Pressespiegel El País, 22.10.: Balanceakt für einige arabische Regierungen

„DIE GAZA-KRISE ERSCHÜTTERT DAS SCHACHBRETT DES NAHEN OSTENS

Der Angriff der Hamas und die Offensive im Gazastreifen verändern die Spielregeln in der Region, bringen einige ihrer Regime in Schwierigkeiten und stoppen die Normalisierung Israels

Ende September betrat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Bühne der UN-Generalversammlung mit der Absicht, vor den Teilnehmern in New York eine weitere seiner einzigartigen Reden zu halten. Zu diesem Anlass brachte Netanjahu ein Plakat mit zwei Karten des Nahen Ostens mit, eine auf jeder Seite.
Das erste Bild mit dem Titel »Israel 1948« zeigte sein Land allein und in blauer Farbe, das das gesamte Gebiet des historischen Palästina einnahm. Auf der anderen Seite wurden auch die Länder der Region, zu denen sie inzwischen Beziehungen aufgenommen haben oder gerade dabei sind, in Grün angezeigt. Diese zweite Karte trug den Titel »Der Neue Nahe Osten«.“


Die Karte hat es in sich.
Israel ist nämlich als Ganzes in Blau eingezeichnet, – das Westjordanland, der Gaza-Streifen und die Golanhöhen erstrahlen in dem gleichen Dunkelblau – ein palästinenserfreies befriedetes Israel wird hier abgebildet, und 5 Staaten in der Umgebung, die offenbar diesen Status und dieses Israel akzeptieren.

Das ist natürlich rundherum verlogen.

Selbst diejenigen Staaten, die Israel bereits anerkannt haben – das auf dieser Karte nicht abgebildete Marokko, Bahrain und die VAE – haben es in dem heutigen Zustand anerkannt, in dem seine Grenzen nicht definiert sind und die Palästinenser nach wie vor in den 3 Bereichen leben, die nicht als Teil Israels anerkannt sind.
Dieser unbescheidene Wunsch wurde der Welt vor nicht allzulanger Zeit präsentiert – Netanyahu machte sich offenbar daran, ihn auch zu verwirklichen. Der HAMAS-Aufstand war ein höchst willkommener Anlaß.
Nur so viel zur Frage: Why didn’t they see it coming?

„Nur einen Monat nach dieser Rede erscheint die von Netanjahu dargestellte Realität in der Region viel verschwommener und fließender. Seit dem überraschenden“

– überraschend vielleicht für die Leser der Zeitung –

„Angriff der Hamas auf israelisches Territorium am 7. Oktober und insbesondere infolge der israelischen Militärkampagne und Belagerung des Gazastreifens wurde dieses Spielbrett stark erschüttert. Und die Krise droht weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten zu haben.

Neue Spielregeln

Obwohl die iranischen Behörden eine besonders kriegerische und sehr energische Rhetorik bezüglich der israelischen Offensive gegen Gaza an den Tag legten, waren sie in der Praxis vorsichtiger, was viele auf ihre innenpolitische Legitimitätskrise, ihre wirtschaftlichen Probleme und ihre Abneigung gegen eine direkte Konfrontation mit den USA zurückführen.
Mitte September hatten sich Teheran und Washington sogar auf einen Gefangenenaustausch und die Freigabe von rund sechs Milliarden Dollars im Besitz des Irangeeinigt, die in Südkorea beschlagnahmt worden waren, in einer seltenen Demonstration der Diplomatie, obwohl der zweite Teil des Abkommens nach den Ereignissen in Israel nun auf Eis liegt.“

Welch ein Glück für die USA, die derzeit ohnehin gerade Finanzierungsprobleme haben!
Obwohl das Geld vielleicht in Südkorea doch relativ sperrig geparkt ist …

„Trotz dieser relativen Vorsicht sind der Iran und Israel seit Jahren in einen Schattenkrieg verwickelt, von dem beide glauben, dass sie ihn bewältigen können, ohne dass er ihrer Kontrolle entgeht. Aber die aktuelle Spirale der Gewalt und die damit verbundene Volatilität erhöhen das Risiko einer Fehleinschätzung und eines Fehltritts, wie es in Gaza passiert ist, insbesondere wenn Teheran beschließt, die Verwundbarkeit Israels auszunutzen, um zu versuchen, die Spielregeln neu zu definieren und zu einer weiteren Schädigung seines Images und seiner Abschreckungswirkung beizutragen.“

Das ist relativ kompliziert gedacht und formuliert. Der Iran wird wie eine Art Tretmine dargestellt, die jederzeit hochgehen kann, und Israel als geschwächt und verletzlich, und das alles mit einem doppelten Konjunktiv.
Es ist klar, wer hier in dieser komischen Logik der Akteur und wer das Opfer wäre.

„In diesem Sinne testen die israelische Armee und die libanesische Miliz Hisbollah seit mehreren Tagen ihre jeweiligen roten Linien mit einem Hin und Her begrenzter Angriffe relativ geringer Intensität, die an der Grenze zwischen beiden Ländern maßvoll zugenommen haben. Im Moment scheint die Hisbollah nicht offen in den Kampf eintreten zu wollen, aber Israels Fehler bei der Einschätzung der Absichten der HAMAS vor ihrem unerwarteten Angriff am 7. Oktober, der sie völlig überraschte, verstärkt ihre Zweifel.“

Wessen Überraschung?
Was für Zweifel, und bei wem?

„In den letzten Tagen wurden US-Streitkräfte außerdem an mindestens zwei Punkten in Syrien und auf zwei Militärstützpunkten, auf denen US-Truppen und -Personal im Irak stationiert sind, mit Drohnen angegriffen.“

Da man seit Jahren über den Irak nichts mehr erfährt, so weiß man auch nicht, ob das etwas Übliches oder Unübliches ist.

„Am Donnerstag teilte die US-Marine mit, sie habe eine Raketen- und Drohnensalve abgefangen, die von der jemenitischen Huthi-Bewegung gegen Israel abgefeuert worden sei.“

Wers glaubt, wird selig.
Die Huthis haben andere Sorgen und auch keine Drohnen, die so weit fliegen.
Man fragt sich, warum eine seriöse Zeitung diesen Schmarrn überhaupt druckt.

„Der Zusammenhang zwischen diesen Angriffen und der Krise in Gaza ist jedoch nicht ganz klar.“

Es gibt keinen. Was immer im Jemen losgelassen wurde, galt sicher nicht Israel.

„»Dieser Konflikt wird nur eingedämmt werden können, wenn alle Parteien ein Interesse daran haben, einen regionalen Krieg zu vermeiden.“

Man fragt sich, was ein „regionaler Krieg“ wäre?
Das Bombardement von Gaza offenbar nicht.

„Im Moment scheint dieser Zustand zu gelten. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, daß dies auch in Zukunft der Fall sein wird«, schrieb Dalia Dassa, Forscherin für internationale Beziehungen an der University of California, in einer aktuellen Analyse für das Magazin Foreign Policy. »Die Situation vor Ort ist unbeständig, und Änderungen im strategischen Kalkül Israels, Irans oder beider Länder könnten ihre Führer zu der Annahme verleiten, dass die Vermeidung eines größeren Konflikts eine größere Gefahr für ihr Überleben darstellt als der Beginn eines Krieges«, schloss sie.

