Marokko und die Westsahara, Teil 2

DAS MAGHREBINISCHE KÖNIGREICH

1. Die Dynastie der Alawiden

Die im 17. Jahrhundert an die Macht gekommenen Alawiden sind die älteste Dynastie im arabischen Raum. Ihre Gründer kamen aus dem Hedschas, auch der heutige Herrscher Mohammed VI. führt sich auf die Familie Mohammeds zurück.
Als Zugereiste waren sie nie besonders populär. Sie nutzten aber mit Geschick die Rivalität der verschiedenen Stämme und Städte aus, um nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ an die Macht zu gelangen und dort zu bleiben.
Als machtpolitisch genialer Schachzug erwies sich die Unterstützung der USA in deren Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1777. Bis heute genießt das marokkanische Herrscherhaus die Rückendeckung der USA. Auch während der Besetzung des Gebietes durch Frankreich und Spanien blieben die Alawiden an der Macht. Sie bedienten sich also mit Erfolg der Unterstützung durch auswärtige Mächte, um das Ruder gegenüber der einheimischen Bevölkerung in der Hand zu behalten, Aufstände niederzuschlagen und Bauern zu enteignen. Sie verwendeten im Verlauf ihrer Herrschaftsgeschichte verschiedene islamische Führer-Titel. Nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1956 erklärte sich der bisherige Sultan zum König, und diesen Titel führten seither alle Landesväter.

Sozialistische Experimente gab es in Marokko nie. Geschweige denn liberal-demokratische Strömungen. All das betrachtet die marokkanische Königsfamilie als Gefahr für ihre Herrschaft.

Als der Sozialismus in der arabischen Welt gewisses Ansehen genoß, Allianzen mit der SU, Jugoslawien oder Kuba geschlossen wurden – verknüpft mit den Namen Nasser, Kassem, Ghaddafi u.a. – verbündete sich Marokko mit Saudi-Arabien, um dergleichen auf eigenem Territorium zu unterbinden. Das ist die zweite wichtige außenpolitische Allianz, die auch einen Pol der arabischen Liga ausmacht, und bringt Marokko Investitionen und dem alawidischen Königshaus finanzielle Zuwendungen aus dem ölreichen Königreich der Wüste. Man kann sagen, die Achse oder besser die Zange des Guten umspannt mit diesen 2 besonders reaktionären Monarchien den Maghreb und den Maschrik. Die Position der beiden ist auch global-strategisch von Bedeutung, sie dienen nämlich als mögliche Brückenköpfe möglicher militärischer Interventionen.

2. Der westliche Türsteher Europas

zum Aufhalten der Flüchtlinge ist Marokko.

Bereits 1992, als das Flüchtlingsproblem noch gar nicht groß Thema war, schloß Spanien mit Marokko ein Schubabkommen für Flüchtlinge, die über das Territorium Marokkos nach Spanien gelangen.
Dieses Abkommen wurde im Windschatten des Dubliner-Übereinkommens der EU von 1990 abgeschlossen, das die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die Asylverfahren von Flüchtlingen regelt. In einer gewissen Wechselwirkung beeinflußte es dann die Weiterentwicklung des Florianiprinzips in der EU, wonach innerhalb der EU die Flüchtlinge in dasjenige Land zurückgeschoben werden können, wo sie erstmals EU-Boden betreten haben. Das spanisch-marokkanische Abkommen diente auch als Modell für das zwischen der Türkei und der EU 2016 geschlossene Abkommen zur Unterbindung des Flüchtlingsstroms aus der Türkei.
Die „warmen Rückgaben“ (von lebenden Flüchtlingen, offensichtlich im Unterschied zu „kalten“, also Toten im Sarg), d.h. von Personen, die über die meterhohen, mit Stacheldraht und Messerklingen gespickten Zäune oder schwimmend durch das Meer nach Ceuta und Melilla gelangt sind, haben zweifelsohne eine abschreckende Wirkung und nötigen diejenigen Flüchtlinge, die es auf der afrikanischen Westroute versuchen, zu dem noch gefährlicheren Seeweg auf die kanarischen Inseln. Auch von dort können sie nach Marokko abgeschoben werden, aber das ist aufgrund der größeren Distanz komplizierter, und den Flüchtlingen bietet sich die Möglichkeit, auf den Inseln unterzutauchen oder per Boot auf das spanische Festland zu gelangen. Eine ebenfalls komplizierte und gefährliche, inzwischen von der spanischen und marokkanischen Küstenwache unterbundene Route führte auf die unbewohnte Alborán-Insel im Mittelmeer.
Nach Berechnungen der UNHCR sind seit 1988 mehr als 20.000 Menschen bei dem Versuch ertrunken, nach Spanien zu gelangen. Die Schätzungen sind schwierig, weil drei Viertel der solcherart Verunfallten nie gefunden werden.
Die „warmen Rückgaben“ verstoßen gegen EU-Recht, weil sie den solchermaßen relativ schnell Abgeschobenen ein Asylverfahren verunmöglichen. Spanien läßt sich diese Gefälligkeit Marokkos sicher einiges kosten, und wird von der EU dafür gelobt, wie gut es sein Flüchtlingsproblem handhabt, ohne die EU-Institutionen damit zu nerven.</p>

