Der Imperialismus frißt seine Geschöpfe

VERHAFTUNG SANADERS, RÜCKTRITT DJUKANOVIC’S – WAS IST LOS AM BALKAN?
2 Personen sind in letzter Zeit eher hastig und überraschend von der politischen Bühne abgetreten, die sich lange Zeit des besten Rufes in der westlichen Presse erfreuten, und auch bei den Politikern der EU gern gesehen waren.
Man erinnert sich heute vielleicht gar nicht mehr an die Lobeshymnen, die in den 90-er Jahren und sogar noch bis in dieses Millenium auf Milo Djukanovic ertönten – der einzige demokratische Politiker Ex-Jugoslawiens, vorbildliches Verhältnis zu den Minderheiten, ein mutiger Neinsager zu Milosevics dunklen Plänen, schließlich ein Vorkämpfer der Unabhängigkeit Montenegros … Um Jugoslawien im wahrsten Sinne des Wortes kleinzukriegen, war dieser ehemalige Jungkommunist und spätere Patron des organisierten Zigarettenschmuggels den Politikern der EU hochwillkommen.
Jetzt muß er auf einmal den Hut nehmen, und es ist gar nicht gesagt, daß die Sache damit abgeschlossen ist. Wie man am Nachbarstaat sieht, kann einem noch Schlimmeres passieren.
Ivo Sanader war gut befreundet mit österreichischen Spitzenpolitikern aus ÖVP und FPÖ, und diese guten Beziehungen reichen bis in die Zeit vor der Auflösung Jugoslawiens. Er war eine Art Verbindungsmann der österreichischen Außenpolitik in Zagreb, vor und nach seiner Ernennung zum stellvertretenden Außenminister Kroatiens. Heute, nach seinem tiefen Sturz, werden hämisch Photos Sanaders mit Schüssel, Stoiber und anderen Granden der österreichischen und deutschen Politik veröffentlicht. Sein Amtsantritt zum Premierminister 2003 brachte ihm auch jede Menge Lobeshymnen ein: Er habe die HDZ zu einer „europäischen“ Partei gemacht, und nationalistischen Tudjman-Klimbim ausgeräumt. „Europäisch“ hieß damals wie heute: bedingungslose Unterordnung unter alle Vorgaben der EU, vor allem in wirtschafts-, aber auch in innen- und außenpolitischer Hinsicht, wohingegen alles Sträuben gegen diese Unterordnung als „nationalistisch“ gebrandmarkt wurde.
Erst vor ungefähr 2 Jahren begann das Krachen im Gebälk des guten Einvernehmens.
Was war geschehen?
Stichwort „Korruption“
Man muß vielleicht einmal erwähnen, welchen Inhalt dieser Vorwurf heute hat: Daß diverse Politiker, übrigens nicht nur auf dem Balkan, lügen wie gedruckt, ihren lieben Wählern ein x für ein u vormachen, gezielte Feinbildpflege betreiben und dabei von Zeitungsschmierern und Wissenschaftlern eifrigst Schützenhilfe erhalten – das gilt nicht als „Korruption“. Die völlig durchgesetzte geistige Korruption, die unsere Öffentlichkeit heute beherrscht, wird als angemessene Pflege des Geisteslebens und Selbstverständlichkeit einer Elitekarriere betrachtet.
Korruption hingegen ist, wenn jemand – pfui Teufel! – irgendwo die Hand aufhält und „unrechtmäßig“ ein Bakschisch kassiert. Unter diese Korruptionsvorwürfe fallen die Consulting- und sonstigen Ratgeber-Tätigkeiten, die Ex-Politiker bei diversen Banken und anderen Unternehmen ausüben, ausdrücklich nicht. Das ist vielmehr eine ehrenwerte Sparte des heutigen Geschäftslebens.
Am Balkan hingegen, vor allen in manchen Nachfolgestaaten Jugoslawiens hat es sich seit ihrer Entstehung eingebürgert, daß größere Aufträge, Konzessionen, Immobilienverkäufe im großen Stil und dergleichen nur nach Zahlung von Schmiergeld erteilt wurden und werden. Dieses Öl ins Getriebe brachte lange Zeit allen Beteiligten Vorteile:
Erstens sorgte es dafür, daß eine Politikerkarriere, im Unterschied zum alten Jugoslawien wirklich eine einträgliche Angelegenheit wurde und daher diverse „begabte“ Jungpolitiker, also frische Kräfte, nach oben drängten. Das willfährige Herrschaftspersonal in diesen subalternen Staaten ging also nicht aus.