Getrübte Normalisierungsaussichten

Der intensive Militäreinsatz gegen Gaza und die zunehmende regionale Instabilität stellen auch einen großen Rückschlag für die arabischen Golfmächte dar, die sich in den letzten Jahren für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel entschieden haben. Diese Länder setzten darauf, daran zu arbeiten, die Spannungen in der Region abzubauen, diplomatischen Kanälen Priorität einzuräumen und die palästinensische Sache in die Enge zu treiben,“

– man fragt sich, wie das aussehen sollte: Alle Palästinenser ins Meer werfen? –

„um sich auf ihre interne wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren zu können.“

Mit einem Wort, Handel mit Israel treiben zu können und israelische Investitionen an Land zu ziehen. Und um möglicherweise in Israel Überwachungstechnologie gegen die eigene Bevölkerung einkaufen zu können.

„Die bemerkenswerteste Bewegung an dieser diplomatischen Front wurde von den VAE, Bahrain und Marokko mit der Normalisierung der Beziehungen zu Israel durchgeführt, die im Jahr 2020 begann. Dennoch handelte es sich bei den Abraham-Abkommen um einen elitären Pakt, der nie nennenswerte Unterstützung in der Bevölkerung der arabischen Unterzeichnerstaaten fand, was dazu geführt hat, dass sich deren Regierungen in der aktuellen Krise eher zurückhaltend verhalten. In Marokko und Bahrain kam es sogar zu Solidaritätsprotesten mit dem palästinensischen Volk und Verurteilungen der israelischen Offensive in Gaza, bei denen auch ein Ende der Normalisierung gefordert wurde.

»Die Unterzeichner-Staaten des Abraham-Abkommens sind sehr besorgt und beunruhigt«, bemerkt Hussein Ibish, ein Forscher am Arab Gulf States Institute in Washington, der darauf hinweist, daß »sie die Hamas nicht unterstützen«, sie aber auch keine »besonderen Befürworter der Regierung von Netanjahu sind … Der Konflikt bringt sie sicherlich in eine schwierige Situation, die sie gerne vermieden hätten«, fügt er hinzu.
Ibish glaubt, dass die Abkommen »wahrscheinlich überleben können«, wenn Israel keine »wirklich völkermörderischen Verbrechen oder völlige ethnische Säuberungen oder extreme Gewaltttaten« begeht und die Gewalt nicht auf das besetzte Westjordanland und Ostjerusalem übergreift.“

Sehr bezeichnend, daß das Wort „überleben“ auf Abkommen angewandt wird und Israel eigentlich jede Menge an Gewaltanwendung zugestanden wird – die Latte liegt recht hoch und ist auch sehr elastisch.

„Aber er warnt: »Wenn Israel zu weit geht, könnten sie einen Rückzieher machen, die Zusammenarbeit einfrieren, Botschaften schließen oder so etwas in der Art.“

Klingt relativ undramatisch.

„Aber sie wollen nicht ausgerechnet der HAMAS eine Art Vetorecht über ihre Außenpolitik und ihre unabhängige Entscheidungsfindung einräumen.«

Das Krönung dieser von den USA geförderten diplomatischen Offensive Israels in der arabischen Welt sollte Saudi-Arabien sein, die Hauptmacht in der Region.“

In Konkurrenz mit dem Iran, der keineswegs hinter Saudi-Arabien zurückstehen will.
Das ist eben die Crux, daß Saudi-Arabien nicht „die“ dominierende Regionalmacht ist, und daran arbeiten sich viele Subjekte seit geraumer Zeit ab.

„In den Wochen vor dem HAMAS -Angriff auf Israel erklärte der saudische Kronprinz und starke Mann des Königreichs, Mohamed bin Salman, sogar, dass man einer Einigung »jeden Tag näher« sei, doch seitdem lautet die Botschaft aus Riad, dass die Normalisierung auf Eis gelegt wurde.
Einige sind der Ansicht, dass das aktuelle Szenario dennoch Saudi-Arabien zugute kommt, da es dadurch in eine stärkere Position versetzt wird, von der aus die Verhandlungen in Zukunft wieder aufgenommen werden können.

Umer Karim, Experte für saudische Politik am King Faisal Center for Research and Islamic Studies, stellt fest: »Solange das regionale Umfeld in der gegenwärtigen Phase bleibt, werden die Saudis ihre Rhetorik beibehalten, Israel verurteilen und auf der Notwendigkeit bestehen, einen Waffenstillstand und die Achtung der internationalen Gesetze, um auf der richtigen Seite der Geschichte stehend wahrgenommen zu werden.

Aber sobald diese Episode vorbei ist, werden sie bereit sein, den Prozess wieder aufzunehmen, obwohl ihre Bedingungen für eine Normalisierung mit Israel viel strenger sein werden und zweifellos mehr Bestimmungen im Zusammenhang mit der Palästinenserfrage enthalten werden, – weil sie inzwischen verstehen, dass sie in Zukunft genauso wie die anderen Golfnachbarn (die Teil des Abraham-Abkommens sind,) ins Rampenlicht geraten könnten, falls es wieder zu einer Eskalation in dieser Frage kommt«, fügt Karim hinzu und weist darauf hin, dass Riad auch »den Iran nicht mehr verärgern will«.

Ehemalige Verbündete

Der Flächenbrand in Gaza ist besonders besorgniserregend und stellt eine große politische Herausforderung für Ägypten und Jordanien dar, die Nachbarn Palästinas und Israels sowie die Staaten in der Region mit den längsten Beziehungen zum jüdischen Staat.
Beide Nationen haben von Anfang an versucht, die Spirale der Gewalt zu stoppen, da sie sich bewusst waren, dass die Offensive auf Gaza sie in eine kompromittierte Lage bringt und sie dazu zwingt, ein immer schwieriger werdendes Gleichgewicht zwischen ihren Beziehungen zu Israel und den USA und der sozialen Unterstützung für die Palästinenser aufrechtzuerhalten.
Die Verschlechterung der Situation in ihren Hinterhöfen kommt noch dazu in einem Augenblick, in dem beide Länder heikle interne Krisen, insbesondere wirtschaftliche, durchmachen, so dass die Angst vor einer internen Ansteckung der kollektiven Wut besteht, die durch die Krise in Gaza ausgelöst wird.

In Jordanien, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, kam es zu großen Demonstrationen für Palästina, die freitags nach dem Mittagsgebet besonders gut besucht waren.
Diese Demonstrationen nötigten die Sicherheitskräfte des Landes zum Eingreifen, um sensible Punkte wie die Botschaften der USA und Israels sowie das Grenzgebiet zum besetzten Westjordanland zu schützen.