3. Die große marokkanische Mauer

Um das eroberte Gebiet der Westsahara gegen Guerilla-Überfälle der Polisario zu schützen, begann Marokko 1981 den Bau eines Systems von militärisch überwachten Mauern, die sich zur Behinderung der Bewegungsfreiheit der Polisario-Kämpfer als sehr effektiv erwiesen. Sie sind offenbar weder mit Geländefahrzeugen noch mit Kamelen zu überwinden. Dieses Mauersystem ist angeblich in Summe die längste Mauer der Welt mit 2500 Kilometern Länge.
So kontrolliert Marokko heute praktisch alle größeren Siedlungen, die Küste, die Phosphatminen von Bukra und ungefähr drei Viertel des Territoriums. Mit dem Rest, der sogenannten „Freien Zone“, kann auch die Polisario nicht viel anfangen, vor allem deshalb, weil der größte Teil an Mauretanien angrenzt, wo sie keine Unterstützung genießt.

Das Bemerkenswerte ist, wie viel Marokko in dieses Gebiet investiert hat, das es vorher als herrenloses Land qualifiziert hatte. Die Erlöse aus dem Phosphatabbau decken diese militärischen und administrativen Kosten nicht ab, die Westsahara ist ein gewaltiger Zuschußposten des marokkanischen Budgets. Man kann vermuten, daß ein guter Teil des Geldes, das es von Spanien für Flüchtlingsrücknahme und Fischereirechte erhält, in die Absicherung des Gebietes der Westsahara fließt, in einer Art Nord-Süd-Kanalisation.

Zu den Investitionen gehört auch der Versuch, marokkanische Siedler in das Gebiet zu locken, die sich dann im Falle eines doch abzuhaltenden Referendums mit lauter Stimme zu Marokko bekennen sollen. Das Projekt kommt aber nicht so recht voran. Die Gegend ist doch recht unwirtlich, die beruflichen Perspektiven trostlos und der Andrang endenwollend.

Aber die Frage der Westsahara ist in Marokko Chefsache, darüber gibt es keine Diskussion.

4. Ein außergewöhnlich reaktionärer Staat, inzwischen ziemlich verelendet

Man wird von der europäischen gleichgeschalteten Presse regelmäßig mit Berichten über böse Diktatoren in der muslimischen Welt gefüttert. Saudi-Arabien erhält aber dieses Etikett nicht, obwohl es dort mehr als angebracht wäre.

Ähnlich verhält es sich in Marokko. Um dem Schein Genüge zu tun, es handle sich dort um so etwas wie eine Demokratie, wurde in den 1990-er Jahren ein Parlament eingerichtet, das nichts zu sagen hat. In dieses Potemkinsche Parlament – mit 2 Kammern! – können dann bei regelmäßig stattfindenden Wahlen handverlesene Parteien ihre Vertreter schicken, die dann für Schein-Tätigkeiten ein sicheres Einkommen als demokratisches Aushängeschild genießen.
Die Regierung wird jedenfalls vom König ernannt. Die wichtigsten Organe dieser Regierung sind die Polizei und der Geheimdienst. Der ist sehr aktiv in allen Ländern, wo es nennenswerte marokkanische Exilgemeinden gibt, vor allem Spanien, Frankreich, Holland und Deutschland. Dort sind seine Augen und Ohren überall, in Gestalt zahlreicher Spitzel. Marokko sorgt dafür – in guter Zusammenarbeit mit den betreffenden Staaten – daß sich dort keine Auslandsopposition bilden kann.

