habe man gegen Iran erfolgreich angewandt.[3] Tatsächlich hat SWIFT Iran wegen massiver US-Pressalien im November 2018 ausgeschlossen. Bereits im vergangenen Jahr hat der ECFR das Volumen der Handelsströme zwischen der EU und Russland berechnet, die davon betroffen wären und möglicherweise gestoppt würden: Es beläuft sich auf 190 Milliarden Euro.[4] Zwar hat der ECFR darauf hingewiesen, dass Russland sowie China im Jahr 2014 jeweils begonnen haben, sich von SWIFT unabhängig zu machen; dies hätten beide auf nationaler Ebene mittlerweile erreicht. Zudem hätten weitere Staaten Interesse geäußert, sich anzuschließen. Dies ist jedoch laut dem ECFR für die EU keine Option: Allzu eng sind die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
Exporte verhindern
Besondere Sorgen macht dem ECFR die Option der Vereinigten Staaten, ihre Exportkontrollen zu verschärfen. Diese wirken extraterritorial: Washington behält es sich vor, den Export auch fremder Produkte in bestimmte Länder zu verbieten, wenn das Produkt einen 25-Prozent-Anteil aus US-Herstellung enthält; für manche Waren liegt der Wert noch niedriger. Der ECFR weist jetzt darauf hin, dass Washington die Definition von Waren, die zumindest theoretisch militärisch genutzt werden können und deshalb US-Exportrestriktionen unterliegen, immer weiter fasst; die jüngste Ausweitung der einschlägigen Definition ist dem Think Tank zufolge vergangene Woche in Kraft getreten. Zudem setzt die Trump-Administration immer mehr ausländische Unternehmen auf ihre offizielle Sanktionsliste (“entity list”); im Mai wurden 33 chinesische Firmen hinzugefügt, und “es werden wahrscheinlich weitere folgen”, konstatiert der ECFR. Das betrifft deutsche Hersteller, die US-Bauteile nutzen, unmittelbar; hinzu kommt, dass das US-Sanktionsgeflecht sogar für Experten kaum noch zu durchschauen ist, was insbesondere für kleinere Unternehmen das Risiko erhöht – und letztlich dazu führt, Lieferungen etwa nach China gar nicht mehr anzustreben. Dabei liege die US-Sanktionsgewalt außerhalb des Einflussbereichs deutscher Firmen, konstatiert der ECFR.
Widerstände brechen
Ins Visier nimmt die Gruppe republikanischer Kongressabgeordneter dabei auch die Bemühungen Berlins und der EU, Unternehmen aus Mitgliedstaaten der Union vor US-Sanktionen zu schützen. Um trotz der extraterritorial wirksamen US-Sanktionen gegen Iran Lieferungen in das Land durchführen zu können, hat die EU das Finanzvehikel INSTEX gegründet (“Instrument in Support of Trade Exchanges”), das Geschäfte nach Art einer Tauschbörse abwickelt und den Handel vom US-dominierten Finanzsystem unabhängig machen soll.[5] INSTEX ist bislang nicht erfolgreich – mit Hilfe des Vehikels ist bislang erst eine einzige Lieferung abgewickelt worden, die zudem als Hilfslieferung im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie von den US-Sanktionen nicht erfasst worden wäre. Dennoch bauen die US-Republikaner vor. Ein Mitglied der Abgeordnetengruppe hat bereits im Februar einen Gesetzesentwurf ins Repräsentantenhaus eingebracht, der das Finanzministerium ermächtigen würde, jede Finanzinstitution mit Sanktionen zu belegen, die eine “signifikante” Transaktion mit Beziehung zu INSTEX durchführt.[6] Dies diene vor allem dazu, “den Europäern eine Lehre zu erteilen”, urteilt der ECFR.
Druck mit Hilfe des IWF
Darüber hinaus plädiert die republikanische Abgeordnetengruppe dafür, den IWF zur weltweiten Durchsetzung von US-Zielen zu nutzen. Demnach soll Washington dem Währungsfonds die Mittel für ein Darlehen an den Libanon streichen, solange dort die Hizbollah Einfluss hat. Bereits im Januar haben Mitglieder der Republikanergruppe den “Promoting Secure 5G Act” in das Repräsentantenhaus eingebracht, der vorsieht, Finanzhilfen des IWF oder anderer internationaler Finanzorganisationen nur noch zuzulassen, wenn das Empfängerland “sichere” 5G-Technologie nutzt; gemeint ist ein Ausschlus des chinesischen Huawei-Konzerns.[7] Auch das träfe EU-Staaten unter Umständen schwer.
Finanzmanöver
Der ECFR weist darauf hin, dass keineswegs feststeht, dass die erwähnten Sanktionsvorschläge in Kraft gesetzt werden. Das gilt auch für die Plädoyers, Russland zum “staatlichen Terrorsponsor” zu erklären, chinesische Regierungsmitglieder und Staatsbeamte einschließlich ihrer Familien mit Einreisesperren zu belegen und “regelmäßig öffentliche ‘Finanzmanöver'” abzuhalten, mit denen “demonstriert” werden soll, “wie die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten im Fall einer russischen Aggression [russisches] Vermögen einfrieren und konfiszieren”.[8] Ausschließen lässt sich die Realisierung dieser – und anderer – Schritte im US-Wirtschaftskrieg laut dem ECFR jedoch nicht.
Den Ausschluß Rußlands aus dem SWIFT-System haben die USA bereits unter Obama erwogen, aufgrund massiver Proteste aus der eigenen Bankenwelt jedoch wieder davon Abstand genommen.
Inzwischen dürften Rußland und China Wege gefunden zu haben, dergleichen gegebenenfalls auszuhalten. Ich glaube, sie haben ein eigenes System entwickelt. Wirklich getroffen davon wäre die EU, die – Sanktionen hin oder her – viele Geschäfte mit Rußland macht.
Man denke alleine an die Sberbank, die eine eigene europäische Tochter hat und in vielen EU-Staaten präsent ist.
Was den IWF angeht, hat er sehr an Bedeutung verloren und jeder weitere Staat, dem der IWF den Rücken zukehren würde, macht den IWF machtloser, weil er sich dabei seines Druckmittels begibt.
Der IWF war heilfroh, nach Macris Wahlsieg nach Argentinien zurückkehren zu können, inzwischen hat er sich an diesem großen Brocken ordentlich verschluckt.
Peter Decker: “Westernization” der ukrainischen Armee (Ukraine, Teil 5)
Von Russland befreit, bis zum Ruin verwestlicht, von Krisen überrollt. Die Ukraine in den Zeiten von Corona – Teil 5, 11.7.20
Die amtierende ukrainische Regierung hat bei ihrem Bekenntnis zu dem vom Westen aufgestellten Reform-Katalog die des Militärs sich zum besonderen Anliegen gemacht…. (Forts.):
https://www.heise.de/tp/features/Westernization-der-ukrainischen-Armee-4789647.html
Transatlantische Konflikte (III) (17.07.2020)
USA verhängen Sanktionen gegen Nord Stream 2 mit sofortiger Wirkung. Deutsche Wirtschaft fordert sofortige Gegenmaßnahmen.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Mit scharfem Protest weisen Vertreter der deutschen Wirtschaft und Berliner Regierungsstellen die jüngsten US-Sanktionen gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2 zurück. US-Außenminister Mike Pompeo hatte am Mittwoch mitgeteilt, die Trump-Administration setze Zwangsmaßnahmen gegen Unternehmen, die an der Pipeline beteiligt sind, mit sofortiger Wirkung in Kraft. Unmittelbar betroffen sind laut Angaben aus Wirtschaftskreisen rund 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas, darunter deutsche Konzerne wie Uniper (Ex-EON) sowie die mehrheitlich im Besitz der BASF befindliche Wintershall Dea. Bedroht sind dabei Investitionen von etwa zwölf Milliarden Euro. Die Bundesregierung nennt die Sanktionen explizit “völkerrechtswidrig” und weist sie entschieden zurück. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft verlangt umgehende Gegenmaßnahmen: “Die EU und Deutschland dürfen sich … nicht wie ein amerikanisches Protektorat vorführen lassen”. Außenminister Maas fordert Washington zu einer Rückkehr zu gemeinsamen Russland-Sanktionen auf.
CAATSA
Die neuen US-Sanktionen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 beruhen auf dem Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA), der im Juli 2017 im US-Kongress verabschiedet und am 2. August 2017 von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet worden ist. Das Gesetz sieht eine Verschärfung der Zwangsmaßnahmen gegen Iran, Nordkorea und Russland vor. Mit Sanktionen belegt werden können Unternehmen ebenso wie Einzelpersonen.[1] Zu den Fällen, die in Deutschland größere Wellen schlugen, zählten beispielsweise Sanktionen gegen Rusal, den zweitgrößten Aluminiumkonzern der Welt, mit denen Washington einen Wechsel des Eigentümers erzwang.[2] Außerhalb Europas sorgt immer wieder für Konflikt, dass der CAATSA auch auf russische Waffenlieferungen zielt. So wird grundsätzlich jeder Staat mit Sanktionen bedroht, der etwa das russische Raketenabwehrsystem S-400 kauft. Betroffen war etwa Indien, als es das Raketenabwehrsystem erwarb; allerdings hat das Land, weil Washington es als potenziellen Verbündeten im Machtkampf gegen China umwirbt, dafür eine Ausnahmegenehmigung erhalten. Aktuell tobt erneut ein Streit zwischen den USA und Indien, weil New Delhi den Kauf russischer Militärflugzeuge beschlossen hat.[3] Gezielt von CAATSA attackiert werden die beiden Sektoren, auf denen Moskau bis heute eine starke Weltmarktstellung hält: Rüstung und Energierohstoffe.
Mit sofortiger Wirkung in Kraft
Tatsächlich umfasst der CAATSA auch Bestimmungen, die sich gegen russische Exportpipelines richten. Als das Gesetz im Jahr 2017 in Kraft trat, hatte der damalige Außenminister Rex Tillerson diese Bestimmungen zunächst suspendiert; sie sollten jedenfalls nicht für Öl- und Gasleitungen gelten, deren Bau – wie derjenige von Nord Stream 2 – bereits vertraglich vereinbart war. Die Trump-Administration hat Nord Stream 2 zwar mit einem zusätzlichen Sanktionsgesetz attackiert (Protecting Europe’s Energy Security Act, PEESA), das am 20. Dezember 2019 in Kraft trat und unter anderem zum Abzug eines Schweizer Spezialschiffs führte.[4] Zudem plant sie ein weiteres Gesetz (Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act, PEESCA), das im September in Kraft treten könnte und praktisch alle mit Nord Stream 2 befassten Personen und Unternehmen trifft; es könnte auch auf Angestellte deutscher Behörden und Regierungsbeamte angewandt werden.[5] Unabhängig davon hat US-Außenminister Mike Pompeo aber am Mittwoch mitgeteilt, Washington habe Tillersons Suspendierung der Sanktionen gegen Nord Stream 2 nun aufgehoben, und zwar mit sofortiger Wirkung. Die Maßnahmen umfassen Visasperren, das Einfrieren von Vermögenswerten und den Ausschluss von US-Finanzdienstleistungen.[6] Vor allem die letzteren beiden Bestimmungen wiegen für betroffene Unternehmen schwer.
“Ein Erpressungsversuch”
Geharnischte Reaktionen auf Pompeos Ankündigung kommen aus der deutschen Industrie. Wie es beim Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft heißt, sind von der Inkraftsetzung der Sanktionen “rund 120 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern unmittelbar” betroffen.[7] Zudem seien “bereits umgesetzte Investitionen in Höhe von zwölf Milliarden Euro … gefährdet”. Allein die fünf westeuropäischen Energiekonzerne, die an Nord Stream 2 beteiligt sind – Uniper (Ex-EON), die mehrheitlich im Besitz von BASF befindliche Wintershall Dea, OMV (Österreich), Engie (Frankreich) und Royal Dutch Shell (Großbritannien/Niederlande) -, haben jeweils 950 Millionen Euro in die Erdgasleitung investiert. Auch ihnen drohen nun folgenreiche Sanktionen. Washingtons Schritt “markiert einen unfassbaren Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen”, erklärt der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes: Er stelle einen “beispiellose[n] … Eingriff in die europäische Energiesouveränität” dar. “Die EU und Deutschland dürfen sich … nicht wie ein amerikanisches Protektorat vorführen lassen” [8], wird Hermes zitiert: Es bleibe “nichts anderes übrig, als in gebotener Schärfe auf diesen Erpressungsversuch zu reagieren”. So müsse die EU-Kommission “alle Angriffe von außen auf ihre Souveränität abwehren und dazu schnell einen harten Maßnahmenkatalog vorstellen”. Zudem werde “ein wirksamer Schutzschirm für zu Unrecht von US-Sanktionen betroffene europäische Unternehmen benötigt, der sie vor finanziellen Schäden bewahrt”.[9]
“Völkerrechtswidrig”
Auf ebenfalls ungewohnt scharfe Art und Weise hat zudem die Bundesregierung reagiert. Mit ihrer Sanktionsankündigung “missachtet die US-Regierung das Recht und die Souveränität Europas, selbst zu entscheiden, wo und wie wir unsere Energie beziehen”, äußert Außenminister Heiko Maas: “Die europäische Energiepolitik wird in Europa gemacht und nicht in Washington. Extraterritoriale Sanktionen lehnen wir klar ab.”[10] Das Bundeswirtschaftsministerium sprach sich gleichfalls gegen extraterritoriale Sanktionen aus, “denn wir erachten sie als völkerrechtswidrig”: “Das ist die klare Haltung der Bundesregierung”.[11] Bereits Ende Juni hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die damals angekündigten PEESCA-Sanktionen gegen Unternehmen aus der EU “inakzeptabel und völkerrechtswidrig” genannt: “Die Union widersetzt sich ihnen entschieden.”[12] Borrell hatte damals mitgeteilt, die Kommission bereite einen “erweiterten Sanktionsmechanismus” vor, der die “Resilienz” der EU “gegenüber den Auswirkungen extraterritorialer Sanktionen, die durch Drittstaaten verhängt werden, verbessern” werde. Details sind noch nicht bekannt.
Deutsche Sonderinteressen
Dabei lehnen Berlin und Brüssel Zwangsmaßnahmen gegen Moskau im Grundsatz keineswegs ab; vielmehr haben sie erst kürzlich gemeinsame EU-Sanktionen gegen Russland verlängert – mit dem Ziel, die russische Regierung zum Nachgeben im außenpolitischen Machtkampf vor allem um die Ukraine zu zwingen (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Die Bundesregierung besteht allerdings darauf, ungeachtet der Sanktionspolitik möglichst ungehinderten Zugriff auf russisches Erdgas zu erhalten, und verwahrt sich daher gegen die aktuellen US-Attacken auf Nord Stream 2. Außenminister Maas betonte gestern, zwar lehne Berlin die CAATSA-Sanktionen ab, plädiere aber für “eine gemeinsame transatlantische Haltung zu Sanktionen gegen Russland” [14] – faktisch also für eine stärkere Berücksichtigung deutscher Sonderinteressen in einem erneuerten deutsch-US-amerikanischen Pakt.
Aus der Folterkammer des Wirtschaftskriegs (II) (16.07.2020)
Berlin plant während seiner EU-Ratspräsidentschaft die Einführung eines Sanktionsmechanismus nach US-Vorbild.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung dringt auf die Einführung eines neuen globalen EU-Sanktionsmechanismus nach dem Vorbild von US-Zwangsmaßnahmen. Man wolle sich in diesem Halbjahr dafür einsetzen, “die Kapazitäten” der Union “zur Verhängung und Umsetzung von Sanktionen zu erweitern”, heißt es im Programm für die aktuelle deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Bereits im vergangenen Jahr hatten die EU-Außenminister die Arbeiten an einem EU-Gesetz auf den Weg gebracht, das offiziell Menschenrechtsverletzungen bestrafen soll. Faktisch richtet es sich nur gegen Funktionsträger gegnerischer Staaten und schont verbündete Menschenrechtsverbrecher, dient also, wie sein US-Sanktionsvorbild, als Instrument im globalen Machtkampf. Es ergänzt ein wucherndes EU-Sanktionsregime, das sich schon jetzt etwa gegen Russland, Syrien und Venezuela richtet und mitverantwortlich für die massive Mangelversorgung einiger betroffener Länder ist. In den vergangenen Wochen hat die EU verschiedene Sanktionen trotz der Covid-19-Pandemie ausgeweitet und verlängert – gegen den Protest der UNO.
Die Russland-Sanktionen
Die EU hat in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe von Zwangsmaßnahmen verlängert und sie zum Teil ausgeweitet. Das betrifft etwa das EU-Sanktionsregime gegen Russland. Verlängert wurden zuletzt, am 29. Juni, einige Wirtschaftssanktionen. Sie verbieten den Export von Waffen, von sogenannten Dual Use-Gütern, die militärisch genutzt werden können, insbesondere aber von Technologien und Dienstleistungen für die Erkundung und die Förderung von Erdöl. Auch bleibt der Zugang zum EU-Kapitalmarkt für einige russische Banken und andere Konzerne beschränkt. Bereits am 18. Juni wurden EU-Sanktionen verlängert, die sich gegen die Krim richten. So besteht das Importverbot für Waren von der Krim ebenso fort wie das Exportverbot für bestimmte Güter und Technologien; zudem bleiben die Restriktionen bei Investitionen und das Verbot, touristische Dienstleistungen zu unterstützen, in Kraft.[1] Dasselbe gilt für das Einfrieren des Vermögens und Einreisesperren gegen insgesamt 175 Personen sowie 44 Institutionen und Unternehmen, denen vorgeworfen wird, “die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu unterminieren”. Davon sind freilich in vielen Fällen auch Personen, Institutionen oder Firmen aus der Ostukraine betroffen.
“Politik der verbrannten Erde”
Sanktionen ausgeweitet – am 17. Februar – und verlängert – am 28. Mai – hat die EU auch gegen Syrien. Zur Zeit sind in der EU angelegte Guthaben von 273 Personen sowie 70 Institutionen und Unternehmen aus Syrien eingefroren; die Betroffenen sind mit Einreisesperren belegt. Dies richte sich, erklärt die EU, insbesondere “gegen Firmen und Geschäftsleute, die aus ihren Verbindungen zum Regime und aus der Kriegswirtschaft Nutzen ziehen”.[2] Die Maßnahmen gegen Syrien beinhalten darüber hinaus, wie die EU notiert, “das Verbot der Einfuhr von Erdöl, Restriktionen gegen bestimmte Investitionen, das Einfrieren des Vermögens der syrischen Zentralbank in der EU und Exportbeschränkungen für Ausrüstung und Technologie, die für die innere Repression genutzt werden kann”. Die EU-Sanktionen gegen Syrien begleiten – ganz wie diejenigen gegen Russland – US-Sanktionen, die noch deutlich weiter reichen und zur Zeit dramatisch verschärft werden (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Werden die Sanktionen mit dem angeblichen Ziel legitimiert, brutale Repression gegen Syriens Bürger bekämpfen zu wollen, so verschlimmern sie tatsächlich die Lage der Bevölkerung dramatisch; unter anderem haben sie ihre Versorgung mit Medikamenten aufs Schwerste beeinträchtigt. Beim European Council on Foreign Relations etwa hieß es bereits im Februar 2019, die westliche Sanktionspolitik sei “eine Politik der verbrannten Erde, die unterschiedslos und willkürlich gewöhnliche Syrer bestraft und legitime Geschäfte bedroht”.[4]
Gegen den Protest der UNO
Ausgeweitet worden sind zuletzt die EU-Sanktionen gegen Venezuela. Am 29. Juni fügte der Rat der EU seiner landesspezifischen Sanktionsliste elf Venezolaner hinzu, die nun gleichfalls nicht mehr in die Union einreisen dürfen; zudem wird auch ihr Vermögen in der EU eingefroren. Zu den mit Zwangsmaßnahmen belegten Personen zählen vor allem hochrangige Politiker, Juristen und Militärs. Auch im Falle Venezuelas begleiten die EU-Maßnahmen US-Restriktionen, die noch deutlich weiter reichen; zudem sind die Folgen für die Bevölkerung ebenfalls katastrophal. Schon im April 2019 kam eine wissenschaftliche Untersuchung zu dem Schluss, die seit 2017 verhängten Sanktionen – 2017 traten auch die ersten EU-Sanktionen in Kraft – hätten über 40.000 Menschen das Leben gekostet.[5] Der ehemalige US-Spitzendiplomat Thomas Shannon urteilte über die Sanktionspolitik: “Wir sehen die Zerstörung Venezuelas als Land und als Gesellschaft.” Mit Blick auf die Covid-19-Pandemie forderte UN-Generalsekretär António Guterres, alle ökonomischen Zwangsmaßnahmen gegen Drittstaaten auszusetzen, um “Zugang zu Nahrung, zur notwendigen Gesundheitsversorgung und zu medizinischer Covid-19-Hilfe sicherzustellen”: “Jetzt ist es Zeit für Solidarität, nicht für Ausschluss”.[6] Die EU hat ihre Sanktionen, wie erwähnt, ausgeweitet.
Der European Magnitsky Act
Zusätzlich zur bisherigen EU-Sanktionspraxis dringt die Bundesrepublik auf die Einführung eines weiteren Sanktionsmechanismus. Er soll sich weltweit gegen Personen richten, denen vorgeworfen wird, Menschenrechte verletzt zu haben. Vorbild sind zwei US-Gesetze, der Magnitsky Act von 2012 sowie der Global Magnitsky Act von 2016, die bei Menschenrechtsverletzungen jeweils das Einfrieren von Vermögenswerten plus Einreisesperren für die tatsächlichen oder angeblichen Täter vorsehen. Benannt sind die Gesetze nach dem russischen Wirtschaftsprüfer Sergej Magnitsky, der 2009 in russischer Haft ums Leben kam. Die Einführung eines European Magnitsky Act ist am 14. März vergangenen Jahres in einer Resolution des Europaparlaments gefordert worden; am 9. Dezember sprachen sich die EU-Außenminister dafür aus, die Arbeiten an dem Gesetz konkret auf den Weg zu bringen und damit den Europäischen Auswärtigen Dienst zu beauftragen.[7] Die Bundesregierung macht sich ebenfalls für das Vorhaben stark. Bereits im November 2019 hatte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Andreas Michaelis angekündigt, Berlin wolle “die Umsetzung eines EU-weiten Menschenrechtssanktionsmechanismus” während seiner “EU-Ratspräsidentschaft 2020 weiter voranbringen”.[8] Im Programm für die deutsche Ratspräsidentschaft heißt es nun in der Tat, man setze sich “dafür ein, die Kapazitäten der EU zur Verhängung und Umsetzung von Sanktionen zu erweitern”.
Folgenloses Foltern
Dass der geplante European Magnitsky Act entgegen allen Behauptungen vorrangig nicht zur Durchsetzung der Menschenrechte, sondern zum Kampf gegen weltpolitische Rivalen dienen wird, zeigt die Debatte darüber, wer mit Sanktionen belegt werden soll. Genannt werden üblicherweise Personen etwa aus Russland, China, Belarus oder Venezuela – durchweg Staaten, mit denen die EU im Konflikt steht. Nicht genannt werden die USA, obwohl etwa die gegenwärtige CIA-Direktorin Gina Haspel im Jahr 2002 eine Einrichtung in Thailand leitete, in der im Rahmen des damaligen “Anti-Terror-Kriegs” gefoltert wurde. Sanktionen gegen Haspel sind ebensowenig geplant wie Zwangsmaßnahmen gegen US-Verantwortliche für den völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak im Jahr 2003 oder gegen französische und britische Verantwortliche für den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Libyen im Jahr 2011. Weder polnische noch rumänische Funktionsträger müssen fürchten, für den Unterhalt von CIA-Folterlagern in den Jahren nach dem 11. September 2001 auf dem Territorium ihrer Länder mit “Magnitsky”-Sanktionen belegt zu werden. Dasselbe gilt für deutsche Stellen, die bei der Verschleppung und der Folter von Terrorverdächtigen im “Anti-Terror-Krieg” mit US-Stellen kollaborierten oder diese Kollaboration organisierten, darunter der heutige Bundespräsident [9]: Ihnen gelten die geplanten Sanktionen nicht.
In sieben Jahren “Huawei-frei” (15.07.2020)
Komplettausschluss von Huawei bei 5G in Großbritannien verstärkt den Druck auf Deutschland, jetzt nachzuziehen.
BERLIN/LONDON/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Mit dem gestrigen Komplettausschluss von Huawei vom Aufbau der britischen 5G-Netze steigt der US-Druck auf Berlin und Brüssel, es London gleichzutun. Die britische Regierung hat gestern nach heftigen Machtkämpfen ihre Entscheidung vom Januar, Huawei an 5G zu beteiligen, revidiert und fordert nun sogar, bereits verbaute Huawei-Technologie zu deinstallieren und zu verschrotten. Dies werde den Netzaufbau zwei bis drei Jahre verzögern und bis zu zwei Milliarden Pfund kosten, räumt die Regierung ein. Gegenwärtig hält sich der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump in Paris auf, um auch Frankreich, Italien und die Bundesrepublik zum vollständigen Ausschluss des chinesischen Konzerns zu nötigen. Während Außenminister Maas als offen für das Ansinnen gilt, kündigt Wirtschaftsminister Peter Altmaier an: “Wir werden Huawei nicht vom 5G-Netz ausschließen.” Großbritannien arbeitet unterdessen an einer Alternative, in die auch Deutschland einbezogen werden könnte. Ihre Realisierung kann Experten zufolge freilich Jahre dauern.
Drei Jahre, zwei Milliarden
Die britische Regierung hat gestern in einer 180-Grad-Wende den Ausschluss von Huawei vom Aufbau der britischen 5G-Netze bekanntgegeben. Hatte Premierminister Boris Johnson im Januar nur Einschränkungen für den chinesischen Konzern verhängt, seine Beteiligung am 5G-Ausbau jedoch dezidiert nicht untersagen wollen, so hat nun der rechte Flügel der konservativen Partei mit Unterstützung der Trump-Administration einen Kurswechsel erzwungen. Demnach darf ab dem 1. Januar kommenden Jahres Huawei-Technologie nicht mehr genutzt werden; zudem müssen bis 2027 sämtliche bereits verbauten Huawei-Teile entfernt sowie durch Produkte anderer Hersteller ersetzt werden. Auch die Glasfasernetze sollen in rund zwei Jahren “Huawei-frei” sein. Der britische Digitalminister Oliver Dowden räumt unumwunden ein, dass die Maßnahmen gegen den chinesischen Konzern alles in allem den Aufbau der 5G-Netze “um zwei bis drei Jahre” verzögern und die Kosten “um bis zu zwei Milliarden Pfund” verteuern werden.[1] Hinzu kommt, dass das Land beim Glasfasernetz nun auf absehbare Zeit von einem einzigen Hersteller abhängig ist.
30 Prozent teurer
Mit dem gestrigen Kurswechsel Londons steigt der Druck auf andere Staaten, sich dem Huawei-Boykott anzuschließen. Digitalminister Dowden teilte gestern mit, er gehe davon aus, dass Kanada “eine ähnliche Art der Analyse wie wir” habe.[2] Kanada verweigert sich bislang dem Druck aus den USA und hält sich eine mögliche Kooperation mit Huawei bei 5G noch offen. Allerdings ist es jetzt das einzige Land des Geheimdienstverbundes “Five Eyes” [3], das den chinesischen Konzern noch nicht von seinen 5G-Netzen ausgeschlossen hat. Auch der Druck auf Indien nimmt erheblich zu. Indiens Entscheidung ist von großer Bedeutung, da das Land nicht nur einen riesigen Markt bietet, sondern auch global immer stärkeren wirtschaftlichen Einfluss gewinnt. Obwohl New Delhi sich als asiatischen Rivalen Beijings begreift, hat es sich dem Huawei-Boykott der USA noch nicht angeschlossen: Experten bestätigen, dass ein Verzicht auf die Technologie des chinesischen Konzerns die Kosten für den 5G-Aufbau um rund 30 Prozent in die Höhe triebe. Zudem wäre New Delhi dann der Marktmacht des Duopols aus Ericsson (Schweden) und Nokia (Finnland) ohne Alternative ausgesetzt.[4]
Druck aus Washington
Washington erhöht nicht zuletzt auch den Druck auf Berlin und die EU. Am Montag ist der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, Robert O’Brien, zu Gesprächen in Paris eingetroffen; Washington hat mitgeteilt, dass es dabei auch um den Aufbau der 5G-Netze in der EU geht.[5] O’Brien verhandelt nicht nur mit französischen, sondern auch mit britischen, italienischen und deutschen Stellen mit dem Ziel, einen möglichst weit reichenden Ausschluss von Huawei zu erreichen. Frankreich weigert sich bisher, Huawei prinzipiell auszuschließen; es stellt lediglich in Aussicht, denjenigen Unternehmen, die noch nicht mit dem chinesischen Konzern kooperieren, zu empfehlen, dies auch weiterhin nicht zu tun.[6] Vor kurzem hat die Telecom Italia (TIM) Huawei von ihren 5G-Tests ausgeschlossen; allerdings hat das Unternehmen in Italien bislang noch nie mit dem chinesischen Konzern zusammengearbeitet.[7] Unter anderem in Irland, Schweden und Ungarn wird Huawei-Technologie schon jetzt von manchen Anbietern für den Aufbau ihrer 5G-Netze genutzt.[8] Freilich hält der massive US-Druck europaweit an.
“Armageddon”
Auch in Deutschland spitzen sich die Auseinandersetzungen zu. Eine Entscheidung der Regierung liegt bislang nicht vor. Im Juni wurde bekannt, dass die Deutsche Telekom nicht länger warten will und den Aufbau ihres 5G-Netzes mit Technologie von Ericsson (Schweden) und Huawei begonnen hat. Huawei-Technologie soll freilich nicht im 5G-Kernbereich eingesetzt werden.[9] Intern wird bei der Telekom ausweislich interner Dokumente der Fall, wegen Drucks aus den Vereinigten Staaten auf Huawei-Technologie vollständig verzichten zu müssen, als “Armageddon” eingestuft: Müsse man – so, wie es jetzt in Großbritannien geschieht – auch bereits verbaute Huawei-Bauteile austauschen, dann werde das bis zu fünf Jahre lang dauern und mindestens drei Milliarden Euro kosten.[10] Die gestern bekannt gegebenen Schätzungen der britischen Regierung zeigen, dass die Telekom-Angaben durchaus realistisch sind. In der Bundesregierung halten die Machtkämpfe an. Während Außenminister Heiko Maas nach wie vor als offen für einen Huawei-Ausschluss gilt, hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier am Wochenende erklärt: “Wir werden Huawei nicht vom 5G-Netz ausschließen.”[11] Einen Ausschluss dürfe es “nur geben, wenn die nationale Sicherheit nachweislich gefährdet ist”. Das ist nicht der Fall.
Nebulöse Alternative
Großbritannien arbeitet unterdessen an einem 5G-Projekt, in das möglicherweise auch Deutschland einbezogen werden könnte. Primär ist es als ein Projekt der “Five Eyes” geplant. Berichten zufolge geht es darum, zum einen 5G-Anbieter aus Europa – Ericsson (Schweden) und Nokia (Finnland) – zu stärken, zum anderen auf OpenRAN-Technologie zu setzen. Bei OpenRAN geht es im Kern darum, offene Standards zu etablieren, die sicherstellen, dass Mobilfunktechnologie ohne Probleme ausgetauscht werden kann. Gegenwärtig ist das nicht der Fall: Huawei-Anlagen etwa können nur mit Huawei-Technologie ausgebaut werden; soll ein anderer Anbieter zum Zuge kommen, müssen bisherige Bauteile kostspielig ersetzt werden. Auch Washington bemüht sich um OpenRAN. Sollte das Projekt im “Five Eyes”-Rahmen nicht zustande kommen, ziehen Großbritannien und die USA offenbar auch eine Realisierung mit einer “D10” (“democratic 10”) genannten Staatengruppe in Betracht; gemeint sind die G7, Indien, Japan und Südkorea.[12] Über die G7 wäre Deutschland mit dabei. Experten weisen allerdings darauf hin, dass man mit OpenRAN auch die Marktstellung der europäischen 5G-Ausrüster Ericsson und Nokia schwächt – und dass die Verwirklichung des gesamten Vorhabens, das, soweit öffentlich bekannt, ohnehin noch nebulös ist, Jahre dauern könnte.
Auch hier wäre es z.B. gut, wenn der GB-Huawei-Beitrag dorthin käme, wohin er paßt:
http://nestormachno.blogsport.de/2020/07/12/pressespiegel-el-pais-12-7-post-brexit-uk-ein-papiertiger/
???
Maas meint also, wenn man als deutsche Regierung gemeinsam mit den USA fest gegen Rußland Sanktionen beschließt, darf Deutschland als Gegenleistung mit Rußland Geschäfte machen?
Irgendwie ist das so widersprüchlich und absurd, daß ich mich frage, wie jemand solche Äußerungen ernsthaft machen kann.
Noch dazu, wo die USA doch zeigen, daß sie bei ihrer Außenpolitik sowieso keinen Wert auf Mitarbeit der EU legen: Die Beschlüsse werden von den USA allen hingeknallt und die EU-Zuständigen dürfen mehr oder weniger auf der strichlierten Linie ihre Zustimmung geben.
Zudem ja die bekannte Position der USA (und da ja nicht nur Trump) ist, dass das Nord Stream 2 Projekt natürlich auf der Stelle gestrichen werden muss. Aber das soll wohl für den Wirrkopf Maas nicht dazu gehören.
Juan Guaidó: Politisch gescheitert, aber Schlüsselfigur bei der Plünderung Venezuelas
Als “Interimspräsident” hat Guaidó sich als politischer Fehlschlag erwiesen. Was den Diebstahl von Vermögen des Landes angeht, sieht die Bilanz jedoch anders aus
…
Aber Guaidó kann auch anders eingeschätzt werden: Nicht aufgrund seiner unmittelbaren und innenpolitischen Ergebnisse, sondern als Teil eines Räderwerkes der Plünderung. Indem Guaidó von den USA zum Interimspräsidenten Venezuelas ernannt wurde, hat er es ermöglicht, dass in seinem Namen Diebstahl an den Gütern der Nation durchgeführt werden. Und das ist kein Misserfolg für die USA.
…
https://amerika21.de/analyse/241431/venezuela-guaido-raubzug
Washington macht ernst
Repräsentantenhaus verabschiedet einstimmig neue Sanktionen gegen »Nord Stream 2«
Von Reinhard Lauterbach
Das US-Repräsentantenhaus hat weitere Sanktionen gegen die Ostseepipeline »Nord Stream 2« verabschiedet. Bei dem Votum am Montag abend (Ortszeit) gab es keine Gegenstimmen. Das Paket ist rechtlich Teil des US-Militärhaushalts und könnte mit diesem zum Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober in Kraft treten. Einer der Initiatoren des Gesetzes, der Republikaner Stephen Womack, warf Russland vor, »unerlaubte Kontrolle« über »unsere europäischen Verbündeten und ihre Energieversorgung« anzustreben. Bevor das Paket endgültig Gesetz wird, muss es noch vom US-Senat verabschiedet und von Präsident Donald Trump unterzeichnet werden.
Was das Repräsentantenhaus jetzt beschlossen hat, deckt sich nicht ganz mit den neuen Sanktionen, die US-Außenminister Michael Pompeo in der vergangenen Woche angekündigt hatte. Es ergänzt und verschärft sie aber. Denn das »CAATSA«-Gesetz zur »Bekämpfung von Amerikas Gegnern durch Sanktionen«, auf das sich Pompeo berief, gibt dem Präsidenten lediglich die Option, Strafmaßnahmen zu verhängen, es verpflichtet ihn nicht dazu. Das ist bei der Vorlage des US-Kongresses anders: Als Teil des Verteidigungshaushalts muss das Konzept umgesetzt werden, sobald dieser in Kraft ist.
Völkerrechtswidriger Akt
Inhaltlich gibt es allerdings keine Unterschiede. Washington droht allen Unternehmen, die sich durch Dienstleistungen, Finanzierung oder technische Beteiligung an den russischen Pipelineprojekten »Nord Stream 2« sowie »Turkish Stream« engagieren, mit »unangenehmen Konsequenzen«. Was dies bedeuten könnte, hatte Senator Edward »Ted« Cruz bereits im letzten Winter der niederländisch-schweizerischen Rohrverlegefirma »Allseas« verdeutlicht: Das Einfrieren von Vermögenswerten bei US-Banken, die Aufhebung von Einreisevisa für Manager des Unternehmens und »die Vernichtung ihres Aktienwertes« hatte Cruz seinerzeit in einem Brief angedroht. Das hatte das Management dazu veranlasst, die Beteiligung der Firma an der Rohrverlegung unverzüglich abzubrechen.
Neu ist an den aktuellen Drohungen Washingtons, dass die USA eine Richtlinie geändert haben, wie das CAATSA-Gesetz zu interpretieren sei. In der Ursprungsfassung gab es eine Bestandsschutzklausel, die zum Zeitpunkt des Erlasses bereits begonnene Projekte von den Sanktionen ausnahm. Diese Klausel, an sich ein rechtsstaatliches Standardverfahren, ist jetzt gestrichen worden.
Dies ist in der Rechtswissenschaft bereits seit römischen Zeiten (»lex retro non agit«) ebenso unzulässig wie die Ausweitung des eigenen Rechts auf Beziehungen unter Dritten (exterritoriale Wirkung). Es ist daher wenig erstaunlich, dass die Reaktion sowohl der Bundesregierung als auch der EU auf die neuen Sanktionspläne der USA negativ war.
Regierungssprecher Steffen Seibert und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannten das US-Vorhaben völkerrechtswidrig. Eine andere Frage ist, was die Bundesregierung gegen solche Sanktionen unternehmen kann. Oder auch, was die EU, in der proamerikanische und notorische Gegner von »Nord Stream 2« unter den Mitgliedstaaten ein Mitspracherecht haben, machen will.
Interessen missachtet
Berlin verlegt sich noch aufs Weinen und Greinen. Der »Koordinator für die transatlantische Zusammenarbeit«, Peter Beyer (CDU), erklärte am Sonnabend im Deutschlandfunk, bisher habe man in dieser Partnerschaft immer gegenseitige Interessen besprochen. Hier erodiere gegenwärtig einiges, und den USA müsste doch auch an einer Abstimmung über Zukunftsthemen gelegen sein.
Der aus Steuergeldern finanzierte Auslandssender Deutsche Welle stellte in einem Kommentar die rhetorische Frage, ob »Deutschland eigene Interessen haben und verfolgen« dürfe. Die US-Regierung scheine dies zu bestreiten, beschwerte sich Miodrag Soric, Chefkorrespondent des Senders. Auch wenn der Autor sich Hoffnung darauf machte, dass Trumps Herausforderer Joseph Biden in dieser Frage großzügiger agieren werde als der aktuelle US-Präsident, ändert dies doch nichts am »genehmigungspflichtigen« Charakter der deutschen Außenpolitik.
Hintergrund: Probleme beim Pipelinebau
Obwohl Russland inzwischen eine ganze Flottille von Schiffen in der Ostsee zusammengezogen hat, um »Nord Stream 2« in eigener Regie fertigzustellen, sind die Bauarbeiten derzeit ins Stocken geraten. Vor dem Hafen von Mukran auf Rügen liegen gleich zwei russische Rohrverlegeschiffe, die »Akademik Tscherski« und die »Fortuna«. Zwei Versorgungsschiffe sind in den letzten Wochen ebenfalls in die Ostsee beordert worden, auch sie mussten von der russischen Pazifikküste herangeholt werden und wurden auf ihrer Fahrt um Asien, Afrika und Europa von Schiffen der russischen Marine eskortiert.
Trotzdem tut sich auf der maritimen Baustelle einstweilen nichts oder nur wenig. Die Moskauer Zeitung Kommersant erklärte dies in einem Anfang Juli erschienenen Beitrag damit, dass mit »Tscherski« und »Fortuna« sozusagen ein Blinder und ein Lahmer zusammengespannt worden seien. Die »Tscherski« sei in der Lage, Rohre in relativ tiefem Wasser zu verlegen, aber nicht, Rohre mit dem erforderlichen großen Durchmesser zu verschweißen. An Bord der »Fortuna« seien dagegen zwar die Schweißarbeiten möglich, nicht jedoch die Verlegung in größerer Tiefe. Die Schiffe müssten daher im Tandem arbeiten, was die Verlegegeschwindigkeit ohnehin reduzieren würde. Allgemein wird geschätzt, dass etwa zwei bis drei Monate erforderlich wären, um die Leitung ganz zu verlegen.
Allerdings gibt es noch ein Problem administrativer Natur. Dänemark, in dessen Wirtschaftszone die verbliebene Pipelinelücke liegt, hat in seinem Genehmigungsbescheid die Auflage gemacht, dass die in seinen Gewässern arbeitenden Schiffe mit einem »dynamischen Positionierungssystem« ausgestattet sein müssten. Das ist eine aufwendige Konstruktion unter dem eigentlichen Schiffsrumpf, die ermöglicht, bei schwachem bis mäßigem Seegang die Position des Schiffes zu halten, auch ohne dass Anker geworfen werden müssen. Die dänischen Behörden haben diese Auflage unter anderem damit begründet, dass auf dem Meeresgrund vor der Insel Bornholm noch große Mengen deutscher Giftgasgranaten lägen, die die Sowjetarmee 1945 erbeutet und dort versenkt habe. Sie könnten beim Ankerwerfen beschädigt werden, so die Befürchtung.
Die »Tscherski« hat dieses Positionierungssystem, die »Fortuna« hingegen offenbar nicht. Deshalb haben die Betreiber jetzt bei Dänemark eine Ausnahmegenehmigung beantragt, doch Anker werfen zu dürfen. Damit läuft die Zeit, bis zum 1. Oktober die neuen US-Sanktionen in Kraft treten und in der man Fakten hätte schaffen können, weiter davon. (rl)
Der Dies Irae der EU (21.07.2020)
Der EU-Gipfel legt tiefe Spaltungen in der EU offen und bringt einen Dämpfer für den deutschen Machtanspruch.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Einen herben Dämpfer für den deutschen Machtanspruch in der EU hat der zur Stunde noch andauernde EU-Gipfel zu den EU-Hilfsgeldern im Kampf gegen die Coronakrise gebracht. Berlin konnte sich auch nach einer zweitägigen Verlängerung des ursprünglich auf zwei Tage angesetzten Treffens der Staats- und Regierungschefs der Union nicht mit seiner Forderung durchsetzen, zwei Drittel des auf 750 Milliarden Euro veranschlagten EU Recovery Fund als Zuschüsse an die besonders schwer von der Krise getroffenen Mitgliedsländer zu verteilen. Zugleich präsentierte sich die EU als stärker zerstritten denn je; einflussreiche Kommentatoren diagnostizierten ihr “nicht mehr zu vereinende Regierungs- und Lebensmodelle” und sagten voraus, es werde “schwer” für Berlin werden, seine “Mittlerrolle wieder einzunehmen”. Der Dämpfer für Berlin ist der zweite binnen weniger als zwei Wochen: Am 9. Juli war die Bundesregierung mit dem Vorhaben gescheitert, Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zur Präsidentin der Eurogruppe zu machen. Beobachter sprachen von einem “Aufstand der Kleinen”.
Zerreißprobe für die Eurozone
Die Bundesregierung hatte mit ihrem Einsatz für den 750 Milliarden Euro schweren EU Recovery Fund vor allem das Ziel verfolgt, ein Wegbrechen der südlichen Eurostaaten, insbesondere Italiens, zu verhindern. Diese werden zum einen am schwersten von der Krise getroffen; so muss Spanien nach aktuellen Prognosen mit einem Einbruch seiner Wirtschaftsleistung um 10,9 Prozent rechnen, Italien gar mit einem Absturz um 11,2 Prozent. EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni warnte kürzlich mit Blick darauf, dass die Wirtschaftsleistung der nördlichen Euroländer weniger kollabiere – die deutsche etwa um 6,3 Prozent -, “die Länder im Euro-Raum” entwickelten sich “wirtschaftlich noch stärker auseinander als noch im Frühjahr prognostiziert”: “Die Covid-Rezession droht die Euro-Zone zu zerreißen.”[1] Zu den zentrifugalen Wirtschaftstendenzen in der Eurozone kommt hinzu, dass im Süden die Bereitschaft der Bevölkerung schrumpft, sich in die Union einzufügen. Eine im Juni veröffentlichte Umfrage ergab, dass sich in Italien zum ersten Mal im Falle eines Referendums eine relative Mehrheit von 48 Prozent für den Austritt aus der EU ausspräche; für den Verbleib votierten nur noch 44 Prozent.[2] Damit gerät der Zusammenhalt der Union auf doppelte Weise in Gefahr.
“Schrumpfende Überzeugungskraft”
Unabhängig vom Ausgang des EU-Gipfels zeigt schon die Verlängerung des Treffens von zwei auf vier Tage, dass die Bundesrepublik sogar im Verbund mit Frankreich – beide Länder hatten den EU Recovery Fund entschlossen unterstützt – nicht mehr in der Lage ist, die Union ohne weiteres auf ihre Linie festzulegen. Dies war ihr im Verlauf der Eurokrise vor rund zehn Jahren und bei der Eskalation der Griechenlandkrise im Jahr 2015 noch weitestgehend gelungen. Mittlerweile sei “die Überzeugungskraft Deutschlands und Frankreichs zusammen” spürbar geschrumpft, urteilt etwa Bert van Roosebeke vom Centrum für europäische Politik (cep) in Freiburg mit Blick auf die harte Opposition vor allem der “Sparsamen Vier” – Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden, zuletzt unterstützt durch Finnland -, die sich dem deutschen Plan für den EU Recovery Fund bis gestern höchst hartnäckig widersetzten: Man habe “unterschätzt, wie weit diese Gruppe gehen will, wie aufmüpfig die sind”.[3] Zwar hat sich etwa Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz darauf berufen, Wien sei mit seinem harten Kurs im Prinzip “auf einer Linie” mit Berlin, das eigentlich “ähnliche Interessen” verfolge.[4] Dies trifft zu. Allerdings hat der Gipfel die Fähigkeit der Bundesregierung, einen Kompromiss mit dem Süden durchzusetzen, für alle erkennbar in Frage gestellt.
“Aufstand der Kleinen”
Dabei handelt es sich schon um den zweiten schmerzlichen Dämpfer für Berlin in der EU binnen kürzester Zeit. Erst am 9. Juli war die Bundesregierung – auch in diesem Fall gemeinsam mit Frankreich – mit ihrem Bestreben gescheitert, Spaniens Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zur neuen Präsidentin der Eurogruppe zu machen. Bereits die geplante Postenvergabe an Calviño war als Zugeständnis an die südlichen Eurostaaten gedacht, die die Bundesrepublik im Verlauf der Coronakrise gleich mehrmals düpiert hatte, so zum Beispiel mit der Weigerung, im Kampf gegen die Coronakrise zeitlich begrenzt Eurobonds einzuführen (“Coronabonds”, german-foreign-policy.com berichtete [5]). Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich hatte Calviño kurz vor der Entscheidung öffentlich ihre Unterstützung ausgesprochen und bestätigt, sie “freue” sich “immer, wenn Frauen eine führende politische Position bekommen”: “An der Spitze der Eurogruppe stand noch keine Frau.”[6] Gegen den erklärten Willen Berlins wählte die Eurogruppe dann allerdings Irlands Finanzminister Paschal Donohoe zu ihrem neuen Präsidenten. Sein Sieg über Calviño, urteilten Kommentatoren, sei Resultat eines “Aufstand[s] der Kleinen” – gegen Berlin.[7]
Nicht durchgesetzt
Die Ergebnisse des Gipfels – soweit bislang bekannt – bestätigen, dass sich die Bundesregierung nicht durchsetzen konnte. Statt, wie von Berlin und Paris verlangt, 500 werden nun lediglich 390 von den 750 Milliarden Euro als Zuschüsse vergeben. Das ist deshalb von Bedeutung, weil vor allem Italien und Spanien wegen ihres hohen Schuldenstandes auf Zuschüsse angewiesen sind. Ersten Berichten zufolge ist die vorgesehene Verteilung der Mittel geeignet, einen Keil zwischen die südlichen Eurostaaten zu treiben: So heißt es in italienischen Medien, Rom werde mit 209 Milliarden Euro 36 Milliarden mehr erhalten als ursprünglich geplant [8], während es in Spanien heißt, Madrid werde sich wohl mit 28 Milliarden Euro weniger zufrieden geben müssen [9]. Die italienischen Angaben täuschen freilich darüber hinweg, dass lediglich die Kreditmittel für Rom erhöht werden sollen, nicht die – eigentlich entscheidenden – Zuschüsse. Erkauft worden ist die Einigung mit einer erheblichen Aufstockung der Beitragsrabatte für die wohlhabendsten EU-Staaten. So sollen dem aktuellen Informationsstand zufolge die Niederlande einen Beitragsrabatt von 1,92 Milliarden Euro pro Jahr erhalten – 345 mehr als zunächst geplant -, Schweden 1,07 Milliarden Euro – 271 mehr als geplant -, Österreich 565 Millionen Euro – etwa das Doppelte der ursprünglichen Zahl – und Dänemark 322 Millionen Euro, also plus 125 Millionen.[10] Der deutsche Jahresbeitragsrabatt war ohnehin bereits sehr hoch: 3,67 Milliarden Euro.
“Narben”
Zum Beginn des Gipfels hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärt: “Die ganze Welt beobachtet Europa, ob wir in der Lage sind, gemeinsam aufzustehen und die coronabedingte Wirtschaftskrise zu überwinden.”[11] Gestern zog kurz vor dem – mutmaßlichen – Abschluss des Treffens ein einflussreicher Kommentator Bilanz: “Wer mit Abstand – etwa aus den USA oder China – auf den Klub der europäischen Staatenlenker schaut, der wird sich verwirrt fragen, ob dieser Kontinent seine Prioritäten im Griff hat. Die Antwort: Hat er nicht.”[12] Der EU Recovery Fund lege die krassen Spaltungen in der Union offen und gerate so “zum Dies Irae – zum Tag des Zorns über unterschiedliche und nicht mehr zu vereinende Regierungs- und Lebensmodelle in Europa”. Mit Blick auf die EU-Machtverhältnisse wiederum hatte Österreichs Ministerpräsident Sebastian Kurz auf dem Gipfel erklärt: “In der EU mit 27 Mitgliedstaaten machen Deutschland und Frankreich oft etwas aus, und alle anderen müssen es abnicken”.[13] Am Wochenende habe sich in Brüssel nun aber gezeigt: “Wenn man eine Gruppe bildet und für gemeinsame Interessen kämpft, dann kann man sehr viel erreichen.” Mit Blick darauf hieß es in einer führenden Tageszeitung: “Es wird schwer für Merkel werden, ihre alte Mittlerrolle … wieder einzunehmen.”[14] Der Gipfel werde “Narben hinterlassen”.
Der strategische Kompass der EU (22.07.2020)
Berlin will die EU auf ein militärpolitisches Grundlagenpapier festlegen. Kern: eine geheimdienstlich erstellte “Bedrohungsanalyse”.
BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung will zwecks militärischer Fokussierung der EU einen gemeinsamen “strategischen Kompass” verabschieden. Das geplante Strategiedokument soll helfen, den bisherigen Militarisierungsprojekten der Union – etwa PESCO, den EU Battlegroups – eine einheitliche Stoßrichtung zu verleihen sowie die militärische Reaktionsfähigkeit der Union zu verbessern. Angestrebt wird auch die Orientierung der nationalen Aufrüstung in der EU am strategischen Gesamtbedarf der Union. Als das Herzstück des “strategischen Kompasses” gilt eine neue gemeinsame EU-Bedrohungsanalyse, die Berlin noch unter seiner EU-Ratspräsidentschaft erstellen lassen will. Verfasst werden soll sie auf Grundlage von Einschätzungen der nationalen Geheimdienste durch deren EU-Äquivalent, das European Union Intelligence and Situation Centre (EU IntCen). Die Bedrohungsanalyse, die auch Grundlage für künftige EU-Militärinterventionen ist, unterliegt damit keinerlei demokratischer Kontrolle. Nicht zuletzt zielt sie auf eine Vereinheitlichung der Strategiebildung von EU-Staaten mit divergierenden nationalen Interessen.
“Eines der wichtigsten Projekte”
Der Plan, einen “strategischen Kompass” für die EU zu erstellen, ist im vergangenen Jahr von der Bundesregierung präsentiert worden. Seitdem haben sich, wie der verteidigungspolitische Direktor im Bundesverteidigungsministerium, Detlef Wächter, erklärt, alle EU-Staaten nicht nur hinter die Initiative gestellt; sie betrachten sie sogar “als eines der wichtigsten Projekte der kommenden Zeit”.[1] Am 16. Juni erteilten die EU-Verteidigungsminister dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell den Auftrag, den “strategischen Kompass” nun zu realisieren – ausgehend von der im Juni 2016 vorgestellten Global Strategy der EU. Am 13. Juli beriet Wächter mit seinen Amtskollegen aus den anderen EU-Staaten über das Vorhaben; am 14. Juli präsentierte es Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer als ein Kernstück der Berliner Ratspräsidentschaft den zuständigen Ausschüssen im Europaparlament. Am 26. August sollen sich die EU-Verteidigungsminister erneut mit dem Dokument befassen. Die Planung sieht vor, die Arbeiten unter den Ratspräsidentschaften Portugals und Sloweniens voranzutreiben und den “strategischen Kompass” im ersten Halbjahr 2022 unter Frankreichs Ratspräsidentschaft zu verabschieden – als ein für sämtliche EU-Mitgliedstaaten verbindliches Dokument.
Ohne demokratische Kontrolle
Als Kernelement des “strategischen Kompasses” ist – eine Premiere in der Geschichte der EU – die Erstellung einer gemeinsamen “Bedrohungsanalyse” sämtlicher Mitgliedstaaten vorgesehen, die bis Jahresende, also noch unter deutscher Ratspräsidentschaft, fertiggestellt werden soll. Die Bedrohungsanalyse ist, wie Wächter konstatiert, als “Dokument der Nachrichtendienste” konzipiert, nicht als “politisches Papier”; sie wird auf der Grundlage inhaltlicher Eingaben der Geheimdienste der Mitgliedstaaten von der zuständigen EU-Einrichtung, dem EU IntCen (European Union Intelligence and Situation Centre) [2], kompiliert. Eine finale Abstimmung der Mitgliedstaaten unterbleibt. Damit ist das Herzstück eines zentralen Grundlagenpapiers der künftigen EU-Außen- und Militärpolitik jeglicher demokratischer Kontrolle entzogen; die Union baut also unter anderem die Entscheidung über künftige Militärinterventionen auf der Vorarbeit von Spionagebehörden auf. Diese haben sich in der Vergangenheit unter anderem durch freie Erfindung von Kriegsgründen und durch die Beteiligung an Verschleppung und Folter von Verdächtigen im Rahmen des “Anti-Terror-Kriegs” hervorgetan.[3]
Ziel: “größere Handlungsfähigkeit”
Der “strategische Kompass”, der auf der Basis der gemeinsamen Bedrohungsanalyse gemeinsame militärpolitische Ziele darlegen soll, wird nach seiner Fertigstellung im ersten Halbjahr 2022 die einschlägigen Aktivitäten der EU fokussieren. Dies soll es, wie Kramp-Karrenbauer erklärt, ermöglichen, “eine größere Handlungsfähigkeit auf EU-Ebene zu erreichen”.[4] Demnach soll der “Kompass” die bereits bestehenden Militärprojekte der EU – etwa PESCO (Permanent Structured Cooperation) und die EU Battlegroups – in eine gemeinsame Strategie integrieren. Zudem gelte es im Einzelnen festzulegen, “welche Instrumente und Fähigkeiten die EU benötigt”, konstatiert das Berliner Verteidigungsministerium.[5] Damit hat der “Kompass” auch unmittelbare Auswirkungen auf die Rüstungsbeschaffung der Union.
NATO: “noch unersetzlich”
Kramp-Karrenbauer spricht sich klar dafür aus, bei aller Fokussierung der militärischen Planungen auf die EU auch systematisch die Kooperation mit Verbündeten außerhalb der Union zu suchen. So werde die Bundesregierung sich während der deutschen Ratspräsidentschaft dafür einsetzen, etwa das Vereinigte Königreich in PESCO-Projekte einzubinden, teilte sie vergangene Woche vor den Ausschüssen des Europaparlaments mit: Es gelte, auch die britischen Potenziale im Sinne der EU zu nutzen.[6] Ähnliches trifft aus Berliner Sicht auf Norwegen zu. Gänzlich unverzichtbar ist Kramp-Karrenbauer zufolge die fortgesetzte Kooperation mit den Vereinigten Staaten vor allem im Rahmen der NATO: “Wir müssen uns sehr klar vor Augen halten, dass wir in der Europäischen Union insgesamt ein gutes Stück davon entfernt sind, die Fähigkeiten der NATO und der transatlantischen Partner durch eigene EU-Kräfte ersetzen zu können”, konstatierte die Ministerin. So verfüge das transatlantische Kriegsbündnis zum Beispiel über bereits seit Jahrzehnten bewährte Kommandostrukturen, die in der EU “erst eingeübt” werden müssten. “Deswegen: Die NATO ist und bleibt für die europäische Sicherheit ein Eckstein”, äußerte Kramp-Karrenbauer. Zugleich müsse man allerdings in Rechnung stellen, dass manche Konflikte die Interessen der EU erheblich stärker tangierten als diejenigen der NATO; in solchen Fällen müsse man deshalb eigenständig handlungsfähig sein. Dafür seien eigene militärische Kapazitäten der EU vonnöten.
Auf Linie bringen
In den vergangenen Tagen hat Kramp-Karrenbauer auf ihrer ersten Dienstreise nach dem Covid-19-Lockdown die Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) und Bulgarien bereist, um sich dort jeweils für den “strategischen Kompass” stark zu machen.[7] Hintergrund sind zuweilen von deutschen Vorstellungen abweichende außen- sowie militärpolitische Interessen zumindest einiger dieser Länder. Polen etwa orientiert sich stark an den USA und bemüht sich um eine Aufstockung der US-Truppenpräsenz im Land, was die deutsche Kontrolle über den Kontinent klar erschwert. Die Bundesverteidigungsministerin teilte in Warschau mit, die geplante gemeinsame Bedrohungsanalyse der EU könne die deutsch-polnische Kooperation vertiefen; zusätzlich halte sie mehr konkrete deutsch-polnische Projekte für wünschenswert. Dies gelte nicht zuletzt auch für die Rüstungsindustrie; so sei denkbar, dass sich Polen am Bau des neuen deutsch-französischen Kampfpanzers beteilige.[8] Warschau tätigt zur Zeit umfangreiche Rüstungskäufe in den USA, was dazu führt, dass deutschen Waffenschmieden mögliche Exporte entgehen. Budapest wiederum ist bereits dazu übergegangen, umfangreiche Rüstungskäufe in Deutschland zu tätigen: Vergangenes Jahr war es mit Bestellungen im Wert von 1,8 Milliarden Euro der größte Kunde deutscher Rüstungsunternehmen überhaupt. Berlin bemängelt allerdings, dass Ungarn gelegentlich nicht ganz so energisch wie gewünscht die militärische Positionierung des Westens gegen Russland mitträgt – ein Faktor, den der “strategische Kompass” der EU im Sinne Berlins korrigieren könnte.
@NN
Dazu ist zu sagen, daß national wichtige Fragen wie EU oder Eurozonen-Mitgliedschaft gewöhnlich nicht über Umfragen entschieden werden.
Die Eliten wägen die Vor- und Nachteile ab und geben dann möglicherweise solche Umfragen in Auftrag, um ihre Position bei Verhandlungen zu stärken. Aber wenn es um die Entscheidung geht, so wird nicht mittels Umfragen und Abstimmungen getroffen.
Man lasse sich durch den Brexit nicht täuschen. Das war ein Manöver, das nur so ausging, weil eben in der Führungsetage der britischen Politik Sattheit gegenüber der EU herrschte.
Dergleichen kann ich derzeit in Südeuropa nicht entdecken, nicht einmal in Italien.
Das mag auch daran liegen, daß aufgrund des Euros die Abhängigkeiten noch stärker sind.
Bei dem ganzen Hin und Her um Zuschüsse, Kredite, Nettozahlungen, Subventionen und „Rabatte“ frage ich mich, ob da überhaupt noch irgendwer den Überblick hat, wann Geld per Mausklick von A nach B fließt oder nicht?
Was dieses Strategie-Papier betrifft, so kann dabei nur herauskommen: Gegen Rußland rüsten und sich den USA an den Hals schmeißen.
Problematisch wird es gegenüber China.
Nord Stream 2: Amerikaner bitten Firmen zum Gespräch
Vertreter dreier Ministerien weisen Beteiligte auf “weitreichende Konsequenzen einer weiteren Mitarbeit an dem Projekt” hin
Nord Stream 2 und die US-Sanktionen
Die Bundesregierung sollte nach UN-Charta ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs einfordern
“Ein gefährlicher Präzedenzfall” (27.07.2020)
US-Regierung nötigt deutsche Firmen mit Drohgesprächen zum Ausstieg bei Nord Stream 2. Der Konflikt um Russlands Rohstoffe reicht bis in die 1960er Jahre zurück.
BERLIN/WASHINGTON/MOSKAU (Eigener Bericht) – Die Trump-Administration droht Firmen aus Deutschland und der EU in Einzelgesprächen mit Konsequenzen, sollten sie sich nicht aus dem Bau von Nord Stream 2 zurückziehen. Wie berichtet wird, haben bis zu zwölf Vertreter von drei US-Ministerien separate Videokonferenzen mit europäischen Unternehmen geführt, um sie zum Ausstieg aus Nord Stream 2 zu nötigen. Von den jüngsten US-Sanktionen gegen die Erdgaspipeline betroffen sind 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas. Bleibt Nord Stream 2 eine Bauruine, beliefen sich die unmittelbaren Schäden auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Deutsche Wirtschaftsverbände fordern von Berlin und Brüssel scharfe Gegenmaßnahmen; ansonsten könnten die US-Pressalien zu einem – jederzeit leicht wiederholbaren – “gefährlichen Präzedenzfall” werden, heißt es. Wirtschaftsvertreter erinnern daran, dass die USA die Energiebeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Russland bzw. der Sowjetunion bereits in den 1960er, dann auch in den 1980er Jahren torpedierten, letztlich aber immer einlenken mussten.
Nur eine Frage der Zeit
Der erbitterte Kampf um die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 hat sich in den vergangenen Tagen weiter zugespitzt. Zuerst hatte US-Außenminister Mike Pompeo am 15. Juli mitgeteilt, Washington habe eine Ausnahmeregelung zu einem Sanktionsgesetz aus dem Jahr 2017 (Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act, CAATSA) aufgehoben und könne nun jederzeit konkrete Zwangsmaßnahmen gegen am Bau der Gasleitung beteiligte Personen und Unternehmen verhängen.[1] Anschließend hat am Montag das US-Repräsentantenhaus das Gesetz PEESCA (Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act) in Form eines Zusatzes zum Gesetz über den US-Militärhaushalt (National Defense Authorization Act, NDAA) verabschiedet. Es umfasst gleichfalls Sanktionen gegen Nord Stream 2.[2] Sobald letzte Differenzen zwischen Repräsentantenhaus und Senat über den NDAA ausgeräumt sind und Präsident Donald Trump den NDAA unterzeichnet hat, treten die PEESCA-Zwangsmaßnahmen in Kraft. Zudem haben, wie am gestrigen Sonntag berichtet wurde, zuletzt bis zu zwölf Vertreter von drei US-Ministerien sich in Einzelgesprächen an europäische Unternehmen gewandt und ihnen mit Konsequenzen gedroht, sollten sie nicht aus Nord Stream 2 aussteigen.[3] Das Auswärtige Amt bestätigt, es habe “Kenntnis” von den Gesprächen.
“Wirksam dagegenhalten”
Die deutsche Wirtschaft wiederum hat in der vergangenen Woche erneut ihren Druck auf die Bundesregierung und die EU verstärkt, sich den Sanktionen entschlossen entgegenzustellen. Von ihnen unmittelbar betroffen wären nach Angaben des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) gut 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas, darunter fünf bedeutende Energiekonzerne, möglicherweise auch Banken. Die Schäden, die entstünden, sollte Nord Stream 2 eine riesige Bauruine bleiben, beliefen sich auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Man habe bisher “immer vor harten Gegenmaßnahmen in Richtung USA gewarnt, weil wir in keine Sanktionsspirale hineinkommen wollen”, erklärte OAOEV-Geschäftsführer Michael Harms Mitte vergangener Woche: “Nun sehen wir das etwas anders.”[4] Dass die US-Botschaft in Berlin inzwischen sogar begonnen habe, an Nord Stream 2 beteiligte Unternehmen einzeln zu bedrohen, sei “befremdlich”. Der OAOEV arbeite zur Zeit an Vorschlägen, die “von klaren diplomatischen Äußerungen” über “Entschädigungen hiesiger Firmen bis hin zu defensiven Gegensaktionen” reichten. Auch die EU müsse “wirksam dagegenhalten”, fordert Harms: Sonst könne ein “gefährliche[r] Präzedenzfall” entstehen.
US-Sanktionen (I)
Während weiterhin unklar ist, wie Berlin und Brüssel auf die Sanktionen zu reagieren gedenken, weist der OAOEV darauf hin, dass US-Zwangsmaßnahmen die Geschichte der deutsch-russischen bzw. deutsch-sowjetischen Energiebeziehungen von Anfang an begleitet haben. Erste Kontakte in den sowjetischen Energiesektor hatten bundesdeutsche Unternehmen 1958 aufgenommen. Damals wurden Pipelinerohre, die bis dahin nicht an realsozialistische Staaten verkauft werden durften, von der CoCom-Embargoliste entfernt; unmittelbar darauf begannen bundesdeutsche Konzerne, Röhren in die Sowjetunion zu liefern. Um die Ausweitung der Energiebeziehungen zu verhindern, setzten die USA am 21. November 1962 einen Beschluss des NATO-Rats durch, den Verkauf der Pipelinerohre erneut für unerwünscht zu erklären. 1966 gelang es der Bundesregierung freilich, den Beschluss aufheben zu lassen. Bald darauf begannen die Verhandlungen über das erste große “Erdgas-Röhren-Geschäft”; es sah die Lieferung sowjetischen Erdgases in die Bundesrepublik vor – und zwar durch Pipelines, die, vorfinanziert durch bundesdeutsche Banken, von bundesdeutschen Unternehmen geliefert werden sollten. Am 1. Februar 1970 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet; rasch begann die Abwicklung des Geschäfts.[5]
US-Sanktionen (II)
Erneut von Washington torpediert wurde zehn Jahre später Moskaus Angebot, unlängst entdeckte gewaltige Erdgasvorkommen auf der Jamal-Halbinsel im Nordwesten Sibiriens per Pipeline in die Bundesrepublik zu leiten. Bonn hatte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der beiden Ölkrisen von 1973 und 1979 – erhebliches Interesse daran. Ab 1980 verhandelten die Bundesregierung und die sowjetische Staatsführung intensiv über das Vorhaben. Die Vereinigten Staaten setzten zunächst alles daran, seine Realisierung zu verhindern. Zum einen untersagten sie den Export aller für den Bau von Pipelines benötigten Produkte in die Sowjetunion, sofern die Herstellung dieser Produkte auf US-Lizenzen basierte. Bei Zuwiderhandlung wurden harsche Strafen auf dem US-Markt in Aussicht gestellt. Damit hatten die Vereinigten Staaten erstmals “ihre Embargovorschriften exterritorial auf die übrigen Verbündeten ausgedehnt”, heißt es in einer Untersuchung über das bundesdeutsche Ostgeschäft.[6] Gleichzeitig boten die USA an, ihrerseits den Energiebedarf ihrer westeuropäischen Verbündeten zu decken. So schlugen sie etwa vor, wie der OAOEV berichtet, “Erdgas aus Alaska zu verflüssigen” und es “mit Hilfe von Unterseetankern nach Europa zu transportieren”.[7]
Die Bundesrepublik setzt sich durch
Ungeachtet des harten Drucks aus Washington unterzeichneten bundesdeutsche und sowjetische Unternehmen am 20. November 1981 schließlich einen Vertrag über das neue Erdgas-Röhren-Geschäft, das der Bundesrepublik große Lieferungen von der nordwestsibirischen Jamal-Halbinsel verhieß. Anschließend eskalierte der Konflikt. Nach erbitterten Auseinandersetzungen, die unter anderem die Verhängung von US-Sanktionen gegen Firmen aus mehreren Ländern Westeuropas umfassten, gelang es Bonn schließlich, sich durchzusetzen: Am 13. November 1982 hoben die Vereinigten Staaten ihre Sanktionen wieder auf. Aus Sicht des OAOEV war für Bonns Erfolg wohl entscheidend, dass einerseits die bundesdeutsche Wirtschaft den Konfrontationskurs der Bundesregierung unterstützte, dass diese andererseits auch die Rückendeckung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hatte – und dass es gelang, einflussreiche US-Konzerne gegen die eigene Regierung zu mobilisieren, weil diese ihrerseits starke, allerdings von den US-Sanktionen blockierte Geschäftsinteressen verfolgten.[8] Die Bundesrepublik hatte sich damit schon zum zweiten Mal nach ihrem Erfolg in den 1960er Jahren gegen die Vereinigten Staaten durchgesetzt. Der dritte Machtkampf um die deutsch-russischen Energiebeziehungen dauert an.
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Neonazis als Zensoren
Faktencheck? Wie bei Facebook in der Ukraine unliebsame Postings gebrandmarkt werden
Von Reinhard Lauterbach
Anfang Juni publizierte das ukrainische Onlineportal Zaborona eine Recherche über die Aktivitäten des Russen Denis Nikitin in der Ukraine. Der Inhalt: Nikitin habe als Veranstalter von organisierten Prügeleien unter dem Titel »Mixed Martial Arts« europaweit Neonazis vernetzt und insbesondere Vertreter des einschlägig berüchtigten »Asow«-Regiments mit Exponenten der »White-Supremacy«-Bewegung zusammengebracht. Der Artikel knüpfte unter anderem an einen Spiegel-Beitrag aus dem Jahr 2014 an, als die deutschen Behörden auf Nikitin aufmerksam geworden waren, und die Redaktion stellte ihn auf ihre Facebook-Seite. Dort aber verschwand er nach kurzer Zeit.
Zaborona beschwerte sich und untersuchte gleichzeitig, wer im ukrainischen Facebook-Netz für solche redaktionellen Fragen zuständig ist. Heraus kam: Im März hat Facebook zwei »gesellschaftliche Organisationen« für das »Faktenchecking« bestellt: Vox und die Betreiber von Stop Fake. Vor allem letztere sind offenkundig von ukrainischen Neonazis durchsetzt, die aber verhindern wollen, dass dies der Öffentlichkeit bekannt wird. Schließlich wird Stop Fake von der Soros-Stiftung, der britischen Botschaft in Kiew und dem National Endowment for Democracy (USA) finanziert.
»Desinformation«
Erstes Opfer dieser Bestrebungen wurde wenige Tage nach der Beauftragung das regierungskritische Portal Strana. Den Leuten von Stop Fake missfiel, dass Strana einen Beitrag veröffentlicht hatte, in dem es darum ging, dass Angehörige der durch rechtsradikale Aktivitäten aufgefallenen Gruppe »C 14« in Kiew als Hilfspolizisten im öffentlichen Nahverkehr mitfahren. Es begann eine Kette von Beschuldigungen und Gegendarstellungen, bei der Strana alle eigenen Aussagen belegen und nachweisen konnte, dass Stop Fake Behauptungen dementiert hatte, die Strana überhaupt nicht aufgestellt hatte.
Dabei kam auch heraus, dass Stop-Fake-Chef Marko Suprun Ehemann der früheren Gesundheitsministerin der Ukraine, Uljana Suprun ist. Diese wird in Postings wegen ihrer neoliberalen »Reformen« vielfach als »Dr. Tod« bezeichnet. Marko Suprun wiederum tritt auf Veranstaltungspodien gemeinsam mit notorischen Neofaschisten und Rechtsrockern wie etwa Arsenij Klimatschow (alias Bilodub) von der Band »Sokira Peruna« (ungefähr: Wotansbeil) auf, die u. a. das den Holocaust leugnende Lied »Sechs Millionen Worte Lügen« im Repertoire hat.
Schlüsselperson für die Beauftragung von Stop Fake mit der Zensur bei Facebook ist offenbar Katerina Kruk. Die der rechtsradikalen Swoboda-Partei zumindest nahestehende Frau hatte schon vor dem Maidan-Putsch als Assistentin eines Parlamentsabgeordneten von Swoboda gearbeitet und bespielte während des Maidans den englischsprachigen Social-Media-Auftritt der Rechten. Nach dem Staatsstreich wurde sie Facebook-Beauftragte von Andrij Parubij, dem zeitweiligen Sprecher des ukraiischen Parlaments. 2019 bekam sie dann einen Job als Direktorin für »Public Policy« beim Regionalbüro von Facebook in Warschau. Im März dieses Jahres rühmte sie sich in einem Posting, ihre Gesinnungsgenossen in die Funktion als Facebook-Kontrolleure gehievt zu haben.
Die Tätigkeit der Zensoren besteht darin, dass sie Artikel mit unliebsamen Inhalten als »Desinformation« kennzeichnen, wodurch sie in den Nachrichtenketten von Facebook nach unten rutschen und so weniger gelesen werden. Anschließend können Nutzer, die solche Nachrichten verbreiten, selbst als »Desinformatoren« gebrandmarkt werden.
Maidan-Kritiker ermordet
Im Fall von Zaborona führte der Streit um die Story über Nikitin zu einer Hasskampagne gegen die Chefredakteurin der Seite, Jekaterina Sergazkowa. Die einen gruben ihren (jüdisch klingenden) Geburtsnamen Schulman aus, andere forderten sie auf, in ihre Geburtsstadt Wolgograd zu verschwinden. Zumindest aus Kiew zog sich Sergazkowa dann zurück, nachdem in den Netzwerken ihre Adresse und Fotos ihres Kindes veröffentlicht worden waren. Aufgrund ähnlicher Informationen war in Kiew 2015 der Maidan-Kritiker Oles Busina auf offener Straße ermordet worden. Nach den Tätern sucht die Polizei noch heute.
Dabei gilt Sergazkowa selbst als journalistische Unterstützerin des »Euromaidan«. Sie hat dabei für wichtige Propagandamedien der Szene gearbeitet wie Gromadske Telebatschennja oder Ukrainska Prawda. Nicht einmal der Umstand, dass sie in dem strittigen Beitrag einen russischen Neonazi entlarvt hat, konnte sie vor dem Hass der einheimischen Neofaschisten schützen.
Endlich selbst kriegsfähig
Deutsche und französische Rüstungskonzerne wollen auf amerikanische Technologie verzichten. EU strebt »strategische Autonomie« von den USA an
Von Jörg Kronauer
Rüstungskonzerne aus der EU bemühen sich bei der Herstellung ihrer Waffen verstärkt um einen kompletten Verzicht auf US-Technologie. Dies berichtete gestern die Welt am Sonntag. So sollen neben dem künftigen Sturmgewehr der Bundeswehr unter anderem Hubschrauber sowie der deutsch-französische Kampfjet (Future Combat Air System, FCAS), der um 2040 einsatzfähig sein soll, vollständig ohne US-Bauteile konstruiert werden. Man wolle »in Europa eigene Fähigkeiten entwickeln und aufbauen«, wird Airbus-Rüstungsvorstand Dirk Hoke zitiert.
Hintergrund der Ankündigung ist der alte Streit um die »ITAR«-Vorschriften (International Traffic in Arms Regulations), die Washington 1976 eingeführt hat. Im Kern ähneln sie den deutschen Vorschriften für den Rüstungsexport, die es Kunden deutscher Waffenschmieden untersagen, in der Bundesrepublik hergestelltes Kriegsgerät ohne offizielle Genehmigung Berlins weiterzuverkaufen. Allerdings gehen die ITAR-Vorschriften erheblich darüber hinaus. Das notwendige Genehmigungsverfahren erlaubt den US-Behörden nähere Einblicke in Details der Konstruktion; ginge China so vor, wäre sofort von Wirtschaftsspionage die Rede. Hinzu kommt, dass Washington mit den Beschränkungen die Rüstungsexportpolitik der EU-Staaten kontrollieren kann. So erlaubten es die ITAR-Vorschriften der Trump-Administration vor zwei Jahren, die Lieferung von Scalp-Raketen des europäischen Rüstungskonzerns MBDA nach Ägypten zu blockieren, wo sie für die Bewaffnung in Frankreich gekaufter Rafale-Kampfjets fest eingeplant waren. Paris musste große Mühen in Kauf nehmen, um in Washington eine Sondergenehmigung zu erhalten.
Der Gedanke, auf US-Bauteile zu verzichten, um die lästigen Beschränkungen loszuwerden, ist nicht neu. Spezialisten diagnostizierten bereits in den 1990er Jahren in Europa eine »ITAR-frei-Bewegung«, die erstmals in größerem Stil sichtbar wurde, als französische Konzerne entsprechende Satelliten zu vermarkten begannen. In der US-Industrie rief das schon damals beträchtliche Sorgen hervor, die auferlegten Zwänge könnten die außeramerikanische Konkurrenz zur Entwicklung eigener High-Tech-Komponenten drängen und langfristig die technologische US-Vorherrschaft gefährden. Und in der Tat: Hielten US-Firmen zwischen 1996 und 1998 noch 63 Prozent am Weltmarkt für Satelliten, waren es zwischen 2002 und 2005 nur noch 41 Prozent.
Dass in der EU auch Kriegsgerät »ITAR-frei« hergestellt wird, ist bekannt: Schon vor Jahren warben europäische Rüstungsfirmen mit derartigen Nachtsichtgeräten, Navigationssystemen, nicht zuletzt auch Schusswaffen, etwa aus dem Hause Rheinmetall. Im vergangenen Jahr gab beispielsweise der italienische Rüstungskonzern Leonardo bekannt, seine neue »Falco Xplorer«-Drohne sei »ITAR-frei«; im Frühjahr hieß es, das treffe auch auf ein neues Radarsystem des französischen Rüstungskonzerns Thales zu. Zu den Vorteilen solcher Produkte zähle auch, »dass die Daten aus dem Betrieb in Europa bleiben und nicht in die Hände von außereuropäischen Ländern wandern«, zitierte Welt am Sonntag gestern einen Manager des französischen Rüstungskonzerns Safran. Dies zeigt, dass es beim angestrebten Verzicht auf US-Bauteile keineswegs nur darum geht, Exportrestriktionen zu vermeiden: Angestrebt wird letztlich die »strategische Autonomie« der EU, also die Fähigkeit, eigenständig Kriege führen zu können, und zwar unter Umständen auch gegen den Willen der USA.
CIA-Methoden im Kreml?
Die Behörden der Republik Belarus haben Dutzende russischer Söldner festgenommen, die der versuchten Destabilisierung im Vorfeld der Wahlen beschuldigt werden
Also zu diesen eigenartigen Neuigkeiten aus Weißrußland bemerkt eine russische Website Folgendes:
Wo sind die restlichen der 200 angeblichen Destabilisierer? Man liest nur von den 33 Verhafteten.
Diese hatten gar keine Waffen bei sich, mieteten eine Villa und hatten außerdem Auslandspässe bei sich, die ein russischer Staatsbürger für Weißrußland nicht benötigt, da das als Inland gilt, ähnlich der EU, wo man für Reisen in Mitgliedsstaaten auch nur einen Personalsausweis benötigt.
Dieser Umstand ist deshalb bemerkenswert, weil das Ausstellen eines Auslandspasses in Rußland kostspielig und kompliziert ist. Dergleichen nimmt man nur auf sich, wenn man wirklich ins Ausland will.
Die bekanntgegebenen Identitäten der 33 Verhafteten stimmen auf eigenartige Weise mit einem Verzeichnis der ukrainischen Website Mirotvorjez („Friedensstifter“) überein.
Diese ukrainische Website wurde 2014 von einem Maidan-nahen Mitarbeiter des Innenministeriums, Anton Geraschtschenko, eingerichtet und macht Jagd auf angebliche „Separatisten“ und „Agenten des Kreml“. D.h., sie gibt die Daten von Leuten bekannt, die angeblich gegen die nationalen Interessen der Ukraine verstoßen, und ruft damit zur Jagd auf selbige auf. Sie ist also eine Hetz- und Kriegstreiber-Site, entgegen ihrem Namen.
Daß diese Namen übereinstimmen, heißt entweder, daß sie gar nicht den tatsächlichen Identitäten entsprechen, oder daß diese inzwischen Verhafteten in eine Falle gelockt wurden.
Inzwischen ist bekanntgeworden, daß die 33 zu einer privaten Sicherheitsfirma namens MAR gehören, die in die Türkei weiterreisen und dort einen Vertrag für Aufgaben in Libyen unterschreiben sollten. Anscheinend für die Türkei.
Was die Motive für die Festnahme von Leuten sind, die sich nichts zuschulden kommen ließen und Weißrussland offenbar nur zur Durchreise aufhielten, kann man nur erraten.
Muskeln spielen lassen gegen Rußland?
Oder durch eine vorgestellte Gefahr – noch 170 Destabilisierer auf freiem Fuß! – einen Vorwand für Sondermaßnahmen während der Wahlkampagne zu haben?
Der Ukraine durch Auslieferung einen Gefallen tun?
Das wäre allerdings ein Affront gegen Rußland, den sich die weißrussische Führung überlegen wird.
Oder ist es ein Komplott innerhalb der weißrussischen Sicherheitskräfte, um sich Lukaschenkos durch einen wirklichen Skandal zu entledigen?
Angestiftet vom Außenminister Vladimir Makej, der möglicherweise selber Ambitionen hat, und auch vom Westen unterstützt wird.
Denkbar ist schließlich auch eine Zusammenarbeit mit Rußland, das es nicht schätzt, wenn seine Bürger sich als Söldner bei einem Gegner (Türkei) verdingen.