Tuqa Nusairat, ein Jordanien-Experte am Forschungszentrum Atlantic Council, erklärt: »Die weit verbreiteten Proteste erfordern, dass die jordanische Regierung eine feste Haltung zur Unterstützung der Palästinenser einnimmt, was bisher in scharfen Verurteilungen seitens der höchsten Ebenen und in Erklärungen König Abdullahs zum Ausdruck kam, und in der Absage des Gipfeltreffens letzte Woche, bei dem Präsident [Joe] Biden sowie ägyptische und palästinensische Führer [in Amman] zusammenkommen sollten.«
Und er fügt hinzu: »Die jordanischen Behörden werden ihre amerikanischen Amtskollegen wegen der Bedrohung ihrer inneren Sicherheit und der regionalen Stabilität im Allgemeinen unter Druck setzen, wenn die USA weiterhin Israels Angriffe auf Gaza unterstützen und es vermeiden, die Grundursachen des Konflikts anzugehen.«

In Ägypten, wo Demonstrationen seit einem Jahrzehnt praktisch verboten sind, kam es in den letzten zwei Wochen ebenfalls zu Protesten. Angesichts dieser Situation scheinen die Behörden vorerst geneigt zu sein, diese Empörung der Bevölkerung auf kontrollierte Weise zu kanalisieren, wobei viele Proteste von regierungsnahen Sektoren gefördert werden, die die Figur des Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi in den Mittelpunkt stellen.
Aber es ist ein riskantes Spiel, da einige dieser Märsche bereits ihrer Kontrolle entgangen sind und andere unabhängige Märsche organisiert wurden. Am Freitag gelang es Hunderten Demonstranten trotz eines starken Polizeieinsatzes, den berühmten Tahrir-Platz in Kairo zu erreichen, das Herzstück der Revolution des Landes im Jahr 2011.
Der ägyptische Analyst Maged Mandour weist darauf hin, dass »[as-Sisi] versucht, den Kurs der kollektiven Wut zu glätten, um ihn zur Legitimierung des Regimes zu nutzen und sich als Verteidiger der nationalen Sicherheit Ägyptens und darüberhinaus der palästinensischen Sache darzustellen.«“

Man fragt sich, worin diese „Verteidigung der palästinensichen Sache“ besteht? Im Durchlassen einiger LKW mit Lebensmitteln nach Gaza?

„Aber es sei, fügt er hinzu, »ein sehr schwieriger und heikler Balanceakt, weil man versucht, die Straße zu mobilisieren, nachdem man zehn Jahre damit verbracht hat, sie zu unterdrücken, – sodaß sie leicht außer Kontrolle geraten kann.«“

10 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 22.10.: Balanceakt für einige arabische Regierungen

  1. Da von den arabischen Staaten nichts kommt, sieht die Türkei ihre Chance gekommen, sich zur Führungsmacht der muslimischen Welt zu erklären und die Wiederauferstehung des Osmanischen Reiches zur Lösung des Nahostkonfliktes zu erklären.

    Vor 2 Millionen Menschen, die zu einer Kundgebung gegen die Massaker in Gaza kamen, hat er eine Brandrede gehalten, die man durchaus als eine Kriegserklärung an die USA und EU sowie Israel werten kann:

    „Diejenigen, die »Krokodilstränen« für die gestern im ukrainisch-russischen Konflikt getöteten Zivilisten vergossen haben, beobachten heute schweigend den Tod Tausender unschuldiger Kinder im Gazastreifen.
    Wenn Sie Tränen für die in der Ukraine Getöteten vergießen, warum sprechen Sie dann nicht über die Kinder, die in Gaza sterben?“ – fragte Erdogan. „Hallo Westen! Ich wende mich an Sie: Wollen Sie wieder einen Kreuzzug gegen den Halbmond organisieren?
    Wissen Sie, wer für all das verantwortlich ist? Amerika, der Westen und all seine Marionetten. Der Westen trägt die größte Verantwortung für das Massaker im Gazastreifen. Das Massaker im Gazastreifen ist ausschließlich das Werk des Westens.“

    (Zitat nach KP, 29.10.)

    Die Komsomolskaja Pravda meint auch, das Vorgehen Israels unter Beifall des Westens sei ein Geschenk für Erdogan, der nur so etwas gebraucht hat, um sich zum Schirmherrn der unterdrückten und geknechteten Muslime zu erklären.

    „Einige Menschen in der Türkei sehen heute, dass Gaza weit weg von uns ist und dass es uns egal ist, was dort passiert. Aber Gaza war vor fast 100 Jahren eine osmanische Stadt. Für uns war es eine unserer Städte, so wie heute Adana und Mardin.
    Vor hundert Jahren war Palästina für uns dasselbe wie Adana. Der Gazastreifen war ein Teil unseres Territoriums, von dem wir nicht einmal erwartet hatten, ihn zu verlieren.“

    Hier fälscht Erdogan ein wenig die Geschichte. Im Juli 1923 wurde der Vertag von Lausanne geschlossen, der 2. offizielle Friedensvertrag mit dem Osmanischen Reich und gleichzeitig der Gründungsvertrag der modernen Türkei.
    Darin wurde auch das Völkerbundsmandat von Großbritannien für Palästina anerkannt, das bereits 1920 eingerichtet worden war.

    Die Botschaft ist jedoch klar: Uns wurde das Gebiet weggenommen und jetzt werden seine Bewohner von den Ungläubigen massakriert.
    Lösung: „Wir“ müssen dort wieder hin!

    „Leider wurden wir durch Grenzen geteilt und getrennt, und heute versucht man, uns mit verschiedenen Verlockungen und Spielen zu spalten.
    Israel, wie bist Du hierher gekommen? Wie bist Du hier aufgetaucht? Du bist ein Besatzer. Du bist eine Bande, kein Staat. Der Westen schuldet Dir irgendwas. Aber wir schulden Dir gar nichts. Deshalb sagen wir diese Dinge auch so ruhig. Leider schuldet Dir jedes Land im Westen irgendwas.

    Seht Euch die Erklärungen israelischer Beamter genau an, und Ihr findet darin ihre Pläne der Beleidigung und des Verrats, die sich unter anderem gegen unser Land richten.
    Wir werden Israel zu einem Kriegsverbrecher erklären, wir werden die internationale Gemeinschaft darüber informieren, wir arbeiten bereits jetzt daran.“

    (Linke Zeitung, 29.10., mit Berufung auf Nachrichtenagenturen)

    Die Türkei blamiert hier auch andere muslimische Mächte, besonders Ägypten und Saudi-Arabien, die kein Ohrwaschel rühren, um Israel Einhalt zu gebieten, sondern bis vorgestern mehr oder weniger ihren Frieden mit Israel gemacht hatten.
    Ihr Schlappschwänze! Unter den Osmanischen Sultanen hätte es das nicht gegeben!

    Noch was: Die Türkei ist ein sehr hochgerüsteter Staat mit einer eigenen Waffenproduktion. Falls sie in den Konflikt eingreift, womöglich im Gleichschritt mit dem Iran, ist der vereinigte Westen wirklich in Schwierigkeiten.

    PS 2: Der Aufruf Erdogans könnte durchaus auch an türkischstämmige Migranten und Bürger der EU gerichtet sein, ihre Sympathien zu manifestieren.

  2. Wie umgehen mit Gaza-Eskalation?
    Saudi-Arabien steht vor heiklem Balance-Akt

    Der Angriff der Hamas und die Gewalteskalation in Gaza bedeuten eine Zäsur für Saudi-Arabiens jüngste Annäherungspolitik in der Region – auch für die Annäherung an Israel. Je schlimmer der Konflikt wird, desto mehr droht er zudem, zum Spaltpilz zwischen Deutschland und dem Golf zu werden.