Das wichtigste Einsatzgebiet ist jedoch das Inland, wo alle Opposition unter dem Deckmantel „Bekämpfung des Terrorismus“, Sicherung der „nationalen Einheit“ und ähnlichem verfolgt wird. Das trifft kritische Journalisten, Vertreterinnen von Frauenrechten, Demonstranten gegen Polizeiwillkür, Mitglieder der islamischen Bewegung „Gerechtigkeit und Nächstenliebe“, die das alawidische Königshaus nicht als religiöses Oberhaupt anerkennt, und andere mehr. Wie viele politische Gefangene mit geschobenen Verfahren verurteilt wurden oder gar ohne irgendein Verfahren in marokkanischen Gefängnissen schmachten, gefoltert werden und verschwinden, fragt keine nennenswerte internationale Organisation nach. Mohammed VI., ebenso wie sein Vater Hassan II., ist unser Hurensohn und damit basta.

Neben den politischen Verhältnissen befindet sich auch die marokkanische Wirtschaft in einem beklagenswerten Zustand. Und das in einem Land, das über gute landwirtschaftliche Voraussetzungen und auch Traditionen und Techniken verfügen würde, den Boden produktiv zu machen und die Produkte weiterzuverarbeiten. Die Landwirtschaft kann teilweise nicht einmal ihre eigenen Produzenten ordentlich ernähren. Zudem werden auf den besseren Böden oft Cash Crops für den Devisenexport angebaut.
Der internationale Handel und die Häfen haben keine nennenswerte Bedeutung mehr. Hauptsächlich findet Schmuggel von Haschisch über die Meerenge von Gibraltar statt.
Die verarbeitende Industrie drängt nicht nach Marokko. Einzig der Tourismus und in Verbindung damit das Kunsthandwerk haben sich in den letzten Jahrzehnten zur Haupt-Einnahmequelle vieler Marokkaner entwickelt.
Dem hat die Covid-Pandemie ein Ende gesetzt.
Ebenso war ein wichtiger Geschäftszweig Nord-Marokkos der Handel und Schmuggel mit den spanischen Enklaven, das wurde durch Grenzsperren wegen Covid-19 unterbunden.
Diese Kombination von politischer Repression und wirtschaftlicher Trostlosigkeit hat die Flüchtlingsströme verändert. Immer mehr Marokkaner sagen: Nichts wie weg hier!
So kam es vor einigen Wochen zu einem Ansturm von ca. 6.000 Marokkanern nach Ceuta, mit Schwimmreifen und Schlauchbooten legten sie die Strecke zwischen Marokko und den Stränden Ceutas zurück. Die ansonsten in der Ausgangszone in Marokko patrouillierende Polizei hatte sich zurückgezogen, sodaß die Bahn Richtung Ceuta frei war.
Der Grund: Spanien hatte akzeptiert, daß der in Algerien lebende und an Covid-19 erkrankte Generalsekretär der Polisario, Brahim Ghali, zur Behandlung nach Spanien überstellt worden war.

5. Die Sahrauis: Dauerflüchtlinge, Staatenlose und politisch Verfolgte

In der Westsahara leben nach Schätzungen von UNO-Organisationen ungefähr 600.000 Menschen. Wieviele davon nach 1975 eingewanderte Marokkaner und wieviele aus dem Gebiet stammende Sahrauis sind, läßt sich nicht feststellen, da dort weder Volkszählungen veranstaltet werden noch von irgendeiner Seite ein Interesse daran besteht.
Es ist der marokkanischen Führung recht, wenn der Mantel des Unwissens und des Schweigens über diese Gegend gebreitet wird.
Die meisten Bewohner der Westsahara haben keinen Paß und können daher auch nirgendwohin ausreisen. Erstens kostet so ein Dokument einiges und viele können das Geld dafür nicht aufbringen. Außerdem würde das Ansuchen um einen Paß die Anerkennung der Hoheit Marokkos bedeuten, und diesen Schritt wollen viele nicht gehen, die in der Westsahara leben. Die Sahrauis in der Westsahara sind also Staatenlose.