Zweitens sicherte es Firmen aus der EU, die diese Praktiken nicht nur hinnahmen, sondern aktiv beförderten, einen Konkurrenzvorteil gegenüber solchen aus den USA, und sorgten für die ökonomische „Eingemeindung“ des Balkans.
Drittens erhielten die solchermaßen schmierenden Firmen vorteilhaftere Konditionen als in den eigentlichen Heimatländern des Kapitals. Wenn man diversen Balkanforen glauben darf, so sind Firmen wie Siemens oder die Strabag wahre Vorreiter und Förderer der Korruption auf dem Balkan, mit dem Ergebnis, daß sich Anschaffungen aller Art und Autobahnen für die Staatshaushalte Kroatiens, Albaniens, Montenegros usw. weitaus teurer zu Buche schlagen als vergleichbare infrastrukturelle Projekte in Deutschland oder Österreich. Schmiergeldzahlungen wurden von den Unternehmen also als eine Art Investition verbucht, die erhöhten Gewinn nach sich zog und sich daher amortisierte.
Solches Einvernehmen herrscht in der kapitalistischen Konkurrenz, von ihren Anhängern als freie Marktwirtschaft bezeichnet, immer genau so lange, bis die Sache einmal schiefgeht.
Der de facto-Konkurs der Kärtner Hypo Alpe Adria und die Wellen, die die Affäre bei der Bayrischen Landesbank und darüber hinaus natürlich auch im Kreditwesen Österreichs und Deutschlands verursacht haben, hat zu einem „Umdenken“ in den Führungsriegen der Politik und Wirtschaft verursacht. Die Politik dieser beiden Landesbanken, sich durch feste Schmiergeldzahlungen Politiker und Immobilien einzukaufen und sich dadurch exklusive Einflußzonen zu verschaffen, ist gründlich und vor den Augen einer aufgebrachten Öffentlichkeit gescheitert.
Und auf einmal stellt sich heraus, daß Schmiergeldzahlungen nicht mehr notwendige Investitionen, sondern Abzug vom rechtmäßigen und anständigen Profit sind! HypoAA und BLB sind nicht an dem Projekt, aus dem Nichts Zahlungsfähigkeit zu erzeugen, sich dadurch zu bereichern und damit überhaupt erst einmal einen richtigen Markt für andere Unternehmen zu schaffen, gescheitert, sondern an den widrigen konkurrenzverzerrenden Schmiergeldpraktiken. Sie haben sich mit überflüssigen Zahlungen verausgabt, und dadurch ihre segensreiche Tätigkeit der finanziellen Erschließung des Balkans nicht wahrnehmen können! Und dann geht die übliche demokratische Schuldsuche los, mit der die eigentliche Tätigkeit dieser Banken reingewaschen wird.
Die kroatische Staatsanwaltschaft ist offenbar mit dem an sie gestellten Anspruch, auf einmal dasjenige strafrechtlich zu verfolgen, was bis gestern übliche Praxis war, heillos überfordert. Sanader mußte deshalb erst ins Ausland gelockt werden, um dort verhaftet zu werden – ähnlich wie im Fall des vom Haager Tribunal gesuchten Ante Gotovina im Jahre 2005, dessen Ausreise und Verhaftung in Spanien übrigens von der Regierung Sanader eingefädelt wurde.
Ähnlich in Nöten ist die kroatische Regierung: Sie muß nach Politikern suchen, die kein Schmiergeld genommen haben, was fast unmöglich ist. Die ganze politische Klasse Kroatiens ist in Frage gestellt. Die einzige Chance, die sie hat, ist die, alle Schmiergeldforderungen sofort einzustellen bzw. womöglich mit Aussicht auf Straffreiheit Selbstanzeige zu erstatten und Bestechungsgelder zurückzugeben. Das hingegen ist angesichts der Tatsache, daß mit dergleichen Einkünften bisher gerechnet wurde, tatsächlich existenzbedrohend.
Ähnliches hat Montenegro noch vor sich. Das Abstellen jeglicher „Korruption“ ist inzwischen Bedingung für den EU-Beitritt beider Staaten.
Die Politiker und Unternehmer der EU rechnen sich offenbar aus, daß die günstigen Konditionen für letztere weiterhin fortbestehen und durch politischen Druck erzwungen werden können, ohne zusätzliche Unkosten fürs Kapital.
Für Spannung ist gesorgt.

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