    "Die Nahostregion ist heute ruhiger als in den zwei Jahrzehnten zuvor", frohlockte wenige Tage vor dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. Diese euphorische Bewertung hatte auch mit der Annäherungspolitik der Golf-Staaten – insbesondere Saudi-Arabiens – zu tun, die seit den Al-Ula-Verträgen und Abraham-Abkommen auf Deeskalation und Konfliktmanagement in der Region gesetzt hatten. Der Nahostkonflikt war dabei oft nur eine Randnotiz, nun bringt die jüngste Eskalation der Gewalt ihn zurück in den Mittelpunkt regionaler Herausforderungen und droht die fragilen Errungenschaften der letzten Jahre zunichtezumachen.

    Seit 2021 hatte Saudi-Arabien gemeinsam mit anderen Golf-Staaten eine pragmatische Deeskalationspolitik im Nahen Osten forciert. Vom Waffenstillstand mit der Huthi-Miliz im jemenitischen Bürgerkrieg über die Rückkehr von Syrien in die Arabische Liga bis hin zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran schien ein "neuer Naher Osten" möglich. Interessenausgleich, Stabilisierung und wirtschaftliche Entwicklung waren das neue Leitmotiv zwischen Golf und Mittelmeer.

    Der große Quantensprung dieser Regionalpolitik sollte Saudi-Arabiens Normalisierung mit Israel werden. Inmitten intensiver Verhandlungen machten die Hamas-Angriffe dem Königreich aber einen Strich durch die Rechnung. Saudi-Arabien ist durch die Gewalteskalation zunächst die Initiative verloren gegangen. In den nächsten Monaten werden Politiker in Riad vor allem reagieren und darauf hinwirken müssen, dass der Konflikt sich nicht zu einem regionalen Flächenbrand ausweitet.

    Regionale Brandabwehr als Priorität Saudi-Arabiens

    Damit die jüngsten Errungenschaften der saudischen Realpolitik – insbesondere die pragmatische Verständigung mit Iran – nicht in Rauch aufgehen, ist die erste Priorität des saudischen Königshauses, ein Ausgreifen des Konflikts auf die Golf-Region zu verhindern. Alle Augen richten sich dabei auf Teheran.

    Irans Stellvertreter haben mehrfach mit Vergeltung gegen Israel oder amerikanische Ziele gedroht. Zwar gilt die Hauptsorge der libanesischen Hisbollah, doch auch Iran-nahe Akteure am Golf könnten Ziele in der Region angreifen, wie die von einem US-Zerstörer abgefangenen Raketen und Drohnen der jemenitischen Huthis zeigen. Auch die zahlreichen US-Militärbasen in Saudi-Arabien und anderen Golf-Staaten sind dabei potenzielle Ziele. Riad befürchtet seit jeher bei einem Konflikt zwischen Iran und Israel in die Schusslinie zu geraten.

    Saudi-Arabien wird daher alles tun, um keine regionale Instabilität zu importieren. Dazu gehört zuallererst, die seit Kurzem verbesserten Beziehungen zu Iran zu managen, um selbst nicht zwischen die Fronten zu kommen. Dass Riad zusammen mit Teheran beim Gipfel der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ) in Dschidda jüngst Israel verurteilt und zu Sanktionen aufgerufen hatte, ist ein Beispiel für diese Absicherungsstrategie. Wo es im eigenen Interesse ist, macht man gemeinsame Sache und versucht das bilaterale Verhältnis zu stabilisieren, damit der Funke aus Gaza nicht an den Golf überspringt.

    Militäroffensive entzweit Riad und Tel Aviv

    Daneben bringt die israelische Offensive im Gaza-Streifen Riad in einen moralischen Zwiespalt. Einerseits möchte das Königreich den jüngsten Annäherungsprozess an Israel fortsetzen, andererseits steht es traditionell den Palästinensern sehr nahe und kann als muslimische Führungsmacht der humanitären Katastrophe in den palästinensischen Gebieten nicht schweigend zusehen. Saudi-Arabiens ursprüngliche Reaktion nach den Terror-Angriffen der Hamas war bei genauem Hinsehen zurückhaltender als die mancher Nachbarn: Im Gegensatz zu anderen Golf-Staaten machte Riad Israel nicht direkt für die Gewalteskalation verantwortlich – auch wenn vehement darauf hingewiesen wurde, dass Saudi-Arabien immer gewarnt hatte, die Lage sei angesichts israelischer Provokationen explosiv.

    Spätestens nach dem Beschuss des Al-Ahli-Krankenhauses hat sich die Rhetorik aus Riad aber gewandelt. Trotz ungeklärter Umstände verortet Saudi-Arabien die Schuld für die zahlreichen zivilen Opfer bei Israel. Das zeigt: Je schlimmer die Kampfhandlungen werden, desto mehr wandelt sich die anfänglich differenzierte Position zu einer pauschalen Verurteilung. Der Ton aus Riad dürfte schärfer werden, vor allem bei einer langwierigen Bodenoffensive im Gaza-Streifen.

    Dabei ist das Meinungsbild im Königreich durchaus komplex. Saudi-Arabien hat wenig Sympathien für die Hamas. Doch die Unterstützung für palästinensische Selbstbestimmung ist ein Grundkonsens in der Bevölkerung und gerade die 'alte Garde', allen voran der derzeitige König, ist den Palästinensern in Solidarität verpflichtet. Die jüngere Generation um seinen Sohn und de-facto Machthaber, Kronprinz Mohammed bin Salman, hingegen sieht das pragmatischer. So spielte die Lösung des Nahostkonflikts bei den vom Kronprinzen forcierten Verhandlungen über eine Normalisierung mit Israel anfänglich nur eine untergeordnete Rolle – obwohl die von Saudi-Arabien 2002 entworfene Arabische Friedensinitiative diese Lösung seit eh und je zur Vorbedingung für eine Normalisierung macht.

    Diese Nuancen drohen nun verlorenzugehen. Trotz amerikanischer Bemühungen, die Verhandlungen über eine israelisch-saudische Normalisierung am Laufen zu halten, hat Riad die Gespräche vorerst ausgesetzt. Wenn sich der Nebel des Krieges gelichtet hat, wird Saudi-Arabien seine Verhandlungen wohl wieder aufnehmen. Vorerst hat sich das politische Gelegenheitsfenster für eine Normalisierung aber geschlossen.

    Divergenzen im deutsch-saudischen Dialog

    Inmitten dieser Entwicklungen driften auch die Perspektiven Deutschlands und Saudi-Arabiens auf den Konflikt in Israel auseinander. Während die Empörung in Saudi-Arabien über die Gegenoffensive Israels zunimmt, überwiegt in Deutschland angesichts der brutalen Terror-Angriffe die Unterstützung für Israel. Der Nahostkonflikt ist schon immer ein Stolperstein für den Dialog zwischen Deutschland und den Golf-Staaten gewesen.

    Zwar hat Riad Verständnis für die deutsche historische Verantwortung für Israels Sicherheit. Gleichzeitig ist Deutschland als Teil des Westens jedoch stets dem Vorwurf der Doppelmoral ausgesetzt. Von saudischer Seite wird unterstellt, Deutschland mahne die Einhaltung des Völkerrechts in anderen Konflikten an, toleriere aber Besatzung und Rechtsverletzungen in den palästinensischen Gebieten. Dies schmälert auch das Gehör, das deutsche Vertreter am Golf mit ihrem Plädoyer für eine Unterstützung der Ukraine beim Kampf gegen die russische Besatzung bekommen.