Ähnlich verhält es sich mit den ca. 150.000 Sahrauis, die in 5 Flüchtlingslagern rund um die algerische Stadt Tinduf leben. (Marokkanische Quellen sprechen von unter 100.000.) Jedes dieser Lager ist nach einer Ansiedlung der Westsahara benannt: El Aiun, Smara, Boujdour, Awsard, Dachla. Damit wird der Anspruch angemeldet, einmal in diese Gebiete zurückkehren zu können. Diese Lager werden schlecht und recht über die UNHCR, das Rote Kreuz, den Roten Halbmond und andere internationale Organisationen versorgt.
Algerien legt keinen Wert darauf, den Sahrauis die algerische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Ihr Flüchtlingsstatus soll aufrechterhalten bleiben, als Garant des Rechtsanspruchs auf die Westsahara. Die in Algerien lebenden Sahrauis sind also ebenfalls staatenlos. Sie brauchen auch eine besondere Erlaubnis, sowohl von der Polisario als auch von Algier, um die Zone um Tinduf überhaupt verlassen zu dürfen.

Die Lebensumstände der Sahrauis haben sich seit dem Anschluß der Westsahara an Marokko drastisch verändert. Sie mußten ihre nomadische Lebensweise aufgeben und seßhaft werden. Dadurch wurden sie zu abhängigen Hilfeempfängern. Die Versorgung von Siedlungen in der Wüste ist jedoch sehr aufwendig: Für sehr schlechte Lebensqualität muß viel Geld gezahlt werden. Die Lager werden von der Polisario selbstverwaltet, aber die Versorgung wird größtenteils aus dem Ausland finanziert und geliefert.

Während die Bevölkerung der Lager in Algerien in vor allem mit Naturkatastrophen (manchmal regnet es gewaltig, dann schwimmt alles davon) zu kämpfen haben, kommt es im marokkanisch besetzten Teil regelmäßig zu Demonstrationen, Verhaftungen und dem Einsatz polizeilicher Gewalt. Es gibt keine gemeinsame Ebene, keinen Dialog zwischen den Behörden und den Bewohnern. Mindestens 150 Sahrauis sind in Marokko verschollen.

Die Polisario hält an der Fiktion eines eigenen Staates fest, gibt Geld heraus und betrachtet sich als Regierung der DARS – einer Fiktion, die sich nach Leseart der Führer der Polisario irgendwann manifestieren und zu Wirklichkeit werden muß.

11 Gedanken zu “Marokko und die Westsahara, Teil 2

  1. Krise zwischen Marokko und Deutschland
    Von der Partnerschaft zur Eiszeit
    Marokko und die Europäische Union liegen wegen der Westsahara-Frage über Kreuz. Weil Deutschland die marokkanischen Ansprüche auf das Gebiet nicht unterstützt, ist es zu einem massiven Konflikt zwischen beiden Ländern gekommen. Die deutsch-marokkanische Krise wird langsam teuer – für beide Seiten, wie Hans-Christian Rößler berichtet.

    https://de.qantara.de/inhalt/krise-zwischen-marokko-und-deutschland-von-der-partnerschaft-zur-eiszeit

    Auf dem Spiel stehen u.a. 1,4 Milliarden Euro jährliche Entwicklungshilfe, die Deutschland an Marokko überweist – offenbar als eine Art Anerkennung der Türsteherqualitäten Marokkos. Offiziell sind sie für die Bekämpfung der Covid-Pandemie gedacht, die in Marokko vor allem durch Grenz- und Ausgangssperren stattfindet. Das Geld kann also direkt den Sicherheitskräften übergeben werden, ohne groß gegen den Verwendungszweck zu verstoßen.

    Man kann also sagen, die deutsche Entwicklungshilfe wird größtenteils für die Bezahlung von Polizei und Geheimdienst in Marokko verwendet.

    Wenn Marokko wieder ein paar Wellen von Migranten auf die EU losläßt, oder gar mit der Kündigung des Schubabkommens droht, wird die Entwicklungshilfe schon wieder fließen …

  2. Nachwehen der diplomatischen Krise in Spanien:

    Marokko hält wieder Flüchtlinge vor einem Ansturm auf die spanischen Enklaven ab und verhandelt wieder neu über Fischereirechte. Inzwischen wurde auch ein Vertrag unterzeichnet, nach dem sich Marokko bereit erklärt, 740 Minderjährige zu repatriieren, die im Mai nach Ceuta gelangt sind, als Marokko seiner Grenzpolizei Untätigkeit verordnete.