Bau an Nord Stream 2 geht trotz Sanktionen weiter
Trotz der US-Sanktionen gegen Unternehmen, die am Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 beteiligt sind, ist an dem Projekt weitergearbeitet worden. So sei die Anlandestation in Lubmin (Vorpommern-Greifswald) jetzt betriebsbereit, sagte ein Sprecher der Nord Stream 2 AG. …
Aus Österreich ist die OMV an der Finanzierung des Pipelineprojekts beteiligt. Gemeinsam mit Wintershall Dea, Uniper, Royal Dutch Shell und Engie trägt der heimische Konzern die Hälfte der Gesamtkosten von rund 9,5 Mrd. Euro. Die andere Hälfte finanziert der russische Staatskonzern und Eigner der Pipeline Gazprom.
https://industriemagazin.at/a/bau-an-nord-stream-2-geht-trotz-sanktionen-weiter
Die deutsche Bombe
BRD trägt nach Kräften dazu bei, dass aus einer Welt ohne Atomwaffen bislang nichts geworden ist
Von Jörg Kronauer
Heiko Maas notierte am 21. November vergangenen Jahres auf seinem Facebook-Account: »Heute bin ich in Hiroshima.« Unter dem Eintrag: ein Foto des aufgeschlagenen Gedenkbuchs des Friedensmuseums der Stadt. »Die Erinnerung an das Leid der Menschen in Hiroshima und Nagasaki darf nie verblassen«, hatte dort jemand hineingeschrieben: »Wir haben eine gemeinsame Verantwortung dafür, dass sich solches Leid niemals wiederholt!« Es folgte der Satz, der an dieser Stelle auf gar keinen Fall fehlen durfte: »Für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen!« Dann die Unterschrift: Heiko Maas.
Die Bundesregierung, der Maas als Außenminister angehört, trägt unterdessen nach Kräften dazu bei, dass es mit der friedlichen Welt ohne Atomwaffen bislang nichts geworden ist. Da wäre zunächst die sogenannte nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO: die Stationierung von 20 US-Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel, die im Ernstfall von deutschen Kampfjets abgeworfen würden. Der Einsatz von Atomwaffen durch deutsche Soldaten widerspricht, wenngleich nur der Präsident der Nuklearmacht USA ihn befehlen kann, dem Atomwaffensperrvertrag, denn zumindest faktisch liegt die Verfügungsgewalt über den Abwurf bei den deutschen Jetpiloten und damit bei der Bundesrepublik, die keine Atomwaffen besitzen und einsetzen darf. Dessen ungeachtet bekennt sich die Bundesregierung ausdrücklich zur »nuklearen Teilhabe«, wie sie es zuletzt etwa im vergangenen September in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag bestätigte: Die Teilhabe sei ein »wichtige(r) Bestandteil einer glaubhaften Abschreckung« der NATO.
Die »nukleare Teilhabe« hat bereits in Friedenszeiten ganz praktische Folgen. So müssen auch deutsche Piloten den Umgang mit Atombomben – wie jede andere Kampfhandlung – üben. Dazu wird regelmäßig das streng geheimgehaltene NATO-Manöver »Steadfast Noon« durchgeführt, zuletzt im Oktober 2019. Auf deutscher Seite nahmen Militärs vom Luftwaffengeschwader 33, das in Büchel stationiert ist, an dem Manöver teil. Sie probten dabei nicht nur den Transport der Bomben aus ihren unterirdischen Lagern zu den »Tornado«-Flugzeugen, die sie abwerfen sollen, und ihre Anbringung an den Kampfjets, sie trainierten auch die Einsatzflüge, wenngleich Berichten zufolge unbewaffnet. Apropos »Tornados«: Die Flugzeuge, deren erstes Modell 1980 ausgeliefert wurde, veralten und müssen durch neue ersetzt werden. Die Bundesregierung hat sich dafür entschieden, für die »nukleare Teilhabe« »F-18«-Jets zu kaufen, die der US-Konzern Boeing herstellt. Das wird teuer: Laut einer Berechnung, die im Auftrag von Greenpeace vorgenommen wurde, ist mit Kosten zwischen 7,67 und 8,77 Milliarden Euro zu rechnen.
Ersetzt werden sollen perspektivisch auch die in Büchel gelagerten Atombomben selbst. Einem Bericht des Spiegel zufolge sind die Bomben vom Typ »B61« zwar erst im Herbst 2019 mit einem Militärtransporter in die USA geflogen worden, wo ihre Software erneuert worden sein soll. Doch ist, wie Fachleute bestätigen, geplant, sie gegen Bomben vom Typ »B61-12« auszutauschen. Diese sind nicht nur lenkbar, ihre Sprengkraft lässt sich auch variieren. Sie können damit als sogenannte Mininukes verwendet werden – Atomwaffen mit vergleichsweise geringer Wirkung, von denen Strategen meinen, man könne mit ihnen »begrenzte« Atomkriege führen. Dies senkt die Hemmschwelle für den Einsatz. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete im Juni, die NATO stelle sich mittlerweile darauf ein, etwa »in einer Auseinandersetzung mit Russland früher als bisher mit nuklearer Vergeltung« zu drohen, da man die totale Eskalation so womöglich vermeiden könne.
Jenseits der »nuklearen Teilhabe« ist immer wieder auch ein mehr oder weniger direkter deutscher Zugriff auf Atomwaffen im Gespräch. Begründet wird dies damit, man könne sich – die erratische Politik der Trump-Regierung zeige es – nicht mehr auf den nuklearen »Schutzschirm« der Vereinigten Staaten verlassen.
Zuweilen wird in diesem Zusammenhang die Forderung nach einer deutschen Bombe laut. So erklärte etwa im Juli 2018 der emeritierte Bonner Politikprofessor Christian Hacke, man müsse die Frage »öffentlich ohne Vorbehalte und Scheuklappen diskutieren: Wie halten wir es mit einer potentiellen Atommacht Deutschland?« Den meisten ist dies jedoch – noch – zu heikel. Immer wieder heißt es, die Bundeswehr solle mit Blick auf die »Force de frappe« auf die eine oder andere Weise Einfluss auf Frankreich ausüben, vielleicht gar mitbestimmen können – am besten auf dem Umweg über die EU. Anfang des Jahres etwa hatte Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für Außen- und Militärpolitik, verlangt, die BRD müsse »eine Zusammenarbeit mit Frankreich bei den Nuklearwaffen ins Auge fassen« – eventuell unter EU-Kommando.
Zuletzt hat sich Thomas Enders, bis 2019 Vorstandsvorsitzender von Airbus, seit gut einem Jahr Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), in diesem Sinne geäußert. Enders sprach sich für »eine Nuklearkooperation zwischen Frankreich und Deutschland« aus. Die Bundesrepublik könne dabei zwar vielleicht kein »Mitsprache- oder gar ein Vetorecht über den Einsatz französischer Nuklearwaffen fordern«. Doch eine »deutsche Mitwirkung an Strategie, Einsatzgrundsätzen und bei den Trägermitteln« sei »durchaus vorstellbar und realisierbar«. »Natürlich« müsse Berlin »zur Mitfinanzierung der französischen Nuklearstreitkräfte bereit sein«, erklärte Enders – denn wer zahlt, bestimmt bekanntlich die Musik. Letztlich werde auch die EU profitieren können, da »der Aufbau einer schlagkräftigen Europäischen Verteidigungsunion ohne nukleares Backing schlechterdings nicht vorstellbar« sei.
Und die »friedliche Welt ohne Atomwaffen«, für die Maas auf Facebook warb? Nun, Facebook ist für das Publikum. Kaum hatte der Außenminister sein Sprüchlein gepostet, klang er schon ganz anders. Deutschland solle keinesfalls im Alleingang die Finger von der Bombe lassen, äußerte er, als er das Friedensmuseum von Hiroshima verlassen hatte: »Wenn sie verschwinden sollen, dann sollen sie überall verschwinden.« Damit aber ist ein zweiter deutscher Atomausstieg, einer aus der »nuklearen Teilhabe« und anderen Formen eines deutschen Zugriffs auf Nuklearwaffen, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
Hintergrund: Verbotsvertrag für Atomwaffen
Ein klarer Fall, sollte man meinen: Laut einer repräsentativen Umfrage, die Anfang Juli im Auftrag von Greenpeace durchgeführt wurde, sprechen sich 92 Prozent aller Bundesbürger für die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags durch die BRD aus. Der Vertrag untersagt den Unterzeichnern kategorisch Entwicklung, Test, Produktion, Erwerb, Lagerung, Stationierung und Einsatz von Nuklearwaffen. Auch die Drohung damit ist verboten.
Eine gute Idee, befand schon im November vergangenen Jahres beispielsweise die EKD-Synode, die die Bundesregierung explizit aufforderte, »konkrete Schritte einzuleiten mit dem Ziel, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen«. Am Dienstag schloss sich nun auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, Präsident der katholischen Organisation Pax Christi, der Forderung an: »Die Menschen, die im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki ihr Leben verloren«, erklärte er, »mahnen uns alle eindringlich, für Abrüstung und für eine Welt ohne Atomwaffen einzutreten«.
Der Atomwaffenverbotsvertrag ist am 7. Juli 2017 in New York von 122 Staaten verabschiedet worden. Den Anstoß dazu hatte der weltweit wachsende Unmut darüber gegeben, dass die fünf offiziellen Atommächte – USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich – ihrer Verpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag nicht nachkommen, systematisch eine »vollständige Abrüstung« zu betreiben. Unterzeichnet haben das Abkommen mittlerweile 82 Staaten, ratifiziert haben es 40. Es tritt 90 Tage nach der 50. Ratifizierung in Kraft. Allerdings fehlen auf der Unterzeichnerliste, wie nicht anders zu erwarten, genau diejenigen Länder, auf die es ankäme: die neun Staaten, die Atomwaffen besitzen. Die NATO-Staaten boykottieren den Verbotsvertrag komplett – auch Deutschland. Die Bundesregierung hatte im Oktober 2016 sogar noch versucht, mit ihrem Votum in der UN-Vollversammlung die offizielle Aufnahme von Verhandlungen über das Abkommen zu verhindern. Gelungen ist ihr das glücklicherweise nicht. (jk)
Die “Koalition der Entschlossenen” (05.08.2020)
Außenpolitiker fordern zwecks Durchsetzung der EU im Machtkampf zwischen den USA und China eine “kerneuropäische” Avantgarde.
BERLIN (Eigener Bericht) – Deutsche Außen- und Militärpolitiker dringen auf ein weltpolitisch ausgreifendes Auftreten der EU und schlagen das Vorpreschen einiger weniger Mitgliedstaaten als “Koalition der Entschlossenen” vor. Verharre man in der EU-Außenpolitik beim bisher gültigen Einstimmigkeitsprinzip, dann werde die Union sich im globalen Machtkampf nicht durchsetzen können, heißt es etwa in aktuellen Stellungnahmen aus der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Berlin und Paris müssten die Initiative für eine “kerneuropäische” Avantgarde ergreifen. Hintergrund ist die Befürchtung deutscher Außenpolitiker, im Konflikt zwischen den USA und China Einfluss zu verlieren. China sei ein “Systemrivale”, dem man sich in mancher Hinsicht entschlossen widersetzen müsse, erklärt der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth; es sei zugleich aber auch ein ökonomisch “wichtiger Partner”. Die USA wiederum, urteilt der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, seien “wirtschaftlich ein immer schwierigerer Konkurrent”; Wadephul warnt vor einer Eskalation transatlantischer Konflikte und vor US-Versuchen, strategische High-Tech-Konzerne in der EU zu übernehmen.
“Politischer Rivale”
Ausgangspunkt der aktuellen Debatte über die strategische Orientierung der EU ist zum einen der immer noch anhaltende Aufstieg Chinas. Das Land “meldet sich … auf der Weltbühne”, konstatierte bereits im Frühjahr Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, ehemaliger Vizepräsident (2013 bis 2015) der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), heute Vorsitzender von deren “Freundeskreis”. Mit Blick auf die “Neue Seidenstraße” urteilte Staigis, China dränge “mit seiner ökonomischen Macht bis auf den europäischen Kontinent”; es sei dabei “nicht nur Handelspartner”, sondern werde “auch politischer Rivale”.[1] Hinzu komme, stellte kürzlich Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für Äußeres und Verteidigung, auf einer internen Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) fest: “Unsere Vorsprünge gegenüber China und anderen asiatischen Staaten im wirtschaftlichen und technologischen Bereich schwinden.”[2] “Europa” müsse mit Blick insbesondere auf den Aufstieg der Volksrepublik “seine Widerstandsfähigkeit stärken”, erklärte am Wochenende der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth: “Wir brauchen dringend mehr europäisches Handeln im Umgang mit China.”[3] Die EU dürfe sich “nicht auseinander dividieren lassen”; eine “konsequente ‘Team-Europa-Politik'” in die Wege zu leiten sei “eine Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft”.
“Ökonomischer Partner”
Roth äußerte zugleich: “Das Verhältnis der EU zu China ist kompliziert.” Das Land sei nicht nur “Systemrivale”, sondern auch ein “wichtiger Partner”, auf den man im “Kampf gegen den Klimawandel” oder auch bei der “Lösung regionaler Konflikte” – als klassisches Beispiel gilt der Konflikt mit Nordkorea -, ganz besonders aber auf ökonomischem Feld nicht verzichten könne: “Unsere Volkswirtschaften sind miteinander verflochten, Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse.”[4] Damit bestätigt Roth Positionen, wie sie etwa in der deutschen Industrie vertreten werden, die in wachsendem Maß vom Chinageschäft abhängig ist; so hatte kürzlich etwa Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), mit Blick auf den wachsenden Anteil der Volksrepublik am Generieren von Absatz und Profit deutscher Firmen konstatiert: “China mag ein systemischer Rivale sein – es bleibt ein wichtiger Partner für die EU und für Deutschland.”[5] Entsprechend bekräftigte Staatsminister Roth am Wochenende: “Eine möglichst weitgehende ‘Entkopplung’ [“decoupling”, d. Red.] von China, wie es den USA vorschwebt, ist für die EU … keine Option.” “Politisch und wirtschaftlich” führe gegenwärtig “an China kein Weg vorbei”: “Zusammenarbeit ist Notwendigkeit und Chance zugleich.”
“Schwieriger Konkurrent”
Plädieren Berliner Regierungspolitiker gegenüber China zumeist für einen Mix aus Kooperation und Konfrontation, so sind bezüglich der USA immer häufiger skeptische Äußerungen zu hören, nicht zuletzt aus den traditionell transatlantisch orientierten Unionsparteien. “Im direkten Vergleich zwischen China und den USA” drohe “das Bild eines egoistischen, isolationistischen, sklerotischen (und kranken!) Hegemons von gestern (USA) konstrastiert zu werden mit einem solidarischen, global agierenden, dynamischen (und dank besseren Vorgehens: schnell genesenen) Weltenretters von morgen (China)”, klagt etwa der CDU-Außenpolitiker Wadephul.[6] “Unser transatlantischer Partner”, die Vereinigten Staaten, seien “wirtschaftlich ein immer schwierigerer Konkurrent”; habe man sich im Handelskonflikt bisher “in erster Linie um Absatzzahlen und Import-Export-Saldi” gestritten, “so könnte es zukünftig um den Besitz von als strategisch wichtig definierten High-Tech-Unternehmen (u.a. Biotech) gehen”. Wadephul spielt damit auf die – gescheiterten – Pläne der Trump-Administration an, den deutschen Impfstoffhersteller CureVac oder die Telekomkonzerne Nokia (Finnland) sowie Ericsson (Schweden) mit ihren 5G-Kapazitäten aufzukaufen. Der CDU-Politiker warnt vor einem transatlantischen “Kampf um Unternehmen und Technologien” – sowie davor, dass andere “latent schwelende oder auch offen ausgetragene transatlantische Differenzen eskalieren” könnten. Dies beträfe womöglich die Auseinandersetzungen um die Iranpolitik [7] oder den Streit um die deutsch-russische Erdgaspipeline Nord Stream 2.[8]
Lackmustest 5G
Um sich im globalen Machtkampf durchsetzen zu können – insbesondere mit Blick auf den rasant eskalierenden Konflikt zwischen den USA und China -, plädieren führende Berliner Außenpolitiker für eine energische Stärkung der EU. “Wirtschaftlich” sei die Union “- noch – eine Macht”, urteilt etwa Wadephul, dringt jedoch darauf, es müsse dringend “geprüft werden”, welche “Schlüssel-Fähigkeiten und -Kapazitäten in der EU verbleiben bzw. in die EU zurück geholt werden sollten”, um “eine größere Autonomie und Unabhängigkeit der europäischen Wirtschaft und Industrie” zu erreichen. Mit Blick auf Niedriglohnländer unmittelbar jenseits der EU erklärt Wadephul, es sei unter Umständen auch eine Verlagerung “in enge europäische Partnerländer (Türkei, Ukraine etc.)” denkbar.[9] Staatsminister Roth dringt ebenfalls darauf, es müsse “Anspruch” der Union sein, “Schlüsseltechnologien selbst zu beherrschen und in Europa zu besitzen”. Um dies zu erreichen, seien “eine strategischere Industriepolitik, massive Investitionen in Forschung und Entwicklung” sowie “ein einheitlicher digitaler Binnenmarkt” notwendig.[10] Roth erklärt in diesem Kontext “die 5G-Frage … zum Lackmustest für das Ziel einer stärkeren europäischen Souveränität”; mit Blick auf die 5G-fähigen Telekomkonzerne Nokia und Ericsson äußert der Außenstaatsminister: “Europäische Alternativen stehen bereit und sind technologisch weltweit führend.”
Kerneuropa
Herrscht bezüglich der notwendigen Maßnahmen zur ökonomischen Stärkung der EU relative Einigkeit, so werden bezüglich der außen- und militärpolitischen Stärkung mittlerweile durchaus strittige Maßnahmen diskutiert. Über die aktuelle Lage der EU äußert Wadephul: “Außenpolitisch ist sie bestenfalls eine Regionalmacht, sicherheitspolitisch ein Zwerg”; sie sei “nicht einmal in der Lage, im nahen Umfeld (Syrien, wohl auch Libyen) Sicherheit und Stabilität für Europa zu schaffen”.[11] Als Hindernis auf dem Weg zu größerer Machtentfaltung gilt in Berlin mittlerweile weithin der Zwang zur Einstimmigkeit bei außen- und militärpolitischen Entscheidungen der EU. Abhilfe könne es nur geben, hatte Ex-BAKS-Vizepräsident Staigis schon im Frühjahr geäußert, wenn “einige EU-Staaten … voranschreiten und den Kurs vorzeichnen” – in etwa so, wie die CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers es schon 1994 unter dem Stichwort “Kerneuropa” skizziert hätten.[12] Leisten müssten dies nun “Deutschland und Frankreich”, urteilte Staigis – “unter Mitnahme von weiteren EU-Staaten, die bereit sind, mit voranzugehen”.
Weltpolitikfähigkeit
Der Forderung hat jetzt BAKS-Präsident Ekkehard Brose Nachdruck verliehen. “Außenpolitik auf der Basis europäischer Mehrheitsentscheidungen” bleibe “auf absehbare Zeit … unrealistisch”, schreibt Brose in einer aktuellen Stellungnahme: “Für eine europäische Weltpolitik-Fähigkeit” sei daher “eine ‘Koalition der Entschlossenen'” unverzichtbar. Deren Kern müssten “Deutschland und Frankreich” bilden.[13] Ein außenpolitisches Voranpreschen einiger Mitgliedstaaten werde allerdings “seinen Preis” haben, denn es “belastet den Zusammenhalt der EU”, schreibt der BAKS-Präsident. Deshalb werde es darauf ankommen, “Kraft und Handlungswillen einer solchen Gruppe von Mitgliedstaaten … mit dem EU-Gesamtrahmen zu verbinden”. Dazu sei “Phantasie” nötig. Konkretere Vorschläge bleiben bislang – noch – aus.
Deutschland im Hohen Norden (04.08.2020)
Die Bundesrepublik beteiligt sich zunehmend militärpolitisch am Machtkampf um die Arktis.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die Bundesrepublik wird in Zukunft militärpolitisch enger mit den Staaten Nordeuropas kooperieren und damit in den Machtkampf um die Arktis eingreifen. Wie das Bundesverteidigungsministerium berichtet, hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausführlich mit ihren Amtskollegen in Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark konferiert; die vier nordeuropäischen Staaten haben umfangreichere militärische Aktivitäten im Hohen Norden in Aussicht gestellt. Ursache ist, dass wegen des Klimawandels die Eismassen in der Arktis schmelzen und sowohl den Zugriff auf große Rohstofflagerstätten als auch neue Seewege freigeben. Laut Experten könnten die arktischen Gewässer schon 2030 im Spätsommer gänzlich eisfrei sein. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Rivalität um Einfluss in den Arktisregionen rasant an Schärfe. Während China sich um eine “Polare Seidenstraße” bemüht, haben das Pentagon und jüngst auch die U.S. Air Force eine Arktisstrategie publiziert. Auch Russland mit seiner langen Nordküste ist involviert.
Rohstoffe und Seewege
Hintergrund der zunehmenden Machtkämpfe in der Arktis ist, dass das Polargebiet durch das Abschmelzen der dortigen Eismassen für Aktivitäten verschiedenster Art zugänglich wird. Schon im vergangenen Jahrhundert hat das Volumen des arktischen Eises um annähernd 75 Prozent abgenommen. Weil die Erwärmung durch den Klimawandel in der Arktis deutlich stärker ausfällt als im globalen Durchschnitt, halten Experten es mittlerweile für denkbar, dass die Region bereits im Jahr 2030 im Spätsommer komplett eisfrei sein wird.[1] Dies erlaubt den Zugriff auf neue Rohstofflagerstätten. Bereits heute werden weltweit rund zehn Prozent des Erdöls und 25 Prozent des Erdgases in der Arktis gefördert, der größte Teil davon in Sibirien und in Alaska. Laut einer Schätzung des U.S. Geological Survey könnten rund 13 Prozent der noch nicht erkundeten Erdöl- und rund 30 Prozent der noch nicht erkundeten Erdgasvorräte weltweit nördlich des Polarkreises lagern – der größte Teil davon unter dem Meer, allerdings in weniger als 500 Meter Wassertiefe. Dabei konzentrierten sich die Erdgasvorkommen vor allem unter russischen Gewässern, vermutet der U.S. Geological Survey.[2] Hinzu kommt, dass durch das Abschmelzen des Polareises neue Seewege in der Arktis befahrbar werden; dies eröffnet neue Handlungsoptionen – für den Welthandel, aber auch für das Militär.
Die Nordostpassage
Praktische Aktivitäten hat es bislang weniger bei der Rohstoffförderung gegeben. So hat etwa der Shell-Konzern Erkundungen in Alaska wegen mangelnder Erfolge eingestellt. Ein aussichtsreiches Projekt in der russischen Karasee, das Rosneft gemeinsam mit dem US-Konzern ExxonMobil gestartet hatte, musste im Jahr 2014 wegen der gemeinsamen Russlandsanktionen der Vereinigten Staaten und der EU eingestellt werden.[3] Erste Entwicklungen gibt es jedoch bei der Nutzung der arktischen Seewege. So legen seit 2014 jährlich 20 bis 30 Frachtschiffe die “Nordostpassage” zurück – die Seeverbindung aus dem europäischen Nordmeer entlang der russischen Nordküste bis in die Gewässer Nordostasiens. Noch ist die Route wegen des bislang verbliebenen Eises und der schlecht ausgebauten Infrastruktur für den Handel nicht rentabel; allerdings zeichnet sich für sie inzwischen trotz aller Schwierigkeiten eine gewisse Perspektive ab – sie ist für den europäischen Ostasienhandel kürzer als die Strecke durch den Indischen Ozean und das Mittelmeer.[4] Hinzu kommt – besonders aus chinesischer Sicht -, dass sie helfen könnte, Meerengen wie die Straße von Malakka und den Suezkanal zu meiden, die im Konfliktfall von den Vereinigten Staaten gesperrt werden könnten.
Militärische Arktisstrategien
Trotz der noch vergleichsweise schwachen praktischen Nutzung der arktischen Gewässer ist in den vergangenen Jahren der Machtkampf um die Region deutlich schärfer geworden. China, seinerseits kein Arktis-Anrainer, hat sich zum “arktisnahen Staat” erklärt, kooperiert mit Russland bei der Rohstoffförderung und strebt die Anbindung arktischer Regionen mit einer “Polaren Seidenstraße” an; dazu gehört auch das Bemühen um Zusammenarbeit mit Island und Grönland.[5] Russland hält regelmäßig Manöver in arktischen Regionen ab; diese zielen nicht zuletzt darauf, die Schließung der “GIUK-Lücke” (Greenland – Iceland – UK) und damit des Zugangs der russischen Nordflotte zum Nordatlantik durch die NATO zu verhindern.[6] Auch die Vereinigten Staaten und andere NATO-Mitglieder (Kanada, Norwegen, Dänemark) rüsten stärker für die Kriegführung in polaren Regionen auf. Das Pentagon hat im Juni 2019 eine eigene Arktisstrategie publiziert [7]; im Juli hat dies nun auch die U.S. Air Force getan [8]. Darüber hinaus streben die Staaten Nordeuropas – Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark – eine eigene, explizit gegen Russland gerichtete enge Militärkooperation mit Blick auf den Hohen Norden an.[9]
“Intensiver mit der Region befassen”
Daran knüpft nun die Bundesregierung an. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte, wie das Verteidigungsministerium berichtet, ursprünglich “im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine große Reise durch die nordischen Staaten geplant”, um bei ihnen für eine engere militärpolitische Kooperation zu werben.[10] Wegen der Covid-19-Pandemie musste die Reise durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt werden. In diesem Rahmen führte Kramp-Karrenbauer nicht nur Gespräche mit ihren nordischen Amtskollegen; sie nahm darüber hinaus an Onlineveranstaltungen außen- und militärpolitischer Think-Tanks in Helsinki, Stockholm, Oslo sowie Kopenhagen teil. “Mehrere große Tageszeitungen druckten Namensartikel der Ministerin”, berichtet das Bundesverteidigungsministerium, “um ihre Botschaften einem breiten Publikum zu vermitteln”. Die NATO müsse sich künftig “intensiver mit der Region befassen”, erklärte Kramp-Karrenbauer in einer Videokonferenz mit dem NATO Joint Warfare Centre im norwegischen Stavanger. In der Einrichtung sind laut Angaben des Verteidigungsministeriums rund 40 Soldaten der Bundeswehr aktiv. Geführt wird sie seit einem guten Jahr von Jan Christian Kaack, einem Konteradmiral der deutschen Marine.
Manöver mit der Bundeswehr
Auch die Bundeswehr bereitet sich schon längst auf potenzielle Operationen in der Arktis vor. Seit Jahren nehmen deutsche Soldaten an Kriegsübungen nördlich des Polarkreises teil (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Bei der Bundesregierung ist vom “gegenseitigen Erfahrungsaustausch”, von der “Inübunghaltung eigener Fähigkeiten unter besonderen klimatischen und geografischen Bedingungen” die Rede.[12] Dieses Jahr beteiligten sich deutsche Militärs zunächst an dem Manöver “Cold Response 2020” im Norden Norwegens, das Mitte März freilich wegen der Covid-19-Pandemie abgebrochen werden musste. Im Juli nahm die deutsche Marine vor der Küste Islands an der Kriegsübung “Dynamic Mongoose 2020” teil, bei der unter anderem der “U-Boot-Krieg hoher Intensität” geprobt wurde; er soll im Kriegsfall dazu beitragen, russische Kriegsschiffe an der Einfahrt in den Nordatlantik zu hindern (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Damit nimmt die Bundesrepublik am Machtkampf um die Arktis auch auf militärpolitischer Ebene teil.
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Flüchtiges Kapital einfangen
Russisches Finanzministerium droht EU-Steuerparadiesen mit Aufkündigung von Doppelbesteuerungsabkommen. Abgaben auf Profite würden steigen
Von Reinhard Lauterbach
Russland hat angekündigt, das seit 20 Jahren geltende Doppelbesteuerungsabkommen mit Zypern aufzukündigen. Gespräche mit der zypriotischen Seite über eine Anpassung der örtlichen Sätze der Kapitalertragssteuern an das russische Niveau seien ergebnislos verlaufen, sagte der russische Vizefinanzminister Alexej Sasanow am Montag. Damit soll einer der beliebtesten Standorte für russische Offshoreinvestitionen seine Attraktivität für russisches Fluchtkapital verlieren. Ähnliche Pläne hatte das Ministerium im Juni auch gegenüber Malta angekündigt.
Zypern erhebt auf Kapitalerträge maximal zehn Prozent Steuern, Einnahmen aus Kreditzinsen sind sogar völlig steuerfrei. Es lag also aus Sicht eines russischen Kapitalisten nahe, in Zypern eine Holding oder Muttergesellschaft zu gründen, die zum Beispiel Kredite an ihre Tochterfirmen in Russland vergeben oder Lizenzgebühren für fragwürdige Leistungen, etwa die Erlaubnis zur Nutzung eines Markennamens, fordern. Das in Russland tätige Unternehmen kann diese Kosten von der örtlichen Steuer absetzen, das zypriotische kassiert sie steuerfrei oder für symbolische Sätze. Dabei sind die Steuern auf Kapitalerträge in Russland auch nicht hoch: Sie betragen im Regelfall 15 Prozent, der Höchstsatz liegt bei 20 Prozent.
Im Zuge dieser Steuervermeidungsstrategie haben russische Unternehmen Zypern zu ihrem beliebtesten Auslandsstandort gemacht: Nach Angaben der russischen Zentralbank gingen 2019 zwei Drittel der Auslandsinvestitionen russischer Unternehmen auf die Insel im östlichen Mittelmeer. Allein 2019 sind nach Angaben der Zentralbank umgerechnet 27 Milliarden US-Dollar auf zypriotische Konten geflossen. Neben den niedrigen Steuern wissen russische Investoren in Zypern auch das am britischen Vorbild orientierte Wirtschaftsrecht und die Mitgliedschaft des Landes in EU und Euro-Gruppe zu schätzen. Lange Zeit – bevor die EU-Kommission hiergegen vorgegangen ist – konnten Angehörige von Drittstaaten in Zypern für Investitionen im Umfang eines Ferienhauses auch gleich noch die Staatsbürgerschaft für sich und ihre Familie bekommen. Prominente Sekundärzyprioten sind die Oligarchen Oleg Deripaska aus Russland und Igor Kolomojskij aus der Ukraine.
Zypern gilt dabei aus russischer Sicht nicht als eigentliche Steueroase. Vielmehr dienen seine Banken nach Darstellung des russischen Finanzministeriums eher als Transitstation, über die russisches Fluchtkapital dann in die eigentlichen schwarzen Löcher des Weltfinanzmarkts weitergeleitet wird: Bahamas, Seychellen, Britische Jungferninseln und dergleichen. Zypern ist nicht das einzige EU-Land, das sein Sozialprodukt auf diese Weise aufpäppelt. Die Niederlande und natürlich Luxemburg leisten ihm dabei Gesellschaft.
Offiziell verfolgt Russland mit der Aufkündigung des Steuerabkommens mit Zypern ein hehres Ziel: Es sollen Mittel für die Bekämpfung des Coronavirus und für die Auszahlung von Sozialleistungen an Familien und Arbeitslose beschafft werden. Im Kleingedruckten sieht das Bild etwas anders aus, denn es geht Russland auch darum, seinen eigenen Sonderwirtschaftszonen in der Konkurrenz zu den ausländischen zu mehr Attraktivität zu verhelfen. Solche Zonen wurden seit 2018 in Wladiwostok und im Gebiet Kaliningrad ausgerufen – explizit mit dem Ziel, russisches Fluchtkapital in die »Heimat« zurückzuholen. Bisher blieb der Erfolg dieses Versuchs aber offenbar überschaubar. So rühmte sich die Sonderwirtschaftszone in Kaliningrad letztes Jahr, dass dort 30 Gesellschaften tätig seien.
Das Problem ist, dass Russland seine Kapitalflüchtlinge nicht zwingen kann, ihr Geld aus dem Ausland zurückzubringen. Je mehr es die eigenen Steuern erhöhen würde, desto stärker würde der Anreiz für die Unternehmen, erst recht in solche internationalen Strukturen zu investieren. Der einzige Hebel – der offenbar auch gegenüber Zypern angesetzt wird – ist die relative Bedeutung russischer Investitionen für die Zielländer. So betragen nach Angaben der russischen Zentralbank die russischen Gesamtinvestitionen in Zypern 190 Milliarden US-Dollar – das Achtfache des Sozialprodukts der Insel, auf der ja außer Finanzgeschäften und Tourismus wirtschaftlich nicht viel passiert.
An anderer Stelle hat Russland auf diesem Feld durchaus kleine Erfolge verzeichnet. Drei britische Steueroasen, die Inseln Man, Jersey und Guernsey, haben sich entschieden, entgegen der Forderung der Londoner Zentralregierung am Datenaustausch zwischen ihren Banken und den russischen Finanzbehörden festzuhalten. Auf diese Weise vermeiden diese notorischen Steueroasen, auf eine schwarze Liste des russischen Finanzministeriums zu geraten. Dort zu stehen, hat allerdings auch keine schlimmeren Folgen für Investoren: Russland hat – außer für Politiker, wo ein entsprechendes Verbot jetzt Verfassungsrang besitzt – alle Beschränkungen für den Besitz von Konten im Ausland im Januar gerade erst aufgehoben.
Söldneraffäre in Minsk
Vor den Wahlen in Belarus: 33 Russen wegen angeblich geplanter »Provokationen« verhaftet
Von Reinhard Lauterbach
Zehn Tage vor der Präsidentenwahl in Belarus haben die Behörden 33 Russen festgenommen. Sie werfen ihnen vor, »Provokationen« geplant zu haben, um »die Lage im Land zu destabilisieren«. Die Männer sollen für die private Sicherheitsfirma »Wagner« arbeiten. Das Unternehmen gehört angeblich dem Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin, der hauptsächlich das Catering für Empfänge im Kreml betreibt und deshalb auch als »Putins Küchenchef« bezeichnet wird. Die Söldner von »Wagner« sollen in der Vergangenheit an jenen Orten für russische Interessen gekämpft haben, wo es dem Kreml darum gegangen sei, eine offene Verwicklung bestreiten zu können und Verluste nicht politisch verantworten zu müssen: im Donbass, in Syrien oder Libyen.
Die Festnahme selbst erfolgte in der Nacht zum Mittwoch in einem Kurhotel am Stadtrand von Minsk. Wie belorussische Medien berichteten, hatten 32 der Männer dort am Montag eingecheckt und waren der Leitung der Einrichtung durch ein »für russische Touristen unübliches Verhalten« aufgefallen: kein Alkohol, zurückhaltendes Auftreten, gemeinsamer Frühsport und Spaziergänge in der Umgebung in Gruppen, angeblich, um »das Terrain zu sondieren«. Ein weiterer Verdächtiger wurde in einem Dorf im Gebiet Gomel verhaftet.
Eine russische Reaktion ließ mehr als 24 Stunden auf sich warten. Am Donnerstag bestätigte das Außenministerium in Moskau, dass die Festgenommenen Angestellte eines privaten Sicherheitsunternehmens seien. Sie seien im Rahmen eines beruflichen Auftrags im Transit durch Belarus gereist und hätten in Minsk den gebuchten Flug nach Istanbul verpasst. Entsprechende Dokumente lägen der russischen Seite vor. In dem Kurhotel hätten sie eingecheckt, um auf die nächste Fluggelegenheit zu warten. Am Freitag forderte Moskau dann die Freilassung der mutmaßlichen Söldner. Die Vorwürfe gegen die Männer seien »unbegründet«, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. »Wir hoffen, dass unsere belorussischen Verbündeten diesen Vorfall so bald wie möglich erklären werden und dass unsere Staatsbürger freigelassen werden«, sagte er vor Journalisten.
Der belorussische Außenminister Wladimir Makej forderte Kiew auf zu ermitteln, ob unter den Festgenommenen Personen seien, die sich in der Ukraine strafbar gemacht hätten. Kiew ließ sich nicht lange bitten und verlangte die Auslieferung einiger der Festgenommenen. Es wirft ihnen vor, im Donbass auf der Seite der Aufständischen gekämpft zu haben.
Die liberale Moskauer Nowaja Gaseta bestätigte die Vorwürfe anhand von ihr zugespielten Dokumenten. Demnach soll einer der Männer Anfang 2015 in der »Volksrepublik Lugansk« verwundet und anschließend in Russland medizinisch behandelt worden sein. Als Quelle gab die Zeitung undichte Stellen bei »Wagner« an.
Die als kremlnah geltende Zeitung Komsomolskaja Prawda spekulierte ihrerseits über eine mögliche ukrainische Provokation: Die Namensliste der Festgenommenen sei Wort für Wort von der ukrainischen Prangerwebseite myrotvorets.center – deren Betreiber Verbindungen zum Inlandsgeheimdienst haben sollen – übernommen worden, die Eigennamen teilweise in ukrainischer Rechtschreibung aufgeführt. Im übrigen sei der Transit russischer Söldner durch Belarus in der Vergangenheit nicht unüblich und sowohl unter den Geheimdiensten als auch »auf höchster politischer Ebene abgesprochen« gewesen. Letztere Behauptung wies der Sekretär des belorussischen Sicherheitsrates, Anton Rawkow, am Mittwoch zurück.
In belorussischen Medien hieß es, die Affäre könnte von den Behörden des Landes inszeniert worden sein, um eventuell die Präsidentschaftswahlen abzusagen oder den Ausnahmezustand zu verhängen. Zumal behauptet wurde, es seien insgesamt »etwa 200« Söldner eingereist, so dass bei Bedarf weitere Festnahmen nachgeschoben werden könnten.
Die oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja warf Präsident Alexander Lukaschenko vor, die Söldneraffäre ihrem Mann »anhängen« zu wollen. In der Tat eröffnete die Minsker Staatsanwaltschaft gegen den Ende Mai wegen angeblichen Widerstands gegen Vollzugsbeamte verhafteten Blogger Sergej Tichanowski inzwischen im Zusammenhang mit der Söldnergeschichte Ermittlungen wegen »schweren Landfriedensbruchs« und »Anstiftung zu inneren Unruhen«.
Wirtschaftlicher Druck
Söldneraffäre: Moskau zeigt sich verärgert gegenüber Belarus. Minsk verrät ungewollt Inszenierung
Von Reinhard Lauterbach
Russland hat sich inzwischen offenbar von der Überraschung über die Festnahme von 33 russischen Staatsbürgern am 29. Juli als angebliche Unruhestifter in Belarus erholt. Durch mehrere kleinere Äußerungen heizt Moskau den Streit mit dem Nachbarland seit dem Wochenende an. Nicht nur, dass der russische Botschafter in Minsk, Dmitri Mesenzew, nunmehr die »unverzügliche Freilassung« der mutmaßlichen Söldner fordert und damit eine Kompetenz beansprucht, für die formal allenfalls ein Minsker Gericht zuständig sein kann. Auch ein russischer Konsularbeamter, der in der Nacht von Freitag zu Sonnabend die Inhaftierten besucht hatte, nannte im Anschluss die gegen sie vorgebrachten Beschuldigungen »ausgedacht und an den Haaren herbeigezogen«.
Parallel zu diesen diplomatischen Unfreundlichkeiten setzte Russland wirtschaftliche Maßnahmen gegen das westliche Nachbarland ein. Angeblich im Zeichen der Coronavirusprophylaxe wurden an der normalerweise frei passierbaren Grenze zwischen beiden Ländern die Kontrollen wieder eingeführt. Einige belarussische Medien sprachen sogar davon, dass Moskau die Grenze geschlossen habe. Aber auch die Kontrollen schädigen belarussische Bürger und Unternehmen: Rund eine Million Belarussen arbeiten in Russland, das Land ist mit 75 Prozent seiner Ausfuhren vom Export ins Nachbarland abhängig. Ein ähnliches Manöver hatte Russland im Sommer 2013 gegenüber der Ukraine vollführt, die damals mit der EU über ein Assoziierungsabkommen verhandelte.
Auf der anderen Seite erhöhte auch der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko den Einsatz. Auf einer Besprechung mit dem Geheimdienstchef forderte er die Beamten auf, mit den Festgenommenen »behutsam« umzugehen – soll wohl heißen, sie nicht zu Geständnissen zu zwingen. Es handle sich bei den Festgenommenen um »Soldaten, die nur ihre Befehle ausgeführt hätten«. Ihre Schuld sei geringer als die ihrer Auftraggeber, drehte Lukaschenko die Argumentation in Richtung eines irgendwie gearteten politischen Arrangements, in dem die Männer nur das Faustpfand sind.
Ungewollt hat derweil die belarussische Regierung die mutmaßliche Inszenierung des Vorfalls zugegeben. Schon am vergangenen Donnerstag lud Außenminister Wladimir Makej den ukrainischen Botschafter in Minsk zu einem Gespräch ein und forderte ihn auf, dafür zu sorgen, dass die ukrainischen Behörden ermittelten, ob gegen einzelne der Festgenommenen in der Ukraine etwas vorliege. Das ist vom Standpunkt der Tatsache, dass jedem Staat zunächst einmal der eigene Strafanspruch vorgeht und den Festgenommenen nicht nächtlicher Lärm, sondern Vorbereitung zum schweren Landfriedensbruch vorgeworfen wird, schon erstaunlich. Dem Nachbarland wird praktisch die Auslieferung einer beliebigen Anzahl der Verdächtigen angeboten, um sie selbst aus Belarus und außerhalb der Reichweite der eigenen Justiz zu bringen.
Was Russland besonders ärgern dürfte: Offenbar hat sich die belarussische Seite entschlossen, die Festgenommenen der Ukraine sozusagen zum Fraß vorzuwerfen. Wie das russische Portal Eurasia Daily News Agency am 1. August meldete, sind die neun mutmaßlichen Donbass-Kämpfer, deren Auslieferung die Ukraine nun beantragen will, offenbar erst auf Grundlage der unmittelbar nach der Verhaftung der Männer in Belarus veröffentlichten Namen auf der ukrainischen Seite »Mirotworez« aufgenommen worden. Das Portal stellt nach eigener Aussage »Feinde der Ukraine« an den Pranger.
Lukaschenkos Schaukelpolitik
Präsidentschaftswahl Belarus: Anzeichen wachsen, dass Moskau des amtierenden Staatschefs überdrüssig ist
Von Reinhard Lauterbach
Manchmal wiederholt sich die Geschichte doch, zumindest scheinbar. Im Sommer 2013 gelangte ein Memorandum des »orthodoxen Oligarchen« Konstantin Malofejew an den Kreml in die Öffentlichkeit, das die russische Politik gegenüber der Ukraine unter dem damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch kritisierte. Janukowitsch sei ein unsicherer Kantonist, dem die erforderliche »Charakterstärke« fehle und dem nicht zu trauen sei, weil er immer dem Meistbietenden zuneige; Russland habe im Vertrauen auf ihn über Jahre versäumt, sich in der Ukraine eine wirklich auf Moskau orientierte Kraft heranzuziehen.
In bezug auf Belarus sieht es ebenfalls so aus, als habe in Moskau jahrzehntelang diese »Sünde der Trägheit« geherrscht. Schließlich beteuerte Präsident Alexander Lukaschenko immer sein »brüderliches« Verhältnis zu Russland – und Moskau setzte auf die wirtschaftlichen »Sachzwänge«. Womöglich war das falsch. Genauso, dass die Regierung Russlands 22 Jahre lang geglaubt hat, die Eliten der Ukraine auch über vergünstigte Energiepreise an sich binden zu können, bezahlte man für die politische Loyalität seines letzten europäischen Verbündeten in Minsk mit ermäßigten Preisen für Öl und Gas. Und jetzt, wo Moskau sich diese Rabatte, an denen die Existenz der unabhängigen Republik Belarus im ökonomischen Sinne hängt, nicht mehr leisten kann oder will, stellt sich heraus, dass die Loyalität der Minsker Regierung eben eine gekaufte war. Lukaschenko kontert russischen Druck zugunsten einer »Vertiefung der Integration« mit immer lauteren Vorwürfen, Russland »erwürge« Belarus, und er sei der einzige, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Souveränität des Landes verteidigen könne.
Lukaschenkos Motive liegen auf der Hand: Auf innenpolitischer Ebene versucht er, der nationalistischen Opposition mit solchen Tönen den Wind aus den Segeln zu nehmen, auf internationaler ist er bestrebt, Belarus gegenüber dem Westen vom Image des »prorussischen Satelliten« zu befreien. Tatsächlich geht es ihm, nachdem sich mit dem Wechsel von Boris Jelzin zu Wladimir Putin seine Hoffnung, Präsident eines russisch-belarussischen Unionsstaates zu werden, zerschlagen hat, nur noch um eines: den Fortbestand seiner Macht, potentiell verlängert in Person seiner zwei Söhne, die beide auf Karrieren im Staatsdienst vorbereitet werden. Seit 2014, als er Minsk als Standort für die Verhandlungen zur Beendigung des Donbass-Konflikts anbot, versucht Lukaschenko, sich auch geopolitisch als Neutraler zu präsentieren. Bis heute hat er weder den Beitritt der Krim in die russische Föderation noch die von Russland unterstützten kaukasischen Kleinstaaten Südossetien und Abchasien anerkannt.
Ganz erfolglos war er damit nicht. Die EU hat ihre Sanktionen gegen Lukaschenko, die sie Anfang dieses Jahrhunderts wegen mutmaßlicher Wahlfälschungen und Repressionen gegen Oppositionelle verhängt hat, schrittweise einschlafen lassen. Und Anfang dieses Jahres bemühte sich US-Außenminister Michael Pompeo nach Minsk, bot Belarus US-amerikanische Öllieferungen an und tauschte mit dem Präsidenten Freundlichkeiten aus – bis hin zu der Aussage, die USA würden Belarus nicht nötigen, im Konflikt zwischen Washington und Moskau Partei zu ergreifen. Daran ist so viel wahr, dass Lukaschenkos Schaukelpolitik dem Westen einstweilen gelegen kommt: Sie schlägt eine Bresche in ein Bündnis, die später immer noch erweitert werden kann.
Aus der Berichterstattung russischer Medien über den aktuellen Wahlkampf um die Präsidentschaft, am 9. August soll abgestimmt werden, ist jedenfalls jeder Ton der Sympathie für den Amtsinhaber gewichen. Die mehr oder minder spontanen Protestkundgebungen in allen Teilen des Landes werden breit und mit Empathie gewürdigt. Die vielgelesene Zeitung Kommersant brachte am Sonntag ein ausführliches Interview mit der Chefredakteurin des liberalen Minsker Portals Belorusskij Partisan, Swetlana Kalinkina, zur Lage im Lande. Man scheint sich in Moskau auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass der nächste Präsident entweder nicht mehr Lukaschenko heißen könnte – oder dass ein mit oder ohne Manipulationen wiedergewählter Lukaschenko so kompromittiert ist, dass der Kreml ihn politisch wieder in die Hand bekäme.
Derweilen verzeichnet die oppositionelle Kandidatin Swetlana Tichanowskaja Rekorde des Zuspruchs: Zu ihrer Wahlkampfkundgebung in Minsk am 30. Juli kamen nach Angaben russischer Medien bis zu 70.000 Menschen, und selbst in der Provinz fänden sich Tausende ein, um sie zu hören. Ihre Ankündigung, im Falle ihrer Wahl nur ein halbes Jahr amtieren zu wollen und Neuwahlen unter Beteiligung der »tatsächlichen Kandidaten«, also derjenigen, die von der Staatsmacht aus dem Rennen geworfen wurden, vorzubereiten, wird in Russland jedenfalls nicht als Zeichen ihrer Inkompetenz bewertet. Auch der an sich naheliegende Verdacht, dass es sich bei dieser »technischen Kandidatur« um einen gezielten Plan handeln könnte, erst Lukaschenko zu stürzen und dann über die eigentliche Zukunft des Landes abstimmen zu lassen, wird trotz der Neigung der russischen Presse zu Verschwörungsszenarien derzeit nicht debattiert. Schon dies fällt auf.
Belarus: Erneute Vorwürfe gegen Moskau
Minsk. Wenige Tage vor der für den 9. August geplanten Präsidentschaftswahl in Belarus hat Amtsinhaber Alexander Lukaschenko vor einem Putschversuch gewarnt und seinen Gegnern vorgeworfen, ein »Massaker mitten in Minsk« zu planen. Es gebe Kräfte, die versuchten, eine Revolution anzuzetteln, sagte er am Dienstag. Lukaschenko warf dem Nachbarn Russland erneut vor, Söldner eingeschleust zu haben, die versuchen sollten, das Land zu destabilisieren. Russland hat den Vorwurf der Einmischung im Nachbarstaat zurückgewiesen. (Reuters/jW)
„Überdrüssig“ ist sicher der falsche Ausdruck.
Aber wenn Weißrußland russische Staatsbürger, die sich nichts zuschulden kommen lassen haben, an die Ukraine ausliefern würde, so würde es damit einen Affront setzen, der Rußland zum Handeln nötigen würde.
Der Architekt der Außenpolitik scheint inzwischen dieser Außenminister Makej zu sein, der eine Art Trojaner westlicher Interessen zu sein scheint.
Aber vielleicht ist es auch nur ein Wahlkampfmanöver Lukaschenkos, um den Makel des „Russenknechts“ loszuwerden.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß die Maidan-Proteste in der Ukraine nach Aussage dieses Mannes ursprünglich von Janukovich selbst angezettelt wurden –
DIE UKRAINE – EIN OPFER DES KRIEGES ZWISCHEN DEN USA UND CHINA UM DIE MÄRKTE DER EU
(Noch) kein Maidan
Belarus nach den Wahlen
Von Reinhard Lauterbach
Festnahmen und Verletzte
Belarus: Proteste gegen Wahlergebnis gehen weiter. EU-Außenminister beraten über Sanktionen
Von Reinhard Lauterbach
Barrikaden in Minsk
Belarus: Proteste gegen Wahlergebnis halten an. Ein Toter und viele Verletzte, zahlreiche Festnahmen
Von Reinhard Lauterbach
Einmischungsmaschine läuft
USA erkennen Wahlergebnis in Belarus nicht an, osteuropäische EU-Staaten verlangen Sanktionen. Russland und China gratulieren Lukaschenko
Von Reinhard Lauterbach
Proteste gegen Wahlergebnis
Belarus: Präsident offiziell bestätigt. Opposition erkennt Ergebnis nicht an
Von Reinhard Lauterbach
Etwas zu plump
Ergebnis der Präsidentenwahl in Belarus
Von Reinhard Lauterbach
Für gültig erklärt
Schon mittags erforderliches Quorum bei Präsidentschaftswahl in Belarus erreicht
Von Reinhard Lauterbach
Sechste Amtszeit anvisiert
Belarus vor der Präsidentenwahl: Staatschef Lukaschenko wirft Russland Einmischung vor und droht im Falle von Unruhen
Von Reinhard Lauterbach
Es steht, eben weil die vielgerühmte Privatinitiative nie zugelassen wurde und sich deshalb auch keine Oligarchen bereichern konnten, keine Alternative zu Lukaschenko bereit, mit der westliche Regierungen und Geheimdienste sich ins Benehmen setzen könnten.
Die EU sponsert zwar seit geraumer Zeit eine weißrussische Exiluni in Vilnius, aber die dort Ausgebildeten haben keinen Rückhalt in Belarus und schon gar keinen im Staatsapparat. Sie stünden zwar bereit für einen System-Change, machen müßten den aber andere.
Daß sich überhaupt so eine Protestbewegung bilden konnte, liegt daran, daß viele Leute in Weißrußland sauer sind auf Lukaschenko wegen seiner Handhabung der Coronavirus-Epidemie. Es sind ja doch viele Leute erkrankt und auch gestorben, während offiziell die Krankheit gar nicht existiert.
Es ist möglich, daß diese absurde Geschichte mit den 33 verhafteten Russen eine Inszenierung war, mit der sich Lukaschenko bei der westlichen Presse Liebkind machen wollte, um diese Wahlen halbwegs über die Bühne zu bringen.
Herausgekommen ist Verärgerung in Rußland, gegenüber dem Westen hat es nix genützt.
Rotlicht: Postkolonialismus
Von Arian Schiffer-Nasserie
Ein Schlagwort beherrscht die Diskussion: Ob es um Rassismus in den USA geht, um den Umgang mit Flüchtenden oder das Elend der Menschen im »globalen Süden« – der Verweis auf das Fortbestehen »postkolonialer Strukturen« lässt meist nicht lange auf sich warten. Gemeint ist damit laut der Onlineenzyklopädie Wikipedia »die Annahme, dass die Kolonien nur politisch befreit seien, jedoch weiterhin durch die Hegemonie eurozentrischer Sichtweisen (!) beherrscht würden«.
Postkoloniale Theorien verstehen sich als kritisches Korrektiv zum vorherrschenden Weltbild. Folgt man letzterem, so leben wir in einer Welt der freien Konkurrenz auf der Grundlage von Völker- und Menschenrechten, die der Menschennatur entsprechen. In dieser besten aller Welten sind einfach alle – Staaten, Völker, Unternehmen und Individuen – unterschiedslos eingeladen, sich frei zu entfalten, d. h. um Macht und Reichtum in Form von Dollar oder Euro zu konkurrieren. Und das angeblich zum Vorteil aller Beteiligten weltweit.
Vom postulierten Vorteil ist in den entsprechenden Weltgegenden wenig zu sehen. Statt dessen gibt es den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen, Handelsdefizite, Staatspleiten, Verteilungskämpfe und Zerfall. Auch in den Zentren des Kapitalismus sind die Lebensbedingungen nicht zum Nutzen aller eingerichtet, und das ist noch vorsichtig formuliert. Migranten aus den ehemaligen Kolonien im Süden oder den einst besetzten Gebieten im Osten sowie die Nachfahren ehemaliger Sklaven in den USA gehören überdurchschnittlich häufig zu den Verlierern in der sogenannten ersten Welt (Stichworte: Ausbeutung als Erntehelfer oder Putzkräfte, Prostitution, Wohnbaracken, Abschiebungen, Polizeikontrollen etc.).
Im Lichte des vorherrschenden Weltbildes ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen den blumigen Versprechen globaler Konkurrenz »ohne Ansehen der Person« und ihren Resultaten in der harten Wirklichkeit eine brutale Schlussfolgerung: Vom jeweiligen Erfolg wird auf die Erfolgsfähigkeit der Individuen und Völker geschlossen. Wenn es bei letzteren schon nicht an ihrer afrikanischen, asiatischen oder osteuropäischen »Rasse« liegt – solche Theorien sind seit 1945 eher tabu – hat es vielleicht aber etwas mit ihrer »Kultur«, ihren »Wurzeln« oder ihrer »Religion« zu tun, wenn aus den entsprechenden Ländern und ihren »Ethnien« trotz Dekolonialisierung, Völker- und Menschenrecht, Entwicklungshilfe sowie einigen gut gemeinten NATO-Kriegen nichts wird?
Vertreter postkolonialer Theorien möchten diesen verächtlichen Schlussfolgerungen widersprechen. Sie begreifen die »eurozentrischen Sichtweisen« nicht als ideologische Folge der aktuellen Weltordnung aus Geld und Gewalt, sondern geradezu spiegelbildlich als die eigentliche Ursache für das Elend der »Marginalisierten«. Sie kämpfen daher – immanent folgerichtig und praktisch hilflos – mit »Political Correctness« gegen Rassismus und für mehr Wertschätzung zugunsten der Schwachen.
Analytisch ist das haltlos, weil es die notwendigen Resultate der Konkurrenz (es muss Verlierer geben) von ihrem Prinzip trennt. So, als sei der globale Wettbewerb eine Art Fairplay, um den Schwächsten die Chance zum Aufstieg zu ermöglichen – und nicht eine Einrichtung zum Nutzen seiner westlichen Erfinder, die bereits über die konkurrenzfähigsten Kapitale und die größte Marktmacht verfügen. Praktisch sind entsprechende Ansätze hilflos, weil sich durch veränderte »Sichtweisen« weder an den Resultaten des Welt(arbeits)marktes noch am Rassismus etwas ändert. Oder anders: Vertreterinnen und Vertreter postkolonialer Theorien sehen Ursachen für das Leid der »Verdammten dieser Erde« in der kolonialen Vergangenheit, weil sie an den völker- und menschenrechtlichen Prinzipien der Gegenwart keine Herrschafts- und Ausbeutungsinteressen erkennen können. Moderne Imperialismustheorie tut Not!
Aus: junge Welt – Ausgabe vom 05.08.2020 / Seite 14 / Feuilleton: Schlagworte
https://www.jungewelt.de/artikel/383647.rotlicht-postkolonialismus.html
Es ist schon bemerkenswert, was für ein Tonfall jetzt in der Weißrußland-Frage gegenüber Rußland angeschlagen wird.
Erstens wird so getan, als hätte Lukaschenko nie eine Unterstützung im eigenen Land gehabt, und sei nur von Rußland an die Macht gebracht und dort gehalten worden.
Was 1. kontrafaktisch und 2. absurd ist. Wenn L. nicht in Weißrußland jede Menge Fans gehabt hätte – und auch heute noch hat –, die ihm zugutehalten, daß er ihnen gewisse Momente der Konkurrenzgesellschaft vom Leib gehalten hat, so hätte er sich nie so lange an der Macht halten können.
Zweitens wird im Anschluß an diese falsche Darstellung so getan, als ob Putin nur im Kreml auf einen Knopf drücken müßte, und Lukaschenko verschwünde in der Versenkung und alles würde gut in Weißrußland.
Und wenn Putin das nicht macht, ist er böse böse und man muß gleich wieder an Verschärfung der Sanktionen denken.
Was da für militärische Optionen in der Hinterhand sind, steht noch auf einem anderen Blatt. Stichwort Massierung von NATO-Truppen in Polen und im Baltikum, nicht erst seit gestern.
Wenn Rußland jetzt seinerzeit aufmarschiert, um eine mögliche Invasion aufzuhalten, so ist das natürlich ein weiterer „Beweis“, daß da ein entsetzlicher Diktator weiter gestützt wird.
Man muß vielleicht auch wissen, daß es in Vilnius eine weißrussische Exil-Uni gibt, und unter den dortigen Lehrbeauftragten und Absolventen schon eine ganze potentielle Ersatzregierung bereit steht, mit Tichanowskaja als Galeonsfigur oder Strohpuppe an der Spitze, in Weißrußland einzuziehen und sich als legitime Regierung breitzumachen.
Vorbild siehe => Bolivien.
Oppositionelle aus dem Ruhrgebiet: Offener Brief an die Protestierenden in Belarus
Über die illusionären Erwartungen der Protestierenden. Ein Gastbeitrag
In Stellung gebracht
Belarus: Politiker der Opposition melden Führungsanspruch bei Sturz von Lukaschenko an. Der lehnt Neuwahlen ab
Von Reinhard Lauterbach
Belarus: Lukaschenko schlägt »neue Verfassung« vor
Verhärtete Fronten
Belarus: Anhänger und Gegner Lukaschenkos demonstrierten am Sonntag in Minsk. Hat Russland ihm »Hilfe« zugesagt?
Von Reinhard Lauterbach
Lukaschenko meldet sich zu Wort
Proteste in Belarus: Präsident warnt vor Streikwelle. EU will Regierungsmitglieder sanktionieren
Minikrise in Minsk
Unzufriedenheit mit Präsident Lukaschenko hat auch ökonomische Hintergründe. Außenhandel eingebrochen. Einkommen stagnieren
Von Reinhard Lauterbach
Russland: Ausland destabilisiert Belarus
Sanktionierer preschen vor
Polnisch-baltischer »Vermittlungsvorschlag« für Belarus: Dialog mit der Opposition, sonst Strafmaßnahmen. EU-Außenminister beraten heute
Von Reinhard Lauterbach
Den von NN geposteten Beitrag “Offener Brief an die Protestierenden in Belarus” – den empfehle ich – zur Lektüre auch für hiesige Leser ….
https://www.heise.de/tp/features/Offener-Brief-an-die-Protestierenden-in-Belarus-4872348.html
Merkel hat Putin angerufen und die beiden haben sich geeinigt, daß eine baldestmögliche Normalisierung wünschenswert wäre. Putin warnte vor „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Weißrußlands“.
https://www.kp.ru/daily/217170/4272128/
„Wenn Onkelchen siegt, so gebäre ich einen Sohn“ – in Gomel fand eine organisierte Pro-Lukaschenko-Demo statt
https://www.kp.ru/daily/217169.5/4272502/
Streiks finden in verschiedenen Fabriken statt: Weißrussischer Betrieb für Metallverarbeitung (Minsk), Motorenfabrik Minsk, Elektrotechnischer Betrieb Minsk, Zuckerfabrik in Slutzk, u.a.
Aber auch wissenschaftliche Einrichtungen und Krankenhäuser drohen mit Streik – letztere wegen der Verletzten, die bei ihnen eingeliefert werden. (Irgendwie widersprüchlich.)
Einige Theater schließen sich ebenfalls an und schließen, und vor allem rund um das Fernseh- und Rundfunkgebäude gibt es Demos und Streikdrohungen, weil die Mitarbeiter das senden wollen, was auf der Straße geschieht.
https://www.kp.ru/daily/217170/4271887/
Nicht nur Österreich kriegt jetzt etwas kalte Füße anläßlich Weißrußlands:
Österreich will Belarus als guten östlichen EU-Partner erhalten
https://www.derstandard.at/story/2000119444766/oesterreich-will-belarus-alsguten-oestlichen-eu-partner-erhalten
Ein weiteres Ukraine-Szenario wäre – zumindest in der EU – niemandem recht, so mein Eindruck.
Der Offene Brief in einer englischen und einer (mutmaßlich besseren) russischen Übersetzung.
Die Komsomolskaja Pravda interviewte den russischen Politolgen Georgij Bovt. Dieser meint:
Die Proteste sind nicht von außen gesteuert, oder zumindest wurden sie nicht im Ausland vorbereitet. Sonst wären sie besser organisiert. Nicht einmal das KGB-Gefängnis waren die Demonstranten imstande zu stürmen.
Lukaschenko hat sich das ganze Schlamassel selbst zuzuschreiben. Hätte er gesagt: Ich habe mit 60 % gewonnen, Frau Tichanowskaja kriegte 35%, und dann gibt er ihr die Hand und irgendein Amtl – und alles wäre gut gewesen.
Das entscheidende ist, meint Bovt, wie sich die Sicherheitskräfte verhalten werden.
Auf die Frage des Journalisten der KP über die Rolle der USA meint Bovt, die haben da gar nichts damit zu tun. Die sind beschäftigt mit Wahlkampagne, Protesten, Coronavirus – von USA gibt es überhaupt keine Einmischung.
Rußland hätte vielleicht auch etwas mehr machen müssen und z.B. Frau Tichanowskaja für sich ködern sollen, meint Bovt, der einer zum Kreml oppositionellen Partei nahe steht. Dagegen sprach aber die extrem antirussische Rhetorik, mit der Lukaschenko schon seit Jahren versucht, im Inland zu punkten – ohne besonderen Erfolg.
https://www.kp.ru/daily/217171/4272825/
Im ORF wurde abgewiegelt, es wird außer ein paar Sanktionen nichts geben, in Brüssel will man die Sache strikt als inner-weißrussische betrachten und behandeln.
Es wurde von der Moskau-Korrespondentin auch noch erwähnt, daß die Proteste in Weißrußland sich zum Unterschied von denen 2013-14 in der Ukraine nicht gegen Rußland oder Putin richten.
Im oben zitierten Beitrag der KP gibt es auch ein kurzes Video, in dem Lukaschenko kopfschüttelnd über die Einmischung Litauens, Lettlands, Polens und der Ukraine spricht, die von einer weißrussischen „Exilregierung“ faseln.
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Es scheint so zu sein, daß den EU-Führungsnationen sauer aufstößt, daß da einige nachrangige Staaten Politik machen wollen, gegen Brüssel.
»Unschuldige« Nationalisten
Rechte Opposition träumt von »Belarussischer Volksrepublik«. Antirussische Gruppierungen wollen Bündnisse mit Moskau lösen
Von Reinhard Lauterbach
Belarus: Lukaschenko versetzt Armee in Alarmzustand
Vorbeugende Drohungen
Machtkampf in Belarus
Von Reinhard Lauterbach
Gegenoffensive der Regierung
Belarus: Zahl der Proteste nimmt ab. Minsk geht gegen Streikende vor
Von Reinhard Lauterbach
Der Kampf um Minsk (25.08.2020)
Belarus: Deutsche Außenpolitiker dringen auf rasche finanzielle Unterstützung für die prowestliche Opposition.
BERLIN/MINSK (Eigener Bericht) – Die EU soll “Druck machen für Neuwahlen” in Belarus: Dies fordert ein langjähriger führender Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Wie Ralf Fücks, Ex-Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, seit 2017 Geschäftsführer der transatlantischen Denkfabrik “Zentrum Liberale Moderne”, behauptet, operiere die Union in den Machtkämpfen in Belarus nicht offensiv genug. Deutsche Außenpolitiker raten unterdessen zu systematischer Unterstützung der belarussischen “Zivilgesellschaft”; auf diese Weise ließen sich prowestliche Milieus in dem Land, das sehr enge Beziehungen zu Russland unterhält, mit Millionensummen fördern. Berlin ist damit bereits seit Jahrzehnten befasst. Umsturzbestrebungen in Belarus wurden von Deutschland und den anderen Mächten des Westens begünstigt, seit Präsident Alexander Lukaschenko das Land 1999 in eine Union mit Russland führte und die Kooperation mit Moskau intensivierte. Eine allzu intensive Abhängigkeit vom östlichen Nachbarland fürchtend, hatte Lukaschenko zuletzt freilich enger mit dem Westen kooperiert – gemeinsame Militärübungen mit NATO-Staaten inklusive.
Im Bündnis mit Russland
Bemühungen, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, entfalteten die Staaten der EU, darunter insbesondere die Bundesrepublik, bereits vor gut zwei Jahrzehnten. Lukaschenko hatte nach seinem Wahlsieg im Jahr 1994 begonnen, Minsk wieder enger an Moskau zu binden, und Belarus 1999 in eine vertraglich festgelegte Union mit Russland geführt. Belarus gehört darüber hinaus der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) an, einem von Moskau geführten Militärbündnis [1]; außerdem ist es Mitglied der gleichfalls um Russland zentrierten Eurasischen Wirtschaftsunion [2]. Die wirtschaftlichen Bindungen sind überaus eng; so ist Russland mit gewaltigem Abstand Belarus’ größter Lieferant – es stellt 58,4 Prozent der belarussischen Importe, Nummer zwei ist mit 7,8 Prozent China – und zugleich mit 38,2 Prozent größter Abnehmer belarussischer Exporte vor der Ukraine (12,0 Prozent). 31 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen kommen aus Russland; weitere 17,6 Prozent wurden via Zypern getätigt, einen bei russischen Geschäftsleuten populären Finanzstandort. Nicht zuletzt kooperieren Belarus und Russland militärisch recht eng. Schlagzeilen im Westen machte etwa im September 2017 das Großmanöver “Zapad”, bei dem Soldaten beider Länder die gemeinsame Abwehr westlicher Aggressionen probten.[3]
Geschwundene Mehrheit
Anders als etwa in der Ukraine sind die jahrelangen westlichen Umsturzbemühungen – mit Hilfe intensiver Unterstützung der stark zersplitterten prowestlichen Opposition [4] – allerdings erfolglos geblieben. Ursache war, dass Lukaschenko sich lange Zeit auf sichere Mehrheiten stützen konnte, da es ihm gelang, einen Ausverkauf der belarussischen Wirtschaft an Oligarchen und einen sozialen Absturz der Bevölkerung, wie er sich beispielsweise in der Ukraine vollzog, zu verhindern. In der Tat liegt Belarus’ Wirtschaftsleistung pro Kopf bis heute erheblich oberhalb derjenigen der Ukraine. Entsprechend trafen die im Westen regelmäßig lautstark erhobenen Vorwürfe, Lukaschenkos Wahlsiege beruhten auf Fälschung, nicht zu; selbst im Berliner Auswärtigen Amt räumten Experten intern ein, die Ergebnisse belarussischer Präsidentenwahlen seien zwar wohl ein wenig geschönt, spiegelten allerdings den Mehrheitswillen im Kern korrekt wider. Dies hat sich erst in jüngerer Vergangenheit geändert. Hintergrund ist, dass die belarussische Wirtschaft seit 2012 meist nur noch geringfügig wuchs oder sogar schrumpfte, was die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nährte. Seit diesem Frühjahr kam hinzu, dass Lukaschenkos Ignoranz gegenüber der Covid-19-Pandemie den wachsenden Unmut verstärkte. Umfragen sahen den Präsidenten zuletzt nur noch bei 25 bis 30 Prozent – ein Novum in der Geschichte des Landes seit Mitte der 1990er Jahre.
Kurswechsel Richtung Westen
Im Rahmen ihrer Umsturzbemühungen hatte die EU erstmals im Jahr 2004, dann erneut 2010 auch Sanktionen verhängt – Einreiseverbote für mehr als 170 Personen und Unternehmen aus Belarus, deren Vermögen in der Union zudem eingefroren wurde; 2011 kam noch ein Waffenembargo hinzu.[5] Im Februar 2016 wurden die Maßnahmen allerdings weitgehend aufgehoben. Die Ursache: In Minsk zeichneten sich vorsichtige außenpolitische Kurskorrekturen ab. Zum einen fürchtete die Regierung, durch die Polarisierung infolge des Ukraine-Konflikts könne Belarus allzu eng an Russland gebunden werden. Zum anderen nahm der Streit um Vergünstigungen bei der Lieferung russischen Erdöls zu, die für Belarus ökonomisch überaus wichtig sind; im vergangenen Jahr hob Moskau diese Vergünstigungen de facto auf. Präsident Lukaschenko reagierte, indem er die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation nicht anerkannte sowie stattdessen Minsk als Mittler zwischen Russland und dem Westen positionierte; die zentralen Verhandlungen über eine Beilegung des Ukraine-Konflikts fanden 2014 und 2015 in der belarussischen Hauptstadt statt. Hinzu kam zuletzt eine offene Annäherung an den Westen. Am 1. Februar traf mit Mike Pompeo erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ein US-Außenminister zu Gesprächen in Minsk ein.[6] Im März führten belarussische Truppen ein gemeinsames Manöver mit britischen Soldaten durch; im Rahmen der Übung habe es den ersten umfassenden Austausch belarussischer und westlicher Truppen gegeben, hieß es anschließend bei den britischen Streitkräften.[7]
Im “Konrad Adenauer Raum”
Unabhängig vom vorsichtigen Ausbau der Kooperation mit Präsident Lukaschenko haben die westlichen Staaten die Förderung der prowestlichen Opposition systematisch fortgesetzt. Innerhalb der EU tut sich dabei unter anderem Polen hervor; der staatliche Fernsehsender TVP betreibt seit 2007 mit Belsat TV einen Kanal in belarussischer Sprache, der die Opposition im Nachbarland unterstützt. Warschau nutzt die polnischsprachige Minderheit in der Region um Grodno für seine Politik. Eine tragende Rolle bei den aktuellen Massenprotesten kommt dem Telegram-Kanal Nexta zu, dessen Betreiber – ein belarussischer Regierungsgegner- im polnischen Exil lebt. Ein Zentrum der belarussischen Exilopposition ist zudem die litauische Hauptstadt Vilnius, in der seit 2005 die zuvor in Minsk beheimatete, bei der urbanen belarussischen Opposition populäre Europäische Humanistische Universität (EHU) angesiedelt ist. Die EHU wird von Stiftungen vor allem aus den USA und aus Deutschland gefördert; im Dezember 2018 hat die Universität, deren Absolventen nicht selten bei Straßenprotesten in Belarus anzutreffen sind, einen ihrer Seminarräume in “Konrad Adenauer Raum” umbenannt – als Dank für die langjährige intensive Unterstützung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).[8] Die aus Berliner Staatsmitteln finanzierte Adenauer-Stiftung wiederum unterhält ein “Auslandsbüro Belarus”, das keine Lizenz für eine Tätigkeit im Land erhalten hat und daher in Vilnius operiert. Von dort aus hält sie engen Kontakt zu – laut Eigenangaben – einem breiten Spektrum an “Partnern in Belarus”.[9]
Millionen für die “Zivilgesellschaft”
In den aktuellen belarussischen Massenprotesten ist allerdings, trotz aller Bemühungen etwa von “Partnern” der Adenauer-Stiftung, eine prowestliche Orientierung laut übereinstimmenden Einschätzungen von Beobachtern – noch – nicht mehrheitsfähig: Die breit verankerte Bindung an Russland unterscheidet das Land von der Ukraine, wo ein größerer Teil der Bevölkerung, stark antirussisch orientiert, leicht nicht nur gegen die ukrainische Regierung, sondern auch gegen Moskau zu mobilisieren war. Entsprechend warnen deutsche Außenpolitiker vor allzu schroffem Vorgehen gegen Minsk. Zwar sei der EU-Beschluss vom 19. August, “das Ergebnis der Wahlen nicht anzuerkennen, … konsequent und richtig”, urteilt etwa der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid.[10] Auch “die vorgesehenen personenbezogenen Sanktionen” setzten “die richtigen Signale”. Allerdings seien sie strikt auf Verantwortliche für die mutmaßliche Wahlfälschung sowie für die Repression gegen Demonstranten zu beschränken. “Der richtige Ansatz” sei es, Mittel für die belarussische “Zivilgesellschaft” bereitzustellen, erklärt Schmid. Dies ermöglicht es, gezielt prowestliche Spektren in der belarussischen Opposition zu stärken. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben am 19. August beschlossen, eine Million Euro für die “Zivilgesellschaft”, zwei Millionen Euro für Opfer staatlicher Repressionen und darüber hinaus 50 Millionen Euro “Corona-Soforthilfe” nach Belarus zu transferieren – Mittel der Einmischung im geostrategischen Einflusskampf um Minsk.
Bündniswechsel gefordert
Dabei haben die Parteigänger Berlins und des Westens in den belarussischen Proteststrukturen bereits Erfolge erzielt. So gehören dem siebenköpfigen “Koordinationsrat für die Machtübergabe”, den die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja gegründet hat, drei Personen an, die erst kürzlich in einem Manifest einen Bündniswechsel des Landes hin zu EU und NATO gefordert haben.[11] Zwar weist der “Koordinationsrat” eine solche Positionierung für die gegenwärtigen Proteste öffentlich noch zurück. Geschickte Einmischung Berlins und Brüssels könnte die Kräfteverhältnisse freilich verschieben.
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Faktenfrei und meinungsstark
Fall Nawalny: Regierung spricht von »Giftanschlag«. Vertreter mehrerer Parteien beschuldigen Moskau. Charité geht von »Intoxikation« aus
Von Nico Popp
Zwei Tage nach der Verlegung des russischen Politikers Alexej Nawalny von Omsk nach Berlin hat die Bundesregierung erklärt, man könne in dem Fall »mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit« von einem »Giftanschlag« ausgehen. Das sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Von der russischen Seite verlangte Seibert »volle Transparenz« bei der Aufklärung.
Als ein Journalist Nawalny als »Kanzlerinnengast« bezeichnete, stellte Seibert allerdings klar, dass sich Nawalny nicht als Gast der Bundesregierung in Berlin aufhalte. Es gebe »keine förmliche Einladung«. Transport und Unterbringung seien von »privater Seite« organisiert worden. Die Bundeskanzlerin habe auf Wunsch der Familie lediglich ihre Bereitschaft erklärt, Nawalny aus humanitären Gründen die Einreise zu ermöglichen.
Mit der von ihm festgestellten »Wahrscheinlichkeit« eines zuvor erfolgten Giftanschlages begründete Seibert die Bewachung Nawalnys durch das Bundeskriminalamt. Es sei »klar« gewesen, dass »nach seiner Ankunft hier Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten«. Noch am Sonntag abend war unter Berufung auf »Regierungskreise« verbreitet worden, die Bewachung durch das BKA erfolge, weil das Amt für den Schutz von »ausländischen Gästen« der Bundesregierung zuständig sei.
Während Seibert eine direkte Schuldzuweisung vermied und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Montag sogar ausdrücklich auf das vorläufige Fehlen von medizinischen und kriminologischen »Fakten« hinwies, haben Vertreter mehrerer Bundestagsparteien am Wochenende und am Montag dem »Kreml« mehr oder weniger offen vorgeworfen, für die Vergiftung Nawalnys verantwortlich zu sein. Der Fall trage »eindeutig die Handschrift des russischen Regimes«, sagte der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft (Montagausgaben). Er forderte »konkrete personenbezogene Sanktionen gegen die Hintermänner«. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: »Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Putin ist bereit, für den Machterhalt über Leichen zu gehen.« Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt erklärte, Russland sei »kein vertrauenswürdiger Partner«. Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, forderte die Bundesregierung auf, über die EU-Ratspräsidentschaft eine »europäische Linie« in dem Fall zu koordinieren.
Nawalny war am Donnerstag auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammengebrochen. Derzeit befindet er sich in einem künstlichen Koma. Die Ärzte in Omsk hatten erklärt, bei ihren Untersuchungen keine Spuren von Gift im Körper Nawalnys gefunden zu haben. Der stellvertretende Klinikleiter Anatoli Kalinitschenko unterstrich am Montag noch einmal, dass keine giftige Substanz gefunden worden sei. Er berief sich dabei auf die Befunde zweier Labore in Omsk und Moskau. In Nawalnys Umfeld wuchs am Montag allem Anschein nach das Bedürfnis, einen möglicherweise gleichlautenden Befund durch das deutsche Krankenhaus vorab »einzuordnen«: Nawalnys Vertraute Ljubow Sobol sagte dem Spiegel, die russischen Sicherheitsbehörden hätten »lange auf Zeit gespielt, bis das Gift wohl nicht mehr in Nawalnys Körper nachweisbar war. Dann erst konnte er ausgeflogen werden nach Berlin.«
Über den weiteren Umgang mit dem Fall scheint das Nawalny-Lager nicht einig zu sein. Am Sonntag abend hatte der Filmproduzent Jaka Bizilj, der den Flug nach Berlin organisiert hatte, gegenüber Bild geäußert, er gehe davon aus, dass Nawalny überleben, aber für mindestens ein oder zwei Monate »aus dem politischen Gefecht« sein werde. Am Montag rief ihn Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch zur Ordnung: Niemand habe im Moment Zugang zu Informationen über den Zustand Nawalnys – schon gar nicht jemand, der nicht zur Familie gehöre. »Die Familie Alexejs hat niemanden beauftragt, der Presse etwas mitzuteilen über seine Gesundheit«, schrieb sie im Messengerdienst Telegram.
Am späten Montag nachmittag verbreitete die Pressestelle der Charité eine Mitteilung, in der es hieß, dass nach eingehenden Untersuchungen Hinweise auf eine »Intoxikation« Nawalnys »durch eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer« vorliegen. Es sei eine »breitgefächerte Analytik« veranlasst worden, um zu klären, um welche Substanz es sich konkret handele. Derzeit werde Nawalny mit dem Gegenmittel Atropin behandelt.
Expansive Triebkräfte
Deutscher Außenminister in Kiew
Von Jörg Kronauer
Der Mann hat’s eilig. Er breche nach Kiew auf, weil er »schneller vorwärtskommen« wolle mit der Beilegung des Konflikts um die Ostukraine, ließ sich Außenminister Heiko Maas am Montag morgen vor seinem Abflug in die ukrainische Hauptstadt vernehmen. Schneller? Mehr als sechs Jahre dauern die Kämpfe im Donbass mittlerweile an. Vor mehr als einem halben Jahrzehnt wurden die Minsker Vereinbarungen getroffen, die eine Beendigung des Waffengangs einleiten sollten. Bis heute ist nichts daraus geworden. Maas erklärte nun schon die Tatsache, dass die jüngste Waffenruhe »seit über vier Wochen« halte, zum »hoffnungsvollen Zeichen«.
Mit Blick auf die »Weltpolitiker« aus Berlin, die – wie ihr Chef – mit wichtiger Miene in fremde Länder jetten, ist das in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen erhebt die Bundesregierung den Anspruch – so formuliert es exemplarisch das Weißbuch der Bundeswehr –, »die globale Ordnung aktiv mitzugestalten«. Besonders gilt dies, so heißt es immer wieder in Strategiepapieren, für den »Krisenbogen« rings um die EU, der von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Osteuropa reicht. Mali, Libyen, Syrien zählen dazu – Länder also, in denen Berlin und die EU seit fast einem Jahrzehnt als »Ordnungsmächte« intervenieren. Auch die Ukraine ist Teil davon, seit die westlichen Mächte, allen voran die Bundesrepublik, sie 2014 endgültig russischem Einfluss zu entreißen suchten. Der Machtanspruch der Berliner Eliten ist gewaltig; für ihre Fähigkeit, etwas anderes als Unheil zu stiften, gilt das schon weniger.
Nicht weniger schwer wiegt eine zweite Erkenntnis, die sich aus der Lage im Donbass ziehen lässt: Es gelingt Berlin – bislang jedenfalls – nicht, die Dinge östlich der EU gegen den Willen Moskaus zu regeln. Das Armdrücken mit Russland um die Ukraine führte zum Verlust der Krim. Im Donbass hält es bis heute an. In Belarus suchen Berlin und Brüssel nun erneut, die ihnen gegenüber loyalen Teile der Opposition an die Macht zu bringen – und mit wem musste Kanzlerin Angela Merkel telefonieren, als Präsident Alexander Lukaschenko sich dem Gespräch mit ihr verweigerte? Mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Maas verlangte am Montag in Kiew, Lukaschenko dürfe sich einem »inklusiven Dialog« mit der Opposition nicht verweigern – und fügte die Forderung an, Moskau solle den belarussischen Präsidenten gefälligst dazu drängen. Dass Putin nach Maas’ Pfeife tanzt, ist freilich unwahrscheinlich.
Aus alledem folgt aber nicht, dass die deutschen Eliten sich früher oder später auf ein echtes Machtarrangement mit Russland einlassen müssten. Die expansiven Triebkräfte, denen die Berliner Weltpolitiker den Weg zu bahnen suchen, lassen mehr als rein taktische Absprachen mit Moskau in Sachen Donbass oder Belarus nicht zu. Der Machtkampf gegen Russland hält parallel zu ihnen, ja sogar in ihrem Rahmen an.