    Damit drohen die Standpunkte Berlins und Riads künftig noch mehr zu divergieren, wodurch auch die Basis für den Dialog mit den Golf-Staaten schrumpft. Das ist fatal, weil der Westen den Golf, gerade beim Nahostkonflikt, als Mittler benötigen wird. Saudi-Arabien und seine Nachbarn sind längst das neue Gravitationszentrum der Region. Von Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln über humanitäre Hilfen bis hin zur Konfliktlösung im Gaza-Streifen werden sie künftig eine gewichtige Rolle spielen.

    (ntv, 25.10.)

    El País weist darauf hin, daß Saudi-Arabien inzwischen schon weiter fortgeschritten ist, weil seine Rolle im arabischen Raum eine deutlichere Positionierung unvermeidlich macht:

    Der Krieg in Gaza nötigt Saudi-Arabien, sich erneut für die palästinensische Sache einzusetzen

    … Die Begriffe, mit denen Saudi-Arabien den israelischen Bombenanschlag auf das Flüchtlingslager Jabalia in Gaza am Dienstag verurteilte, waren aufschlussreich: Der Angriff sei »unmenschlich« und die Offensive im »belagerten« Gazastreifen ein »Blutbad«, das von »den israelischen Besatzungstruppen« angerichtet worden sei. Diese Wortwahl war der jüngste Beweis dafür, dass die Unterzeichnung des Abkommens zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der großen arabischen Macht und Israel nicht nur nicht mehr in Planung ist – Riad kündigte am 13. Oktober seine Einfrierung an –, sondern dass der Pakt kurzfristig unmöglich erscheint.“

    Vermutlich nicht nur kurzfristig.

    „Mit mehr als 9.000 massakrierten Gaza-Bürgern – nach Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza – wagt es nicht einmal eine absolute Monarchie wie die saudische, mit einer Normalisierung fortzufahren, die in der arabischen Welt einst als Jiyanah (Verrat) bezeichnet wurde.
    Im Gegenteil, Riad führt jetzt Initiativen an, wie beispielsweise die letzte Woche von neun arabischen Ländern veröffentlichte gemeinsame Erklärung, in der sie »die eklatanten Verstöße gegen das Völkerrecht« anprangern, die Israel in Gaza begangen hat. …

    Saudi-Arabien hat die Hamas nie für den Angriff auf Israel am 7. Oktober verurteilt, der 1.400 Todesopfer forderte und zur israelischen Militärreaktion führte.
    Riad hat es vermieden, die palästinensische fundamentalistische Gruppe als Terrorist zu bezeichnen, und ignorierte damit den Druck der USA, wie die Washington Post enthüllte.
    Auf seiner jüngsten Reise durch den Nahen Osten wurde Außenminister Antony Blinken zudem vom saudischen Erben brüskiert. Der Prinz ließ ihn zehn Stunden warten, bevor er ihn am 15. Oktober traf. …

    Im selben Jahr, in dem diese Abkommen“ (zwischen Israel unnd einigen arabischen Staaten zur Anerkennung Israels) „unterzeichnet wurden, befürworteten laut dem größten Meinungsbarometer im Nahen Osten, dem Arab Opinion Index, nur 6 % der Saudis eine Normalisierung mit Israel. Die Umfrage ergab außerdem, daß 79 % der Saudis damals der Ansicht waren, dass die Palästinenserfrage alle Araber betrifft …
    Arabische Regime, denen es an demokratischer Legitimität mangelt, fürchten traditionell die Ausweitung des revolutionären Potenzials der palästinensischen Sache auf ihre Länder. Experten wie der Historiker Raschid Chalidi und andere Analysten gehen außerdem davon aus, dass das Außer-Acht-Lassen der Palästinenserfrage im Dialog zwischen Riad und der israelischen Regierung einer der Auslöser für den Hamas-Angriff gewesen sein könnte.“

    Laut einem von El País befragten Nahost-Experten sei hier auch ein Generationskonflikt zu beobachten:
    MBS war die panarabische Frage relativ gleichgültig, er dachte an die wirtschaftlichen Vorteile einer Annäherung an Israel. Aber sein Vater, der das Ruder nicht ganz aus der Hand gegeben hat, ist zusammen mit anderen, älteren Mitgliedern der saudischen Führungsmannschaft anderer Ansicht.
    Außerdem sei der Impuls zur Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien von den USA und Israel ausgegangen und die saudische Regierung hätte daran Bedingungen geknüpft, wie die Entwicklung eines Atomprogramms mit Unterstützung der USA.
    Wenn das stimmt, so war ein solcher Pakt sowieso unrealistisch, weil das hätte Israel nie zugelassen, vor allem angesichts der Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.

    Außerdem knüpfte Saudi-Arabien an die Normalisierung große Pläne:

    „Im Jahr 2016 hatte der Kronprinz sein Starprojekt vorgestellt: die Vision »Agenda 2030«, einen Fahrplan zur Beendigung der Ölabhängigkeit, der die Diversifizierung der Wirtschaft des Landes, die Anziehung von Investitionen und die Entwicklung von Sektoren wie dem Tourismus – beispielsweise die Ausrichtung großer Sportveranstaltungen – und der Unterhaltungsindustrie beinhaltet.
    Diese Liberalisierung der Art »Brot und Spiele« ohne politische Öffnung wäre gestört bei einer Frontalkonfrontation mit einem Land, das Washington nahe steht und von ihm geschützt wird, wie Israel.“

    All das ist jetzt durch den Gaza-Konflikt und auch die Stellung des Iran zu Gaza gefährdet.

    „Der Iran finanziert sowohl die Hamas als auch ihren libanesischen Verbündeten, die schiitische Milizpartei Hisbollah, sowie die Huthi-Rebellen im Jemen, mit denen Saudi-Arabien versucht, einen endgültigen Frieden zu schließen, der es ihm ermöglichen würde, seine kostspielige Beteiligung am Krieg in diesem Nachbarland zu beenden.“

    Und die – despektierlich als Huthi-Miliz bezeichnete – Ansarollah-Bewegung ist völlig auf der Seite der Bewohner von Gaza und schießt regelmäßig Raketen Richtung Israel ab.