    Offenbar verlangt die marokkanische Regierung aber eine Untersuchung der Umstände, unter denen Brahim Ghali nach Spanien gelangte, um sich wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung (in einem Spital in Logroño) behandeln zu lassen.

    So stellt sich heraus, daß er weder bei seiner Einreise über den Flughafen von Zaragoza noch bei seiner Ausreise über den Flughafen von Pamplona irgendwelche Papiere vorweisen mußte und in hoher militärischer Begleitung war.

    (El País, 13.8.)

    Es ist schon – analog zur Türkei – interessant, wie Marokko mit einem EU-Mitgliedsstaat verfährt und ihm seine Forderungen ein Stück weit aufnötigt.

  3. Tauwetter zwischen Marokko und Deutschland

    Nach monatelanger Eiszeit erwägt die Regierung in Rabat eine Normalisierung der Beziehungen zu Berlin. Hintergrund ist der Regierungswechsel in Deutschland.

    In der diplomatischen Krise zwischen Marokko und Deutschland zeichnet sich Entspannung ab. Das Außenministerium in Rabat verwies im Kurznachrichtendienst Twitter auf "positive Erklärungen und eine konstruktive Haltung" der neuen Regierung in Berlin. Man hoffe auf eine Rückkehr zur normalen Arbeit der diplomatischen Repräsentanten beider Länder. Das Auswärtige Amt hatte nach dem Regierungswechsel auf seiner Internetseite den Eintrag zu Marokko aktualisiert und spricht nun von einem "zentralen Partner" der EU und Deutschlands in Nordafrika. Marokko spiele eine "wichtige Rolle für die Stabilität und nachhaltige Entwicklung in der Region".

    https://www.dw.com/de/tauwetter-zwischen-marokko-und-deutschland/a-60233822

    Sehr viel Spielraum gibt es nicht: Entweder Deutschland erkennt ebenfalls das Recht Marokkos auf die Westsahara an, gibt also klein bei, oder es beharrt weiter – gegen alle politischen Möglichkeiten – auf einer anderen Lösung, nur welcher?

    In jedem Fall zeigt sich, daß Deutschland nicht mehr die Macht über Grenzen und Annexionen hat, die es sich 1991 angemaßt hat.

  4. Als zweites Land nach den USA
    Israel erkennt Westsahara als Teil Marokkos an

    Israel erkennt die Souveränität Marokkos über die Westsahara an. Damit wird das Land zum einzigen Staat neben den USA, der die Annexion der ehemaligen spanischen Kolonie in Nordafrika durch das Königreich anerkennt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu habe König Mohammed VI. den Entschluss in einem Brief mitgeteilt, teilte der Königshof in Rabat mit. In seinem Schreiben habe Netanyahu erklärt, die Position seines Landes werde "in allen einschlägigen Handlungen und Dokumenten der israelischen Regierung" berücksichtigt.

    Israel bestätigte den Vorgang. Der israelische Außenminister Eli Cohen sagte, die Anerkennung des Territoriums als Teil Marokkos werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern stärken und die regionale Stabilität voranbringen. Das Land werde den Beschluss nun den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen mitteilen. International wird der von Marokko formulierte Anspruch auf die Westsahara bisher von keinen weiteren Staaten anerkannt.

    Normalisierung der Beziehungen unter Vermittlung Trumps

    Israel und Marokko hatten im Rahmen der vom früheren US-Präsidenten Donald Trump vermittelten sogenannten Abraham-Abkommen zwischen Israel und arabischen Staaten ihre diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt. Im Gegenzug für die Normalisierung der Beziehungen zu Israel versprach die Regierung Trumps Marokko im Dezember 2020 die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara.

    (…)

    (Tagesschau, 18.7.)

  5. Anläßlich des Putsches in Niger habe ich die Welt-Uran-Lagerstätten nachgeschaut und siehe da: Die weitaus größten weltweit befinden sich in Marokko, und zwar im alten Teil Marokkos, im Dreieck zwischen Casablanca, Marrakesch und Safi.