Also was Nawalny angeht, so ist meinem russischen Leib- und Magen-Blatt, der Komsomolskaja Pravda, folgendes zu entnehmen:
Erstens, wenn diese unbekannten Bösewichte, wer immer es war, den Typen hätten vergiften wollen – sofern es überhaupt einen Vergiftungsversuch gab – so hätten sie das tun können, meint ein von der KP befragter Arzt. Die Dosierung war offenbar nicht darauf angelegt.
Zweitens, die Ärzte in Omsk bestreiten, daß der Zustand von Nawalny auf eine Vergiftung zurückzuführen ist.
Das Flugzeug ist in Omsk notgelandet, weil er im Flugzeug auf dem Weg zum Klo bewußtlos geworden ist.
Ein anderer von der KP befragter Arzt meint, es könnte sich bei ihm um eine beginnende und bisher nicht diagnostizierte Diabetes handeln, die zu diesem Zustand geführt hat. Möglicherweise hat er auch zu lange nichts gegessen und auf dem Flughafen vorher nur einen Tee, womöglich ohne Zucker, zu sich genommen.
Die Cholesterin-Blocker, die bei der Charité bei der Blut-Analyse festgestellt worden sind, gehen jedenfalls mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Behandlung in Omsk zurück. Für seinen Gesundheitszustand wäre es jedenfalls wichtig, wenn sich die Charité-Ärzte mit denen in Omsk in Verbindung setzen würden. Eine Krankengeschichte hat er vermutlich sowieso mitbekommen.
In dem einen Interview erinnert die KP auch an die angebliche Dioxinvergiftung des inzwischen völlig in der Versenkung verschwundenen Viktor Juschtschenko, die von einem mit ihm befreundeten ukrainischen Arzt im Wiener Krankenhaus „Rudolfinerhaus“ angeblich festgestellt, und aus eher dubiosen Quellen in den USA bestätigt wurde.
Russische Ärzte behaupten, in Wirklichkeit hätte er Lepra.
Eine von der ukrainischen Staatsanwaltschaft eingeleitete strafrechtliche Untersuchung wurde später wegen Ergebnislosigkeit eingestellt.
Zu Lukaschenko und Weißrußland gibt es ein Interview mit dem Außenbeauftragten der EU, dem Spanier Josep Borrell, der sagt: „Lukaschenko ist wie Maduro: Wir erkennen ihn nicht an, aber man muß mit ihm umgehen.“ Er versichert, daß die EU keine 2. Ukraine will, und daß er im Gespräch mit Rußland ist, um eine „Demokratisierung“ (was immer das ist) in Weißrußland voranzubringen.
Er weist darauf hin, daß bei den Demos dort keine EU-Fahnen zu sehen sind. Die weißrussischen Spannungen sind nur mit Rußland gemeinsam zu bewältigen.
Die EU kann nicht noch einen Konfliktherd brauchen, sie hat in ihrer näheren Umgebung bereits genug, und keine Zauberstäbe, um sie zu bewältigen: „Wir haben finanzielle Mittel, wir haben 50 Millionen Euros in Bewegung gesetzt, um der weißrussischen Gesellschaft zu helfen, wir haben politischen Einfluß, aber wir wollen keine 2. Ukraine.“
Der Interviewer von El País versucht in einem fort, die Gefährlichkeit Putins herauszustellen und Borell wiegelt immer wieder ab, und verwendet immer „Rußland“ sowie Lawrow als Ansprechpartner. Die EU muß „Mißverständnisse“ vermeiden und darf Rußland nicht zu falschen Schritten nötigen, meint er.
EP: „Muß Lukaschenko fallen?“
Borrell: „Wir erkennen ihn nicht als legitimen Präsidenten an, genausowenig wie Nicolás Maduro. … Dennoch, ob es uns gefällt oder nicht, sie kontrollieren die Regierung und wir müssen Umgang mit ihnen pflegen … “
EP: „Welches Verhältnis muß die EU zu Rußland einnehmen, das immer mehr Raum für sich beansprucht?“
Borrell: „Die Beziehung zu Russland ist so komplex wie die Beziehung zu China. Es ist ein Polyeder, das viele Gesichter hat. Russland sanktionieren wir einerseits, andererseits haben wir eine Energieabhängigkeit, die für einige Länder sehr stark ist. Die Beziehung zu Russland sieht unterschiedlich aus, je nachdem, ob man Litauer oder Portugiese ist. Russland ist ein Akteur in der internationalen Politik, der wieder eine Machtrolle spielen möchte. Es ist nicht das einzige Land, das die alte imperiale Versuchung spürt. Aber ob es Ihnen gefällt oder nicht, es gibt viele Probleme, mit denen wir uns mit Russland zusammenreden müssen, um sie zu lösen, von der Arktis bis nach Syrien.“
Im Gegensatz zu den Medien verkörpert Borrell einen weitaus pragmatischeren Zugang zu den weißrussischen Ereignissen, und gibt damit den politischen Standpunkt der großen EU-Staaten wieder.
Nachgetragenes zu Belarus
http://tages-politik.de/Aussenpolitik/Belarus-2020.html
Wie so häufig, habe ich mich beim Artikel von Tagespolitik über den Gebrauch des Adjektivs fremd gestört:
“fremde Mächte”, die sich an einen “landeseigenen Machtkampf dranhängen”. Fremd ist also gleich nicht landeseigen. Das mag ja in Bezug auf die EU-Staaten sogar noch halbwegs Sinn machen, aber schon beim nächsten Nachbarn, dem russischen Staat, macht das schon gar keinen Sinn mehr. Schon deshalb, weil es ja noch gar nicht solange her ist, als die alle in einem gemeinsamen Staat gewesen sind. Und sich manche sowas selbst heute noch vorstellen können. Offensichtlich ist Belarus nicht so verfaßt wie die Ukraine.
Sauberes Früchtchen
Alexej Nawalny ist nicht nur »Korruptionsbekämpfer«. Vor Stipendium in USA trat er als radikaler Nationalist und rassistischer Hetzer auf
Von Reinhard Lauterbach
Alexej Nawalny wird heute allgemein als »Kremlkritiker« oder »Korruptionsbekämpfer« bezeichnet. Das reicht, um ihm in der westlichen Öffentlichkeit einen Vertrauensvorschuss zu verschaffen. Und genau auf den kommt es ihm an, auch in der internen Auseinandersetzung in Russland. Korruptionskritik ist affirmativ – was nicht ausschließt, dass sie gegen amtierende Machthaber radikal werden kann.
Nawalny hat seine politische Karriere in der liberalen Intellektuellenpartei »Jabloko« begonnen. Schnell stieg er bis in deren politische Führung auf, wurde allerdings 2007 wegen »Nationalismus« ausgeschlossen. Wie ein Teilnehmer der entsprechenden Sitzung im Radiosender Echo Moskwy berichtete, soll er auf den Ausschluss mit dem Ausstrecken des rechten Arms und dem Ruf »Ruhm für Russland« (»Slawa Rossii«) – die Parole ist wörtlich identisch mit dem ukrainischen Faschistengruß »Ruhm der Ukraine« – reagiert haben. Zuvor war er als »Beobachter« von Jabloko auf den alljährlich veranstalteten »Russischen Märschen« gewesen und dort auch aufgetreten. Hauptparole des rechten Aufmarsches war damals: »Schluss mit dem Durchfüttern des Kaukasus«. Sich selbst bezeichnete er seinerzeit als »normalen russischen Nationalisten«, wahlweise auch als »Nationaldemokraten«.
Nawalnys Abschied von den Liberalen vollzog sich im Kontext einer Auseinandersetzung mit Parteichef Grigori Jawlinski darüber, mit welcher Strategie die notorisch erfolglose Partei an die »Massen« herankommen solle. Jawlinski hatte – vielleicht auch in der von seinen jüdischen Wurzeln beflügelten Ahnung, die Juden könne ein nationalistisch aufgepeitschter Volkszorn als nächste treffen – Bedenken dagegen, mit fremdenfeindlichen Parolen auf Stimmenfang zu gehen. Nawalny hatte diese nicht.
Er verglich Migranten aus dem Kaukasus oder Zentralasien mit Kakerlaken oder Raubtieren, die »nach tierischen Gesetzen« lebten. Er wolle nicht in einem Land leben, von dem es Teile gebe, wo die Blutrache geltendes Recht sei, sagte Nawalny 2008, gemünzt auf Wladimir Putins Tschetschenien-Politik, die sich tatsächlich Ruhe im Nordkaukasus mit weitgehender Toleranz gegenüber der Durchsetzung des Schariarechts im Alltag erkaufen will.
Bei anderer Gelegenheit machte Nawalny den instrumentellen Charakter seines Nationalismus explizit: »Meine Idee besteht darin, dass man das Thema der interethnischen Konflikte nicht tabuisieren darf. Die Erfolglosigkeit unserer liberaldemokratischen Bewegung hängt damit zusammen, dass sie einige Themen aus prinzipiellen Gründen vermeidet, weil sie sie für gefährlich hält«, so Nawalny laut der russischsprachigen Ausgabe des Magazins GQ vom 24. Februar 2011. »Man muss zugeben, dass Migranten, insbesondere aus dem Kaukasus, mit ihren sehr spezifischen Vorstellungen nach Russland kommen.« In Tschetschenien würden Frauen, die ohne Kopftuch auf die Straße gingen, mit Paintballgewehren beschossen, und Republikchef Ramsan Kadyrow habe die Täter »wirkliche Söhne des tschetschenischen Volkes« genannt. »Und dann kommen diese Tschetschenen nach Moskau. Ich habe hier Frau und Tochter, und ich möchte nicht, dass Leute mit diesen Auffassungen hier ihre Vorstellungen von Ordnung durchsetzen«, so Nawalny damals. Wer hier Pegida oder den »Flügel« der AfD zu hören glaubt, liegt sicherlich nicht falsch.
Seine Wende zum »Korruptionsbekämpfer« begann 2011. Im Jahr zuvor war er auf Empfehlung führender russischer Liberaler mit einem viermonatigen Stipendium des Programms »Yale World Leaders« versehen und an die gleichnamige US-Eliteuniversität geholt worden. Als er für das Amt des Moskauer Bürgermeisters kandidierte, notierte der vom Bundeskanzleramt finanzierte Auslandssender Deutsche Welle offen, Nawalny sei »der erste russische Oppositionspolitiker, der teilweise in den USA ausgebildet worden« sei. Ein anderer Absolvent dieses Programms ist Sergey Lagodinsky, der es zum Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament gebracht hat. Er spielte gegenüber der DW Nawalnys Rechtslastigkeit herunter. Den Leiter des Stipendienprogramms in Yale, Michael Cappello, zitierte der Beitrag mit der »Hoffnung, dass er in Yale zum Nachdenken über einige seiner kontroversen Positionen gebracht« worden sei.
Womöglich war es also sein Aufenthalt in den USA, der Nawalny seine »Wende« zum »Korruptionsbekämpfer« nahelegte. Auffällig ist, dass er selbst bei seiner Bewerbung um das Moskauer Bürgermeisteramt 2011 dieses Stipendium gar nicht erwähnte. Als Mann der USA zu gelten ist in Russland nicht unbedingt eine Empfehlung. In Berlin schon.
Transatlantische Sanktionen (27.08.2020)
US-Sanktionsdrohungen gegen Fährhafen Mukran: Experten fordern Gegenmaßnahmen und legen Vorschläge vor.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Nach den jüngsten US-Sanktionsdrohungen gegen den Fährhafen Mukran (Rügen) werden in Berlin die Forderungen nach Gegenmaßnahmen lauter. Im Anschluss an neue Sanktionsbeschlüsse gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2 hatten vor kurzem drei US-Senatoren in einem Brief an die Betreiberfirma des Fährhafens gefordert, diese müsse umgehend jede Zuarbeit für den Bau der Pipeline einstellen; sonst werde Washington mit “vernichtenden Sanktionen” gegen die Firma, ihre Gesellschafter und die Angestellten vorgehen und den Hafen finanziell “zerstören”. Bereits zuvor hatten US-Sanktionen Milliardengeschäfte deutscher Unternehmen zunichte gemacht. Experten warnen nun, gingen Berlin und Brüssel nicht entschlossen dagegen vor, würden die Vereinigten Staaten dies als “Einladung” begreifen, “es wieder zu tun”. Selbst bei einem Personalwechsel im Weißen Haus sei eine Fortsetzung der US-Sanktionspolitik zu erwarten: Treibende Kraft dahinter sei – in überparteilichen Beschlüssen – der US-Kongress. Experten legen Vorschläge für Reaktionen im Machtkampf gegen Washington vor.
Fährhafen Mukran: “mit Sanktionen zerstören”
Neuen Schwung hat die Debatte über mögliche Abwehrmaßnahmen Deutschlands und der EU gegen die zunehmenden extraterritorialen US-Sanktionen durch einen Brief erhalten, den die US-Senatoren Ted Cruz, Tom Cotton und Ron Johnson am 5. August an den Geschäftsführer und einen weiteren Vertreter des Fährhafens Mukran in Sassnitz auf Rügen schickten. In dem Schreiben drohen die drei Republikaner, Washington werde den Fährhafen mit “vernichtenden Sanktionen” überziehen, sollte nicht umgehend jegliche direkte und indirekte Zuarbeit für die Gaspipeline Nord Stream 2 eingestellt werden. Ausdrücklich erklären die US-Senatoren, eine Nichterfüllung ihrer Forderung werde den Hafen finanziell “zerstören”.[1] Dies bezieht sich vermutlich darauf, dass die US-Sanktionen unter anderem jegliche Transaktion in US-Dollar unmöglich machen; ohne diese aber kommt kaum ein internationales Geschäft aus. Ähnliche Drohbriefe mit der Aufforderung, die Arbeiten an Nord Stream 2 sofort einzustellen, hatten US-Senatoren schon zuvor an andere Firmen verschickt, etwa im Dezember 2019 an den Spezialschiffbetreiber Allseas. Zuletzt hatten Vertreter dreier US-Ministerien mit gleichem Ziel Videokonferenzen mit mehreren Unternehmen aus der EU abgehalten.[2] Von den Sanktionen betroffen sind rund 120 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern.
“Erpressung”
Neu ist jedoch im Fall des Fährhafens Mukran, dass der Drohbrief einer in öffentlichem Besitz befindlichen Firma gilt – der Hafen gehört zu 90 Prozent der Stadt Sassnitz sowie zu zehn Prozent dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Die US-Sanktionen werden laut den US-Senatoren nicht nur die Hafen-GmbH treffen, sondern auch deren “Vorstandsmitglieder, leitende Mitarbeiter, Gesellschafter und Angestellte”.[3] Diese dürfen dann nicht mehr in die USA einreisen; etwaiges Vermögen in den USA wird eingefroren; ob ihnen auch individuell Transaktionen in US-Dollar untersagt werden, damit also praktisch jedes internationale Geschäft, ist nicht klar. Das Schreiben hat scharfe Reaktionen ausgelöst. Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin bezeichnete die Sanktionsdrohung als “wirtschaftliche Kriegserklärung” an die EU.[4] Außenminister Heiko Maas erklärte: “Kein Staat hat das Recht, Europas Energiepolitik mit Drohungen zu diktieren.”[5] Am heutigen Donnerstag berät der Landtag Mecklenburg-Vorpommern einen Antrag zum Thema unter dem Titel “Erpressung hat im Welthandel nichts zu suchen”. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, “auf diplomatischem Weg alle verfügbaren Optionen zur Verhinderung der geplanten Sanktionen gegen Nord Stream 2 zu nutzen”. Sollten sie dennoch in Kraft gesetzt werden, dann gelte es, gemeinsam mit der EU “eine geeignete Reaktion zu finden und umzusetzen”.[6]
Milliardenschäden
Der Ärger über die jüngste Sanktionsdrohung gegen den Fährhafen Mukran verstärkt bestehenden Unmut, den frühere US-Sanktionen in Deutschland ausgelöst haben – extraterritoriale Sanktionen, die von Washington einseitig verhängt werden, aber faktisch sämtliche Unternehmen weltweit treffen, die in den Vereinigten Staaten Geschäfte machen oder auch nur den US-Dollar für Finanztransaktionen nutzen. Extraterritoriale US-Sanktionen gegen Iran beispielsweise haben das frisch aufkeimende deutsche Irangeschäft zunichte gemacht, von dem sich deutsche Konzerne jährlich zweistellige Milliardenumsätze erhofft hatten.[7] Einseitig verhängte extraterritoriale US-Sanktionen gegen Russland, vor allem gegen den Oligarchen Oleg Deripaska, hatten im Jahr 2018 ernste Schäden für deutsche Konzerne verursacht, darunter führende Kfz-Hersteller.[8] Sollten die extraterritorialen US-Russlandsanktionen ausgeweitet werden, stünden für die EU Geschäfte im Jahreswert “von bis zu 191 Milliarden Euro” auf dem Spiel, heißt es beim European Council on Foreign Relations (ECFR).[9] Schließlich könne man auch umfassende extraterritoriale US-Sanktionen gegen China nicht ausschließen, warnt der Think Tank; dabei wäre die Union mit “bis zu einer Milliarde Euro am Tag” betroffen. Mit Blick auf die Drohung gegen den Hafen Mukran urteilt nun ein ECFR-Experte, gingen Deutschland und die EU nicht dagegen vor, dann sei das “eine Einladung” an die USA, “es wieder zu tun”.[10]
“Klein beizugeben ist keine Option”
Erschwerend kommt hinzu – darauf weist der ECFR in einer aktuellen Analyse hin -, dass die dramatische Ausweitung der extraterritorialen US-Sanktionen keinesfalls eine Besonderheit der Trump-Administration ist. “Diese Politikideen kommen aus dem Kongress”, stellt der ECFR fest, “nicht aus dem Weißen Haus”.[11] Im US-Kongress werde unter anderem diskutiert, Russland komplett vom internationalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen oder extraterritoriale Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, die mit von Washington gelisteten chinesischen Konzernen Handel trieben; geschehe dies, seien die ökonomischen Schäden für Deutschland und die EU verheerend. Die Tatsache, dass der Kongress dies debattiere – und auch die bisherigen extraterritorialen US-Sanktionen verantworte -, zeige, dass selbst von einem Personalwechsel im Weißen Haus Mäßigung nicht zu erhoffen sei. Tatsächlich werden die Forderungen, geeignete Schritte gegen extraterritoriale US-Sanktionen einzuleiten, immer lauter. Gestern hieß es in einer führenden, prinzipiell transatlantisch orientierten deutschen Tageszeitung, wenn “weltweite Allzuständigkeit und Suprematie” angestrebt würden, dann sei “dieser Form von amerikanischer Expansion entgegenzutreten”: “Klein beizugeben ist keine Option”. Der Artikel – es war ein Leitkommentar – trug die Überschrift: “Unter dem Schlagstock Amerikas”.[12]
Gegenmaßnahmen
Vorschläge, wie Berlin und Brüssel Washingtons Vorstöße im globalen Sanktionskrieg abwehren könnten, bringt unter anderem der ECFR seit geraumer Zeit vor. So hieß es bereits im vergangenen Jahr, die EU könne etwa “Marktsektoren” identifizieren, in denen die USA “asymmetrisch von Europa abhängen, und Personen, die in diesen Sektoren tätig sind”, zudem aber auch “ausländische Vermögenswerte, die sich in Europa befinden”: “Käme es zu Sanktionen gegen unsere Unternehmen, so würden wir innerhalb kurzer Zeit mit Gegenmaßnahmen gegen diese Entitäten reagieren.”[13] In einem jetzt publizierten Beitrag heißt es, eine weitere Möglichkeit bestehe darin, an der Seite der Europäischen Investitionsbank “eine öffentliche Bank” zu gründen, die nicht vom US-Dollar abhängig sei und die maßzuregeln sich Washington aufgrund ihrer Bedeutung nicht leisten könne; diese solle internationale Geschäfte mit US-sanktionierten Staaten und Unternehmen abwickeln. Mittelfristig könne man zu diesem Zweck womöglich auch Digitalwährungen nutzen.[14] Davon abgesehen sei es denkbar, US-Firmen, die in der EU Geschäfte tätigen wollten, Strafzahlungen aufzuerlegen; auf diesem Wege könne man die Verluste eintreiben, die durch US-Sanktionen entstünden – im Fall der Sanktionen gegen Nord Stream 2 etwa 4,8 Milliarden Euro allein im Jahr 2021. Die Debatte dauert an.
Aufrüster will helfen
Östliches Mittelmeer: Außenminister Maas will zwischen Athen und Ankara vermitteln. BRD liefert Waffen an beide Seiten
Von Hansgeorg Hermann, Chania
Die Vermittlungsversuche des deutschen Außenministers Heiko Maas im griechisch-türkischen Konflikt um ausschließliche Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer sind in Athen als weitgehend erfolglos beschrieben worden. Die Medien des Landes begrüßten am Mittwoch lediglich, dass Maas – ebenso wie die griechische Regierung – eine »Deeskalation« seitens der Türkei gefordert habe. Maas hatte am Dienstag seine Amtskollegen in Athen und Ankara konsultiert, war aber offenbar in beiden Städten auf verhärtete Fronten gestoßen.
Sowohl die griechische Oppositionszeitung I Avgi als auch die rechtsliberale Ta Nea betonten die unverändert gegnerischen Positionen beider NATO-Staaten. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verspottete Maas als einen »Boten«, der Athen die »schmerzhaften Bedingungen für die Ausbeutung« der Bodenschätze in der Region überbracht habe.
Die bürgerliche Zeitung To Vima begnügte sich damit, ein »Lexikon des Konflikts« abzudrucken, das den Griechen »den geschichtlichen Hintergrund« und die daraus resultierenden »berechtigten Forderungen« des Landes deutlich machen sollte. Die der Regierung des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis nahestehende Ta Nea befürwortete, ebenso wie die meisten anderen griechischen Medien, den harten Kurs, den der französische Präsident Emmanuel Macron gegen seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan eingeschlagen hat.
Der als »Freund« Griechenlands bezeichnete Macron hatte in der vergangenen Woche zwei Fregatten und zwei Kampfflugzeuge vom Typ »Rafale« am kretischen NATO-Stützpunkt Souda stationiert. Am Mittwoch begannen Paris, Athen und Nikosia im Westen Zypern umfangreiche Manöver in der Luft und zur See. Wie der zyprische Staatsrundfunk (RIK) berichtete, sollen am Freitag auch eine französische sowie eine italienische Fregatte zu diesem Manöver dazu stoßen.
Maas’ griechischer Kollege Nikolaos Dendias hatte am Dienstag Sanktionen gegen die Türkei verlangt. In der aktuellen Sprachregelung der Regierung Mitsotakis wird Erdogan als ein »Agressor« bezeichnet, dessen verbale und militärische »Provokationen« Athen nicht hinnehmen werde. In einer am Nachmittag veröffentlichten Presseerklärung heißt es: »Man empfiehlt uns den Dialog, aber wir haben längst bewiesen, dass wir dazu jederzeit bereit sind. Allerdings nicht angesichts der Drohungen des (türkischen, jW) Regimes.«
Auch Mitsotakis’ Vorgänger, der gegenwärtige Oppositionsführer Alexis Tsipras, äußerte sich wenig diplomatisch: Gespräche mit Vertretern der türkischen Regierung über die Wirtschaftszonen in der Ägäis und die unterschiedliche Definition des Festlandsockels könnten »erst nach Einstellung der Provokationen und ohne Einmischung Dritter« beginnen. Offen bleiben müsse die Möglichkeit einer Klage Griechenlands vor dem Europäischen Gerichtshof in Den Haag. Die KKE sieht in dem Konflikt vor allem die EU gefordert, deren von »finanzkapitalistischen Erwägungen« getragene Politik im östlichen Mittelmeer griechische Interessen wenig berücksichtige.
In dem Streit zwischen den beiden Ländern, der zu einer wachsenden Kriegsgefahr führt, geht es nicht nur um gewaltige Öl- und Gasvorkommen in der südlichen Ägäis, sondern auch um geopolitische Machtansprüche Dritter – in erster Linie der USA, Deutschlands, Frankreichs und Russlands. Fernsehberichten zufolge sehen die Griechen die Bundesrepublik als Europas »Führungsmacht«, die in dieser Region die USA sowohl als Mittler als auch als Befehlsgeber ablösen wolle. Thematisiert wird außerdem die Tatsache, dass Berlin die Gegner Athen und Ankara vor allem »im maritimen Bereich« gleichzeitig aufgerüstet habe. So war es in der vergangenen Woche offenbar zu einem Zusammenstoß eines griechischen Kriegsschiffs mit einer türkischen Fregatte deutscher Bauart gekommen.
Die Meinungsverschiedenheiten in der EU bezüglich des Konflikts, in diesem Fall vor allem zwischen Frankreich und der Bundesrepublik, sollen an diesem Donnerstag und am Freitag während eines sogenannten informellen Treffens der Außenminister erläutert werden. Denn wie es aus Berlin hieß, strebe die Bundesregierung eine einheitliche EU-Politik gegenüber der Türkei an.
Eskalation im Mittelmeer (II) (26.08.2020)
Berlin sucht Washington als Mittler im Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei zu ersetzen – und dämpft Kritik an Ankara.
BERLIN/ATHEN/ANKARA (Eigener Bericht) – Ohne erkennbare Erfolge hat sich Außenminister Heiko Maas am gestrigen Dienstag um eine Dämpfung des Konflikts zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer bemüht. Athen und Ankara streiten sich um Gewässer rings um die griechischen Ägäisinseln; der Streit verbindet sich mit erbitterten Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Zypern um Erdgasvorkommen ebenfalls im östlichen Mittelmeer. Zuletzt ist der Konflikt eskaliert, als ein türkisches Forschungsschiff unweit einer griechischen Insel Erkundungstätigkeiten durchführte und dabei von türkischen Kriegsschiffen eskortiert wurde. Laut offiziell nicht bestätigten Berichten kam es zu einem Zusammenstoß zweier Fregatten – darunter eine aus deutscher Produktion. Während Griechenland und Frankreich fordern, die EU müsse entschlossene Maßnahmen gegen Ankara ergreifen, beharrt Deutschland auf einer Rücksichtnahme auf die Türkei – aus strategischen Gründen. Darüber hinaus sucht sich Berlin dauerhaft als Mittler zwischen Athen und Ankara zu positionieren; diese Rolle nahm traditionell Washington ein.
Maximalpositionen
Der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer hat sich in den vergangenen Wochen erheblich zugespitzt. Kern sind sich gegenseitig ausschließende Ansprüche auf große Seegebiete, insbesondere auf diejenigen, die rings um die zahlreichen griechischen Ägäisinseln liegen. Griechenlands Maximalposition läuft darauf hinaus, um all seine Inseln eine “Ausschließliche Wirtschaftszone” (AWZ, “200-Meilen-Zone”) für sich in Anspruch zu nehmen; dies liefe darauf hinaus, dass die Türkei auf den Großteil der Gewässer vor fast ihrer gesamten Küste westlich Antalyas keinerlei Zugriff hätte. Die türkische Maximalposition wiederum spricht sämtlichen griechischen Ägäisinseln eine eigene AWZ ab. Im Völkerrecht üblich wäre ein von beiden Seiten auszuhandelnder Kompromiss. Dieser ist allerdings aktuell nicht in Sicht (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Von praktischer Bedeutung ist der Konflikt zur Zeit vor allem wegen umfangreicher Erdgasfunde im östlichen Mittelmeer; Förderung und Abtransport des Rohstoffs werden bereits seit Jahren von Zypern, Israel, Ägypten und Griechenland organisiert – unter Ausschluss der Türkei. Um eigene Ansprüche durchzusetzen, hat Ankara begonnen, eigene Erkundungen in Gewässern vorzunehmen, die sämtlich von Zypern oder von Griechenland in Anspruch genommen werden. Dort stoßen die Erkundungen entsprechend auf Protest.
In Alarmbereitschaft
Seit Mitte Juli ist der Konflikt mehrmals scharf eskaliert. Damals hatte die Türkei angekündigt, Erkundungen in den Gewässern vor Kastellorizo vorzunehmen, einer der östlichsten griechischen Inseln. Kastellorizo, lediglich zwölf Quadratkilometer groß, von nur 500 Menschen bewohnt, liegt unmittelbar vor der türkischen Provinz Antalya; laut griechischem Maximalanspruch darf es eine AWZ beanspruchen, die 200 Seemeilen weit reicht, wodurch Antalya den Zugriff auf große Teile seiner Küstengewässer verlöre. Ankara hatte im Juli Kriegsschiffe entsandt, um die Arbeit des Forschungsschiffs Oruç Reis vor Kastellorizo durchzusetzen. Athen wiederum hatte seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang es zunächst, den drohenden Zusammenstoß in Telefonaten mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zumindest vorläufig zu verhindern: Ankara setzte die Erkundungen des Forschungsschiffs Oruç Reis aus.[2] Der nächste Eskalationsschritt erfolgte, als Griechenland am 6. August ein Abkommen mit Ägypten schloss, in dem die Seegrenze zwischen den zwei Ländern im Mittelmeer abgesteckt wurde. Das Abkommen, das türkischen Ansprüchen offen zuwiderläuft, wurde am 18. August vom ägyptischen Parlament ratifiziert; das griechische Parlament soll dies am heutigen Mittwoch tun.[3]
Fregattenkollision
Am 10. August, wenige Tage nach der Unterzeichnung des griechisch-ägyptischen Abkommens, nahm Ankara seine zuvor ausgesetzten Erkundungen vor Kastellorizo durch das Forschungsschiff Oruç Reis wieder auf. Dabei ist es offenbar zu einem ernsten Zusammenstoß gekommen: Laut unbestätigten, aber durch Indizien gestützten Berichten stießen eine griechische sowie eine türkische Fregatte zusammen. Bei dem türkischen Schiff soll es sich um die Fregatte Kemal Reis gehandelt haben, eine von vier Fregatten der türkischen Barbaros-Klasse, die von der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut wurden. In der Tat ist es eine Besonderheit des Konflikts zwischen Griechenland und der Türkei, dass beide Länder über große Waffenbestände aus deutscher Produktion verfügen, weil sie von der Bundesrepublik parallel aufgerüstet wurden; dies gilt ganz besonders im Marinebereich. Die mutmaßliche Kollision der beiden Fregatten trug dazu bei, dass die EU-Außenminister am 14. August in einer Videokonferenz ausdrücklich zur “Deeskalation” zwischen Athen und Ankara aufriefen.[4] Griechischen Berichten zufolge sind entschiedenere Schritte gegen die Türkei auf der Videokonferenz von der Bundesrepublik verhindert worden, die insbesondere nicht bereit war, das griechisch-ägyptische Abkommen in der Abschlusserklärung ausdrücklich zu erwähnen und es damit zu unterstützen.[5]
Berlin statt Washington
Berlins Weigerung, entschlossener gegenüber der Türkei aufzutreten, hat zum einen damit zu tun, dass die Bundesregierung sich im Konflikt zwischen Athen und Ankara als Mittlerin zu profilieren sucht. “Über Jahrzehnte” habe Gewissheit geherrscht, hieß es gestern in einem Kommentar in der griechischen Tageszeitung “Kathimerini”, dass die Vereinigten Staaten “die Lage deeskalieren” würden, sollte es zu einer gefährlichen Zuspitzung der Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei kommen.[6] Ein bekanntes Beispiel ist die Beilegung des Konflikts um zwei Ägäisinseln (griechisch: Imia; türkisch: Kardak), der Anfang 1996 fast zu einem militärischen Zusammenstoß zwischen den beiden NATO-Staaten geführt hätte, durch den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Heute, so hieß es weiter im “Kathimerini”-Kommentar, nehme offenkundig Deutschland die einst von den USA ausgeübte Rolle ein. Dabei hat die Bundesregierung den Schritt, der sie an die Stelle Washingtons setzt, sorgsam vorbereitet.[7] So konferierte im Juli in zunächst geheim gehaltenen Gesprächen in Berlin der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Jan Hecker, mit der diplomatischen Beraterin des griechischen Ministerpräsidenten, Eleni Sourani, und dem Berater des türkischen Präsidenten, İbrahim Kalın, um einen Kompromiss auszuloten. Der Versuch wurde Mitte Juli durch eine Indiskretion des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu gestört.
Von Seemanövern begleitet
Zu den Zielen, die Außenminister Heiko Maas gestern in Athen und in Ankara verfolgte, gehörte einerseits, den griechisch-türkischen Beratergesprächen unter Vermittlung Berlins neuen Schwung zu verleihen.[8] Andererseits forderte Maas beide Seiten auf, Provokationen strikt zu unterlassen. Ein Erfolg seiner Reise war zunächst nicht zu erkennen. Schon vorab hatten Griechenland und die Türkei angekündigt, parallel zum Besuch des deutschen Außenministers Seekriegsübungen abzuhalten – im selben Seegebiet. Athen verlangt eine deutliche Verschärfung der EU-Sanktionen gegen die Türkei; bisher wurden lediglich zwei Mitarbeiter des Mineralölkonzerns TPAO (Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı), aber noch keine Politiker mit Zwangsmaßnahmen belegt – nicht zuletzt auf Beharren Berlins. Ankara wiederum besteht darauf, die Erkundungs- und Bohrarbeiten fortzusetzen. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht.
Zerstrittene EU-Führungsmächte
Dies wiegt umso schwerer, als die EU über keinerlei einheitliche Türkeipolitik verfügt. So beruht die Weigerung Berlins, härter gegen Ankara vorzugehen, nicht nur auf der Sorge um seine eigene Mittlerposition im griechisch-türkischen Konflikt, sondern auch darauf, dass die Bundesregierung einer fortgesetzten Zusammenarbeit mit der Türkei strategische Bedeutung beimisst. Dies ist innerhalb der EU hoch umstritten; Frankreich etwa positioniert sich klar auf Seiten Griechenlands und baut seine Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer aus. Die Differenzen in der EU sollen auf dem informellen Treffen der EU-Außenminister (“Gymnich-Treffen”) am Donnerstag und Freitag dieser Woche besprochen werden; die Bundesregierung strebt eine einheitliche Türkeipolitik der Union an. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
An Minsks Seite
Moskau stellt »Reserve« an Einsatzkräften für etwaige Eskalation in Belarus auf. Kritik aus dem Westen
Von Reinhard Lauterbach
Russland hat eine »Reserve« an »Sicherheitskräften« für einen möglichen Einsatz in Belarus aufgestellt. Das teilte Präsident Wladimir Putin am Donnerstag in einem kurzfristig angekündigten Fernsehinterview mit. Nach seinen Worten geht die Aufstellung der Truppe auf eine Bitte des belarussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko zurück. Diese solle aber nur eingesetzt werden, wenn die Lage im Nachbarland »außer Kontrolle« gerate und die Demonstranten zu Brandstiftungen, Plünderungen, Gewalt gegen Personen oder der Besetzung von Amtsgebäuden übergingen. Putin betonte außerdem, Russland werde einzig auf Ansuchen der belarussischen Seite eingreifen und habe, wenn dies eintrete, hierzu die rechtliche Grundlage im Unionsvertrag mit Belarus sowie in dem Statut der »Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit« (OVKS), der beide Länder angehören.
In Westeuropa lösten diese Äußerungen scharfe Kritik aus. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Russland gegenüber Bild auf, von einer »Einmischung« abzusehen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach gar von einer angeblich geplanten »militärischen Intervention«, von der Moskau Abstand nehmen möge. Am Mittwoch hatte Morawiecki sämtliche Oppositionsparteien – auch das Linksbündnis – auf eine einheitliche Haltung in der Belarus-Politik eingeschworen und war auf keinen Widerstand gestoßen. Unterdessen weitet Warschau seine »Unterstützung« für die belarussische Opposition aus: Die Grenzen wurden für Lukaschenko-Gegner geöffnet, das Asylverfahren soll maximal beschleunigt werden.
Die polnischen Universitäten starteten ein Stipendienprogramm für Studierende aus Belarus, denen wegen ihrer Beteiligung an den Protesten Nachteile drohten. Von einer Relegation Studierender von den belarussischen Hochschulen ist bisher noch nichts bekanntgeworden. Lukaschenko hatte allerdings Studenten, die »statt zu lernen« »abends protestieren«, angedroht, ihre Rückstellungen vom Wehrdienst aufzuheben, so dass sie zum Militär eingezogen würden.
Am Donnerstag abend kam es in Minsk erneut zu einer Festnahmeaktion der Sonderpolizei OMON. Angehörige der Truppe umstellten auf dem Unabhängigkeitsplatz eine Versammlung von etwa 1.000 Demonstranten und nahmen ein geschätztes Drittel von ihnen fest – ausschließlich Männer. Frauen, Kinder und alte Leute wurden durch den Kordon hindurchgelassen und aufgefordert, nach Hause zu gehen. Unter den Festgenommenen waren auch etwa 30 belarussische und russische Journalisten. Sie kamen nach der Feststellung ihrer Personalien und Durchsuchung ihrer Kameras im Laufe der Nacht wieder frei, die Russen wurden des Landes verwiesen.
Die Proteststreiks in belarussischen Staatsbetrieben sind offenbar in der Zwischenzeit eingeschlafen oder zurückgegangen. Zumindest erklärten die Direktoren etlicher staatlicher Industrieunternehmen am Donnerstag gegenüber Lukaschenko, ihre Betriebe arbeiteten »wie vorgesehen«. Der Präsident beschwerte sich allerdings auf dem Treffen mit den Direktoren darüber, dass weiterhin Agitatoren an den Fabriktoren die Arbeiter »belästigen«.
Unterdessen meldete sich der frühere Parlamentsvorsitzende Stanislaw Schuschkewitsch, einer der Totengräber der UdSSR, mit der Forderung zu Wort, dem Russischen den Status der Staatssprache wieder abzuerkennen. In Belarus könne nur das Belarussische Staatssprache sein, sagte Schuschkewitsch sinngemäß in einem Interview auf dem Youtube-Kanal »I grenul Grem«. 1995 hatten in einer Volksabstimmung 83,3 Prozent der Teilnehmer dafür gestimmt, Russisch zur zweiten Staatssprache zu machen. Bei der Volkszählung von 2009 gaben 70 Prozent der Befragten an, im Alltag Russisch zu sprechen.
Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation
Fall Nawalny: Russische Generalstaatsanwaltschaft will mit Bundesjustizministerium zusammenarbeiten
Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation hat sich nach Angaben ihres Sprechers Andrej Iwanow an das Bundesjustizministerium in Deutschland gewendet und zu einer Zusammenarbeit im Fall von Nawalny aufgerufen.
Wegen Fall Nawalny aus Nord Stream 2 aussteigen? Merkel kommentiert
Während der Sommerpressekonferenz in Berlin hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem zum Schicksal des Gasprojektes Nord Stream 2 geäußert.
Ein einig Nawalny-Volk
Von Arnold Schölzel
Bevor die willigen Politärzte der Berliner Charité wie 2014 im Fall der politkriminellen ukrainischen »Gasprinzessin« Julia Timoschenko eine Wunderheilung des russischen Extremnationalisten Alexander Nawalny vermelden können, hatten deutsche Leitmedien schon Diagnose und Therapie in einem erstellt. Richtungweisend war der Gastkommentar des Grünen-Politikers Cem Özdemir, der deutscher Außenminister werden möchte, in Bild am Sonntag. Unter der Überschrift »Das Putin-Regime geht über Leichen« klärte der Zukunftsstaatsmann nicht nur den Nawalny-Komplex auf, bevor es einen Toten gab, sondern legte gleich mal die Richtlinien der Politik gegenüber Russland fest: Die Bundesregierung solle »Anreize schaffen, um die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit von Russland zu stärken, anstatt Geschäfte mit dem Kreml durch Unterstützung von Projekten wie Nord Stream 2 zu fördern.« Woraus sich ergibt, dass wieder einmal die Befreiung der Deutschen aus russischer Gefangenschaft ansteht. So richtig unabhängig von Moskau sind sie nach Meinung Özdemirs jedenfalls nicht, sondern Opfer, ein Nawalny-Volk sozusagen.
Diese wenig tröstliche Sicht teilt der Außenpolitikchef der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, nur hält er im Gegensatz zum grünen Befreier die Übermacht des Kreml für vorerst unüberwindbar. Der Autor einer Merkel-Biographie hielt am Montag in einem Kommentar resignierend fest: »Wer in Deutschland Russlandpolitik macht, steckt objektiv in der Rolle des Schwächeren.« Denn Wladimir Putin verfüge »über einen Instrumentenkasten, der größer und furchteinflößender ist als das Berliner Gegenstück – nicht zuletzt, weil der russische Apparat skrupellos und bereit ist, Gewalt anzuwenden. Die Haltung gegenüber Putin ist deshalb notgedrungen passiv und defensiv.« Weil der deutsche Apparat solche Skrupel hat, zündet z. B. ein an den Händen gefesselter Häftling in einem Dessauer Polzeirevier eine schwer entflammbare Matratze an und verbrennt. Den Sonderermittlern wird verboten, mit Richtern und Staatsanwälten zu sprechen. Weil der deutsche Apparat von Gewissensqualen beherrscht wird, lässt er die Nazimordbande NSU jahrelang wüten, hat seine Agenten stets in nächster Nähe und schreddert nach dem Auffinden der getöteten Mörder die Akten. Und weil die Hemmungen so groß sind, bomben und schießen deutsche Soldaten seit mehr als zwei Jahrzehnten auf drei Kontinenten, völlig defensiv. Es handelt sich bei all dem schließlich um Landesverteidigung auch nach innen. Deutsche Soldaten in Litauen sind passiv, neuartige US-Atombomben auf deutschem Territorium defensiv. Kornelius kommt folgerichtig zum Schluss: »Dennoch bleibt am Ende die aus Sicht Berlins frustrierende Erfahrung, dass die Eskalationsdominanz stets bei Putin liegt.«
Das war vornehm ausgedrückt. Am Mittwoch legt Kornelius daher in einem weiteren Kommentar unter dem Titel »Der zweite Staat« dar, woher der Superman des Bösen seine Kraft bezieht: Er ist der Beherrscher des »tiefen Staates« – Trump lässt grüßen. Gegen Verschwörungswahn gibt es keine Argumente, also hat Kornelius freie Bahn: Unter Putins Herrschaft »ist Russland zu einem klandestin-mafiösen Staat verkümmert. Der Sicherheitsapparat mit dem Verfassungsschutz an der Spitze hat ein Eigenleben entfaltet, klassische Staatsstrukturen mit starken Fachministerien führen ein nachrangiges Dasein.«
Das ist in der Bundesrepublik völlig anders, vor allem, was den Verfassungsschutz angeht. Aber zum Glück gibt es Russland und Putin: Die Özdemir, Kornelius etc. reden den Schrecken, den sie dort halluzinieren, so lange herbei, bis hier irgend jemand nach Gewalt schreit.
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Streit um die Türkeipolitik (28.08.2020)
EU bleibt bezüglich der aggressiven Außenpolitik der Türkei (“Neo-Osmanismus”, “Blaue Heimat”) gespalten.
BERLIN/PARIS/ANKARA (Eigener Bericht) – Heftige Differenzen in der EU über den Umgang mit der Türkei überschatten das derzeitige EU-Außenministertreffen in Berlin. Aktueller Anlass für die Debatte sind die gegenwärtigen Manöver im östlichen Mittelmeer, die auf der einen Seite von den türkischen, auf der anderen Seite von den griechischen Seestreitkräften abgehalten werden. Ausgelöst wurden die Kriegsübungen durch die Suche der Türkei nach Öl und Gas in Gewässern, die auch von Griechenland in Anspruch genommen werden. Hintergrund des Machtkampfs ist aber auch die in den vergangenen Jahren immer aggressivere Außenpolitik Ankaras, die inzwischen eine maritime Komponente enthält; vom Konzept der “Blauen Heimat” (“Mavi Vatan”) ist die Rede. Während die Bundesregierung weiterhin eng mit der Türkei kooperieren will, unter anderem in der Flüchtlingsabwehr, und deshalb einen Ausgleich zwischen Athen und Ankara sucht, stellt sich Frankreich, das im östlichen Mittelmeer andere Interessen verfolgt, an die Seite Griechenlands. Die Umsetzung des deutschen Ziels, die EU-Türkeipolitik stark zu vereinheitlichen, ist nicht in Sicht.
Nationale Interessen
Die aktuellen Streitigkeiten in der EU über den Umgang mit der Türkei haben einen doppelten Hintergrund. Zum einen ist, wie kürzlich Günter Seufert erläuterte, ein Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der traditionelle Rahmen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara nicht mehr gegeben: der “Beitrittsprozess der Türkei zur EU”.[1] Dieser orientierte vor allem darauf, Ankara zur weitreichenden Übernahme des normativen Regelwerks der Union zu bewegen; hinter ihm “konnten sich alle EU-Staaten … versammeln”, konstatiert Seufert. “Dieser Prozess” sei jedoch “sowohl an der Politik der Türkei als auch an der Haltung der EU gescheitert”. Seit nun das einigende Band fehle, träten die “Partikularinteressen der einzelnen EU-Mitglieder gegenüber der Türkei in den Vordergrund”. Bei vielen Themen – “Flüchtlingsfrage, Energiepolitik, Rolle der Türkei in Syrien und Libyen” – bezögen “die einzelnen EU-Staaten im Rahmen ihrer nationalen Interessen unterschiedliche Positionen”. Weit von der gerne beschworenen Einigkeit der EU entfernt, geraten nicht zuletzt die führenden Mächte der Union, Deutschland und Frankreich, über die Türkeipolitik in Streit.
Neo-Osmanismus
Dies wiegt umso schwerer, als die Türkei in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen umfassenden Wandel ihrer Außenpolitik vollzogen hat. Hintergrund ist das rasante Wirtschaftswachstum des Landes seit der Jahrtausendwende: Die türkische Wirtschaftsleistung stieg von 200 Milliarden US-Dollar im Jahr 2001 auf 950 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 an. Dies ging mit der Ausweitung der Auslandsexpansion türkischer Unternehmen einher. Zu bevorzugten Zielen wurden einerseits angrenzende Länder – Syrien, Nordirak -, andererseits entferntere Länder der islamischen Welt. Als konzeptueller Rahmen diente zunächst die vom zeitweiligen Außenminister Ahmet Davutoğlu entwickelte Doktrin der “strategischen Tiefe” (german-foreign-policy.com berichtete [2]); heute ist, da die türkische Expansion insbesondere Ländern gilt, die einst zum Osmanischen Reich gehörten, oft von “Neo-Osmanismus” die Rede. Dabei greift der türkische Staat unter Recep Tayyip Erdoğan zur Legitimation seiner Außenpolitik oft auf Ereignisse oder Personen aus der osmanischen Ära zurück. Ein aktuelles Beispiel bieten regierungsnahe türkische Medien, die Ankaras Unterstützung für die libysche “Einheitsregierung” mit Schilderungen der Rückeroberung von Tripolis, das 1510 von Spanien erobert worden war, durch osmanische Truppen im Jahr 1551 begleiten.[3] Parallel dazu treibt die staatliche türkische Entwicklungsagentur TIKA den Wiederaufbau alter osmanischer Ruinen in Tripolis voran.[4]
“Blaue Heimat”
In jüngerer Vergangenheit hat ergänzend das Konzept der “Blauen Heimat” (“Mavi Vatan”) an Einfluss gewonnen. Seinen Ursprung hat es in Führungskreisen der türkischen Marine, deren Rolle im Kalten Krieg strikt durch die NATO definiert wurde, deren Strategen allerdings spätestens seit den 2000er Jahren – parallel zum Erstarken der eigenständigen türkischen Wirtschaftsexpansion – auch Wege zur Stärkung einer eigenständigen maritimen Politik zu skizzieren begannen. Wegen geografischer Besonderheiten – vor weiten Teilen der westlichen Küsten der Türkei liegen griechische Inseln, für die Athen jeweils eigene 200-Meilen-Zonen beansprucht (german-foreign-policy.com berichtete [5]), was die türkische 200-Meilen-Zone massiv einschränkt – führt dies tendenziell zum Konflikt mit Griechenland. “Mavi Vatan” – gemeint ist das türkische Meer – ist mit einem Angriff auf die griechische Maximalposition in der Frage der 200-Meilen-Zonen verbunden. Vor einem knappen Jahr erregte ein Foto des türkischen Präsidenten Erdoğan heftigen Unmut in Griechenland, auf dem er vor einer Landkarte posierte, auf der – die türkische Maximalposition wiedergebend – die östlichen griechischen Ägäisinseln gänzlich von türkischen Hoheitsgewässern umschlossen sind.[6] Das Konzept der “Blauen Heimat” ist bei alledem nicht nur mit einer antigriechischen, sondern auch mit einer antiwestlichen Haltung verbunden, die die Türkei als eine asiatische, für Bündnisse mit Russland und mit China offene Macht begreift.[7]
Gemeinsame Manöver
Die führenden EU-Mächte reagieren unterschiedlich auf die immer aggressivere Politik der Türkei im östlichen Mittelmeer. Frankreich erhöht seine dortige Militärpräsenz und weitet die militärische Zusammenarbeit mit Griechenland und Zypern aus. Hintergrund sind traditionelle französische Interessen im Nahen Osten, aber auch konkrete Rohstoffprojekte: So hat sich Total gemeinsam mit der italienischen Eni Explorationsrechte für vermutete Erdgaslagerstätten in sieben der 13 Blöcke südlich von Zypern gesichert.[8] Zu Monatsbeginn ist ein neues Militärabkommen zwischen Frankreich und Zypern in Kraft getreten, das gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen und Manöver, aber auch Rüstungskooperation umfasst.[9] Im Februar hatte sich Paris auch mit Athen geeinigt, in naher Zukunft ebenfalls ein Militärabkommen zu schließen; auch dabei soll es um gemeinsame Kriegsübungen sowie um eine engere Rüstungszusammenarbeit gehen. Frankreich hat mittlerweile mehrere gemeinsame Seemanöver mit Griechenland abgehalten; eines davon soll am heutigen Freitag zu Ende gehen. An ihm beteiligen sich auch Zypern und Italien; es ist recht offen gegen die türkischen Explorationstätigkeiten im östlichen Mittelmeer gerichtet.
Brücke nach Nahost
Berlin hingegen setzt weiterhin auf Kooperation mit Ankara. Hintergrund sind nicht zuletzt alte geostrategische Interessen. Die Türkei fungiere nach wie vor als bedeutende “Brücke in den Nahen und Mittleren Osten, in den Kaukasus und indirekt auch nach Zentralasien”, urteilt exemplarisch SWP-Experte Seufert; intensive politische Aktivitäten insbesondere im Nahen Osten seien “ohne oder gar gegen Ankara … nur schwer denkbar”.[10] Hinzu komme wie bereits seit je, dass die Türkei den Bosporus und damit den strategisch äußerst bedeutenden Zugang zum Schwarzen Meer kontrolliere. Der Bundesregierung gilt zudem eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei bei der Flüchtlingsabwehr als unverzichtbar; nicht zufällig geht der Flüchtlingspakt der EU mit Ankara maßgeblich auf deutsche Aktivitäten zurück. Darüber hinaus gilt es in Berlin als unumgänglich, die weitere Annäherung der Türkei an Russland und womöglich auch an China zu verhindern; dazu muss die Kooperation aufrecht erhalten werden. Tatsächlich wäre ein Bruch mit Ankara ein weltpolitisch gravierender Rückschlag für den Westen, besonders für die NATO.
Gespalten
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am 1. Juli im Bundestag mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft angekündigt, die Divergenzen in der Türkeipolitik der europäischen Mächte reduzieren zu wollen sowie einen einheitlichen Umgang mit dem Land anzustreben: “Wir brauchen eine kohärente Türkei-Strategie.”[11] Dies war eines der Hauptthemen beim gestrigen Treffen der EU-Außenminister in Berlin. Dabei besteht die Bundesregierung auf ihrer Position. Während Paris Athen bei seinen Manövern unterstützt, forderte Außenminister Heiko Maas bereits vor Beginn des Treffens, nicht nur die Türkei, auch Griechenland müsse sofort seine Kriegsübungen im östlichen Mittelmeer beenden.[12] Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Damit bleibt die Union im Hinblick auf ihre Türkeipolitik, aber auch auf die eskalierenden Spannungen im östlichen Mittelmeer, sollte an diesem Freitag kein Konsens gefunden werden, gespalten.
Die Formulierung, Kastellorizo sei eine „der östlichsten griechischen Inseln“ hat mich auf der Landkarte einmal nachschauen lassen. Weil entweder etwas ist –ste, oder es ist „eine von“.
Östlicher als Kastellorizo/Mengisti liegt Strongili, aber das wirklich Entscheidende ist, daß zwischen den zu Griechenland und zur Türkei gehörenden unbewohnten Felsklippen gerade einmal ein paar 100 Meter liegen. Alles mit Maximal- und 200 Meilen ist hier sowieso hinfällig, nicht einmal eine paar Kilometer-Zone ließe sich hier einrichten.
Ähnlich problematisch, wenngleich mit etwas mehr Wasser dazwischen, ist die Lage bei Chios und Izmir, wo zwischen der türkischen Mini-Insel Fener und Chios so um die 2 Kilometer Abstand wären.
Wenn also da wer auf Hoheitszonen und Souveränität besteht, gibt es keine „Lösung“. Da entscheidet die Gewalt, und ich bin neugierig, wie die Sache weitergeht. Die Türkei hat im letzten Jahrzehnt aufgerüstet wie nur was, die läßt sich nicht unter Druck setzen.
Zu dem Beitrag von Schölzel läßt sich nur bemerken, daß bei außenpolitischen Themen deutsche Zeitungen offenbar eine Großmachtsstellung einklagen, die Deutschland nicht hat. Und auch, wie im Fall von Belarus, gar nicht in dem Sinne wahrnehmen will, in dem es die Medienfritzen angebracht halten.
Belarussische Oppositionsführerin bezeichnet EU-Gelder als “Bärendienst” und ist gegen Sanktionen
Eine der drei Anführerinnen der belarussischen Opposition, Marija Kolesnikowa hat der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Faz) am Wochenende ein bemerkenswertes Interview gegeben. Sie nennt die finanzielle Unterstützung der Proteste in Belarus durch die EU einen “Bärendienst”. Die EU sollte maximal “zusammen mit Russland als Vermittler” auftreten.
Das “armenische Modell” (31.08.2020)
Belarussische Oppositionelle protestiert gegen Einmischung der EU. Westliche Außenpolitiker plädieren für umsichtigere Einflussarbeit.
BERLIN/MINSK (Eigener Bericht) – Eine führende Vertreterin der Minsker Opposition protestiert gegen die Einmischung der EU in Belarus. Die Sanktionen, auf die sich die Außenminister der Union am vergangenen Freitag geeinigt haben, lehne sie ab, erklärt Marija Kolesnikowa, eine der bekanntesten Aktivistinnen des Minsker “Koordinationsrats für den Machtübergang”. Dass die EU darüber hinaus den “Koordinationsrat” einspannen wolle, um Millionenbeträge zur Unterstützung der Opposition in Belarus zu verteilen, habe dem Rat “sehr geschadet”. Ohnehin wünsche die klare Mehrheit der Demonstranten keine einseitige Annäherung an EU und NATO, sondern wolle vielmehr die Beziehungen ihres Landes zu Russland “entwickeln” und “freundschaftlicher … gestalten”. Kolesnikowa weist darauf hin, dass die “traditionelle Opposition”, die in Kooperation mit dem Westen eine weitreichende Abkehr von Russland anstrebt, sich – noch – in der Minderheit befindet. Westliche Strategen raten mit Blick auf die schwache Abneigung gegen Russland in der belarussischen Opposition zu größerer Umsicht und plädieren für ein “armenisches Modell”.
Sanktionen
Die EU-Außenminister hatten sich am Freitag prinzipiell auf Sanktionen gegen Belarus geeinigt. Vorgesehen sind Maßnahmen gegen zunächst mindestens 20, möglicherweise bis zu 30 Personen, die künftig nicht mehr in die EU einreisen dürfen; außerdem wird ihr Vermögen in der Union eingefroren. Betroffen sind Funktionsträger, denen unmittelbare Mitwirkung an Wahlfälschungen und an der Repression gegen Demonstranten vorgeworfen wird. Ausdrücklich werde man auch “ranghohe Vertreter” des Staatsapparates listen, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit.[1] Die öffentliche Festlegung auf die zu sanktionierenden Personen wird, wie es heißt, noch eine Weile auf sich warten lassen; dies liege daran, dass man gerichtsfeste Beweise gegen die Betroffenen sammeln müsse, um zu verhindern, dass sie sich mit Erfolg vor der Justiz in der EU gegen die Zwangsmaßnahmen wehrten. Während vor allem in den baltischen Staaten gefordert wird, Spitzenfunktionäre des belarussischen Staates bis hin zu Präsident Alexander Lukaschenko mit Sanktionen zu belegen, ist das bisher noch nicht geplant. Man wolle eskalationsfähig bleiben, heißt es dazu. Außerdem gebe die Union mit Repressalien gegen den belarussischen Präsidenten jegliche Chance preis, als “Mittlerin” zwischen Regierung und Opposition aufzutreten.
Doppelte Standards
Hatten die EU-Außenminister sich ursprünglich bereits am Donnerstag auf die Sanktionen einigen wollen, so hatte die Entscheidung auf Freitag verschoben werden müssen – auf Druck Zyperns und Griechenlands. Beide Staaten haben keinerlei Einwände gegen die Zwangsmaßnahmen, verlangen aber zugleich neue Sanktionen gegen die Türkei; weil vor allem Berlin dabei bremst, heißt es nun aus Athen und Nikosia, die EU müsse ihre Grundsätze “überall gleich anwenden”.[2] In der Tat legen die aktuellen Belarus-Sanktionen der Union einmal mehr die doppelten Standards offen, die eine Außenpolitik beinahe zwangsläufig anwendet, die nach machtpolitischen Prinzipien gestaltet wird, dies aber moralisch zu verschleiern sucht. In Belarus sind bei Protesten zuletzt mehrere Menschen ums Leben gekommen sowie Tausende inhaftiert worden; von Misshandlungen wird berichtet. In der Türkei wurden nach dem Putschversuch vom 15./16. Juli 2016 allein bis zum Juli vergangenen Jahres rund eine halbe Million Menschen vorläufig festgenommen – unter weithin fadenscheinigen Vorwänden; rund 129.000 Staatsbedienstete wurden wegen oft fingierter Verbindungen zu den Putschisten entlassen; rund 30.000 waren weiterhin in Haft. Mehr als 100 Medien und Verlage waren geschlossen, zahlreiche Journalisten inhaftiert worden, teilweise ohne Anklage.[3] Zuvor hatten die türkischen Streitkräfte zwischen Juli 2015 und Dezember 2016 laut einem UN-Bericht mehr als 30 von kurdischsprachigen Bürgern bewohnte Städte und Stadtteile zerstört und dabei zwischen 355.000 und einer halben Million Menschen auf die Flucht getrieben; mindestens 2.000 Menschen kamen zu Tode.[4] Sanktionen gegen die Türkei sind allerdings nur wegen deren Öl- und Gaserkundung in von EU-Staaten beanspruchten Gewässern im Gespräch.[5]
Ein Bärendienst
Scharfe Kritik an den EU-Maßnahmen kommt einstweilen von der belarussischen Opposition, für deren Unterstützung Berlin und die Union einzutreten vorgeben. So hat sich Marija Kolesnikowa, ein führendes Mitglied des oppositionellen “Koordinationsrats für die Machtübergabe”, nicht nur klar “gegen Sanktionen” ausgesprochen. Sie protestiert auch dagegen, dass ihr Koordinationsrat nach dem Willen der EU “an der Verteilung von 53 Millionen Euro Unterstützungsgeldern für Belarus mitwirken soll”.[6] Gemeint sind eine Million Euro für Belarus’ “Zivilgesellschaft”, zwei Millionen Euro für Opfer staatlicher Repression und 50 Millionen Euro “Corona-Soforthilfe”, die Brüssel an den zuständigen staatlichen Stellen vorbei nach Minsk schleusen will. Ziel ist es, die Proteste finanziell zu stärken. Kolesnikowa teilte am Wochenende mit, das EU-Ansinnen, ihr “Koordinationsrat” solle dabei Hilfestellung leisten, “hat uns sehr geschadet”: Der Regierung in Minsk habe man damit lediglich einen erneuten Beleg geliefert, dass die EU “sich in die inneren Angelegenheiten von Belarus einmischen” wolle. Damit erweise die Union der belarussischen Opposition “einen Bärendienst”. Kolesnikowa berichtet zudem: “Wir haben nie um Geld gebeten, haben im Gegenteil immer wie ein Papagei gesagt, dass wir mit unseren Problemen selbst fertig werden wollen.”
“Freundschaft mit Russland”
Hintergrund ist offenkundig, dass eine Mehrheit unter den belarussischen Demonstranten ihre Vereinnahmung durch die EU zu geostrategischen Zwecken – noch – klar ablehnt. Kolesnikowa unterscheidet ausdrücklich zwischen der “traditionellen Opposition” in Belarus und den aktuellen Massenprotesten. Bei der “traditionellen Opposition” handelt es sich um Organisationen und um Netzwerke, die seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten gegen die Regierung mobilisieren. Sie sind, das trifft bis heute zu (german-foreign-policy.com berichtete [7]), stets von Berlin und der EU gefördert worden und setzen sich für die enge Anbindung ihres Landes an die Union und für eine außenpolitische Abkehr von Russland ein. Die “traditionelle Opposition” ist auch im neuen “Koordinationsrat” vertreten, stellt aber nicht die Mehrheit; mit dem Bestreben, einen “Bruch mit Russland” und eine einseitige Annäherung an EU und NATO herbeizuführen, kann sie sich laut übereinstimmenden Berichten bislang nicht durchsetzen.[8] Auch Kolesnikowa bestätigt, die “Vertreter der Mehrheit” seien “überzeugt, dass wir die pragmatischen Beziehungen mit Russland bewahren müssen”: “Das Land ist unser wichtigster Partner.”[9] Tatsächlich gebe es sogar “die Idee”, die Beziehungen zu Moskau in Zukunft “freundschaftlicher zu gestalten”, um die Streitigkeiten, die Lukaschenko zuweilen mit Moskau geführt habe (“Milchkriege”, “Gaskriege”), künftig möglichst zu vermeiden: “Wir wollen die Beziehungen bewahren und entwickeln, zum beiderseitigen Nutzen und Vorteil”, konstatiert Kolesnikowa.
“Eine Schablone für Belarus”
Mit Blick auf die engen Beziehungen zwischen Belarus und Russland und die immer noch wenig vorhandene Bereitschaft der Bevölkerung, ihr Land von Moskau zu trennen, raten auch westliche Außenpolitiker zu größerer Umsicht. Zuweilen ist von einem “armenischen Modell” die Rede. Das bezieht sich auf den Machtwechsel in Armenien im April 2018, bei dem der damalige dortige Präsident durch Massenproteste zum Rücktritt gezwungen wurde. Die enge Bindung an Russland, die er stets garantiert hatte, blieb jedoch anschließend erhalten; anders als etwa die Ukraine im Jahr 2014 trennte sich das Land nicht von Moskau und verblieb in den russischen Bündnissystemen, darunter das Verteidigungsbündnis OVKS (Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit) und die um Russland zentrierte Eurasische Wirtschaftsunion; beiden gehört auch Belarus an. “Die armenische Revolution” könne “eine Schablone für Belarus” bilden, schlug unlängst der ehemalige Ministerpräsident (1991 bis 1994) und Außenminister (2006 bis 2014) Schwedens, Carl Bildt, vor. Dabei müssten die westlichen Mächte zwar hinnehmen, dass Belarus “ökonomisch von Russland abhängig” bleibe – “jedenfalls fürs Erste”.[10] Das schließt eine Fortsetzung der Bemühungen um die Orientierung des Landes auf die EU unter womöglich günstigeren Bedingungen nicht aus.
Opposition demonstriert erneut
Belarus: Proteste gegen Wahlergebnis. Putin will Lukaschenko treffen
Von Reinhard Lauterbach
In Minsk haben auch am Sonntag wieder zahlreiche Menschen gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 9. August und für den Rücktritt von Staatschef Alexander Lukaschenko demonstriert. Genaue Zahlenangaben lagen zunächst nicht vor, aber Luftbilder lassen mehrere zehntausend Teilnehmer vermuten. Kundgebungen gab es auch in anderen Städten von Belarus, die liberale russische Zeitung Nowaja Gaseta zählte auf ihrer Internetseite insgesamt 15 solcher Orte auf.
Die Polizei war in der belarussischen Hauptstadt mit starken Kräften präsent und begann offenbar unmittelbar nach dem Beginn des Marsches mit ersten Festnahmen. Parallel wurde in Minsk das Internet abgeschaltet. Allerdings wirken die in Handyvideos festgehaltenen Aktionen der Polizei teilweise konfus und eher auf symbolische Wirkung berechnet. Aufnahmen vom Rande einer Frauendemonstration am Samstag zeigten, wie wenige Polizisten versuchten, eine Menge von Demonstrantinnen aufzuhalten, und dann aufgaben, weil die Teilnehmerinnen in der Überzahl waren und sie im Laufschritt umgingen. Seit einigen Tage mehren sich auch Fälle, wo Demonstranten Polizisten umringen und so lange auf sie einreden, bis sie Festgenommene wieder freilassen.
Die offizielle belarussische Nachrichtenagentur Belta meldete am Sonntag, dass der russische Präsident Wladimir Putin mit Lukaschenko telefoniert und ihn zu Gesprächen über die Lage im Land »in den nächsten Wochen« eingeladen habe. Aus offiziellen Statements der russischen Regierung geht eine Art Doppelstrategie hervor: Putin hatte am Freitag mitgeteilt, er habe »auf Bitten der belarussischen Seite« eine »Reserve von Sicherheitskräften« für den Fall zusammengestellt, dass die Lage in Belarus »außer Kontrolle gerate« und es zu Übergriffen, Brandstiftungen und zur Besetzung öffentlicher Gebäude komme – dem Maidan-Szenario also. Die Truppe werde aber nur auf ausdrückliche Aufforderung durch Minsk eingesetzt werden. Am Donnerstag hatte Außenminister Sergej Lawrow nach einem Gespräch mit seinem belarussischen Kollegen Wladimir Makej erklärt, Moskau unterstütze »das belarussische Volk«, die Lage könne nur durch einen »nationalen Dialog« auf der Grundlage der Verfassung wieder beruhigt werden. Anlass zur Sorge gibt es für Russland: Auf den Kundgebungen werden immer mehr EU-Fahnen geschwenkt.
Kampf um Hegemonie
Drei Wochen nach Beginn der Proteste in Belarus: Wer sind die Gegner von Lukaschenko? (Teil 1)
Von Reinhard Lauterbach
Drei Wochen nach Beginn der Proteste in Belarus gegen das Wahlergebnis vom 9. August können zwei Dinge festgestellt werden: Die Bewegung gegen Staatspräsident Alexander Lukaschenko ist was ihr Mobilisierungspotential angeht an ihre Grenzen gestoßen, und sie beginnt sich politisch zu differenzieren.
Die Beobachtung von den zahlenmäßigen Grenzen liegt auf der Hand: Zum »Friedensmarsch« am Sonntag kamen einige zehntausend Demonstranten. Das ist zwar immer noch eine Menge für ein Land mit gut neun Millionen Einwohnern, aber eben auch nicht mehr die mutmaßliche Viertelmillion, die sich am ersten Sonntag nach der Wahl in Minsk versammelt hatte. Über die Gründe des Rückgangs gibt es bislang keine verlässlichen Untersuchungen, allerdings kann vermutet werden, dass ein Teil der Gesellschaft – gerade diejenigen, die als »Unpolitische« einfach das Gesicht Lukaschenkos leid sind – in die vorherige Apathie zurückfällt. Dazu werden die heftigen Polizeieinsätze der ersten Tage in einschüchternder Weise ebenso beigetragen haben wie der Umstand, dass entgegen dem Mythos der »Farbenrevolution« ein bestehendes Regime, das sich seiner Exekutivorgane sicher ist, nicht einfach zusammenstürzt wie ein Kartenhaus, nur weil eine Menge Leute sein Ende fordert.
Eine ambivalente Situation angesichts der Dialektik politischer Prozesse. Denn die Unzufriedenheit der breiten Masse bleibt natürlich bestehen, auch wenn Leute nicht mehr jeden Abend demonstrieren. Die Oppositionsführung – sofern man sie so nennen will – trägt dem übrigens Rechnung, indem sie versucht, die täglichen Demonstrationen zu wöchentlichen zu machen. Andererseits: Durch das Verschwinden der lagerübergreifenden Einheit, wie sie in den ersten Tagen durch die Koexistenz nationalistischer und roter Fahnen auf den Kundgebungen symbolisiert wurde, können diejenigen, die eine politische Agenda besitzen, diese deutlicher artikulieren. In Belarus hat der Kampf um das begonnen, was der italienische Marxist Antonio Gramsci (1891–1937) Hegemonie genannt hat.
Dabei scheint die »proeuropäische« Strömung die Oberhand zu gewinnen. Auf den Kundgebungen wurden – zunächst in den westbelarussischen Städten Grodno und Brest, inzwischen auch in Minsk – vermehrt EU-Fahnen mit dem aufgedruckten Schriftzug »Belarus« geschwenkt. Ob ein Beitritt zur Europäischen Union in unmittelbarer Zukunft überhaupt realistisch ist, sei dahingestellt. Sowieso geht es vielmehr darum, in den Köpfen der Menschen eine »langfristige Perspektive« zu verankern. Je verträumter diese ist, desto besser für die Organisatoren dieses Paradigmenwechsels, da sie sich so nicht mit Fakten und realpolitischen Überlegungen wie der bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeit ihres Landes Belarus vom russischen Absatzmarkt beschäftigen müssen.
Dabei gibt es offenkundige taktische Differenzen. Der von Swetlana Tichanowskaja aus Litauen organisierte »Koordinationsrat für die Machtübergabe« ist zwar einstweilen ein weitgehend virtuelles Gebilde. Mehrere Gründungsmitglieder wurden zwischenzeitlich inhaftiert, und solange die Staatsmacht alle Gespräche mit dem »Koordinationsrat« ablehnt, wird das auch so bleiben. Tichanowskaja wird unterdessen von der EU als Ansprechpartnerin aufgebaut, sie konnte eine Videobotschaft an das EU-Parlament richten, der finnische Außenminister hat sie empfangen.
Derweilen verbittet sich der im Land verbliebene Teil der Opposition, diese Anbindung an die EU allzu öffentlich zu machen. Maria Kolesnikowa, ursprünglich Wahlkampfchefin des Kandidaten Wiktor Babariko und heute Mitglied des »Koordinationsrates«, hat sich sogar von den 53 Millionen Euro distanziert, die Brüssel der »belarussischen Zivilgesellschaft« für ihre Aktivitäten zur Verfügung stellen will. Die Opposition habe um dieses Geld nicht gebeten und brauche es nicht, so Kolesnikowa, die übrigens, wie sie vor einigen Tagen der Süddeutschen Zeitung erzählte, elf Jahre als Musikerin in Stuttgart gelebt hat.
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CIA auf Shoppingtour
US-Geheimdienst kauft deutsche Startups. Rüstungsprogramm soll ausgebaut werden. BRD-Industrie warnt vor Ausverkauf der Weltraumtechnologie
Von Jörg Kronauer
Der US-Auslandsgeheimdienst CIA investiert zur Zeit in Deutschland in Hightechunternehmen, deren Know-how sie für ihre globalen Geheimdienstaktivitäten nutzen zu können meint. Zuletzt ist sie bei dem Dresdner Startup Morpheus Space eingestiegen, das besonders kleine und effiziente Satellitentriebwerke baut. Weitere Firmen sind im Visier verschiedener US-Stellen, darunter vor allem solche aus der Weltraumbranche, auf deren Produkte es die U.S. Space Force abgesehen hat. Sie soll in hohem Tempo ausgebaut werden. Wirtschaftskreise warnen bereits vor dem umfassenden Ausverkauf deutscher Weltraumtechnologie – weniger an den Rivalen China, sondern vielmehr an den Rivalen USA. Im Zentrum: die CIA-Investmentfirma In-Q-Tel.
In-Q-Tel ist 1999 auf Betreiben des damaligen CIA-Direktors George Tenet gegründet worden, um dem Dienst in der kaum noch zu überschauenden Hightechsphäre Zugriff auf für ihn hilfreiche neue Technologien zu verschaffen. Dazu investiert das formal selbständige, vertraglich aber an die CIA gebundene Unternehmen in Firmen, an deren Produkten oder Fähigkeiten der Dienst Interesse hat – spezielle Spionagedrohnen oder tragbare Satellitenantennen beispielsweise. Das »Q« in der Firmenbezeichnung bezieht sich auf die gleichnamige Figur in James-Bond-Filmen, die den Titelhelden regelmäßig mit allerlei Spionagegimmicks versorgt. In-Q-Tel erhält für seine Investments hohe Summen aus staatlichen Töpfen. Insider sprechen von jährlich dreistelligen Millionenbeträgen. In den Führungsetagen des Unternehmens tummeln sich Personen, die zuvor in einschlägigen Unternehmen leitende Posten innehatten: Gründer Norman R. Augustine etwa war zuvor Chef des Rüstungskonzerns Lockheed Martin, während der aktuelle Firmenchef Christopher Darby aus den Spitzenrängen des Chipherstellers Intel kam. In-Q-Tel-Funktionäre sind auch sonst bestens in der Branche vernetzt, sind Mitglied in Gremien oder halten Anteile an Unternehmen, bei denen die CIA-Investmentfirma einsteigt.
Wie sich der Einstieg von In-Q-Tel auf ein betroffenes Unternehmen konkret auswirken kann, hat vor einigen Jahren das Wall Street Journal am Beispiel Forterra Systems beschrieben. Das Startup aus Kalifornien dümpelte mit der Arbeit an Anwendungen auf dem Feld der Virtual Reality vor sich hin, als im Jahr 2007 die CIA-Investmentfirma Geld springen ließ. Forterra Systems entwickelte damit Anwendungen für den militärischen Gebrauch, und recht bald trudelten attraktive Aufträge von den US-Streitkräften ein. Nur drei Jahre später wurde das Unternehmen dann von der Science Applications International Corporation (SAIC) mit Hauptquartier im US-Bundesstaat Virginia übernommen, in die In-Q-Tel bereits Anfang des Jahres 2000 investiert hatte – eines der ersten Projekte des Geheimdienstablegers. Mittlerweile gibt es davon mehrere hundert.
In-Q-Tel nimmt gegenwärtig gezielt die deutsche Startup-Szene ins Visier – und hat dazu, wie die Wirtschaftswoche am vergangenen Freitag berichtete, eigens einen Mitarbeiter in Stuttgart stationiert. Eingestiegen ist das Unternehmen jetzt unter anderem bei Morpheus Space, dessen winzige Satellitentriebwerke – sie sollen gerade einmal so groß wie eine Fingerkuppe sein – von Fachleuten als »Revolution« in der Branche bezeichnet werden. Zugleich wird Richard V. Spencer, von 2017 bis 2019 US-Marineminister, Mitglied im Morpheus-Space-Direktorium. Auch der US-Investor Pallas Ventures schießt Geld hinzu. Zwar ist mit der noch jungen Vsquared Ventures aus München noch ein deutscher Risikokapitalfonds an der aktuellen Finanzierungsrunde beteiligt, Morpheus-Space-Chef Daniel Bock ließ jedoch gegenüber der Wirtschaftswoche mit Blick auf die geplante Ausweitung der Firmentätigkeit keinerlei Zweifel aufkommen: »Wir werden uns in den nächsten Monaten stark an den amerikanischen Staat und an amerikanisches Kapital binden.«
Die Bestrebungen von US-Stellen, dem deutschen Rivalen Startups faktisch wegzukaufen, richten sich laut Einschätzung von Beobachtern zur Zeit vor allem auf die Weltraumtechnologie. Involviert sind neben In-Q-Tel auch die NASA sowie die US-Streitkräfte. Hintergrund ist nicht zuletzt, dass die Trump-Regierung die U.S. Space Force in hohem Tempo ausbauen will: Nach ihrer Ausgliederung aus der U.S. Air Force im vergangenen Dezember sollen dafür allein in diesem Jahr 15,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stehen – mehr, als in ganz Westeuropa für die Raumfahrt ausgegeben werden. Für deutsche Startups bieten sich damit in den USA Chancen, die sie auf dem heimischen Kontinent nicht haben. Der BDI wies vor kurzem darauf hin, dass Berlin inzwischen zwar Einstiegsofferten chinesischer Unternehmen abwehre, nicht allerdings solche aus den USA, wenngleich diese deutlich häufiger zu verzeichnen seien. In der Zeit ließ sich ein Manager des Risikokapitalfonds Vsquared Ventures gar mit der Einschätzung zitieren, Deutschland blieben »noch etwa zwei Jahre«, um »den Abzug der (Weltraumtechnologie-)Branche in die USA zu verhindern«.
Ein Herz für die NATO
Die Linke: Kampagne gegen friedenspolitischen Kurs der Partei. Linker Flügel sieht »Gründungskonsens« der Partei in Frage gestellt
Von Nico Popp
Die Partei Die Linke sei »die Friedenspartei im deutschen Bundestag« und »an der Seite der Friedensbewegung«, sagte Koparteichef Bernd Riexinger am Montag bei einer Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus. »Natürlich« rufe man als Partei zu allen Aktionen der Friedensbewegung am 1. September, dem Weltfriedenstag, mit auf.
Ob derartige Aufrufe aus der Linkspartei noch lange mit einem Mindestmaß an Glaubwürdigkeit vorgetragen werden können, ist freilich unsicherer denn je. Vor dem Bundesparteitag, der Ende Oktober in Erfurt zusammentreten soll, machen jene Kräfte in der Partei mobil, die nach der Bundestagswahl 2021 zusammen mit SPD und Grünen eine Bundesregierung bilden wollen.
Vorne mit dabei ist der ehemalige Fraktionschef Gregor Gysi, der seit Tagen ein Interview nach dem anderen gibt und sich dabei bemüht, die als Fallstrick für dieses Vorhaben ausgemachte außenpolitische Beschlusslage der Partei weichzuklopfen. Als außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, der Gysi seit Mai ist, kann er das mit zusätzlichem Gewicht und vergleichsweise unabhängig von Gremien der Partei tun. Insbesondere versucht Gysi, dem heiklen Thema NATO – und damit implizit dem Problem, dass Die Linke mit dem Eintritt in eine Bundesregierung die außen- und bündnispolitische Staatsräson der Bundesrepublik akzeptieren muss – die Sprengkraft zu nehmen. Zwar fordere die Partei die Ersetzung der NATO durch eine »andere Struktur« – aber das habe, so Gysi Ende vergangener Woche gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, »mit der Koalition nichts zu tun«. Sowieso habe die Partei »nie den Austritt Deutschlands aus der NATO gefordert«. Wenige Tage zuvor hatte er gegenüber dpa erklärt, dass die NATO-Sache für Koalitionsverhandlungen »nicht so wahnsinnig dramatisch« sei. Auch beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr könne man sich übrigens »verständigen«. Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel (Sonntagausgabe) sagte Gysi, dass seine Partei grundsätzlich zu den Bündnisverpflichtungen der NATO stehe.
Immerhin: Das bleibt nicht unwidersprochen. In einer Erklärung zum Weltfriedenstag, die jW vorliegt, wenden sich zahlreiche Funktionsträger und Abgeordnete der Partei gegen diese Kampagne. In dem Papier heißt es, dass »die Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr« bzw. die Frage, »wie wir zum Aufrüstungspakt NATO stehen«, der »Lackmustest unserer friedenspolitischen Glaubwürdigkeit« ist. Nun werde »dieser Gründungskonsens« der Partei »in Frage gestellt und eine bedingungslose Koalitionsbereitschaft in Richtung SPD und Grüne signalisiert«. Das sei ein »Angriff auf die friedenspolitischen Grundpositionen unserer Partei«, den man »in aller Schärfe« zurückweise. Es habe »keinen Sinn, eine Regierungsbeteiligung für Die Linke zu erringen, wenn der Preis dafür ist, keine Linke mehr zu sein«.
Zu den Unterzeichnern gehören die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel, Hubertus Zdebel, Sevim Dagdelen, Alexander Neu, Nicole Gohlke, Ulla Jelpke und Christine Buchholz sowie die Vorstandsmitglieder Johanna Scheringer-Wright, Lucy Redler und Harri Grünberg. Ebenfalls unterzeichnet haben die Sprecherinnen und Sprecher der Parteiströmungen Sozialistische Linke, Antikapitalistische Linke und Kommunistische Plattform, Ralf Krämer, Thies Gleiss und Ellen Brombacher. Auch die Landesvorstände Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben sich hinter die Erklärung gestellt. Auffällig ist, dass die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner bis auf wenige Ausnahmen aus den westdeutschen Landesverbänden und aus Berlin kommen. In den fünf ostdeutschen Landesverbänden scheint die angebahnte Aussöhnung der Partei mit der NATO nur noch wenige Kritiker zu finden.
Nawalny: Charité hat sich an ein deutsches Militärlabor und Porton Down gewandt
Noch wurde offenbar die Substanz nicht identifiziert, die zu einer Vergiftung von Nawalny geführt haben soll, Anfragen beantwortet die Charité nicht.
TomGard: Herr Rötzer verbreitet Falschmeldungen und Fortsetzung im Telegrammstil
Ist der Kapitalismus nun “am Kipp-Punkt”? (Eigentlich ein Ausdruck aus den Szenarien der Klimabewegung)
https://www.frankfurter-hefte.de/artikel/kapitalismus-am-kipppunkt-3031/
Ist eine Wende zum freiwilligen Weniger möglich? Oder ist das auch bloß die Begleitmusik zum Weniger, welches die ökonomische Krise des Kapitalismus den (weitaus meisten) Insassen der Standorte aufherrscht? Lassen sich die pfäffischen Lobhudeleien von Entschleunigung, Konsumverzicht und Askese als Weltverbesserungsmethode nun neu begründen? Oder bewirkt das nicht auch allenfalls den Aufschwung diesbezüglicher neuer grüner Warenwelten (denn die Logik des kapitalistischen Systems und seines Wachstumszwangs wird ja nicht gebrochen)?
Also was Nawalny und TomGard angeht, so verstehe ich erstens nicht, um was für „Falschmeldungen“ es sich bei Rötzer handeln soll und zweitens, was die Quellen von TomGard bezüglich der Diagnose der Omsker Ärzte sind.
