Die EU will weiter wachsen

BALD EIN NEUES MITGLIED: KROATIEN?
Im Standard liest man heute die frohe Botschaft:
„Fast sechs Jahre nach dem Start im Jahr 2005 gehen die Verhandlungen Kroatiens um einen EU-Beitritt in die Zielgerade.“ (Standard Online, 23.5.)
Dieser Satz wirft einige Fragen für den denkenden Leser auf.
Die EU macht ja im Augenblick keine sehr gute Figur. Ein paar ihrer postsozialistischen Mitglieder (Ungarn, Rumänien, Lettland) brauchten 2008 ein Stützungspaket, an dem sie bis heute laborieren, und einige der Eurozonen-Mitglieder der EU stehen derzeit auch in der Unterhose da. Es zeigt sich also, daß Länder, die mit schlechten Voraussetzungen in die Wirtschafts- und/oder Währungsunion eingetreten sind, nicht unbedingt mit einer Verbesserung ihrer Lage rechnen können, sondern womöglich einen ziemlichen Absturz zu gewärtigen haben.
Kroatien gehört eindeutig in diese Kategorie. Es steht nämlich auch nicht sehr gut da. Die Pleite der Hypo Alpe Adria ist nicht nur in Österreich, sondern in Kroatien noch lange nicht bewältigt. Der Bankensektor ist angeschlagen, jede Menge nicht bediente Hypothekarkredite und fehlgeschlagene Immobilienspekulationen belasten die Bilanzen. Der vorige Regierungschef sitzt seit Dezember in Österreich in U-Haft und seine Auslieferung verzögert sich, da gar nicht klar ist, ob er in Kroatien überhaupt vor Gericht gestellt und verurteilt werden kann. Die politische Beseitigung Sanaders und seiner „Netzwerke“ ist jedoch eine – zwar nicht schriftlich fixierte, aber doch deutlich ausgesprochene – Bedingung des EU-Beitritts.
Ökonomisch spricht also einiges gegen einen Beitritt Kroatiens. Zunächst vom Standpunkt der EU. Die EU hat zwar als „Wirtschaftsgemeinschaft“ angefangen, verfolgt jedoch seit geraumer Zeit das politische Ziel, größer und stärker zu werden, auch wenn sich das inzwischen nur mehr auf reine Territorialvergrößerungen bezieht, deren Beitrag zur Stärkung fragwürdig ist.
Auch vom Standpunkt Kroatiens. Es ist noch gar nicht klar, was für Auflagen und welchen Status Kroatien erhalten wird, aber das „Monitoring“ der EU, also die Aufsicht durch EU-Behörden, wird wahrscheinlich noch strenger ausfallen als in Rumänien und Bulgarien. Mit dem Generalvorwurf „Korruption“ hat sich die EU nämlich einen Rechtstitel geschaffen, sehr unverschämt in alle Abteilungen des Rechts- und Sozialstaats hineinzuregieren. Kroatien wird auch das wenige an Zollhoheit verlieren, das es noch hat.
Die Berechnungen der kroatischen Behörden sind von ähnlichem Kaliber wie anderer Staaten, die in ihrer prekären Lage das Anklammern an einen potenteren Partner als eine Art Rettung vor dem Ertrinken sehen.
Sie erwarten Impulse für die Reste ihrer Industrie (Werften, Textil, Lebensmittel), wenn die Zollschranke zur EU fällt. Wahrscheinlich wird das jedoch – wegen verschärfter Konkurrenz und Budgetkürzungs-Forderungen, die die bisherige Subventionierung untersagen – das endgültige „Aus“ für diese Industrien sein.
Sie erhoffen sich einen Aufschwung für ihre Häfen, vor allem Rijeka, wenn sie als EU-Häfen angelaufen werden können. Auch diese Berechnung, so läßt sich vorhersagen, wird nicht aufgehen, da Kroatien selbst als Markt uninteressant ist, die wirklich wichtigen Märkte aber zu weit weg sind. In diesem Zusammenhang ist der Streit mit Slowenien um die Seegrenze in der Bucht von Piran ein wesentlicher Konkurrenzfaktor: Gelänge es Kroatien, seinen Standpunkt durchzusetzen und damit den Verkehr in den slowenischen Hafen von Koper zu beschränken, so könnte es Rijeka wieder ins Spiel bringen.
Kroatien bringt also auch fest Konfliktstoff mit, weil es sich durch die EU-Mitgliedschaft Rückendeckung gegen Slowenien erhofft, dessen wirtschaftliche Prosperität die kroatischen Politiker mit blankem Neid erfüllt und mit dem es noch andere Streitpunkte (Grenzziehung auch zu Lande; eingezogene kroatische Spareinlagen bei slowenischen Banken; die Wartungskosten, Stromerzeugung und -Verteilung des AKWs Krsko, und andere Kleinigkeiten) laufen hat.
Schließlich gibt es noch Zaungäste dieser Beitrittsverhandlungen, die den Beitritt Kroatiens als Aufwertung ihrer Position innerhalb der EU betrachten:
„”Wir sind auf den letzten Metern, und wir wollen dabei helfen”, erklärte Vizekanzler Michael Spindelegger die österreichische Position, die auf raschen Abschluss abzielt. Eine Mehrheit der Staaten unterstützt das. Für den derzeitigen ungarischen Ratsvorsitz ist es sogar ein Herzenswunsch, wäre der Kroatien-Abschluss doch einer von wenigen vorzeigbaren Erfolgen.“ (ebd.)
Ungarn will sich ein Erfolgserlebnis verschaffen, was die derzeitige ungarische Regierung angesichts der trostlosen Wirtschaftslage des Landes dringend nötig hat. Und Österreich will die Zerschlagung Jugoslawiens zu einem Abschluß bringen und seinen Schützling in die EU bugsieren, um seinen ökonomisch-politischen Hinterhof zu konsolidieren.
Von guten Freunden begleitet hinein in den großen Fleischwolf.
Imperialismus heute, und viel Spaß für die Bewohner Kroatiens …