    Sie sind zwar festgestellt worden, es gab aber bisher keinen Versuch, an den Abbau zu schreiten. Vielleicht ändert sich das jetzt.
    (Damit dürfte die Westsahara-Frage endgültig entschieden sein … )

  6. Wenigstens ein Artikel, der über das rein Deskriptive und das Jammern über eine unfähige Führung hinausgeht:

    Over 2,000 people killed as earthquake devastates Morocco

    On Friday night, an earthquake in Morocco hit mountainous areas near the city of Marrakech, killing at least 2,000 people and injuring more than 2,000. Of the wounded, over 1,400 are in critical condition, according to Morocco’s Interior Ministry.

    The death toll is tragically expected to rise, as the worst-affected areas are remote mountain villages which rescue teams are struggling to reach due to poor infrastructure and emergency planning. It remains unclear how many more thousands of people may still be buried under the rubble.

    The epicentre of Friday’s earthquake was near Ighil in Al-Haouz Province, roughly 70 kilometres south of Marrakech, Morocco’s fourth-largest city. The 6.8-magnitude quake shook the High Atlas mountain range at a relatively shallow depth of 18.5 kilometres, according to the United States Geological Survey (USGS). It was Morocco’s deadliest earthquake since 1960, when a magnitude 5.8 quake struck near Agadir, killing at least 12,000 people.

    UN officials estimate 300,000 people have been impacted by the earthquake. The quake was felt across Morocco including the coastal towns of Imsouane and Essaouira, 180 and 200 km west of Marrakesh; in the capital, Rabat, 350 km north of the epicentre; and in Portugal and Algeria.

    Most of the deaths were reported in mountainous Al-Haouz and Taroudant provinces. According to the Moroccan Interior Ministry, the death toll reached 1,293 in the Al-Haouz region, 452 in the Taroudant region, 191 in the town of Chichaoua, 41 in the Ouarzazate region, 15 in Marrakech prefecture, 11 in the Azilal province, 5 in the Agadir Ida-Outanane prefecture, 3 in Casablanca province and 1 in the Youssoufia province. The village of Tafeghaghte, 40 miles southwest of Marrakech, was almost entirely destroyed.

    Hospitals in Marrakesh are seeing a huge influx of injured people, and authorities are calling on residents to donate blood.

    The region is located in a well-known earthquake zone and is home to members of Morocco’s Amazigh (or Berber) community. Moroccan King Mohamed VI’s regime has systematically isolated the region to focus on development projects in large cities such as Marrakech and repressed the region’s inhabitants when they protested against this.

    Samia Errazzouki, a research fellow studying Morocco at Stanford University, said: “This region, outside of any natural disaster and on a normal day, is one of the most difficult regions to get to as the infrastructure is so poor. Roads and access to this region are already difficult, before you compound that with difficulties like rubble or problems with the roads. It’s going to take a miracle to get immediate aid there.”

    “These regions have historically been hit with earthquakes, but they have also been marginalised. In moments when people requested, demanded aid, infrastructure and development like in the Hirak movement in 2016, those who do so are thrown in jail,” she added. “On a good day, this region is difficult to access and deprived of basic infrastructure. The hospital system there is abysmal.”

    Anger is mounting over the monarchy’s slow response to the disaster and the inaction of King Mohammed VI, who was at a residence in France when the quake hit. The Guardian noted, “Despite him returning to chair the emergency response meeting, some said vital hours may have been lost due to a need for the palace’s approval and control.”

    As the rescue operation is delayed, residents in many villages are using homemade tools or their bare hands to dig the dead from the rubble. The destruction caused by the quake has left many survivors homeless, shortage of water and food, and other necessary aid as many prepare to spend a third night without shelter.

    From the village of Ait Yahya in Taroudant province, Al Jazeera’s Ayman Al Zubair reported: “There is an air of sorrow among the people, and they expressed fear [about] when aid will arrive for them. … They received some aid in terms of food, but their main demand is a place to stay. The area is also experiencing a shortage of water, and there are dead animals that have not been cremated yet so there are concerns diseases could emerge.”

    A resident from Amizmiz, 55 km south of Marrakesh, told Al Jazeera that all of its inhabitants lost their homes, and that each family is grieving loved ones who died in the quake.