Mein Eindruck ist, daß da – wieder einmal – die Phantasie mit ihm durchgeht.
Die Komsomolskaja Pravda vermutet, wie schon woanders von mir erwähnt, eine bisher nicht erkannte und behandelte Krankheit bei Nawalny, der ja vermutlich nicht sehr gesund lebt.
Der FSB ist selber irritiert, weil Nawalny rund um die Uhr überwacht wird und eine etwaige Vergiftung als Versagen der Überwachungsorgane aufgefaßt würde.
Aber klar, einen Vorkoster haben sie noch nicht für ihn abgestellt …
@Frage
Ich vermute einmal, der Rückgang der Realeinkommen und das Ansteigen der Wohnkosten werden da ganz selbsttätig einen Rückgang des sonstigen Konsums bewirken. Das grüne Gedudel ist da nur die Begleitmusik.
Und da geht es leider nicht nur um „weniger“, sondern auch um „schlechter“, z.B. bei Lebensmitteln.
@Frage
Lies mal, was Yanis Varoufakis zu dem Thema schreibt:
https://www.project-syndicate.org/commentary/covid19-and-postcapitalist-economy-by-yanis-varoufakis-2020-08/german
Das theoretisches Fundament, das er da mobilisiert, ist reichlich armselig auch unter dem Maßstab der Kompetenzen, die er zu anderen Gelegenheiten zeigt.
Das rückt den Ort der Veröffentlichung in den Blick: Das Generalthema von Project-Syndicat ist World Governance.
Gegenüber US-Aktivisten spricht Yanis expliziter von “Neofeudalisierung des Kapitalismus”, eine phänomenologische Begriffswahl, zu der ich in vergangenen Versuchen, die Dynamik des Imperialismus theoretisch zu fassen, verschiedentlich auch gegriffen habe. Sie ist ziemlich falsch.
Das übergreifende Datum, das in Rechnung zu ziehen ist, besteht aus der Gewalt, die in der schieren Masse souveränen Weltgeldkredites (weltweit mehr als €20 Billionen, wenn ich richtig mitgezählt habe), die für ökonomische , im Unterschied zu souveränen, bzw. besser: eigentümlichen Staatszwecken, verwandt wird. Die Staatszwecke bleiben erhalten, aber sie werden zur abhängigen Variablen, wie das Beispiel “VW”, das Yanis wählte, ganz gut demonstriert.
So entsteht eine strategische Scheidung der Subsidien.
Ein Teil dient der jeweiligen nationalen Subsistenzbasis, praktisch hinaus laufend auf die Erhaltung einer “kleinen Zirkulation”, die heute freilich einen weit umfänglicheren Teil der Kapitalzirkulation umfaßt, als zu der Zeit, da Marx den Ausdruck prägte.
Ein anderer Teil koppelt die Akteure, die “Global Player” geheißen werden, zuzüglich die Militärisch Industriellen Komplexe, von der restlichen Kapitalzirkulation weitgehend ab.
Das Phänomen ist nicht neu, gewiß. Es ist Bestandteil der kriegswirtschaftlichen Momente der imperialen Ökonomien namentlich seit 9/11 kombiniert mit der Zusatzphase der “Finanzkrise” seit 2008.
Ich hatte seinerzeit den Komplex dieser Erscheinungsformen (unter höhnischen Kommentaren von “Marxisten”, incl. Nestor) mit dem abstrakt-Allgemeininger “Entkopplung von Geschäft und Gewalt” benamst, u.a. um dem Phänomen des “Creative Chaos” Rechnung zu tragen, das eine mächtige Fraktion von Internationalisten seit 9/11, verstärkt seit dem Libyenkrieg, zum expliziten Ziel einer Vielzahl von Kriegen und Kriegshandlungen erhoben haben.
Jetzt sehen wir das Phänomen voll auf die Gliederung der Kapitalzirkulation und damit auf die Kapitalistenklasse durchgreifen. Ein jedes Eigentum muß sich jetzt auf eine strategische Relevanz begutachten lassen, um sich mittels Partizipation an der Masse souveränen Kredits als ein Solches behaupten zu können, und diese Dynamik wirkt sowohl direkt, in Gestalt von Kreditbedingungen, wie indirekt, in Gestalt der damit national wie international neu ausgerichteten Märkte.
Das ist immer noch Kriegswirtschaft – aber sie ist jetzt sozusagen “echt globalisiert”, obgleich um die Bedingungen dieser Globalisierung und die hoheitlichen Rollen in ihr jetzt erst recht mit militärischen Mitteln gestritten wird.
Doch schon Letzteres sollte allen Illusionen den Garaus machen, daß hier “bloß” eine Übergangsphase angestrebt werde und vorliege, ein Ersatz für Geschäft, um wieder genuine, klassische Geschäftstätigkeit folgen zu lassen; “Krisenmanagement” zum Zwecke eines “Aufschwungs”.
Damit ist es vorbei, und die World Governance-Player wollen, daß es damit vorbei sei. Zu denen hat Yanis beste persönliche Kontakte.
@Nestor
Ich wünsche gar nicht, daß Du mein Zeugs und die darin benannten Quellen liest, aber wenn Du es nicht tust, dann lüg halt nicht ‘rum, ich täte nur fabulieren, danke.
Bundesregierung: Nervenkampfstoff bei Nawalny nachgewiesen
Bei dem in Deutschland in Behandlung befindlichen russischen Regierungskritiker Alexej Nawalny wurde nach Angaben der Bundesregierung „der zweifelsfreie Nachweis” eines chemischen Nervenkampfstoffes aus der Nowitschok-Gruppe erbracht.
Russischer Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt – Maas fordert Aufklärung von Fall Nawalny
Kurz nach einer Erklärung der Bundesregierung am Mittwoch, dass der Kremlkritiker Alexej Nawalny mit einem Wirkstoff der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde, hat das Auswärtige Amt den russischen Botschafter Sergej Netschajew einbestellt, um Russland zu einer Stellungnahme aufzufordern.
„Opfer eines Verbrechens“: Merkel bestürzt über Untersuchungsergebnisse im Fall Nawalny
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich bestürzt über die Untersuchungsergebnisse im Fall des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny gezeigt.
Gesundheitszustand von Nawalny ist weiterhin ernst – Charité
Der Gesundheitszustand des russischen Bloggers Alexej Nawalny, der seit dem 22. August 2020 in der Charité – Universitätsmedizin Berlin behandelt wird, ist weiterhin ernst. Das geht aus einer offiziellen Pressemitteilung hervor.
Nawalny angeblich mit Nervenkampfstoff vergiftet: Moskau nimmt Stellung
Die russische Seite wartet auf eine Antwort Deutschlands auf die Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zur Situation um den Blogger Alexej Nawalny. Dies gab das russische Außenministerium auf Anfrage der Agentur RIA Nowosti am Mittwoch bekannt.
Fall Nawalny: Moskau erhielt von Berlin keine Hinweise auf „Vergiftung mit Nowitschok” – Kreml
Moskau erhielt von der Bundesregierung nach Angaben des Kremlsprechers Dmitri Peskow keine Informationen, die Nawalnys „Vergiftung” mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe beweisen.
„Keine Giftspuren im Blut“ – Kreml weist Berlin auf Nawalnys frühere Untersuchungsbefunde hin
Russland ist zur allseitigen Zusammenarbeit mit Deutschland bezüglich der Situation um den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny bereit. Allerdings weist der Kreml darauf hin, dass Berlin bislang keine Antwort auf offizielle Anfragen gegeben habe.
Russische Politiker äußern sich zur Erklärung der Bundesregierung im Fall Nawalny
Neben dem Kreml und dem Außenministerium Russlands haben sich viele russische Politiker zu der jüngsten Erklärung der Bundesregierung zum Fall Nawalny geäußert.
Bundesregierung: Nawalny mit Nowitschok vergiftet
Das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr hat in Proben einen “chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe” nachgewiesen
Nowitschok-Entwickler: Russland wird keine Beweise für Nawalnys „Vergiftung” erhalten
Nach Ansicht des Chemiewaffen-Spezialisten Leonid Rink, der an der Entwicklung des Nervengiftes „А-234 Nowitschok“ gearbeitet hatte, wird Deutschland keine Beweise für die angebliche Vergiftung des Kremlkritikers Alexej Nawalny an Russland übergeben.
Darum braucht Berlin „Megaphon-Diplomatie“ im Fall Nawalny – Moskau gibt Erklärung ab
Deutschland greift auf die „Megaphon-Diplomatie“, Appelle an die EU, Nato und die Organisation für das Verbot chemischer Waffen ( OPCW) in der Situation mit dem russischen Blogger Alexej Nawalny zurück, um offenbar die im Voraus vorbereiteten „Reaktionsmaßnahmen“ zu rechtfertigen. Dies teilt das russische Außenministerium am Mittwoch mit.
Nowitschok-Äußerung der Bundesregierung ist weitere Stufe der Eskalationspolitik – Willy Wimmer
Am Mittwoch hat Regierungssprecher Steffen Seibert verkündet, Ärzte der Charité hätten den zweifelsfreien Nachweis für die Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny mit einem Nervenkampfstoff aus der Gruppe des Nowitschok erbracht. Sputnik hat darüber mit Willy Wimmer gesprochen.
Untersuchungsergebnisse im Fall Nawalny: Stellungnahme des russischen Außenministeriums
Das Außenministerium Russlands ist in einer Erklärung auf die von der Bundesregierung am Mittwoch veröffentlichten Ergebnisse im Fall Nawalny eingegangen.
„Zutiefst besorgt“: Washington äußert sich zu angeblicher Vergiftung von Nawalny durch „Nowitschok“
Die USA sind tief besorgt über die am Mittwoch von der Bundesregierung im Fall Nawalny veröffentlichten Ergebnisse. Dies gab der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Ullyot, gegenüber der RIA Novosti bekannt.
Nach „Nervengift-Nachweis“ bei Nawalny: Nato will Folgen besprechen
Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat angekündigt, nach den von der Bundesregierung publik gemachten Untersuchungsergebnissen im Fall Nawalny mit Deutschland und allen übrigen Bündnispartnern mögliche Folgen erörtern zu wollen.
Wegen Fall Nawalny: Grüne wollen Ende von Nord Stream 2
Die Grünen haben als Reaktion auf die von einem Bundeswehr-Labor nachgewiesene Vergiftung des Kreml-Kritiker Alexej Nawalny einen Abbruch des deutsch-russischen Pipeline-Projekts Nord Stream 2 gefordert.
Diese Propaganda mit dem Novitschok ist so plump und blöd, daß ich gar nicht weiß, was man dazu sagen soll.
Skripals revisited. (Leben die überhaupt noch?)
Ich erinnere an das Interview, das der russische Dissident und Biochemiker Zhores Medwedjew anläßlich der Skripal-Schmierenkomödie der Komsomolskaja Pravda gegeben hat:
https://www.kp.ru/daily/26806.4/3840760/
Da meinte er, das ganze könne von Leuten wie Chodorkowski, also in England lebenden Putin-Gegnern ausgegangen sein, die damit westlichen Geheimdiensten und Regierungen einen Vorwand für antirussische Aktionen liefern wollen.
Gerade bei dieser Angelegenheit mit Nawalny scheint diese Verbindung sehr plausibel.
@TomGard
Ich habe nicht behauptet, daß du „nur“ fabulierst, aber daß du manchmal dazu neigst. 🙂
Was den Inhalt deines Beitrags angeht, so mag es ja sein, daß manche Leute Weltherrschaft anstreben, es heißt aber nicht, daß es ihnen gelingt.
Also ohne bestreiten zu wollen, daß es solche Initiativen gibt, aber die spießen sich immer noch mit der imperialistischen, also nationalen Politik.
Ebenso ist unbestreitbar, daß die USA sich der Waffe des Kredits bedienen, um ihre nationalen Interessen durchzusetzen, aber auch da stoßen sie auf Schranken verschiedenster Art.
Der Beitrag von Varoufakis gibt übrigens das nicht her, was du daraus folgerst, nur nebenbei bemerkt.
@NN
Ganz im Gegenteil, wie die Ansicht von Willy Wimmer ist, hat Berlin da nicht unsouverän gehandelt, sondern sich selber einen guten Grund gesucht, um sich gegenüber Rußland neu zu positionieren. Sie haben doch nicht ohne Grund die Briten eingeschaltet, damit die ihnen ihre Novitschok-Story fabrizieren.
Vielleicht ist es wirklich ein Versuch, den Abbruch des North-Stream-Projektes als souveräne Entscheidung Deutschlands begründen zu können.
Lukaschenko: Warschau-Berlin-Gespräch abgefangen – Erklärung über Nawalnys Vergiftung gefälscht
Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko hat den russischen Premierminister Michail Mischustin über das Abfangen eines Gesprächs zwischen Warschau und Berlin informiert, in dem es um den russischen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny gegangen sein soll.
Zwischen diplomatischen Gesten und Totalboykott – Ischinger setzt auf Mittelweg bezüglich Russland
Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat sich am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“ gegen den Totalboykott gegenüber Russland ausgesprochen. Die beste Lösung wäre es laut ihm, einen Mittelweg „zwischen nur diplomatischen Gesten und einem Totalboykott“ zu finden.
Ich hab mich schon gefragt, was eigentlich aus Nord Stream 2 geworden ist, während die Öffentlichkeit mit Corona abgelenkt ist. Der Nawalny Fake ist die offensichtliche Antwort. Ich weiß gar nicht, wie blöd muss man eigentlich sein, damit man nicht nach einer halbe Sekunde durchschaut, dass das gelogen ist. Ich mein, das ist ja nicht mal mehr eine Schmierenkomödie, sondern nur noch der billige Abklatsch einer Schmierenkomödie. Die bloße Erinnerung daran, dass man mit jeder haarsträubenden Story durchkommt egal wie absurd sie auch sein mag. Russland soll sich die Mühe machen und irgendwelche Blogger vergiften. Bloß weil der Typ in einem Flugzeuge umgekippt ist. Das kommt bestimmt zigmal im Jahr vor.
Dass es sich um eine Inszenierung handelt ist klar. Bloß von wem geht sie aus. Scheinbar wollen nicht alle das Ende von Nord Stream 2 verkünden. Oder gehört das mit zur Inszenierung,dass man so ein bisschen demokratisches Hin- und Her inszeniert, um sich am Ende zu einem Boykott von NS2 durchzuringen. Dann hätte die BRD einen Kotau vor der USA hingelegt, was sie ja mit allen Mitteln verhindern wollte.
Nord Stream 2 ist ganz klar im Interesse der BRD. Und die Aufgabe dieses Projekts ist eine Schädigung und eine imperialistische Zurechtweisung, die auch dem Führungsanspruch innerhalb der EU einen Dämpfer verpasst.
Das fragen sich dieser Tage wohl einige, ich jedenfalls auch.
Offensichtlich ist bisher nichts aus NS2 geworden. Und so wie die USA die Daumenschrauben bei Deutschland anziehen, wird da wohl auch nichts draus werden. Denn angesichts der US-Erklärungen, daß ein Staat entweder mit den USA gegen Rußland (und China) in den möglichst totalen (Wirtschafts-)Krieg eintritt oder auch zum Feind gezählt wird, hat sich die BRD offensichtlich zähneknirischend in ihr Los gefügt und dreht bei auf US-Kurs.
Denn es ist ja auch offensichtlich, daß Deutschland den US-Ansinnen buchstäblich nichts von Gewicht entgegensetzen kann. Allein schon eh nicht, aber noch nicht mal mit der kompletten EU im Rücken. Und komplett ist die ja eh nicht hinter Deutschlands Kurs, einige wie Polen sind ja jetzt schon Frontstaaten gegen Rußland und mehrere tragen ja den NS2-Kurs von Deutschland nicht mit.
Wirklich in der Zwickmühle ist Deutschland natürlich in Bezug auf China: Da der Handel mit China bald wichtiger sein wird als der mit dem bisherigen Haupthandelspartner, den USA, kann sich Deutschland wirtschafltich eigentlich keinen Kriegskurs gegen China leisten. Aber den USA die Gefolgschaft verweigern und damit selber mit Kriegsmaßnahmen eingedeckt zu werden, will Deutschlnand genauso vermeiden. Was also tun? Ich weiß es genausowenig wie Merkel un Maas. Und das merkt man wiederum beiden nun wirklich bei jedem Statement zu den leidigen Konflikten an.
@Nestor
Ich habe den englischen Begriff “World Governance” benutzt, weil er nicht gut zu übersetzen ist. Er meint definitiv weder “Weltherrschaft” noch “Weltregierung”, aber auch mehr, als “Globale Verantwortung”.
Schon in diesem semantischen Problem steckt eine Vielzahl der Facetten der Phänomene, die ich angesprochen habe, von denen Du offensiv keine Ahnung haben willst.
Ist Okay. Ab einem bestimmten Lebensalter ist es definitiv spielerischer Ernst, oder ernstes Spiel, sich mit solchen Sachen zu befassen.
Vielleicht läßt Du es einfach, wenn Du nichtmal Spaß daran hast?
“Aber den USA die Gefolgschaft verweigern und damit selber mit Kriegsmaßnahmen eingedeckt zu werden, will Deutschland genauso vermeiden. Was also tun?”
Die Sache ist bloß die, dass China ohne Krieg nicht aufzuhalten sein wird. Und wenn dieser Krieg stattfindet, dann jedenfalls nicht auf dem Territorium der USA. Ob die USA das verhindern kann ist eine andere Frage. Aber von den USA aus findet der Krieg in Europa und in Asien, Taiwan Japan und so statt. Also ist es gar nicht so klug sich auf die Seite der USA zu stellen. Denn wenn Eurasien sich nicht auf die US-Seite stellt dann müssen die USA praktisch gegen die ganze Welt Krieg führen und das halten auch die USA nicht durch.
Ich glaube eigentlich nicht, dass die Alternative heißt Kriegsmaßnahmen oder Nordstream 2. Eine Drohung ist auch was anderes als die Durchführung. Die USA ist ja seit geraumer Zeit dabei Europa massiv auf allen Ebenen zu schädigen. Immer nur den Schwanz einzuziehen, bringt auf die Dauer nur, dass Europa und die BRD politisch und wirtschaftlich untergeht.
Der Krieg läuft ja schon. Als Wirtschaftskrieg, als Cyberwar, mit Show Downs im Chinesischen Meer. Als massives Aufrüstungsprogramm sowohl auf Seiten der USA als auch in der VR China.
Ja, davon träumen die USA. Und China arbeitet intensiv daran, daß der Krieg eben auch auf dem Gebiet der USA stattfinden kann/wird.
Es geht doch nicht um die Frage, ob man lieber Schokokuchen oder doch lieber Käsekuchen nehmen soll, wenn einen der Konditor so nett fragt. Es geht um die Frage, ob es sich Deutschland überhaupt leisten kann, aus der Einheitsfront mit den USA auszuscheren. Ob es für einen Konfrontationskurs gegen die USA überhaupt hinreichend Mitstreiter mobilisieren könnte, um einen letztlich heißen Show Down mit den USA zu vermeiden.
Deutschland alleine kann nicht mal ansatzweise irgendwelche Kriege gegen Staaten größer als Mali führen. Ob die europäischen Staaten, selbst unterstellt, sie würden überhaupt alle an einem Anti-USA-Strang ziehen, mit den USA militärisch mithalten könnten, bezweifele ich auch (die NATO lebt in erster Linie von den USA). Man schaue sich nur an, was da an Luftwaffenkräften und Kriegsmarine auf beiden Seiten einsetzbar ist. Ob die USA gleichzeitig gegen Europa und China in den Krieg ziehen könnte, spielt der US-Generalstab sicher jetzt schon Tag und Nacht durch. (Gegenüber der VR China glauben ja jetzt schon manche US-Militärs, in ein paar Jahren nicht mehr sicher gewinnen zu können.)
Deutschland und die europäischen Staaten fahren ja jetzt schon einen harten antirussischen Kurs. Das ganze Sanktionswesen seit der Ukraine-Krise läuft ja voll weiter. Und es könnte eben sehr gut sein, daß die jetzige Verschärfung dieses Kurses auch dazu führt oder gar dazu eingeleitet wurde, NS2 endgültig zu kippen, wie es die USA ja die ganze Zeit massiv fordern.
Dahinter steht die Behauptung, daß Europa und die BRD im Augenblick überhaupt wirklich was Entscheidendes darstellen politisch und wirtschaftlich. Es könnte doch sein, daß das mittlerweile schon eine Illusion ist, das die Größe Europas nicht erst bevorsteht und “nur” noch endlich zusammengezimmert werden müßte, sondern bei Lichte besehen schon erledigte (unwiederbringliche?) Vergangenheit ist. Wenn gar kein Schwanz mehr da ist zum Einziehen, was sollte Europa (und das gibt es als Subjekt ja gar nicht, das betone ich ja immer wieder) dann noch machen, um wieder groß rauszukommen?
Neues aus der Giftküche
Fall Nawalny: Regierungspolitiker wollen ganze EU gegen Russland positionieren. FDP und Wirtschaftsvertreter bremsen
Von Reinhard Lauterbach
Nach den schweren Vorwürfen der Bundeskanzlerin gegen Russland wegen des angeblichen Mordversuchs an Alexej Nawalny fordern Teile der politischen Klasse eine Verschärfung der deutschen Russland-Politik. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte am Donnerstag, er rechne mit einer »erheblichen Verschlechterung« der Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Wichtig sei aber, dass diese Verschärfung von der ganzen EU mitgetragen werde.
Ähnlich äußerte sich der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er erklärte am Donnerstag im Deutschlandfunk (DLF), der russische Präsident Wladimir Putin verstehe nur die »Sprache der Härte«. Deshalb müsse auch Frankreich seine Versuche beenden, mit Russland zu einem strategischen Sonderverhältnis zu kommen. Für die Bundesrepublik verlangte Röttgen, den Bau der Ostseepipeline »Nord Stream 2« zumindest auf Eis zu legen. Russland sei von Erdgasexporten abhängig, weshalb man Putin bei dem Thema am stärksten treffen könne. Ähnlich äußerten sich auch Politiker der Grünen.
Widerspruch zur von Röttgen und anderen »Transatlantikern« geforderten Einstellung des Pipelineprojekts in der Ostsee kam von der FDP und von Wirtschaftsvertretern. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki sagte ebenfalls im DLF, er sei skeptisch, ob ein Projekt dieser Größenordnung jetzt auf einmal in Frage gestellt werden sollte. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass Putin oder die russische Regierung hinter dem Anschlag auf Nawalny steckten; es gebe in Moskau »Kräfte, die teilweise ein Eigenleben führen«. Sollte sich der Verdacht gegen Russland aber bestätigen, stehe eine womöglich jahrelange politische Eiszeit bevor.
Der Vorsitzende der Münchener »Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger, sprach sich gegen einen »totalen Boykott« Russlands aus. Die Bundesrepublik und die EU bräuchten die Kooperation Moskaus auf verschiedenen Gebieten vom Klima bis zur Ukraine, sagte er in der ARD. »Nord Stream 2« müsse zwar »auf den Prüfstand«, allerdings sei ein Abbruch des Projekts eine »sehr komplexe Angelegenheit«. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft warnte davor, dass neue Sanktionen gegen Russland »unbeteiligte Unternehmen und die russische Bevölkerung« treffen würden.
Kanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch in scharfen Worten auf »Ergebnisse« einer Untersuchung des Zentrallabors der Bundeswehr reagiert. Sie warf Moskau einen »versuchten Giftmord« an Nawalny vor, um »den führenden Oppositionellen Russlands zum Schweigen zu bringen«. Es stünden jetzt »schwerwiegende Fragen« im Raum, die »nur die russische Seite beantworten« könne. Ähnlich äußerten sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warnte allerdings vor »Schnellschüssen« in der Sanktionsfrage. Erst müssten die Vorgänge aufgeklärt werden und Verantwortliche zweifelsfrei feststehen.
Die russische Regierung beklagte, dass die Bundesregierung zu einer Politik der »lauten öffentlichen Erklärungen« übergegangen sei. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, Moskau sei bereit, mit der deutschen Seite zu kooperieren. Allerdings warte Russland noch auf angeforderte Dokumente zu den Untersuchungsergebnissen der Berliner Charité. Russische Medien zitierten einen der Entwickler des Nervengifts »Nowitschok« mit der Aussage, wenn gegen den Politiker wirklich dieses Gift eingesetzt worden wäre, hätte er den Angriff mit Sicherheit nicht überlebt.
Eiszeit mit Ansage
Angebliche Vergiftung von Nawalny
Von Reinhard Lauterbach
Eines vorweg: Wenn es mit Alexej Nawalny so zugegangen sein sollte, wie es die Bundesregierung behauptet, wäre das nicht zu entschuldigen. Politische Gegner bekämpft man mit Argumenten, gegebenenfalls mit den Mitteln des Rechts – das kommt auch in der Bundesrepublik vor –, aber nicht mit Gift. Aber – und das ist ein sehr großes Aber: Dass es so gewesen ist, wie es die Kanzlerin behauptet hat, ist absolut nicht ausgemacht.
Zunächst: Das Zentrallabor der Bundeswehr ist keine unabhängige Forschungseinrichtung, es unterliegt politischen Weisungen. Seine Ergebnisse sind also mit einiger Vorsicht zu genießen.
Zweitens war es ausgerechnet der BND, der in den Neunzigern einem sowjetischen Rüstungswissenschaftler eine Probe des chemischen Nervenkampfstoffs »Nowitschok« abkaufte und diese anschließend unter seinen Partnerdiensten verteilte. Wenn es also Nowitschok gewesen sein sollte, muss es nicht der russische Inlandsgeheimdienst FSB gewesen sein, der Nawalny den Stoff verabreicht hat. Das Zeug ist auch schon bei Abrechnungen unter bulgarischen Gangstern eingesetzt worden. Es ist auf dem Markt verfügbar.
Drittens: Wenn es Russlands politische Führung gewesen war, in deren Auftrag Nawalny vergiftet wurde – warum sollte sie es dann zugelassen haben, dass der Patient nach Deutschland ausgeflogen wurde? Das ist für sich genommen schon ein Argument dagegen, dass der Kreml etwas mit der Vergiftung zu tun hatte. Wenn, wie es Nawalnys Anhänger unmittelbar nach dem Vorfall verbreiteten, das zur Notversorgung genutzte Krankenhaus in Omsk »vor Geheimdienstlern gewimmelt« hat – warum sollten dann diese Leute, unterstellt, sie wollten Nawalny umbringen, keine Mittel und Wege gefunden haben, dem Leben des »Kremlkritikers« auf eigenem Territorium ein Ende zu setzen?
Viertens: Wenn man der in der transatlantischen Welt propagierten Version folgt, steht die Vergiftung Nawalnys in der Tradition der Vergiftung von Sergej Skripal. Mit Verlaub: Soll man wirklich glauben, dass es dann in Moskau keine Fehlerdiskussion gegeben habe, um die Imagepleite der versuchten und zudem noch misslungenen Beseitigung Skripals kein zweites Mal zuzulassen? Hält die Bundesregierung die russischen Geheimdienste für skrupellos oder für Luschen?
Klar ist: Beim »Fall Nawalny« handelt es sich um eine Inszenierung. Berlin hat sich den Skandal bewusst ins eigene Haus geholt. Aber warum? Ist es ein Schachzug im Streit um den in Berlin erschossenen tschetschenischen Islamisten? Will Merkel mit dieser Eskalation den gesichtswahrenden Ausstieg aus der Unterstützung für das Projekt »Nord Stream 2« einleiten, die sie vor ein paar Tagen noch öffentlich erklärt hat? Will sie genau umgekehrt an der Pipeline festhalten und den USA demonstrieren, dass deren Argument nicht stimmt, die BRD mache sich von Russland abhängig? Egal, welche Version stimmt: Gut ist keine davon. Die Zeichen stehen auf Eiszeit.
C-Waffen-Experte: Bekanntmachung von Nawalnys Testergebnissen in Berlin absichtlich verzögert
Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgestellte Version über den „versuchten Giftmord“ an dem Kreml-Kritiker Alexej Nawalny findet keine allgemeine Unterstützung sowohl im In- als auch im Ausland. Auch das ehemalige Mitglied der Kommission für Bio- und Chemiewaffen sowie UN-Militärexperte Igor Nikulin hat Zweifel an den Testergebnissen geäußert.
Warum es keine Nowitschok-Vergiftung sein kann: Omsker Toxikologe zu Fall Nawalny
Der leitende Toxikologe des Föderalen Kreises Sibirien, Alexander Sabajew, erachtet eine Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny mit dem Nervengift „Nowitschok“ als unwahrscheinlich. Seiner Ansicht nach ist der schwere Zustand des oppositionellen Bloggers auf einen internen Auslösemechanismus zurückzuführen.
Ärzte der Moskauer Sklifasowski-Klinik fanden keine Giftspuren in Nawalnys Proben
Blut-, Urin- und sonstige Proben des kremlkritischen Bloggers Alexej Nawalny seien in der Moskauer Sklifasowski-Klinik an einem Massenspektrometer aus US-Produktion untersucht worden.
Mitstreiter wären schonmal China und Russland. Was stellst du dir denn vor? Wenn NS2 fertig wird marschiert die USA in der BRD ein? Und was wär denn besser ein Showdown mit den USA gegen Russland und China auf deutschem Boden oder ein Showdown mit Russland und China gegen die USA auf deutschem Boden. Ich würde da selbst relativ keine Möglichkeit bevorzugen.
Es geht ja auch nicht darum von Deutschland aus eine Front gegen die USA aufzumachen. Wenn die USA in der BRD einmarschieren wollen machen sie das. Es geht darum sich als Schlachtfeld der USA zur Verfügung zu stellen oder nicht. Also in vorauseilendem Gehorsam die Speerspitze gegen Russland China zu bilden.
Was etwas Entscheidend war stellt sich immer erst hinterher raus. Ein Staat kann auch immer nur so erfolgreich/entscheidend sein, wie die Ansprüche die er verfolgt. Wenn er sich gleich unterordnet, wird er auch nicht entscheidend sein.
Wäre aber etwas seltsam, wenn sich das ganz unbemerkt vollzogen hätte. Natürlich gab es Rückschläge z.B. Brexit, Eurokrise. Aber dass in Berlin bloß noch Marionetten der USA sitzen glaube ich eher nicht.
Um groß rauskommen geht es ja gar nicht, sondern darum die Weltkriegs und Wirtschaftskriegspläne der USA zu überleben.
Genau. Die ganze Inszenierung ist so schrecklich unoriginell und einfallslos, dass ein Geheimdienst, der sich sowas ausdenkt, sofort gefeuert werden würde.
Die Agenda der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft enthält diverse dicke Konfliktfälle.
https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/eu-sondergipfel-ende-september-geplant/
D will anscheinend mit dem Thema Anti-Russentum Europa hinter sich bringen, riskiert dafür sogar eigene wirtschaftliche Interessen (Nord Stream 2, u.a.), schließlich gehen Polen und weitere Staaten (vor allem die Balten) ziemlich offen derzeit ins Lager der USA über. Obendrein gibt es wegen Libyen und wg Türkei/Griechenland interne Konflkte incl. Erpressungspotentiale beteiligter Staaten.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-09/mittelmeer-konflikt-griechenland-tuerkei-angela-merkel
Das Ganze zielt daher m.E. eher auf den so erpressten weiteren Zusammenhalt der EU unter deutscher Führung.
(Dieser Vermutung zufolge hält die BRD die Vergiftungs-Deutung bis Ende September reltiv heftig auch weiterhin am Leben, – je nachdem, wie sich bis dahin die weiteren europäischen Staaten positionieren. GB lässt grüßen! Z.B. Frankreich hat ja selbst diverse weltweite Konflikte, – und positioniert sich derzeit ‘weltpolitisch’ – wie genau? Z.B. kommentiert die FAZ dies verärgert so: “Der französische Präsident hat es seinem Außenminister überlassen, den Einsatz eines Nervenkampfstoffs gegen den russischen Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj „auf das allerschärfste“ zu verurteilen. Das deutet darauf hin, wie schwer es Emmanuel Macron fällt, das Scheitern seiner im August 2019 mit dem Empfang des russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner Sommerresidenz an der Côte d’Azur begonnenen Charme-Offensive einzugestehen.”)
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EDIT: Dass die BRD sich selbst wg. Nord Stream 2 ins eigene Bein schießen wolle, geben die aktuellen Äußerungen von gestern eher nicht her:
+++ 13.19 Uhr: Ein Baustopp der Gaspipeline Nord Stream 2 als Sanktion gegen Russland im Fall Nawalny scheint unwahrscheinlich. Diverse Vertreter aus Politik und Wirtschaft sprachen sich gegen eine solche Maßnahme aus, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will an dem Projekt festhalten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Donnerstag (03.09.2020) in Berlin: „Das eine hat mit dem anderen aus unserer Sicht zunächst mal nichts zu tun.“ Der Bau von Nord Stream 2 sei keine staatliche, sondern eine privatwirtschaftliche Entscheidung. Es werde aber schwieriger, das Projekt „in einem positiven Licht“ zu begleiten, räumte Söder ein. Merkel hatte kürzlich den Willen der Bundesregierung zur Fortsetzung und Vollendung des Baus der umstrittenen Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland bekräftigt. (FR)
Zusammengefasst: Es geht der BRD um die Zukunft ihres weltweiten EU-Projektes. Dafür riskiert sie sogar – eventuell – wirtschaftliche Schäden. Diplomatische mit Russland allemal.
Ich glaube, diese Vorstellung, es liefe auf einen „heißen Showdown“ hinaus, ist verkehrt.
Die heutige Kriegsführung ist eben das, was „hybrid“ genannt wird:
Erstens, man nutzt die technologischen Schwächen des Rivalen aus und bemächtigt sich seiner Daten. Ich bezweifle, daß sich in Sachen Datenverarbeitung, Software und Internet in der Schieflage zwischen den USA und der EU seit Snowdens Enthüllungen viel getan hat. Die ganze Huawei-Debatte scheint das zu bestätigen.
Zweitens, man überzieht mißliebige „Regimes“ rund um den Globus mit Einmärschen, Bürger- und Söldnerkriegen.
Wie man an Afghanistan und dem Irak sieht, schafft das Dauerbaustellen und hat nicht die abschreckende Wirkung, die ursprünglich angestrebt wurde.
Drittens, man setzt Sanktionen ein. Kuba und der Iran leiden zwar darunter, sind aber als Wirtschaftssysteme nicht in der Weise am Weltmarkt beteiligt wie die EU-Staaten bzw. vor allem die BRD.
Sanktionen könnten daher diese Wirtschaft weitaus stärker treffen als solche Gesellschaften, die schon von vornherein mit gewissen Vorbehalten gegen die US-Hegemonie angetreten sind.
In den Fragen mit „Schwanz einziehen“ und „ist überhaupt einer da?“ habt ihr beide recht.
Die EU ist seit der Finanzkrise unaufhörlich abgestiegen und man nimmt das nur in Europa nicht zur Kenntnis, weil auch die europäischen Medien versuchen, die EU dauernd als Global Player darzustellen, der nur nicht fest genug auf den Tisch haut.
Aber außerhalb der EU beheimatete Medien sprechen eine andere Sprache, und auch bei Reisen ins Ausland stellt man fest, daß die EU schon länger nicht mehr als ernsthafte Alternative betrachtet wird, niemand unbedingt Euro haben will und sich die Ansicht durchsetzt, sie sei mehr denn je ein Anhängsel der USA.
Ja, das war zu alles oder nichts. In der Tat ist die Bandbreite der heute den mächtigen Staaten zur Verfügung stehenden Mittel erheblich breiter als nur “Einmarsch”. Und gerade was wirtschaftliche und technologische Kriegsführung angeht, sind die USA erheblich schlagkräftiger als die EU und erst recht Deutschland.
Deshalb ist die Frage von Kehrer,
auch so leicht zu beantworten: Halt all die vielen Maßnahmen, zu denen gerade die USA gegen die BRD und deren “Partner”-Staaten fähig sind.
In diesem Zusammenhang ist es auch eine recht abwegige Sache, wenn Kehrer schreibt,
Als wenn unsereiner in solchen Fragen zu Rate gezogen würde.
Ich bezweifele auch Kehrers
Solche Sachen stehen nicht in Belieben von Staaten. Selbst größere imperialisttische Staaten können nicht einfach aus ihrer bisherigen Staatenwelt aussteigen und dann friedlich fröhlich ihr eigenes Reich aufziehen.
Zentraler Fehler scheint mir Kehrers folgende These:
Das ist eine extreme Verlängerung des bürgerlichen Konkurrenzlerdenkens, der ja auch denkt mit Selfempowerment hätte er wirkliche Power. Wer so denkt sollte sich ruhig mal in der Tierwelt umschauen: Hirsche, die einem Platzhirsch die Kühe abjagen wollen, gehen auch nicht gedankenlos und übermütig auf den King zu, sondern liefern sich erst ein virtuelles Batttle und schreien sich an. Daraus kann jeder Hirsch ablesen, wer der Stärkere der beiden ist. Wenn der potentielle Angreifer raushört, daß der Platzhirsch wohl noch stärker ist als er selber, dann verzieht er sich einfach wieder ohne sich auf einen wirklichen Kampf einzulassen.
So geht das bei Staaten auch, dafür gibt es Diplomattie und Spionage, Uni-Forschungsbereiche usw.
Ganz offensichtlich wollen die europäischen Staaten, jedenfalls die größeren von ihnen zumeist keine Marionetten der USA sein, GB hingegen scheint damit leben zu wollen. Aber ob sie es sich überhaupt noch leisten können, in wichtigen Fragen einen Kurs gegen die erklärten Ziele der USA zu fahren, mit den daraufhin recht sicher kommenden Sanktonsschritten, das ist gerade eine heiße Diskussion bei ihren Politikern und Medien-Ideologen.
Natürlich geht es Merkel und Macron ums groß Rauskommen. Das ist der ganze grundlegende Zweck des Projektes Europa. Gerade ein “starkes Europa” soll doch die BRD wetterfest gegen die Schläge der USA machen. Gerade so wollen Frankreich und Deutschlnad die Pläne der USA überleben.
Nun ja. Mit der Stationierung der Pershing hat die BRD seinerzeit explizit „Ja!“ gesagt, sich als Aufmarsch- und Zielgebiet gegen/für die Warschauer Pakt-Staaten anzudienen. Also so richtig aufgenötigt wurden die damals nicht. Es war eben die Stellung als Frontstaat, auf die die damaligen deutschen Politiker scharf waren.
Aber eine solche Regionalisierung von Kriegsschauplätzen war einmal. Heute, im Zeitalter der Satelliten, Interkontinentalraketen und Cyberwars kann sich keine Region mehr sicher fühlen.
Na ja, das war auch einmal. Heute wird viel gebellt, aber kaum gebissen.
Ja, es wird viel gebellt, der selbsternannte Hund Nr. 1, Heiko Maas, immer allen anderen Hunden voran. Aber erstens wird noch nicht mal zusammen und gleichlautend gebellt und zweitens ist das Problem der EU ja, daß sie nichts Eigenes zum “Beißen” hat. Weder als kollektiver schlagkräftiger Apparat, insbesondere Militärapparat, noch eine einheitliche Kommandostruktur, noch nicht mal einen gemeinsamen Willen, ein einheitliches Programm, wo die EU eigentlich hin soll.
Und für Alleingänge reicht es schon gar nicht.
Jedenfalls für richtig wichtige große Alleingänge. Das haben ja schon bald nach Ende des letzten Weltkriegs nicht nur der Verlierer Deutschland erkennen müssen sondern auch die “Siegermächte” Frankreich und Großbritannien. Aus dieser für alle Staaten schmerzlichen Erkenntnis entstand einerseits der NATO-Schulterschluß mit den USA gegen die Sowjetunion und recht bald dann das Projekt Europa, das von Anfang an natürlich ein Konkurrenzprojekt gegen die Weltmacht Nr.1 USA und in den Folgejahren dann auch gegen die asiatischen Staaten war, zuerst gegen Japan, dann zunehmend auch gegen die VR China.
Ts. Das sollte heißen, dass beide Bündnisalternativen objektiv ungefähr gleich katastrophal wären und eine Entscheidung aus der Perspektive des besseren Resultats unmöglich ist.
Freilich steht steht es im Belieben eines Staates sich als Schlachtfeld oder Aufmarschgebiet freiwillig zur Verfügung zu stellen. Dass sie damit auch wirklich vermeiden Schlachtfeld oder Aufmarschgebiet zu sein, hängt von den Kräfteverhältnissen und der militärischen Stärke ab. Aber ihre Erlaubnis geben oder verweigern können sie alle mal.
Behauptet war nicht die wirkliche Macht hinge von der Einbildung der eigenen Macht ab. Behauptet war, dass man nur ein Player ist, wenn man auch spielt. Wer keine Ansprüche anmeldet in der imperialistischen Welt, wird auch keine durchsetzen. Nicht dass man den Staaten das sagen müsste. Das wissen sie schon selbst. Was in einer Konkurrenz “entscheidend” weiß man vorher oft gar nicht, sondern nur wenn man den Kampf austrägt.
Weswegen anschließend dann auch keine Kämpfe mehr stattfinden, weil alles in einem Röhrwettbewerb entschieden wird. Mal davon abgesehen, dass Röhren kein verlässtlicher Indikator fürs Kämpfen sein kann. Vielleicht ist einer ja bloß ein besonders guter Röhrer, aber ein mieser Kämpfer.
Die Situation ist ja nicht die, dass Europa von einem Gegner zum Freund wird. Schließlich waren sie die ganze Zeit mit der USA im selben Verteidigungsbündnis. Und die USA sind nun dazu übergegangen die Staaten Europas zu schädigen mit der Absicht sie als Konkurrent auszuschalten. Die Frage heißt also eher können die europäischen Staaten es sich leisten, dieser Entmachtung tatenlos zuzuschauen. Das Schwanzeinklemmen wird ihnen nichts bringen, weil es die USA nicht von der Entmachtung der EU abhält.
Langfristig vielleicht. Jetzt geht es aber erstmal darum die Schädigungsversuche der USA zu überleben, sonst wird das mit dem groß rauskommen nichts mehr.
Nach der Vermutung die “Vermutung” geäußert hat, bin ich mit dir in diesem Punkt einig. Es geht also gar nicht um einen Kotau vor den USA, sondern darum das Zerbröseln der EU zu verhindern, indem man ihr sozusagen eine gemeinsame Staatsräson verleiht, die gegen Russland und China gerichtet ist. Sozusagen eine eigenständige Feindschaftserklärung der EU gegen Russland, statt als Anhängsel der USA die Feindschaftserklärung und Definition gegen Russland sich vorschreiben zu lassen. Da würde dann auch wieder NS2 reinpassen, das man sich trotz Feindschaft nicht nehmen lassen will. Also scheinen auf Grundlage der Feindschaft auch wieder viele Sonderverhältnisse einzelner EU Staaten zu Russland denkbar.
“Das sollte heißen, dass beide Bündnisalternativen objektiv ungefähr gleich katastrophal wären und eine Entscheidung aus der Perspektive des besseren Resultats unmöglich ist.”
Das scheint mir schon mal ein wichtiger Punkt, daß solche strategischen Fragen nicht mit der gleichen Güte beantwortet werden können wie das 14-Tage-Wetter. Von uns sowieso nicht und vom Merkel & Co. eben auch nicht, auch wenn die natürlich erheblich besser informiert werden.
“Schlachtfeld”, “Aufmarschgebiet” sind recht alte, eigentlich schon veraltete militärstrategische Begriffe. Wo ist denn z.B. das Schlachtfeld im Cyberwar. Ist der Hafen von Rügen schon ein Aufmarschgebiet, weil Trump da kein Erdgas ankommen sehen will?
“ihre Erlaubnis geben oder verweigern können sie alle mal.” Und wenn das letztlich wurscht ist, wem ist dann mit einer vorherigen Verweigerung gedient? Und was ist, wenn die Verweigerung schon als erster feindlicher Kriegsakt bewertet wird und demenstsprechende drakonische Vergeltungsmaßnahmen nach sich zieht.
Und wer welche anmeldet wie der Anmeldekönig Maas der bekommt sie trotzdem nicht durchgesetzt. Denn es kommt nicht auf Großmäuligkeit an sondern auf Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele auch gegen den Widerstand entgegenstehender Mächte. Und wenn man die nicht hat, dann ist das nationale Anspruchswesen eben leere Sprüchemacherei.
Nein, auch Merkel & Maas sind nicht dümmer al jeder xbeliebige Junghirsch: Wenn die Situationaanalyse ergibt, daß man selber kaum Chancen hat, dann läßt man es eben erst mal. Zum Kampf kommt es immer nur dann, wenn beide Parteien denken, daß sie ungefähr gleich stark sind oder daß ein Überraschungsschlag die Stärke des Gegners wett machen könnte.
“Mal davon abgesehen, dass Röhren kein verlässtlicher Indikator fürs Kämpfen sein kann.”
Doch, männliche Hirsche verlassen sich überwiegend darauf und das aus gutem Grund, sie wollen sich nicht unnötig verletzen und sogar umkommen, wenn sie keine Siegeschance sehen. Und das können sie sehr fein aus dem blöden Röhren raushören: Atemfrequent, Stimmlage, Länge der Schreie usw. sind alles gute Indikatoren für die Physis des Platzhirschen.
“Die Situation ist ja nicht die, dass Europa von einem Gegner zum Freund wird.”
Ist das nur ein Verdreher oder Ernst gemeint? Die USA tüten jedenfalls Europa schon recht weitgehend unter Feindesstaaten ein und drohen dementsprechende Maßnahmen an.
Ja, aber der Zweck der NATO war den Warscher Pakt bzw. die Sowjetunion kleinzukriegen. Dieser Grund ist erledigt und damit fehlt es der NATO massiv an einem Fundament.
Natürlich nicht. Aber die ja offensichtlich zögerlichen Politiker fragen die Kriegstreiber in ihren Reihen ja zurecht zurück, ob man sich ein entschiedenes Entgegentreten gegenüber den USA überhaupt leisten kann oder damit den Machtverlust noch beschleunigt.
“Jetzt geht es aber erstmal darum die Schädigungsversuche der USA zu überleben”. Tja, wenn die Merkels & Co. da ein Patentrezept hätten, wie sie einerseits glimpflich aus den Schädigungsmaßnahmen herauskommen können ohne auf den Kriegskurs der USA gegen Rußland und China voll beizudrehen, dann würden sie sicher darüber reden. Ich sehe nicht, daß ihnen da schon was eingefallen wäre. Ob es da wirklich so schlau wäre, wie du jetzt mutmast,
“eine eigenständige Feindschaftserklärung der EU gegen Russland, statt als Anhängsel der USA die Feindschaftserklärung und Definition gegen Russland sich vorschreiben zu lassen” halte ich für fraglich. Das ist nur ein eigenes dünnes Mäntelchen, was den Sieg der USA verbrämen soll. Inhaltlich machen die europäischen Staaten dann ja eh nichts anderes.
Russischer Geheimdienst: Inszenierung der „Vergiftung“ Nawalnys vonseiten des Westens möglich
Die Situation um die angebliche „Vergiftung“ des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny könnte laut dem Chef des Auslandsgeheimdienstes Russlands, Sergej Naryschkin, von westlichen Spezialkräften inszeniert worden sein.
a href=”https://de.sputniknews.com/politik/20200904327880340-bundesregierung-laesst-weiteren-umgang-mit-nord-stream-2-offen/”>Bundesregierung lässt weiteren Umgang mit Nord Stream 2 offen
Die Bundesregierung lässt nach der angeblichen Vergiftung des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny offen, wie sie weiter mit dem Ostseepipeline-Projekt Nord Stream 2 umgehen will.
Wegen Nawalny: Österreichs Außenministerium bestellt russischen Botschafter ein
Das österreichische Außenministerium hat im Zusammenhang mit dem Fall Nawalny den russischen Botschafter in Wien einbestellt. Zuvor hat Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg Kritik an Russland geübt. Laut dem Außenminister wirft die mutmaßliche Vergiftung des Regierungskritikers Alexej Nawalny ein “erschreckendes Licht” auf Russland.
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Lukaschenko sitzt die Proteste aus
Vier Wochen nach den Präsidentschaftswahlen in Weißrussland geht die Protestbewegung gegen angeblich gefälschte Wahlen weiter. Doch die Bewegung stagniert. Eine massenhafte Streikbewegung gibt es nicht und es fehlt ein klares politisches Programm
Dass es wurscht ist, wollte ich nicht sagen und das ist es auch nicht. Dass sich eine Supermacht über die Entscheidung einer Macht, die nicht ganz so super ist, hinwegsetzen kann, heißt ja nicht, dass der Position gar nicht ins Gewicht fällt. Wenn Kriegsbündnisse geschmiedet werden ist das sogar extrem wichtig, weil bei einer Entscheidung gegen eine Macht ja nicht nur die Unterstützung fehlt, sondern man diese auch noch gegen sich hat. Von einem +1 wird sie zu einem -1, was ein Unterschied von 2 statt 1 ausmacht.
Tja. In der Staatenkonkurrenz gibt es eben keine Sicherheiten. Das sind die Risiken, die die Imperialisten tagtäglich eingehen und das soll keine Beruhigung, sondern ein Argument gegen diesen Zirkus sein.
“Denn es kommt nicht auf Großmäuligkeit an sondern auf Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele auch gegen den Widerstand entgegenstehender Mächte.” Wenn man eh alles durchsetzen kann, dann braucht es auch keine Großmäuligkeit, dann macht man einfach. Gesteigerte Großmäuligkeit braucht dann, wenn man was will, aber es alleine nicht kann. Das ist doch die Position von Deutschland in Europa. Also dient die Großmäuligkeit dazu die anderen hinter die eigene Position zu bringen. Es ist der Unterschied von Wille (imperialistischer Absicht, Anspruch) und Macht/Vermögen. Also steht die “Großmäuligkeit” sozusagen am Anfang. Und wie sich die anderen positionieren, davon hängt dann ab, ob es wirklich bloß folgenlose Angeberei war oder zum staatspolitischen Programm wird.
Das ist ja klar.
Das stimmt auch nicht. Wenn man angegriffen wird, muss man kämpfen. Nicht jeder ist in der Situation des Junghirsches, der sich auch verpissen kann. Und Europa wird ja angegriffen. Es ist bloß nicht sicher, was verlieren bedeutet.
Erstens sagst du selbst, dass es sich nur um Indikatoren handelt. Zweitens macht sich Kampfgeschick sicher nicht in der Atemfrequenz bemerkbar. Wäre das so, bräuchte man gar nicht kämpfen.
“Ja, aber der Zweck der NATO war den Warscher Pakt bzw. die Sowjetunion kleinzukriegen. Dieser Grund ist erledigt und damit fehlt es der NATO massiv an einem Fundament.” Im Kalten Krieg war das so. Der ist aber mitlerweile 30 Jahre Geschichte. Die Nato hat sich aber trotzdem nicht aufgelöst, weil eben gemeinsames Interesse an einer Weltordnung bestand. Dass die USA die BRD weitgehend als imperialistischen Konkurrenten sehen, den man klein machen muss, ist eine neue Entwicklung seit Trump.
Doch, das halte ich sogar für sehr schlau. Weil es einerseits den USA den Wind aus den segeln nimmt, indem man den selben Feind anvisiert. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Zweitens die Reihen innerhalb der EU schließt und dadurch den USA ein Einfallstor nach Europa verwehrt. Wenn die EU sich antirussisch ausrichtet, dann ist die USA für eingefleischte Russenfeinde keine so verlockende Alternative mehr. Drittens behält man die Initiative in der eigenen Hand statt sie an die USA abzugeben.
Doch z.B. NS2
Was ein Schlachtfeld oder ein Aufmarschgebiet ist, merkst du dann übrigens deutlich, wenn es soweit ist. Mit cyberdingens wird es jedenfalls nicht abgehen.
@Kehrer
Ich weiß nicht, ob das so geht und überhaupt dem Bewußtsein der Politiker entspricht.
Wie soll denn Deutschland oder die EU Schädigungsversuche „überleben“? Das gibt doch für die Frage: Bauen wir die Pipeline oder nicht? gar nichts her.
Ich glaube auch nicht, daß „Schädigungsversuch“ die Sachlage richtig beschreibt. Da wird ja nicht ein Fluß vergiftet oder sonst eine Sabotageaktion gemacht, sondern Gefolgschaft eingefordert. Los, auf deinen Platz, oder: Auf die Knie! – um das geht es doch.
Wie soll man ein solches Ansinnen „überleben“?
„In Nieren, Lungen und Leber von Nawalny keine Giftstoffe festgestellt“ – zuständiger Toxikologe
Der leitende Toxikologe Sibiriens, Alexander Sabaew, hat sich zu dem Fall um den Kremlkritiker Alexej Nawalny geäußert – und die Befunde der deutschen Ärzte infrage gestellt. Nawalny wurde zunächst in einem Omsker Krankenhaus behandelt, in dem er laut Sabaew gründlich auf eine Vergiftung hin untersucht worden war.
„Moskau hat von Anfang an nichts verheimlicht“: Kreml-Sprecher zu Fall Nawalny
Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, hat die Situation um die vermutliche Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny kommentiert. Unter anderem ging er auf den gewünschten Dialog mit Deutschland und die Vorwürfe des weißrussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko ein, der die Fälschung der Vergiftung nachgewiesen haben will.
Belarus fängt angeblich Gespräch zwischen Berlin und Warschau ab: Minsk veröffentlicht Aufzeichnung
Belarus will ein Gespräch zwischen Berlin und Warschau über die Situation mit der mutmaßlichen Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny abgefangen haben. Nun hat die staatliche Fernseh- und Rundfunkgesellschaft der Republik die Tonaufzeichnung veröffentlicht.
Nato fordert internationale Untersuchung zu Kampfstoffanschlag auf Nawalny
Kann die Nato im Fall Nawalny zusätzlichen Druck auf Russland ausüben? Generalsekretär Jens Stoltenberg richtet nach außerplanmäßigen Beratungen in der Bündniszentrale klare Worte an Moskau. Der Anschlag sei ein Fall für Chemiewaffen-Kontrolleure, meldet die Deutsche Presse-Agentur am Freitag.
„Nawalny wurde Opfer der internationalen Politik, nicht Putins“ – Britischer Ex-Botschafter Murray
Am Donnerstag hat der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan und Assange-Vertraute Craig Murray die Causa Nawalny auf seinem Blog kommentiert. Der Historiker und Menschenrechtler äußerte dabei erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des westlichen Narrativs.
Der Drang nach Nord Stream 2-Beerdigung: Ist Gregor Gysi jetzt schon ein „Verschwörungstheoretiker“?
Kaum hat die Bundesregierung Russland zur Aufklärung im Fall Nawalny aufgefordert, werden die deutschen Stimmen nach einem „sofortigen Baustopp“ der Nord Stream 2 wohl lauter denn je. Auf der anderen Seite warnen Politiker wie Gregor Gysi (Linke) vor einer Vorverurteilung Russlands oder nehmen die Gaspipeline in Schutz.
Na ja. Ich stecke nicht in dem Bewusstsein von Politikern. Ich denke bloß an der Sache/Lage entlang.
“Wie soll denn Deutschland oder die EU Schädigungsversuche „überleben“?” Na z.B. indem es sie kompensiert. Also wenn die USA mit Zöllen den amerikanischen Markt für die EU reduziert, gibt es Sonderabkommen mit anderen Staaten, soweit möglich. Oder indem sie das Reinregieren der USA in die EU z.B. in die neuen Frontstaaten gegen Russland durch innereuropäische Verteidigungsinitiativen überflüssig macht. Oder indem man eine Pipeline baut, die teures amerikanisches Frackinggas durch günstiges russisches Gas ersetzt. Immerhin ist die Energieversorgung eine Basisindustrie, deren Preis in den Wert der Produkte eingeht und so die europäischen Waren entweder verbilligt oder verteuert. Gibt also für die Pipelinefrage schon was her.
“sondern Gefolgschaft eingefordert.” Von mir aus streich den “versuch”, sodass Schädigung übrig bleibt. Gefolgschaft einfordern ist ja zunächst eine leere Angelegenheit. Das wäre ja leicht zu haben. Man wirft sich in den Staub, macht aber weiter wie bisher. Die USA betreiben die Schädigung praktischer z.B. indem sie VW mit Milliardenklagen überziehen oder indem sie von den Europäern größere Verteidigungsausgaben fordern. Oder indem sie mit Sanktionen das Russlandgeschäft der EU kaputt machen, das die USA in nennenswertem Umfang gar nicht hat. Indem sie Zölle auf Waren aus der EU erheben. Indem sie mittels der Cybermacht von Microsoft, Apple, Googel, Facebook, Amazon die EU ausspionieren. Gefährlich sind offenbar immer nur russische Hacker. Das ist das praktische Kleinmachen und das ist wichtiger als der öffentliche Kotau.
“Der Anschlag sei ein Fall für Chemiewaffen-Kontrolleure, meldet die Deutsche Presse-Agentur am Freitag.” Als ich das gehört habe, habe ich mich weggeschmissen vor lachen. Im normalen Leben, würde der Beschuldigte dem Beschuldiger den Vogel zeigen. Na klar, bloß weil irgendjemand eine nette Story erfindet, wird Russland Chemiewaffenkontrolleure der Nato ins Land lassen. Das ist so absurd, dass das gar nicht darauf berechnet sein kann, dass Russland auch darauf eingehen könnte.
Die Feindschaftserklärung des Westens hat Trump gestern aktuell noch einmal so von Seiten der USA zusammengefasst:
Die Rüstungskontrolle, die Russland sich gefallen lassen solle, die sei viel wichtiger als irgendwelches angebliches Giftattentat.
(‘Vergiftungsaffären’ bringen die USA daher meist deswegen auf den Tisch, um eigene militärische Schläge gegen Staaten zu legitimieren, z.B. gegen Syrien. Oder Anträge auf sonstige Rüstungskontrolle bzw. Abrüstung missliebiger Staaten.)
Die BRD und die EU argumentieren etwas anders: Die hauptsächlichen staatlichen Verbrechen der Russen und der Führung in Weißrussland seien deren Verbrechen – an der “Zivilgesellschaft”.
Und s o ist das dann eine eigenständig-europäische Feindschaftserklärung, mit Merkel und den Grünen an vorderster Front: “Verbrechen gegen die Zivilgesellschaft”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/zivilgesellschaft#section9
(Aus einem Artikel von 2003: Der damalige Kanzler Schröder und die rotgrüne dt. Regierung benutzte bereits den Einspruchtitel ‘Zivilgesellschaft’ gegen Putin)
Trittin 2020: https://www.presseportal.de/pm/30621/4698094
Auf der Basis, dass es hier um eine deutsch formierte europäische Erklärung – nach Europa innen und so Richtung Russland – geht, distanziert Trump sich von Merkels Giftvorwürfen. (Dass Macron nur seinen Außenminister hat sprechen lassen, wird der dt. Regierung auch nicht gefallen haben.)
https://www.welt.de/politik/ausland/article215083224/Anschlag-auf-Kreml-Kritiker-Trump-zur-Vergiftung-Nawalnys-Wir-haben-noch-keine-Beweise.html
Dass solche europäische Gemeinschafts-Feindschaftserklärung gegenüber Russland die Polen und Balten wieder wird in europäische Gefilde einfangen können, das scheint mir deswegen schwierig zu sein, weil Polen und Balten aktuell geradezu zu verschärften Bestandteilen der US-Kriegsplanung gemacht werden sollen. Und darin anscheinend dann ja auch ihren nationalen Fortschritt bzw. Aufstieg erblicken wollen. Zumindestens treiben sie so auch die Preise dafür hoch, die anderen europäischen Staaten zu ‘Zugeständnissen’ an ihre nationalen Zwecke bewegen zu können. Und so geht innereuropäisch das Hauen und Stechen – auch – osteuropäisch weiter.
Vor allem als Kritik an Frankreichs Weltpolitik trägt sich das hierzulande vor – statt nur Frankreich, müsse dt. Führung auch die Osteuropäer stärker einbinden.
https://www.presseportal.de/pm/30621/4698209
Kann schon sein, dass Polen, die Balten, Ukraine und Rumanien weiterhin von der Nato aufgerüstet werden. Nur gibt es dann eben keinen Grund mehr für einen europäischen Gegensatz, weil ganz Europa antirussisch ausgerichtet ist. Es ist der Versuch eine gemeinsame politische Staatsräson von Europa zu etablieren. Und der Titel “Verbrechen gegen die Zivigesellschaft” passt ganz gut dazu. ” Europa steht für demokratische Werte und Umgangsformen mit dem Volk” Wer sein eigenes Volk terrorisiert, verstößt gegen demokratische Werte und ist folglich ein Unrechtsregime. Also statt ein Aufblühen der Ökonomie, wirtschaftlichen Wohlstand und dadurch größere nationale Handlungsfreiheit zu versprechen, bekommt Europa einen gemeinsamen Feind und Zweck verpasst hinter den sich die Nationen einreihen sollen und der die europäische Auflösung verhindern soll. Woran sich zeigt, dass ein Kriegsbündnis allemal ein stärkeres Band darstellt, als eine gemeinsame Währung und ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Krieg erfordert eben notwendig Gemeinsamkeit, weil das Zusammenschmeißen der Mittel die Siegchancen erhöht.
Nawalny ist daher nur der Auftakt. Es ist der Versuch die anderen europäischen Nationen auf diese Linie zu verpflichten und es nicht ausgemacht, ob es klappt. Trump weiß offensichtlich auch noch nicht so recht was er davon halten soll. Für mich ist die Sache noch nicht ganz klar. Vor allem weil die Kanzlerin einerseits die Nowitschok These verbreitet andererseits als Befürworterin von NS2 gilt. Söder will NS2 nicht kippen, Röttgen als Kandidat für den Parteivorsitz schon.
Einerseits ja: bei einem Kriegsbündnis wie früher der NATO ziehen alle an einem gemeinsamen Strang. Da gibt es dann weniger Konflikte. Und die gemeinsame Währung bzw. der gemeinsame Wirtschaftsraum sind ja gar kein geteiltes Ziel sondern Mittel zum jeweils nationalen Nutzen, also per se mit Konflikten beladen. Erst wenn aus dem gemeinsamen wirtschaftsraum in Europa ein europäischer Staat geworden ist, werden diese Konflikte sich abschwächen. Weggehen aber nicht, wie man an den zentrifugalen Tendenzen in Großbritannien sehen kann, wo eventuell Schottland sich von England trennen wird.
Da aber auch ein Kriegsbündnis eines von von einander ansonsten unabhängigen Staaten ist, die auch in solch einem Bündnis ihre jeweilige nationale Stärke fördern wollen, muß sowas auch nicht ewig halten. Die Geschichte ist voll von geplatzeten Bündnissen,die ewig hätten halten sollen.
Ausgerechnet Osteuropa in ein Bündnis zur “Zivilgesellschaft” gegen Russland einspannen zu wollen – scheint aber erst einmal eine deutschgrün-westeuropäische Konzeption zu sein. Und in Bezug auf Osteuropa eher ein Angebot an dortige liberale Oppositionsparteien zu sein. Im Detail mag das unterschiedlich sein, mainstream der Politik dort ist aber ja wohl eher die Annäherung an das Bild ‘populistischer Politik’. Da muss an dem Ideal der “Zivilgesellschaft” also noch heftig herumgeschnitzt werden, ehe Orban und Co. dgl. werden als ihr Ideal unterschreiben wollen ….
“muß sowas auch nicht ewig halten.” Ja. Die Frage ist aber erstmal, ob so ein Bündnis überhaupt zustande kommt, was aber dasselbe Argument ist.
“…scheint aber erst einmal eine deutschgrün-westeuropäische Konzeption zu sein.” LOL. Ja genau. Die Perspektiven sind wirklich sehr unterschiedlich. “Zivilgesellschaft” ist ja sowieso bloß ein schmückender Titel für das Selbstverständnis der hiesigen Demokratie. Dass rechte Demonstranten mit Gewalt abgeräumt werden, widerspricht diesem Titel jedenfalls nicht. Im Gegenteil muss natürlich die Zivilgesellschaft vor Extremisten geschützt werden.
@Kehrer
Daß die Einschwörung auf Rußland als gemeinsamen Fein ein Versuch ist, die höchst brüchige Einheit der EU zu kitten, mag ja sein. Ob es dafür taugt, bezweifle ich jedoch.
Erstens gibt es auch in der EU Staaten, die mit Rußland viele und gerne Geschäfte machen. Dazu gehören Österreich, Tschechien, Frankreich und Ungarn, sogar auch Polen, und viele deutsche Unternehmen.
Denen sozusagen anzuschaffen, ihre Geschäfte mit Rußland einzustellen, schafft eher Zwietracht.
Um so mehr, als die Entwicklung in Weißrußland derzeit vorführt, wie wenig effektiv diese Feinbildpflege gegen Rußland ist. Praktisch bringt sie für die Einheit der EU nichts.
Im Gegenteil, manche Staaten aus der 2. Reihe versuchen sich wichtig zu machen und die gewichtigeren EU-Staaten zu Entscheidungen zu nötigen. Was natürlich in Brüssel, Berlin und Paris nicht gerne gesehen wird.
Von den USA, bzw. von Trump wird der ganze Nawalny-Zirkus offenbar als ein billiges Manöver betrachtet, um North Stream II doch durchzusetzen. Aber sonst sind wir ganz auf Linie! – also eine Art „Kompensation“, wie sie @Kehrer vorschwebt.
Die USA fordern derzeit die Abkopplung von China viel nachdrücklicher, und auch da will Deutschland durch das Getöse rund um den „Giftmischer Putin“ offenbar einen Persilschein für weitere gute Beziehungen zu China erhalten.
Njet, meint Trump.
Ich beharre auf meine Vorgaben: Kein Huawei, keine Geschäfte mit China, kein North Stream II. Reiht euch hinter den USA ein und erspart uns solches rundum entbehrliche Theater.
Was dabei herauskommt, ob es also bis Ende September dazu taugt, die deutsche Ratspräsidentschaft als EU-Lokomotive darstellen zu können, und auch “europäische Schritte” dann wirklich zu gehen, das wird man sehen.
Mindestens so wichtig wie die Konfrontation mit Russland ist die Sache mit Euro-Bonds, Wirtschaft, Eurokredit etc. wg. Corona, auch angesichts dessen, dass aus deutscher Sichtweise inzwischen und vor dem Herbst unter der Hand fast das gesamte Ausland Corona-Risikogebiet geworden ist, vor allem Frankreich, Spanien, Belgien (Italien?). Im Frühjahr erfolgten danach Grenzschließungen etc, was sie nun mittels Erschwerung von Auslandsreisen eher indirekt durchzusetzen versuchen. Deutscher Export funktioniert jedenfalls dann eher schlechter, wie gehabt.
Da kommt aus deutscher Sicht zumindestens gut, dass Polen anscheinend Gefolgschasft ableistet.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1141402.nawalny-kalte-kriegs-rhetorik-in-warschau.html
Die offiziellen Stellungnahmen aus Franreich, Österreich, Niederlande, Italien hören sich anscheinend eher bedeckt an, und auch die Bundeskanzlerin wollte ihren damaligen Ausführungen nichts hinzufügen. (Und auch bei Nord Stream 2 scheinen sie derzeit noch abwarten zu wollen…)
Dass gerade angesichts schrumpfender Geschäfte eine wirkliche gemeinsame verschärfte EU-Absage an Russland-Geschäfte eher unwahrscheinlich ist, das wird vermutlich so sein. Also bleibt nur viel Geschrei und Rhetorik? Bei den bishergen Maßnahmen wurden diese jahrelang offiziell immer wieder neu verlängert, weil weder für ein Ende noch für eine Verschärfung Einstimmigkeits-Entschlüsse herbeizuführen gewesen wären. So könnte es also auch dieses Mal ausgehen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Sanktionen_in_der_Krimkrise#Geschichte
Wenn Russland Geschäfte mit Siemens verboten werden, dann trifft das – wen genau?
https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/eu-verhaengt-neue-sanktionen-gegen-russland-wegen-krim/story/29958198
Die Kriegsrhetorik zurückfahren, – dazu rät daher die SPD
https://www.faz.net/2.1677/muetzenich-ueber-nord-stream-2-wir-haben-keine-energiepolitisch-weisse-weste-16937734.html
@Guurd
Wenn man Lukaschenkos Behauptungen glaubt, war das mehr als Gefolgschaft, eher wurde von Polen noch aktiv darauf gedrängt, doch aus der Sache das Größtmögliche herauszuholen.
Das ist eben das Gwirxt mit der angestrebten und nicht so recht eintretenden Führungsrolle: Ziehen andere EU-Staaten am gleichen Strang, sind sie eben genau darüber auch wieder Rivalen, daß sie Deutschland schon fast die Initiative abnehmen.
Polen schickt sich schon seit einiger Zeit an, die ungeliebte zweite Geige Frankreichs zu übernehmen.
Maas erhöht Druck auf Moskau im Fall Nawalny
Bundesaußenminister Heiko Maas erhöht den Druck auf Russland, zur Aufklärung der angeblichen Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny beizutragen.
Russischer Giftstoff Nowitschok? Moskau erhebt Vorwürfe gegen Nato
Eine Reihe westlicher Länder wirft Moskau die Entwicklung eines militärischen Nerverngiftstoffes der Giftgruppe Nowitschok vor, mit dem auch der russische Kremlkritiker Alexej Nawalny angeblich vergiftet wurde. Das russische Außenministerium hat nun dazu Stellung genommen und auf die Nowitschok-Entwicklung durch den Westen verwiesen.
Schoigu: Nato will zum Kalten Krieg zurückkehren
Die Nato will laut Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu zur Konfrontation zurückkehren, wie sie es in der Zeit des Kalten Krieges gegeben hat. Ihm zufolge haben die westlichen Medien eine Propagandakampagne gegen Russland aufgezogen, um die Weltgemeinschaft von der angeblich aggressiven Außen- und Militärpolitik Moskaus zu überzeugen.
Die Stunde der Hetzer: Der Fall Nawalny als Fassade für Hass
Endlich darf wieder nach Herzenslust gegen Putin gehetzt werden. Dabei muss man eigentlich keine große Leuchte sein, um zu erkennen, dass ein Anschlag auf Alexej Nawalny dem Kreml schadet und westlichen Akteuren nutzt. Doch das ist egal, denn schon lange haben russophobe Politiker und Medien auf ihre Chance gelauert – welch ein perfides Spiel…
Nawalny: Ein Spiegel-Bericht über das Ergebnis des Bundeswehrlabors und offene Fragen
Und als ominöses Geschenk von Lukaschenko an den Kreml ein angeblich abgehörtes Telefongespräch zwischen Berlin und Warschau
Gift-Anschlag auf Nawalny: Forderungen nach Stopp von Nord Stream 2
Kommentar: Obwohl zentrale Fragen ungeklärt sind, verlangen Unions- und Grünen-Politiker wirtschaftspolitische Konsequenzen
Gruppe K: Mordversuch an „Kreml-Kritiker“ Nawalny – Zehn Zweifel und ein Zwischenfazit
Wenn die Masse der veröffentlichen Meinungen in Deutschland ein Indiz für die Richtigkeit ihrer Behauptungen wäre, dann gibt es keinen Zweifel mehr: Hinter dem angeblichen Mordversuch an Alexei Nawalny steht Putin, der Geheimdienst und überhaupt „das russische System“ samt Ärzten und Krankenhaus. Wieder einmal haben „sie“ versucht, einen „Kremlkritiker“ mit einem russischen Gift der Gruppe Nowitschok zu ermorden. Die Konsequenzen sind auch klar: Weitere Sanktionen und Aufrüstung gegen Russland, North-Stream II muss kurz vor Fertigstellung beendet werden usw.
So kann man es sehen und man befindet sich damit – ganz ohne Zweifel – meinungsmäßig in bester Gesellschaft. Zweifel gibt es allerdings schon:
1. Warum legt das Münchner Institut der Bundeswehr seine angeblichen Befunde über die Vergiftung Nawalnys nicht zur internationalen wissenschaftlichen Überprüfung offen und übermittelt sie gleichzeitig den russischen Behörden?
2. Warum sollten diese Befunde einer militärischen Einrichtung der NATO glaubhafter sein als die Befunde eines zivilen Krankenhauses in Omsk?
3. Wie passen die Befunde der Bundeswehr zu den anders lautenden Befunden der ebenfalls deutschen Berliner Charitée?
4. Wenn tatsächlich der „Kremlkritiker Nawalny“ mit Nowitschok vergiftet sein sollte – die Beweise fehlen bisher bekanntlich – warum sollte sich der russische Staat ausgerechnet dieser Substanz bedienen? Stehen einem staatlichen Geheimdienst mittlerer Größenordnung nicht andere Methoden zur Verfügung, wenn er seine Urheberschaft verschleiern möchte? Und umgekehrt: Welches Interesse sollte der Kreml zur Zeit haben, sich eine solche internationale Verwicklung einzuhandeln?
5. Wenn das besagte Gift schon im Mikrogrammbereich tödlich wirkt – warum sollte es dann dem Geheimdienst eines halbwegs potenten Staates nicht möglich sein, die letale (tödliche) Dosis zu verabreichen?
6. Wenn es sich tatsächlich um das besagte Gift handelt, warum entwickeln sich die Vergiftungserscheinungen von Herrn Nawalny nicht so, wie es diesem Gift zugeschrieben wird? Zu den toxikologischen Zweifeln lesenswert ist der Beitrag von Florian Rötzer am 3.9. in Telepolis!
7. Warum bringen Politik und Presse im Westen den möglichen Mordversuch in direkte Verbindung mit geopolitischen Auseinandersetzungen um den Einfluss in Syrien, Libyen, Belarus und Nord Stream II?
8. Alle Zweifel einmal spielerisch beiseite geräumt – Sind politische Morde im Reich (pro)amerikanischer Potentaten ein Grund für die Infragestellung von Rohstoffimporten in die BRD und geopolitischen Bündnissen?
9. Sofern Fakten, Logik und Zweifel schon nicht interessieren und die Urheberschaft für die Vergiftung Nawalnys ganz nach dem Motto „cui bono?“ (lat. wem nützt es?) gestellt wird: Darf man dann vielleicht auch mal amerikanische, polnische und baltische Quellen verdächtigen, denen der Fall aus unterschiedlichen Gründen hoch willkommen ist?…
10. Worin unterscheidet sich eigentlich die pluralistische Presse deutschen Musters von „fake news“ und „Manipulation“ in Feindstaaten, wenn ganz banale Zweifel nicht mehr ausgesprochen werden?
Zwischenfazit:
a) Politische Morde bzw. Mordversuche mit geopolitischer Bedeutung sind nicht aufklärbar, weil Ankläger und Angeklagte gleichsam Inhaber souveräner Gewaltanwendung sind und ihnen Strafverfolgungsbehörden und Justiz unterstehen, Täter und Richter also in eins fallen.
b) Das Urteil der westlichen Presse fällt in solchen Fällen nicht weniger parteilich aus, ist nicht weniger geschlossen und nicht weniger irrational, als in jenen Ländern, die so vorwurfsvoll einer „gelenkten Öffentlichkeit“ samt „fake news“ bezichtigt werden.
c) Es liegt hier wie dort an den Leser_innen und Zuschauer_innen „der Presse“, ob sie aus patriotischen Gründen „ihren“ Massenmedien Glauben schenken wollen, oder ob sie ihren Verstand einschalten und sich ein distanziertes Verhältnis zur politisch-medialen Hetze und zum internationalen Machtkampf erlauben.
Vielleicht ist abschließend auch die folgende ketzerische Frage nicht ganz unberechtigt: Was haben eigentlich ganz normale Leute in Russland, Deutschland und den USA vom internationalen Kampf der Eliten um Geld und Gewalt?
Die Vorgangsweise der Feindbildpflege ist einfach und zirkulär. Erkrankt oder stirbt ein Russe, der „kreml-kritisch“ war, so ist das ein Beweis dafür, daß der Kreml ihn/sie beseitigen wollte. Da wird dann alles zurechtgebogen, Beweise braucht es nicht, man zeigt nur auf andere Fälle, wo das „Muster” gut erkennen kann.
Diese Art von Sichweise bzw. Vorurteil wurde angewendet im Falle von Viktor Juschtschenko 2004, Alexander Litwinenko und Anna Politkowskaja 2006, Boris Nemzow 2015, Sergej Skripal und eben jetzt Nawalny.
Bei diesen ganz unterschiedlichen Fällen und Todesarten bzw. Vergiftungserscheinungen wird stets die Kette der vorherigen als Beweis herangezogen und gleichzeitig bekräftigt, in einer Art sich selbst bestätigenden „Beweisführung“.
Zwischen 2006 und 2015 lagen andere Fälle, bei denen die Verwicklung westlicher oder des ukrainischen Geheimdienste(s), oder die Handschrift von Mafia-Abrechnungen zu deutlich wäre. Um die wird weniger Aufhebens gemacht:
Badri Patarkazischwili 2008, Boris Beresowski 2013 und Nikolai Gluschkow 2018, im Windschatten der Skripal-Aufregung.
Zu Beresowski hier noch was.
Alle diese Tode und Vergiftungs-Stories zeichnen ein Bild der sicher sehr aktiven russischen Geheimdienste, aber auch des CIA und des MI6, anderer EU-Geheimdienste und des ukrainischen SBU, die mit Spitzeln, Überläufern, vermeintlichen und tatsächlichen Wahrern (oft gegensätzlicher) westlicher Interessen und Oligarchen kooperieren, um damit Einfluß auf die russische Politik zu nehmen.
Da das nicht gelingt, werden eben nach Bedarf Anlaßfälle für Propaganda und Feindbildpflege geschaffen.
Dann hätten ja auch keine Sanktionen gegen Russland verhängt werden dürfen. Die sind aber immer noch in Kraft und werden sogar regelmäßig verlängert. Es juckt die Politiker offenbar wenig, wenn sie mit Sanktionen Interessen von deutschen Unternehmen schädigen, natürlich nur wenn sie es Politisch für unbedingt geboten halten.
Ansonsten ist es eben die Frage, welche Linie sich durchsetzt. Es gibt immer Befürworter und Gegner. Wenn das anders wäre, bräuchte man diesen Zirkus ja gar nicht veranstalten.
Maas macht Stimmung
Deutscher Außenminister schafft im Fall Nawalny Fakten und stellt Pipelineprojekt »Nord Stream 2« in Frage. Moskau kritisiert »doppeltes Spiel«
Von Simon Zeise
Für den deutschen Außenminister gilt für Russland keine Unschuldsvermutung. Im Fall des mutmaßlich vergifteten russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny steht für Heiko Maas (SPD) fest, dass Moskau in der Bringschuld steht. »Wir haben hohe Erwartungen an die russische Regierung, dass sie dieses schwere Verbrechen aufklärt«, sagte Maas zu Bild am Sonntag. Sollte Moskau nichts mit diesem Anschlag zu tun haben, dann sei es »in ihrem eigenen Interesse, das mit Fakten zu unterlegen«.
Eine Reaktion des russischen Außenministeriums ließ nicht lange auf sich warten. Eine Sprecherin teilte gegenüber jW am Sonntag mit: »Wenn die Bundesregierung es mit ihren Erklärungen aufrichtig meint, dann muss sie selbst daran interessiert sein, möglichst kurzfristig das Rechtshilfeersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zu beantworten.« Dieses sei bereits am 27. August übermittelt worden. »Bislang gibt es keine Gewissheit, dass Deutschland kein doppeltes Spiel spielt. Denn die Landesjustizverwaltung Berlin, die für die Rechtshilfe zuständig ist, hat erst am letzten Freitag das Ersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft von den Bundesbehörden zugeleitet bekommen. Wo ist denn diese Dringlichkeit, auf der Sie so insistieren?« Es sei die deutsche Seite, die diese sehr wohl vermissen lasse, indem sie die Frage erst prüfe und über die Bewilligung gegebenenfalls nach Absprache mit den zuständigen Bundesbehörden entscheiden werde. »Solange Berlin keine Antwort gibt, behindert es die Aufklärung, zu der es aufruft. Absichtlich?« fragte man sich in Moskau.
Bei Nawalny, der derzeit in der Berliner Charité behandelt wird, konnte weder von russischen noch deutschen Ärzten die Einnahme eines Giftes nachgewiesen werden. Erst das Zentrallabor der Bundeswehr hatte mitgeteilt, in Nawalnys Körper seien Spuren des Nervengifts Nowitschok vorhanden – ein Stoff, der in den Händen diverser westlicher Geheimdienste zirkuliert, wie der Bundesnachrichtendienst in der Vergangenheit erklärt hatte.
Doch Maas scheinen Fakten lästig. Er gefiel sich lieber in der Rolle des transatlantischen Wadenbeißers: »Die tödliche Chemiewaffe, mit der Nawalny vergiftet wurde, befand sich in der Vergangenheit im Besitz russischer Stellen«, sagte er dem Springer-Blatt. »Wenn sich die russische Seite nicht an der Aufklärung des Verbrechens an Herrn Nawalny beteiligt, wäre das ein weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Staates.«
Ganz auf Linie Washingtons brachte Maas Sanktionen gegen das Ostseepipelineprojekt »Nord Stream 2« ins Spiel. Er hoffe zwar nicht, »dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu ›Nord Stream 2‹ zu ändern«. Wer so etwas fordere, müsse sich aber der wirtschaftlichen Konsequenzen bewusst sein. Schließlich seien an dem Projekt mehr als hundert Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, davon etwa die Hälfte aus Deutschland.
Die US-Regierung, die »Nord Stream 2« mit allen Mitteln sabotieren möchte, reagierte zurückhaltend. Washington habe noch keine Beweise für eine Vergiftung des Oppositionellen gesehen, sagte Präsident Donald Trump am Freitag (Ortszeit). Er verstehe nicht, wieso Deutschland mit Russland Geschäfte mache und zugleich Sanktionen gegen Moskau verhänge und dann noch von den USA erwarte, militärisch gegen das Land geschützt zu werden. Ein Spagat, den die herrschende Klasse in Deutschland aufzulösen versucht.