8 Gedanken zu “Die EU will weiter wachsen

  1. “Die EU hat zwar als „Wirtschaftsgemeinschaft“ angefangen, verfolgt jedoch seit geraumer Zeit das politische Ziel, größer und stärker zu werden, auch wenn sich das inzwischen nur mehr auf reine Territorialvergrößerungen bezieht, deren Beitrag zur Stärkung fragwürdig ist.” Das ist erklärungsbedürftig. Um reine Fläche km² kann es kaum gehen. Es geht um wirtschaftliche An- und Einbindung an die EU, Absicherung und Erweiterung des bisherigen Einflusses auf das Land. Der Beitrag eines Landes zur Stärkung der EU ist prinzipiell immer fragwürdig. Gewalten stellen ja bloß die Voraussetzungen für den Erfolg ihrer Ökonomie her. Was draus wird, ist so ohne weiteres nicht abzusehen. Klar kann man sagen von Kroatien ist ein Beitrag zur Stärkung weniger zu erwarten als von Frankreich. Von diesem Standpunkt aus braucht man aber überhaupt keine EU machen. Deutschland hätte es beispielsweise recht schwer Partner zu finden, die an Deutschland gemessen eine Stärkung darstellen. Also geht es um einen Zusammenschluß als Vorausetzung für Konkurrenzerfolge gegen nicht EU-Staaten, was nicht heißt, dass das Konkurrieren in der EU eingestellt wird.
    An Kroatien kann man sehen, dass die EU eben nicht bloß ökonomisch motiviert ist. Es wird nicht gefragt, inwieweit stärkt ein Staat den Euro, die Wirtschaft, den Reichtum und wenn er das nicht tut, dann bleibt er draußen. Gerade an Kroatien kann man sehen, dass nicht wegen Eurokrise ein Beitrittsstop ausgerufen wird, oder wenigstens die Kriterien für einen Beitritt soweit hochgesetzt werden, dass schwache Staaten, wie Kroatien es gar nicht erst in die EU schaffen. Offenbar kennen die Macher der EU höhere Notwendigkeiten oder Maßstäbe, die für die Aufnahme eines Landes sprechen als die Vergrößerung des Reichtums bzw. die Vergrößerung der ökonomischen Potenz der GesamtEU.

  2. Im Grunde geb ich dir natürlich in allem recht.
    Das mit der Stärkung ist so eine Sache. Lange Zeit war es gut für Deutschland, und hat auch die EU wirtschaftlich beflügelt, daß es seine Waren nach Süd- und Osteuropa verscherbeln und dafür gute Euros einstreifen konnte. Und seine Banken dort fest investieren und spekulieren zu lassen. Aber heute ist Zahltag, und die Gewinner der EU müssen ihren Kredit strapazieren, um ihre Währung zu retten.
    Und in dieser Situation ist es zumindestens kommentierungsbedürftig, wenn ein Land aufgenommen wird, von dem man sich ausrechnen kann, daß es, hmmm, eine ähnliche Entwicklung nehmen wird wie Griechenland.
    Die politische Motivation der EU kann man gerade am Balkan schön studieren: Montenegro und Kosovo sind Euro-Zonen, ohne Euro-Mitglieder zu sein. Wie der Euro dort hinkommt, ist mir nicht ganz nachvollziehbar. Vielleicht über die Raiffeisenbank. Ökonomisch ist das bestenfalls eine Investition in die ferne Zukunft, was Gewinn betrifft. Aber politisch wurden diese Länder dadurch der EU angeschlossen.