    “We are living in a crisis situation,” another Amizmiz resident told Al Jazeera. “We ask that King Mohamed VI intervene and send us some help because we are living through a traumatic situation,” he said, adding the village lacks electricity, food and other necessary aid.

    A resident of the village of Moulay Brahim, 36-year-old Yassin Noumghar, said: “We lost our houses, we lost people also, and we have slept two days outside. No food. No water. We lost also electricity. We want just for our government to help us.”

    As in the massive February 2023 earthquake in Turkey and Syria, the horrific death toll in the Morocco quake is not primarily a natural disaster, but above all a social disaster rooted in the grotesque social inequality of the capitalist system. With proper, safe building infrastructure, cities can survive even more powerful quakes than the one that struck Morocco on Friday. Only four people died from earthquake damage from the 7.4-magnitude quake in Fukushima in Japan in 2022.

    Over 50,000 died in Turkey in Syria, and thousands more have now died in Morocco, because state authorities ignore basic safety guidelines, and safe housing and infrastructure is not built.

    In Morocco, despite recent earthquakes, many buildings and especially rural homes in earthquake zones are not built to withstand such tremors. This was further underscored when hotel managers in Marrakech, desperate to reassure tourists coming to the city, spoke of the vast difference between the relatively limited quake damage in Marrakech itself compared to the devastation in nearby villages.

    Samuel Roure, who presides over the association of guest houses in Marrakesh, told Le Monde: “[W]hen I see the images of the earthquake and read about Marrakech in the media, I don’t feel like I’m living in the same country. … I’ve been touring the medina since 7:30 a.m. and, of the 10,000 riads (homes and guest rooms) in the city, barely 50 have collapsed.” He added that in Marrakesh, unlike the hard-hit surrounding villages, “the infrastructure is intact, the airport is up and running, and so are the telecommunications, water and electricity networks.”

    With massive public works programs focused on creating essential social infrastructure and strengthening homes, humanity could build earthquake-resistant cities worldwide. However, the capitalist system is incapable of allocating the necessary resources for it, as trillions of dollars are instead spent on imperialist wars and bank bailouts for the super-rich. Stopping needless earthquake deaths requires the international working class in struggle against capitalism, fighting to subordinate private profit to essential social needs.

    (WSWS, 11.9.)

  7. Marokko blockiert Bebenhilfe

    Rabat setzt nur auf die Hilfe weniger Staaten und begründet das mit der schwierigen Koordination. Doch zumindest in manchen Fällen, wie bei Frankreich, ziert sich Marokko aus politischen Gründen

    Am dritten Tag nach dem schweren Erdbeben ist die Opferzahl auf fast 2.500 gestiegen. Mindestens ebensoviele wurden durch die Folgen der Erdstöße der Stärke 6,8 am späten Freitagabend verletzt, und hunderte Menschen werden noch immer vermisst. Hilfe erreicht die Opfer in entlegenen Bergdörfern jedoch nur langsam, Erdrutsche versperren den Weg durch das Atlasgebirge. Marokko hat bisher erst von vier Staaten Unterstützungsangebote angenommen. Diese extrem zurückhaltende Vorgehensweise wurde damit argumentiert, dass sich Mängel in der Koordinierung nachteilig auswirken würden. Daher habe man zunächst "auf die Unterstützungsangebote der befreundeten Länder Spanien, Katar, Großbritannien und Vereinigte Arabische Emirate reagiert", erklärte das Innenministerium. Großbritannien ist mit sechzig Rettungsexperten sowie vier Suchhunden in Marokko, teilte der britische Botschafter Simon Martin mit. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden beteiligt sich. Auf die Hilfsangebote anderer Staaten, darunter Österreich, Deutschland und die USA, wurde zunächst aber nicht zurückgegriffen.

    Frankreich bot Hilfe an

    Auch Frankreich wollte als "Bruderland" den Opfern des Bebens zu Hilfe eilen – schließlich teilt man mit dem ehemaligen Protektorat Geschichte, Sprache und zum Teil auch die Kultur. Die Regierung in Paris hat sofort fünf Millionen Euro bereit- und Rettungsteams zusammengestellt. Losgeflogen sind sie bis heute nicht, denn Hilfe aus Paris ist in Rabat nicht erwünscht. Die Erklärung dafür ist politisch. Der franko-marokkanische Journalist Mustapha Tossa erklärte, schuld sei "in erster Linie" die Weigerung Frankreichs, die Westsahara als marokkanisches Staatsgebiet zu akzeptieren. Mehrere Länder wie Spanien haben die seit Jahrzehnten umstrittene Wüstenregion mittlerweile als marokkanisch anerkannt.