Berliner Eiertanz
Debatte um Stopp von »Nord Stream 2«
Von Jörg Kronauer
War’s das für »Nord Stream 2«? Noch am Mittwoch vergangener Woche hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bekräftigt, sie halte ungeachtet der Debatte um die Vergiftung von Alexej Nawalny am Bau der Erdgasleitung fest; von den immer drastischeren US-Sanktionsdrohungen werde Berlin sich nicht in die Knie zwingen lassen. Seit nun aber ein Labor der Bundeswehr geäußert hat, Nawalny sei mit Nowitschok vergiftet worden, nehmen die Gegner der Pipeline erneut energisch Anlauf. Außenminister Heiko Maas relativierte am Sonntag die Regierungsposition mit der Aussage, er »hoffe nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu ›Nord Stream 2‹ zu ändern«. Wer einen Ausstieg aus dem Projekt wolle, müsse »sich der Konsequenzen bewusst sein«; schließlich seien »mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland«. Will sagen: Bricht man den Bau der Röhre jetzt noch ab, wird’s richtig teuer.
Wenn es nur das wäre. Milliardenschäden tun den Konzernherren weh. Vermutlich noch schwerer wiegt, dass Strategen in Wirtschaft und Politik mit »Nord Stream 2« stets auch die doppelte Hoffnung verbanden, zum einen die Bundesrepublik zum Verteilzentrum für russisches Erdgas in Westeuropa zu machen und zum anderen vielleicht noch größeren direkten Zugriff auf die riesigen russischen Lagerstätten zu erhalten. Ersteres brächte Deutschland noch mehr Macht, letzteres gilt als Voraussetzung für Wintershall Dea, sich unter Europas Gaskonzernen eine führende Stellung zu sichern. Inzwischen steht für Berlin jedoch noch mehr auf dem Spiel. Ursache sind die US-Sanktionsdrohungen gegen »Nord Stream 2«, mit denen der große transatlantische Rivale einen Keil zwischen Berlin und Moskau treiben und beide schwächen will. Sich zu beugen, wäre für die Bundesregierung fatal.
Denn für Berlin geht es längst um Grundsätzliches. Im Bestreben, die EU als eigenständige Weltmacht zu positionieren, hat es sich zunächst der Rückkehr der USA zu den Sanktionen gegen Iran widersetzt – bislang ohne Erfolg. Dann hat die Bundesregierung erklärt, den US-Strafmaßnahmen gegen »Nord Stream 2« zu widerstehen. Kann sie sich auch diesmal nicht durchsetzen, dann wird Washington, so fürchten Wirtschaftskreise, eher früher als später mit der nächsten Sanktionsrunde auf der Matte stehen, die dann womöglich das deutsche China-Geschäft umfassend trifft. Schiebt Berlin keinen Riegel vor, könnte es also bald ans Eingemachte gehen. Davon abgesehen: Ein Staatenkartell, das regelmäßig von einem Rivalen in die Schranken gewiesen wird, wird kaum als Weltmacht ernstgenommen werden.
Diese Erwägungen muss man sich nicht zu eigen machen – an maximalen Konzernprofiten und an einer imperialistischen Weltmacht EU hat nur die herrschende Klasse Interesse. Doch eine weitere Formierung des westlichen Machtblocks gegen Russland und China, wie sie die USA mit ihrer Sanktionspolitik anstreben, ist brandgefährlich. Sie verstärkt die Weltkriegsgefahr.
Doppelstrategie oder Konfusion?
Belarussische Opposition sendet widersprüchliche Signale aus. Moskau umwirbt Lukaschenko mit wirtschaftlichen Angeboten
Von Reinhard Lauterbach
Vor dem vierten Protestwochenende hat die Opposition in Belarus widersprüchliche Signale ausgesendet. Die im Land verbliebene ehemalige Wahlkampfleiterin des inhaftierten Kandidaten Wiktor Babariko, Marija Kolesnikowa, kündigte in der Nacht zum vergangenen Mittwoch die Gründung einer neuen Partei namens »Wmeste« (»Zusammen«) an, deren Ziel laut Kolesnikowa eine Verfassungsreform sei. Das könnte der Versuch sein, Staatschef Alexander Lukaschenko beim Wort zu nehmen: Dieser hatte kurz nach den Wahlen in einem Betrieb, wo Teile der Belegschaft streikten, eine Verfassungsreform als einzigen Weg bezeichnet, die Macht im Lande »umzuverteilen« und – implizit – vorgezogene Neuwahlen in Aussicht gestellt.
In Polen, das sich wie der Großteil der EU-Länder auf die Seite der ins litauische Exil gedrängten Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja gestellt hat, wurde dieser Schritt Kolesnikowas als »Schlag gegen die Einheit der Opposition« (so die Rzeczpospolita) bewertet. Tichanowskaja scheint unterdessen Maße vom Boden abzuheben. Sie wird zwar auf verschiedenen internationalen Foren herumgereicht – bis hin zum UN-Sicherheitsrat, dem sie am Freitag aus Litauen während einer virtuellen informellen Konferenz zugeschaltet wurde –, verliert aber offenbar allmählich den Kontakt zur Realität. So erklärte sie am Samstag per Video auf Youtube, sie sei selbstverständlich bereit, mit Russland zu sprechen, wenn dieses anrufe und ihr wie die Führungen aller anderen Länder die Unterstützung Moskaus für das »belarussische Volk« antragen wolle. Gleichzeitig zog sie aber die auf politischer Ebene zwischen dem Kreml und der belarussischen Führung getroffenen Vereinbarungen in Zweifel. Wie Russland auf dieser Grundlage mit ihr verhandeln soll, ging aus ihren Äußerungen nicht hervor.
Unterdessen hat die belarussische Führung ein weiteres Mitglied des von Tichanowskaja ins Leben gerufenen »Koordinationsrats für die Machtübergabe« ins Ausland abgeschoben. Olga Kowalkowa wurde nach zweiwöchiger Inhaftierung an die polnische Grenze gebracht und überquerte diese in der Nacht zum Samstag zu Fuß, wie das Nachrichtenportal Lenta.ru berichtete.
Gleichzeitig umwirbt Russland Lukaschenko mit wirtschaftlichen Angeboten und drängt ihn vermutlich zu politischen Zugeständnissen in Richtung Integration. Nach einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin in Minsk wurde am Donnerstag bekanntgegeben, dass beide Länder ihren Streit um den Öl- und Gaspreis und die weiteren Lieferbeziehungen beendet hätten. Zu welchen Konditionen, wurde nicht mitgeteilt. Anfang des Jahres hatte sich Lukaschenko geweigert, die russische Preisforderung von 127 US-Dollar pro Tonne Öl zu akzeptieren, und begonnen, die belarussischen Raffinerien aus anderen Quellen mit dem Rohstoff zu versorgen.
Nach dem Gespräch mit Lukaschenko betonte Mischustin, Russland respektiere stets die »Souveränität und territoriale Integrität des belarussischen Bruderstaats«. Andererseits erklärte er, Russen und Belarussen seien »praktisch dasselbe Volk«. Und aus dem Kreml sickerte in russischen Medien die Indiskretion durch, Lukaschenko werde bei seinem womöglich in dieser Woche stattfindenden Gipfeltreffen mit Wladimir Putin »sensible und schmerzliche Entscheidungen« treffen und »einen Strich unter alle entstandenen Streitfragen ziehen«. Wenn dies mit »schmerzlichen Entscheidungen« verbunden sein soll, kann es nach Lage der Dinge nur um Zugeständnisse auf dem Feld der belarussischen Eigenstaatlichkeit gehen. Diese hatte Lukaschenko in den letzten Jahren als reale Basis seiner eigenen Herrschaft in immer deutlicherer Rhetorik verteidigt. Zuletzt sprach er dann aber auch wieder von »einem einheitlichen Vaterland von Brest bis Wladiwostok«.
Zunächst einmal machte Lukaschenko der russischen Seite jedoch ein politisches Geschenk. Er erklärte gegenüber Mischustin, die belarussische Funkaufklärung habe ein Gespräch zwischen zwei Beamten in Warschau und Berlin abgefangen. Darin habe der deutsche Teilnehmer angedeutet, »Spezialisten« hätten für die Kanzlerin »das ganze Dossier mit Nawalny« vorbereitet und warteten nur noch darauf, dass Angela Merkel davon auch Gebrauch mache. Zum Ziel der Kampagne machten beide Seiten unterschiedliche Angaben: laut dem »deutschen« Teilnehmer gehe es darum, Putin vor den Regionalwahlen am 13. September »zusätzliche Probleme« zu bereiten, der polnische meinte, es gelte, »Putin davon abzuhalten, seine Nase nach Belarus zu stecken«.
Die Authentizität des im Original etwa eine Minute langen Mitschnitts ist schwer zu beurteilen, weil die englische Unterhaltung unter der russischen Synchronisierung nicht zu verstehen ist. Am Wochenende wurde die Audiodatei von dem vermutlich dem belarussischen Staatsfernsehen nahestehenden »Telegram«-Kanal »Pul Perwogo« ins Netz gestellt. Während die Bundesregierung den Inhalt des Mitschnitts bestritt, fällt auf, dass die Reaktion von russischer Seite bisher zurückhaltend war.
Hintergrund: Liberales Szenario
Im Gespräch mit der deutschen Fachzeitschrift Osteuropa hat sich der renommierte russische Sozialwissenschaftler Lew Gudkow zur weiteren Entwicklung in Belarus geäußert. Gudkow leitet das liberale – in Russland wegen seiner teilweisen Finanzierung aus westlichen Quellen als »ausländischer Agent« definierte – Moskauer Meinungsforschungsinstitut »Lewada-Zentrum«. Von jW gekürztes Zitat nach dessen Webseite vom 3. September:
»Das Regime Lukaschenkos wird untergehen, aber das heißt nicht, dass es schon kurzfristig stürzen wird. Solche Hoffnungen ignorieren die Interessen externer Akteure, vor allem der Kremladministration, die offensichtlich abwartet und noch nicht entschieden hat, wie sie vorgehen soll. Ebenso hängt die Entwicklung von der Position der EU und der Bereitschaft westlicher Länder ab, die Opposition anzuerkennen und ihr mit Hilfe ihres Ansehens, ihrer materiellen Mittel und Garantien Schutz vor Russland zu gewähren. Wenn Lukaschenko auf Protestierende schießen lassen würde, wäre das sein politischer Selbstmord. Moskau ist nicht bereit, die Verantwortung für ein Blutvergießen in Minsk mit ihm zu teilen, weil in diesem Falle jede Form der Unterstützung für Lukaschenko Russlands internationales Ansehen endgültig ruinieren würde: nicht nur im Westen, sondern auch bei den Nachbarn im postsowjetischen Raum wie Armenien oder Kasachstan. (…)
Damit sich die jetzige zerbrechliche Situation politischer Unbestimmtheit klärt, müsste die Opposition eine klarere soziale Unterstützung von seiten der arbeitenden Bevölkerung erfahren: durch einen Generalstreik in der Industrie, die Blockade des Transportwesens, einen Streik der staatlichen Medien und mindestens die Neutralisierung von Armee und Polizei in Minsk. (…) Anzeichen für eine solche innere Lähmung der Vollzugsorgane gibt es in Belarus heute nicht. (…) Bis die Armee ihren Unwillen äußert, zum Werkzeug eines Krieges gegen das eigene Volk zu werden, kann noch einige Zeit vergehen, genau jene zwei bis drei Jahre, die die Opposition heute nicht hat. (…)
Am wahrscheinlichsten sind (…) die Einführung des Ausnahme- oder Kriegszustands, die Verhaftung oder Internierung der Anführer des Protests wie 1981 in Polen, die Einführung von Sperrstunden, die Schließung der Grenzen, die Abschaltung des Internets und anderer Kommunikationsmittel. Eine Begründung für ein solches eventuelles Vorgehen hat Lukaschenko schon gegeben: die Verteidigung gegen äußere Angreifer, die Zerschlagung einer Verschwörung gegen die Republik, die Wiederherstellung von Ordnung und Arbeitsfähigkeit der Institutionen im Lande. Die Opposition hat einfach keine Ressourcen, um sich solchen Maßnahmen aktiv – geschweige denn bewaffnet – zu widersetzen.«
(Übersetzung: rl)
Neue Sicherheitschefs in Belarus
Minsk. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat nach staatlichen Angaben die Spitze des Geheimdienstes KGB, des Sicherheitsrats und des staatlichen Kontrollkomitees neu besetzt. Das meldete die amtliche Nachrichtenagentur Belta am Donnerstag. Die Personalentscheidungen wurden kurz vor einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin in Minsk bekanntgegeben. (Reuters/jW)
Russlands Premier reist nach Belarus
Moskau. Russlands Ministerpräsident Michail Mischustin will am heutigen Donnerstag für Gespräche nach Belarus reisen. Das teilte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch mit. Sein belarussischer Amtskollege Wladimir Makei, der sich zu Unterredungen in Moskau befand, äußerte die Einschätzung, dass sich die Lage in seinem Land stabilisiere. Er lobte zugleich die Haltung der russischen Regierung während der Krise in Belarus. Russland habe dabei geholfen, eine Einmischung von außen zu verhindern.
Derweil wurden bei Studentenprotesten in Belarus 95 Menschen festgenommen, wie das Innenministerium am Mittwoch in Minsk mitteilte. Hunderte Studenten waren am Dienstag zum Beginn des neuen Semesters auf die Straße gegangen und hatten die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert. Die Behörden sprachen von landesweit 2.300 Teilnehmern. (dpa/Reuters/jW)
@Kehrer
Das ist offensichtlich und hat auch viele Stamokap-Anhänger verzweifeln lassen.
Es fragt sich jedoch, ob das ein gelungenes Vehikel für Deutschlands imperialistische Ambitionen ist, oder nicht vielmehr eine Bumerang-Wirkung hat.
Das ist in der Tat nicht so leicht zu verstehen.
Die internen Widersprüche des Kapitalismus bzw. Imperialismus …
und was nicht noch alles, und gleichzeitig Sanktionen, Manöver an der russischen Grenze, Geschrei wegen der Krim und Verfolgung von Kreml-Kritikern – was sind das eigentlich für Leute, die glauben, daß sie damit durchkommen können?
“Es fragt sich jedoch, ob das ein gelungenes Vehikel für Deutschlands imperialistische Ambitionen ist, oder nicht vielmehr eine Bumerang-Wirkung hat.” Na Klar hat das eine Bumerang Wirkung. Das habe ich schon immer gesagt. Die Sanktionen waren schon immer extrem dumm, weil sie nur den USA nützen und Russland und der EU schaden. Sogar verstärkt die EU.
z.B. hat sich Russland mit Hilfe eines deutschen Bauern aus der Pfalz, der jetzt in Russland Milliardär ist, eine Milchwirtschaft aufgebaut. Dieses Geschäft ist für immer verloren.
Ich verstehe auch Maas nicht. Was soll das mit der Aufgabe eines Projektes zu drohen, das man selbst offenbar unbedingt will.
“Dann hat die Bundesregierung erklärt, den US-Strafmaßnahmen gegen »Nord Stream 2« zu widerstehen. Kann sie sich auch diesmal nicht durchsetzen, dann wird Washington, so fürchten Wirtschaftskreise, eher früher als später mit der nächsten Sanktionsrunde auf der Matte stehen, die dann womöglich das deutsche China-Geschäft umfassend trifft. Schiebt Berlin keinen Riegel vor, könnte es also bald ans Eingemachte gehen. ” Genau. Wenn jetzt doch alles auf NS2 rausläuft, dann sieht es ja wirklich so aus, als wollte die BRD ihr Scheitern mit NS2 nur bemänteln und Russland in die Schuhe schieben. Was es aber letztendlich überhaupt nicht besser macht. Scheitern ist Scheitern egal wieviel Schmierenkomödien man abzieht. Kronauer hat Recht. Rückzug führt nicht zur Besänftigung der USA, sondern zu weiteren Ansprüchen der EU gegenüber und zu weiterem Rückzug.
„Nebelkerzen“ aus Moskau: Maas kontert Vorwurf aus Russland im Fall Nawalny
Bundesaußenminister Heiko Maas hat die Vorwürfe Russlands zurückgewiesen, die deutschen Behörden bremsten die Ermittlungen im Fall des vergifteten russischen Kremlkritikers Alexej Nawalny. Laut Maas wird es definitiv eine Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungsbehörden der beiden Länder geben.
Russlands Botschaft und Außenministerium haben im Fall Nawalny Fragen an Heiko Maas
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hat am Sonntag zusammen mit der russischen Botschaft in Deutschland eine Reihe von Fragen an das Auswärtige Amt in Berlin gestellt. Hintergrund sind die jüngsten Aussagen von Heiko Maas in einer ARD-Sendung.
Lasst unsere Ärzte und Toxikologen zusammenwirken – Deutschland-Experte zum Fall Nawalny
Wladislaw Below, Vizedirektor des Moskauer Europa-Instituts, war von der Reaktion der deutschen Medien auf Berichte über eine vermutliche Vergiftung von Alexej Nawalny nicht überrascht. Sie bezeichneten es sofort als Verbrechen und verwiesen auf Ergebnisse von Untersuchungen eines Spezial-Labors der Bundeswehr.
Der Fall Nawalny (07.09.2020)
Berlin zieht Abbruch der Arbeiten an Nord Stream 2 in Betracht, drängt Paris zur Aufgabe einer eigenständigen Russlandpolitik.
BERLIN/MOSKAU (Eigener Bericht) – Ungeachtet unvermindert fortbestehender Unklarheiten verstärkt die Bundesregierung im Fall der Vergiftung des russischen Politikers Alexej Nawalny den Druck auf Moskau. Nach wie vor liegt kein Beweis für den Vorwurf vor, russische Staatsstellen hätten – womöglich sogar im Auftrag von Präsident Wladimir Putin – Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok umzubringen versucht. Die russische Regierung moniert, die zuständigen deutschen Behörden zögerten den Austausch zur Aufklärung benötigter Informationen hinaus. Dennoch verstärken transatlantisch festgelegte Politiker vor allem aus den Unionsparteien und von Bündnis 90/Die Grünen den Druck, den Bau der Erdgasleitung Nord Stream 2 abzubrechen. Dafür setzt sich auch die Trump-Administration mit Sanktionen ein, die kürzlich zum Eklat führten. Die Ukraine nimmt den “Fall Nawalny” zum Anlass, ein dreimonatiges Öl- und Gasembargo gegen Russland zu fordern und die komplette Einstellung aller Investitionen in dem Land zu verlangen. Berlin nutzt ihn, um Frankreichs Bemühungen um eine eigenständige Russlandpolitik zu torpedieren.
Unklarheiten
Nach wie vor dominieren Unklarheiten die Vorwürfe deutscher Politiker gegen Russland in der Auseinandersetzung um die Vergiftung des russischen Politikers Alexej Nawalny. Das betrifft vor allem den Befund eines Bundeswehrlabors, Nawalny sei mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet worden; er wird explizit oder implizit mit der Behauptung verbunden, daraus lasse sich die Täterschaft russischer Staatsstellen, möglicherweise gar ein Auftrag von Präsident Wladimir Putin persönlich zwingend folgern. Tatsächlich ist der erste bekannte Mord mit Nowitschok 1995 im Rahmen eines Machtkampfs zwischen konkurrierenden Privatunternehmern begangen worden, als ein russischer Geschäftsmann einen Banker und dessen Sekretärin mit dem tödlichen Nervengift umbringen ließ.[1] Diese Feststellung ist auch wegen offensichtlicher Widersprüche in der Annahme, staatliche Stellen hätten Nowitschok gegen Nawalny eingesetzt, von Bedeutung; unklar ist zum Beispiel, warum die russische Regierung dann die Einwilligung zu Nawalnys Ausreise in die Bundesrepublik gegeben haben sollte – schließlich war mit einer Ermittlung des Giftstoffes zuverlässig zu rechnen. Auf diesen und andere Widersprüche hat beispielsweise der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki mit seiner Feststellung hingewiesen, es gebe “auch Kräfte in der russischen Administration, die teilweise ein Eigenleben führen”. Kubicki warnte deshalb bereits am Donnerstag vor voreiligen Schlüssen.[2]
Drohungen
Die Bundesregierung verstärkt dessen ungeachtet den Druck auf Moskau. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Mittwoch erklärt, es stellten sich “sehr schwerwiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und muss”.[3] Außenminister Heiko Maas kündigte gestern an, wenn es “in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung” gebe, “werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen”.[4] Die EU hatte schon zuvor Sanktionen in Erwägung gezogen; NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte, das westliche Kriegsbündnis betrachte “jeden Einsatz chemischer Waffen als Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit”.[5] Berichterstatter weisen darauf hin, dass diese Formulierung, sofern sie “in Resolutionen des UN-Sicherheitsrats” verwendet wird, “friedenserzwingende Maßnahmen” erlaubt.[6] Mit Blick auf die zahlreichen Drohungen wiegt umso schwerer, dass Berlin, wie eine Sprecherin des russischen Außenministeriums berichtet, Moskaus Bemühungen um die Aufklärung der Vorwürfe torpediert. Demnach hat sich die russische Generalstaatsanwaltschaft schon am 27. August mit einem offiziellen Rechtshilfeersuchen an die Bundesregierung gewandt. Diese freilich hat das Ersuchen offenbar erst vergangenen Freitag (4. September) an die zuständige Berliner Landesjustizverwaltung weitergeleitet. Die Moskauer Außenamtssprecherin teilte entsprechend mit, man habe “keine Gewissheit, dass Deutschland kein doppeltes Spiel spielt”.
“Nord Stream 2 stoppen”
Ins Zentrum der Auseinandersetzungen rückt dabei einmal mehr die Erdgasleitung Nord Stream 2. Einseitig transatlantisch festgelegte Politiker dringen darauf, den Bau der Pipeline, die kurz vor der Fertigstellung steht, in letzter Sekunde abzubrechen. “Die europäische Entscheidung sollte sein: Nord Stream 2 stoppen”, erklärt Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags.[7] Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erklärt, “der offenkundige Mordversuch durch die mafiösen Strukturen des Kreml” müsse “echte Konsequenzen haben”: “Nord Stream 2 ist nichts mehr, was wir gemeinsam mit Russland vorantreiben können.”[8] Widerstand dagegen kommt vor allem aus Wirtschaftskreisen. Maßnahmen gegen Nord Stream 2 “würden in dieser Phase vor allem europäische Unternehmen treffen, die Aufträge ausführen oder erhebliche Finanzmittel für das Projekt und damit verbundene Anschlussleitungen in Ostdeutschland bereitgestellt haben”, warnt Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV).[9] Tatsächlich drohen der deutschen Wirtschaft Milliardenverluste; zudem stünde das Bemühen insbesondere von Wintershall Dea in Frage, mit Hilfe eines intensiveren Zugriffs auf russische Erdgasquellen die Spitzenstellung unter den westeuropäischen Erdgaskonzernen zu erlangen: “Wir wollen europäischer Champion werden”, teilte Konzernchef Mario Mehren im vergangenen Jahr mit.[10] Dazu sei man freilich auf Zugang zu russischen Lagerstätten angewiesen.
“Ein dreimonatiges Komplettembargo”
Außenminister Maas hat gestern auch in Sachen Nord Stream 2 den Druck auf Russland erhöht. Maas warnte zwar noch, wer einen Abbruch der Arbeiten an Nord Stream 2 fordere, “muss sich der Konsequenzen bewusst sein”: “An Nordstream 2 sind mehr als 100 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern beteiligt, etwa die Hälfte davon aus Deutschland.”[11] Dennoch schloss der Außenminister einen Baustopp nicht mehr aus: Er “hoffe … nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nordstream 2 zu ändern”. Faktisch käme die Bundesregierung damit den US-Sanktionen gegen die Pipeline nach, die vor kurzem empörte Reaktionen in Deutschland ausgelöst haben (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Gleichzeitig werden aus dem verbündeten Ausland noch deutlich weiter reichende Forderungen laut. So verlangt der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, ein dreimonatiges vollständiges Embargo gegenüber Erdöl- und Erdgaslieferungen aus Russland; das sei unumgänglich, behauptet Melnyk, “um dem Putin-Regime die wichtigste Einnahmequelle für seine aggressive Politik zu entziehen”. Zudem solle es einen Stopp sämtlicher Investitionen aus der EU in Russland geben.[13] Auf Letzteres hat Kiew keinerlei Einfluss, auf Ersteres schon: Ein erheblicher Teil der russischen Lieferungen wird zur Zeit über Pipelines durch die Ukraine abgewickelt. Die ukrainische Regierung könnte sie stoppen.
“Nationale Sonderpolitiken”
Jenseits des eskalierenden Konflikts um Nord Stream 2 sucht Berlin Nawalnys Vergiftung zu nutzen, um Paris zur Aufgabe seiner jüngsten Bemühungen um eine eigenständige Russlandpolitik zu nötigen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am 19. August 2019 seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin in seiner Sommerresidenz Fort de Brégançon an der Côte d’Azur empfangen und anschließend für eine neue “Sicherheitsarchitektur” plädiert, die “von Lissabon bis Wladiwostok” reichen solle – ein Versuch, unter Anknüpfung an gaullistische Traditionen in der Außenpolitik wieder eine stärkere Eigenständigkeit gegenüber der deutschen Dominanz in der EU zu erlangen. Am 26. Juni 2020 erklärte Macron nach einer Videokonferenz mit Putin, er sei der Ansicht, “mit Russland bei einer gewissen Anzahl an Themen Fortschritte machen zu können”.[14] Überdies hatte er einen baldigen Besuch in Moskau geplant. Am Freitag hat Außenminister Maas nun seinen französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian zu einer gemeinsamen Erklärung veranlasst, in der mit Blick auf Nawalnys Vergiftung scharfe Kritik an Russland geübt wird.[15] In deutschen Berichten heißt es bereits, mittlerweile mehrten sich “im Elysée-Palast die Zweifel, ob angesichts der Nawalnyj-Affäre und der Lage in Weißrussland ein Besuch angebracht ist”.[16] Der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Röttgen, erklärt, “nationale Sonderpolitiken, die auf Europa keine Rücksicht nehmen, passen nicht mehr in diese Zeit”; dies gelte insbesondere für “die Verhandlungen über eine neue strategische Partnerschaft, die der französische Präsident europäisch unabgestimmt mit Putin führt”.[17] Damit stellt Deutschland einmal mehr die außenpolitische Unabhängigkeit Frankreichs in Frage.
Ich kann die Phrase „Druck auf Moskau“ bald nicht mehr lesen.
Welcher „Druck“ wird da verschärft?
Zu was soll Rußland da „gedrückt“ werden?
Dieses leere Blabla ist Ausdruck des völlig haltlosen Wunschdenkens, der russische Bär sollte doch irgendwie nach der deutschen Pfeife tanzen.
Zur Erinnerung aus aktuellem Anlass: Der Fall Skripal – Der Nutzen eines gemeinsamen Feindes für die Bekräftigung der problematischen Einheit des Westens (GS -18)
Ganz deiner Meinung, Nestor. Es geht ja echt wild durcheinander, wie Kraut und Rüben, scheinbar weiß keiner was Sache ist und wozu der Zirkus veranstaltet wird. NS2, Europas gemeinsames Feindbild, Russlandpolitik der Franzosen, Ablenkung Russlands von Weißrussland. Die Nowitschok Anschuldigung ist wie die Büchse der Pandora. Einmal geöffnet machen sich die Plagen selbstständig und jeder braut damit sein eigenes Süppchen.
In den Abendnachrichten wurde auch erwähnt, was im Falle eines Abblasens des North Stream II-Projekts an Kosten auf den deutschen Staat zukommen könnten.
In den ursprünglichen Verträgen wurde so etwas nämlich nicht vorgesehen, es könnten also da ziemliche Schadenersatz-Forderungen gestellt werden, u.a. von der österreichischen OMV.
Das Problem ist, dass ich befürchte, dass Deutschland die Kosten vor lauter imperialistischer Aufgeblasenheit egal sind. Die haben gerade wegen Corona eine halbe Billion (ich habe den Überblick verloren) oder so rausgeblasen, da werden sie kaum vor ein paar Milliarden zurückschrecken, wenn sie unbedingt wegen Glaubwürdigkeit ihre politischen Prinzipien gegen Russland bewahren wollen. Dass wegen der Sanktionen deutsches Geschäft den Bach runter geht, war ihnen ja schon früher wurscht.
Auch das ist wahrscheinlich.
Es ist eine Art Selbstentmachtung, der man hier zuschaut.
Säbelrasseln gegen Russland
Kanzlerin hält sich Option für Sanktionen offen. Nawalny bei Bewusstsein
Die Bundesregierung hält sich den Weg für Sanktionen gegen das Gaspipelineprojekt »Nord Stream 2« offen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei der Ansicht, »dass es falsch ist, etwas auszuschließen«, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Momentan sei es aber noch zu früh, die Frage nach Konsequenzen zu beantworten.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Wochenende mit Konsequenzen für das Projekt gedroht: »Ich hoffe jedenfalls nicht, dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu ›Nord Stream 2‹ zu ändern«, hatte Maas zu Bild am Sonntag gesagt. Seibert teilte dazu am Montag mit, die Kanzlerin habe sich der Äußerung des Außenministers angeschlossen.
Seibert verwies zudem darauf, dass derzeit auf EU-Ebene an einer gemeinsamen Reaktion gearbeitet werde. Nun sei es zunächst Aufgabe Russlands, sich zu dem Fall des mutmaßlich vergifteten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zu erklären: Dies sei die »klare Erwartung« der Bundesregierung an Moskau.
Die russische Regierung reagierte nüchtern auf den verschärften Kurs Berlins. Sprecher Dmitri Peskow sagte der Agentur Interfax dazu: »Wir verfolgen derartige Erklärungen und stellen fest, dass jede neue Erklärung mit zwei anderen beantwortet wird, die die Absurdität dieser Vorschläge belegen.« Vorwürfe, wonach die russische Regierung hinter einem Attentat auf Nawalny stecke, wies Peskow als »absurd« zurück. Auf die Frage, ob er Risiken sehe, dass der Bau von »Nord Stream 2« nicht beendet werde, antwortete Peskow mit »Nein«.
Der Kovorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, sagte, es sei »dringend notwendig«, Druck auf die russische Seite zu machen, um dieses Verbrechen aufzuklären. »Nicht notwendig« seien aber Sanktionen gegen ein Land, bei denen »die ganze Bevölkerung in Geiselhaft« genommen werde. »Deswegen sind wir nicht dafür, das Projekt Nord Stream 2 einzustellen«, so Riexinger.
Unterdessen holten Ärzte an der Berliner Charité Nawalny aus dem künstlichen Koma. Dessen Gesundheitszustand habe sich verbessert, erklärte die Charité am Montag. Nawalny reagiert demnach bereits auf Ansprache.
Prüfung des Rechtshilfeersuchens verschleppt
Die Pressesprecherin des Außenministeriums der Russischen Föderation, Maria Sacharowa, erklärte am Montag zu Aussagen des Bundesaußenministers Heiko Maas (SPD):
Die Bundesregierung habe einem russischen Rechtshilfeersuchen zum Fall Nawalny schon längst zugestimmt. Es gebe auch keinen Grund, dem nicht zuzustimmen. Es fänden aber zurzeit noch Untersuchungen in der Berliner Charité statt, so der Bundesaußenminister Heiko Maas im »Bericht aus Berlin« (ARD). (…) »Das haben wir, als wir in der letzten Woche ein Gespräch mit dem russischen Botschafter geführt haben, ihm auf Nachfrage auch gesagt«, sagte der Bundesaußenminister. »Wir haben aber ganz klar gesagt, wenn es ein förmliches Rechtshilfeersuchen gibt, werden wir alle Zustimmungen erteilen, die notwendig sind, um Informationen in diesem Rechtshilfeersuchen auch auszutauschen«, so Maas.
Es gibt einige Fragen ans Auswärtige Amt, die in der ARD-Sendung jedoch nicht zur Sprache kamen:
1. Wenn die Untersuchung des Patienten noch läuft, wie kann man denn bitte politische Erklärungen machen, die dahinter Beschuldigungen vermuten lassen?
2. Wieso sind es nicht Vertreter der deutschen Justiz und medizinischer Einrichtungen, sondern deutsche Politiker, die sich grundsätzlich zu Ermittlungen und Diagnosen äußern?
3. Das förmliche Ersuchen liegt doch vor. Sowohl auf der Ebene der Justizbehörden, als auch auf der Ebene der Ärzte. Es wurde bereits im August übermittelt. Ein weiteres Kooperationsangebot der russischen Mediziner gab es dieser Tage. Das Auswärtige Amt weiß das sehr wohl. Wieso ist der Informationsaustausch doch nicht angelaufen? Wieso ist die praktische Arbeit der Spezialisten nicht angelaufen, die sich in der Sache auskennen, und wieso müssen Expertenerklärungen politischen Parolen weichen?
4. Welche Fakten wurden von der deutschen Seite an die EU- und NATO-Partner weitergegeben, die sie zu den gleichlautenden politischen Erklärungen veranlassten?
5. Wann genau kann die Russische Botschaft in Berlin mit der offiziellen Antwort auf das Rechtshilfeersuchen zur Weiterleitung nach Moskau rechnen?
6. Wieso werden von der Bundesrepublik die Erkenntnisse nicht offengelegt, auf die man sich hier beruft?
(Offizielle Übersetzung des russischen Außenministeriums)
Nawalny erwacht aus Koma – Reaktion eines „Nowitschok“-Mitentwicklers
Die Tatsache, dass das künstliche Koma des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny beendet wurde, zeugt davon, dass gegen ihn kein „Nowitschok“-Giftstoff verwendet wurde. Dies teilte der Chemiewaffen-Experte Leonid Rink gegenüber RIA Novosti mit.
Großbritannien bestellt russischen Botschafter im Fall Nawalny ein
Großbritannien hat im Fall des mutmaßlich vergifteten Kremlkritikers Alexej Nawalny den russischen Botschafter in London einbestellt. Das teilte der Außenminister Dominic Raab am Montag auf Twitter mit.
Russlands Energieminister: Nord Stream 2-Projekt schreitet voran – trotz aller Schwierigkeiten
Nord Stream 2 wird trotz aller Schwierigkeiten, die rund um das Projekt herum entstehen, umgesetzt und wird unabhängig von der Marktkonjunktur aktuell bleiben, sagte der russische Energieminister Alexander Nowak am Rande der Finalrunde des Wettbewerbs „Russlands Führungspersönlichkeiten“.
Der Fall Nawallny bei Anne Will
https://de.sputniknews.com/kommentare/20200907327891534-nawalny-anne-will/
“Die Anmerkung von Dağdelen, die Bundesrepublik würde sich damit „ins eigene Knie schießen“, beeindruckte die Diskussionsrunde nicht. Wichtig sei aber, dass dies nicht als eine Entscheidung Berlins, sondern als ein Beschluss der gesamten EU gestaltet werden sollte.”
„Einen Baustopp würde ich unerfreulich finden“, so Ischinger, weil dies unter anderem als „ein Triumph der Trump-Administration“ ausgelegt werden könnte. „Warten wir mal ab, ob alle Europäer bereit sind, solch eine Maßnahme mitzutragen.“
Hä? Natürlich wollen die Europäer den Stopp von NS2, aber halt nicht wegen Nawalny. Die Frage ist doch warum man den Abbruch von NS2 auf einmal zur Disposition stellt, wenn man sich jahrelang dafür eingesetzt hat.
Das Angebot scheint zu sein: Wir, die BRD, werfen unsere bisherige Energiepolitik beim Fenster hinaus und nehmen auch jede Menge Kosten dafür in Kauf, aber dafür macht ihr, liebe EU-Partner, in Zukunft das, was wir sagen.
Das wird sich, so wie ich diese imperialistische Staatengemeinschaft kenne, nicht ausgehen.
Den meisten anderen EU-Staaten war das Northstream-Projekt ja wurscht, vor allem Frankreich, die gewinnen durch das Abblasen desselben nichts.
Und Polen wird sich durch einen solchen Rückzieher in seiner Konkurrenz zu Deutschland nur bestätigt sehen: Beharrlichkeit und US-Schulterschluß werden belohnt!
In der imperialistischen Konkurrenz wird jeder Schritt zurück nämlich als Schwäche gedeutet, der Gegner macht einen Schritt nach vor.
Weil Merkel & Maas wohl das Gefühl vermittelt bekommen haben, daß Trumps USA es wirklich Ernst meinen mit ihrem Kriegskurs gegen Rußland. Und es deshalb Ernst meinen mit ihrer Losung, daß alle Staaten, die nicht auch Front machen gegen Rußland, ebenfalls zu den Feinden gezählt werden müssen.
Das wäre ja eine offensichtlich hoffnungslose Geschichte: Bloß weil Deutschland sich dem antirussischen Kurs jetzt wirklich voll anschließt (ohne dabei von wirklicher entscheidender Bedeutung für diese Politik zu sein) ändern doch die anderen auch antirussisch eingestellten Staaten kein Jota an ihren sonstigen Interessen in und an Europa.
Das diese Berechnung so wie von dir beschrieben nicht aufgehen kann, sehe ich auch so. Das spricht m.E. aber eher dafür, dass die Berechnung etwas anders ausschaut. Jedenfalls kann niemand im Ernst glauben, dass man so easy die Führungsrolle in der EU sich dauerhaft in Zukunft erkaufen kann. Eine Führungsrolle entsteht normalerweise auch nicht durch so halbseidene Deals, sondern dadurch dass man sie einfach gegen die anderen durchsetzt. Ein Deal könnte es schon sein, aber ein anderer weniger grundlegender Deal. z.B. Wie das mit dem Corona Wiederaufbauplan gehandhabt werden soll. Man wird sehen. Irgendwann müssen sie ja damit herausrücken.
Ich sehe eh nicht, daß mit irgendeiner Rußlandpolitik oder der Änderung der bisherigen Politik irgendwas gewonnen werden könnte für die Durchsetzung eines deutschen Führungsanspruchs in Europa. Mag ja sein, daß sich zukünftig mehr Einklang ergibt im Kriegskurs gegen Rußland. Aber wo kommt dadurch eine Führung der BRD zur Geltung? Was wäre denn daran “unumkehrbar” und gekoppelt an irgendeinen Willen Deutschlands?
@Kehrer
meint, da müßten die Politiker doch irgendein As im Ärmel haben, und jetzt wollen sie die anderen dafür ködern.
Ich sage: Die haben keins, oder das, was sie dafür halten, ist so armselig, daß sie aus guten Gründen damit nicht herausrücken.
Nein. Das Argument war, dass man eine dauerhafte Führungsrolle in Europa nicht erkaufen kann und da das nicht geht, wollen sie das auch nicht mit diesem Skandal erreichen, d.h. sie wollen es natürlich schon, nur wissen sie auch, dass mit der Nawalny Affäre das nicht geht. Eine Führungsrolle erwirbt man sowieso nicht dauerhaft mit so einem Theater, sondern mit handfesten überlegenen Machtmitteln, die man auch ständig betätigen muss. Eine Führungsrolle erwirbt man nicht wie eine Waschmaschine und hat sie dann in Zukunft in der Wohnung stehen.
“Weil Merkel & Maas wohl das Gefühl vermittelt bekommen haben, daß Trumps USA es wirklich Ernst meinen mit ihrem Kriegskurs gegen Rußland.” Womit genau vermittelt in letzter Zeit? Außerdem macht die EU ja schon länger Front gegen Russland, das stand ja nicht in Frage. Wenn man also zu Feinden der USA zählt, weil man zu wenig Front gegen Russland macht, dann verspricht es auch nichts Gutes wenn man zu Amerikas Freunden gezählt wird. Ob die USA Atomraketen auf Deutschland schießt, weil wegen zu schwacher oder selbstdefinierter Front gegen Russland ist doch sehr die Frage. Umgekehrt schießt Russland garantiert Atomraketen auf Deutschland wenn es sich in die amerikanische Front einreiht.
Außerdem passt das nicht. Es ist einfach zu kompliziert. Wieso so ein Quatsch konstruieren. Da kann man auch einfach bei den nächsten Verhandlungen die Wünsche der USA abnicken. Dann ist die Sache auch klar.
Im Fall Nawalny hatten auch die russischen Ärzte von Anfang an den Verdacht auf eine Vergiftung
“Verdacht auf” ist aber nicht dasselbe wie ein Nachweis. Ein Nachweis erfolgt im Labor und nicht im Rettungswagen. Im Rettungswagen schaut man sich die Symptome an und reagiert entsprechend mit Medikamenten um den Patienten stabil zu halten. Atropin ist kein spezielles Medikament gegen Vergiftungen, sondern quasi ein Standard Notfallmedikament, das immer dann gespritzt wird, wenn die Symptome es angezeigt sein lassen.
“Atropin hat folgende körperliche Wirkungen (Wikipedia): Beschleunigung der Herzfrequenz (positive Chronotropie), Beschleunigung der Erregungsweiterleitung am Herz (positive Dromotropie), Weitstellung der Bronchien (Bronchodilatation), Weitstellung der Pupillen (= Mydriasis, vgl. Atropa belladonna, Schwarze Tollkirsche) stark verminderte Schweißbildung, verminderte Speichelbildung, Hemmung der Magen-Darm-Tätigkeit (verminderte Sekretion und Peristaltik) Erschlaffung der glatten Muskulatur (Spasmolyse), verminderte Sehfähigkeit, insbesondere in der Nähe (Hemmung der Akkommodation) starke Lichtempfindlichkeit (Photophobie), blockiert Rezeptoren der Nervenzellen (kein Erreichen der Rezeptoren durch Transmitter; Rezeptoren bleiben inaktiv)”
Atropin passt also, wie Arsch auf Eimer, auf die vorfindlichen Symptome und daher wurde es verabreicht.
Das ist schon erlesen manipulativ und hinterhältig formuliert. Es wird so getan als sei Atropin ein Medikament, das nur bei Vergiftungen eingesetzt wird. Sodass im Rückschluss der Einsatz von Atropin auf eine Vergiftung verweist. Die Wahrheit ist, dass im Rettungswagen eine sichere Diagnose oft gar nicht möglich ist und die Behandlung anhand der Symptome erfolgt. In so einer Notfallsituation ist es wichtig, dass schnell behandelt wird, weil Nichtstun auf jeden Fall schlechter ist. Dass sich nach Einlieferung in ein Krankenhaus, nach umfangreichen Tests und Laboruntersuchungen sich immer noch auf das Geschehen im Rettungswagen Bezug genommen wird, spricht Bände. Es soll nahe legen, dass die russischen Ärzte im Rettungswagen zuerst eine Vergiftung erkannten. Im Krankenhaus wurde dann weiter Atropin gegeben, was das “ausbleiben von Vergiftungssymptomen erklären soll” Der Leser soll denken: eine hinterhältige Verschleierungstaktik. Dann wurde(auf politischen Druck hin?), die rettende Behandlung gegen Vergiftung (Atropin) abgebrochen, bevor sie in Deutschland wieder aufgenommen wurde. Was natürlich nicht mehr der Verschleierung diente.
Hirntote NATO
Emmanuel Macron kritisiert das nordatlantische Bündnis deutlich. Hintergrund ist das eigene imperialistische Ziel eines Europas unter Frankreichs Führung
Von Theo Wentzke
Die Sorgen der Transatlantiker (09.09.2020)
CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen bemühen sich um Sympathiewerbung für die USA.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Deutsche Transatlantiker starten neue Maßnahmen zur Sympathiewerbung für die USA. Der Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert, man müsse “die Brücke über den Atlantik wieder stärken”. Dazu sollten ein deutsch-amerikanisches Jugendwerk initiiert sowie ein “Tag der deutsch-amerikanischen Freundschaft” ausgerufen werden; geeignet sei der 6. Oktober, Gründungstag der ersten deutschen Siedlung in Nordamerika im Jahr 1683 (“Germantown”). Die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) warnt in einer Publikation vor Schäden in den transatlantischen Beziehungen und beteuert, milieuspezifisch unter Verweis auf ökologische, feministische und antirassistische Bewegungen in den Vereinigten Staaten: “Die USA sind anders, als wir oftmals denken!” In derselben Publikation werben führende Grünen-Außenpolitiker für einen engen transatlantischen Schulterschluss in der NATO sowie im Machtkampf gegen China. Hintergrund der PR-Kampagne sind ein schwerer Ansehensverlust der USA in der deutschen Bevölkerung sowie Warnungen in den Eliten vor Attacken der Trump-Administration auf zentrale deutsche Interessen.
Dramatischer Ansehensverlust
Ursache für die neuen Bestrebungen deutscher Transatlantiker, die Sympathiewerbung für die Vereinigten Staaten zu verstärken, sind nicht nur massive, offenbar stabile Verschiebungen in der Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber den USA. Eine im Januar veröffentlichte US-Umfrage etwa ergab, dass seit 2017 lediglich 30 bis 39 Prozent der deutschen Bevölkerung ein positives Bild von den Vereinigten Staaten haben; in den Jahren zuvor waren es regelmäßig mehr als 50 Prozent gewesen.[1] Zudem gaben nur 13 Prozent an, “Vertrauen” in die Politik von US-Präsident Donald Trump zu haben; 85 Prozent erklärten ausdrücklich das Gegenteil. Eine im Mai von der Hamburger Körber Stiftung publizierte Umfrage wiederum kam zu dem Resultat, der Umgang der Trump-Administration mit der Covid-19-Pandemie habe die Meinung von insgesamt 73 Prozent der Bevölkerung bezüglich der USA klar “verschlechtert”.[2] Befragt, ob sie enge Beziehungen der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten oder zu China für wichtiger hielten, sprachen sich 37 Prozent für Washington, 36 Prozent hingegen für Beijing aus. Ein Jahr zuvor hatten noch 50 Prozent enge Beziehungen zu den USA favorisiert und nur 24 Prozent enge Beziehungen zu China. Die Ergebnisse der Untersuchung riefen im Frühjahr größere Aufmerksamkeit hervor.
Transatlantische Differenzen
Dabei reicht die Sorge über die Entwicklung der Beziehungen zu den USA noch tiefer – weit in traditionell transatlantische Kreise der deutschen Eliten hinein. Allgemeinen Protest haben gänzlich unabhängig von der jeweiligen Haltung zu Nord Stream 2 die jüngsten US-Sanktionen gegen die Erdgasleitung hervorgerufen, die nicht nur Dutzende deutsche Firmen, sondern auch deutsche Kommunalverwaltungen treffen.[3] In Wirtschaftskreisen wächst die Befürchtung, Washington werde, sollte es mit den Sanktionen Erfolg haben, neue folgen lassen, um dann auch das wichtige Chinageschäft der deutschen Industrie frontal zu attackieren. Aktuell sorgt für Debatten auch in der Berliner Politik, dass dem Pentagon und der CIA verbundene Risikokapitalfonds deutsche High-Tech-Startups kaufen, um dadurch US-Geheimdienste sowie die U.S. Space Force mit modernster Technologie auszurüsten; Insider warnen mittlerweile, in kaum zwei Jahren könne ein wesentlicher Teil der deutschen Weltraumbranche in die Vereinigten Staaten abgewandert sein.[4] Schritte wie diese gehen über übliche politische Differenzen – etwa im Streit um das Atomabkommen mit Iran – und über alltägliche ökonomische Konkurrenz hinaus, weil sie unmittelbar darauf abzielen, den deutschen Rivalen zu schwächen und jegliches Bemühen um Eigenständigkeit zu unterbinden. Erst kürzlich warnte der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, “latent schwelende oder auch offen ausgetragene transatlantische Differenzen” könnten in absehbarer Zeit “eskalieren”.[5]
Brücke über den Atlantik
Vergangene Woche hat der Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einer Klausur auf die anschwellenden Sorgen reagiert. Man müsse “die transatlantische Partnerschaft … bewahren und ausbauen”, heißt es in einer Erklärung, die nach dem Treffen veröffentlicht wurde.[6] Einerseits protestiert der Fraktionsvorstand dagegen, dass sich “NATO-Partner untereinander mit Handelssanktionen bedrohen”. Zudem “verbiete” sich “der Einsatz unilateraler Sanktionen mit Wirkung auf Drittparteien gegen verbündete Staaten oder private und öffentliche Unternehmen”. Andererseits erklären die Unionspolitiker unter Verweis auf die NATO und Wirtschaftsinteressen, Deutschland und die USA seien “über den Atlantik hinweg so eng, so tiefgehend und vielfältig verwoben” wie “sonst niemand in der Welt”. Man müsse deswegen “die Brücke über den Atlantik wieder stärken”. “Wir wollen den Austausch der Parlamente, der Streitkräfte, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft intensivieren und massiv ausbauen”, heißt es weiter: “Dafür wollen wir ein deutsch-amerikanisches Jugendwerk einrichten”. Darüber hinaus solle der 6. Oktober, der Tag, “an dem 1683 die ersten deutschen Auswanderer in den USA landeten und Germantown gründeten”, in Zukunft speziell gewürdigt werden – als “Tag der deutsch-amerikanischen Freundschaft”.
“Das USA-Bild erweitern”
Neue Anstrengungen in Sachen Sympathiewerbung für die USA unternimmt auch die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen); sie hat dem Anliegen die aktuelle Ausgabe ihres Magazins “Böll.Thema” gewidmet. “In den vergangenen siebzig Jahren waren die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa engste Verbündete”, heißt es in dem Blatt; “heute” jedoch stehe “die Zukunft dieser Beziehung … auf dem Spiel”.[7] Ursache ist demnach insbesondere die Politik der Trump-Administration, die vor allem auch in Grünen-Milieus als untragbare Zumutung empfunden wird. Die transatlantischen Beziehungen seien “stark genug, um vier Jahre Belastung zu überstehen”, heißt es in “Böll.Thema”; “doch wenn es auf unbestimmte Zeit so weitergeht”, dann “werden sie irgendwann nicht mehr zu retten sein”: “Das darf nicht geschehen.” Um dem entgegenzuwirken, plädiert die Stiftung dafür, “ein eingeengtes USA-Bild” zu “erweitern und [zu] verändern”. Mit Blick auf ihr Zielpublikum porträtiert sie gezielt Bewegungen in den Vereinigten Staaten, “die sich für Vielfalt, Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz und strengere Waffengesetze einsetzen”; viel Raum wird in “Böll.Thema” ökologischen, feministischen und antirassistischen US-Initiativen gewidmet. Es gebe “eine neue Generation von Transatlantiker*innen – eine, die jünger und weiblicher ist und die Pluralität unserer Einwanderungsgesellschaften widerspiegelt”, schreibt die Grünen-Stiftung: “Die USA sind anders, als wir oftmals denken!”
“Die stabilisierende Wirkung der NATO”
Dass die Bemühungen, ökologisch-progressive Milieus transatlantisch fest einzubinden, vor allem außenpolitisch motiviert sind, zeigen die Beiträge in “Böll.Thema”, die sich den Beziehungen zu China widmen oder die Bedeutung der NATO streifen. Letztere galt in früheren friedensbewegten Grünen-Milieus lange Zeit als rotes Tuch. Zur NATO erklärt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, man dürfe “nicht unterschätzen, was für eine stabilisierende Wirkung” das Militärbündnis “auch für den Zusammenhalt Europas” habe; es gelte die “Ängste” der baltischen Staaten vor Russland zu “verstehen” – und ihre Ansicht, “dass nur die NATO sie schützen kann”.[8] Zum Verhältnis zu China äußert sich im Magazin der Böll-Stiftung der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, der gemeinsam mit Hardlinern der US-Republikaner und einem ehemaligen CIA-Spezialisten zu den maßgeblichen Gründern der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC) gehört, einem Parlamentarierbündnis aus derzeit 16 Staaten, das internationale Politkampagnen gegen die Volksrepublik orchestriert (german-foreign-policy.com berichtete [9]). “Trotz der negativen Erfahrungen” mit US-Präsident Trump stehe “die US-Demokratie … uns immer noch unendlich viel näher als Chinas totalitäres System”, erklärt Bütikofer, der hervorhebt, die EU betrachte die Volksrepublik mittlerweile “auch als systemischen Rivalen”. Nouripour und Bütikofer gehören beide sowohl dem Vorstand der Atlantik-Brücke als auch dem Vorstand der Deutschen Atlantischen Gesellschaft an.
Berlin: Im Untergrundkrieg gegen Russland und China (08.09.2020)
Kommentar von Hans-Rüdiger Minow
Giftanschläge, Entführungen und politisch motivierte Serienmorde sind in Deutschland nicht neu. Sie gehörten zum Alltag der Nachkriegszeit: Terrorunternehmen gegen die Infrastruktur der DDR, gesteuert von einer sozialdemokratisch verkleideten Untergrundorganisation (“Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit”) mit Sitz im amerikanischen Sektor von Berlin kalkulierten Todesopfer ein; mit Kidnapping in den Reihen der antikommunistischen Organisatoren und Auftragsmorden in der BRD schlugen östliche Geheimdienste zurück – bis in die 1980er Jahre.
Deutschland, insbesondere Berlin, war Drehscheibe im Untergrundkrieg eines mörderischen Systemkampfes.
Diesen Status hat es wiedererlangt – nicht mehr im Auftrag der Konkurrenten von einst, die sich im Westen des BND bedienten (samt seines früheren NS-Personals).
Das vereinigte Deutschland ist kein Subunternehmer.
Beuteteilhabe
Es ist aus eigenem Recht selbst Konkurrent im eskalierenden Krieg um Weltherrschaftsziele – der BND an fast jeglichem Brennpunkt deutscher Machtexpansion mit tausenden V-Leuten und Agenten.
Rückfluss und Siebung dieses Spionageertrags im politischen Zentrum des EU-Hegemons, in der Hauptstadt Berlin, zieht Konkurrenzdienste an. An der Beute wollen sie teilhaben – mit Abhöranlagen, installiert auf den Dächern ihrer Botschaftsgebäude, um den berechtigten Schutz von Verfassungsorganen des Gastgeberlandes rabiat zu durchbrechen: USA gegen Deutschland, NSA gegen BND. Andere Dienste gehen sorgsamer vor. Unter Chefdiplomaten der EU-Führungsmacht forscht der Bundesanwalt nach Geheimnisverrätern – gesprächigen Kennern deutscher Asien-Politik: BRD gegen China.
Vielerart Zuflucht
In diesem Gestrüpp aus offenem Rechtsbruch westlicher Freunde und vermuteten Akten von Geheimnisverrat für die östlichen Gegner suchen Machtopponenten aus den inneren Zirkeln beider feindlicher Lager Zuflucht und Hilfe. Sie suchen sie dort, wo sie zu Recht Interessenten vermuten: jenseits der Grenzen ihrer heimischen Herrschaft, beim strategischen Gegner. Berlin zeigt sich offen für vielerart Zuflucht.
Besondere Betreuung
Es öffnet den Luftraum für Wirtschaftsverbrecher, die nach Feuergefechten montenegrinischer Politkrimineller in Chartermaschinen Deutschland anfliegen und bei ersten Adressen staatliche deutsche Krankenversorgung mit Polizeischutz genießen (so in der Medizinischen Hochschule Hannover, Februar 2020). Exquisite Behandlung dürfen in Deutschland auch Personen erwarten, die bei Aufstandsversuchen und Terrorangriffen – wenn sie Vormachtansprüchen deutscher Weltpolitik nicht abträglich waren – verletzt überlebten (so wie die Verletzten der Umsturzmassaker in der Ukraine, versorgt u.a. in der Berliner Charité, die die Behandlungskosten übernahm, März 2013).
Wer bei solchen Ereignissen als Führungsfigur den Umsturz vorantrieb, kann damit rechnen, als persönlicher Gast der deutschen Regierung die besondere Betreuung eines Chefärzteteams der Charité zu erfahren (so die ukrainische Politikerin Timoschenko, die unter der Ägide des Verwaltungsdirektors auch dem Bundeskriminalamt sowie dem BND unterstand, April 2012 bis März 2014).
Strahlkraft im Westen
Die systematische Nutzung des politischen Vorteils, den der medizinische Vorwand der Vormacht verschafft, die im europäischen Osten ihr Hinterland wähnt, lässt Dissidenten aus allen Milieus, vor allem in Russland, zu besonders provokanten Aktionsformen greifen. Auch ohne die Steuerung konkurrierender Dienste stellen solche Aktionen ein Angebot dar, das genutzt werden kann – oder auch nicht. Für die Strahlkraft im Westen reicht die Behauptung, man habe dabei sein Leben riskiert oder werde verfolgt.
“Meinungsfreiheit”
Selbst offen vulgäre happening-shows, deren Drohpotenzial gegen staatliche Herrschaft geringfügig ist, aber Ethik-Konsense der Mehrheit angreifen, kommen zum Einsatz und haben Erfolg – in Berlin. Als eine russische Feministengruppe in Moskau auftrat und vor dem Altar des Zentralheiligtums der russischen Christen blasphemisch skandierte (“Gottesscheiße”, “Meinungsfreiheit”), empörten sich die deutschen Bundestagsparteien – da die Gruppe mit dem Eigennamen “Pussy Riot” (“Muschi-Aufruhr”) zur Rechenschaft gezogen wurde (Februar 2012). Das Verfahren, das mit strengen Strafen endete, verurteilte die damalige Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, als “Schauprozess”, die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, sprach von “Putins Gesinnungsjustiz”. Auch ein damals noch wenig beachteter Politiker der russischen Opposition meldete sich zu Wort: Alexej Nawalny. Er kritisierte die “demonstrative Vernichtung der Justiz”.
Angebot erwidert
Das vernehmliche Echo im politischen Zentrum des EU-Hegemons, in der Hauptstadt Berlin, ermutigte das “Pussy-Riot”-Milieu, mit dem auch Nawalny in Verbindung steht, zu neuen Attacken auf den politischen Gegner deutscher Ostpolitik: Russland.
Verkleidet als Ordner der Fußball-WM stürmte die Gruppe ein Moskauer Stadion (Juli 2018). Sie unterbrach das Finale unter lauten Protesten der kroatischen Spieler und der Sportler aus Frankreich, die an dem Event (“für Frieden und Freiheit”) nicht teilnehmen wollten. Doch der Auftritt gelang: er kam in die Medien, vor allem in Deutschland.
Die erwartete Strafe (15 Tage Arrest) war kaum verhängt, als ein “Pussy-Riot”-Mitglied über Unwohlsein klagte. Kurz darauf stand in Russland ein Flugzeug bereit, und brachte den Kranken nach Öffnung des Luftraums durch die deutschen Behörden (was nicht jedem vergönnt ist) in die Hauptstadt Berlin. Die Charter des Flugs zahlte ein Gönner, dessen Stiftungsbetrieb, Sitz in Berlin, und die Bundesregierung kooperieren.
“Wir glauben, dass er vergiftet wurde”, hieß es bei “Pussy Riot” über den Kranken. “Ein Freund seines Vaters, der in einer Berliner Klinik arbeitet, solle die Behandlung außerhalb Rußlands angeboten haben”.
Die hilfreiche Klinik war die Berliner Charité; der Kranke landete dort, wo auch Julia Timoschenko genesen und vom BKA bewacht worden war.
Das Angebot der Systemopponenten, die ihr physisches Leben jetzt wirklich riskierten, wurde 2018 endlich genutzt, ja es wurde erwidert – und war für künftige Fälle als Vorlage nützlich.
Ums Ganze
Nur zwei Jahre später ist offensichtlich, dass die politischen Beben der “Pussy-Riot”-Aktionen Vorboten waren und 2020 in erweiterter Fassung den Dissidenten Nawalny als bewusstloses Opfer im Untergrundkrieg lebendig begraben. Die handelnden Chargen sind identisch geblieben – bis hin zu dem Gönner, der auch für Nawalny den Charterflug zahlte und dessen Stiftungsbetrieb “für Frieden und Freiheit”, Sitz in Berlin, der Bundesregierung nicht unbekannt ist.
Damit erreicht die Affäre dasselbe Niveau, auf dem der Kampf gegen China bereits seit langem floriert. Es geht nicht um Kleingeld. Es geht jetzt ums Ganze.
Neutralisiert
Beim Kampf gegen China ist die Angebotslage weniger günstig. Kulturelle Attacken wurden versucht, aber blieben erfoglos, ja schadeten eher, als Nutzen zu bringen wie im Fall “Pussy Riot”.
Zwar ließ sich der Künstler und Dissident Ai Weiwei auf eine Gastprofessur und andere Ehren deutscher Staatsträger ein, wobei er gemeinsam mit der russischen Gruppe sowie dem Stiftungsbetrieb für “Frieden und Freiheit” bei Galas auftrat (November 2015); doch nach kritischen Worten über die Folgen der NS-Diktatur im Alltag der Deutschen und ihre Xenophobie war er als Zeuge politischen Unrechts in seinem Heimatland China neutralisiert und damit wertlos geworden. Er verließ Berlin Richtung Cambridge.
Mit härteren Mitteln
Setdem sieht Berlin keinen anderen Zugang, als mit härteren Mitteln für “Frieden und Freiheit” in China zu wirken: mit Eurozentrismus und Kolonialpolitik.
Der zweite Teil folgt in Kürze.
Wie soll man das nennen, was die Transatlantiker in der CDU hier fabrizieren? Realitätsverleugnung? Trump schädigt massiv die BRD und die EU, Trump stellt die Nato in Frage und Teile der CDU sorgen sich, um das Amerikabild? Kommt mir so vor als wollte man entgegen den Fakten an Verhältnissen, die nicht mehr existieren festhalten. Die Weltlage wird ignoriert und der Glaube an einen anderen Präsidenten, der wieder zu alten Freundschaft zurückkehrt genährt. Was ist das? Das letzte Aufbäumen der Transatlantiker denen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Denn, wenn die USA die Brd und die EU als Feind betrachten, dann sind Transatlantiker eigentlich bloß noch Vaterlandsverräter.
@Kehrer
Einerseits ist es richtig, wie du bemerkst, daß das ewige Lavieren Deutschlands langsam an sein Ende kommt und die Frage ansteht: Kopf oder Zahl?
Andererseits sehe ich das keineswegs als so ausgemacht an, daß die zuungunsten der USA ausgehen wird.
Vielleicht setzt sich auch eine Fraktion durch, die auf das polnische bzw. baltische „Modell“ setzt.
Ja, das war zu blumig. Die Geschäftsgrundlage geht ihnen flöten durch die Absagen der USA. Deshalb müssen die Transatlantiker was tun, auch wenn das was sie tun widersprüchlich ist. Die USA sagt: “Ihr seid jetzt unsere Konkurrenten und bei Ungehorsam sogar Feinde. und die Transatlantiker sagen: Wir mögen euch trotzdem und euer Land ist sowieso spitze.” Schon seltsam.
Macrons Linie ist da konsequenter. Er trauert den USA nicht hinterher, sondern weiß genau wie europäischer Imperialismus seiner Ansicht in Zukunft nach auszusehen hat. Militärisch wäre Frankreich dann wohl europäische Führungsmacht, weil GB als Atommacht ja raus ist und nur noch Frankreich über Atomwaffen verfügt.
Na ja, da ist es eben nicht ausgeschlossen, daß die EU sich dann an der Frage zur Gefolgschaft zur USA neu sortiert und die Achse Berlin-Paris auf dem Misthaufen der Geschichte landet.
Polen hupft es ja vor, und es kann schon sein, daß sich die Transatlantiker da durchsetzen.
Das würde heißen, daß Deutschland das gesamte Rußland- und China-Geschäft abbauen müßte und desindustrialisiert würde.
Ein später Morgenthau-Plan …
Wenn sich in der deutschen Politik hingegen eine andere Linie durchsetzen würde, so müßten die einmal die ganzen privaten Medien neu besetzen, weil die sind fest in Händen der US-Freunde.
Das Problem ist doch, dass zu einer Achse immer zwei gehören.
Von Seiten der USA gibt es das Angebot einer Zusammenarbeit gar nicht. Unterordnung ist ja keine Zusammenarbeit. Für die ominösen deutschen transatlantisch orientierten Eliten gibt es nichts zu gewinnen. Das sagst du ja selbst mit dem Verweis auf den Morgentau-Plan. Selbst ein Hund hat ohne Leckerli kein Anlass zur Treue. Wenn China und Russland wegfällt, was bleibt dann noch als Markt? Eine USA, die mit Zöllen EU-Waren verteuert? Wer mit Verstand soll das wollen? Die Eliten sind ja Eliten, weil sie die kapitalistischen Macher sind und als Macher verspricht der transatlantische Weg den Untergang.
“so müßten die einmal die ganzen privaten Medien neu besetzen, weil die sind fest in Händen der US-Freunde.” Erstens gab es durchaus Zeiten, in denen das anders war. Zweitens sehe ich in arbeitslosen journalistischen Arschgeigen eigentlich kein wirkliches Problem. Drittens kann man eine Freundschaft auch kündigen. Deutsch-Amerikanische Freundschaft ist ja kein Naturgesetz.
Übrigens: Auch gegenüber China gibt es keine einheitliche europäische Haltung, schließlich hat China mit diversen Projekten seiner neuen Seidenstraße maßgebliche europäische Infrastrukturmaßnahmen [oft etwas abseits europäischer Metropolen…] maßgeblich mit auf den Weg gebracht – und so eventuell ein beanspruchtes europäisches Kontrollbedürfnis durch die EU-Kommission – glatt umschifft. Was, der Sachlage nach, ein Vorwurf an zu viel Eigenmächtigkeit seitens Kroatien, Griechenland, Italien etc ist – und das Unterordnungsbedürfnis der EU-Führungsnationen sowohl anstachelt – als es darin so ja auch blamiert ….
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/mitgliedstaaten-verstossen-bei-seidenstrassen-deals-mit-china-gegen-eu-regeln/
Und wie weiter mit Huawei – auch das ist europäisch unklar. Da muss dann doch der Menschenrechtsdialog und das Thema Taiwan stattdessen einstweilen dick auf den Schild gegen China gehoben werden…
https://www.deutschlandfunk.de/treffen-mit-chinas-aussenminister-maas-weist-drohungen.1939.de.html?drn:news_id=1168122
@Kehrer
Darum geht es nicht.
Der Witz ist, daß offenbar das ganze private Medienkapital pro-USA ausgerichtet ist und die eine entsprechende Meinungsmache betreiben.
Diese Fraktion müßte man von Seiten der Politik erst einmal ausbooten, falls ein Kurswechsel auf der Tagesordnung steht.
Ich denke da z.B. an Ungarn, wo so etwas passiert ist. Orbán hat vorgemacht, wie das geht.
Den Finger will ich noch einmal legen auf die Konstruktion eines angeblich einheitlichen Europas, das Kritische Politik.de bereits im August so kommentiert hatte:
“Es sei ausgezeichnet, wie sich die europ. Nationen “zusammengerauft” hätten und ein “starkes Signal” Richtung ‘Modernisierung’ Europas und so’n Zeug ausgesendet hätten.” Dass sie sich zu einem Ergebnis durchgerungen haben, da ist schon belanglos, welcher Art dieses ist: dass sich in tiefster Krise seit langem jede Nation eher die nächste ist, dass die Modernisierung als konkurrenzlerisches Wirtschaften von EU-Staaten gegeneinander stattfindet, also deren geldlicher Nutzen erst mal rausschaut und von einer gesamteuropäischen Abfärbung v.a. auf das gemeinsame Geld und die darauf lautende Kreditmacht erst mal gar nichts in Sicht ist, was zählt da schon. Wie prekär muss es um diesen EU-Haufen bestellt sein, dass dessen Gerangele um nationalen Gewinn und Schadensverteilung als einvernehmliche formelle Einigung nicht nur von einer Kommissionspräsidentin in höchsten Tönen gelobt wird? Wobei die Chefin durchaus darauf setzen kann: wo da einige Abhängigkeiten von dem Gesamtkunstwerk EU über die Jahrzehnte hinweg eingerissen sind, dürften die Mitglieder ihr Heil darin suchen, so unterschiedlich, gegensätzlich deren Status darin auch ausfällt.”
https://tages-politik.de/Europapolitik/Ideologisches_und_zur_Sache_EU-Streit_Aufbaufonds-Juli_2020.html
Die Zerstrittenheit dieser Staaten fällt deswegen nicht so auf, weil sie, trifft sich die EU, allesamt ja ihre je eigenen Weltpläne mit dem Kürzel “Europäische Interessen” zusammenfassen. Aber darunter ihre je eigene nationale Sichtweise verstehen. Und auch die BRD versteht also darunter, dass Europa nach ihrer Pfeife tanzt. Frankreich und Polen, – umgekehrt umgekehrt…
Die kapitalistische Perspektive, auch mittels der Konkurrenten, selber besser wachsen zu können, so vielleicht in den letzten vier Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts, ist eben eine andere, als wenn es darum geht, bei Schadensbegrenzung die Ausfälle des Wachstums kompensieren oder gar die Schadensfälle generell bei anderen stattfinden lassen zu wollen.
Dass so keine genuin idealistisch vorgestellte “europäische Perspektive” entsteht, bemerkt man übrigens daran, dass bei den großen Fragen Europas die eigentlichen europäischen Institutionen immer nur nachplappern, was ihnen die Staatschefs untereinander ausgehandelt und so dann vorgegeben haben, weswegen so eine Figur wie der “Außenbeauftragte (!) der EU” anscheinend derzeit ganz im home-office verschwunden ist. Und strahlend erst nach dem Ratstreffen Ende September wieder auftauchen wird…
nestor:
Bloß warum ist dieses Medienkapital Pro-USA ausgerichtet? Das sind ja keine Vaterlandsverräter, die von den USA bezahlt werden. Die sind für die USA, weil sie denken, dass es Deutschland nutzt, weil sie denken, dass Deutschland an der Seite der USA groß werden kann. Diese Kalkulation ist aber mittlerweile obsolet und daher fehlt auch die Grund für Amerikafreundschaft. Und es kann schon auch mal sein, dass der eine oder andere diskrete oder weniger diskrete Hinweis des Staates, das klar stellt. (Wenn dieser Kurs tatsächlich eingeschlagen wird) Die Staatsgewalt sitzt da jedenfalls am längeren Hebel.
Guurd. Was willst du damit sagen? bzw. was bedeutet das im Verhältnis zur Nawallny affäre. Meinst du es ist der Versuch jetzt wirklich eine einheitliche europäische Linie durchzusetzen? Dafür müsste man ja etwas an der Konstruktion der EU ändern. So ein “Fall” lässt zwar eine einheitliche Reaktion zu, aber eine prinzipielle Änderung der EU-Außenpolitik wäre damit nicht machbar.
Es ist eher der deutsche Versuch der Schadensbegrenzung – und zwar eine in deutscher EU-Perspektive! – (passt so in die dt. Ratspräsidentschaft), also die, deutsch bemerkte, “Zersplitterung” der EU aufhalten zu wollen, indem man die Einheitlichkeit der Außenpolitik auf so was wie eine gemeinsamen deutschgrün eingefärbte Gegnerschaft zu Russland (aufgemacht als russische Verbrechen an der Zivilgesellschaft) festlegen will. Ob das z.B. Frankreich, Italien, Griechenland u.a. auch so sehen wollen?
Lesetipp: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/fall-skripal
Frankreichs Sichtweise: https://www.jungewelt.de/artikel/386336.frankreich-hirntote-nato.html
Weitere Konflikte kommen übrigens ja gerade beim Thema “Außengrenzen” und “Flüchtlingspolitik” auf den Tisch.
All das soll dann Ende September europäisch beschlossen werden…
Dass die Aussicht auf EU-Kredit dabei Zuckerbrot und Peitsche gleichzeitig sein soll, wird als Skepsis darüber ideologisch ausgedrückt, dass man nicht recht wisse, ob dadurch denn auch wirklich europäisches Wachstum entstehen könne (… wenn die Partner weiterhin “so uneinsichtig” in den diversen europäische Konfliktfeldern verharren würden…). Das wird am Thema “Kredit” oder “Katastophen-Zuschuss” ausgedrückt, vor allem mit Hilfe der skeptischen Nordländer. Das sei gar kein Beitrag zur Modernisierung Europas, sondern – eher das glatte Gegenteil.
Als ideologisches Gebäude wird übrigens gerne (z.Zt. gerade bei der Flüchtlingspolitik) das Bild des europäischen Hauses ausgemalt, damit der Auftrag, dass man der Zentrale folgen solle, mit ideologischer Sachzwanglogik festgemauert werde.
@Kehrer
Das seh ich etwas anders.
Die meinen, daß Deutschland und die EU überhaupt überhaupt nur so existieren kann, daß sie sich zum Vorhof und Aufmarschgebiet der USA machen.
Man könnte es vergleichen mit den Medien in Lateinamerika, die ja auch aus allen Rohren verkünden, daß man nur als Hinterhof der USA bestehen kann. Alles andere wäre, siehe Cuba und Venezuela, Unterdrückung, Zensur, Armut, keine faire Konkurrenz, usw. usf.
Genauso eine Propaganda, wie sie eben hierzulande gegen China & Rußland gemacht wird.
Die meinen, daß nur so das Vaterland weiterkommt, indem es sich an das große Vorbild anschmiegt.
@Guurd
Es mag schon sein, daß der Fall Nawalny wieder einmal ein Versuch ist, gegen einen äußeren Feind so etwas wie eine Einheitsfront zu bilden, Skripals revisited, aber er eignet sich halt dafür nicht.
Die Versuche, ein zweites Kalter-Krieg-Szenario aufzubauen, scheitern daran, daß inzwischen viel zu viele nationale Interessen mit Rußland und China verbunden sind.
Welche Staaten in Europa haben denn deiner Einschätzung nach so viele nationale Interessen in Bezug auf Rußland und China, daß die eine Feinderklärung dieser Staaten und die dementsprechenden Kriegsmaßnahmen gegen sie nicht mittragen wollen/können? eigentlich wäre doch die BRD ein Kandidat für solch eine Verweigerung, jedenfalls bei China sowieso und bei Rußland eigentlich auch.
Also im China-Geschäft hängen doch alle drin, und mit Rußland läuft zumindest von Österreich und Deutschland, sicher auch Tschechien und sogar Polen recht viel. In Polen waren die Sanktionen gegen Rußland in der Geschäftswelt sehr umstritten. Ich weiß natürlich nicht, wieviel sie inzwischen an Handelsbeziehungen gekappt haben.
Lettland und Zypern existieren als Geldparkplätze und Euro-Tankstellen Rußlands, und auch am Südrand scheint es einige Rußland-Verbindungen zu geben, denen ich nicht genauer nachgegangen bin.
“Die Versuche, ein zweites Kalter-Krieg-Szenario aufzubauen…”
Das ist eine Übertreibung, mit der du dafür argumentieren willst, dass diese Propaganda nie und nimmer europäisch verfangen wird.
Ich wollte darauf hinweisen, dass europäische Entscheidungen immerzu sich weniger als solche systematische Prinzipienreiterei darstellen, sondern als Gemengegelage unterschiedlicher Interessen(-abwägungen), und da wird zwar auch mal systematisch gegen China und Russland gehetzt – dies aber nur, um den nächsten Ratsbeschluss als Kompromisslinie herbeiführen zu können …
Dann wird eine Lösung verabredet. Und schon geht das Gerangel in die nächste Runde…
“Die meinen, daß Deutschland und die EU überhaupt überhaupt nur so existieren kann, daß sie sich zum Vorhof und Aufmarschgebiet der USA machen.” Also komm. Das ist doch keine imperialistische Perspektive, sondern die Gesinnung von Kollaborateuren in einem besetzten Land. Und das soll die Elite des Medienkapitals wollen. Wenn das so wäre, dann stünde in der Tat die sofortige politische Entmachtung dieser Geschäftsphäre an. Das wären dann tatsächlich Vaterlandsverräter die damit auch noch ihren Lebensunterhalt verdienen.
Ja, Guurd. Das leuchtet mir ein. Ob es gelingt steht ja in Frage und ob die EU sich dauerhaft auf eine gemeinsame Gegnerschaft gegen Russland festlegen lässt, ist offen. Aber es passt zur deutschen Ratspräsidentschaft und dazu die europäische Linie vorgeben zu wollen und sich dadurch als EU-Führungsnation zu präsentieren, gerade gegen Frankreich, das ja, wie Theo Wentzke schreibt, was ganz anderes im Sinn hat.
Doch, bei der außenpolitischen Linie eines Staates geht es meist um Prinzipien. Jedenfalls solange diese feststehen, solange die Staatsräson von allen politischen Akteuren geteilt und gebilligt wird. Offensichtlich bröckelt dieser Konsens mittlerweile bei den europäischne “Partnern” der USA, weil von einer Partnerschaft, also einem beiderseitigen Nutzen, immer weniger übrig geblieben ist. Also gibt es den Streit, ob man dem Dilemma besser dadurch entkommt, daß man nun wirklich ganz stramm auf US-Linie einschwenkt, was aber die Beziehungen und den Handel mit Rußland und im Falle Deutschlands mit China massiv beeinträchtigen würde oder andersrum, ob man sich entscheidet, sich gegen den US-Kriegskurs gegen diese Staaten zu stellen, weil sie für die nationalen Interessen insebesondere für die Wirtschaftsmacht schon zu wichtig geworden sind, als daß man sich leisten wollte/könnte das wieder zurückzufahren. An den Huawei-Sanktionen kann man aber ablesen, daß natürlich auch Drittstaaten, also auch EU-Staaten massiv betroffen sein könnten, weil ihnen der Handel mit China z.B. von den USA einfach verboten werden kann, jedenfalls in den Bereichen, wo die USA Erpressungspotiential haben. Wie sowas geht, haben die USA den Europäern ja schon im Fall des Iran-Boykotts/Kriegs klar gemacht.
Das Gerangel wird also nicht ewig unentschieden von Runde zu runde weitergehen können, weil die USA das nicht zulassen werden.
“Also gibt es den Streit, ob man dem Dilemma besser dadurch entkommt, daß man nun wirklich ganz stramm auf US-Linie einschwenkt,” Das halte ich für eine Illusion. Die USA stört ja nicht eine mäßige Eigenständigkeit der EU, sondern dass sie Konkurrenten sind und ihr im Weg. Das kriegt man nicht durch umschwenken weg, sondern nur dadurch, dass Europa abschifft, wirtschaftlich und politisch. Das ist der Preis für die deutschamerikanische Freundschaft. Wer sich nicht selbst in die Tasche lügt und das nüchtern zur Kenntnis nimmt, der kann das als Nationalist eigentlich nicht wollen. Umgekehrt: Wer das will, macht sich was vor.
@Guurd
Übertreibung wovon?
Das Ideal wäre es schon, mit so einem Feindbild die anderen hinter sich zu versammeln. Daß diese Allianzen dann immer sehr kurzlebig sind, ist ja auch das Ärgernis der Protagonisten dieses Propaganda-Zirkus.
Wahrscheinlich ist es alles ein großes Theater, wo bei jeder neuen Szene vorne wieder alle Einverständnis heucheln und sich hinter der Bühne an den Kopf greifen, mit was für einem Blödsinn ein Mitgliedsstaat heute wieder Einheit eingefordert hat.
@Kehrer
Die Reichsbürger und andere Leute aus der gleichen Ecke sehen das auch so, als AUsweis der Un-Souveränität.
Letztlich ist diese Haltung der Transatlantiker natürlich das Eingeständnis der Niederlage beim Versuch, die USA zu überholen. Also muß man sich wieder hinter sie einreihen.
“als AUsweis der Un-Souveränität.” Es i s t ein Ausweis der auf Gedeih und Verderb untergeordneten Souveränität. Man kann das ja nicht leugnen, weil man dann Reichsbürgern recht geben würde.
“Letztlich ist diese Haltung der Transatlantiker natürlich das Eingeständnis der Niederlage beim Versuch, die USA zu überholen.” Nein. Es ist viel mehr, nämlich zu akzeptieren, dass z.B. die BRD sich jede Kalkulation auf imperialistische Größe und Bedeutung abschminken kann. Nochmal: Die Kalkulation im Windschatten der USA zur alternativen Weltmacht zu werden ist g e k ü n d i g t von Seiten der USA. Der Wunsch alte Verhältnisse wieder herzustellen und durch Unterordnung seinen alternativen Imperialismus fortsetzen zu können ist ein frommer Wunsch und sonst nichts. Dieses Modell ist aus dem Verkehr gezogen. Dann trotzdem noch im Arsch der Supermacht Zuflucht suchen zu wollen, hat nur zur Folge, dass das betreffende transatlantisch ausgerichteten Land die ganze US-Scheiße abkriegt. Und das wäre gerecht. Wer anderen in den Arsch kriecht, soll sich nicht über die Scheiße beschweren.
Wer nüchtern den Standpunkt der USA zu Kenntnis nimmt, kann nicht glauben durch Demutsgesten seine Lage zu verbessern. Wer das trotzdem macht, macht sich was vor: Er denkt, dass alles nicht so schlimm werden wird, dass Trump abgewählt wird, dass Amerika sich besinnt und alles wird wie früher usw.
Ja, wenn man überhaupt objektiv genügend Mittel in der Hand hat, um die nationale Lage tatsächlich zu “verbessern”. Was ist, wenn eine nüchterne Analyse ergeben hat, daß Deutschland allein sowieso und selbst ein noch gar nicht zusammengezimmertes “einiges” Europa da auch nicht gut dastehen würden.
In einem süditalienischen Städtchen, in dem die Mafia das “Sagen” hat, ist Demut dem lokalen Paten gegenüber sehr wohl eine Haltung, die zwar nicht die Lage verbessert aber eine massive Verschlechterung (bis zum Verlust der Existenz) durch aus verhindern kann.
Aber nicht, wenn der Pate schon beschlossen hat, dich als Konkurrenten loszuwerden. Und das ist die Situation! Das schreibe ich doch die ganze Zeit! Europa hat nicht mehr die Wahl, weil die USA die Entscheidung getroffen hat, sie als Konkurrenten zu betrachten. Das ist nicht mehr davon abhängig was Europa macht und wie es sich stellt. Die ökonomische Schädigung wird schon geraume Zeit mit allen Mitteln vorangetrieben. Ignoranz, Demutsgesten nutzen da nichts. Trump hat die Nawalny Affäre ja auch eher gelangweilt zur Kenntnis genommen, weil für ihn sich da nichts ändert. Er will die Kanzlerin nicht direkt blamieren. Deshalb sagt er: Wenn die Deutschen sagen Nawalny wurde vergiftet, dann wird das wohl stimmen. Dann sagt er hinterher. Trump habe eine gute Beziehung zu Putin. Mit anderen Worten will er seine “gute Beziehung” wegen Deutschland nicht aufs Spiel setzen. Das klingt ganz und gar nicht so als hätte die Kanzlerin der USA einen Dienst in punkto Feindbildpflege erwiesen.