    „Am 12. Oktober rief Mohamed bin Salmán den iranischen Präsidenten Ebrahim Raissí an, um »sein unerschütterliches Engagement für die palästinensische Sache« zu bekräftigen.“

  3. ÄGYPTEN IN BEDRÄNGNIS:

    „Die Verwüstung des Gazastreifens durch Israel versetzt Ägypten in größte Besorgnis

    Die Angst vor der Zwangsumsiedlung von Gaza-Bürgern in den Sinai und wachsende soziale Unruhen lösen in Kairo Besorgnis aus

    Israels brutale Militäroffensive gegen Gaza bringt Ägypten in eine immer heiklere Lage. Seit dem 7. Oktober, als die Hamas den Angriff auf Israel startete, musste sich Kairo um die Entsendung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen, die Evakuierung von Ausländern und die Vermittlung mit Katar zur Freilassung von Geiseln kümmern.
    Gleichzeitig muss es sich mit internen Protesten und der Wut der Bevölkerung auseinandersetzen, die sich inmitten einer Wirtschaftskrise in seinem gesamten Territorium ausbreitet.
    Kairo hat von Anfang an zum Ausdruck gebracht, dass jede Lösung der Krise, die darauf abzielt, langfristigen Frieden und Stabilität in der Region zu gewährleisten, auf der Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung und der Beendigung der einseitigen Handlungen Israels aufgebaut werden muss.
    Aber kurzfristig orientiert sich die Position der ägyptischen Behörden angesichts der schwindelerregenden Verschlechterung der Situation in ihrer Hinterhof“ –

    – es ist nicht richtig, den Gazastreifen als den „Hinterhof“ Ägyptens zu präsentieren, weil das würde eine viel größere Einflußnahme Ägyptens über die Palästinenser – sowohl in Gaza als auch im Westjordanland – unterstellen, als Ägypten tatsächlich hat.
    Für die ägyptische Regierung, die sich mittels eines Putsches der Regierung der Muslimbrüder entledigt hat und diese seither mit Mühe unter Kontrolle hält, ist aufgrund des Bündnisses der HAMAS, die von den Muslinbrüdern gegründet wurde und mit ihnen bis heute in engem Kontakt steht, das ganze Gaza eine einzige Zeitbombe vor der Haustür, die inzwischen explodiert ist. 

    „ – an ihren nationalen Sicherheitserwägungen und ihrer Bereitschaft, ein einflussreicher Akteur in der Region zu bleiben, insbesondere in den Augen der USA, und ihren Befürchtungen, daß sich die interne Solidarität mit Palästina zu ihren Ungunsten wenden könnte.“

    Mit einem Wort, die ägyptischen Massen fordern von ihrer Regierung ein entschiedenes Auftreten gegen das Massaker in Gaza, was Ägypten nicht liefern kann, weil das würde Krieg gegen Israel bedeuten.

    „Eines der Szenarien, das in Kairo die meiste Besorgnis erregt, wäre die erzwungene Vertreibung von Palästinensern aus Gaza auf die Sinai-Halbinsel durch Israel, dessen Behörden diese Option seit Beginn der Militäroffensive öffentlich und auf diplomatischen Kanälen zur Sprache gebracht haben.
    Die Ängste vor diesem Vorschlag wurden zunächst verstärkt, weil hochrangige US-Beamte versicherten, über die Eröffnung einer sicheren Passage für Zivilisten zur Ausreise aus Gaza zu verhandeln, obwohl diese Möglichkeit in den letzten Tagen mehr oder weniger aufgegeben wurde.
    Die ägyptischen Behörden haben die Idee kategorisch abgelehnt, weil sie nicht Teil einer Deportation der Gaza-Bevölkerung sein wollen, die den palästinensischen Wunsch, einen Staat zu schaffen, der den Gazastreifen einschließt, endgültig zunichte machen würde.
    Kairo behauptet, dass Israel als Besatzungsmacht für die Enklave verantwortlich sei und der Schutz der Zivilbevölkerung im Vordergrund stehen müsse.“

    Das wäre natürlich Israel und vor allem Netanjahu das liebste: Die Bewohner von Gaza nach Ägypten zu vertreiben, und es wäre an dieser Front ein für alle Mal Ruhe.
    Israel könnte sich das Territorium einverleiben und die Ägypter könnten sich mit mehr als 2 Millionen Habenichtsen auseinandersetzen.

    „»Ägypten öffnet seine Grenzen für die Verwundeten im Gazastreifen, für diejenigen, die für Bildung nach Ägypten strömen, und für alle Nationalitäten im Gazastreifen.
    Aber Zwangsumsiedlungen, die dem Willen eines Besatzungsstaates gehorchen, der das Problem in Zusammenarbeit mit westlichen und internationalen Regierungen lösen will, ist eine Angelegenheit, die Ägypten ablehnt. Es arbeitet daran, diese Pläne zu vereiteln«, sagt Diplomat Mohammed Hegazy, ehemaliger Berater des ägyptischen Außenministeriums.

    Jenseits ihrer außenpolitischen Kalkulationen sind die ägyptischen Behörden der Ansicht, daß die Zwangsumsiedlung von Palästinensern auf den Sinai eine Bedrohung für ihre nationale Sicherheit darstellen würde.
    Einerseits könnten bewaffnete palästinensische Fraktionen Israel von ägyptischem Boden aus angreifen, was Israel Gründe geben würde, ägyptisches Territorium anzugreifen. Gleichzeitig könnten diese Fraktionen extremistische Gruppen im nördlichen Sinai wiederbeleben, nachdem Ägypten endlich nach einem Jahrzehnt brutalen Krieges gegen den örtlichen Zweig des Islamischen Staates, zu dem viele Mitglieder aus Gaza gehörten, die Kontrolle über den Siani wiedererlangt hat.

    „»Die [palästinensischen] militanten Fraktionen würden ihre Fähigkeiten innerhalb Ägyptens viel weiter ausbauen, weil sie eine viel größere Grenze und ein viel größeres Gebiet hätten und sie im Sinai wären, wo die Waffen herkommen«, warnt Mohannad Sabry, Sicherheitsexperte für den Sinai.
    »In diesem Moment könnte man sich von den Friedensabkommen [zwischen Ägypten und Israel] verabschieden«, fügt er hinzu.

    Schuldenerlass

    Die wichtigste Ausgleichsleistung, der vorgeschlagen wird, um die ägyptischen Behörden dazu zu bewegen, eine Zwangsumsiedlung der Palästinenser zu akzeptieren, ist ein weitgehender Erlass ihrer hohen Schulden zu einer Zeit, in der sich das Land in einer schweren Wirtschaftskrise befindet.“

    Das schlägt doch dem Faß den Boden aus. Die Ägypter sollen 2 Millionen Flüchtlinge, noch dazu gegen die ägyptische Regierung eingestellte, übernehmen, damit ihm der IWF seine Schulden streicht.
    Ägypten, nach Fläche Nr. 29 und nach Bevölkerung Nr. 14 unter den Staaten der Welt, wird hier behandelt wie ein Hungerleiderstaat in Afrika oder der Karibik, der sich alles gefallen lassen muß, damit ihn IWF und Weltbank nicht zu sehr drangsalisieren.

    „Doch Kairo lehnt diese Option entschieden ab,“

    – surprise, surprise –

    „und am 31. Oktober kündigte Premierminister Mostafa Madbouly einen neuen Fünfjahresplan zur Entwicklung des Nord-Sinai an.

    Gerüchte über eine Deportation der Bewohner des Gazastreifens geben auch deswegen Anlass zur Beunruhigung, denn im Gegensatz zu dem, was die israelischen Behörden offenbar vermuten, ist der Nordost-Sinai keine leere Wüste.
    Im letzten Jahrzehnt richtete Ägypten im Rahmen seiner Anti-Terror-Kampagne eine Pufferzone rund um die Grenze zu Gaza ein, in der es Tausende Häuser zerstörte und Zehntausende Menschen vertrieb. Laut örtlichen Menschenrechtsgruppen hat die Möglichkeit einer Zwangsumsiedlung in dieses Gebiet in den letzten Wochen zu Protesten Hunderter Bewohner geführt, die selber ihr Recht auf Rückkehr forderten.“

    Das würden die ägyptischen Massen sicher nicht dulden: Die eigenen Bewohner müßten gehen, damit Israel sich der unerwünschten Palästinenser entledigen kann.