    Paris liegt eher auf der Linie Algeriens, das die Ansprüche Marokkos auf die Westsahara ablehnt. Seit Beginn des Ukrainekriegs setzt Präsident Emmanuel Macron noch stärker als bisher auf die algerische Karte, um auch Öl- und Gaslieferungen zu gewährleisten. Macron hatte die Marokkaner schon 2022 verärgert, als er die Zahl der Visa halbierte. Französische Touristen können dagegen nach wie vor ohne Visum nach Marokko einreisen; viele haben gerade in Marrakesch einen Riad (Stadtvilla) als Ferienresidenz.

    Der marokkanische König Mohammed VI. hat deshalb seinen Botschafter in Paris im Jänner zurückberufen. Zudem ärgerte er sich dem Vernehmen nach über ein Video, in dem er womöglich betrunken im nächtlichen Paris zu sehen ist – obwohl er als guter Muslim keinen Alkohol trinken sollte. Die marokkanischen Zeitungen berichteten keine Zeile darüber, doch via sozialer Medien erfuhren es die Untertanen des Königs trotzdem.

    (…)

    (Standard, 11.9.)

  8. Ein ständig steigender Strom von marokkanischen Migranten kommt nach Spanien – in normalen Schiffen oder in Schnellbooten, die ansonsten von den Drogenhändlern benützt werden.

    Sie stammen alle aus dem Rif, wo es seit den Protesten von 2016 brodelt. Vor allem Al Houcema ist ein bevorzugter Abreise-Ort.
    Diese Migration wird von Marokko begünstigt, um Störenfriede loszuwerden und sich weiter nicht um die Entwicklung dieser vernachlässigten Region kümmern zu müssen.

    (El País, 1.10.)

    Das ganze könnte Experimental-Charakter haben.

    Vielleicht kommen als nächstes die Erdbeben-Opfer aus dem Atlas, die keine Mittel haben, ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen, oder die aufgrund ihrer Erfahrungen doch irgendwo wohnen wollen, wo wenigstens in Krankenhaus in der Nähe und zugänglich ist.

  9. Marokko zieht Immobilien Algeriens ein, möglicherweise sogar das ehemalige Botschaftsgebäude in Rabat. (Beide Staaten haben 2021 ihre diplomatischen Beziehungen aufgrund der Westsahara-Frage abgebrochen.) Allerdings wurden diese Immobilien Algerien in besseren Zeiten – nach der Erlangung der Unabhängigkeit – kostenlos übergeben, es hat also kein Geld dafür hingelegt.

    Der Grund für diesen neuesten Schritt ist, daß Algerien eine Vertretung der marokkanischen separatistischen „Rif-Nationalpartei“ in Algier eröffnet hat.

    Daraufhin erkärte der in Frankreich lebende algerische Raï-Sänger Ferhat Mehenni, der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung der Kabylei ist, offen seinen Dank für die Unterstützung durch Marokko.

    (El País, 2.4.)

  10. Marokko baut jetzt – mit Hilfe ausländischen Kapitals, vermutlich vor allem aus Saudi-Arabien – einen großen Hafen nördlich von Dachla.

    Damit soll 1. den Staaten der Sahara ein Zugang zum Meer geboten werden, damit sie sich besser in den Welthandel einklinken können.

    2. will Marokko damit Einfluß in der Sahara-Region gewinnen und damit Algerien ausstechen bzw. überholen.

    3. will es damit seine Herrschaft in der Westsahara sozusagen zementieren.

    4.  soll damit die Wirtschaft der Westsahara belebt werden, damit die Provinz sich selbst – zumindest teilweise – trägt und sie nicht ein einziger Zuschußposten für die ohnehin nicht sehr gut gefüllte marokkanische Staatskasse ist.

    5. will Marokko mit dieser Perspektive die Saharauris aus Tinduf zur Heimkehr anregen und zur Akzeptanz der marokkanischen Oberhoheit bewegen – und damit das Polisario-Problem in Luft auflösen.

    (El País, 24.6.)

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