Da nutzt nur sich nach Kräften zu wehren, sich mit anderen Mächten zusammenzuschließen… und das heißt nicht, dass man ungeschoren davonkommt. Ein ungewollter Haarschnitt ist aber besser, als das Abschlagen der Gliedmaßen. Es ist also eine Schadensabwägung.
Die Feindbildpflege war ja ein Versuch, eine EU-Einheit zu schmieden. Deswegen hat Trump das eher jovial kommentiert, so als eine Art Kinderei der EU, der sich die USA nicht ohne weiteres anschließen wollen.
Vielleicht, weil immer das Wort „Schädigung“ aufkommt: Das ist eine Leerformel, letztlich ein negativer Zweck. Die USA wollen die EU nicht einfach ramponieren, sie soll schon für sie funktional bleiben – aber eben als Markt für US-Erzeugnisse und als Schildknappe für Kriegszüge aller Art.
Die US-Politik ist also ein Versuch, sie auf diese Rolle einzustimmen.
“Das Gift sei noch “härter” als bisherige Formen, erklärte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, vergangene Woche in einer geheimen Runde.” (Spiegel)
Ja, wenn der Präsident des Bundesnachrichtendienstes das sagt, dann kann es ja nur stimmen. Merke: FSB – böse, BND – gut
Es wurde doch hier in den letzten Jahren rauf und runter diskutiert, wie die USA die Schädigung der EU betreibt. Eine Leerformel ist das sicher nicht. Du meinst so funktional, wie die Ukraine oder der nahe Osten, Libyen, Irak, Afghanistan, Vietnam usw. Es zeigt sich doch, dass die USA hier überhaupt keine Rücksicht nimmt, dass diese Länder wenigstens als Markt erhalten bleiben. Es reicht doch, wenn diese Staaten in so desolatem Zustand hinterlassen werden, dass dort eh nichts mehr geht. Bei einem Krieg gegen Russland ist genau das das Szenario. Als Schlachtfeld ist Europa dann sehr funktional für die USA. Meinst du die hören irgendwann auf, so eine Art innere Bremse: Jetzt müssen wir aufhören die Eu auszuplündern, sonst können sie unsere Waren nicht mehr kaufen.?
Ich stimme Kehrer zu, daß die “Funktionalitäten”, die die USA für die Staaten Europas vorsehen bzw. vorschreiben wollen, natürlich mit Schädigungen bei denen verbunden sind: Wenn die EU ein offener Markt für US-Waren sein soll, genauer, wenn dort erheblich mehr US-Zeugs gekauft werden soll, dann geht das auf Kosten der europäischen Anbieter oder im Fall des russischen Erdgases auf Kosten eines Wirtschaftspartners, den sich der eine oder andere Staat eigentlich warm halten wollte. Und “Schildknappe” sein für die USA heißt halt, enorm viel Geld für kriegerische Zwecke auszugeben, die die Staaten lieber für andere Zwecke verwenden wollen und ja im Fall der BRD auch ostentativ verwendet haben.
Nawalny hat sich angeblich fast vollständig erholt und soll noch stärker bewacht werden
Nach Medienberichten soll es sich um stärkeres Nowitschok als bei den Skripals handeln, bei der Identifizierung spielt eine ominöse Flasche ein Rolle. Mitarbeiter Nawalnys werfen Medien sachliche Fehler vor
Nawalny: Nebelkerzen auf allen Seiten
Offenbar hat Deutschland weder der OPCW noch Russland Informationen weitergegeben. Nowitschok bleibt vorerst ein vernebelter Begriff im politischen Ränkespiel
Der Nebel um den Anschlag auf Nawalny verdichtet sich
Deutschland will dem Rechtshilfeersuchen Russlands nachkommen, aber keine Informationen weitergeben. Russische Ermittlungsbehörden suchen nach Marina Pevchikh, die mit dem Rettungsflugzeug mitgeflogen war. Hat sie die ominöse Flasche nach Deutschland gebracht?
Nachschlag: Beweislastumkehr
Information am Morgen | Fr., 6.50 Uhr, DLF
Doppelmoral – eine Art Spezialität der EU, wenn es um internationale Beziehungen geht. Vor allem im Falle Russlands. »Beweise zu fordern ist ziemlich unglaubwürdig«, weist Jean-Louis Bourlanges im Deutschlandfunk die Forderung des Kremls im Fall Nawalny zurück. »Sorgfältig ermittelte Beweise wird es in dieser Sache niemals geben.« Bourlanges ist französischer Abgeordneter der Mitte-rechts-Partei Mouvement Démocrate und unterstützt Präsident Emmanuel Macrons Regierung. 2007 rief er im zweiten Wahlgang dazu auf, für Nicolas Sarkozy zu stimmen. Er bezeichnet sich als »überzeugten Europäer«. »Ich halte die Äußerungen der deutschen Bundesbehörden und vor allem die der Kanzlerin für begründet«, erläuterte er seinen Gedanken im Interview weiter. Zusammengefasst: Es kann im Fall Nawalny keine richtigen Beweise geben, aber die der Bundesregierung sind völlig überzeugend. Und außerdem zählt für Russland die Unschuldsvermutung nicht, denn »der Begriff Unschuldsvermutung passt hier nicht ganz«. (rsch)
Heimatforscher
Von Arnold Schölzel
Die deutsche Justiz ahnt: Führungspersonal von Dax-Konzernen verübt »gewerbs- und bandenmäßigen Betrug«. Reine Gewohnheit, lässt sich sagen. Die vergangenen Tage belegen: Beim Mediengeschäftsmenschen sieht’s nicht viel anders auf. Für die Herstellung der publizistischen Billigkonfektion »Verbrecherrusse« bedarf es keiner Spezialsoftware, der schreibende und sendende Billigheimer erledigt das in Handarbeit.
Der Fall Alexander Nawalny spornt dabei zu Höchstleistungen an. Es gilt die Maxime: Nichts steht fest, also kann alles behauptet werden. Zu besichtigen war das z. B. am Sonntag in der ARD-Talkshow »Anne Will«, in der sich die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen der Schmierigkeiten dreier älterer Herren – Wolfgang Ischinger (Chef der Münchner Sicherheitskonferenz), Norbert Röttgen (CDU), Jürgen Trittin (Die Grünen) – zu erwehren hatte. Ihr Vergehen: Sie plädierte für Verzicht auf Spekulationen, bevor aufgeklärt wurde, und wies darauf hin, dass auch westliche Geheimdienste über die angeblich bei Nawalny gefundene Substanz »Nowitschok« verfügten. Das löste keine Argumente, sondern kollektive Wut aus: Die Anhänger der Verschwörungstheorie »Putin war’s«, beziehungsweise dessen »System«, bezichtigten sie der Verschwörungstheorie und verlangten, weil ja schon alles geklärt sei, mindestens den Stopp der Erdgasleitung »Nord Stream 2«.
Das Rudelgekläff verstand Markus Decker, Korrespondent im Hauptstadtbüro des Redaktiosnetzwerks Deutschland (RND), einer Einrichtung des mehrheitlich im SPD-Besitz befindlichen Hannoverschen Madsack-Konzerns, als Anleitung zum Schreiben. Am Montag legte er auf der RND-Internetseite unter der Überschrift »Die Linke und Russland: Sevim Dagdelen steht für sich und doch nicht allein« nach. Die Forderung der Politikerin nach Aufklärung unterschlagend, dozierte er: »Bei vielen Grünen wird Sevim Dagdelen zu den ›Irren‹ gezählt – so wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrej Hunko oder der Verteidigungspolitiker Alexander S. Neu, die übrigens allesamt aus Nordrhein-Westfalen kommen.« Muss also am Terroir liegen.
Das Geschäftsmodell »deutsche Putinfans jagen« stimuliert auch andere Heimatforscher. Am Freitag knöpfte sich z. B. Reinhard Bingener, FAZ-Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Bremen und die deutschen evangelischen Kirchen, in der Zeitung die Stadt Hannover vor. Dort sitze nämlich »im noblen Zooviertel der bekannteste Fürsprecher russischer Interessen in Deutschland.« Gemeint ist Exkanzler Gerhard Schröder (SPD), der zwar zu Nawalny schweigt, aber laut Bingener ansonsten bei seiner Lobbytätigkeit im »Netz einflussreicher Russland-Freunde« der niedersächsischen SPD »kaum auf Widerspruch« stoße. So habe Ministerpräsident Stefan Weil auf seiner Homepage ein Statement zum Fall Nawalny veröffentlicht, »das man sich im Kreml nicht schöner wünschen konnte.« Weil hatte sich nämlich dazu verstiegen, Sanktionen als »stumpfes Schwert« zu bezeichnen. Bingener nennt dossiermäßig weitere Namen, darunter den von Schröders Exgattin Doris Schröder-Köpf. Die SPD-Landtagsabgeordnete wurde öfter auf »Events mit Bezug zu Russland« gesehen, was als Beweis reicht. Aber Bingener weiß mehr: Sie habe »in ihrem Wahlkreis Hannover-Döhren viele Russlanddeutsche. Unmittelbar vor der Landtagswahl 2017 umgarnte Schröder-Köpf diese Wählerschaft mit menschelnden Anekdoten über Wladimir Putin, die sie dem russischen Propagandakanal Sputnik anvertraute.«
Merke: Russenfreunde tragen das Etikett »kontrollierte Herkunftsbezeichnung«. Ob Nordrhein-Westfalen bei der Linken oder Niedersachsen bei den Sozen. Für bandenmäßiges Gewerbe ist das ein Beweis.
Wie zielgerichtet moralisches staatsbürgerliches Denken sich über den einen anscheinend Vergifteten empört, – und sonstiges Elend (z.B. von Flüchtlingen) eher achselzuckend als anscheinend irgendwie nicht änderbare Normalität zur Kenntnis nimmt …
https://www.gew-ansbach.de/2020/09/moria-praktizierter-fluechtlingsschutz/
“Nach dem Spiegel hätten Vertreter verschiedenen Behörden gesagt, die Substanz hätte nur “in einem militärischen Speziallabor in Russland” hergestellt werden können.” LOL. Klar die Vergiftungsexperten vom Spiegel wissen einfach Bescheid. Die wissen nicht nur, dass das Nawalny Nowitschok noch viel giftiger ist wie das Skripal Nowitschok, Nach eingehenden Studien in mindestens 200 Chemiewaffenlaboren wissen sie auch dass nur ein russisches Labor in Frage kommt.
Schön ist auch dass die Überschrift heißt: Nawalny erholt sich und gleich drunter steht, dass das Gift noch giftiger war. Die Russen müssen ja unheimlich dämliche Blindfische sein, wenn sie eine tödliche Vergiftung 2x nicht gebacken kriegen und das mit dem tödlichsten Gift das es gibt.
@Kehrer
Der Vergleich mit Vietnam hinkt, weil da ging es ja wirklich um etwas anderes.
Es wird der EU auch kein Krieg erklärt, also ein bißl weniger dick auftragen könnte nicht schaden.
Die EU als Markt hat schon eine andere Dimension, weil da eine großere Kaufkraft herrscht.
Der Marshall-Plan seinerzeit hatte das ja als Ziel. Dafür mußte man zwar auch einen Wiederaufbau betreiben, aber lange hat das auch gut funktioniert. Dann wurde Europa übermütig, wollte mit den USA gleichziehen, und dann kam China ins Spiel. Natürlich wäre das auch eine Beschädigung, aber eben mit diesem Ziel.
Die USA wollen z.B. nicht, daß der Euro kracht und die internationale Zahlungsfähigkeit Europas flöten ginge.
Der Bundesnachrichtendienst, diese ehrenwerte Institution, ist ja förmlich selig, auch einmal was beitragen zu können zur deutschen Politik.
Sonst dackelt er den größeren Diensten wie CIA, FSB und MI6 hinterher, kann nicht einmal die eigenen Daten verarbeiten und gibt sie an die NSA weiter, aber bei der Identifizierung des angeblichen Nawalny-Giftes schlägt endlich seine Stunde.
Das Fläschchen ist wahrscheinlich genau so eines, mit dem sich eine arme Drogenabhängige in einem Park in Salisbury vergiftet hat. Das wurde schnell eingeflogen aus England, da man ja in diesem Fall keine Türklinke verwenden kann.
Bloß, weil der Krieg noch nicht erklärt wurde, heißt doch nicht, daß er noch nicht geführt wird. Kriegerische Maßnahmen werden doch eh zunehmend nicht erklärt sondern “einfach” durch geführt, mal mit UN-Mandat und mal eben auch ohne. Wenn hier jemand “dick” aufträgt, dann die USA unter Trump.
Aber, daß die EU geschwächt wird, daß sie wohlmöglich auseinander bricht, das wollen sie schon. Den Brexit z.B. hat Trump voll Rohr unterstützt.
Zustimmung zu Neoprene.
Bloß ist das was die USA wollen und was dann letztendlich passiert nicht dasselbe. Und das ist so, weil die Dinge die die USA will eben widersprüchlich sind. d.h. sie wollen beispielsweise die Eu als Konkurrent ausschalten, aber sie wollen sie gleichzeitig nicht als Markt verlieren. Aber vielleicht geht das eine nicht ohne das andere. Ein Staat der als Konkurrent ein Ausfall ist, weil seine Wirtschaft darnieder liegt, ist halt auch ein Ausfall als Markt, logischerweise. Die USA und jeder Staat, will eben was ihm nutzt. Daher wollen die USA die EU zurechtstutzen und sie wollen gleichzeitig die EU als Markt. Konsequent aus der Sicht des nationalen Interesses. Von der Logik der Sache allerdings unlogisch. Entweder zurechtstutzen oder nicht, aber nicht einerseits zurechtstutzen und auf der anderen Seite als Markt benutzen wollen. Das geht nicht auf.
Wogegen ich mich verwehrte, ist, daß das Wort Krieg inzwischen etwas inflationär verwendet wird.
Handelskriege, Wirtschaftskriege usw. sind halt keine richtigen Kriege. Syrien oder der Irak oder der Jemen lassen grüßen, dort ist wirklich Krieg. Da fallen Bomben und da wird geschossen, und Leute gehen drauf.
Also so meinte ich das mit dem Unterschied zu Vietnam.
Der imperialistische Gegensatz kennt verschiedene Eskalationsstufen, und nur weil alle möglichen Ideologen und Medienfritzen seit Trumps Amtsantritt von dem „Krieg“ faseln, den er der EU angeblich erklären würde, so muß man sich dem ja nicht gleich anschließen.
Noch werden die Kriege woanders geführt.
Ich stelle eine gewisse Aufgeregtheit und Hysterie im öffentlichen Diskurs fest, bei den verschiedensten Themen – Flüchtlinge, Corona, USA-Europa, Nawalny – ich würde da gern ein bißl entschleunigen.
Fall Nawalny: Drei Labore erbringen Nachweis eines Nervenkampstoffes aus Nowitschok-Gruppe – Seibert
Im Fall des angeblich vergifteten russischen Bloggers Alexej Nawalny sollen Speziallabore in Frankreich und Schweden einen Nervengift-Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe als Ursache festgestellt haben. Das sagte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, nachdem die Organisation für das Verbot chemischer Waffen eingeschaltet worden war.
Fall Nawalny: Lawrow verspricht Antwort auf mögliche Sanktionen
Sollten die westlichen Länder wegen der Situation um den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny Sanktionen gegen Russland einführen, wird das Land laut seinem Außenminister, Sergej Lawrow, mit Gegenmaßnahmen reagieren.
„Politico“ nennt Wege für Deutschland, um Nord Stream 2 zu verwerfen
Im Streit um Nord Stream 2 gibt es für Deutschland nach der Einschätzung von „Politico“ sechs Wege, wie man das Pipelineprojekt mit Russland aus der Welt schaffen kann. Jedenfalls könne sich die Bundesrepublik entspannt zurücklehnen und die schmutzige Arbeit von anderen erledigen lassen, schreibt das Magazin.
USA zu großem Krieg nicht bereit? – Air-Force-Chef klärt auf
Im Fall eines Krieges mit Russland oder China werden die USA laut dem Stabschef der US-Luftstreitkräfte, Charles Brown, es mit kolossalen Verlusten zu tun haben. Auszüge aus seinem Bericht „Accelerate Change or Lose“ hat das Portal Defense News veröffentlicht.
Britischer Geheimdienst-Chef über Rakete „Burewestnik“: Kann unbegrenzt in Atmosphäre fliegen
Der russische atomgetriebene Marschflugkörper „Burewestnik“ kann laut dem Chef des britischen Militärnachrichtendienstes (DI), Jim Hockenhull, jahrelang in der Atmosphäre bleiben und ist jederzeit einsatzbereit. Ihm zufolge stellt die Rakete eine direkte Bedrohung für die militärische Infrastruktur Großbritanniens und seiner Verbündeten dar.
Ein Haus für Tichanowskaja
Kräftig mitgemischt: Polen stellt belarussischer Oppositioneller Gebäude zur Verfügung
Von Reinhard Lauterbach, Poznan
Als Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vergangenen Mittwoch die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja in Warschau zu Gast hatte, sprach er sie konsequent mit ihrem Vornamen an. Das war aber nicht despektierlich gemeint, sondern ganz im Gegenteil. Die Protokollabteilung erläuterten erstaunten Journalisten, dies entspreche den sprachlichen Gepflogenheiten unter »den Staats- und Regierungschefs Europas«.
Eine weitere Geste folgte noch am selben Tag. Das polnische Außenministerium übergab Tichanowskaja die Schlüssel für eine Immobilie im Villenviertel Saska Kepa, wo viele Botschaften ihren Sitz haben. Das Gebäude diente zuletzt als Botschaft Tunesiens, davor als Residenz für den französischen Auslandsvertreter. Was das »Belarussische Haus« dort künftig treiben soll, wurde fleißig dementiert: Die Überlassung der Immobilie habe nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass Warschau die Infrastruktur für den Kern einer Gegenregierung unter Tichanowskajas Leitung bereitstelle. Dabei organisiert Polen seit Jahren durch einen Fernsehsender (Belsat) und ein Radioprogramm (Radio Racja), die über die östliche Grenze senden, Gegenöffentlichkeit in Belarus. Auch der mediale Organisator der Proteste, der Blogger Stepan Putilo, – über seine Familie mit dem Emigrantenmilieu um Belsat verbunden und selbst früher dort als Journalist tätig –, sendet aus Warschau.
Warschau will die Provokationen aber einstweilen unter der kritischen Grenze halten. Die offene Unterstützung einer Gegenregierung wäre ein Anlass für Minsk, die Beziehungen abzubrechen, und daran hat Polen kein Interesse – alleine wegen der etwa 1,5 Millionen Menschen polnischer Herkunft, die in Belarus als nationale Minderheit leben und deren Organisationen von Warschau finanziert und politisch gesteuert werden. Bereits Anfang dieses Jahrhunderts hat Polen den »Verband der Polen in Belarus« gespalten, weil er zu »regimetreu« und »apolitisch« gewesen sei. Der von Warschau gesteuerte Verband schießt allerdings manchmal etwas übers Ziel hinaus: In Grodno, einer Gebietshauptstadt nahe der polnischen Grenze, demonstrierten Ende August örtliche Polen unter ihrer weiß-roten Nationalflagge und lieferten Lukaschenko so eine Steilvorlage für seine Warnung vor »ausländischer Intervention« in Belarus.
Polen hat schnell nach dem Beginn der Proteste in Belarus deutlich gemacht, dass es Tichanowskaja als »gewählte Präsidentin« des östlichen Nachbarlands ansieht. Das sieht auf den ersten Blick aus wie eine 180-Grad-Wendung der Warschauer Belarus-Politik. Von der nationalreaktionären PiS-Regierung hatte es in den vergangenen Jahren viele freundliche Worte über den »menschlich angenehmen« und »warmherzigen« Alexander Lukaschenko gegeben.
Der Anschein trügt aber. Die polnische Charmeoffensive gegenüber Lukaschenko diente immer nur dazu, diesem eine Umorientierung auf »Europa« und weg von Russland schmackhaft zu machen. Mit der Nichtanerkennung des Wahlergebnisses vom 9. August hat aus Warschauer Sicht eine neue Etappe der Auseinandersetzung begonnen. Polen hält die Position Lukaschenkos offenbar für so weit geschwächt, dass er als Platzhalter gegen eine unterstellte russische Expansionslust in Richtung Westen einerseits untauglich, andererseits auch überflüssig geworden ist. Es wird in Kauf genommen, dass er sich unter dem Druck der Straßenproteste in den letzten Wochen verstärkt in Richtung Russland orientiert.
Warschau sieht mit Tichanowskaja eine Kandidatin im Ring stehen, die mehr verspricht als Lukaschenkos Schaukelpolitik. Es ist kennzeichnend, dass Tichanowskaja in einem Interview mit der konservativen polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita vom vergangenen Freitag der Frage auswich, wohin sie Belarus geopolitisch steuern wolle: »Es ist noch zu früh, darüber zu reden«, gab sie zur Antwort. Sie wolle »keine proeuropäische und keine prorussische, sondern eine probelarussische Politik« machen.
a href=”https://www.jungewelt.de/artikel/386276.s%C3%A4belrasseln-auf-kriegskurs.html”>Auf Kriegskurs
Spannungen im Levantischen Meer spitzen sich bedrohlich zu. Aufrüstung von Griechenlands Militär kostet zehn Milliarden Euro
Von Jörg Kronauer
Neue Aufrüstungspläne, neue Kriegsübungen, immer mehr Staaten mischen sich ein, und verschiedene Konflikte verschränken sich zunehmend: Die Spannungen im östlichen Mittelmeer spitzen sich weiterhin bedrohlich zu. Kern ist nach wie vor der Territorialkonflikt zwischen Griechenland und der Türkei; den meisten Beteiligten geht es jedoch um viel mehr.
Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat am Wochenende die jüngsten Aufrüstungspläne seiner Regierung konkretisiert. Athen begründet sie mit der Absicht, sich gegen etwaige türkische Aggressionen wappnen zu wollen. Mitsotakis gab am Sonnabend in Thessaloniki bekannt, Griechenland werde 18 französische »Rafale«-Kampfjets erwerben, um seine alternde »Mirage 2000«-Flotte zu ersetzen. Zugleich wolle es jedoch auch seine Seestreitkräfte stärken, dazu sollen vier Fregatten gekauft und vier bereits vorhandene Fregatten der Werft Blohm & Voss modernisiert werden. Beschaffen will Athen zudem vier Helikopter des US-Herstellers Sikorsky, Torpedos für seine Marine, Lenkraketen für die Luftwaffe und Panzerabwehrraketen für das Heer. Die Kosten dürften sich Berichten zufolge auf zehn Milliarden Euro belaufen – angesichts der Coronakrise, die die ohnehin stark angespannte Wirtschaftslage in Griechenland weiter verschärft, eine bemerkenswerte Summe. Darüber hinaus sollen die Streitkräfte deutlich vergrößert werden. Mitsotakis kündigte am Sonnabend eine Aufstockung um 15.000 Soldaten an.
Gleichzeitig dauern die Manöver im östlichen Mittelmeer an. Am Freitag gab die Türkei bekannt, ihre Marine werde bis zum heutigen Montag Schießübungen in den Gewässern zwischen der türkischen Küste und Nordzypern abhalten. Die Übung relativierte die vorsichtige Hoffnung auf Entspannung, die am Wochenende kurz aufflackerte, als Ankara sein Forschungsschiff »Oruç Reis«, das zuletzt in von Griechenland beanspruchten Gewässern operiert hatte, in Richtung Antalya zurückzog. Das sei »ein positives Signal«, urteilte am Sonntag ein griechischer Regierungssprecher. Allerdings beginnen sich, was die Manöver angeht, mittlerweile der griechisch-türkische Territorialkonflikt im Levantischen Meer sowie der Libyenkrieg zu verschränken. Die türkische Marine teilte am Freitag mit, sie habe militärische Übungen nun auch vor der Küste Libyens durchgeführt. Griechenland wiederum hatte Ende August berichtet, es habe eine Luftkriegsübung gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gestartet, die dazu neun F-16-Kampfjets sowie vier Transportflugzeuge nach Kreta verlegt hätten. Die Emirate und die Türkei rüsten in Libyen feindliche Kriegsparteien auf. Sie rivalisieren außerdem in anderen Regionen in Nah- und Mittelost: Ankaras häufig als »neoosmanisch« bezeichnete Expansionspolitik kollidiert dort mit gleichfalls expansiven Vorstößen Abu Dhabis.
Am Wochenende haben sich außerdem die Vereinigten Staaten vor Ort zu Wort gemeldet. Außenminister Michael Pompeo traf am Sonnabend zu einem Blitzbesuch von knapp zwei Stunden in Zypern ein, um auf eine diplomatische Lösung des Konflikts zu dringen. Pompeo reagierte damit auf Gespräche, die sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow vergangene Woche in Nikosia geführt hatte. Lawrow hatte dabei seinerseits angeboten, Moskau könne im Machtkampf mit der Türkei vermitteln. Die US-amerikanisch-russische Rivalität in Zypern beschränkt sich dabei nicht auf den Konflikt mit der Türkei. Russland hatte bereits 2015 ein Abkommen mit Zypern geschlossen, das die Nutzung zyprischer Häfen durch russische Marineschiffe erlaubt; das stärkt die russische Position nicht zuletzt mit Blick auf das nahe gelegene Syrien. Der US-Kongress wiederum hat im vergangenen Jahr das Waffenembargo gegen Zypern teilweise aufgehoben und Trainingsmaßnahmen für zyprische Militärs zugesagt – in klarer Erwartung, damit den russischen Einfluss auf der östlichen Mittelmeerinsel zurückdrängen zu können.
Selbstverständlich steigern auch die führenden EU-Mächte ihre Einflussaktivitäten im östlichen Mittelmeer. Frankreich hat in der vergangenen Woche ein Treffen von sieben südlichen EU-Staaten (Euromed 7) genutzt, um den Druck auf die Türkei zu verstärken. Ziel ist es, auf dem EU-Gipfel in zehn Tagen Sanktionen gegen Ankara zu beschließen. Paris stößt nicht nur bei seinen Bemühungen um eine stärkere Präsenz im östlichen Mittelmeer auf das expandierende Ankara, sondern auch bei seinen aktuellen Bestrebungen, seine Stellung im Nahen und Mittleren Osten erneut zu stärken. Deutschland wiederum bremst: Es hat – aus geostrategischen Gründen, aber auch zur Flüchtlingsabwehr – Interesse an einer gewissen Kooperation mit der Türkei und ist wenig geneigt, dem Rivalen Frankreich im östlichen Mittelmeer den Vortritt zu lassen. Mitte vergangener Woche hat die Fregatte Hamburg im Rahmen der EU-Operation »Irini« im Mittelmeer einen Tanker gestoppt, der – mutmaßlich unter Bruch des UN-Embargos – Treibstoff nach Libyen liefern sollte. Das Schiff hatte Kurs auf Ostlibyen genommen, das der Warlord Khalifa Haftar kontrolliert; es war in den Vereinigten Arabischen Emiraten beladen worden, die Haftar unterstützen. In Ankara, das Haftars Gegner aufrüstet, wird die deutsche Maßnahme auf erfreuten Beifall gestoßen sein.
Angesichts all der Massnahmen, zu denen ein Staat wie die USA heutzutage greifen können, scheint es mir geadezu eine Verharmlosung der imperialistischen Politik zu sein, erst dann von Krieg zu reden, wenn klassische Soldaten mit klassischen Waffen ins Feld ziehen.
Infolge des Sanktionsregime, das die USA gegen den Irak unter Hussein durchgesetzt hatten, sind erheblich mehr Menschen, praktisch ausschliesslich aus der Zivilbevölkerung, umgekommen als z.B. an Soldaten im Falklandkrieg. Wenn “man” heutzutage ein iranisches Atomkraftwerk nur durch Cyberwar kaputtkriegt und dazu keinen einzigen Langstreckenbomber einsetzen muß, ist das auch nicht weniger kriegerisch.
Bei der Skripal-Affäre im März 2018 haben 25 Staaten ca. 140 russische Diplomaten ausgewiesen. Boris Johnson rühmte in einer gedichtähnlichen Rede die Geisteskraft des Westens, die ein famoses gutes Lichtschwert im Film erfunden hätte, – und nicht immerzu nur solche üblen bösen russische Vergiftungsvarianten…
Ähnliche weltpolitische Geistes- und Diplomatieblitze habe ich derzeit nicht vernommen.
Ein französischer Abgeordneter formuliert vorsichtig – und nur im Konjunktiv: “Der erste wichtige Schritt – und das ist nicht einfach, wenn man das unterschiedliche Empfinden in dieser Frage zwischen Präsident Macron und Kanzlerin Merkel bedenkt – der erste Schritt w ä r e eine möglichst einheitliche deutsch-französische Reaktion.” https://www.deutschlandfunk.de/der-fall-nawalny-und-der-westen-putin-kaempft-fuer-den.694.de.html?dram:article_id=483931
Aha. D und F haben unterschiedliche Empfindungen über diese Affäre. (Bzw. deren Stellenwertigkeit, inkl. der, dass die BRD anscheinend hierbei eher Wert auf Osteuropa als auf F legt…???)
Das könnte ja auch, positiv formuliert, darauf hindeuten, dass es der Kanzlerin gar nicht um die Mobilisierung des gesamten Westens hinter D gegangen ist. (Oder eben, dass solch versuchte Mobilisierung nicht erfolgreich war.)
Oder aber es ging sowieso eher um Propaganda für die osteuropäischen EU-Staaten, damit die sich auch hinter die deutsche EU-Ratsführerschaft stellen und deren Programm absegnen.
https://www.tagesschau.de/ausland/nawalny-nord-stream-101.html
Denn, das wird oben von NN berichtet, Polen macht anscheinend derzeit nicht nur in Belarus sehr ausgreifende antirussische Interessen oder Ambitionen geltend, und erhält dafür vermutlich kräftig Unterstützung von den USA.
Reale wirtschaftliche Folgen: Nach Skripal haben britische Geschäftsleute Klage geführt, dass Touristen das Kaff Salisbury meiden würden.
Von der “Drohung” mit Beendigung von Nord Stream 2 hört man anscheinend aus der dt. Regierungsbank nichts mehr. Die “wg. der Krim” damals immerzu halbjährlich verlängerten Sanktionen sind bereits bis zum Frühjahr 2021 noch mal neu verlängert worden – bzw. so soll es dann wohl gesamteuropäisch Ende September ggf. leicht variiert beschlossen werden.
https://www.tagesschau.de/ausland/eu-russland-119.html
[Möglich also, dass ab Oktober 2020 die ganze Affäre bereits vollends in der Versenkung verschwunden ist…]
edit: Auflistung diverser Merkwürdigkeiten
https://www.heise.de/tp/features/Der-Nebel-um-den-Anschlag-auf-Nawalny-verdichtet-sich-4892398.html
Vergiftet – aber von wem?
Fall Nawalny: Berlin lässt sich Befund der Bundeswehr-Toxikologen von Laboren in Schweden und Frankreich bestätigen
Von Reinhard Lauterbach
Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben aus Schweden und Frankreich Bestätigungen ihrer Diagnose im Fall Nawalny erhalten. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag erklärte, hätten Labors in beiden Ländern die Befunde der Bundeswehr-Toxikologen bestätigt. Damit gehe die Bundesregierung weiter davon aus, dass der russische Oppositionspolitiker mit einer Substanz aus der »Nowitschok-Gruppe« vergiftet worden sei. Sie erwarte, dass sich Russland hierzu »erkläre«.
Die russische Seite weist nach wie vor die deutschen Vorwürfe als »absurd« zurück und fordert die Bundesregierung auf, Beweise für ihre Thesen vorzulegen. Das wiederum weist die deutsche Seite unter Berufung auf den sogenannten Geheimschutz zurück. Und zu der weiteren russischen Forderung nach Unterlagen zum Gesundheitszustand Nawalnys verweist die Charité, wo der Patient behandelt wird, auf den Datenschutz: Nawalny müsse der Übermittlung seiner Daten nach Russland zustimmen. Ob er das tut, wenn er dazu wieder in der Lage ist, steht in den Sternen.
Damit stehen sich beide Seiten – Russland und die Bundesrepublik – auf verfestigten Positionen gegenüber. Die Argumentation von Bundeswehr und BND hat allerdings ihre Lücken. Selbst wenn es so ist, dass Nawalny vergiftet wurde, sagt es noch nichts darüber aus, wer das getan hat. Zwar wurde die Substanz »Nowitschok« in den achtziger Jahren in einem sowjetischen Labor synthetisiert – aber in den neunziger Jahren emigrierte einer der Entwickler in die USA und publizierte dort die entsprechende Formel. Damals gelang es auch dem BND, einem sowjetischen Informanten eine größere Probe von »Nowitschok« abzukaufen. Dieses Muster haben die Pullacher anschließend bei ihren Partnerdiensten verteilt. Das heißt noch nicht, dass es einer von ihnen war, bedeutet aber, dass jeder es gewesen sein kann. Besonderes Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang die frühe Bestätigung des Berliner Verdachts durch das britische Armeelabor in Porton Down, das bereits in der – letztlich auch im Sande verlaufenen – »Affäre Skripal« involviert war.
Zwei weitere Details sollte man im übrigen nicht übersehen: Erstens lautet die offizielle Sprachregelung in Berlin inzwischen, Nawalny sei mit einer »neuen Version« eines Gifts »aus der Nowitschok-Gruppe« traktiert worden. Auch hier kann angesichts der Tatsache, dass die Formel inzwischen der Militärchemie bekannt ist, jeder mit den entsprechenden Laborkapazitäten diese Weiterentwicklung vorgenommen haben. Wenn es aber eine Modifikation ist, relativiert das, anders als einen glauben gemacht werden soll, gleichzeitig die in Richtung Russland weisenden Indizien. Genau, wie nicht jedes Auto aus der BRD kommen muss, nur weil Carl Benz das Auto erfunden hat.
Zweitens hat sich die Darstellung zur Tatbegehungsweise unter der Hand geändert. In den ersten Tagen dominierte die Erzählung, das Gift sei Nawalny am Flughafen von Tomsk in den Tee geschüttet worden. Das weckte schon damals einige Zweifel, weil Nawalny nach Aussage seiner Mitarbeiter im Tomsker Flughafencafé allein am Tisch gesessen hatte. Sein Gegner müsste also hinter allen Kaffeetresen des Flughafens jemanden stehen gehabt haben, der Nawalny das Gift verpassen konnte, falls er dort einkehrte. Nun berichtete die polnische Tageszeitung Gaseta Wyborcza vergangene Woche, bei einer oralen Einnahme von »Nowitschok« wäre Nawalny sofort tot umgefallen. Wahrscheinlicher sei nach Experten inzwischen die – langsamer wirkende – Gabe über die Haut. Also zum Beispiel über entsprechend imprägnierte Kleidungsstücke. Dazu brauchte man freilich Zugang zu Nawalnys persönlichen Sachen.
Und hier kommt eine »große Unbekannte« ins Spiel: Eine – nach Angaben der russischen Ermittler – Marina Pewschich, aus Russland stammend und seit einiger Zeit in Großbritannien lebend. Diese Marina Pewschich sei die einzige aus dem Begleiterteam von Nawalny gewesen, die Tomsk mit einem anderen Flugzeug als er verlassen und gegenüber der russischen Polizei keine Aussagen gemacht habe. Sie soll nach Darstellung russischer Ermittler in Tomsk mit Nawalny sogar im selben Hotelzimmer übernachtet haben. Als zwei Tage nach der Vergiftung Nawalny nach Deutschland ausgeflogen wurde, habe sie ihn als angebliche Dolmetscherin begleitet. Wozu jemand, der im Koma liegt, eine Dolmetscherin braucht, bliebe zu klären. Vielleicht war es auch einfach eine Legende, um unauffällig außer Landes zu kommen.
Natürlich kann es eine falsche Spur sein, die hier gelegt wird. Aber zumindest zitiert soll sie schon einmal werden, zumal die Argumentation, die Russland und nur Russland verantwortlich macht, auch nicht völlig schlüssig ist. Und zumal, wie sich herausstellt, ein Standardgegenmittel gegen das angeblich so tödliche Nowitschok vorhanden ist: Atropin. Kann man wirklich ausschließen, dass westliche Dienste Nawalny zum Schein vergiftet haben, in der Gewissheit, dass die Folgen letztlich reversibel sind – um einen Anlass zur politischen Eskalation zu liefern? Völlig absurd? Natürlich lügen immer nur die »anderen«, die »unseren« nie.
Kurve gekriegt. Feindbild Russland
Der am Sonntag ausgestrahlte »Tatort« vom Hessischen Rundfunk war offenkundig noch vor der Pandemie gedreht worden – jedenfalls liefen die Leute noch völlig maskenfrei durchs Bild. Damit war er auch vor der mutmaßlichen Vergiftung von Alexej Nawalny entstanden. Trotzdem gab es im Film einen Moment, in dem man ihm unwillkürlich eine aufklärerische Tendenz unterstellte: Als der auch nicht unbedingt sympathische Ehemann einer in Frankfurt stationierten CIA-Agentin am Morgen auf dem Weg ins Büro im Aufzug zusammenbricht und oben nur noch tot aus der Kabine gezogen werden kann. Aha, dachte der Zuschauer: Cosi fan tutti, die Amis können natürlich auch, was den Russen immer unterstellt wird. Wäre ja mal ein Merker gewesen.
War aber keiner. Wie sich am Schluss herausstellte, arbeitete die Frau vom CIA nebenbei auch für die Russen und entledigte sich ihres Mannes, weil der aus dieser Doppelagentenkiste rauswollte. So waren die transatlantischen Beziehungen am Sonntag abend dann doch noch gerettet. Einziger Lichtblick: das »Fuck you very much«, mit dem der Ermittler den schmierigen Stationschef der CIA abfertigte, als er ihm einen seiner auf frischer Tat festgenommenen Spitzel wieder aushändigen musste. »Ja sind wir denn hier im Kalten Krieg?«, fragte seine Kollegin gewollt naiv. Jawoll, Frau Kommissarin, sind wir. (rl)
@Neoprene
Dem „Sanktionsregime“ gegen den Irak ist aber ein durchaus respektabler Krieg vorangegangen. Die Sanktionen waren also nicht anstatt eines Krieges, sondern die Fortsetzung desselben. Und so ganz klein war der auch nicht, ich erinnere an das Golfkriegs-Syndrom – was dem auf irakischer Seite entsprach, wurde nie untersucht.
Der Falkland-Krieg war ja im Rahmen eines bewaffneten Konflikts harmlos, da war die Sache vergleichsweise schnell erledigt. Mit dem verglichen schaut vieles schlimmer aus.
Ich weiß auch nicht, warum ihr immer so verflossene Konflikte als Beispiel heranzerren müßt.
Heute sieht man doch auch den Unterschied zwischen einem von Sanktionen seit Jahrzehnten überzogenen Iran oder einem durch Krieg plattgemachten Libyen.
Ich halte dran fest, das Wort Krieg nicht für jedes kühlere Lüftchen einzusetzen.
Bundesregierung erklärt, zwei unabhängige Militärlabors hätten den Nowitschok-Nachweis des Bundeswehrlabors bestätigt
Ansonsten hält man mit genaueren Informationen hinterm Berg und schaltet die OPCW nur zur technischen Hilfe, aber nicht zur Klarstellung eines Verdachts gegen Russland ein. Auch sonst gibt es viele Fragwürdigkeiten im “Informationskrieg”
Drei Gründe gegen einen versuchten Giftmord Nawalnys
Im Westen gilt als gesichert, dass Russland den Oppositionellen mit einem Nowitschok-Gift töten wollte. Doch so klar ist die Sache nicht
TomGard: “Novichok” ist NICHT im Spiel
“1) Es gibt genau eine Gemeinsamkeit zwischen der Diagnose aus Omsk und aus der Charité: Navalny erlitt eine sogenannte “cholinerge Krise” und beide konnten keine Ursache dafür namhaft machen.
2) Die Omsker Ärzte verwarfen die Vergiftungs-Hypothese aufgrund des toxikologischen Befundes. Es war professionell verpflichtend, das zu tun! Andernfalls hätten sie Fragestellungen und Untersuchungen unterlassen, die zur Aufdeckung einer endogenen Quelle des Zustandes des Patienten hätten führen können. Diese Fragestellungen führten auf den Befund weiterer Stoffwechselstörungen, jedoch gelang es den Ärzten nicht, binnen etwa 20 Std. (nach dem toxikologischen Befund) einen Zusammenhang der Symptome zu ermitteln.
3) Wir wissen vom Zeugnis des beigezogenen Moskauer Toxikologen (Name beginnt mit T., ich schau das nicht nach), daß der Vergiftungsverdacht an übergeordneter Stelle nicht fallen gelassen wurde. Gleichwohl wurde Navalny ausgeflogen. Eine Voraussetzung dafür hat T. ebenfalls benannt:
Gifte aus der Familie der “Foliant”-Kampfstoffe wurden am Moskauer Institut ausgeschlossen!
4) Zwingender Schluss: Das BW-Labor und die anderen Militär wollen einen Stoff gefunden haben, den die Moskauer nicht kannten und der in ihren Datenbanken über Gifte aus der “Foliant”-Familie nicht enthalten war, namentlich nicht zu den 6 Gruppen zählt, welche die OPCW gelistet hat. Aber die “westlichen” Militärs zählen ihn zu den “Novichoks”
5) Die Omsker Ärzte haben verlautbart, die Symptome Navalnys passten nicht zu einer Kampfstoff-Vergiftung. Das Publikum weiß nicht genau, was sie damit gemeint haben wollen, aber den wichtigsten Punkt kennt jeder:
Navalny starb nicht während der ziemlich genau zweieinhalb Stunden, die zwischen Eintritt der Symptome und erster Notfallbehandlung am Boden vergangen sind.
6) Das ergibt eine eindeutige Aussage über die Charakteristik der “cholinergen Krise”, die Navalny nach Auskunft beider medizinischer Referenzen erlitten hat:
Sie ergriff nicht das gesamte motorische System, wie Kampfstoffe bestimmt sind, es zu tun.
Navalny hätte unweigerlich einen Atemstillstand erlitten, an Bord gab es kein Mittel dagegen, auch nicht in der Ambulanz (Atropin ist keines), erst nach der Intubation im Krankenhaus.
7) Das Gift, mit dem Navalny mutmaßlich in Russland angegriffen worden ist, greift vornehmlich die durch Acetylcholin vermittelten Signalwege im zentralen und parasympathischen Nervensystem an.
Jedenfalls – ist an dieser Stelle logisch zu ergänzen – gilt das für den Bestandteil des mutmaßlichen Giftes, der das Symptom einer Cholinesterase-Hemmung verursacht. Es kann sich um ein Kombinationsgift gehandelt haben.
8) Das mutmaßliche Gift zählt folglich NICHT zu den “Novichoks”. Es könnte sich allenfalls um eine “Metaform” davon handeln, ein auf der Basis der “Novichok”-Forschung entwickeltes Folgeprodukt, das kein militärischer Kampfstoff im Sinne der Chemiewaffenkonvention ist.
9) Die rasche Erholung Navalnys.
Sie könnte einen Fachmann zu der Vermutung veranlassen, das mutmaßliche (immer zu betonen!) Gift hat nicht einmal zu Klasse der “Novichoks” gezählt, die irreversible Cholinesterase – Hemmer sind, im Unterschied zu bspw. VX, das ein reversibler Hemmer ist.
Wahrscheinlich können das auch Fachleute nicht beurteilen. Dazu bräuchte es spezifische Untersuchungen über die Regeneration von Acetycholin in den genannten Nervenbahnen, nicht im ganzen Körper. Vielleicht weiß man im US / UK-Kampfstofflabor in Georgien mehr, dort wurden in vergangenen Jahren Menschenversuche mit Kampfstoffkandidaten dokumentiert.
10) Mein unfachmännischer Schluß zur Natur des mutmaßlichen (abermals!) Giftstoffes: Es könnte sich um eine Modifikation eines originalen “Novichok” oder “VX”-Wirkstoffmoleküls handeln, oder eine Kombination mit einem anderen Stoff, welche den Effekt hat, es gleichsam in ein “Transportvehikel” einzuschließen, das sich erst, oder zumindest vornehmlich, in der spezifischen Umgebung der zentralen und parasympathischen Synapsen “öffnet”.”
Nicht ganz gewonnen
Regionalwahlen in Russland bestätigen Regierungspartei als stärkste Kraft. Gleichwohl Einbußen
Von Reinhard Lauterbach
Die dreitägigen Regionalwahlen in Russland vom Freitag bis Sonntag waren alles in allem ein Erfolg für die Regierungspartei »Einiges Russland«. Sie brachte alle 18 Gouverneurskandidaten durch, die sie aufgestellt hatte, mit Ergebnissen durchweg über 60 und in etlichen Fällen weit über 80 Prozent. Im Gebiet Smolensk wurde der Amtsinhaber, ein Politiker der chauvinistischen Liberaldemokraten von Wladimir Schirinowski, für eine zweite Amtszeit bestätigt. Auch in zwei Regionen, wo es in den letzten Monaten breite Proteste gegeben hatte, siegten letztlich die Kandidaten von »Einiges Russland«: So im Gebiet Archangelsk, wo der amtierende Gouverneur im Frühjahr nach monatelangen Protesten gegen eine Mülldeponie zurückgetreten und durch einen Mann ersetzt worden war, der sich gerade in der Nachbarregion unbeliebt gemacht hatte. Trotzdem erhielt er jetzt knapp 70 Prozent.
Im Gebiet Irkutsk gelang es der Kommunistischen Partei nicht, an den Wahlerfolg ihres Vertreters Sergej Lewtschenko vor vier Jahren anzuknüpfen. Lewtschenko hatte 2019 bei der Bekämpfung eines Hochwassers eine schlechte Figur gemacht und war auf Anordnung Moskaus durch einen General des Katastrophenschutzdienstes ersetzt worden, der sich vor der Bevölkerung als Krisenmanager in Szene setzte. Er wurde jetzt mit gut 60 Prozent bestätigt. Er hatte allerdings trotz seiner engen Verbindung zur Moskauer Regierung vorgezogen, als »Unabhängiger« anzutreten.
Schwieriger verliefen für die Regierungspartei die Wahlen zu den Stadt- und Regionalparlamenten. Hier gelang es Kandidaten sowohl der staatstragenden wie der »systemfernen« Opposition, einzelne Mandate zu erringen. Das höchste Ergebnis erreichte »Einiges Russland« mit 86 Prozent im Gebiet Kaluga südwestlich von Moskau, das niedrigste in der Region Kostroma mit 30,1 Prozent. Blamabel verliefen die Stadtratswahlen für die Regierungspartei in Nowosibirsk: Dort verlor sie ein Drittel ihrer Stimmen und fiel von ohnehin bereits nicht großartigen 33 auf 22 Prozent zurück. Sie liegt damit nur noch knapp vor Kommunisten und Liberaldemokraten mit jeweils zwischen 17 und 18 Prozent. Hier und im vergleichsweise benachbarten Tomsk brachten auch die Anhänger von Alexej Nawalny einzelne Kandidaten durch. Nawalny hatte Sibirien zu einem Schwerpunkt seines Wahlkampfes gemacht und dazu aufgerufen, »klug abzustimmen«: für den jeweils aussichtsreichsten Bewerber, der nicht der Partei »Einiges Russland« angehöre. Gleichzeitig hatten seine Anhänger mit strategisch plazierten Videoreportagen über angebliche Bereicherung örtlicher Amtsträger Stimmung gemacht. Ein solches Video wurde innerhalb von 14 Tagen zwei Millionen Mal angeklickt.
Wahlbeobachter klagten auch diesmal wieder über zahlreiche Fälle von Behinderung ihrer Arbeit und über Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung. Die – vom Westen finanzierte – Wahlbeobachtungsorganisation »Golos« behauptete, die Zahl der ihr gemeldeten Verstöße sei diesmal höher gewesen als bei allen Wahlen in den vergangenen vier Jahren. Die zentrale Wahlkommission räumte einzelne Unregelmäßigkeiten ein, bestritt aber, dass sie das Wahlergebnis im Kern verändert hätten. Nach Ansicht von Wahlforschern waren die Regionalwahlen sowohl für die Staatsmacht als auch für die Opposition ein Experimentierfeld vor den im kommenden Jahr anstehenden Wahlen zur Staatsduma: Für die Regierung gehe es darum, der wachsenden politischen Unzufriedenheit auf unauffällige Weise Herr zu werden, für die Opposition darum, den Einfluss der »administrativen Ressourcen« der Amtsinhaber und Regierungsanhänger zu unterlaufen.
Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erklärte am Montag in Brüssel, die EU erkenne die Wahlergebnisse für die Region Krim und die Stadt Sewastopol nicht an, da diese Regionen nicht zu Russland gehörten, sondern zur Ukraine. Implizit bedeutet dies freilich – abgesehen von der Frage, welche Zuständigkeit die EU für die Anerkennung russischer Wahlen besitzt –, dass Brüssel den Rest der Ergebnisse schon akzeptiert.
Zur “Vergiftungsaffäre”
http://Neoprene.blogsport.de/2020/09/06/gruppe-k-mordversuch-an-kreml-kritiker-nawalny-zehn-zweifel-und-ein-zwischenfazit/#comment-128780
Daß das, was in den westlihen Medien als „Nowitschok“ gehandelt wird, wenig mit dem zu tun hat, was in der SU unter diesem Namen entwickelt wurde, war schon bei der Skripal-Affäre offensichtlich.
Das Original bzw. die Original-Kampfstoffe hatten nämlich eine schnelle und 100-ige Letalität, wie man an dem einen Fall feststellen kann, der mit einem Telefonhörer vergiftet wurde:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nowitschok#Iwan_Kiwelidi_(1995)
Wahrscheinlich versucht das britische Militär, diese Kampfstoffe weiterzuentwickeln, zu was für sinistren Zwecken auch immer.
Eines der Momente in der Nowitschok-Hysterie scheint zu sein, daß mehr und mehr Stoffe unter diesem Namen entwickelt werden, sowohl in Verbrecherkreisen als auch von Militär und Geheimdiensten.
Wie hat das Bundeswehrlabor die Nowitschok-Vergiftung nachgewiesen?
Nawalny ist auf dem Weg der Besserung und will mit seiner neuen Bekanntheit möglichst umgehend nach Russland zurück. Nach einer Umfrage Ende 2019 wollten ihn nur 2 Prozent der Russen als Präsidenten, andere Politiker waren etwas beliebter
Nach seinem Team wurde Nawalny im Hotel in Tomsk vergiftet
Präsentiert wird ein Video über den Fund der Flasche im Hotelzimmer, die den “Ärzten in Deutschland” übergeben worden sei, das Bundeswehrlabor habe auf ihr Nowitschok gefunden. Viele Frage bleiben
Nawalny-Anschlag: Verwirrende Wege der Nowitschok-Flasche
Wurde Nawalny bereits im Hotel vergiftet? Sind die Nowitschok-Spuren auf der Flasche Grundlage der Analyse des Bundeswehrlabors? Höchste Zeit für die Bundesregierung, für Klarheit zu sorgen
Ukraine beginnt Militärmanöver mit NATO-Truppen
Jaworiw. Inmitten der politischen Krise im Nachbarland Belarus hält das ukrainisches Militär gemeinsam mit NATO-Soldaten ein Militärmanöver ab. Die Übungen begannen am Donnerstag etwa 180 Kilometer von Belarus entfernt an der Westgrenze des Landes. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj sagte zum Auftakt: »Schnellstmöglich müssen wir die Anpassung der Streitkräfte der Ukraine an die entsprechenden Strukturen der Allianz erreichen.«
Auch in Litauen, das ebenfalls an Belarus grenzt, übt die NATO. Die belarussische Armee selbst hält an der Grenze zu Polen gemeinsam mit Russland ein eigenes Manöver ab. Seit der Präsidentenwahl in Belarus am 9. August kommt es dort täglich zu Protesten.
Bei der Übung in der Ukraine werden bis zum 25. September mehr als 4.000 überwiegend ukrainische Soldaten mit schwerer Technik und Flugzeugen trainieren. Wegen der Coronapandemie sind aber weniger ausländische Streitkräfte dabei als ursprünglich geplant.
Parallel dazu nimmt eine ukrainische Kompanie motorisierter Infanteristen mit mehreren Schützenpanzern an einem US-Manöver in Hohenfels (Bayern) teil.
Die ukrainische Armee führt seit Mitte der 1990er Jahre gemeinsame Übungen mit US- und NATO-Truppen durch. Westliche Ausbilder trainieren zudem seit 2015 Ukrainer für den Kampf gegen militärische Einheiten der international nicht anerkannten Volksrepubliken in der Ostukraine. (dpa/jW)
Rapide Abkühlung
Beziehungen zwischen Belarus und Ukraine angespannt. Kiew schließt sich westlicher Linie gegenüber Minsk an
Von Reinhard Lauterbach
Mit ein paar Wochen Verzögerung schwenkt die Ukraine auf den aus der EU und den USA vorgegebenen Kurs ein und beteiligt sich an der politischen Verurteilung des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Am Dienstag verabschiedete das Kiewer Parlament eine Resolution, in der es die belarussische Präsidentenwahl vom 9. August als »weder frei noch fair« bezeichnet. Die Mehrheit war mit 228 der 450 Abgeordneten zwar knapp, aber der Beschluss – aus dem praktisch nichts folgt – ist eine Fortführung der seit August kontinuierlich vorgebrachten Kritik. Zuerst kam sie noch als »freundschaftlicher Rat« des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij an seinen nördlichen Nachbarn daher, doch vielleicht besser Neuwahlen abzuhalten. Als sich Lukaschenko das als »unerbetenen Ratschlag« verbat, verschärfte Kiew die Kritik.
Dabei waren die Beziehungen zwischen der Ukraine und Belarus 23 Jahre lang, von 1991 bis 2014, unaufgeregt und pragmatisch gewesen. Visa brauchten Bürger beider Länder nicht, die Grenze war durchlässig. Bewohner der strukturschwachen nördlichen Grenzgebiete der Ukraine fuhren nach Belarus und kauften dort zu niedrigeren Preisen ein.
Nach dem »Euromaidan« wurden die Beziehungen zwischen Minsk und Kiew sogar noch intensiver. Die Ukraine ist nach Russland der zweitgrößte Handelspartner von Belarus, mit dem Beginn der Kämpfe im Donbass spielte Minsk für Kiew ebenfalls eine immer wichtigere Rolle. Ein Drittel allen Treibstoffs, der in der Ukraine verbraucht wird, kommt aus belarussischen Raffinerien, vor allem der im grenznahen Gomel. Ohne diesen Nachschub hätte die ukrainische Armee ihren Krieg gegen die aufständischen »Volksrepubliken« wohl auf kleiner Flamme halten müssen. Für die belarussische Staatskasse war das ein gutes Geschäft, ebenso für das Ansehen von Lukaschenko: Der Westen honorierte, dass er sein Land für neutral erklärte. Das ersparte es der Ukraine, ihre 600 Kilometer lange Nordgrenze sichern zu müssen, und machte so Truppen gegen den Donbass frei. Dass ausgerechnet Minsk als Verhandlungsort für die Gespräche über den dortigen Konflikt ausgewählt wurde, galt als diplomatische Aufwertung von Belarus.
Doch jetzt hat sich das geändert. So versucht nun auch die Anti-Lukaschenko-Bewegung über die ukrainische Bande zu spielen. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja drohte damit, persönliche Daten belarussischer Polizisten an »ausländische Staaten, darunter die Ukraine« zu übergeben. Dies ist vor dem Hintergrund von zwei Aspekten zu sehen: Einerseits gehen die Demonstranten in Minsk inzwischen dazu über, Polizisten zu fotografieren und im Internet zu outen. Andererseits ist inzwischen relativ klar, dass die Verhaftung von 33 Russen als angebliche Söldner Ende Juli bei Minsk eine Provokation des ukrainischen Geheimdienstes und seiner US-Partner war. Ziel der Ukraine war offenbar, einen »Bestand« an Kandidaten für einen Gefangenenaustausch zu gewinnen – bestehend aus russischen Erwerbslosen mit militärischer Erfahrung, von denen etliche in den vergangenen Jahren auf seiten der Aufständischen im Donbass gekämpft hatten. Dass Lukaschenko wenige Tage nach der Wahl als Dank für die russische Anerkennung des Ergebnisses die Männer unbehelligt nach Russland ausreisen ließ, wurde in Kiew als unfreundlicher Akt wahrgenommen.
Aktuell revanchiert sich Belarus auf anderem Gebiet: Im Niemandsland an der Grenze kampieren an zwei Übergängen etwa 1.000 chassidische Juden, darunter auch Kinder und Jugendliche. Sie wollten zu einem jüdischen Feiertag in die Ukraine reisen, werden aber von dieser nicht ins Land gelassen – angeblich wegen Covid-19. Während das Büro von Lukaschenko den ukrainischen Autoritäten vorwarf, für die Situation verantwortlich zu sein, erklärte ein Sprecher Selenskijs, Minsk vermittle den Pilgern den Eindruck, die Übergänge in die Ukraine seien passierbar, und forderte die belarussischen Behörden dazu auf, »keine zusätzlichen Spannungen an der Grenze zu unserem Land zu schaffen«.
Stete Selbstherrlichkeit
Urteil zu EU-Sanktionen gegen Rosneft
Von Reinhard Lauterbach
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Verfahren Rosneft gegen den Europäischen Rat ist im doppelten Sinne eine Klarstellung. Erstens in dem unmittelbaren Sinne, dass es letztinstanzlich ist und gegen die Sanktionen – um die es im Prozess ging – juristisch nun kein Kraut mehr gewachsen ist. Dass also der erklärte politische Wille der EU-Führung Kleinigkeiten wie das Bestimmtheitsgebot – es muss klar sein, gegen wen eine Sanktion verhängt wird – und den konkreten Nachweis des Verdachts gegen das Sanktionsobjekt aushebelt. In der Sprache der Juristen liest sich das so: Die strittigen Restriktionen seien allgemeinen Charakters, deshalb habe sich der Rat zu Recht sparen können, »diese Maßnahme spezifisch und konkret zu begründen«. Schenken konnte sich die EU nach dem Urteil insbesondere den Versuch des Nachweises, dass Rosneft für die als Argument für die Sanktionen herangezogene russische Ukraine-Politik verantwortlich sei oder auch nur Einfluss auf diese Politik habe. Zweitens habe, so das Gericht, der Kläger, der russische Erdölkonzern Rosneft, weder bestritten, dass er mehrheitlich in russischem Staatsbesitz sei, noch, dass er »die Kriterien (erfüllt), die der Rat für die Anwendung solcher gezielten Maßnahmen aufgestellt hat«. So geht Ermächtigungsjustiz: Es soll gegen Russland gehen, also muss es jemanden treffen, der mit Russland verbunden ist. Der Rest findet sich.
Eine Klarstellung ist das Urteil zweitens in dem politischen Sinne, dass es deutlich macht, warum sich die EU zwar immer so lautstark aufregt, wenn die USA wieder einmal extraterritoriale Sanktionen gegen europäische Unternehmen verhängen, wenn die mit einem Drittstaat wie dem Iran Geschäfte machen wollen, die Washington nicht passen – und warum auf dieses Geschrei dann in der Praxis nichts folgt. Denn die EU-Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Politik sind genau solche extraterritorialen Sanktionen. Weder Russland noch die Ukraine sind Mitgliedstaaten der EU, über die Brüssel irgendwelche Jurisdiktion zu beanspruchen hätte. Um es mit den Worten eines Klassikers zu sagen: Die schärfsten Kritiker der Elche sind im Herzen selber welche.
Allerdings ist Möchten nicht dasselbe wie Können. An einer Stelle macht es sich der EuGH in seinen Leitsätzen ausgesprochen einfach. Die vom Rat ausgesprochenen Sanktionen seien »ordnungsgemäß begründet« – das wäre ja noch mal schöner, wenn sie das in der Brüsseler Bürokratie nicht hinbekommen hätten – und »geeignet, auf Russland (…) Druck auszuüben«. Nun ja. Bei anderer Gelegenheit hört man immer wieder die Politikerklage, die Sanktionen hätten bisher nichts bewirkt; Moskau habe seine Politik gegenüber Kiew im Kern nicht geändert, aber die EU müsse die Sanktionen beibehalten, um nicht das Gesicht zu verlieren. Sehr »geeignet« also, diese Sanktionen. Es bleibt das Ziel: Druck ausüben. Das wird doch wohl noch erlaubt sein.
Berlin: Im Untergrundkrieg gegen Russland und China (II) (18.09.2020)
Kommentar von Hans-Rüdiger Minow
Im Untergrundkrieg gegen Russland und China geben sachliche Zwänge die Rangfolge vor: Russland ist Nachbar und geographisch viel näher. Es scheint logistisch beherrschbar, sofern die technische Dichte seines westlichen Teils an die deutsche anschließt (Straßen-, Schienen- und Flugstandards), ist militärisch umfassbar, sobald es gelingt, an seinen Grenzen nach Moskau Drohpotenzial permanent zu postieren, und ökonomisch erbeutbar, wenn die Rohstoffreserven aus dem Ferneren Osten (auch auf dem Seeweg) zu niedrigen Preisen beschafft werden können. Doch je weiter Berlin über Moskau hinausgreift, wird der Untergrund schwerer.
Russlands Grenzen im Süden streifen Öllagerstätten des näheren Asien, um am Grenzfluss Ussuri im Ferneren Osten an China zu stoßen. Wer dort auftreten will, braucht asiatische Mittel – und asiatische Mittler. Die Priorität, die in der deutschen Geschichte Russland einnimmt, changiert hier asiatisch. Um China ergänzt, trifft beide Objekte der sachliche Zwang deutscher Weltpolitik: den Zugang zum Markt möglichst einschränkungslos erweitern zu können und im Falle der Abwehr Gewalt auszuüben – verdeckt oder offen.
Illegale Waffenexporte
Vor allem verdeckt operierte das “Reich” in der Zwischenkriegszeit (1919-1939). An beiden Objekten deutscher Weltpolitik, Russland und China, versuchten Agenten ihre Untergrundarbeit parallel auszuüben. Dabei pendelten sie zwischen Moskau und Peking.
Beteiligt am Putsch der äußersten Rechten gegen demokratische Kräfte der Nachkriegsregierung im Weimarer Deutschland operierte Max Bauer – im Einklang mit Stellen des Staatsapparats. War er vormals Agent auf Generalstabsniveau mit geheimen Kontakten zu Rüstungsbetrieben (Sparten Gas & Geschütze), diente Max Bauer den Wirtschaftsfraktionen beim Waffenexport unter Umgehung des Rüstungsverbots nach verlorenem Krieg. Militärischen Stellen der Sowjetrepublik bot er erfolgreich deutsche Kriegsgüter an und empfahl sich bei Warlords in China. Sein Einsatz in Russland galt der Giftgaserprobung, gedeckt und mit Wissen der Berliner Regierung, war Völkerrechtsbruch mit tödlichen Folgen, aber machte ihn nützlich – als erfolgreichen Mittler auch jenseits von Moskau.
Der Giftgasagent reiste weiter nach China, wurde Berater der Kuomintang, des rechtesten Flügels in den Bürgerkriegswirren um Chinas staatliche Einheit. Aus Berlin ließ Max Bauer Offiziere anreisen, um die Bürgerkriegstruppen des Generals Tschiang Kai-shek in Taktik zu schulen – an deutschen Waffenexporten.
Bündnis von Dauer
Der Nutzen war mehrfach: Die Waffen aus Deutschland halfen dabei, China auf ewig als Kolonie zu behandeln, ein in inneren Kämpfen zerrissenes Land, und an den inneren Kämpfen sofort zu verdienen; die Kuomintang zahlte pünktlich, in Reichsmark und Dollar: an Rheinmetall, Junkers und Messerschmitt.
Die direkten Kontakte zwischen deutschen Putschisten extremer Couleur und den nationalistischen Stäben der Kuomintang des Generals Tschiang Kai-shek wurden vertieft. Tschiangs Sohn Wego absolvierte in München die NS-Kriegsakademie, rückte in Garmisch als Gebirgsjäger ein und nahm an dem Einmarsch in Österreich teil. Ein Foto zeigt ihn in Wehrmachtsgarderobe mit Hakenkreuzschmuck. Zwischen Berlin, seinen außenpolitischen Nazi-Agenten, und der Kuomintang entstand ein Bündnis von Dauer, ideell wie politisch.
Gedeckt vom Milieu der militärischen Helfer (Georg Wetzell, Hermann Kriebel) siedelten sich in den Kuomintang-Gebieten weitere deutsche Adressen an: Siemens, AEG, MIAG, Otto Wolff, Mercedes und I.G. Farben – I.G. Farben mit Interesse an einer Senfgasfabrik, um den verbotenen Kampfstoff in China zu lagern. Die Handelsbeziehungen folgten dem Muster, in dem sich seit jeher auch Russland verfing: technologische Suprematie (Maschinen) gegen Rohstoffreserven (Antimon, Wolfram).
Schutzmacht für Tibet
Als die Hitler-Regierung ihre Weltpolitik rassistisch verstärkte, fehlte im Osten ein ideelles Objekt, das die Wirtschaftsinteressen für die Heimat verklärte, für asiatische Partner annehmbar war und im Bündnis den Vorrang der germanischen Deutschen bestätigen konnte. Ein europäischer Mythos wurde wiederbelebt: Im mongolisch-chinesischen Himalaya-Hochland sei ein Urvolk zu Hause. Sein westliches Erbe erstarke in Deutschland – im arischen Blut der Nazi-SS. Mit enormem Erfolg zeigten die Kinos ein dokumentarisches Epos, das deutsche Rasseexperten beim Erkunden des Urvolks und dessen Körper ablichtet (“Geheimnis Tibet”). Die tibetische Landschaft in der Nähe zum Himmel eignete sich, um den Gegenentwurf, das rassistisch Verfemte aus dem Abgrund der Hölle, mit Abscheu zu strafen.
Die Vita von Forschern, die im tibetischen Hochland Köpfe und Körper ethnologisch vermaßen (Bruno Beger) und danach auf der Flucht vor britischen Truppen zu bevorzugten Gästen des Gottkönigs wurden, des Dalai Lama, zeigt auf grausame Weise, wie das Rassekonstrukt die Dekonstruktion seines Schattens bedingt: Nach der Rückkehr aus Tibet ließ sich Beger in Auschwitz mit Probanden versorgen (“Innerasiaten”), deren Köpfe vom Körper abgetrennt wurden, um als Anschauungsstücke für “Verrassung” zu dienen.
Der rassistische Anteil deutscher Weltpolitik erschuf sich in China einen ethischen Auftrag – als Schutzmacht für Tibet. Je nach Entwicklung seiner Wirtschaftsinteressen war Deutschland bereit (und mit der Kuomintang erfahren genug), auch militärisch zu handeln, zumindest verdeckt, im Untergrundkrieg.
NS-Einsatzreserve
Für diese Option hatte Deutschland Reserven. In den STALAG, den Gefangenenlagern für Soldaten des Gegners, befanden sich Tausende “Vorderasiaten” der sowjetischen Truppen: Kasachen, Kirgisen, Tadschiken. Hier vermaß Bruno Beger, aus Auschwitz zurück und mit Tibet-Erfahrung, auch muslimische Gruppen, die geeignet erschienen, im Untergrundkrieg von Nutzen zu sein. Sie kollaborierten bereits in SS-Divisionen (Turkmenen), andere gehörten zur Wlassow-Armee, einem antisowjetischen Hilfskontingent im Auftrag der Nazis. Die Einsatzreserve unterstand Reinhard Gehlen, Generalmajor im NS-Generalstab und dessen Nachrichtendienst gegen Russland und China (Fremde Heere Ost). Als das Kriegsende nahte, offerierte Gehlen den Siegern den Agentenbestand. Die USA griffen zu.
Treffpunkt München
Dort, wo Tschiang-Kai-sheks Sohn Wego in der Vorkriegszeit als Gebirgsjäger diente, in den Nazi-Kasernen bei Mittenwald, Garmisch und Sonthofen, konzentrierte die US-amerikanische Besatzungsarmee den osteuropäischen und vorderasiatischen Agentenbestand – unter der Leitung von Gehlen.
Umgeben von kriminellen Antisemiten und anderen Rassisten der NS-Ära (von Mende, Seraphim), finanziert mit Millionen der Central Intelligence Agency (CIA) sowie aus Kassen im westdeutschen Kanzleramt, zog Gehlen ein Netz deutscher und ausländischer Handlanger auf.
Um Agenten turkmenischer Herkunft und ihren Einsatz in Asien ging es in München (“Geistliche Verwaltung der Muslimflüchtlinge”), wo der nach Gehlen benannte BND-Vorläufer (Org. Gehlen) seinen Hauptsitz bezog. Die Nähe zu dem in Mittenwald siedelnden Agentenbestand, darunter die von Beger betreuten “Innerasiaten”, machte München zum Treffpunkt westlicher Dienste im Untergrundkrieg gegen Russland wie China. Als die Planung für “Radio Free Europe” begann, einen aggressiven CIA-Propagandabetrieb mit Antennen nach Asien, fiel die Ortswahl auf München.
Atombomben auf China
Auch die Kuomintang, die seit der Flucht Tschiang Kai-sheks vom chinesischen Festland auf die Insel Taiwan als “China” firmierte (1949), verkehrte in München – über Kanäle, die zu Gehlen gehörten. Mit Gehlen als Mittler, ließ Tschiangs Sohn Wego, der Absolvent der Münchener NS-Kriegsakademie und inzwischen hoch dekorierter Tawan-Militär, Offiziere der Wehrmacht als Berater anwerben.
Die klandestine Verbindung wurde gefestigt, obwohl Tschiang Kai-sheks Truppen im Krieg um Korea bereits eingeplant waren: als Vorhut beim Einmarsch in China, sobald der Abwurf von Bomben der Hiroshima-Klasse, doch mit fast doppelter Stärke (Mark-4), auf zivile Ziele der Volksrepublik beendet sein würde.
Bereitstellungsdatum: 6. April 1951. Erwartete Opfer: mehrere Millionen.
Der dritte Teil folgt.
Suitbert Cechura: Der Brand von Moria
Die Kalkulation mit dem Elend
Als Akt der Humanität lässt sich die Politik in Deutschland angesichts der Aufnahme von etwas über 1500 Flüchtlingen aus Griechenland feiern. Journalisten versteigen sich sogar, dies als Ergebnis des Drucks der Zivilbevölkerung zu feiern. (…)
Der Brand des Flüchtlingslagers auf Lesbos hat das Elend der Flüchtlinge in den Lagern auf den griechischen Inseln mal wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt und es ist gleichzeitig von einer Schande für die europäische Flüchtlingspolitik die Rede. Ganz so, als ob diese Zustände nicht zu dieser Politik dazu gehören würde. Bekannt waren die Zustände schon lange…
(Forts.):
https://www.heise.de/tp/features/Der-Brand-von-Moria-4905488.html
TomGard: Navalny und die NATO (19.09.2020)
Zu dem wie üblich sehr aufgeregten und etwas wirren TomGard-Artikel kann ich nur bemerken, daß ich nicht wüßte, wie die angebliche Vergiftung Nawalnys irgendwie die Politik Rußlands gegenüber Belarus beeinflussen sollte.
Das eine hat doch mit dem anderen gar nix zu tun.
Natürlich ist es möglich, daß irgendwelche westlichen Agenten das ganze inszeniert haben, um Rußland wieder einmal anzupatzen.
Aber wenn irgendwer geglaubt hat, damit die Außen- oder sonstwas-Politik Rußlands beeinflussen zu können, so war das eben sehr dumm.
Nach allen möglichen Äußerungen und Handlungen verschiedener EU-Politiker und Medienvertretern in den letzten Jahren wundert mich allerdings nichts mehr.
Daß weder das Guaidó-Modell noch das unkrainische Modell von der EU angestrebt werden, ist auch kein Wunder, das sind ja beide ziemliche Polit-Flops, die der EU einen Haufen Spesen verursachen.
Ab diesem Datum erkennt Europäisches Parlament Lukaschenko nicht mehr als Präsident Weißrusslands an
Das Europäische Parlament wird laut der Agentur Reuters Alexander Lukaschenko nach Ablauf seiner Amtszeit am 5. November nicht mehr als Präsident Weißrusslands anerkennen.
Affront gegen Minsk
EU-Außenminister empfangen belarussische Oppositionspolitikerin und drohen Regierung mit Sanktionen
Die Außenminister der EU-Staaten haben sich am Montag in Brüssel getroffen, um die bisher von Zypern blockierten Sanktionen gegen Belarus durchzusetzen. Der zyprische Außenminister Nikos Christodoulides bekräftigte die Forderung, gleichzeitig Sanktionen gegen die Türkei im Streit um Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer zu verhängen. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) forderte seinerseits Gespräche darüber, auch den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko zu sanktionieren. Vor ihrem Treffen kamen die EU-Außenminister mit der belarussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja zusammen und sorgten damit für Empörung.
Russland verurteilte den Empfang als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Nachbarstaats. »Angesichts der Lage in Belarus läuft das dem Ziel zuwider, die Stabilität wiederherzustellen», sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Auch die Regierung in Minsk zeigte sich empört darüber, dass die 38jährige auf internationaler Ebene empfangen wurde. Der Westen versuche, das Land ins »Chaos« zu stürzen, erklärte Regierungschef Roman Golowtschenko.
Unklar blieb, wann Brüssel die seit Wochen geplanten Sanktionen gegen Belarus beschließen kann. Grund ist ein Veto Zyperns, das gemeinsam mit Griechenland von der EU schon seit langem fordert, schärfer auf von ihnen als illegal erachtete türkische Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer zu reagieren. Andere EU-Staaten sind der Ansicht, dass dies laufende Vermittlungsbemühungen mit Ankara erschweren könnte, und wollen deswegen noch abwarten.
Sanktionen wurden jedoch wegen Verstößen gegen das UN-Waffenembargo in Libyen verhängt. Die Außenminister fassten einstimmig einen entsprechenden Beschluss, wie dpa aus EU-Kreisen erfuhr. Die Strafmaßnahmen richten sich gegen Unternehmen und einzelne Personen, die Schiffe, Flugzeuge oder andere Logistik für den Transport von Kriegsmaterial bereitgestellt haben. Konkret geht es um drei Firmen aus der Türkei, Jordanien und Kasachstan sowie um zwei Personen aus Libyen. Seit der NATO-Intervention im Jahr 2011 kämpfen unterschiedliche Gruppen mit Unterstützung verschiedener Staaten um die Macht im Land. (dpa/AFP/jW)
Nachbarschaft in Flammen (21.09.2020)
EU-Spitzen beraten diese Woche über Krisen und Kriege im Staatengürtel (“cordon sanitaire”) rings um die EU.
BRÜSSEL/BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Deutsch-französische Konflikte und ausbleibende Erfolge bei der Einflusssicherung im Staatenring um die EU überschatten die Treffen der EU-Außenminister und der Staats- und Regierungschefs diese Woche in Brüssel. Auf der Tagesordnung steht insbesondere der Umgang mit dem Krieg in Libyen und den Krisen im Libanon, im östlichen Mittelmeer und in Belarus – in Ländern, die südlich und östlich an die Union grenzen. Dort einen “Ring” verbündeter, stabiler Staaten zu schaffen, zu denen man profitable Beziehungen unterhalten könne, hatte Brüssel schon Ende 2003 zu einem zentralen außenpolitischen Ziel erklärt. Nach der Eskalation der Kriege in Libyen und in Syrien hatte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, Anfang 2016 festgestellt, die Schaffung eines stabilen “cordon sanitaire” rings um die EU sei “massiv gescheitert”. Erst vor wenigen Tagen konstatierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, “unsere Nachbarschaft von Libyen bis Belarus” sei “in Flammen versunken”. An ihren Grenzen scheiternd, wollen Berlin und die EU weltpolitisch ausgreifen – bis nach Ostasien.
Kein “cordon sanitaire”
Die EU ist schon seit vielen Jahren bemüht, ihren Einfluss in den Ländern rings um ihr Territorium systematisch zu stärken. “Wir müssen darauf hinarbeiten, dass östlich der Europäischen Union und an den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwortungsvoll regierter Staaten entsteht, mit denen wir enge, auf Zusammenarbeit gegründete Beziehungen pflegen können”, hieß es etwa in der “Europäischen Sicherheitsstrategie”, die am 12. Dezember 2003 verabschiedet wurde.[1] Bereits damals ging es nicht nur um ökonomische Vorteile – etwa den privilegierten Bezug von Rohstoffen aus den Ländern Nordafrikas und die Nutzung der angrenzenden Staaten als günstig erreichbare Absatzmärkte -, sondern auch um strategische Hilfsdienste, etwa die Funktion, Flüchtlinge in Nordafrika festzusetzen. Zehn Jahre später, 2013, forderten Berliner Regierungsberater in einem Strategiepapier, Deutschland und die EU sollten sich mit ihrer auswärtigen Einflussarbeit “in erster Linie” auf ihr “Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren”; sie sahen sich freilich mit Blick auf die Lage in Libyen und Syrien gezwungen einzuräumen, dass die Lage dort “zunehmend instabil” werde.[2] In den Diskussionen, die die Veröffentlichung des aktuell gültigen Bundeswehr-“Weißbuchs” vorbereiteten, war 2015 unmissverständlich von einem “Krisenbogen” rings um die Union die Rede [3], während Anfang 2016 der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, äußerte, die “Vision” von einer EU, “die sich mit einem cordon sanitaire der Stabilität, des wachsenden Wohlstands und der Zusammenarbeit sowohl südlich des Mittelmeers als auch in Osteuropa umgeben kann”, sei “massiv gescheitert”.[4]
“Viel schlimmer geworden”
Haben sich Berlin und Brüssel im vergangenen Jahrzehnt als unfähig erwiesen, die sich stetig zuspitzenden Krisen und Kriege im Staatenring um die EU auch nur im Ansatz unter Kontrolle zu bekommen, so hat sich die Lage dieses Jahr weiter verschärft. “In den vergangenen zehn Monaten ist unsere Nachbarschaft von Libyen bis Belarus in Flammen versunken”, hielt unlängst der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell fest: “Alles ist viel schlimmer geworden, als ich es hätte erwarten können.”[5] Zu den bisherigen, unverändert schwelenden Konflikten hinzugekommen seien “die Spannungen im östlichen Mittelmeer” zwischen Griechenland und Zypern auf der einen sowie der Türkei auf der anderen Seite, die “exponentiell” zunähmen und “ein starkes Risiko einer Konfrontation” beinhalteten, “die über Worte hinausgeht”. Die Lage im Staatenring um die Union ist diese Woche Gegenstand verschiedener Spitzentreffen in Brüssel: Zunächst befassen sich am heutigen Montag die EU-Außenminister unter anderem mit der Lage in Libyen und in Belarus, bevor sich am Donnerstag und am Freitag die EU-Staats- und Regierungschefs unter anderem der Situation im östlichen Mittelmeer widmen werden. Dabei stehen dem Bestreben, der Union eine führende Rolle bei der Konfliktbeilegung sowie anschließend kontrollierenden Einfluss zu verschaffen, anhaltend scharfe Machtkämpfe zwischen Berlin und Paris im Weg.
Deutsch-französische Differenzen
Dies trifft zum einen auf den Libyen-Krieg zu, der auf der Tagesordnung des heutigen Treffens der EU-Außenminister steht. Frankreich unterstützt seit geraumer Zeit den ostlibyschen Warlord Khalifa Haftar, während die Bundesregierung seit einem guten Jahr intensiv danach strebt, auf den Konflikt als Mittlerin Einfluss zu nehmen; dazu diente etwa die Berliner Libyen-Konferenz Mitte Januar, die freilich von Beobachtern weithin als gescheitert eingeschätzt wird.[6] Paris hat zuletzt seine Marinepräsenz im Mittelmeer (im NATO-Rahmen) genutzt, um die Lieferung türkischer Waffen an Haftars Gegner – die “Einheitsregierung” in Tripolis – zu verhindern zu suchen, freilich ohne Erfolg (german-foreign-policy.com berichtete [7]); nun will es der EU-Operation “Irini” eine Fregatte zur Verfügung stellen, um erneut gegen Waffenschmuggel an die “Einheitsregierung” vorzugehen.[8] Die deutsche Fregatte “Hamburg” ihrerseits hat im Rahmen von “Irini” jüngst die Lieferung von Treibstoff an Haftars ostlibysche Milizen gestoppt.[9] Könnte man noch vermuten, Berlin und Paris ergänzten sich bei ihrem gegensätzlichen Vorgehen womöglich, indem eine Seite die Rüstungstransporte an die “Einheitsregierung”, die andere Seite dagegen diejenigen an Haftar stoppe, so arbeiten die stärkste und die zweitstärkste Macht der EU auf diplomatischer Ebene zur Zeit offen gegeneinander: Während die Bundesregierung eine für den 5. Oktober am Rand der UN-Generalversammlung geplante virtuelle Libyen-Konferenz unterstützt [10], bereitet Paris völlig unabhängig davon einen eigenen “Libyen-Gipfel” in der französischen Hauptstadt vor [11]. Die innereuropäischen Differenzen verschlechtern die Chancen, Libyen unter Kontrolle zu bekommen, ein weiteres Stück.
Berlin gegen Paris
Ähnlich verhält es sich beim Konflikt im östlichen Mittelmeer zwischen Griechenland und Zypern auf der einen, der Türkei auf der anderen Seite. Frankreich positioniert sich offen auf der Seite der EU-Mitglieder Griechenland und Zypern, verstärkt seine Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer, beteiligt sich an griechisch-zyprischen Manövern und verlangt energisch scharfe Sanktionen gegen Ankara. Die Bundesregierung wiederum ist bemüht, die Türkei nicht zu verprellen, weil sie auch weiterhin mit ihr kooperieren will – aus geostrategischen Gründen und zur Flüchtlingsabwehr (german-foreign-policy.com berichtete [12]); sie sucht deshalb auch in diesem Konflikt die Rolle einer Mittlerin einzunehmen und lehnt allzu schroffe Strafmaßnahmen gegen Ankara ab. Der Streit zwischen Berlin und Paris um das Vorgehen in dem Konflikt ist bereits auf vergangenen EU-Zusammenkünften ausgetragen worden und überschattet jetzt auch den informellen EU-Gipfel, auf dem am Donnerstag und am Freitag dieser Woche ein gemeinsames Vorgehen der Union gegen die Türkei festgelegt werden soll. Eine Annäherung ist bisher nicht in Sicht.