    „»Der Nordsinai war nie leer, er hatte immer seine Bevölkerung«, erklärt Sabry. „Die [ägyptische] Armee hatte den Vertriebenen vom Sinai versprochen, dass sie am 10. Oktober, der Woche, in der der Krieg begann, in ihr Land zurückkehren würden«, fügt er hinzu, sodaß »Ägypten jetzt ein brodelndes internes Problem mit dieser [von Ägypten selbst] deportierten Bevölkerung hat.«

    Omar Schaban, der Direktor des Forschungszentrums Pal-Think for Strategische Studien in Gaza sagt, dass der Vorschlag einer Zwangsumsiedlung »auch von den Palästinensern völlig abgelehnt wird, die diese Ablehnung aktiv zum Ausdruck bringen«.
    In diesem Zusammenhang stellt Schaban fest, dass in Ägypten Hunderte Palästinenser auf ihre Rückkehr nach Gaza warten und dass ein großer Teil der Bevölkerung im Norden des Gazastreifens den israelischen Befehl zur Ausreise in den Süden abgelehnt hat.

    Auf diplomatischer Ebene haben die sicherheitspolitischen und politischen Beziehungen, die Ägypten mit Israel und der Hamas unterhält, Kairo in den letzten Jahren die Möglichkeit gegeben, sich als Referenzvermittler in Krisenzeiten in Gaza zu etablieren und damit seine Relevanz in der Region zu behaupten, insbesondere gegenüber Washington.
    Im Jahr 2021 gelang es Ägypten beispielsweise, nach elftägigem israelischen Bombardements des Gazastreifens einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas zu erreichen.

    Grenzen des ägyptischen Einflusses

    Das Ausmaß der aktuellen Krise zeigt jedoch die Grenzen dieses Einflusses auf, und trotz seiner anhaltenden Bemühungen ist Kairo nicht in der Lage, die Spirale der Gewalt in Gaza zu stoppen. Darüber hinaus wird sein Image als effektiver Vermittler in sensiblen Fragen, wie der Freilassung von im Gazastreifen entführten Geiseln, durch die Intervention Katars überschattet, das enge Beziehungen sowohl zum politischen Arm der Hamas als auch zu den USA unterhält.

    Dennoch hat Ägyptens relativer Erfolg bei der Leitung der humanitären Hilfe für Gaza, der Koordinierung der Evakuierung von Ausländern und der Organisation eines internationalen Gipfels zur Bewältigung der Situation – auch wenn dieser ohne eine Vereinbarung oder ein gemeinsames Kommuniqué endete – es Kairo ermöglicht, seine strategische Lage zu nutzen und eine gewisse Kontrolle über das Geschehen zu behaupten.

    Im Inneren stellen die israelische Offensive gegen Gaza und die dort dokumentierten Verbrechen eine erhebliche politische Herausforderung für die ägyptischen Behörden dar, die gezwungen sind, ein immer schwieriger werdendes Gleichgewicht zwischen ihren Beziehungen zu Israel und dem Westen, und einer soliden sozialen Unterstützung für die palästinensische Sache aufrechtzuerhalten, die Proteste hervorruft und bereits bestehende Unzufriedenheit verstärkt.

    Bisher haben die Behörden versucht, die weitverbreitete Wut der Bevölkerung durch kontrollierte Demonstrationen zu kanalisieren, aber sie haben auch den Sicherheitseinsatz verstärkt, da die Gefahr besteht, dass sich diese kollektive Wut und Frustration gerade gegen sie wendet, da das Land in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, die weite Teile der Gesellschaft erfaßt.

    In den letzten Wochen kam es zu erheblichen Protesten vor der Al-Azhar-Moschee, einer der angesehensten religiösen Institutionen in der islamischen Welt, und Gewerkschaften, Berufsverbände und Studentenorganisationen haben mobilisiert, die im letzten Jahrzehnt allesamt stark unterdrückt wurden.
    Auch auf dem berühmten Tahrir-Platz in Kairo, dem Epizentrum der Revolution von 2011, kam es zu Protesten.

    »Die palästinensische Sache ist eine sehr komplexe Angelegenheit innerhalb Ägyptens selbst«, sagt Maged Mandour, ein ägyptischer Politologe.
    »[Der ägyptische Präsident Abdel Fattá al Sisi] befindet sich in einer sehr komplizierten Situation, weil er die an ihn gestellten Forderungen der Israelis und Amerikaner nicht erfüllen kann«, betont er. Der Präsident finde »sehr schwer das Gleichgewicht«, fügt er hinzu, und »dazu kommt noch eine Wirtschaftskrise hinzu, die alles verschlimmert.«“

    (El País, 6.11.)

  4. Erdoğan lässt Blinken in Sachen Nahostkrieg abblitzen

    Der türkische Präsident hat den US-Außenminister nicht empfangen – ein Affront. Auch sonst distanziert er sich mehr und mehr vom Westen und Israel.

    Auf der letzten Station seiner Nahost-Krisendiplomatie war US-Außenminister Antony Blinken am Montag in der türkischen Hauptstadt Ankara. Er versucht zurzeit von Zypern, Jordanien und dem Irak Unterstützung für die amerikanischen Bemühungen einer humanitären Feuerpause zu gewinnen.
    Doch statt mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu sprechen, musste Blinken mit seinem Außenministerkollegen Hakan Fidan vorliebnehmen. Erdoğan hatte schon am Sonntag öffentlich mitgeteilt, er werde Blinken nicht empfangen. Er sei zurzeit auf einer Reise am Schwarzen Meer und gedenke nicht, für den US-Außenminister extra nach Ankara zu kommen.

    Ein gezielter Affront, der dazu führte, dass auch sein Gespräch mit Hakan Fidan wohl im Austausch von bekannten Positionen bestand, sodass im Anschluss nicht einmal eine gemeinsame Pressekonferenz stattfand. Blinken sagte nach dem Gespräch, er gehe davon aus, dass es in den nächsten Tagen mehr humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen geben werde. Mit Zypern sei ein humanitärer Schiffskorridor verabredet worden, und Jordanien hat Hilfsgüter aus der Luft über Gaza abgeworfen.

    Erdoğan fordert seit dem Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen einen sofortigen Waffenstillstand. Eine humanitäre Feuerpause, wie die USA sie wollen, reicht ihm bei weitem nicht, obwohl der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu selbst diese gegenüber Blinken ablehnte. Genau wie der jordanische König und der Ministerpräsident des Irak verurteilt Erdoğan den massiven Angriff der israelischen Armee auf den Gazastreifen als "Kriegsverbrechen" und verlangt von den Amerikanern, dass sie Netanjahu sofort stoppen sollen.

