Ökumene, Fortsetzung

DER PAPSTBESUCH IM IRAK, TEIL 2

1. Mossul

Man muß dem Pontifex zugestehen, daß er ein völlig zerstörtes Gebiet wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt hat.

Mossul, immerhin die zweitgrößte Stadt des Irak, ist nach wie vor ein Ruinenfeld. Es ist schwierig, an Zahlen zu kommen, wieviele Menschen in Mossul vor der US-Invasion 2003 lebten. Wikipedia gibt für das Jahr 1987 eine Zahl von 664.221 Einwohnern an. Eine andere Quelle nennt eine Zahl von 1,084.134 Flüchtlingen für das Jahr 2017. Mossul hatte also vermutlich 2002 zwischen 1 und 1,5 Millionen Einwohner. Sie setzten sich aus vorwiegend sunnitischen Arabern, Kurden, Turkomanen, Christen, Jesiden und anderen Minderheiten zusammen. Eine weitere Website gibt die Bevölkerung des Großraums Mossul heute mit 1,6 Millionen an. Da sind vermutlich auch diverse Vorstädte und umliegende Dörfer mit einbezogen. Alle diese Menschen leben inmitten von Ruinen.

Es gibt kaum Hilfen für den Irak. Keine Macht der Welt hat viel Interesse an dieser zerstörten Region.

Eine Ausnahme bildet das irakische Kurdistan. Dort haben die USA einen Stützpunkt eingerichtet, Ölfirmen tummeln sich dort, auch ein Teil des syrischen Erdöls wird über den Irak an der syrischen Regierung vorbei, mit tatkräftiger Hilfe türkischer Firmen und Pipelines, auf dem Weltmarkt verscheppert.

Das alles betrifft jedoch Mossul nicht. An dieser Region hat niemand ein Interesse. Auch die Regierung in Bagdad kann oder will nichts für Mossul tun. Es ist gar nicht klar, wer dort das Sagen hat. Der Papst beging jedenfalls seine Messe in der Altstadt von Mossul inmitten der Ruinen von Kirchen und anderen Bauten.

Mossul wurde bereits 2006 ins Visier des IS genommen, bevor diese Organisation außerhalb des Irak überhaupt zur Kenntnis genommen wurde:

„Im Dezember 2006 riefen sunnitische Extremisten der Terrororganisation Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS)[19] in Mossul das Islamische Emirat Irak aus, dessen Hauptstadt Mossul werden sollte. Ein sogenanntes Kriegsministerium verkündete seine Anordnungen mittels Flugblättern. Seitdem nahm Terror in Mossul signifikant zu: Polizisten, Journalisten und Frauen ohne Kopftuch wurden ebenso bedroht und ermordet wie Inhaber kleiner Fotostudios (nach Ansicht des „Kriegsministeriums“ widersprach das Abbilden von Lebewesen dem Islam).“ (Wikipedia, Mossul)

Die Eroberung Mossuls durch den IS 2014 wirft viele Fragen auf, die niemand so recht beantworten will. Dem IS fielen damals jede Menge gerade frisch aus den USA an den Irak geliefertes Kriegsgerät in die Hände. Die meisten Offiziere der irakischen Armee flüchteten, die führungslosen Soldaten wurden abgeschlachtet. In den Banken Mossuls lagerte viel Bargeld in Dollars, mit dem der IS seine weiteren Aktionen finanzieren konnte.
Es war die Eroberung Mossuls, die den IS erst zu der großen Bedrohung werden ließ, die er jahrelang für die ganze Region darstellte. Dementsprechend fiel die Rückeroberung Mossuls durch gemischte Streitkräfte – die irakische Armee, schiitische Milizen, kurdische Peschmergas und amerikanische und britische Militärberater und Luftwaffe – sehr langwierig und blutig aus und zertörte auch einen guten Teil derjenigen Bausubstanz, die der IS in seinem bisherigen Wüten gegen alles vermeintlich Unislamische übrig gelassen hatte. Vor ihrer endgültigen Niederlage wurde von den verbliebenen IS-Kämpfern auch die Große Moschee des an-Nuri gesprengt, in der 2014 das islamische Kalifat ausgerufen worden war.

Von Mossul und der ebenfalls in Ruinen liegenden Stadt Karakosch begab sich Franziskus nach Nadschaf, um das Oberhaupt der Schiiten, Al-Sistani, zu treffen.