Konflikte im Osten
Bleiben Erfolge bei den Bestrebungen aus, die Kontrolle der EU an ihren Mittelmeergrenzen zu stärken, so gilt das auch für die Ostgrenzen – für die Ukraine und nun auch für Belarus. Hatten die Bundesrepublik und die EU ihren Parteigängern in Kiew im Verlauf der Unruhen 2013/14 einen vorteilhaften Übergang an ihre Seite in Aussicht gestellt, so ist es ihnen bis heute weder gelungen, den Verlust der Krim wettzumachen, noch die Kämpfe um die Ostukraine beizulegen: Die Absicht Berlins und Brüssels, sich der Welt in Osteuropa als erfolgreiche Konfliktlöser zu präsentieren, ist gescheitert. Aktuell zeigt sich, dass die Union auch bei ihrem Versuch, Belarus auf ihre Seite zu ziehen, nicht wie gewünscht von der Stelle kommt; der Bruch des Landes mit Russland und seine exklusive Anbindung an die Union bleiben – jedenfalls bis heute – aus. Eventuelle weitere Schritte, die eigenen Positionen in Minsk zu stärken, werden diese Woche in Brüssel diskutiert.
Deutsch-europäische Weltpolitik
An ihren Grenzen seit Jahren scheiternd, wollen Berlin und die EU nun weltpolitisch ausgreifen – bis nach Ostasien. Die Bundesregierung hat dazu Anfang des Monats ein Strategiepapier vorgelegt (“Leitlinien zum Indo-Pazifik”, german-foreign-policy.com berichtete [13]); die EU-Staats- und Regierungschefs wollen auf ihrem Gipfel auch über die Chinapolitik der Union beraten. Berlin hat in seinen “Indo-Pazifik-Leitlinien” bereits über Bundeswehroperationen in Ostasien spekuliert – ohne dass Lösungen für die Konflikte an den eigenen Grenzen auch nur in Sicht wären.
Grüne für Fracking
»Nord Stream 2« und deutsche Politik
Von Arnold Schölzel
Die Grünen sind so etwas wie die Trüffelschweine der US-Politik gegen Russland – vom Kosovo-Krieg bis zur Etablierung von Faschisten in Kiew. Jetzt laufen sie erneut zu Hochform auf. Am Freitag brachten sie im Bundestag einen Antrag ein, mit dem die Regierung aufgefordert werden sollte, sich von der Gaspipeline »Nord Stream 2« »umgehend« zu distanzieren und deren Fertigstellung zu verhindern. Eine Begründung fehlte. Russen brauchen keine Argumente oder gar Beweise, sie verstehen nur eine Sprache, wie CDU-Kanzlerbewerber Norbert Röttgen formuliert hat: »Macht, Geld, Gas«. Die Grünen-Kovorsitzende Annalena Baerbock fand das dem Inhalt ihrer Rede im Bundestag nach auch.
Anders als von der Kanzel des Herrenmenschentums herab geht es bei deutsch-bürgerlichen Politikern nicht. Und es bleibt nicht bei Rhetorik. Hochrüstung ist ein Synonym für BRD seit 1949, mit den Grünen kam heißer Krieg dazu, den die AfD vermutlich nicht als »grün-versifft« bezeichnet. Die Grünen arbeiten zusammen mit den übrigen vier Regierungsparteien im Bundestag kräftig daran mit, dass Angriff keine Phantasie bleibt. Wie schnell aus politischem Größenwahn brandgefährliche Situationen entstehen, haben sie schon gezeigt: Nur ein befehlsverweigernder britischer Offizier verhinderte 1999 im NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien eine bewaffnete Konfrontation mit einem russischen Kontingent. Ist die Militärmaschinerie erst einmal in Gang, bleibt Unkalkulierbares nicht aus. Gegen die Kriege des Paktes hat die Partei seither nichts mehr – Stationierung neuer Raketen und Atomwaffen gegen Moskau inbegriffen. Parteibasis und Wähler schlucken schließlich alles, das jetzige Engagement für die von Pleite bedrohte US-Frackingindustrie ohnehin. Die Grünen, Donald Trump, Röttgen, SPD-Außenminister Heiko Maas, Bild und der polnische Autokrat Jaroslaw Kaczynski bilden eine transatlantische Koalition.
Nicht zu vergessen: Angeregt hatte die Angela Merkel, als sie am 2. September Bundeswehrangaben zur Vergiftung Alexej Nawalnys zum Anlass nahm, »eine angemessene gemeinsame Reaktion« der EU anzukündigen. Sie dürfte sich darüber im Klaren gewesen sein, was das auslöste: Fürsorge beim Frackinggelichter um Trump wie dem US-Senator Ted Cruz, der am Wochenende im Röttgen-Stil verkündete, Wladimir Putin sei ein »KGB-Schläger« und die Bundesrepublik werde mit »Nord Stream 2« in die Hände der russischen Mafia fallen; chauvinistische Exzesse der Grünen und Spaltung der CDU. Vorläufiger Höhepunkt: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer findet, dass Außenminister Maas in dieser Frage »so durchdreht, ist kein gutes Zeichen für dieses Land«.
Die Süddeutsche Zeitung gab am Sonnabend allerdings Entwarnung: Die »große ökonomische Keule« gegen Russland werde wohl nicht geschwungen. Der Rest sind Geschrei und Rüstung, die Mission der Grünen noch nicht vollendet.
Nowitschok und die OPCW
Desinformation gibt es auf allen Seiten. Die Frage bleibt, warum die Bundesregierung von der OPCW nur technische Hilfe angefordert, aber kein Ersuchen zur Klarstellung beantragt hat
Dazu TomGard: Navalny und die NATO (21. September 2020)
McCarthy lässt grüßen
Nur Russland und China sollen Propaganda und Einmischung betreiben. Der Westen klärt lediglich auf
Von Knut Mellenthin
Die Propaganda des kapitalistischen Westens gegen Russland und China nimmt an Schärfe und Systematik zu. Der »kalte Krieg« ist wieder voll im Gang. Immer häufiger tritt der Westen dabei unter seinem Künstlernamen aus den 1950er Jahren als »die freie Welt« auf. Die konkreten Erscheinungsformen sollten trotz ihrer Absurdität ernst genommen werden.
Ein aktuelles Beispiel: Das Hamburger Magazin Der Spiegel prangerte in der vergangenen Woche einen selbsterfundenen »Skandal um chinesische Propaganda in den Regalen« des Buchhandelskonzerns Thalia an. Der primitiv agitatorische Text, der am 19. September in der Onlineausgabe auftauchte, war hochtrabend als »Analyse« betitelt. Darunter geht es heute kaum noch.
Was ist passiert? Das Großunternehmen bietet in seinen Filialen in Hamburg, Berlin und Wien Bücher eines chinesischen Verlages an. Dieser befindet sich, was kaum überraschen kann, im Staatsbesitz. Ist also in der Sprache des Spiegels »regimetreu« und macht demzufolge »Staatspropaganda«.
Am Verhalten der Ladenkette gegenüber ihren Beschäftigten und kleineren Konkurrenten gibt es schon seit Jahren Kritik. Die Chefredaktion des Magazins hat das offenbar zu der Hoffnung angestachelt, einen bequem angreifbaren Gegner vor sich zu haben, auch wenn es um einen völlig anderen Sachverhalt geht. Mit Bemerkungen, dass »der Skandal« um die chinesischen Bücher für Thalia »gefährlich werden« könne, und der Forderung, dass die Kette »auch im Sinne des Geschäfts« ihre »Kooperation mit dem chinesischen Staatsunternehmen schleunigst beenden« müsse, wird nur spärlich verhüllt ein Boykottaufruf angedeutet.
Die behauptete skandalöse Beihilfe von Thalia zur chinesischen »Staatspropaganda« reduziert sich in Wirklichkeit auf ein einziges konkretes Indiz: In den Regalen stünden neben »Titeln zum chinesischen Frühlingsfest, zur Geschichte und Literatur des Landes sowie Kinderbüchern über Pandabären« auch die zweibändige Edition von Reden und Schriften des Staatspräsidenten Xi Jinping unter dem Titel »China regieren«. Nicht auszuschließen ist, dass der Redaktion des Spiegel außerdem auch die angebotenen Bücher von Mo Yan anstößig erscheinen. Der wurde nämlich nicht nur mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, sondern ist vor allem »seines Zeichens Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas«. McCarthy lässt grüßen. Schnallen Sie sich bitte an und stellen Sie Ihre Uhren um 70 Jahre zurück.
Es sind gegenwärtig einige hundert Bücher auf dem Markt, die Politiker als Autoren aufweisen. So gut wie alle werben selbstverständlich für die Ansichten der Verfasser. Aber zur skandalösen Propaganda wird das für die journalistischen »Weißwäscher« (Bertolt Brecht) nur, wenn die Autoren aus China oder Russland kommen. Hier sollen zwar keine Bücher verbrannt, aber konsequent aus den Regalen deutscher Buchhandlungen verbannt werden.
Dass die Reden und Schriften Xis in Deutschland viele Kunden finden werden, ist zwar nicht anzunehmen, aber den engagierten Zensoren der westlichen »Wertegemeinschaft« geht es um das Grundsätzliche. Das aktuelle Stichwort zum Verständnis dieser Kampagne lautet »Infodemie«. Der Begriff lehnt sich bewusst und deutlich an das Wort »Pandemie« an, das seit März dieses Jahres so gut wie alle kennen. Damit ist ausdrücklich erklärt, dass die Auseinandersetzung mit unerwünschten Meinungen und Tendenzen analog zur Bekämpfung lebensgefährlicher Seuchen zu führen ist. Im gegenwärtigen Stadium geht es hauptsächlich um die Isolierung der intellektuell Infizierten und die Abriegelung der erkannten Hotspots. Sie werden so stark angegriffen, dass sie entweder verstummen oder »gesellschaftlich unmöglich gemacht« werden.
Selbstverständlich gilt das, wenigstens bis jetzt, nicht für alle möglichen Themen, über die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, sondern nur für ganz wenige Hauptfragen, auf die es den Regierenden und ihren »Weißwäschern« ankommt. Der wiederaufgenommene kalte Krieg gegen Russland und China steht dabei an erster Stelle.
Die USA sind den europäischen Staaten oft einen Schritt voraus. Dort gibt es schon eine Gesetzesinitiative, die am 7. August unter dem Titel »Name the Enemy Act« (übersetzt etwa: »Den Feind-beim-Namen-nennen-Erlass«) von mehreren Republikanern ins Abgeordnetenhaus getragen wurde. Das Gesetz soll es der US-Regierung verbieten, Xi weiter als chinesischen Präsidenten zu bezeichnen. Statt dessen soll er nur noch »Generalsekretär des Zentralkomitees der Chinesischen Kommunistischen Partei« oder kürzer »Generalsekretär« genannt werden. Der Präsidententitel verleihe der »autoritären Herrschaft« des chinesischen Staats- und Parteiführers »unverdientermaßen einen Anstrich von demokratischer Legitimation«.
Ein allgemeines strafbewehrtes Verbot, Xi oder den russischen Staatschef Wladimir Putin als Präsidenten zu bezeichnen, wäre ein konsequenter nächster Schritt. Man sollte auf diesem Gebiet nichts mehr für ausgeschlossen halten. Die EU hat, an der Seite der USA, im Februar 2019 den venezolanischen Oppositionspolitiker Juan Guaidó als »Übergangspräsidenten« seines Landes anerkannt, und erst vor wenigen Tagen wurde die belarussische Oppositionspolitikern Swetlana Tichanowskaja vom EU-Parlament de facto in den gleichen Rang erhoben. Warum sollte »die freie Welt« dann nicht auch Alexej Nawalny als russischen Zaren ausrufen, falls dieser damit einverstanden ist?
Schrankenlose Anmaßung und eine Einmischung in innenpolitische Vorgänge anderer Länder ist alles das selbstverständlich nicht. Einmischung, vorzugsweise in ausländische Wahlkämpfe, kann nach westlicher Definition nur von Russland und China ausgehen.
Hintergrund: Schuld und Sühne
Der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde vergiftet. Zur Frage, wer Täter und Hintermänner waren, hat selbst die deutsche Bundesregierung, die ihre allgemeine Schuldzuweisung schon fertig hatte, bevor das Opfer aus Omsk nach Berlin geflogen wurde, offenbar keine Anhaltspunkte. Ein klassischer kriminalpolizeilicher Grundsatz lautet, dass »in alle Richtung ermittelt« werden müsse. Mögliche Motive sind eine zentrale Richtung, die Personen mit den klarsten Motiven müssen aber nicht zwangsläufig die wirklichen Täter sein.
Nicht sehr viel mehr hat nach dem Anschlag auf Nawalny eine Reihe prominenter Politikerinnen und Politiker aus der Partei Die Linke geäußert. Dazu gehörten unter anderem die Vertreterin der Fraktion im Außenpolitischen Ausschuss des Bundestages, Sevim Dagdelen, der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Gregor Gysi, die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und der Abgeordnete Klaus Ernst.
Das politische und journalistische Establishment reagierte mit dem schwersten Geschütz, das derzeit verfügbar ist: Wer derartige Fragen stelle, verbreite »krude Verschwörungstheorien«. Der Kampfbegriff steht seit einigen Monaten im Zusammenhang mit manchen Aktivitäten zur Coronakrise sowohl für geistige Unzurechnungsfähigkeit als auch für rücksichtslose Gemeingefährlichkeit. »Verschwörungstheoretiker« befinden sich im absoluten gesellschaftlichen Abseits, Argumente gegen sie sind überflüssig.
Nach den Verlusten der Linken bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 13. September sprach die Parteivorsitzende Katja Kipping in Berlin ein Machtwort: Das Spekulieren über die Vergiftung Nawalnys habe den Linken nicht genutzt, wird sie in der Presse wiedergegeben. »Alle wären gut beraten, wenn man sich darauf einigt, mit einer Stimme zu sprechen.« Das hat wohl gesessen, auch wenn es für Kippings These keine Anhaltspunkte gibt – das Thema scheint jedenfalls in der Linkspartei vom Tisch zu sein. (km)
Kampf um “digitale Souveränität” (23.09.200)
EU plant dreistellige Milliardenausgaben zur Schaffung einer von den USA und China unabhängigen digitalen Infrastruktur.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Der für morgen geplante, auf nächste Woche verschobene EU-Gipfel soll die Initialzündung für eine Aufholjagd der EU gegenüber den USA und China auf zentralen High-Tech-Feldern liefern. Dabei geht es Beobachtern zufolge um nichts Geringeres als eine “digitale Souveränität”, die Brüssel benötige, um nicht zum “Spielball der Großmächte” zu werden, sondern eigenständig die “globale Ordnung aktiv mit[zu]gestalten”. Um die IT-Industrie zu fördern und die Digitalisierung entschlossen voranzutreiben, sind laut aktuellen Plänen der EU-Kommission 150 Milliarden Euro vorgesehen; sie müssten auch deswegen veranschlagt werden, weil die Privatunternehmen, die monetären Nutzen aus der Digitalisierung ziehen werden, zu ausreichenden eigenen Investitionen nicht bereit seien, erklärt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die EU-Kommission hat etwa den Bau von Supercomputern im Blick, aber auch die Einführung eines “E-Ausweises”, der helfen soll, nutzbare Datenströme zu generieren. Die “digitale Souveränität” zielt auf Eigenständigkeit der EU nicht nur gegenüber China (5G), sondern auch gegenüber den USA (“europäische Cloud”).
Digitalisierung per Zehnjahresplan
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gibt sich entschlossen, den Rückstand der EU auf dem Feld der IT-Industrie und der Digitalisierung der Gesellschaft mittels umfassender Investitionen aufzuholen. Es gehe darum, innerhalb einer “digitalen Dekade” die EU in diesen Wirtschaftszweigen, die derzeit vor allem von US-amerikanischen und chinesischen Konzernen beherrscht werden, möglichst weit voranzubringen, erklärte von der Leyen vergangene Woche in ihrer Rede zur Lage der EU.[1] Die EU-Kommission soll dazu bald einen “digitalen Plan” vorlegen, der klare Zielsetzungen bezüglich “Konnektivität, digitaler Fähigkeiten und digitaler öffentlicher Dienste” bis zum Jahr 2030 beinhaltet. Die Digitalisierung zählt demnach zu den obersten Prioritäten der EU-Kommission, die insgesamt 150 Milliarden Euro dafür vorgesehen hat – 20 Prozent des auf dem jüngsten EU-Gipfel beschlossenen “Corona-Aufbaufonds” von 750 Milliarden Euro. Die Mittel seien “sehr wichtig”, erklärte kürzlich Binnenmarktkommissar Thierry Breton, da die pandemiebedingte Rezession die Investitionsbereitschaft der Industrie einbrechen lasse; die Investitionen des Privatsektors in die angestrebten digitalen Industriezweige, die sich ursprünglich auf 800 Milliarden Euro summieren sollten, seien durch die Coronakrise ausgebremst, verschoben oder gar abgeblasen worden. Zudem musste der Binnenmarktkommissar einräumen, der Ausbau des 5G-Mobilnetzes in der EU gehe nur schleppend voran und bleibe hinter den ursprünglichen Planungen – flächendeckender Zugang bis Ende 2020 – zurück. Laut Bretons Schätzungen sind bislang nur 20 Prozent der 5G-Frequenzen in der Union vergeben worden.
Supercomputer für den Mittelstand
Bretons Äußerungen zufolge wird nun also eine aus Steuergeldern in dreistelliger Milliardenhöhe finanzierte Initialzündung neue Märkte (“Zukunftsfelder”) für die Wirtschaft erschließen, da diese zu entsprechenden Investitionen ihrerseits nicht willens ist. Die EU will dabei vor allem die Infrastruktur bereitstellen, die dann Privatunternehmen nutzen sollen. Dabei bilden Supercomputer und Hochgeschwindigkeitsnetze einen Schwerpunkt der EU-Investitionsoffensive. Schon im Oktober 2018 investierte Brüssel rund 1,8 Milliarden Euro in diesen Bereich; nun folgen weitere Mittel für die Forschung und den Aufbau von acht weltweit führenden Rechenzentren in der Union – insgesamt rund acht Milliarden Euro.[2] Die neue Generation von Supercomputern soll ab 2022 in Betrieb gehen und rund eine Milliarde Operationen pro Sekunde ausführen können; dies entspreche der derzeitigen Rechenleistung aller Mobiltelefone weltweit, heißt es.[3] Europa sei der “erste Kontinent, der solche Rechnerkapazitäten schafft”, erklärt Breton; damit sollten unter anderem mittelständische Forschung unterstützt und die “europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger” gemacht werden.
E-Ausweise
Ein weiterer Schwerpunkt der digitalen Agenda der EU besteht in der Schaffung von Infrastruktur zur Abschöpfung und Monetarisierung der großen Datenmengen, die im Internet täglich erzeugt werden – ein Geschäftsfeld, auf dem derzeit vornehmlich US-Konzerne operieren. Dazu will Brüssel allen EU-Bürgern einen “E-Ausweis” verordnen – eine Art “digitale Identität”, mit der Identifizierung und Überwachung der Internetnutzer vereinfacht werden.[4] Dies käme, da sämtliche Onlineaktivitäten mit der “digitalen Identität” durchführt werden sollen – “vom Steuern zahlen bis hin zum Fahrrad mieten”, wie von der Leyen erklärt – dem Ende jeglicher Anonymität im Netz gleich. Ziel ist auch hierbei laut EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager, mit öffentlichem Geld private Investitionen auszulösen. Den Planungen zufolge soll die Wirtschaft die Datenberge, die von den mit “E-Ausweis” ausgestatteten Internetnutzern generiert werden, zur Schaffung neuer Produkte und Dienstleitungen nutzen. Europa solle zu einem “Motor für Industriedaten” werden, kündigte Breton an. Laut von der Leyen sind die Daten “ihr Gewicht in Gold wert”; dass derzeit nur ein Fünftel von ihnen kommerziell Verwendung finde, sei “reine Verschwendung”. Zur effizienten Auswertung und Überwachung der Datenflüsse will Brüssel massiv in Künstliche Intelligenz (KI) investieren. Schon 2021 will die EU-Kommission ein entsprechendes KI-Gesetz vorlegen.
EU-Cloud
Vestager, auch für den Wettbewerb in der EU zuständig, kritisiert zugleich, aktuell lege eine “Handvoll von Privatunternehmen” die Spielregeln auf den Märkten fest; dies könne Brüssel nicht zulassen. Die Äußerung richtet sich gegen die führenden IT-Konzerne aus den USA, die mittels der digitalen Offensive der Union aus dem EU-Markt gedrängt oder doch dort zumindest eingeschränkt werden sollen. Um die Abhängigkeit von außereuropäischen Konzernen zu verringern, soll die Industrie in der EU zudem einen Mikroprozessor der nächsten Generation entwickeln sowie einen eigenen Cloud-Dienst aufbauen, der auf der von Deutschland und Frankreich entwickelten Plattform Gaia-X fußen soll (german-foreign-policy.com berichtete [5]); Gespräche zur “Europäisierung” des deutsch-französischen Projekts finden zur Zeit in Brüssel statt. Die neue EU-Cloudinfrastruktur wäre geeignet, den Rahmen für die Monetarisierung der durch den “E-Ausweis” gewonnenen Datenströme zu schaffen. Von der Leyen sprach in diesem Zusammenhang von einer “echten Datenwirtschaft”. Berichte stufen die Pläne offen als Kampf um die “digitale Souveränität” der EU ein, mit dem die Union sich aus der Dominanz US-amerikanischer und chinesischer Konkurrenten lösen wolle.[6]
Strategische Autonomie
In Kommentaren heißt es zu den machtpolitischen Hintergründen der Digitalisierungspläne, die EU wolle nicht mehr “Spielball der Großmächte” sein, nicht mehr “passiv unter dem militärischen Flügel der US-Amerikaner weilen” oder “dem Wachstum Chinas tatenlos zusehen”, sondern möglichst schnell “strategische Autonomie” erreichen, um eigenständig die “globale Ordnung aktiv mit[zu]gestalten”.[7] Die “digitale Souveränität” sei ein zentraler Baustein in den Bemühungen Berlins und Brüssels, die EU zu einem globalen Machtpol auszubauen. Wolle die Union weltweit “selbständiger auftreten”, heißt es unter Bezug auf Eric Maurice von der Robert Schuman Foundation in Brüssel, dann müsse sie die Kontrolle über Schlüsseltechnologien erlangen. Dies sei heutzutage noch nicht der Fall; so speicherten etwa Privatpersonen und Unternehmen aus der EU ihre Daten immer noch bei US-Cloud-Anbietern wie Amazon, Microsoft oder Google, auf deren Infrastruktur US-Geheimdienste zugreifen könnten. Ähnlich verhalte es sich mit dem 5G-Mobilfunknetz, bei dem chinesische Konzerne wie Huawei zwar “hohe Qualität zum niedrigen Preis” anböten, zugleich jedoch die Sorge bestehe, Beijing könne Einfluss auf sie nehmen, um im Konfliktfall in der EU “kritische Infrastrukturen zu überwachen oder gar abzuschalten”. Als Lösung empfiehlt Maurice, die EU solle ihre “eigenen Standards wählen”.[8]
Nawalny: Wurde das Video über den Fund der Wasserflasche im Hotel in Tomsk inszeniert?
Die gut sichtbare Zeit auf einem Wecker stimmt augenscheinlich nicht mit der Uhrzeit auf Armbanduhren von Nawaly-Mitarbeiter überein. Jetzt verlangt Nawalny seine Kleidung als Beweismittel zurück. Neue Seltsamkeiten …
US-Geheimdienstbericht: Putin soll Beeinflussungskampagne der US-Präsidentschaftswahl steuern
Vor der Wahl im November thematisieren demokratische Politiker, Medien und der Sicherheitsapparat verstärkt die angebliche russische Bedrohung der Wahl und eine Präferenz für Trump. Da scheinen nicht nur russische Beeinflussungskampagnen stattzufinden
Die merkwürdige Energiepolitik der Grünen
Russisches Erdgas scheint für die Grünen schlechtere Eigenschaften zu haben, als LNG-Importe aus Fracking-Regionen. Diesen Eindruck vermittelt zumindest ihr Spitzenpersonal
UN-Generaldebatte: Alleingang vs. Gemeinsinn
Trump bläst zum Angriff, Xi ruht in sich. Und Putin sucht neue Wege
US-Iran-Sanktionen: Pompeo warnt Deutschland
Vor der Präsidentschaftswahl verschärft die US-Regierung im Alleingang Maßnahmen gegen Iran. Die Entsendung eines US-Flugzeugträgers samt Begleitschiffen in den persischen Golf nährt Spekulationen über eine “Oktober-Überraschung”
“In Flammen untergegangen” – in dem verhatschten Bild zeigt sich die ganze Lächerlichkeit der EU-Außenpolitik, die zwar kräftig Öl in alle möglichen Feuer gießt, aber damit nie und nimmer irgendwelche Einflußzonen etablieren kann.
Entweder etwas steht in Flammen, oder ist abgebrannt, oder es versinkt – im Sumpf, im Meer, aber doch nicht im Feuer.
Diese Sanktionen, mit denen sie das ganze Publikum im In- und Ausland langweilt, dienen nur dazu, ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen – schrecken tun die niemand.
Zu dem Schölzel-Artikel ist nur zu sagen, daß die Grünen zwar Kriegstreiber sind, was das Zeug hält, aber die AfD gerade nicht, weswegen der Nebensatz mit dem “grün-versifft” ganz unangebracht ist.
Die ganze jW tut sich an diesem Punkt mit der AfD schwer, weil denen die Anti-Rußland-Hetze bisher ziemlich fremd ist.
Man vergesse nicht, daß die ihre Anfänge nicht in der Flüchtlingskrise haben, sondern im Ukraine-Konflikt 2013-14, wo sie mit “Lügenpresse”-Empörung und Friedensmärschen gegen die Verarschung durch die Medien auf die Straße gegangen sind.
Wenn ich mir diese Wunschliste der EU zur “digitalen Souveränität” anschaue, bin ich froh, noch eine Reiseschreibmaschine am Dachboden zu haben.
Auch die Anschaffung einer Brieftaube wäre gegebenenfalls zu überlegen.
Das ganze ist derartig schwachsinnig und unpraktizierbar, daß mir die Worte fehlen.
»Die Uhr tickt«
UN-Generaldebatte in New York: Trump hetzt, Xi will Zusammenarbeit, Díaz-Canel stellt Systemfrage
Von Jörg Kronauer
An Warnungen hat es zu Beginn der diesjährigen UN-Generaldebatte in New York nicht gefehlt. »Wir bewegen uns in eine sehr gefährliche Richtung«, stellte UN-Generalsekretär António Guterres mit Blick auf den eskalierenden Machtkampf der Vereinigten Staaten gegen China fest, als er die Debatte am Montag eröffnete. »Unsere Welt kann sich keine Zukunft leisten, in der die beiden größten Volkswirtschaften die Erde spalten«, fuhr Guterres fort: Mit dem Aufreißen einer »technologischen und ökonomischen Kluft«, wie sie die Trump-Regierung mit dem Ziel einer »Entkopplung« von China anstrebt, wird unvermeidlich riskiert, dass sie »zu einer geostrategischen und militärischen Kluft« wird. Das gelte es, »um jeden Preis zu vermeiden«. Der UN-Generalsekretär wiederholte seinen Appell, nicht zuletzt wegen der Covid-19-Pandemie bis Jahresende »einen globalen Waffenstillstand« zu erzielen. Dies bezog er explizit auch auf den Kalten Krieg der Vereinigten Staaten gegen die Volksrepublik: »Die Uhr tickt«.
Politisierung der Pandemie
Hätte Guterres noch eines Beleges dafür bedurft, wie ernst die Lage ist – US-Präsident Donald Trump lieferte ihn mit seiner Rede vor der UN-Vollversammlung, die wie alle anderen vorab auf Video aufgezeichnet worden war und in New York abgespielt wurde. Die gewohnte physische Präsenz der Vertreter der 193 UN-Mitgliedstaaten lässt dieses Jahr die Pandemie nicht zu. Trump nutzte seine Rede, um den Kalten Krieg gegen China zu verschärfen. Einmal mehr behauptete er, die Volksrepublik habe »diese Seuche auf die Welt losgelassen«, insistierte auf der rassistischen Bezeichnung »China-Virus« und forderte: »Die Vereinten Nationen müssen China für seine Handlungen zur Rechenschaft ziehen«. Kaum vier Stunden nach der Übertragung der Rede legte er bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh in Pennsylvania, einem besonders heiß umkämpften Bundesstaat, nach. »Sie haben die Seuche herausgelassen«, ätzte er vor der johlenden Menge: »Es ist das China-Virus. Wisst ihr, die radikalen Linken, sie wollen es nicht sagen.« So führt man nicht nur Wahlkampf – so hetzt man eine Bevölkerung auf, bis sie kriegsbereit ist.
Antworten im Detail auf Trumps eskalierende Rede waren, da sämtliche Beiträge zuvor per Video hatten eingereicht werden müssen, nicht möglich. Die erste – inhaltliche – Gegenrede folgte jedoch bereits nach 20 Minuten mit der Ansprache des chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Xi verwahrte sich gegen jede Politisierung der Pandemie. Er plädierte dafür, den erforderlichen Neustart der Wirtschaft nicht allein auf nationaler Ebene zu forcieren, sondern ihn international zu koordinieren. Das multilaterale System müsse rings um seinen Kern, die Vereinten Nationen, bewahrt und jeglicher Unilateralismus zurückgewiesen werden. Vor allem aber sei jede »Blockbildung« mit dem Ziel, »andere draußen zu halten«, zu unterbinden. Der multilaterale Ansatz entspricht der allgemeinen Linie der chinesischen Außenpolitik (vgl. Spalte rechts), er trägt freilich auch der derzeitigen Lage der Volksrepublik Rechnung: Während Washington bei seinem Versuch, Chinas Aufstieg, den es ökonomisch nicht mehr stoppen kann, mit Gewalt zu beenden, sämtliche internationalen Fesseln abschüttelt (vgl. Text unten), sucht Beijing multilaterale Bindungen zu stärken, um der befürchteten Aggression entgegen zu wirken. Das schwang zumindest mit, als Xi ankündigte, die Volksrepublik werde Entwicklungsländer bevorzugt mit Covid-19-Impfstoffen versorgen und – damit entsprach er Forderungen der EU – Klimaneutralität schon vor dem Jahr 2060 erreichen.
Diktatur des Marktes
Auf rasche Deeskalation drangen auch andere, insbesondere Russlands Präsident Wladimir Putin. Er rief nicht zuletzt dazu auf, der globalen Abrüstung wieder den notwendigen Stellenwert einzuräumen, und erinnerte daran, dass der »New START«-Vertrag, das letzte noch bestehende bedeutende Abrüstungsabkommen zwischen Washington und Moskau, nächsten Februar ausläuft, wenn es nicht verlängert wird. Putin schlug darüber hinaus ein verbindliches Abkommen zum Verzicht auf die Stationierung von Angriffswaffen im Weltall vor.
Wirklich grundsätzlich wurde allerdings nur Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel, der die Systemfrage erwähnte. Er wies darauf hin, dass die derzeitige »multidimensionale Krise« den »großen Fehler der entmenschlichten Politik offenlegt, die in vollem Umfang von der Diktatur des Marktes aufgezwungen wird«. Heute werde man Zeuge »des Desasters, in das die Welt durch das irrationale und unhaltbare Produktions- und Konsumptionssystem des Kapitalismus geführt worden ist«. »Jahrzehnte einer ungerechten internationalen Ordnung und die Umsetzung eines skrupellosen und ungezügelten Neoliberalismus haben die Ungleichheit verstärkt und das Recht der Menschen auf Entwicklung geopfert.« Das bezog Díaz-Canel explizit nicht allein auf die aktuelle Covid-19-Pandemie, sondern auch auf die fortbestehende Unterdrückung ärmerer Staaten durch die westlichen Mächte.
Hintergrund: Beijing und die UNO
Chinas Außenministerium hat den 75. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen zum Anlass genommen, ein ausführliches Positionspapier zur globalen Lage zu publizieren. Die Welt trete »in eine Periode der Turbulenz und des Wandels« ein, in der »gewisse Staaten und politische Kräfte« nach »Entkopplung« riefen und aus internationalen Organisationen und Vereinbarungen ausstiegen, heißt es darin. Dies stürze »die Welt in ernste Gefahr«. Beijing hingegen lehne »Unilateralismus, Hegemoniestreben und Machtpolitik« entschlossen ab und setze auf die unbedingte Wahrung des internationalen Rechts: »Alle Staaten« seien »gleich«; ihre »unabhängige Wahl des sozialen Systems und des Entwicklungspfades« müsse respektiert, jegliche auswärtige Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten entschieden zurückgewiesen werden. Dabei gelte es, »die Architektur der Kooperation mit den Vereinten Nationen in ihrer Mitte zu konsolidieren«.
Die Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen entspricht durchaus den materiellen Interessen der aufsteigenden, wirtschaftlich ungebrochen erstarkenden Volksrepublik. Im Rahmen der UNO ist es ihr gelungen, ihr neues ökonomisches und politisches Gewicht in wachsenden Einfluss umzusetzen. Sie ist mit rund zwölf Prozent zweitgrößter Beitragszahler nach den USA. In vier der insgesamt 15 UN-Sonderorganisationen – zählt man die Weltbankgruppe einzeln, sind es 17 – stellt sie die Leitung, die Vereinigten Staaten tun dies nur in zwei. Zudem hat Beijing seine Rolle bei den Einsätzen der »Blauhelme« systematisch gestärkt. Rund 2.500 Soldaten und Polizisten wurden bis 2019 entsandt. So stellt die Volksrepublik nun mehr Personal als die anderen ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder, alles in allem ist China zehntgrößter UN-Truppensteller überhaupt. Das trägt dazu bei, Chinas Position in der Weltpolitik weiter zu stärken. (jk)
Prämie für Verrat
Polen will mit EU-finanziertem »Marshallplan« Regimewechsel in Belarus einleiten
Von Reinhard Lauterbach, Poznan
Polen will beim am Donnerstag beginnenden EU-Sondergipfel einen »Marshallplan für Belarus« zur Diskussion stellen. Einzelheiten veröffentlichte vergangenen Donnerstag auf anderthalb Seiten die polnische Zeitung Rzeczpospolita. Nach dem offenkundig vom Warschauer Außenministerium inspirierten Beitrag soll die EU Belarus im Tausch gegen Neuwahlen unter Aufsicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Öffnung ihres Markts, Zuschüsse und Kredite für die Modernisierung der Infrastruktur und einen »Stabilisierungsfonds« für die Zahlungsbilanz des osteuropäischen Landes anbieten, außerdem die Aufhebung der Visapflicht.
Über die genaue Höhe möglicher Finanzhilfen äußert sich der Beitrag nicht: Aus diversen Verlautbarungen polnischer und litauischer Politiker in der vergangenen Woche wird aber klar, dass es darum geht, die 1,5 Milliarden US-Dollar zu überbieten, die Russland Lukaschenko beim Treffen der beiden Präsidenten in Sotschi am 14. September zur Verfügung gestellt hatte. An einen Erfolg der Initiative knüpft die polnische Regierung die Hoffnung, in der »Europäischen Nachbarschaftspolitik« wieder eine zumindest informelle Führungsrolle zu spielen – so wie 2013/14 im Falle der Ukraine.
Geopolitische Ambitionen verbergen sich nach Aussage der Quellen der Zeitung hinter dem Plan nicht. Gleichzeitig liest man jedoch, dass die USA im Stillen hinter dem Plan stünden, zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht offen als dessen Unterstützer in Erscheinung treten wollten. Rzeczpospolita zitiert polnische Diplomaten mit der Aussage, ein Angebot der EU-Assoziierung wie 2013 gegenüber der Ukraine sei gegenwärtig im Staatenbündnis nicht konsensfähig. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte vor kurzem gegenüber der spanischen Zeitung El País die Ukraine-Politik der EU 2013/14 als »Fehler« bezeichnet, der sich nicht wiederholen dürfe.
Das polnische Konzept zum Regimewechsel »light« setzt im übrigen für seinen Erfolg auf zwei Faktoren, die von Warschau oder auch Brüssel nur begrenzt zu kalkulieren sind. Erstens die Bereitschaft von Teilen der belarussischen Elite, die Loyalität gegenüber Präsident Alexander Lukaschenko aufzukündigen und auf eigene Rechnung mit Brüssel ins Geschäft zu kommen. Genannt werden als Kandidaten sowohl Außenminister Wladimir Makej als auch ominöse »Personen im Umkreis« des Präsidentensohns Wiktor, der in der Präsidialadministration die Aufsicht über die Geheimdienste führt. Die zweite Unbekannte in der Warschauer Rechnung ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Russland bereit sein könnte, sich auf dieses Szenario einzulassen. Polen setzt hier erkennbar darauf, dass der Zustand der belarussischen Wirtschaft und der Staatsfinanzen die dauernde Unterstützung des Landes irgendwann teurer macht, als Moskau es sich leisten kann.
Kein Geheimnis ist, dass Russland Lukaschenko eher aus der Not heraus unterstützt, weil es keine Alternative hat. Mehrere Äußerungen russischer Spitzenpolitiker in den vergangenen Wochen haben den gemeinsamen Nenner, dass ein schrittweiser personeller Wandel an der Minsker Staatsspitze angestrebt wird. Denn ein innenpolitisch so angeschlagener Präsident wie Lukaschenko hat aus russischer Sicht ein großes Handicap: Er kann aus Selbsterhaltungsinteresse genau die Konzessionen in puncto »Integration« nicht machen, die Russland von ihm als Gegenleistung für wirtschaftliche Unterstützung verlangt – und wenn er sie machte, würde das die Stimmung in der Gesellschaft wahrscheinlich nationalistisch und antirussisch aufladen.
Vor allem aber fehlt der russischen Führung jenes Grundvertrauen auf die Berechenbarkeit der Gegenseite, das für einen solchen »Deal« erforderlich wäre. Einen negativen Präzedenzfall gibt es schon: Russland ist 2014 von der EU-Troika über den Tisch gezogen worden, als in der Ukraine der geordnete Rückzug von Präsident Wiktor Janukowitsch ausgehandelt wurde und Tage später der Staatsstreich stattfand. Das macht eine russische Duldung der polnischen Initiative sehr unwahrscheinlich.
Pipeline fraglich
Bundesregierung will weiter Gas aus Russland beziehen, sucht aber nach Alternativen zu »Nord Stream 2«
Von Reinhard Lauterbach
Die Bundesregierung will offenbar trotz allen politischen Drucks weiter Gas aus Russland beziehen. Gleichzeitig scheinen in Berlin die Zweifel daran zu wachsen, ob die Fertigstellung der Ostseepipeline »Nord Stream 2« noch realistisch ist.
Dieses Fazit ergibt sich aus zwei Entwicklungen, die in den letzten Tagen bekanntgeworden sind. Einmal berichtete die Zeit letzte Woche über ein schriftliches Angebot, das Bundesfinanzminister Olaf Scholz schon im August dem US-Finanzminister Steven Mnuchin gemacht habe: Die Bundesregierung sei bereit, den Bau zweier Terminals für US-amerikanisches Flüssiggas an der deutschen Nordseeküste mit bis zu einer Milliarde Euro zu fördern, wenn die Vereinigten Staaten dafür ihren Widerstand gegen Fertigstellung und Betrieb von »Nord Stream 2« aufgäben. Die andere: Die in staatlichem Auftrag arbeitende Exportversicherungsagentur Euler Hermes ist offenbar bei der Realisierung des russischen Flüssiggasprojekts »Arktic LNG 2« mit dabei. Das geht laut Spiegel aus einem Dokument des französischen Exportversicherers Bpifrance hervor. Dort sei davon die Rede, dass die deutsche Seite ein Risiko in Höhe von 300 Millionen Euro absichern solle.
Unmittelbar haben beide Vorgänge nichts miteinander zu tun. Begünstigter einer solchen Exportbürgschaft wäre der Dax-Konzern Linde. Der Spezialist für Kühlung soll laut Spiegel Verflüssigungstechnologie für ein im Bau befindliches Terminal auf der nordsibirischen Gydan-Halbinsel liefern. Wenn der deutsche Anteil sich hierauf beschränkt, wären die 300 Millionen ein Bruchteil der auf 21 Milliarden US-Dollar geschätzten Summe von Investitionen in Russlands hohen Norden. Führender Betreiber ist der russische Energiekonzern Nowatek; die Anlage soll laut Plan bereits 2023 in Betrieb gehen und den Großteil ihrer Produktion gar nicht nach Europa, sondern nach Asien liefern. Bei einer anvisierten Produktionskapazität von 20 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr entfielen auf Europa vier Millionen Tonnen: weit weniger als die 55 Millionen Tonnen Gas, die über »Nord Stream 2« zusätzlich auf den deutschen und europäischen Markt gepumpt werden könnten.
Andererseits hätte solches Flüssiggas den Vorteil, dass es keiner durch Sanktionen bedrohbaren Bauarbeiten in internationalen Gewässern und keiner Genehmigungen von Anrainerstaaten bedarf. Alle festen Anlagen liegen im Hoheitsbereich entweder des Produzenten oder des Konsumenten. Die Weltmeere sind im Prinzip für alle Schiffe befahrbar, und es wäre für die USA schwierig, zu begründen, warum Tanker mit US-Flüssiggas gut, solche mit russischem Gas dagegen schlecht sein sollen.
Ein Nachteil des Flüssiggases bleibt: Es ist wegen der Kosten für die Verflüssigungsanlagen auf der einen und für die Rückversetzung des Rohstoff in gasförmigen Zustand auf der anderen Seite des Transportwegs immer teurer als Pipelinegas. Die Branche beziffert die Preisdifferenz auf etwa 15 Prozent. Geht man davon aus, dass Verflüssigungs- und Rückvergasungsanlagen genausoviel kosten, bedeutet das deutsche Angebot an die USA somit, dass der technisch bedingte Preisaufschlag für US-Gas rechnerisch halbiert würde. Für die deutsche Wirtschaft eine direkte Staatssubvention, durch die der Wettbewerbsnachteil relativiert würde. Außerdem trüge jeder mit Gas heizende oder kochende Privathaushalt sein Scherflein zu den Mehrkosten bei.
Ob Scholz tatsächlich glaubt, die USA mit seinem Angebot beschwichtigen zu können, steht dahin. Wenn ja, wäre es mehr als naiv. Ein erfolgreicher Erpresser wird durch solche »Vorschläge zur Güte« in der Regel nur angestiftet, seine Forderungen zu erhöhen, zumal die erwünschte US-Zusage, nicht gegen »Nord Stream 2« vorzugehen, jederzeit einseitig aufgekündigt werden kann. Andererseits wäre der Bau dieser Rückvergasungsanlagen an der Nordseeküste unter Umständen sogar ein trickreiches Mittel, den USA ihr erhofftes Frackinggasgeschäft mit der BRD zu verderben. Denn die eventuellen Flüssiggastanker aus Russlands arktischem Norden könnten auch über die Nordsee kommen und dieselben Terminals nutzen, die Scholz den USA angedient hat. Und ein Vorteil bleibt Russland immer, weil er geographisch bedingt ist: Es ist näher.
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»Die Türkei benutzt Russland als Trumpfkarte«
Eine Abkopplung Ankaras vom Westen ist nicht möglich. Ein Gespräch mit Ilhan Uzgel
Von Emre Sahin
Im Westen wird oft davor gewarnt, die Türkei nähere sich Russland an. Dabei hatte Ankara 2015 noch ein Kampfflugzeug Moskaus abgeschossen und versucht, den NATO-Bündnisfall auszurufen. Ist die Sorge berechtigt?
Der Vorfall 2015 war eine vorübergehende Episode, seitdem hat sich viel verändert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte einen Brief an seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin geschrieben und sich entschuldigt, woraufhin die Beziehungen sich wieder verbesserten. Die Annäherung zeigt sich in verschiedenen Bereichen: Der Kauf des russischen »S-400«-Luftabwehrsystems ist ein Beispiel oder Ankaras Vorstoß in Afrin (das ehemals von der kurdischen Partei der Demokratischen Union, PYD, kontrolliert wurde, jW). Russland hatte den dortigen Einmarsch erlaubt. Hinzu kommt die Zusammenarbeit im Energiesektor: Hier wären das Kernkraftwerk in Mersin oder die Pipeline »Turkish Stream« zu nennen, über die russisches Gas nach Europa exportiert wird. Es gibt auch eine diplomatische Annäherung insbesondere zwischen Erdogan und Putin. Die Türkei versucht aber, indem sie sagt, sie entferne sich vom Westen hin zu Russland, Moskau als Trumpfkarte gegenüber dem Westen zu benutzen.
Wie hoch ist das Potential der Beziehungen zwischen Russland und Türkei? In Libyen und Syrien stehen sich beide gegenüber. Auch auf dem Balkan, Kaukasus und Zentralasien haben sie verschiedene Interessen.
Die Annäherung hat Grenzen. Die Türkei ist wirtschaftlich, politisch, institutionell dem Westen näher, nicht zuletzt durch die NATO-Mitgliedschaft. Mit der EU gibt es eine Zollunion. Auch den Großteil ihrer Schulden hat sie beim Westen. Moskau und Ankara unterhalten zwar wirtschaftliche Beziehungen, aber es geht vor allem um den Gasverkauf Moskaus. Um im Westen aber nicht als allzu schwach dazustehen, tut Ankara so, als stünde es Moskau nah. In einigen Bereichen gibt es Kooperationen, aber grundsätzlich hat Russland nicht das Potential, für Ankara genauso bedeutsam zu werden wie der Westen.
In Ihren Artikeln für die Onlinezeitung Gazete Duvar vertreten Sie die These, dass die USA eigentlich ganz zufrieden sind mit Erdogan.
In einigen Bereichen sind sie zufrieden mit ihm. In der Wirtschaft tut die Türkei genau das, was von ihr im Rahmen der Globalisierung erwartet wird. Erdogan macht fast alles, was das globale Kapital von ihm verlangt. Ich glaube auch, dass beide Staaten sich in Syrien gut verstehen. Sie arbeiten zusammen, es gibt nur das Problem mit der PYD, und das hat primär nichts mit Erdogan zutun. Wenn es einen anderen Präsidenten gäbe, würde die Türkei die gleiche Reaktion zeigen. Aber durch Erdogan ist die Reaktion kontrollierter. Die USA sind jedoch nicht mit seiner Israel-Politik zufrieden. Im östlichen Mittelmeer hätte die Türkei ihre Beziehungen zu Israel nicht verschlechtern dürfen. Washington baut dort eine neue Ordnung auf, und die Türkei ist isoliert.
Ist das auch der Grund, warum die USA jüngst ihr seit 1987 bestehendes Waffenembargo gegenüber der Republik Zypern aufgehoben haben?
Definitiv. Die USA unterstützen in diesem Konflikt vollständig die Konkurrenten der Türkei. Zwar bestraft Washington Ankara, weil es seine Beziehungen zu den US-Verbündeten Ägypten und Israel verschlechtert hat. Dennoch würden beide Staaten nicht vollständig aufeinander verzichten. Solange die Türkei wirtschaftlich an den Westen gebunden ist, wird sich an dieser Abhängigkeit nichts ändern.
Hintergrund: Geopolitik
In seinem Buch »Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft« schrieb der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident James »Jimmy« Carter, Zbigniew Brzezinski, wie Washington seine dominante Rolle in der Welt halten könne und auf welche Regionen es achten müsse. Hierfür sei es nötig, den eurasischen Kontinent zu dominieren, weil dieser besonders »produktiv« sei und den Großteil der Weltbevölkerung beherberge. Seine Kontrolle würde Brzezinski zufolge fast automatisch die Kontrolle Afrikas nach sich ziehen. Die Türkei nehme in diesem Rahmen eine wichtige Rolle ein, da sie ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt sei, als südlicher NATO-Ankerstaat fungiere und Russland Paroli bieten könne.
Tatsächlich grenzt die Türkei geographisch an verschiedene Weltregionen: im Süden an die mehrheitlich arabischen Staaten Syrien und Irak und im Osten an den Iran, was sie zu einem entscheidenden Akteur im sogenannten Nahen Osten macht. Aserbaidschan im Kaukasus und weitere zentralasiatische Staaten sind mehrheitlich turksprachig. Mit dem »Türkischen Rat«, der 2009 gegründet wurde, versucht Ankara eine Art »Liga der Turkvölker« zu etablieren. Das so umspannte Gebiet reicht bis an die Grenzen Chinas, könnte potentiell aber auch die Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang einschließen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sprach in der Vergangenheit gar von Ostturkestan.
Im Norden teilt sich Ankara das Schwarze Meer unter anderem mit Russland. Die Bosporus-Meerenge ist der einzige Zugang Moskaus zu den »warmen Gewässern« des Mittelmeers. Der Zugang von Nichtanrainerkriegsschiffen zum Beispiel der USA in das Schwarze Meer wird durch den Vertrag von Montreux 1936 eingeschränkt. Dieser bezieht sich jedoch nur auf den Bosporus. Seit 2011 ist daher das Projekt »Kanal Istanbul« geplant, das eine künstliche Wasserstraße schaffen soll, für die die Zusagen von Montreux nicht gelten würden. Russland sieht diesen Schritt mit Sorge.
Auf dem Balkan stellt sich die Türkei als Schutzmacht der Muslime (Albaner und Bosniaken) dar und ist neben USA, EU und Russland ein weiterer Akteur. Zwar besitzt die Türkei in Albanien eine Militärbasis, doch die Muslime auf dem Balkan haben im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen weniger Einfluss. Dort setzt die Türkei vor allem auf kulturelle Projekte. Zu diesen gehören auch türkische Fernsehserien, die, teilweise als versteckter Geschichtsunterricht getarnt, ins Ausland exportiert werden. Ankara ist nach Washington der zweitgrößte Serienexporteur der Welt, schrieb die britische Zeitung Guardian im September 2019.
Dass die EU die Digitalisierung als eigenes Projekt gegen die Vorherrschaft von Amazon und Google vorantreiben will, – das behauptet sie schon seit Jahrenden…
Anstatt sich dafür auf eigene europäisch finanzierte Beine aufzustellen, oder gar den sonstigen Digital-Kaisern den Fehdehanschuh hinzuwerfen, ist die Kommission auf den furchtbar innovativen Seitenweg verfallen: Der europäische Kunde soll es richten. Die Daten der europäischen Verbraucher sollen dafür taugen, eine gewaltige europäische Marktmacht hinstellen zu können. Dafür sind ein paar Reformen an der Digitalinfrastruktur und am Hin und Her zwische Privat-Nutzer und Geschäfts-Ausnutzer fällig.
Und dann müssen auch noch alle 28 Staaten dies als Startschuss für Europas Digital-Autonomie betrachten wollen….
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/leak-commission-plans-new-revolution-for-open-finance-in-2022/
Der nächste geplante Schritt:
https://www.euractiv.de/section/finanzdienstleistungen/news/eine-bankkarte-fuer-ganz-europa/
Der Markt soll die staatlichen Fortschritte digitaler Infrastruktur richten. Dafür werden z.B. Wirecard und sonstig fortschrittliche Start-Ups aus ihrem eigenen staatsnützlichem Geschäftsinteresse heraus schon sorgen…
Auf der anderen Seite wird durch zunehmende Digitalisierung der Prekarisierung der Lohnarbeit ein wuchtiger Schub verpasst, wenn Home-Office und Schein-Selbständigkeit im Gefolge der Krisenbewältigungsstrategien enorm zunehmen. Auch das gehört zur Lobhudelei auf die Fortschritte der Digitalisierung.
Den Datenschutz auszuhebeln, damit die Finanzdienstleister an mehr Kundendaten kommen hat aber rein gar nichts damit zu tun Amazon, Google und Facebook die Vorherrschaft streitig zu machen. Die können das dann ja auch benutzen.
Ich sehe auch nicht, wo sowas im verlinkten Artikel behauptet wird.
„Ein ausgewogenes Regelwerk für die gemeinsame Nutzung von Daten über Finanzprodukte wird den Finanzsektor dabei unterstützen, die datengesteuerte Finanzierung in vollem Umfang zu integrieren, und die betroffenen Personen, die die volle Kontrolle über ihre Daten haben müssen, wirksam schützen“, heißt es im Entwurf des Dokuments.”
Entschuldigung, aber das ist Geblubber. Es läuft auf eine Verteilung persönlicher Daten heraus zur Nutzung durch das Finanzkapital. Nach meinem Eindruck ist das ein Werk der Lobbyarbeit des Finanzkapitals und sonst nichts. Es nützt auch nur diesem und sonst niemandem.
Da mag was dran sein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Agenda_f%C3%BCr_Europa_2020#Schwerpunkte_und_Ziele
Ist das also nur ein ideologisches Konstrukt?
Weil digital sei ja so super wichtig?
Die Zulassung von Finanzdienstlern, die in einem EU-Land anerkannt wurden, automatisch auch für die gesamte EU, dient diesen. Soll aber dadurch anscheinend die Konkurrenz der Anbieter in Europa anheizen, damit diejenigen, die dann auch nicht mehr national geschützt werden, eine entsprechende Weltmarktgröße erreichen sollen.
Isolation wächst
Belarus: EU erkennt Amtseinführung von Präsident Alexander Lukaschenko nicht an. Auch Russland offenbar überrascht
Von Reinhard Lauterbach
Mit seiner geheimen Amtseinführung am Mittwoch hat der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko sich offenbar eine weitgehende Isolation eingehandelt. Nicht nur die EU verurteilte den Akt, auch Russland ging auf Distanz. In Minsk und anderen belarussischen Städten gab es am Mittwoch abend Proteste gegen die Amtseinführung, einige Demonstranten trugen Pappkronen, um Lukaschenkos sechste Amtszeit lächerlich zu machen. Mehrere hundert Kundgebungsteilnehmer wurden festgenommen.
Auf der Veranstaltung zur Amtseinführung wurde Lukaschenko zunächst von der Chefin der Wahlbehörde, Lidija Jermoschina, vereidigt. Er sprach die Eidesformel – anders als sonst – in belarussischer Sprache. Anschließend erklärte er, das Jahr 2020 werde als »sehr emotionales« in die Geschichte des Landes als eingehen. Aber alle Versuche, Belarus als Staat zu vernichten, seien gescheitert. Es sei vielmehr das wohl einzige Land der ehemaligen Sowjetunion, wo der Versuch, eine »Farbenrevolution« zu inszenieren, gescheitert sei.
In Brüssel erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der Amtseinführung Lukaschenkos fehle es an »demokratischer Legitimation«. Sie sei nur geeignet, die innenpolitische Krise im Lande zu verschärfen. In Berlin sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, Lukaschenko besitze keine »demokratische Legitimation«, und damit fehle die Voraussetzung dafür, ihn als Präsidenten anzuerkennen. Ähnliche Erklärungen gab es auch aus Polen und Litauen. Von Lukaschenkos Aktion wurde offenbar auch Russland überrascht. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte in Moskau, die Zeremonie sei eine »absolut souveräne Entscheidung« Lukaschenkos gewesen. Im Klartext: Russland habe damit nichts zu tun.
Die Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja erneuerte in Vilnius ihren Anspruch, die »einzige rechtmäßige Vertreterin des belarussischen Volkes« zu sein. Lukaschenko dagegen sei nicht mehr Präsident, sondern »Rentner«. Zuvor war Tichanowskaja allerdings mit dem Versuch gescheitert, die EU zu schärferen Sanktionen gegen Lukaschenko zu bewegen. Ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs, auf dem hierüber hätte entschieden werden sollen, war letzte Woche verschoben worden – formal, weil mehrere führende EU-Politiker sich wegen des Kontakts mit Covid-infizierten Leibwächtern zunächst in Quarantäne begeben mussten.
Die Quarantäne mag gesundheitspolitisch veranlasst sein, de facto wird damit allerdings ein diplomatisches Dilemma vertuscht. Denn mit der Nichtanerkennung der Amtseinführung Lukaschenkos stellt sich eine unangenehme Frage: Wie will die EU die laufenden Beziehungen zu Belarus aufrechterhalten, wenn sie dessen Präsidenten nicht anerkennt – und mit wem verhandelt sie künftig. Der Erhalt von Belarus als souveränem Staat ist ein Kern der westlichen Interessen. Bräche man alle Beziehungen ab, würde das Land zumindest faktisch zu einem größeren Südossetien und genau zu dem russischen »Protektorat«, als das man Belarus im Westen gerade nicht haben will.
Russische Medien betrachten die Entwicklung im westlichen Nachbarland unterdessen mit wachsender Sorge. Das gilt insbesondere für den 1,5-Milliarden-Dollar-Kredit für Belarus, der beim Gipfeltreffen der beiden Präsidenten in Sotschi am 14. September gewährt wurde. Gefragt wird, ob Russland damit nicht denselben Fehler mache wie 2013 gegenüber dem damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Der war kurz nach der Einigung über einen Drei-Milliarden-Dollar-Kredit gestürzt worden, und die neue ukrainische Staatsmacht weigert sich bis heute, die seit vier Jahren fälligen Schulden zurückzuzahlen.
Im technischen Sinne besteht die Gefahr einer Wiederholung des ukrainischen Szenarios wohl eher nicht: Erstens hat sich Lukaschenko – anders als Janukowitsch – an der Macht gehalten, und zweitens bleibt das Geld aus Russland im wesentlichen im eigenen Lande. Der Darlehensbetrag dient dazu, kurzfristig fällige belarussische Verbindlichkeiten gegenüber russischen Gläubigern umzuschulden – also die russischen Banken, die die Kredite gewährt haben, vor Zahlungsausfällen zu bewahren.
Nicht von der Hand zu weisen ist freilich das Risiko, dass Russland, je länger es Lukaschenko unterstützt, von den prowestlich orientierten Teilen der belarussischen Opposition als Teil des gegnerischen Lagers dargestellt wird. Tichanowskaja hatte bereits zum Gipfeltreffen in Sotschi erklärt, eine von ihr gestellte Regierung werde alle Vereinbarungen, die Lukaschenko jetzt noch abschließe, grundsätzlich darauf überprüfen, ob sie mit den Interessen des Landes vereinbar seien.
Die geopolitische Orientierung ihres Lagers hält Tichanowskaja bewusst im Dunkeln: Es sei »noch zu früh, um darüber zu reden«, soll heißen: Der Seitenwechsel des Landes ist im Moment wohl nicht mehrheitsfähig. Kennzeichnend ist die aktuelle Aufforderung der Organisatoren der Proteste in Belarus an die Teilnehmer, keine EU-Fahnen mitzuführen, um Lukaschenko keine Argumente zu liefern. Das zeigt aber durchaus, in welche Richtung sich die Stimmung bei den Lukaschenko-Gegnern entwickelt. In diesem Kräfteverhältnis war es aus Sicht Lukaschenkos – der sich für Moskau unentbehrlich machen will – konsequent und aus russischer Perspektive unglücklich, dass mit Maria Kolesnikowa ausgerechnet diejenige Oppositionsvertreterin verhaftet wurde, die für eine Verfassungsänderung und einen auch mit Russland ausgehandelten Führungswechsel eingetreten war. Der Flügel um Tichanowskaja scheint an solchen Manövern schon nicht mehr interessiert zu sein.
Bundeswehroperationen im Weltraum (24.09.2020)
Luftwaffe stellt neue Operationszentrale für die Führung militärischer Operationen im All in Dienst.
KALKAR (Eigener Bericht) – Die Bundeswehr hat eine neue Operationszentrale für die Führung militärischer Operationen im Weltraum in Dienst gestellt. Das Air and Space Operations Centre (ASOC) in Uedem dockt an das bereits seit dem Jahr 2009 bestehende Weltraumlagezentrum der Bundeswehr an, das bisher vor allem Lagebilder erstellt, um die deutsche militärische wie auch zivile Weltrauminfrastruktur – etwa Spionage- und Kommunikationssatelliten – vor Kollisionen insbesondere mit Weltraumschrott zu schützen. Weil zunehmend damit zu rechnen sei, dass auch gezielte Angriffe auf die Weltrauminfrastruktur erfolgten, nicht zuletzt in Kriegen, müssten die deutschen Streitkräfte jetzt auch das Planen und Führen von Operationen im All in den Blick nehmen, heißt es bei der Bundeswehr. Dazu dient das ASOC. Es wird als nationale Führungseinrichtung betrieben; dabei ist Berlin bemüht, es von Zulieferungen aus den USA, so etwa von US-Weltraumlagedaten, unabhängig zu machen. Dies entspricht Berlins Bestrebungen, auch bei Produktion und Betrieb von Satelliten auf EU-Ebene eigenständig zu werden.
Das Weltraumlagezentrum
Andocken kann die Bundeswehr beim Aufbau ihres neuen Air and Space Operations Centre (ASOC) in Uedem an ihr bereits bestehendes Weltraumlagezentrum (übliches Bundeswehrkürzel: WRLageZ). Dieses ist 2009 in Uedem aufgestellt worden; es wird von der Luftwaffe gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben. Zentrale Aufgabe des WRLageZ ist zunächst, wie es der Name sagt, Lagebilder aus dem Weltraum zu erstellen, um die Voraussetzungen für den Schutz sogenannter kritischer Infrastruktur im All zu schaffen. Bei dieser handelt es sich um zivile wie auch um militärische deutsche Satelliten. Konkret befasst sich das WRLageZ nicht zuletzt mit der Gefährdung dieser Satelliten durch im All unkontrolliert, teilweise mit höchster Geschwindigkeit umherfliegenden Weltraumschrott – etwa Trümmer zerstörter Satelliten – oder durch Sonnenstürme. Darüber hinaus berechnet die Einrichtung die Flugbahn von Objekten, die aus dem All in die Erdatmosphäre eintreten und, sofern sie nicht verglühen, beim Aufprall auf der Erdoberfläche zerstörende Wirkung entfalten können.[1]
Unabhängig von den USA
Bereits seit Jahren ist die Luftwaffe bemüht, für das Weltraumlagezentrum Unabhängigkeit von Staaten außerhalb der EU zu erreichen. Dies zielt vor allem auf die USA. Noch ist das WRLageZ unter anderem auf Weltraumlagedaten angewiesen, die es aus den Vereinigten Staaten erhält; dabei hat es allerdings lediglich Zugriff auf eine Auswahl: Daten etwa über den Aufenthaltsort von US-Militär- und Geheimdienstsatelliten oder deren Bruchstücke behält Washington für sich.[2] Aktuell wird die Inbetriebnahme eines neuen, hochmodernen Weltraumüberwachungsradars durch das WRLageZ vorbereitet. Das System firmiert unter dem Kürzel GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking) und ist im Auftrag des DLR vom Fraunhofer Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) in Wachtberg bei Bonn entwickelt worden – dies mit Mitteln aus dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums. GESTRA ermöglicht es, auch sehr kleine Objekte im All zu identifizieren, sie zu verfolgen und ihre Flugbahn zu berechnen. Damit stellt es, so heißt es bei der Bundeswehr, “einen wichtigen Schritt dar, um die bisherige Abhängigkeit von Weltraumlagedaten der USA zu mindern”.[3]
Europäische Spionagesatelliten
Um größere Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist die Bundesregierung, was die deutschen Militäraktivitäten im Weltraum angeht, tatsächlich schon seit Jahren bemüht. Dies gilt etwa für die Spionagesatelliten SAR-Lupe, die wetter- und zeitunabhängig hochauflösende Bilder von jedem Ort auf der Erde liefern können; sie wurden in den Jahren von 2006 bis 2008 ins All transportiert und sind bis heute in Betrieb. Produziert wurden sie von einem Konsortium, das sich aus Unternehmen aus der EU zusammensetzte und von der Bremer OHB geführt wurde. Die Nachfolgesatelliten mit der Bezeichnung SARah, deren zuerst für 2019 geplante Inbetriebnahme durch die Bundeswehr verspätet erfolgt, werden ebenfalls von OHB als Generalauftragnehmer hergestellt. Für Unmut sorgte im vergangenen Jahr, dass die Satelliten von der US-Firma SpaceX ins All gebracht werden sollen, da sie diese Dienstleistung viel kostengünstiger anbietet als die deutsch-französische Ariane Group.[4] Künftig könnten dafür allerdings auch Privatunternehmen aus Deutschland zur Verfügung stehen. Die einschlägige Start-up-Szene in der Bundesrepublik wecke Hoffnungen, urteilen Beobachter; allerdings müsse man sie fördern – etwa mit dem Bau eines Weltraumbahnhofs -, um ihre Abwanderung in die USA zu verhindern, zumal sich US-Geheimdienste bereits für sie interessierten (german-foreign-policy.com berichtete [5]).
Feindliche Angriffe
Aus Sicht der Bundeswehr reichen die Fähigkeiten des Weltraumlagezentrums freilich nicht mehr aus, um den Schutz der Spionagesatelliten oder auch des EU-Satellitennavigationssystems Galileo zu gewährleisten, das seit 2016 in Betrieb ist; die Bundeswehr nutzt Berichten zufolge zwar noch vor allem das US-System GPS, greift aber ergänzend schon auf Galileo zurück [6] und dürfte sich perspektivisch auch bei der Satellitennavigation unabhängig von den USA machen. Man müsse in zunehmendem Maß damit rechnen, dass feindliche Kräfte die deutsche Weltrauminfrastruktur gezielt attackierten – so “zum Beispiel durch den Einsatz von Lasern zum Blenden bzw. Zerstören von Optiken sowie gegen Solarpaneele, aber auch durch Anti-Satelliten-Raketen”, heißt es bei der Bundeswehr.[7] Dies wiege umso schwerer, als hochmoderne Waffensysteme immer stärker auf Satellitendaten angewiesen seien. Erfolgten Angriffe auf die Satelliten gleich “zum Auftakt” eines militärischen Konflikts, dann würden die eigenen Führungsfähigkeiten empfindlich reduziert. Daraus hat die Bundeswehr jetzt die Konsequenzen gezogen – mit dem Aufbau des Air and Space Operations Centre (ASOC). In ihm werden mehrere Einrichtungen der Luftwaffe, darunter das WRLageZ, zusammengezogen; es wird in Zukunft als zentraler nationaler Führungsgefechtsstand dienen. Geplant sind auch aktive Operationen der Bundeswehr im All, für die ein “umfassender Fähigkeitsaufbau” personeller wie technologischer Art vorgesehen ist.[8]
Ein neues Einsatzgebiet
Details zu den Planungen sind kaum bekannt. Das Bundesverteidigungsministerium hat im März 2017 eine “Strategische Leitlinie Weltraum” verabschiedet, die den Rahmen für die Aktivitäten der Bundeswehr im All absteckt, allerdings als “VS – Nur für den Dienstgebrauch” eingestuft und der Öffentlichkeit daher nicht zugänglich ist.[9] Berichten zufolge heißt es in dem Dokument, man plane die militärische Weltrauminfrastruktur unter anderem zur “Flugkörperabwehr” zu nutzen.[10] Die Aktivitäten der Bundeswehr im All korrespondieren dabei mit Maßnahmen der NATO, die auf ihrem Gipfel am 3./4. Dezember 2019 in London den Weltraum offiziell als neues Operationsgebiet eingestuft hat. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte zuvor erklärt: “Der Weltraum ist für die Abschreckung und Verteidigung des Bündnisses von wesentlicher Bedeutung.”[11]
Strafverfolgung behindert
Britisches Unterhaus stimmt für Amnestiegesetz: Soldaten werden für Verbrechen bei früheren Kriegseinsätzen nicht verfolgt
Von Christian Bunke, Manchester
Am Mittwoch haben 331 Abgeordnete des britischen Unterhauses in zweiter Lesung für einen Gesetzentwurf gestimmt, durch den die strafrechtliche Verfolgung von bei Auslandseinsätzen begangenen Verbrechen behindert wird. Angehörige des britischen Militärs sollen straffrei bleiben, wenn die verübten Verstöße gegen Menschenrechte mehr als fünf Jahre zurückliegen. Gegen das Gesetz votierten 71 Abgeordnete, darunter die Fraktionen der Liberaldemokraten sowie der Schottischen Nationalpartei (SNP). Auch 18 Labour-Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, darunter der ehemalige Parteichef Jeremy Corbyn.
Offizielle Linie der Labour-Fraktion war es, sich zu enthalten. Der amtierende Parteichef Keir Starmer wollte so Vorwürfen zuvorkommen, dass die Sozialdemokraten unpatriotisch seien und nicht zu den britischen Soldaten stünden. Drei Labour-Abgeordnete, die gegen den Entwurf stimmten, waren sofort ihre Jobs in der Fraktionsspitze los. Dazu gehört auch Nadia Whittome, die bis zu ihrer Entlassung parlamentarische Sekretärin des gesundheitspolitischen Sprechers Jonathan Ashworth war. Damit hat sich Starmer eines weiteren prominenten Mitglieds des linken Parteiflügels entledigt.
Während der Parlamentsdebatte zum Gesetzentwurf begründete der konservative Verteidigungsminister Ben Wallace dessen Notwendigkeit mit den von der Labour-Regierung unter Premierminister Anthony Blair gemeinsam mit den USA gestarteten Invasionskriegen im Irak und in Afghanistan. Diese bezeichnete Wallace als »illegale Kriege«. Labour habe dadurch »Unordnung« geschaffen, welche von den Konservativen nun bereinigt werden müsse.
In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Anschuldigungen gegen britische Soldaten gegeben. Erst Anfang August berichtete die Tageszeitung The Guardian von einer »Hinrichtung« von 33 Zivilisten in Afghanistan durch Mitglieder der Eliteeinheit SAS. Das Verteidigungsministerium habe versucht, dieses und eine Reihe weiterer Massaker an der Bevölkerung zu vertuschen, so das Blatt in einem Artikel vom 2. August.
Besagtes Kriegsverbrechen fand im Jahr 2011 statt. Wird der am Mittwoch debattierte Gesetzentwurf rechtskräftig, könnten die daran beteiligten Soldaten nicht mehr belangt werden. In einer auf der Webseite des Verteidigungsministeriums nachlesbaren Erklärung zum Entwurf wird festgehalten, dass »Untersuchungen« zu Fällen, welche »in Verbindung mit Operationen stehen, die viele Jahre zurückliegen«, nicht nur geeignet seien, »großen Schaden bei der Moral« anzurichten. Auch könnten sie »unsere Fähigkeit, zukünftiges Militärpersonal zu rekrutieren«, untergraben.
Die Autoren des Gesetzentwurfs haben auch den Nordirland-Konflikt im Blick. Zwar gelte die Regelung nicht für Nordirland, da es sich hier um einen Landesteil des Vereinigten Königreichs handele, heißt es auf der Homepage des Verteidigungsministeriums. Eine ähnliche für Nordirland sei jedoch in Vorbereitung. Damit will die Regierung zukünftigen Klagen von Angehörigen oder Betroffenen des über Jahrzehnte vom britischen Militär, Geheimdiensten und paramilitärischen Kräften in Nordirland betriebenen schmutzigen Krieges gegen die IRA und die dortige Bevölkerung einen gesetzlichen Riegel vorschieben.
Pikant ist auch, dass der vorliegende Entwurf es zukünftigen Regierungen ermöglichen soll, die europäische Menschenrechtskonvention zu ignorieren, sollte Großbritannien in »signifikante militärische Operationen im Ausland« verwickelt sein. Zusätzlich wurde am Donnerstag ein Gesetzentwurf im Unterhaus zur ersten Lesung eingebracht, der Angehörigen des britischen Auslandsgeheimdienstes MI5 ausdrücklich das Begehen von Straftaten erlauben soll.
“Wir werden sehen”: Trump hält Akzeptanz des Wahlergebnisses bei Niederlage offen
Wie schon 2016 fährt Trump eine Strategie des Suspense, ruiniert das Vertrauen in die demokratischen Situationen und heizt die Stimmung im Land gefährlich an
Dazu TomGard: Scheindebatte
Wirtschaft als Strafe
Ökonomische Sanktionen haben Hochkonjunktur.
Von Stephan Kaufmann, nd 26.09.20
“Im Verkehr zwischen Staaten erfreut sich ein Instrument zunehmender Beliebtheit: Wirtschaftssanktionen. Insbesondere die USA und die EU setzen ihre zentrale Stellung auf dem Weltmarkt ein, um Regierungen unter Druck zu setzen. Die Liste ist lang und wird länger: Russland, Kambodscha, China, Venezuela, Iran, Nordkorea, Syrien, Kuba, bald kommen voraussichtlich die Türkei und Belarus dazu. So beliebt Wirtschaftssanktionen sind, so unklar ist, ob sie ihre Ziele erreichen. Die Frage nach der Wirksamkeit ist alt. Neu hingegen ist, dass sich die Weltwirtschaftsmächte zunehmend gegenseitig mit Sanktionen belegen. (…)
Dass vor allem die USA und Europa Außenpolitik mit Sanktionen machen, ist kein Wunder. Sanktionen sind ein Instrument, das den Mächtigen vorbehalten ist. Denn damit sie wirksam sind, müssen erstens intensive Geschäftsbeziehungen zu dem sanktionierten Land bestehen. (…)
Zweitens muss der Schaden für den Adressaten größer sein als für den Absender, sprich: Die Geschäftsbeziehungen müssen asymmetrisch sein. Konsequenz: »Länder in Nord-West-Europa haben die größte Zahl von Sanktionen gegen afrikanische Länder verhängt«, so Felbermayr. Gleichzeitig gebe es keinen einzigen Fall von Handelssperren eines afrikanischen Landes gegen Nord-West-Europa. Ähnlich im Fall Russland: »Da die russische Wirtschaft so viel kleiner ist als die der westlichen Länder, kann Moskau auf die Sanktionen nicht effektiv antworten, ohne sich selbst stark zu schädigen«, erklärt Anders Aslund. (…)
Wurden unter Präsident George W. Bush noch Kriege zur Erreichung außenpolitischer Ziele geführt, so sind seit Barack Obama »Wirtschaftssanktionen zu einem Wesensmerkmal der US-Außenpolitik geworden«, erklärt Aslund. Bemerkenswert sei dabei die zuvor ungekannte Nutzung von Zöllen als Wirtschaftssanktionen, um die Politik des »America First« durchzusetzen. (…)
Wirtschaftssanktionen sind umso wirksamer, je geschlossener die sanktionierende Seite auftritt, sprich: Wenn die USA und die EU und andere an einem Strang ziehen. Diese Einigkeit der Weltmächte wird jedoch immer häufiger untergraben, da die US-Regierung das Mittel der Sanktion gemäß eigenen Interessen anwendet, ohne Absprache mit den Verbündeten. Um die Verbündeten dennoch zur Befolgung der US-Beschlüsse zu zwingen, greift Washington daher immer häufiger zu so genannten sekundären Sanktionen: Man verbietet nicht nur amerikanischen Unternehmen Geschäfte mit einem Land, sondern gleich Unternehmen der ganzen Welt mit der Drohung, sie bei Verstößen vom wichtigen US-Markt auszusperren. Zum Beispiel im Fall Venezuela: Ex-US-Sicherheitsberater John Bolton warnte ausländische Unternehmen vor Ausschluss aus dem US-Markt, sollten sie sich in Venezuela engagieren. Oder im Fall Iran. (…)
Als globale Sanktionsmacht kommt die EU damit auf mehreren Ebenen unter Druck: Erstens gerät sie, wie im Fall der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2, zunehmend selbst ins Sanktionsvisier der USA. Zweitens: Um Sanktionen gegen andere Länder beschließen zu können, braucht die EU die Zustimmung aller Mitglieder. Wenn, wie derzeit im Falle Belarus, ein EU-Land Sanktionen ablehnt, können sie nicht erlassen werden. Damit »steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel«, klagte diese Woche EU-Kommissar Josep Borrell. Und drittens ist die EU wie im Fall Iran nicht in der Lage, sich gegen die sekundären Sanktionen der USA zur Wehr zu setzen, was ihr außenpolitisches Drohpotenzial schwächt. Kein Wunder, dass es der EU auf ihrem Gipfeltreffen nächste Woche vor allem um eins geht: »strategische Autonomie«. Denn nur, wer wirtschaftlich unabhängig ist, kann anderen glaubhaft drohen.”
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1142333.sanktionen-wirtschaft-als-strafe.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
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Realpolitische Magersucht – so spottet Lutz Herden daher über die ambitionierten Weltmachtziele der Europäischen Union…
https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/realpolitische-magersucht
“Und warum eskaliert gerade jetzt die Wertekonkurrenz zwischen dem westeuropäischen EU-Altbestand und Ostländern wie Ungarn und Polen. Das Europa der politischen Gegenläufigkeit sollte zum Wettbewerb der Ideen stimulieren, statt Dissidenten wie Abtrünnige zu reglementieren. Freilich müsste man dazu die Dinge nehmen, wie sie sind, und nicht verklären.” So schließt Lutz Herden seinen Spottgesang.
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Dass es hier im Herbst 2020 wesentlich auch um Maßnahmen von Krisenbewältigung wegen der Verwertungsschwierigkeiten bzw. Schäden der eigenen nationalen, weltweit tätigen, Ökonomie geht (deren Dringlichkeit durch Corona bloß verschärft worden ist), das ist ein Aspekt, der so weder bei der Idee weltpolitischer Straf- als Ordnungsmechanismen (noch bei der Idee einer EU innovativer Fortschrittsideen) in den Blickpunkt zu geraten scheint …
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Auf ihrer Endstufe beziehen Sanktionen ihre Wucht aber nicht aus der Schädigung einzelner Interessen einer Nation, sondern aus der prinzipiellen ökonomischen Abhängigkeit, in die die Staaten der Welt sich hineingewirtschaftet haben; von dem Wirtschaftsgut schlechthin nämlich, mit dem sie sich zum Reichtum der ganzen Welt ins Verhältnis setzen: dem US-Dollar, der überall als Zahlungsmittel fungiert, als Bezugsgröße für die Bewertung und als Mittelglied für den Austausch aller anderen nationalen Gelder. (…)
Festzustellen ist vielmehr, dass die US-Administration vom Rest der Welt einfordert, Amerika gegenüber den Standpunkt bedingungsloser Kapitulation einzunehmen; dass sie dafür die Macht ihres globalisierten Dollar-Kapitalismus als Waffe einsetzt; dass es in der Logik dieser Erpressung liegt, den Übergang zum Einsatz militärischer Zwangsgewalt auf die Tagesordnung zu setzen; und dass dieser Übergang definitiv nicht mehr als ausgeschlossene Alternative, sondern als gar nicht abwegige Perspektive erscheint.
https://gegenstandpunkt.com/artikel/sanktionen#section2
Dass dazu in der EU nur die Idee des Mitmachens an der Seite der USA erlaubt sein soll – dafür sorgen die USA mit Extra-Beziehungen zu europäischen Mächten schon selber. Daran vorbeigehen kann die EU nicht, schon wegen ihres Einstimmigkeitsprinzips. Also wird der Gipfel vermutlich noch mal nach hinten verlegt. Und dann nochmal….
Frankreich übrigens hat weltweit etwas andere Schwerpunktsetzungen:
Emmanuel Macrons Interview mit dem „Economist“ am 21.10.19 im Élysée-Palast über den Zustand des NATO-Bündnisses hat für Furore gesorgt. Speziell dank seines Statements: „Ich möchte hinzufügen, dass wir irgendwann eine Bilanz der NATO ziehen müssen. Meiner Meinung nach erleben wir derzeit den Hirntod der NATO. Wir müssen das deutlich sagen.“ Der Präsident Frankreichs hat nicht nur seine damaligen Interviewpartner überrascht, die dieses Statement als eine „fast existenzielle Bemerkung über die Zukunft Europas“ aufgefasst haben. Auch bei seinen europäischen Partnern, vor allem Deutschland, hat Macron mit seinen Äußerungen über das transatlantische Bündnis für allerhand Aufregung gesorgt. Die Geringschätzung des amerikanischen Präsidenten für dieses Bündnis quittiert Macron – in auffälligem Unterschied zu seinen deutschen Amtskollegen – keineswegs mit Betroffenheit über den Verlust sicherheitspolitischer Verlässlichkeit. Statt, wie seine deutschen Kollegen, in defensives Jammern über die neue Generallinie der USA zu verfallen, erblickt der aktuelle Sachwalter des französischen Imperialismus in der neuen Stellung der USA zur NATO einen „Weckruf“ (Interview), nämlich für das europäische Bündnis.
https://www.jungewelt.de/artikel/386336.frankreich-hirntote-nato.html?sstr=Wentzke
@ Leser
Was meinst Du mit “Maßnahmen von Krisenbewältigung”?
Stephan Kaufmann stellt nicht nur im Titel, “Wirtschaft als Strafe”, sondern auch im Schlußpunkt, “Strategische Autonomie”, unbenannt aber deutlich heraus, daß die hoheitlichen Zwecke *gegen* die transnationale Kapitalakkumulation gewendet sind. Also ein politisches Bemühen um *Emanzipation* von der Kapitalakkumulation erkennen lassen.
Ob nicht die Idee (!?) “innovativer Fortschrittsideen” dasselbe leisten, wäre zu prüfen – Deine seltsame Bezeichnung läßt zumindest vermuten, daß Du daran gedacht hast.
Zu der Debatte um die Daten kann ich nur bemerken – und meiner Erinnerung nach wiederholen, weil wir hatten das bereits -, daß es in der EU mit der Verarbeitung und Nutzung derselben hapert.
Es gibt auch aufgrund der Rivalität der einzelnen Staaten keine europäische Suchmaschine, die es mit Google aufnehmen könnte.
Da können die EU-Fuzis Datenschutz aushebeln, was sie wollen, und Daten sammeln wie wild, es nützt nix, wenn es kein europäisches Unternehmen gibt, das sie nutzen kann.
Sodaß sie am Ende entweder kostenlos oder für Geld an jemanden weitergegeben werden müssen, der das kann.
a) @ Nestor wg. ‘EU-Digitalisierung’
Der europäische Weg der Digitalisierung – das ist ein Projekt, ein Vorhaben. Dass es nicht funktioniert, keinen Erfolg hat, das ist gerade der Grund für die Strategie. Wobei die Illusion dabei anscheinend darin besteht, man müsse nur entfesseln, liberalisieren und europäische Größe erlauben bzw. so ermöglichen, – und schon würde sich europäische Digital-Konzerne herausbilden.