  3. Ja, das mit der Stärkung ist so eine Sache. Was da die Maßstäbe sind, die neben oder manchmal auch vor den rein ökonomischen für die Macher für die An- und Eingliederung sprechen, das wäre in der Tat noch auszuführen.
    Es stimmte dabei übrigens schon von Anfang an nicht wirklich, was Nestor jetzt als Sichtweise der Macher kolportiert:
    “Lange Zeit war es gut für Deutschland, und hat auch die EU wirtschaftlich beflügelt, daß es seine Waren nach Süd- und Osteuropa verscherbeln und dafür gute Euros einstreifen konnte.” Daß solch eine Ausweitung der Reichstumsproduktion in der BRD wirklich “gute Euros” eingespielt habe, das wird und muß ja jetzt bezweifelt werden.
    Daß größer immer besser ist als kleiner, das ist ja schon die Triebkraft bei kapitalistischen Firmenfusionsprojekten. Und auch da geht das recht häufig letzzlich doch nicht so auf, wie sich die Firmenbosse, häufig auf beiden Seiten, ursprünglich ersehnt haben.

  4. Das ist nicht die „Sichtweise der Macher“, das war ja wirklich so. Deutschlands Exporterfolge beruhen auf der Ausweitung der Eurozone.
    Und was jetzt eigentlich gar nicht bezweifelt werden darf, wenn es nach den Währungshütern geht, ist, ob diese Euros oder alle Euros wirklich gut sind.

  5. Ja, die Exporterfolge hat es, auch und vor allem wegen dem europaweiten Euro, gegeben. Doch jetzt stellen doch die Profiteure des Erfolgs fest, daß der eventuell auf Sand gebaut war, weil “diese Euros oder gar alle Euros” eventuell gar keinen akkumulierten Reichtum darstellen. Und anders als ein Maschinenlieferant, der schnell noch vor Insolvenzanmeldung seines Kunden, der seine Rechnungen nichtmehr bezahlen kann, die gelieferten Waren wegen Eigentumsvorbehalt wieder abholen läßt, geht so was zwischen Staaten nur rudimentär oder mehr oder weniger symbolisch.

  6. Die gelieferten Waren kann er nur holen, wenn sie noch nicht konsumiert wurden, ob produktiv eingesetzt, weiterverkauft, oder aufgegessen!
    Und bei den Staaten der EU ist der Unterschied ums Ganze, daß sich die eben eine Insolvenz, also eine Beendigung der Kreditwürdigkeit eines Mitglieds, nicht leisten kann.

  7. Es sind eben verschiedene Sachen, ob eine Krise des Euro bewältigt werden muss oder ob ein Eurobeitritt anstehen. Die Macher sehen das jedenfalls nicht so, dass man wegen der Krise den Anschluß neuer Staaten überdenkt oder relativiert. Zunächst ist ja noch nicht klar ob Kroatien den/die Kuna gegen Euro austauscht, obwohl sie sich schon jetzt wechselkursmäßig am Euro orientieren. Aber selbst wenn Kroatien dazukommt, leisten sich die maßgeblichen Staaten den Standpunkt, dass man dann schon sehen wird, wie mit einem zahlungsunfähigen Kroatien umgegangen wird. Ich schließe daraus, dass der Wille zum Eu-Zusammenschluß nicht gelitten hat.

  8. Du schließt natürlich richtig. Die Politiker der EU halten an ihrem Projekt fest. Es geht ja auch nicht anders. Das Projekt EU ist die Grundlage nicht nur ihrer Außen-, sondern auch ihrer Innen-, Wirtschaft- und sonstiger Politik. Jeder Zweifel an dem Projekt wäre das sofortige Ende der EU, mit allen Konsequenzen.
    Man kann als außenstehender Beobachter nur feststellen, daß die Widersprüche, mit denen die EU gegründet wurde, eben sowohl in den Schuldenkrisen der fast-pleite-Staaten, als auch am Beitritten neuer Staaten (zur Eurozone bzw. EU) sehr deutlich zutage treten.
    Wie das mit der Kuna wird, darauf bin ich auch gespannt. Weil ich beobachte seit geraumer Zeit, wie Ungarn immer wieder beschieden wird, daß es nicht euroreif ist. (In der neuen ungarischen Verfassung gibt es einen Paragraphen, in dem steht: „Die offizielle Währung Ungarns ist der Forint.“) Gleichzetig werden Montenegro und Kosovo mit Euros „versorgt“. Es scheint gegenüber Ex-Jugoslawien andere Richtlinien zu geben als gegenüber den Staaten aus dem ehemaligen COMECON.

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