2. Der schiitische Islam

Die Haupt-Konfessionen des Islam spalteten sich über die Frage, wer der legitime Vertreter Gottes auf Erden sei – die Nachfahren Mohammeds oder seine treuen Schüler? Sollen die Bande des Blutes stärker oder schwächer sein als der Glaube und die Treue gegenüber den Lehren und ihrer gottesfürchtigen Interpretation?
Die Schia sieht in der Abstammung die einzige Garantie für die wahre Lehre. Die Schiiten verfügen über einen Klerus, in dem die Hierarchien relativ genau geregelt sind. Obwohl sie historisch in der Frage des Kalifats unterlegen sind, haben sie sich als Nebenlinie des Islam gehalten, zum Ärger der Sunniten. In der Schia ist das Amt erblich: Nur der Sohn eines Mullahs/Ajatollahs kann zu Amt und Würden gelangen.
Die Schiiten gelten radikalen Anhängern des sunnitischen Islam als Häretiker: Sie lehnen den Dschihad, den Heiligen Krieg ab, solange der Mahdi, der 12. Imam, nicht erschienen ist, um zum Endkampf aufzurufen.
Sie sind für Vertreter des Islam wie dem IS daher Abtrünnige und Verräter, die schlimmer sind als die Ungläubigen aller Konfessionen. Der IS war ein willkommenes Werkzeug Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten, die ihn unterstützten, um den schiitischen Einfluß im Nahen Osten zurückzudrängen.

Ali Al-Sistani wurde 1930 in Madschad im Iran in eine Familie von Klerikern geboren. Er stammt also nicht aus dem Irak. Nach Studien in Madschad und in Ghom übersiedelte er 1951 nach Nadschaf, dem Zentrum der Schia. Nach dem Tod seines Lehrers Abul Kassem al-Khoei wurde er das Oberhaupt der Schiiten, dem sich sogar die obersten Ayatollahs des Iran unterwarfen.
Während er die Jahre vor der Invasion der USA 2003 im Hausarrest verbringen mußte und wenig politisch-religiösen Einfluß ausüben konnte, bescherte die Lage nach 2003 ihm eine unangefochtene Führungsposition: Erstens wurde der Sohn seines ehemaligen Mentors, Abd al-Madschid al-Khoei, unmittelbar nach seiner Rückkehr in den Irak von einer aufgebrachten Menge gelyncht. Die Iraker nahmen ihm seine Packelei mit der Besatzungsmacht übel. Sie meinten: Wer sich mit Invasoren gemein macht, gehört weg!
Als zweites wurde sein einziger weiterer nennenswerter Rivale um die religiöse Autorität, Muhammad Baqir al-Hakim, durch eine Bombe getötet. Ein weiterer Vertreter der irakischen Schiiten, Muqtada as-Sadr, der Sproß einer Familie irakischer Geistlicher, erkennt Al-Sistani als Oberhaupt an. Ähnlich verhält es sich mit den iranischen Notabeln, dem Wächterrat, Al-Khamenei und anderen: Sie erkennen Al-Sistani als oberste Instanz an.
Dabei spielt natürlich auch die politische Kalkulation eine Rolle, daß ein Iraner im Irak als schiitischer Papst den Einfluß des Iran in der Region erhöht. Wenn schon die iranischen Politiker sich ihm unterwerfen, so sollen das andere Politiker in Syrien, im Libanon, im Jemen und Pakistan, usw. auch tun.

3. Zwei Päpste unter sich


Wenn sich zwei solche oberste religiöse Führer miteinander treffen, so hat das etwas Widersprüchliches an sich: Jeder der beiden beansprucht, der Vertreter Gottes auf Erden zu sein. Und zwar des einzigen und wahren Gottes. Dann soll es den Einzigen auf einmal in zwei Ausführungen geben?
Der eine ein Abstraktum, das man nicht abbilden darf und dem man sich vollständig unterwerfen soll. Der andere ein Typ mit Rauschebart, der auf sehr verschlungenen Wegen einen Sohn gezeugt haben soll und dann dem damaligen Klerus und der weltlichen Macht zur Hinrichtung überlassen hat.
Hmmm. Es ist schwierig, sich vorzustellen, daß der eine und einzige Gott in so verschiedenen Kostümen auftritt.
Aber selbst, wenn man sich auch wieder mit etwas Zähne-Zusammenbeißen darauf einigt, daß man dem gleichen Allerhöchsten dient, der sich am Freitag anders gibt als am Sonntag – wie kommt es dann, daß er sich zwei Vertreter genehmigt?

Die Personalpolitik Allahs bleibt uneinsichtig.

Dennoch haben sich diese beiden Päpste jetzt getroffen und beschlossen, sich in die Weltpolitik einzubringen, was angesichts der bescheidenen Performance der heute herrschenden imperialistischen und lokalen Gewalten im Irak ein ebenso begreifliches wie nobles Anliegen ist.

Fortsetzung: Der sunnitische Islam

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