Die Zusammenlegung der europäischen Flugzeugbauer hat aber, um das mal zu vergleichen, unterstellt, dass es aus nationalen autarken Gründen so was bereits in den europäischen Staaten, aber gegensätzlich verfasst, gab. Im Digitalbereich fehlen aber anscheinend jegliche europäische Grundlagen, bzw. die amerikanischen Konzerne haben das Areal mit ihrer Marktgröße nicht nur bereits okkupiert, sondern haben dies getan auch in Absprache mit europäischen Staaten, die davon als einzelne und gegensätzlich profitieren, und daher wechselseitig sich Privilegien dafür einräumen – lassen -, diese Länder als europäische Standorte amerikanischer Digital-Großkonzerne voranzubringen (z.B. Irland, aber auch ansonsten überall in der EU).
Das Ganze erinnert daran, wie kompliziert so was anscheinend Simples im Frühjahr war, staatlicherseits eine Industrie zwecks europäischer Gesichtsmasken aus dem Boden stampfen zu wollen. Auch da ist man über viel Tamtam deswegen nicht groß hinausgekommen, weil ein erforderlicher Staatsakt zwecks Privilegierung einer Klitsche und deren großzügiger materieller Alimentierung von vornherein eine Wettbewerbsschädigung (bestehender Unternehmen) beinhaltet hätte, und um die Förderung des Wettbewerbs zwecks kapitalistisches Wachstum soll es ja in Europa gerade gehen. Dazu haben sich die 28 untereinander ja verpflichtet, dass es nur nach Regeln des Wettbewerbs zu gehen habe…
“Die Behörde hob unter anderem eine Initiative von 16 europäischen Banken hervor, darunter die Deutsche Bank und die Commerzbank: Die Europäische Zahlungsinitiative (EPI) soll den internationalen Schwergewichten Visa und Mastercard Konkurrenz machen und nationale Systeme wie die EC-Karte oder die französische Entsprechung Carte bleu ersetzen. Die Kommission unterstütze dies, „würde aber auch jede andere Initiative mit ähnlichen Zielen begrüßen“.
(…) Tatsächlich will Brüssel nichts überstürzten. Das Thema sei „schwierig“, sagte ein Kommissionsvertreter. Es gehe darum, zwischen den gesetzten Zielen und der Souveränität der Staaten abzuwägen.”
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/bruessel-will-digitale-bezahlsysteme-in-der-eu-vereinheitlichen/
b) @ TG “Innovation”
Die innovative Idee innovativer Ideen ist eine Replik an Formulierungen bei Lutz Herden, der der Gegensätzlichkeit europäischer Nationen mit Impulsen von mehr (dann gemeinsamer) Innovation zu begegnen sucht. Grünes Wachstum als kapitalistische Wachstumsvorstellung ist aber z.B. dann, wenn ich weiterhin an Karbonisierung festhalten will, gar kein innovatives Projekt für z.B. Polen.
c) Das Europa – Thema: Flüchtlingspolitik
Ganz EU-Europa soll sich auf die reaktionäre Anti-Flüchtlings-Ideologie von Orban stellen.
https://tages-politik.de/Europapolitik/Aktuelle_EU_Fluechtlingspolitik-Sept._2020.html
Ob dadurch eine Gemeinsamkeit in der EU sicher gestellt wird (Orban und Co. sollen dann eben als Teil der europäischen Arbeitsteiligkeit die gemeinschaftliche Abschiebung regeln), – auch das unterstellt, dass es von Orban und Co. überhaupt einen Willen dazu gibt, sich zum Bestandteil einer neuen, generellen europäischen Lösung, selbst wenn die gemäß der eigentlich eigenen Vorstellungen funktionieren würde, machen lassen zu wollen – was ich nicht weiß, inwiefern die Ostländer sich dazu erpressen lassen wollen. (Geldzahlungen und Strafzahlungen sind da ja im Gespräch, auch bestehende Regionalfonds und Beitrittszahlungen werden thematisiert.) So oder so akzeptiert man dann nämlich, dass es eine europäische Lösung geben soll, also geregelt als Dublin – Vertrags – Fortschreibung. Genau das wollen z.B. Polen und Ungarn aber doch gar nicht, dass sie als autonome Staaten zu europäischer Flüchtlingspolitik sich verpflichten lassen müssen.
d) @ TG wg. Kaufmann-Artikel
Was Innovation betr. kapitalistisches Wachstum real ist, bzw. dazu den Kaufmann-Artikel – magst du dazu inhaltlich noch mal ausführlicher ausholen?
e) zu Teslas “Innovationen” in Brandenburg
https://www.deutschlandfunk.de/neues-werk-in-brandenburg-wie-tesla-seine-expansion.724.de.html?dram:article_id=484538
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/vw-skandal-dieselaffaere-e-mobilitaet#section7
@Leser
Na, wenn sich Deutsche Bank und Commerzbank um eine schlagkräftiges Unternehmen für den internationalen Zahlungsverkehr bemühen, dann kann ja nichts mehr schiefgehen! Nachdem Wirecard aus dem Weg geräumt ist …
Da stürzt sich ein Blinder auf einen Lahmen und hilft ihm über die Straße.
Beim Beginn der Flugzeug-Kooperation 1965 war die Welt eine andere, es war noch nicht einmal die EU geboren, der Kalte Krieg schweißte die westeuropäischen Staaten zusammen – das alles gilt heute nicht mehr und das händeringende Beschwören der Einheit spricht Bände über ihren wirklichen Stand.
Mit dem Satz kann ich nicht viel anfangen:
“Ganz EU-Europa soll sich auf die reaktionäre Anti-Flüchtlings-Ideologie von Orban stellen.”
Wer sagt das? Also von wem geht das “Sollen” aus?
Geht es um Ideologie oder Politik?
Mir ist nicht ganz klar, auch nach Lesen des ausgesprochen wirren verlinkten Textes, wer eigentlich das Subjekt ist, das über die Flüchtlingspolitik bestimmt und andere auf den Orbán-Standpunkt verpflichten will.
Der wäre übrigens?
Es ist doch nicht so, daß es irgendwo am bösen Willen fehlen würde, die Flüchtlinge zu drangsalieren.
Das Problem liegt außerhalb des Einflußbereiches der EU. Viele Staaten unterschreiben kein Schubabkommen, oder wenn, wie die Türkei, so lassen sie sich viel dafür zahlen und machen dann auch schon wieder auf, wenn ihnen was nicht paßt. Oder aber, wie Ghani in Afghanistan, halten zwar auch die Hand auf, unterschreiben dann und schaffen damit eine Situation, wo die Leute erst recht wieder von dort abhauen.
Das vor der Flüchtlingskrise gebräuchliche bequeme Verfahren, die Flüchtlinge in das EU-Einreiseland zu schieben und damit den dortigen Regierungen das Problem aufzuhalsen, – das Dublin-Abkommen – geht auch nicht mehr.
Es ist also moralisch-dümmlich, wenn die Flüchtlingspolitik der EU an den Ideologien festgemacht wird, die über sie in Umlauf sind.
Alle EU-Regierungen würden die auf ihrem Territorium befindlichen Flüchtlinge am liebsten morgen ins Meer kippen, – wenn das so einfach ginge.
Dann gibts auch noch ein Asylrecht, das sich jahrzehntelang als Einmischungstitel im Ausland bewährt hat und auch nicht so einfach in den Mistkübel geworfen werden kann.
Zur EU-Flüchtlingspolitik Sept. 2020
Die wesentlichen Bestimmungen dazu hat Arian Schiffer-Nasserie bereits 2015 (vor allem bereits in seinen Thesen 1 bis 3) auf zweieinhalb Seiten zusammengefasst:
http://neoprene.blogsport.de/images/SchifferNasserieFlchtlingskriseundWillkommenskultur.pdf
Während die damalige griechische Regierung 2014 die bei ihr angestrandeten Flüchtlinge meist noch nach Europa weiterreisen ließ, hat die EU ihre Grenzschutzpolitik seitdem durch den Flüchtlingspakt mit der Türkei und durch eine verschärfte Politik der Abschreckung, auch in Abstimmung mit der neuen griechischen Regierung, verändert.
Suitbert Cechura: “So wurde erreicht, dass alle EU-Anrainer- und Grenzstaaten sich verpflichtet haben, entweder Flüchtlinge gar nicht erst in ihr Land zu lassen oder sie an der Weiterreise zu hindern. (…) Denjenigen, die es dennoch geschafft haben, Griechenland oder Italien zu erreichen, blüht ein Lagerleben. Nicht nur Politiker, sondern auch viele Journalisten kennen “gute” Gründe, weswegen es sich geradezu verbietet, Flüchtlinge aus dem Elend der Lager auf den griechischen Inseln zu befreien. Dieses könnte nach ihren Worten einen Pull-Effekt haben, sprich weitere Flüchtlinge anziehen und ermuntern, nach Europa zu kommen. Stattdessen setzen sie auf einen Push-Effekt, möglichst viele Elendsfiguren von einer Flucht nach Europa abzuhalten. (…) Deutschlands Politiker werden nicht müde, ihre Bereitschaft zu bekunden, Griechenland und Italien bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu helfen. Angebote wie zusätzliche Polizisten für die Grenzsicherung im Rahmen von Frontex, zusätzliche Beamte bei der Abwicklung der Asylverfahren und Angebote zum Aufbau eines europäischen Aufnahmezentrums. Angebote, die immer auf ein und dasselbe zielen: Griechenland soll die Kontrolle der Grenze Europa überantworten. Aber weil es dazu nicht bereit ist, bleiben die Angebote ungenutzt.
Auch beim Wiederaufbau des Lagers auf Lesbos soll dies als europäisches Aufnahmelager fungieren und sollen dort europäische Beamte über den Asylantrag entscheiden. Denn dass die Flüchtlinge wieder eingesperrt werden und in den Lagern über die Entscheidung ihres Asylantrags warten sollen, darin ist sich Deutschland mit Griechenland einig. Und die, deren Antrag abgelehnt wird, werden dort so lange eingesperrt, bis sich ein Aufnahmeland zur Abschiebung findet, das kann lange dauern. So erspart sich Deutschland auch die vielen Flüchtlinge mit Duldungsstatus.”
(Der Brand von Moria,
https://www.heise.de/tp/features/Der-Brand-von-Moria-4905488.html )
Durch die möglichst miserable Ausgestaltung der Flüchtlingslager und die dauerhafte ansonsten für sie perspektivlose Einkasernierung der Gestrandeten will Griechenland den weiteren Zuzug von Migranten abschrecken, wird alo deren Lage eher nicht in eine menschenfreundlichere Richtung ändern wollen, – eher umgekehrt – was der EU insgesamt also darin eher recht war und ist, – die Außengrenzen sollen nämlich möglichst abschreckend ausgestaltet werden.
Europäische staatliche Flüchtlingspolitik heißt also: Flüchtlinge sollen in ihren Herkunftsländern verbleiben. Das ist die brutale Botschaft hinter dem staatlichen Slogan: Fluchtursachen in den Herkunftsländern bearbeiten…
Insofern ist die Lage inzwischen, zwei Wochen später, anscheinend wieder so geklärt wie vor dem Brand auf Moria. Die Migranten sind eher noch schlechter untergebracht, was die abschreckende Wirkung sogar noch verstärken wird.
Die österreichische EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP):
“Es ist an der Zeit für ein gesamteuropäisches System. Aus österreichischer Sicht müssen drei Komponenten enthalten sein: Außengrenzschutz, Zusammenarbeit mit Drittstaaten und flexible Solidarität.
(Der Interviewer fragt nach: „Flexible Solidarität“ bedeutet: Keine verpfichtende Quote zur Aufnahmen von Flüchtlingen?)
Genau, wir sind gegen Zwangsaufnahmen. Das war immer unser rote Linie, die wir mit aller Vehemenz verteidigen. Österreich hat seit 2015 von allen EU-Staaten am zweitmeisten Flüchtlinge aufgenommen. Klar ist: Jedes Land muss einen Beitrag leisten. Entweder indem man Menschen aufnimmt, Beamte zur Unterstützung der Asylbehörden schickt, oder vor Ort hilft. Dabei muss immer berücksichtigt werden, was bisher geleistet wurde. Im Fall von Österreich kann das daher nicht die Aufnahme weiterer Flüchtlinge bedeuten.”
https://www.euractiv.de/section/europakompakt/interview/oesterreichs-eu-ministerin-eu-muss-tuerkei-sanktionen-offen-diskutieren/
Mein falscher Satz: „Ganz EU-Europa soll sich auf die reaktionäre Anti-Flüchtlings-Ideologie von Orban stellen“ macht also einen Gegensatz auf, den es so innerhalb der EU-Staaten gar nicht gibt.
— Edit:
Der angemeckerte Kommentar bei Kritische.Politik endete so: “So geht also der europapolitische Fortschritt in der Migrantenfrage: von der Distanz zu den nationalistischen Eigensinnigkeiten bestimmter EU-Nationen gibt der EU-Gesamtverein denen jetzt recht, die in jedem 3.-Welt-Elenden einen Angriff auf die jeweils ausgemalte völkische Identifikation wittern.”
Die staatliche Behandlung (Absicherung, Abriegelung) der Außengrenzen nehmen völkische Politiker zum Anlass, einen Aufruf an die Bürger zu starten, selber dafür zu sorgen, dass die nationale völkische Identität vor den Auszugrenzenden bewahrt bleibe. Das geht häufiger rechtsaußen über in einen faschistischen Vernichtungs-Standpunkt.
Der ist aber im September 2020 erst einmal unterschieden davon, dass die kapitalistisch verfassten EU-Staaten das “Menschen – Material” diesseits und jenseits ihrer Grenzen für ihre staatlichen Zwecke vor allem ökonomisch benutzen wollen. Da sich dafür 2020 in puncto Flüchtlinge aber weder ein ökonomischer noch ein politischer Zugewinn erdrechseln lässt, wird vermutlich alles so bleiben, wie es ist.
[Die ‘humanitäre Lage der Flüchtlinge’ wird sich also vermutlich eben dadurch eher weiter verschlechtern…]
Eskalation im Kaukasus
Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach-Region. Jerewan ruft Kriegszustand aus
Von Reinhard Lauterbach
Die von Armenien und Aserbaidschan beanspruchte Region Berg-Karabach im Südkaukasus ist Schauplatz schwerer Kämpfe: Am frühen Sonntag morgen begannen nach armenischen Angaben aserbaidschanische Truppen Angriffe an der gesamten Demarkationslinie. Jerewan rief den Kriegszustand aus und befahl seine Reservisten zu den Waffen. Im von der armenischen Regierung kontrollierten Gebiet Berg-Karabach gab es sogar eine Generalmobilmachung aller Volljährigen, meldete die Nachrichtenagentur AFP. Russland rief beide Seiten dazu auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Beide Staaten beschuldigten sich gegenseitig, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Vom Ausmaß der Kämpfe zeugen die bereits nach wenigen Stunden gemeldeten Verluste: Nach eigenen Angaben haben die Karabach-Truppen zwei aserbaidschanische Hubschrauber und mehrere Kampfdrohnen abgeschossen. Zudem stellten sie Aufnahmen ins Netz, die den Abschuss zweier Panzer des Gegners zeigten. Aserbaidschan dagegen behauptete, ein Dutzend Flugabwehrstellungen des Gegners ausgeschaltet zu haben.
Der Konflikt ist eine Spätfolge der Moskauer Politik im Kaukasus: Die mehrheitlich von Armeniern besiedelte Region wurde nach ihrer Kontrolle durch die Sowjetunion 1921 als Autonomer Kreis der Republik Aserbaidschan zugeschlagen. 1988 verlangte die Regierung in Jerewan jedoch von Moskau, Karabach für Armenien zugehörig zu erklären. Dieser Forderung kam die sowjetische Zentralregierung nicht nach, weil sie fürchtete, dies könne den gesamten Südkaukasus destabilisieren. Sie hatte aber auch zu dem Zeitpunkt nicht mehr die Macht, die Unruhen militärisch zu unterbinden.
Nach dem Ende der Sowjetunion kam es zum Krieg zwischen beiden Staaten, den Armenien für sich entscheiden konnte. Dabei kam es auf beiden Seiten zu Massakern an der gegnerischen Zivilbevölkerung. Seitdem ist Karabach von Aserbaidschan faktisch unabhängig. Den für die Landverbindung nach Armenien nötigen Teil Aserbaidschans, den sogenannten Latschin-Korridor, hat Armenien im Zuge des Krieges annektiert. Die UNO und der Europarat erkennen die Lossagung Berg-Karabachs nicht an.
1994 wurde unter Vermittlung von Russland und Frankreich zwar ein Waffenstillstand vereinbart, doch dieser wird immer wieder gebrochen. Zuletzt hatten sich armenische und aserbaidschanische Truppen im Juli weiter nördlich entlang der Grenze beschossen. Militärisch gilt Baku, auch dank der Öl- und Gaseinnahmen, als die bei weitem stärkere Seite. Die Rückgewinnung der Kontrolle über das Gebiet Berg-Karabach ist seit dessen Verlust ein ständiges Ziel Bakus.
Da Armenien geografisch zwischen Aserbaidschan und dessen Verbündetem Türkei liegt, ist es in der Region isoliert. Ankara und Jerewan sind wegen des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915–16 verfeindet. So ist Armenien gezwungen, am Bündnis mit Russland festzuhalten. Daran hat auch der Machtwechsel von 2018 im Land nichts geändert. Zuvor hatte es starke Proteste gegen den damaligen Ministerpräsidenten Sersch Sargsjan gegeben. Dieser trat ab, und der oppositionelle Nikol Paschinjan wurde im Anschluss als Premier gewählt.
Bei Wahlniederlage: Wird das US-Militär eingreifen?
Das Pentagon steht unter dem Druck, Pläne schmieden zu müssen, will es nicht in die politischen Streitigkeiten nach den Wahlen eingreifen
Machtkampf dominiert
UN-Generaldebatte
Von Jörg Kronauer
Nein, es gab nicht nur Kontroversen bei der diesjährigen UN-Generaldebatte, die am Dienstag unter anderem mit einer Rede des deutschen Außenministers Heiko Maas zu Ende geht. In einem Punkt waren sich die Staats- und Regierungschefs und Minister, die bislang in New York per Videobeitrag zu Wort kamen, weitgehend einig: Das globale Staatensystem ist in einem desaströsen Zustand – »zerfleddert«, wie es der britische Premierminister Boris Johnson formulierte. Laut Einschätzung seines kanadischen Amtskollegen Justin Trudeau sogar »kaputt«. Trudeau hielt fest: Die Dinge würden noch viel schlimmer werden, wenn wir uns nicht änderten. Nun, Änderung ist nicht in Sicht.
Die Hauptursache dafür – der Machtkampf der Vereinigten Staaten gegen China – hat die Generaldebatte von Beginn an überschattet. Festhalten kann man dabei, dass das Protzgehabe, das der US-Präsident am ersten Tag zelebrierte, selbst von engen Verbündeten nicht mehr uneingeschränkt unterstützt wurde. Donald Trump hatte neben aggressiven verbalen Angriffen auf China ausgerechnet die Vereinigten Staaten als »Friedensstifter« gelobt und dann noch angeblich »außergewöhnliche« Leistungen der USA beim Klimaschutz gepriesen. Derart hohl scheppernde Propaganda wollte nicht einmal Australiens Premierminister Scott Morrison von sich geben, einer der schärfsten antichinesischen Hardliner, der zwar wie üblich gegen Beijing Position bezog, jedoch auch warnte, es werde sich langfristig als schädlich erweisen, sollten bestimmte Länder es darauf anlegen, einen Covid-19-Impfstoff zu bunkern und Vorteile aus seinem Besitz zu ziehen. Dies war nicht zuletzt auf Washington gemünzt.
Aus Europa waren sogar gewisse Absetzbewegungen gegenüber Washington festzustellen. »Die heutige Welt darf nicht der Rivalität von China und den USA überlassen werden«, forderte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: »Europa« solle sich dem »Two step«-Tanz verweigern und eigene Allianzen aufbauen. Auf Eigenständigkeit gegenüber den USA war auch Johnson bedacht, der trotz kritischer Äußerungen in Richtung China darauf bestand, die WHO solle auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen: eine klare Ablehnung des harten Bruchs mit der Organisation, wie ihn die Trump-Regierung verlangt. Geht es den Ländern Europas vor allem darum, den USA ebenbürtig zu werden, also um ihre eigene Macht, so treibt andere mittlerweile die blanke Existenzangst an. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte appellierte an die Großmächte, die im Südchinesischen Meer und anderen Weltregionen ihre Kämpfe austragen: »Wenn wir noch keine Freunde sein können, dann lasst uns doch wenigstens uns nicht allzu sehr hassen.« Der Grund für Dutertes Aufruf: In einem möglicherweise bewaffnet eskalierenden transpazifischen Konflikt wären die Philippinen eines der ersten Schlachtfelder.
Unbestimmt verschoben (28.09.2020)
EU-Afrika-Zusammenkünfte abgesagt: EU fällt im Einflusskampf um den afrikanischen Kontinent zurück.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Berlin und die EU fallen im Einflusskampf um Afrika weiter gegenüber China und anderen aufstrebenden Ländern zurück. Ein für heute angesetztes Außenministertreffen der EU sowie der Afrikanischen Union (AU) ist ebenso verschoben worden wie ein für Oktober anberaumter EU-AU-Gipfel, auf dem eine neue “Partnerschaftsagenda” beschlossen werden sollte. Offizieller Grund für die Verschiebung ist die Covid-19-Pandemie, die eine persönliche Zusammenkunft in Brüssel unmöglich macht. Beobachter weisen jedoch darauf hin, dass die AU – bislang eher ungewohnt – darauf besteht, von der EU nicht mehr allein auf eine Rolle als Rohstofflieferant und Absatzmarkt reduziert zu werden. In der EU wiederum ist noch umstritten, wie scharf die Abwehr afrikanischer Migranten realisiert werden soll – eine Debatte, die kaum geeignet ist, in der AU Sympathien zu wecken. Hintergrund für die selbstbewusstere Haltung der afrikanischen Staaten ist, dass China, aber auch andere Länder wie Indien ihre Stellung in Afrika deutlich gestärkt und das westliche Einflussmonopol gebrochen haben.
Freihandel und nette Worte
Die EU hatte schon zu Jahresbeginn angekündigt, ihre Beziehungen zur Afrikanischen Union (AU) mit der Einigung auf eine neue “Partnerschaftsagenda” auf “die nächste Ebene” heben zu wollen.[1] Zuvor hatte sie zuletzt im Jahr 2005 ein eigenes Strategiepapier zur Afrikapolitik und im Jahr 2007 gemeinsam mit der AU eine “Afrika-EU-Strategie” verabschiedet, in denen neben allerlei netten Worten (“Entwicklung”, “Menschenrechte”) vor allem militär- und wirtschaftspolitische Schritte festgehalten wurden.[2] Unter den Stichworten “Frieden und Sicherheit” hieß es, “Europa” werde die Staaten der AU beim Aufbau übergreifender Militärstrukturen unterstützen; Ziel war es, künftig Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent mit Hilfe einheimischer Streitkräfte kontrollieren zu können. Wirtschaftlich fokussierte die EU stark auf die Economic Partnership Agreements (EPA), Freihandelsabkommen, die darauf hinauslaufen, Afrikas Märkte noch umfassender für Waren aus der EU zu öffnen und für die Industrie der Union billigeren Zugriff auf afrikanische Rohstoffe zu ermöglichen. Bislang sind in Afrika lediglich fünf EPAs vorläufig in Gang gesetzt worden: eines mit der Southern African Development Community (SADC), eines mit mehreren Ländern Ost- und Südafrikas sowie jeweils eines mit Kamerun, Côte d’Ivoire und Ghana.[3]
Rohstofflieferant und Absatzmarkt
Zugleich hält die Kritik der afrikanischen Staaten an der Afrikapolitik der EU nicht nur an; sie ist zuletzt sogar lauter geworden. Mehrere AU-Mitglieder beklagen etwa, die EPAs führten dazu, dass ihre eigenen Industrialisierungsbemühungen unter dem Konkurrenzdruck europäischer Konzerne zunichte gemacht würden. Tatsächlich schaden die EPAs darüber hinaus sogar der Agrarwirtschaft Afrikas, die es in manchen Bereichen schwer hat, sich nach dem Abbau von Handelsschranken gegen subventionierte Agrarunternehmen aus Europa zu behaupten. Ein berüchtigtes Beispiel ist, dass beispielsweise in Ghana die einheimische Hühnerfleischproduktion kollabierte, während EU-Unternehmen ihre Exporte in das Land gewaltig steigern konnten – von bereits gut 40.000 Tonnen Geflügelfleisch im Jahr 2010 auf mehr als 135.000 Tonnen im Jahr 2017.[4] Erfolge durch die militärische Kooperation bleiben, wie zur Zeit etwa der immer weiter eskalierende Krieg im Sahel zeigt, gleichfalls aus. Afrikanische Diplomaten lassen sich mit der Beschwerde zitieren, die EU kopple ihre ökonomischen Zusagen an allzu restriktive Bedingungen und gestalte sie außerdem so, dass afrikanische Länder auf ihre Rolle als Rohstofflieferanten festgelegt sowie am Aufbau einer eigenen Industrie gehindert würden.[5]
Aufstrebende Rivalen
Möglich geworden ist der wachsende Widerstand afrikanischer Staaten gegen ihre Ausplünderung durch die EU, weil ihre Abhängigkeit von den westlichen Mächten schrumpft: China, aber auch andere Länder jenseits der transatlantischen Welt haben ihre Beziehungen zu den Ländern Afrikas in den vergangenen Jahren deutlich intensiviert. So ist der Afrikahandel der Volksrepublik von einem Volumen von rund zehn Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf rund 209 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr in die Höhe geschnellt; damit erreichte er nahezu den vierfachen Wert des US-Handels mit dem Kontinent (2019: 57 Milliarden US-Dollar). Nur zusammengenommen kann die EU noch behaupten, der wichtigste Handelspartner des afrikanischen Kontinents zu sein; dabei stagniert das Handelsvolumen seit 2012 in einer Größenordnung von um die 280 Milliarden Euro (2019: 281,2 Milliarden Euro). Eurostat beziffert den deutschen Afrikahandel auf rund 45 Milliarden Euro (2019) – weniger als den indischen Handel mit dem Kontinent, der von 14,2 Milliarden US-Dollar im Haushaltsjahr 2007/08 auf 62,6 Milliarden US-Dollar im Haushaltsjahr 2017/18 in die Höhe schnellte.[6] Ebenfalls sehr schnell steigt der Afrikahandel der Türkei, der im Jahr 2005 mit 3,5 Milliarden Euro noch fast vernachlässigenswert schien, vergangenes Jahr aber bereits 26 Milliarden US-Dollar erreichte, beinahe die Hälfte des deutschen Warentauschs mit den Ländern Afrikas – bei rasch steigender Tendenz.[7]
Impfstoff für Afrika
Den wachsenden Wirtschaftseinfluss begleitet vor allem China mit allerlei Kooperationsangeboten; nicht wenige davon beziehen sich aktuell auf Fördermaßnahmen im Kontext der Coronakrise. So hat China die Staaten Afrikas schon früh im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie unterstützt. Dabei beschrieben Experten bereits im Mai, die chinesische Hilfe hebe sich in zweierlei Hinsicht positiv von derjenigen der EU ab: Zum einen liefere die Volksrepublik Material, während die EU zumeist nur ohnehin für Afrika vorgesehene Mittel umdeklariere, mit denen die afrikanischen Staaten auf dem erbittert umkämpften Weltmarkt für Schutzausrüstung nur wenige Waren kaufen könnten. Zum anderen habe die chinesische Unterstützung größeres Gewicht, da die Volksrepublik im Kampf gegen die Pandemie recht erfolgreich gewesen sei, was sich von der EU nicht behaupten lasse.[8] Hinzu kommt, dass Beijing inzwischen mehrfach bekräftigt hat, es werde, sobald es über einen Covid-19-Impfstoff verfüge, diesen den afrikanischen Ländern bevorzugt zur Verfügung stellen. Weder die EU noch die USA hätten erkennen lassen, dass sie ihrerseits bereit seien, Afrikas krisengeschüttelten Ländern einen Impfstoff kostenfrei zur Verfügung zu stellen, hieß es kürzlich; die Volksrepublik hebe sich auch diesbezüglich vom alten Westen ab.[9]
Kein Ersatztermin in Sicht
Um auf dem afrikanischen Kontinent nicht weiter ins Hintertreffen zu geraten, hatte die EU ursprünglich geplant, im Oktober dieses Jahres auf einem großen EU-AU-Gipfel die Einigung auf die erwähnte neue “Partnerschaftsagenda” verkünden zu können. Grundlage sollte ein am 9. März dieses Jahres in Brüssel vorgestelltes Papier sein, dessen Titel (“Towards a comprehensive strategy with Africa”) absichtsvoll die Präposition “with” (“mit”) enthielt: Dies sollte die Abkehr der alten europäischen Kolonialmächte von ihrer traditionell paternalistisch-ausbeutenden Politik hin zu einem vorgeblich partnerschaftlichen Umgang mit den einstigen Kolonien symbolisieren. Auf den Gipfel sollte unter anderem ein für den heutigen Montag geplantes Außenministertreffen der EU und der AU vorbereiten. Diese Zusammenkunft ist, ganz wie der Gipfel selbst, abgesagt worden; zur Begründung wird offiziell auf die Covid-19-Pandemie verwiesen, die ein persönliches Treffen in Brüssel verhindere. Tatsächlich stehen einer Einigung gemäß den Wünschen der EU mehrere Forderungen der AU-Staaten entgegen, darunter diejenige, die EU solle Investitionen in Afrikas Infrastruktur und Industrie fördern, damit der Kontinent endlich das Spektrum seiner Exportwaren ausdehnen könne – weg von der alleinigen Ausfuhr von Rohstoffen und Nahrungsmitteln hin zu einem gewissen Maß an Industrieexporten. Während sich die AU-Staaten darüber hinaus stärkere Unterstützung im Kampf gegen die Pandemie wünschen, streiten die EU-Länder untereinander – offenbar nicht bereit, auf die Forderungen der AU einzugehen – nicht zuletzt darum, wie aggressiv sie afrikanische Migranten abwehren wollen.[10] Ein Ersatztermin für den EU-AU-Gipfel ist bislang noch nicht in Sicht.
Das meine ich immer mit neoliberaler Ideologie. Dabei macht sich der Unterschied zwischen ermöglichen und schaffen geltend. Die Marktfetischisten denken immer ermöglichen sei das selbe wie erschaffen, weil der Markt es schon richten werde. Also ein bedingungsloses Zutrauen in den Markt, das vollkommen unangebracht ist.
Genau. Es wird so getan als sei die Herstellung guter Wettbewerbsbedingungen auch schon eine Erfolgsgarantie. bzw. die Garantie dafür, dass benötigte Gebrauchswerte zur Verfügung stehen. Die Glaube kann noch so oft praktisch widerlegt werden und trotzdem werden daraus keine Schlüsse gezogen. Selbst die USA wissen, dass in Krisenzeiten der freie Markt auch mal außer Kraft gesetzt werden muss.
Der “Pull-Effekt” für Flüchtlinge besteht generell darin, daß die EU kriegsfreie Zone ist und ökonomisch um einiges besser aufgestellt ist als die Staaten Afrikas, Afghanistan usw.
Damit wirbt die EU auch und hat ja einmal, fast vergißt man es, einen Friedensnobelpreis erhalten.
Alle anderen Pull-Effekte sind erfunden, oft richtig kontrafaktisch.
Der “Push-Effekt” wäre dann gegeben, wenn es in der EU auch so zugeht wie z.B. in Afghansitan – dann würden die Leute woanders hin flüchten.
Ich bezweifle aber, daß Leute wie Frau Edstadler diese Lösungsmöglichkeit andenken.
Zur Ökonomie in der EU
Europa ist als Konkurrenzveranstaltung autonomer Staaten, auf deren Einstimmigkeit es letztendlic beim Entscheiden dann ankommt, so verfasst, dass alle Staaten deswegen dort mitmachen, weil sie sich davon nationalen Zugewinn erwarten.
Umgekehrt in Krisenzeiten: Dass die Krisenfolgen einerseits so begrenzt werden, dass das eigene Geschäft möglichst wenig betroffen gemacht wird, andererseits sollen die ökonomischen Schadensfälle aber trotzdem möglichst auswärts stattfinden. Also gibt es ein Gerangel, ob Flugzeugfabriken in Hamburg oder in Toulouse still gelegt werden.
Das scheint mir weniger eine Problematik von Ideologien über Neoliberalismus zu sein, sondern davon, ob dem EU-Gesamttladen aufgeherrscht werden kann, dass er zustimmen muss, wenn sich ein Staat was herausnimmt, z.B. irgendeine neue Klitsche subventiniert. Ggf. sind dann Kompensationen oder sonstige Extra-Erlaubnisse fällig. Das wird inner-europäisch ausgekungelt, und dann kriegt irgendein ansonsten meckernder Staat irgendein neues Wissenschaftsinstitut zugebilligt, damit er zustimmt. (Ein Meeresinstitut auf Zypern, beispielsweise… Oder die Drohung von Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Oder eben diese.)
Die Konkurrenzlage weltweit ist übrigens die nächste Hürde. Im letzten Jahr haben sich die Flugkonzerne bzw. deren Staaten wechselseitig mit Milliarden-Klagen plus Verboten wegen Wettbewerbsnachteilen auseinander setzen müssen. Der Übergang von Konkurrenz-Ökonomie zu Strafmaßnahmen ist dann anscheinend immer wieder mal fällig. Der Inhaber der Weltmarkt-Währung Dollar tut sich da eh leicht.
(Schade, dass TG sich nicht mehr gerührt hat.)
Ob die Ideologie dazu Neoloberalismus lautet, oder Keynsianismus, beides Deutungen aus der Vergangenheit, – das ist mir weniger wichtig als der Hinweis auf die ökonomische Konkurrenzlagen der europäischen Nationen untereinander im Krisenjahr 2020.
—
Lesetipps:
a) https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/zu-einigen-neueren-fortschritten-konkurrenz-staaten
b) Zum Begriff des Imperialismus (Kritik an Rosa Luxemburgs Thesen)
https://www.contradictio.de/blog/archives/7910
c) Welt – Kredit in Corona-Zeiten
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltgeld-gegen-corona-krise
@Kehrer und Leser
Das, was Kehrer und viele andere als neoliberale Ideologie bezeichnen – der Markt richtet alles! – stand Pate bei der Einrichtung der EU.
Zurück zu einer staatlich gelenkten Wirtschaftspolitik wie zu Zeiten des Kalten Krieges, als die Systemfrage anstand, wollen die EU-Staaten nicht mehr, weil das wäre ja eine praktische Widerlegung ihrer derzeitigen Staatsräson und eine Aufgabe ihrer Weltmachtsambitionen.
Also ist Wunschdenken (“Ermöglichen” soll soviel sein wie “Schaffen”) und Krisenkonkurrenz angesagt.
Die Selbstzerfleischung der EU läuft täglich vor aller Augen ab.
Die ökonomische Krise und die zugehörige Entwertung auswärts stattfinden zu lassen, hat natürlich nichts mit Neoliberalismus zu tun – das hat aber auch niemand behauptet. Ich sage ja nicht, dass man aus der Kritik des Neoliberalismus einen Drübersteher-Standpunkt basteln soll und alles was einem theoretisch unter die Fuchtel kommt mit Neoliberalismus erklären soll. Aber dort wo diese kapitalistische Ideologie wirksam ist, soll man es auch sagen (dürfen). Es gibt eben Geschäftssphären, die äußerst schwierig privatwirtschaftlich betrieben werden können und wenn sie es dennoch werden an anderer Stelle Friktionen verursachen, die ebenfalls nicht gewünscht sind z.B. sozialer Wohnungsbau, den es nicht mehr gibt und die Privatisierung von Krankenhäusern und private Pflegedienste, medizinische Leistung, die sich an öffentlichen Kassen bedienen und die Kosten für Krankenkassen in die Höhe treiben. Am Ende zahlt das alles die Arbeiterklasse bzw. der Wert der Ware Arbeitskraft wird gesenkt, weil die höheren Kosten durch die private Gewinnrechnung (ohne Klassenkampf von unten) nicht in den Wert der Ware Arbeitskraft eingehen. Offenbar ist das genau der Zweck.
Es wird ausgetestet, wie weit man gehen kann bevor es zu Protesten kommt, die das Kapital nicht ignorieren kann.
Letzteres mag sein.
Das sehe ich in zweifacher Hinsicht anders. 1. Neoliberalismus i s t ja nicht nicht die Abwesenheit von staatlich gelenkter Wirtschaftspolitik, sondern der bewusste R ü c k z u g aus einigen Bereichen und damit natürlich sehr Wohl staatliche Wirtschaftspolitik. Auch das Schaffen von Bedingungen für die Ökonomie ist ja nicht die Abwesenheit staatlicher Lenkung. 2. Ökonomie oder Wirtschaftspolitik ist keine Wissenschaft, insofern kann durch ein Änderung von Politik nichts “praktisch widerlegt” werden.
“Praktisch” findet übrigens gerade genau das Gegenteil dessen statt, was die Staaten mit der Gründung der EU ursprünglich herbeiführen wollten. Statt allgemeine Prosperität durch Öffnung der Märkte und Abschaffung von Handelshemmnissen, werden gerade Weltweit wieder Zölle und Handelsschranken aufgerichtet. Wenn schon dann agieren sie gerade praktisch selbst gegen ihre ursprünglich Absicht und zwar wegen ihrer Weltmachtambitionen und nicht weil sie diese aufgeben. Insofern halte ich die Verknüpfung von Neoliberalismus und dem Zweck der EU nicht für stichhaltig. EU geht sehr wohl auch ohne diese Ideologie.
Von den GKN gibt es einen älteren Text (der ‘Jungen Linken’) zur Kritik des Begriffs des “Neoliberalismus”. Voila:
“(…) D i e ␣S c h w ä c h e ␣d e r ␣K r i t i k : ␣S i e ␣i s t ␣f a l s c h . — ␣U n d ␣z w a r ␣v ö l l i g . ␣ (…)”
https://gegen-kapital-und-nation.org/media/pdfs/de/neoliberalismus-was-soll-das-denn-sein.pdf
Pate bei der Gründung der EU sol dieser Begriff gewesen sein? Nein.
Auch dazu empfehle ich die Lektüre des o.g. Skriptes…
Vorwürfe gegen Ankara
Hat die Türkei Söldner aus Syrien nach Aserbaidschan geschickt? International Besorgnis über Eskalation des Berg-Karabach-Konflikts
Von Reinhard Lauterbach
Die neuen und offenbar umfangreichen Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan haben international Besorgnis ausgelöst. In seltener Einigkeit riefen von der Bundesregierung über Russland, China und den Anrainerstaat Iran bis Usbekistan, das aktuell den Vorsitz in der GUS führt, Staats- und Regierungschefs die kämpfenden Parteien auf, die Gewalt einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Anzeichen, dass dem Folge geleistet wird, gibt es jedoch bislang keine. Die armenische Seite teilte am Montag morgen mit, in der Nacht seien mehrere Dörfer in Berg-Karabach, die aserbaidschanische Truppen am Sonntag besetzt hatten, zurückerobert worden. Armenien sprach von etwa 200 gefallenen aserbaidschanischen Soldaten, Aserbaidschan von 550 getöteten Armeniern. Jede Seite wies die Darstellung der anderen zurück. Die Behörden des international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach räumten 31 Gefallene auf eigener Seite ein.
Aserbaidschan bezeichnete Armenien als »Terrorstaat«, der Aktivisten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bewaffne und sie im besetzten Aserbaidschan gegen die Zivilbevölkerung einsetze. Das ist nur begrenzt glaubhaft, weil im Gefolge des Krieges von 1991 bis 1994 die meisten Aserbaidschaner aus den während dieses Krieges von Armenien besetzten Gebieten geflohen sind. Aserbaidschan machte auch keine Angaben, wo die behaupteten Gewalttaten passiert sein sollen.
Armenien erhob unterdessen den Vorwurf, die Türkei unterstütze Aserbaidschan erstmals auch unmittelbar militärisch. Es seien türkische Jagdbomber des US-Typs F-16 am Himmel beobachtet worden, die zuvor gemeinsame Manöver mit der aserbaidschanischen Armee durchgeführt hätten, erklärte das Verteidigungsministerium in Jerewan. Auch Kampfdrohnen des türkischen Typs Bayraktar seien abgeschossen worden. Armenien wiederholte auch frühere Vorwürfe, Ankara habe etwa 1.000 Söldner aus dem noch von Gegnern des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad kontrollierten Nordwesten Syriens zum Kampf auf aserbaidschanischer Seite rekrutiert.
Diese Darstellung wurde auch von dem in Opposition zum türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan stehenden Nachrichtenportal ahvalnews. com aufgegriffen. Sie berief sich auf Meldungen der in London angesiedelten oppositionsnahen »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte«. Sachliche Beweise für diese Behauptung, etwa in Gestalt gefangener oder gefallener Syrer, legte die armenische Seite nicht vor. Russische Medien übernahmen die Berichte, offizielle Stellungnahmen Moskaus in diese Richtung gibt es bisher aber nicht.
Erste Kommentare in internationalen Medien bringen sie Sorge zum Ausdruck, dass der Konflikt länger dauern könnte. Sollte das Kriegsgeschehen das armenische Kernland ergreifen, dann, so wird vor allem befürchtet, ständen Russland und die Türkei wegen ihrer Bündnisse im Kaukasus auf gegensätzlichen Seiten.
“Mit allen Möglichkeiten an der Seite der aserbaidschanischen Geschwister”
Armenien vs. Aserbaidschan: Greift Erdoğan in den Krieg ein?
Südkaukasus vor Großkrieg?
Unterstützt von der Türkei starteten aserbaidschanische Truppen einen Großangriff gegen die armenische Region Nagorny-Karabach
Enthüller des Tages: Dmitri Muratow
Von Reinhard Lauterbach
Der »Zivilgesellschaft« und ihrer Öffentlichkeit wird ja immer ihre Vielfalt zugute gehalten. Man kann lange darüber diskutieren, ob das eine zutreffende Beschreibung ist, oder ob nicht doch das Motto des Staatswappens der USA die Richtung angibt: E pluribus unum – frei übersetzt: viele Quellen, eine Botschaft. Ein Vorteil dieses freien Herumgeredes ist jedenfalls, dass die Propagandisten sich in ihrem Enthusiasmus manchmal auch um Kopf und Kragen reden.
So letzten Freitag im wöchentlichen Rundbrief des für an Russland Interessierte gedachten Portals »Dekoder«. Eine renommierte Adresse, das Team Träger des Adolf-Grimme-Preises, die Beiträge jederzeit zitierfähig. Verlinkt wurde auf eine Sendung des liberalen Moskauer Radios Echo Moskwy. Dort war in einer Talkshow Dmitri Muratow zu Gast, Chefredakteur von Russlands liberalem Leitmedium, der Nowaja Gaseta. Muratow hatte die Absicht, einen von den staatlichen Medien häufig zitierten Experten unmöglich zu machen: Leonid Rink, Chemiker und einst an der Entwicklung und Synthese des sogenannten Nowitschok-Gifts beteiligt. Dieser Rink habe, so Muratow, vor 20 Jahren selbst zugegeben, sich ein paar Ampullen »Nowitschok« aus dem streng bewachten Entwicklungslabor mitgenommen und sie in seiner Garage gelagert zu haben. Eine davon habe er an einen örtlichen Mafioso verkauft, drei andere an die CIA. Und einem so abgrundtief verkommenen Menschen gebe das Staatsfernsehen eine Plattform, empörte sich Muratow.
Was Muratow in seinem Eifer nicht bemerkte: Er hatte damit einen zentralen Punkt des westlichen Narrativs in Sachen Nawalny über den Haufen geworfen, dass nämlich jenes »Nowitschok« einzig in den Hochsicherheitsgiftschränken des russischen Geheimdienstes lagere und deshalb nur dieser für den Anschlag auf Nawalny verantwortlich sein könne. Treffer, versenkt.
Putin schlägt Trump ein Abkommen vor, wechselseitig nicht in die inneren Angelegenheiten einzugreifen
Zum Abschluss der großen Militärübung Kavkaz-2020 und unter dem Druck der Nawalny-Vergiftung sowie der anstehenden US-Präsidentschaftswahl wirbt Putin für ein Friedensabkommen im Cyberspace
Washington ausgeliefert
Gutachten: Berlin kann sich völkerrechtlich nicht gegen US-Sanktionen wehren
Nach Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages gibt es kaum Möglichkeiten, mit dem Völkerrecht gegen die von den USA wegen der Ostseepipeline »Nord Stream 2« verhängten Sanktionen vorzugehen. Solange diese »maßvoll« blieben und sich die USA auf den »Schutz nationaler Sicherheitsinteressen« beriefen, könne »das Völkerrecht dem Ergreifen von extraterritorialen Sanktionen nur wenig entgegensetzen«, heißt es in einem Gutachten, das die Abgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) in Auftrag gegeben hatte. Zudem könnten die beschlossenen US-Sanktionen durch Ausnahmeklauseln im Freundschaftsvertrag oder durch Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) gerechtfertigt werden, wird in dem Gutachten argumentiert. Es bestünde auch kaum eine effektive Möglichkeit für Deutschland, einen etwaigen Verstoß auf internationaler Ebene gerichtlich geltend zu machen – denn dafür sei stets eine Mitwirkung der USA erforderlich. Die von den Vereinigten Staaten vorgetragenen Argumente zur Gefährdung der nationalen Sicherheit könnten zwar als vorgeschoben empfunden werden, seien aber letztlich »Ausfluss eines politischen Ermessensspielraums, der sich praktisch kaum justitiabel machen lässt«.
Dagdelen forderte die Bundesregierung dennoch zum Handeln auf. Sollten die angekündigten US-Strafmaßnahmen zur Blockade von »Nord Stream 2« tatsächlich umgesetzt werden, müsse sie »gegen die extraterritorialen US-Sanktionen vor dem Internationalen Gerichtshof vorgehen«, sagte Dagdelen der Nachrichtenagentur AFP. Nach ihrer Überzeugung sollte Deutschland klären lassen, ob die USA bereit sind, die Streitigkeiten einem Schiedsgericht oder einvernehmlich dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, die Bundesregierung habe »starke Zweifel« daran, dass solche extraterritorialen Sanktionen mit dem Völkerrecht vereinbar seien. Das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste werde die Regierung nun »genau prüfen und auswerten«. (AFP/jW)
Bild-Zeitung attackiert politischen Flüchtling aus der Ukraine
Oleg Musyka, der den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 nur mit Glück überlebte, wird von der “Bild” in einem großen Artikel als “Kreml-Agent” diffamiert und der Wühlarbeit “gegen den Westen und die Nato” bezichtigt
Der Text kritisiert nicht den Begriff Neoliberalismus, sondern sagt Neoliberalismus als Kritik sei eine verkehrte Kritik. Das ist was anderes. Es ist ja nett, wenn du solche Links postest. Noch besser wäre aber wenn du die Argumente aus diesem Text die deiner Meinung nach gegen die Beiträge sprechen anführen würdest und das zusammen puzzeln was an dem Text eigentlich für die Diskussion relevant ist nicht mir überlassen würdest.
Was denn? Das ist die Kritik an der Politik des Neoliberalismus, die es ja tatsächlich gibt, wie die Autoren konstatieren, dass der Begriff nicht passt, schlecht gewählt ist, weil die Politik einen anderen Inhalt hat als irgendwie freiheitlich zu sein. Echt jetzt? Ihr kritisiert an einer Ideologie, das ihr Name nicht der Wahrheit entspricht, sie also nicht schon im Namen als Ideologie kenntlich macht. Ich würde das als Charaktereigenschaft einer Ideologie bezeichnen, dass ihr Name die Sache leicht bis heftig beschönigt.
Eben. Es geht um das wie des Sparens an Sozialausgaben, was bestätigt und nicht widerlegt, dass es sich beim Neoliberalismus nicht um einen Sachzwang sondern eine Ideologie handelt.
Ja vielleicht. Kommt halt auf die Kritik an. Dass man aber Neoliberalismus nicht kritisieren darf, weil man sich dabei vielleicht dem Verdacht aussetzt Wasserträger der Reaktion zu sein, ist nicht nur eine verkehrte Schlussfolgerung, sondern auch ein Maulkorb.
Der Text ist, wie dargelegt, etwas älter. Unter der o.g. Zwischenüberschrift findet sich dort:
“Der Staat zieht sich nicht zurück. Märkte fallen nicht vom Himmel, ohne die staatliche Garantie z.B. des Privateigentums gibt es sie gar nicht. Keineswegs sind der Umbau des Sozialstaats oder die Deregulierung ein Rückzug des Staates. Die Reformen der Regierungen Reagan/Bush, Thatcher/Major und Kohl sind gerade nicht einfach ein Verschwinden des Staates aus bisher hoheitlich von ihm verwalteten Bereichen, sondern eine Durch-Staatlichung zur Einführung marktförmiger Mechanismen. Joachim Hirsch ist, bei allem berechtigten Gemecker an seinem Buch, zuzustimmen: “So kann generell von einem ‘Rückzug’ des Staates aus der Gesellschaft keine Rede sein, auch wenn sich die Formen staatsadministrativer Regulierung erheblich verändern, also z.B. polizeiliche Überwachung an die Stelle materieller Sozialleistungen tritt, private Schulen subventioniert statt staatliche errichtet werden, oder wenn statt einfacher Ge- und Verbote im Umweltschutzbereich staatlich regulierte Marktmechanismen eingesetzt werden”.
Als weiteres Beispiel seien die Hartz-Gesetze genannt, auch dort fällt inzwischen ja sogar deren Fans auf, wie sehr ein riesiger Wust an neuen staatlichen Verordnungen und Regulierungen geschaffen worden ist. (Interessant auch im Joachim Hirsch-Zitat seine treffende Charakterisierung der Umweltpolitik, – auch die derzeitige Umwidmung der [kapitalistischen Umgangsweise mit] Natur in angeblich klimafreundliches angeblich potentiell “grünes Kapitalwachstum” wird penibelst von neuen Verordnungen und Regulierungen begleitet.)
Die verbreitete linke Kritik am angeblichen “Neoliberalismus”: “Die Politik sei neoliberal, der Staat müsse wieder alles zurück in die Hände nehmen,” ist deswegen keine gescheite Kritik, weil sie den bürgerlichen Staat gar nicht trifft. Der zieht sich nämlich gar nicht zurück.
Übrigens – erst recht nicht im Corona- und Krisenjahr 2020 …
Das Argument deines ersten Zitats aus dem Text habe ich ja oben auch gesagt, deshalb ist mir erst recht nicht klar warum du es anführst. Oder sollte das eine Bestätigung sein? Dann hätte ich aber erwartet, dass du dich darauf beziehst.
“Der zieht sich nämlich gar nicht zurück.” Wie gesagt einerseits ja, und wie gesagt hab ich das oben ja auch schon geschrieben. Andererseits aber nein. Nein, weil als ökonomisches Subjekt, das den Wohnungsbau irgendwie managt, Krankenhäuser betreibt, Telefon und Postbeförderung betreibt, zieht er sich schon zurück. Was natürlich nicht heißen soll dass er sich auflöst, sondern sich quasi auf seine Kernkompetenz “das Gewalt ausüben! oder Vorschriften machen besinnt. “Neoliberalismus” eben deswegen, weil die Wirtschaft quasi von den Fesseln staatlicher Einschränkungen befreit wird. Die Wirtschaft soll freigesetzt werden, die vorher sozusagen nur mit angezogener Handbremse wirtschaften konnte. Was natürlich objektiv Blödsinn ist. Denn der staatliche Betrieb einiger Bereiche der Ökonomie war ja im Gegenteil dazu gedacht eine unrentable Sphäre wegen ihrer sachlichen Notwendigkeit für die Ökonomie zu betreiben ohne die Wirtschaft mit den Kosten zu belasten. Oder anders sie als Dienstleistung für die Wirtschaft zu betreiben weil ein privater Betrieb nicht oder wenig lohnend erschien.
Es gehr in Europa nicht um Ideologie, im Sinne, dass “die Wirtschaft quasi von den Fesseln staatlicher Einschränkungen befreit wird”, sondern darum, die Zahlungsfähigkeit der anderen Nationen für die eigene Ökonomie möglichst ausnützen zu wollen: freier europäischer Binnenmarkt heißt da die Parole. Und für diesen ‘freien europäischen Markt’ wird nicht weniger Staat angewandt, sondern oft mehr, nun eben auf europäischer Ebene, um ermöglichen zu können, dass auch alle 28 Nationen möglichst gleiche Marktzugänge zum europäischen Markt bekommen sollen. Wird das national nicht so gesehen, dann ergeht es der EU so wie letztens schon mit dem Brexit, wo eine Nation ihr nationales Vorankommen eben eher außerhalb der EU vermutet hat. Es geht bei der EU also nicht um die Ideologie des Neoliberalismus, sondern um nationales europaweites Ausnutzen von weiteren 27 Nationen. [Das mag auch eine Kalkulation auf Vergrößerung nationaler [imperialist.] Weltmachtgeltung sein, – falls eine Nation ökonomisch sich europäisch eher nur benutzt und bevormundet vorkommt… Ach das Militärische und Geldmarktmäßige wird staatlich minutiös durchgeplant, – dass es vermutlich eher der Sau graust als dem bösen Russen….]
Dass das Ausmessen von Gurkenkrümmungen zwecks Vereinheitlichungsstandards auf dem europäischen Markt kein angeblicher “Rückzug des Staates” sei, – das mag ja dafür meinetwegen ein eher blödes Beispiel sein ….
Noch einmal: “Neoliberalismus”, das ist von vorne bis hinten eine verkehrte Ideologie über den Kapitalismus 2020.
Da keimt bei mir der Verdacht auf, dass du keinen Begriff davon hast, was Ideologie eigentlich ist. Ideologie ist nicht die Wahrheit einer Sache, sondern ihre Rechtfertigung. Eine Ideologie ist ein Narrativ, das eigentliche Sache beschönigt und sie so rechtfertigt. Nötig ist eine Ideologie, also eine von der Sache getrennte Rechtfertigung, weil die zu Grund liegende Sache ein großer Haufen Scheißdreck ist. Wäre die Sache ein Haufen Gold, bräuchte man schließlich keine von der Sache getrennt Rechtfertigung. Die Rechtfertigung würde in der Sache selbst liegen.
Beides musst du auseinanderhalten und gleichzeitig aufeinander beziehen. Das vermisse ich aber bei dir, wenn du mir damit kommst die Ideologie, also die Rechtfertigung sei nicht die Wahrheit der Sache. Der Fehler ist, dass du beide Seiten der Medaille gegeneinander hältst statt zu erkennen, dass es sich um eine Medaille handelt mit zwei Seiten.
“Es geht nicht um Ideologie” Natürlich geht es nicht um Ideologie. Das liegt im Begriff der Ideologie. Es geht nie um Ideologie. Eine Ideologie ist ja schließlich nur die Rechtfertigung dessen, worum es eigentlich geht.
“sondern darum, die Zahlungsfähigkeit der anderen Nationen für die eigene Ökonomie möglichst ausnützen zu wollen” Genau darum geht es. Bloß sagen tut das keiner. Und dreimal darfst du raten, warum das keiner sagt. Weil es wie oben erwähnt ein großer Haufen Scheißdreck ist. Oder vornehmer ein ziemlich unverschämtes, verabscheuungswürdiges Ansinnen andere Ausnützen zu wollen. Deshalb braucht es eine Ideologie die dieses Ansinnen positiv formuliert. Statt also zu sagen: Wir wollen eure Zahlungsfähigkeit für das Verscherbeln unserer Waren benutzen. Sagen sie: Wir wollen die Markte liberalisieren und von staatlichen Handelsschranken befreien zu beiderseitigen Nutzen. Natürlich hat keine Nation den Nutzen der anderen im Sinn, sondern nur den eigenen.
Und nochmal: “Rückzug des Staates” bezieht sich eben auf etwas anderes. Nämlich dass er bestimmte an sich wenig rentable Spähren als ökonomisches Subjekt betrieben hat, weil sie wichtig für das Geschäft insgesamt sind. Also muss man immer ergänzen “Rückzug des Staates als ökonomisches Subjekt”. Dass er sich als Staat nicht zurückzieht ist doch eh klar. Das behauptet auch niemand und lockt auch niemand hinter dem Ofen vor. Es wird niemand sagen: Ach der Staat zieht sich gar nicht zurück? Was für ein Skandal! Dann muss ich ja doch Kommunist werden.
Das ganze Gequatsche von dir dient nur dazu, dass du deine Lieblingsphrase “Neoliberalismus” retten willst.
Wie üblich fallen dir dafür diverseste Nebengleise ein.
Super “Argument”. Bravo!
Ehrlich, wenn du deine eigenen Links nicht verstehst, halt lieber die Klappe. Das ist ja peinlich.
Danke, Meister. Dass Ihr mir sagst, was ich zu tun habe.
Und danke für Ihre Lieblingsphrase “Neoliberalismus”.
So kommt die Erkenntnis des Kapitalismus in Meilenschritten voran!
Anscheinend hab ich dir auf den Schlips getreten, deshalb lenkst du ab und gehst zum Gegenangriff über. Das ist leider nicht ungewöhnlich und sehr durchschaubar. Um nicht über die eigenen Fehler reden zu müssen, kommst du mit der albernen Unterstellung um die Ecke, ich wollte den Neoliberalismus retten. Ab und zu wäre es vielleicht einfach gut die Freund-Feind-Brille abzusetzen. Dann würdest du zur Abwechslung vielleicht mal was begreifen.
Den Neoliberalismus muss ich gar nicht retten, den gibt es als Ideologie ganz ohne mich. Du dagegen willst offenbar nichts auseinanderhalten. Zum einen den Neoliberalismus als Ideologie zweitens einer tatsächlichen Politik und drittens die linke Kritik an dieser Politik mit dem Vorwurf sie sei Neoliberalismus. Offenbar hast du halt keinen Schimmer was Ideologie ist, sonst würdest du nicht die Ideologie mit ihrem Inhalt kritisieren: “Neoliberalismus” Was soll das denn sein? In Wirklichkeit geht es doch um… Meine Güte – als wäre es eine Kritik an der Politik, dass sie nicht sagen was sie meinen. Wenn sie alle Wahrheiten ihres Tuns immer ausplaudern würden, dann bräuchte man wohl kaum darüber nachdenken. Oder?
Letzter Versuch:
“Die neokonservativen Regierungen und Mehrheiten begründen inhaltlich, warum sie so und nicht anders sparen wollen, und warum sie in anderen Bereichen sogar offensiv die Ausgaben erhöhen wollen.“ (Junge Linke, s.o.)
In dem oben zitierten Papier erläutern die JL also, dass Politik nicht nach ideologischen Begriffen, wie z.B. die linke Vorstellung eines ‘Neoliberalismus’, handelt, sondern, dass sie damit aktuelle Probleme des Wachstums – so wie bürgerliche Politiker das sehen wollen – staatsnützlich verändern wollen.
Kommentar von Krim/Kehrer dazu:
“Eben. Es geht um das Wie des Sparens an Sozialausgaben, was bestätigt und nicht widerlegt, dass es sich beim Neoliberalismus nicht um einen Sachzwang sondern eine Ideologie handelt.”
Nein. Das ist zunächst mal die Bestreitung, dass es überhaupt um “Neoliberalismus” bei bürgerlicher Politik geht.
Es ist so darin eine Widerlegung der Vorstellung, es ginge darum, dass weniger Verordnungen, weniger Gesetze, weniger Staat, einzurichten, die Wahrheit über bürgerliche Politik sei. Also ist es verkehrt, der Politik genau dies zu unterstellen. Das tun Linke, wenn sie der Politik unterstellen, sie handele ‘neoliberal’. Diese ihre treffende Kritik an staatsbürgerlichen Linken spitzt die JL dann noch einmal so zu:
“Mit ihrem Feldzug gegen Neoliberalismus machen sich Linke vielleicht nur zu Wasserträgern der Reaktion. „
Krim sagt dazu: “Ja vielleicht. Kommt halt auf die Kritik an. Dass man aber Neoliberalismus nicht kritisieren darf, weil man sich dabei vielleicht dem Verdacht aussetzt Wasserträger der Reaktion zu sein, ist nicht nur eine verkehrte Schlussfolgerung, sondern auch ein Maulkorb.”
Dass man den Neoliberalismus nicht kritisieren dürfe, das sei gar ein Maulkorb, – das ist einer der typischen Taschenspieler-Tricks von Krim. Es ging doch bei JL gerade darum, d a s s man die bürgerliche Politik korrekt kritisiert. Und dafür taugt der Vorwurf, bürgerliche Politik würde so wegen ihrer neoliberalen Ideologie handeln, gar nichts.
Dass Krim an dem Zitat nicht das Insistieren auf korrekte Kritik begreift, und dazu taugt der Vorwurf des Neoliberalismus eben nicht, sondern dass er sogar ein Kritikverbot dort hineinmengen will, zeigt nur, wie er aus der Kritik der falschen Vorstellung, es handele sich beim Kapitalismus um Neoliberalismus, sogar noch die Denunziation der Kritiker des Kapitalismus herausleiern will. Ausgerechnet die JL würde: “einen Maulkorb verpassen.” Als gäbe es gar keinen Unterschied zwischen einer staatlichen Verbots- und Maulkorb-Instanz und einem kritischen Text von JL über die verkehrte Phrase des “Neoliberalismus”.
Und das alles wird dem erstaunten Leser obendrein als korrekte Lesart des JL-Textes präsentiert. Dem ginge es insgeheim um einen Maulkorb für verdienstvolle Kritiker.
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Nachtrag. Eine Vermutung. Warum das Theater?
JL spekuliert in dem verlinkten Text darüber, dass man durch die Benutzung des gängigen Vorwurfes, die Politik handele nach Prinzipien des Neoliberalismus, sich der Gemeinde von Linkspartei-Wählern annwanzen möchte. Dieser Vermutung möchte ich nicht widersprechen. Das haben hiesige Linke gut drauf, ihren Adressaten nach dem Mund zu reden. Dass alles so abstrakt ist, und Banken Gangster seien, muss man hoffentlich nicht auch noch als Charakterisierungen des Kapitalismus gut heißen. Es ginge nicht um profitables Wirtschaften, sondern … um übertriebenes Festhalten an Ideologien, an zu wenig Güte in der Welt und um Verfehlungen bei eigentlich segensreichen Einrichtungen des Zurechtkommens …
All das ist ebenfalls Affirmation und Unkritik.
[Ich bin dann erst einmal weg.]
Herrgott nochmal, warum kapierst du das denn nicht. Ich bin doch e i n i g mit dir, dass es sich um eine Ideologie handelt!!! Das aber mal festgehalten ist es einfach langweilig darauf herumzureiten, dass bei der Politik nicht um Ideologie geht. Weil wenn das so wäre, wäre es schließlich keine Ideologie. Das ist immer so bei einer Ideologie, dass es nicht um die Ideologie geht, weil sie ja schließlich nur die R e c h t f e r t i g u n g dessen ist, worum es wirklich geht.
Was glaubst du denn, warum Linke gegen die Politik sind, die unter dem ideologischen Label “neoliberal” gemacht wird. Weil sie hobbymäßig Staatstehoretiker sind und es nicht leiden können, wenn sich der Staat als ökonomisches Subjekt zurückzieht, oder weil sie die wirklichen Folgen der Politik, die unter diesem Labeln wirklich veranstaltet wird nicht leiden können. Ich würde denken letzteres. Denen fällt nämlich durchaus auf, dass der staatliche Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau z.B. die Mieten in die Höhe treibt, dass die Privatisierung des Gesundheitswesens, dazu führt dass gewinn gemacht werden muss, den die Arbeiterklasse insgesamt und jeder Arbeiter mit seinen Beiträgen zahlt. Die Linken sind doch nicht gegen eine Politikmarotte namens “Neoliberalismus” sondern gegen die Politik, die den Sozialstaat an die funktionalen Erfordernisse des Kapitals anpasst und d.h. die zunehmende Zahl der für die Reichtumsproduktion Überflüssigen billiger verwalten will, ohne dass sie zum Ordnungsproblem werden.
Deshalb weiß ich auch nicht was eine Kritik bringen soll, die darauf hinweist, dass sich der Staat ja gar nicht zurückzieht. Das wissen die Linken auch.
Warum soll das denn ein Taschenspielertrick sein? Das musst erläutern und darfst es nicht bloß behaupten, wenn daraus ein Vorwurf werden soll. Ein Maulkorb ist es deswegen, weil bei GKN schon gar nicht mehr auf die konkrete Kritik ankommt, sondern ein allgemeiner Vorwurf lanciert wird. Wer Neoliberalismus in den Mund nimmt, der macht sich zum Wasserträger der Reaktion. Das ist eine Stigmatisierung und keine Kritik. Warum, wodurch? D a s ist ein Taschenspielertrick. Wer x macht ist y. Das ist die Logik.
Wer weiß was eine Ideologie ist, der geht schon davon aus, dass die Ideologie und die Politik, die mit diesem Label gemacht wird zwei paar Stiefel sind. Was GKN nicht mitkriegt und statt dessen lieber Pinatas verdrischt. Also geht der Hinweis, der Staat würde sich gar nicht zurückziehen ins Leere. Wer also die Ideologie ernst nimmt, sind nicht die kritisierten Linken, sondern GKN. Sonst würde GKN es nicht für eine Aufklärung halten, dass es nicht um Rückzug des Staates geht. GKN überhört quasi dass die Linke den Neoliberalismus als Ideologie kritisiert und tut so als würde sie die ideologischen Titel als die Wahrheit der Sache ernst nehmen.
Der taugt deiner Meinung nur deshalb nicht, weil du den Kritikern des Neoliberalismus unterstellst, sie würden ihn als die Wahrheit der Politik und nicht als Ideologie kritisieren. Das ist aber eine falsche Unterstellung. Die wissen sehr wohl, dass Neoliberalismus bloß die Rechtfertigung einer davon getrennt betriebenen Politik ist. Der einzige der das anscheinend nicht weiß ist GKN. Oder GKN weiß es, und macht es weil GKN “die Linken” blöd dastehen lassen will. Beides keine schmeichelhaften Auskünfte über GKN.
Meine Güte. Dass GKN keine exekutive Gewalt auf seiner Seite hat, ist mir durchaus klar. Gedankliche Maulkörbe kann man aber trotzdem verhängen und das war mein Vorwurf.
Abfuhr für Putin
Krieg im Südkaukasus: Internationale Aufrufe zu Waffenruhe. Armeniens Premier schlägt russisches Vermittlungsangebot aus
Von Reinhard Lauterbach
Am vierten Tag der armenisch-aserbaidschanischen Kämpfe im Südkaukasus wächst die Sorge, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät. Der UN-Sicherheitsrat rief zu einer sofortigen Waffenruhe auf, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte an, einen Vermittlungsversuch zu starten, und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin legte dem armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan bei einem Telefongespräch »maximale Zurückhaltung« nahe. Die Stellungnahme von US-Präsident Donald Trump klang allerdings merkwürdig unscharf: »Wir schauen uns das genau an und werden sehen, ob wir das stoppen können«, zitierte ihn die Nachrichtenagentur Reuters.
Mit seinem Aufruf zur Zurückhaltung holte sich Putin in Jerewan eine Abfuhr. Paschinjan erklärte, Armenien halte die Veranstaltung dreiseitiger Gespräche mit Aserbaidschan und Russland für derzeit nicht angebracht. Verhandlungen bräuchten eine entsprechende Atmosphäre, sagte Paschinjan. Gleichzeitig versuchte er, Moskau unter Druck zu setzen. Es geht dabei um eine russische Militärbasis in Armenien: Der Stützpunkt – etwa 3.000 russische Soldaten sind dort stationiert – sei »integraler Teil des armenischen Sicherheitssystems« und »unter bestimmten Bedingungen« könne es für das Land erforderlich sein, das »Potential dieser Basis zu nutzen«. Zwar lägen diese Voraussetzungen im Moment nicht vor, aber das könne sich schnell ändern. Die Situation sei dynamisch.
Dass die Kommunikationsstrategen in Jerewan Meldungen den richtigen Dreh zu verpassen versuchen, macht die am Dienstag verbreitete und potentiell bedeutsamste Nachricht vom Kriegsschauplatz deutlich. Demnach habe ein türkisches Kampfflugzeug vom Typ F-16 in armenischem Luftraum ein armenisches Bodenkampfflugzeug vom Typ Su-25 abgeschossen. Würde das stimmen, wäre es der erste Nachweis einer aktiven Beteiligung der Türkei auf aserbaidschanischer Seite. Die Regierungen in Baku und Ankara dementierten die Meldung umgehend.
Las sich das zunächst wie ein türkisches Eindringen in armenisches Territorium, kristallisierte sich in späteren arrmenischen Mitteilungen ein etwas anderer Hergang heraus: Insbesondere räumte Jerewan ein, dass die türkische Maschine über aserbaidschanischem Territorium flog und die armenische Maschine auf eine Distanz von etwa 60 Kilometern angegriffen haben soll. Die abgeschossene armenische Maschine flog im Augenblick des Angriffs offenbar in unmittelbarer Nähe zur Grenze mit dem seit Anfang der neunziger Jahre armenisch besetzten Westen Aserbaidschans. Die Sache ist also bei weitem nicht so eindeutig zu beurteilen, wie von Jerewan dargestellt.
Auch an anderer Stelle versucht Armenien, den Ton der Debatte emotional aufzuheizen. So warf die Sprecherin des Außenministeriums Anna Nagdaljan der Türkei vor, mit ihrer Unterstützung für Aserbaidschan an den Völkermord an den Armeniern von Anfang des 20. Jahrhunderts anzuknüpfen.
Bei den Kämpfen setzten beide Seiten offenbar auch schwere Waffen ein. Bilder zeigen Artillerie, Mehrfachraketenwerfer und dergleichen. Armenien und die international nicht anerkannte Republik Berg-Karabach meldeten den Abschuss von fünf gegnerischen Hubschraubern, 49 Kampfdrohnen, etwa 160 Fahrzeugen, darunter Panzern und Schützenpanzern. Aserbaidschan meldete die Zerstörung von 31 armenischen Kampffahrzeugen, 15 Flugabwehrraketenwerfern, 18 Kampfdrohnen und 8 Artilleriegeschützen. Armenische Meldungen, es seien bereits 800 aserbaidschanische Soldaten getötet worden, wurden in Baku dementiert. Angaben zu den eigenen Verlusten machte Aserbaidschan nicht.
Die Behörden von Berg-Karabach räumten den Tod von etwa 100 eigenen Soldaten sowie mehreren Zivilisten ein. Personalprobleme scheinen die armenischen Streitkräfte im Moment nicht zu haben. Allein in Russland meldeten sich nach Medienberichten rund 20.000 dort lebende Migranten aus Armenien freiwillig zum Kriegsdienst.
Aserbaidschanische Armee stößt in den Korridor vor
Rückeroberung Stück für Stück?
Stephan Kaufmann über den kurzen Triumph des Kapitalismus
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1142567.vereinigung-einheit-und-markt-und-freiheit.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Das Zeitalter des Friedens war aber damals schon eine Ideologie. Dem aufmerksamen Kommunisten war eigentlich damals schon klar, dass das Ende des Kommunismus nicht das Ende des Imperialismus ist. Aber gut. Kommunisten haben eben auch vor 30 Jahren schon nicht die öffentliche Meinung bestimmt.
Kämpfe im Südkaukasus (02.10.2020)
Berg-Karabach: Experten fordern stärkere Einflussnahme Berlins im Südkaukasus. Deutsche Rüstungskonzerne unterstützen den Öllieferanten Aserbaidschan.
BERLIN/ERIWAN/BAKU (Eigener Bericht) – Deutschland und die EU sollen die Kämpfe um Berg-Karabach zum Anlass nehmen, um im Südkaukasus intensivere Aktivitäten zu entfalten. Dies fordern Berliner Regierungsberater. Man habe “diesen Konflikt” leider “Russland überlassen”, heißt es bei der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen); das müsse sich ändern. Unterdessen dauern die schweren Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan an. Aserbaidschan wird dabei massiv vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt, das damit seine militärische Expansion fortsetzt; türkische Truppen und von Ankara vermittelte Söldner operieren schon jetzt unter anderem in Syrien, im Irak und in Libyen. Dabei erhält die Türkei weiterhin Rückendeckung aus Berlin, das an einer gewissen Kooperation mit Ankara festhält – aus geostrategischen Gründen. Deutschland arbeitet seinerseits mit Aserbaidschan zusammen, das einer der bedeutenderen Erdöllieferanten der Bundesrepublik ist und dem Energiekonzern Uniper umfangreiche Erdgaslieferungen zugesagt hat. Mit dem Land kooperiert auch die Waffenschmiede Rheinmetall.
“Stärker diplomatisch engagieren”
Deutschland und die EU sollen die aktuellen Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan “als drängenden Weckruf verstehen”, sich in der Region “stärker diplomatisch zu engagieren”: Dies fordert die vom Kanzleramt finanzierte Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[1] Die aktuelle Eskalation zeige, dass es ein klarer “Fehler” gewesen sei, sich “mit dem nur scheinbar eingefrorenen Status des Konflikts zu arrangieren”. Ähnlich äußert sich Stefan Meister, seit 2019 Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) für den Südkaukasus. Meister erkennt lobend an, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe inzwischen mit den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans, Nikol Paschinjan und Ilham Alijew, telefoniert: Dies belege “den Versuch der EU, auf diplomatischer Ebene zu kommunizieren”.[2] Allerdings spiele die Union derzeit “vor Ort keine entscheidende Rolle”, moniert Meister; zentrale Ursache sei, dass man “vor allem Russland diesen Konflikt und dessen Lösung mehr oder weniger überlassen” habe. Aktuell befasst sich der EU-Sondergipfel mit den Kämpfen um Berg-Karabach, die unverändert andauern.
Türkischer Expansionismus
Von den Kämpfen profitiert bislang in besonderem Maß die Türkei. Sie gehört zu den Ländern, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten ihr ökonomisches und inzwischen auch politisches Gewicht gegenüber den Mächten Westeuropas und Nordamerikas erheblich erhöhen konnten – zwar nur auf regionaler Ebene, aber im Kern nicht unähnlich Indien und China. Im Unterschied zu diesen beiden expandiert Ankara jedoch auch militärisch. Türkische Streitkräfte halten weite Territorien Syriens besetzt, operieren im Nordirak und in Libyen, provozieren im Mittelmeer Zypern und Griechenland mit Marineaufmärschen in Gewässern, die diesen gehören oder zumindest umstritten sind. Dabei kann sich Ankara bislang auf eine gewisse Rückendeckung aus Berlin verlassen. Ursache ist, dass die Bundesregierung aus verschiedenen Gründen einiges Interesse daran hat, die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht völlig scheitern zu lassen. Zum einen gilt das Land der deutschen Außenpolitik nach wie vor als Brücke in den Nahen und Mittleren Osten.[3] Zum anderen verlaufen über sein Territorium Pipelines, die als einzige in der Lage sind, Erdöl und Erdgas aus dem Kaukasus und Zentralasien unter Umgehung Russlands in die EU zu transportieren. Darüber hinaus gilt Berlin der Flüchtlingsabwehrpakt mit Ankara als unersetzlich, um unerwünschte Einwanderung zu stoppen.
“Eine Nation, zwei Staaten”
In den Kämpfen zwischen Armenien und Aserbaidschan gelingt es der Türkei gegenwärtig, ihren militärischen Einflussradius erneut auszuweiten. Bereits in den 1990er Jahren hatten die türkischen Streitkräfte begonnen, aserbaidschanische Militärs auszubilden; Nationalisten beider Länder, deren Sprachen eng miteinander verwandt sind, fassen die Beziehungen zwischen der Türkei und Aserbaidschan oft in die Formel “Eine Nation, zwei Staaten”. Im Jahr 2010 folgte der Abschluss eines Abkommens über eine “Strategische Partnerschaft”, die nicht zuletzt gegenseitigen Beistand für den Fall vorsah, dass eines der beiden Länder von Dritten angegriffen werde. Seither haben die Türkei und Aserbaidschan ihre gemeinsamen Manöver stetig intensiviert. Ende Juli und in der ersten Augusthälfte führten ihre Streitkräfte die bisher größten gemeinsamen Land- und Luftmanöver auf und über aserbaidschanischem Territorium durch.[4] Jüngst war sogar der Aufbau eines türkischen Militärstützpunktes in Aserbaidschan im Gespräch.[5] Darüber hinaus liefert die Türkei den Streitkräften des südkaukasischen Landes Waffen; Aserbaidschan hat sich zu einem der bedeutendsten Kunden der rasch wachsenden türkischen Rüstungsindustrie entwickelt. Drohnen türkischer Bauart werden von den aserbaidschanischen Streitkräften mutmaßlich in den derzeitigen Kämpfen eingesetzt. Belegt ist zudem, dass auf Vermittlung der Türkei Söldner aus Syrien nach Aserbaidschan verlegt worden sind. Armenien behauptet darüber hinaus, türkische Kampfjets seien mehrmals in seinen Luftraum eingedrungen; Beweise dafür liegen allerdings nicht vor.[6]
Öl- und Gaslieferant
Eine gewisse Kooperation mit Aserbaidschan liegt auch im Interesse der deutschen Eliten. Ursache ist, dass das Land große Erdöl- und Erdgaslagerstätten besitzt und aus diesen auch Deutschland beliefert. Zeitweise war es fünftgrößter Lieferant; im Jahr 2018 erhielt die Bundesrepublik noch gut drei Millionen Tonnen Öl aus Aserbaidschan, lediglich ein Zehntel der Menge, die ihr Russland verkaufte, aber mehr, als sie aus dem Irak oder aus Saudi-Arabien erhielt. Auch Erdgas wird sie aus dem südkaukasischen Land beziehen. War vor Jahren das Vorhaben gescheitert, eine gewaltige Pipeline aus Aserbaidschan über Georgien und die Türkei bis ans Mittelmeer zu bauen (“Nabucco-Pipeline”), so wird die Route (EU-Fachbegriff: “Südlicher Gaskorridor”) nun von mehreren Teilpipelines abgedeckt, deren längste (“Trans-Anatolian Natural Gas Pipeline”, TANAP) von den Erdgaskonzernen SOCAR (Aserbaidschan) und BOTAŞ (Türkei) betrieben wird; es besteht eine Minderheitsbeteiligung von BP. Geplant ist, noch dieses Jahr aserbaidschanisches Erdgas bis nach Westeuropa zu liefern.[7] Die deutsche Uniper (Ex-EON) hat schon vor Jahren vereinbart, bis 2045 jährlich bis zu 1,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Aserbaidschan zu importieren. Uniper hat dazu eine “langfristige Energiepartnerschaft” mit SOCAR geschlossen.[8]
Rüstungskooperation
Über die Energiekooperation hinaus bestehen weitere Bindungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan. Vor Jahren sorgte für Schlagzeilen, dass Baku Politikern von CDU und CSU auf verschlungenen Pfaden größere Geldsummen hatte zukommen lassen, woraufhin diese dann bemerkenswerte Stellungnahmen im Sinne der autoritär herrschenden Regierung Aserbaidschans abgaben (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Im Juni 2018 wurde bekannt, dass die deutsche Waffenschmiede Rheinmetall eine Absichtserklärung unterzeichnet hatte, mit der sie aserbaidschanischen Regierungsvertretern zusicherte, sie wolle “Möglichkeiten der Kooperation” untersuchen. Zwar besteht seit 1992 ein OSZE-Waffenembargo gegen Aserbaidschan; dennoch teilte das Bundeswirtschaftsministerium zu dem Rheinmetall-Vorhaben mit, der Export von Rüstungsgütern in das Land sei “in Ausnahmefällen” ohne weiteres möglich.[10] Im Dezember vergangenen Jahres traf eine Delegation von Rheinmetall Electronics in Baku ein, um dort, unter anderem in Gesprächen im Verteidigungsministerium, “verschiedene Bereiche einer möglichen Kooperation” zu erörtern; ausdrücklich ging es auch um “Investitionspläne” von Rheinmetall “in der Region”.[11] Die Delegationsreise war von der offiziellen Deutsch-Aserbaidschanischen Auslandshandelskammer organisiert worden. Darüber hinaus verfügen die aserbaidschanischen Streitkräfte schon seit Jahren über Trucks der Marke Mercedes-Benz.[12]
@Kehrer
” Dem aufmerksamen Kommunisten war eigentlich damals schon klar, dass das Ende des Kommunismus nicht das Ende des Imperialismus ist”
Wie auch?! Hat der Imperialismus doch gerade 1989/1990 einen Sieg errungen und Deutschland das Ergebnis des letzten WK revidiert.
Ansonsten: einigen Beiträgen und den Argumenten, wie du auf Einwände eingehst, stimme ich zu.
Owehoweh, was ist denn hier los?
Kaum schaut ein paar Tage nicht nach, so gibt es hier Wildwuchs.
Bitte zum neuen Thread weiterwechseln.
An der ganzen Neoliberalismus-Debatte ist doch dumm, daß angenommen wird, die Welt richte sich nach Ideologien und nicht nach Interessen.
Es ist das Gejammer derjenigen Leute, die an den Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, genannt “soziale Marktwirtschaft”, glauben wollen und vergrämt sind, weil die kapitalistische Politik nach dem Kalten Krieg zurück zu ihren Wurzeln gekehrt ist.
Dem Lauterbach-Artikel kann ich in mehreren Punkten nicht zustimmen.
Wenn Aserbaidschan Berg-Karabach zurückerobern will und Rußland sagt Armenien, es solle sich zurückhalten, so kommt das doch der Aufforderung gleich, Berg-Karabach aufzugeben. Kein Wunder, daß es da eine “Abfuhr” gibt. Ich kann gar nicht so recht glauben, daß Rußland wirklich so ein Ansinnen hatte, oder sich das Außenministerium so ausgedrückt hat, wie das in dem Artikel rüberkommt.
Auch der abgeschossene armenische Flieger weist doch nur darauf hin, daß die Türkei Aserbaidschan unterstützt, und das gibt sie auch selber zu. Also was da nicht eindeutig sein soll, erschließt sich mir nicht.
Rußland versucht seit geraumer Zeit, auch mit Aserbaidschan gut Freund zu sein und sitzt jetzt ein bißl zwischen den Stühlen.