    Nachdem Erdoğan sich unmittelbar nach dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober noch als Vermittler angeboten hatte, der mithelfen wollte, die über 200 von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln wieder freizubekommen, hat er nach und nach seine Position radikalisiert und unterstützt nun mehr oder weniger offen die Hamas. (…)

    Mittlerweile ist Erdoğan auch innenpolitisch unter Druck. Zahlreiche islamistischen Gruppen, die alle zum Unterstützerumfeld Erdoğans gehören, demonstrieren längst unter der Parole "Tod Israel", und sein Koalitionspartner Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, forderte gar, türkische Soldaten an die Seite der Hamas nach Gaza zu schicken. Jetzt wird Erdoğan die Geister, die er einst rief, nicht mehr los. (…)

    Aus Protest gegen den Besuch von Antony Blinken organisierte die islamische Wohlfahrtsorganisation IHH am Wochenende einen türkeiweiten Marsch zum Nato-Luftwaffenstützpunkt Incirlik an der türkischen Südküste bei Adana.

    Darüber hinaus hängt der Nato-Beitritt Schwedens immer noch an einem positiven Votum des türkischen Parlaments, das Erdoğan zum Ärger Washingtons hinauszögert, weil der US-Kongress nach wie vor nicht der Lieferung von Kampfjets des Typs F-16 an die türkische Armee zugestimmt hat. Mit seinem Konfrontationskurs gegen die USA und den Westen insgesamt entfernt Erdoğan die Türkei allerdings immer mehr von den übrigen Nato-Mitgliedern.

    (Standard, 6.11.)

  5. Der Gazakrieg hat in der arabischen Welt und unter Muslimen weltweit zu einem Boykott gegen US-Fast-Food-Firmen geführt, der sich angeblich recht negativ auf deren Bilanzen auswirkt.

    „Am stärksten betroffen ist allerdings ein arabisches Unternehmen, Americana Restaurants, das an der Börse von Riad notiert ist. Amerikanische Restaurantketten wie KFC, Pizza Hut, Hardee's, Krispy Kreme und TGI Friday's sind seit einem halben Jahrhundert in der Region tätig.
    Dieses Unternehmen hat die umfassendsten Informationen über die Auswirkungen der Boykotte bereitgestellt. Die vergleichbaren Umsätze waren im Jahr 2023 rasant gewachsen. Im Oktober gingen sie um 9,4 % zurück; im November 29,3 % und im Dezember 26,6 %, wie Analysten detailliert darlegen und die Auswirkungen auf 128 Millionen Dollar schätzen.

    Die saudische Gruppe hat die Länder, in denen sie tätig ist, nach der Stärke der Boykotte klassifiziert. Die größten Auswirkungen hatten sie in Ägypten, Oman und Jordanien. Es folgen der Libanon, Kuwait, Katar, Bahrain und Marokko. In den Ländern, in denen es vorkommt, wurde es am wenigsten beachtet, nämlich in Saudi-Arabien, den Emiraten, im Irak und in Kasachstan. Bezogen auf die Kette waren die Auswirkungen auf vergleichbare Umsätze bei allen Marken ähnlich: 22,6 % bei KFC und Hardee's; 22,4 % bei Pizza Hut und 21,7 % bei Krispy Kreme Donuts.“


    Boykottaufruf am Sitz des ägyptischen Schriftstellerverbandes in Kairo

    Am meisten im Visier ist allerdings McDonalds, das die israelischen Truppen mit Gratismahlzeiten unterstützt, und Starbucks. Allerdings ist unklar, wie sehr sich das auf ihre Gewinne niederschlägt, weil sie mit Franchise-Verträgen arbeiten und daher ihre Subunternehmer in erster Linie die Betroffenen sind.

    Der Boykott ist weltweit, wenngleich in unterschiedlicher Intensität in den verschiedenen Staaten.
    Eines der Probleme dürfte sein, daß das Fast-Food inzwischen zu einer Nahrungsgrundlage der Minderbemittelten geworden ist (siehe Nehammer) und diese Personen ja nicht alle diese Firmen boykottieren können.
    Letztlich wird sich daher der Boykott der einen Firma in erhöhten Gewinnen einer anderen äußern.

    (El País, 18.2.)

  6. Rätselhafte Vorgänge:

    „Huthi-Kriege: Wer steckt hinter der Sabotage im Roten Meer?

    Und wie sich beschädigte Kabel auf das globale Internet auswirken können

    Israelische Medien“ (konkret: „The Jerusalem Post“ und „Globes“) „behaupten, die Houthis hätten Unterwasserkommunikationskabel auf dem Grund des Roten Meeres gesprengt.

    Vertreter der jemenitischen Bewegung bestritten diese Informationen in einem Gespräch mit der Izvestija und machten die USA und den jüdischen Staat dafür verantwortlich, indem sie ihnen Sabotage vorwarfen.

    Die beschädigten Kabel sind Teil einer von drei globalen Kommunikationsrouten, die bis zu 20 % des weltweiten Verkehrs abwickeln. Eine der Betreibergesellschaften bestätigte, dass die Leitung beschädigt sei. Aus Dschibuti wurden Kommunikationsprobleme gemeldet, Medien berichten jedoch auch von Störungen in den Golfstaaten und Indien.“

    (Izvestija, 27.2.)

    Dazu ist interessant, daß T-Online schon vor 2 Wochen davor „gewarnt“ hatte:

    „Liegt das nächste Ziel der Huthi auf dem Meeresgrund?

    (…)

    Bislang haben die Huthi-Rebellen aus dem Jemen vornehmlich Handelsschiffe im Roten Meer angegriffen. Sie wollen damit zum einen die Hamas-Terroristen unterstützen, zum anderen aber auch Israel und seinen Verbündeten schaden. Das hat einen gewissen Erfolg: Reedereien ändern ihre Routen, es kommt zu Verzögerungen in den Lieferketten. Doch die Terrorkommandos aus dem Jemen könnten sich ein neues Ziel aussuchen, das von ebenso großer Bedeutung wie die Schiffsrouten ist: Internetkabel.

    Das Gulf International Forum, ein amerikanisches Institut, das sich mit Nahostthemen beschäftigt, sieht eine große Gefahr für Kabel, die durch die Bab-al-Mandab-Straße verlaufen. (…)

    Bislang haben die Huthis selbst keine Absichten erklärt, sich der Kabel zu widmen und sie zerschneiden zu wollen. Doch die strategische Bedeutung dürfte ihnen bewusst sein, schreibt das US-Institut in seiner Einschätzung. Fast 95 Prozent des weltweiten Datenverkehrs verlaufe über solche Kabel. Würden sie durchtrennt, hätte dies katastrophale Folgen sowohl für die Wirtschaft, aber auch für militärische Einrichtungen.“

    (T-Online, 11.2.)

    Komisch.
    Ein US-Think-Tank vermutet, ein deutsches Medium reflektiert das, und israelische Medien behaupten …

  7. „Ein Pakt mit dem Teufel: Die amerikanischen Behörden boten den Huthis Frieden an
    — als Gegenleistung für eine teilweise Anerkennung der jemenitischen Rebellen

    Durch die Einstellung der Angriffe auf internationale Schiffe in der Jemen-Region könnten die Rebellen eine teilweise Anerkennung erlangen, und die USA sind bereit, dafür die Blockade der wichtigsten Häfen aufzuheben.

    Seit Januar führen Washington und seine Verbündeten einen Militäreinsatz im Jemen, der allerdings wenig Erfolg bringt. Unterdessen konnten die Huthis ungestraft reagieren, indem sie etwa 100 Handelsschiffe angriffen.

    Das Angebot

    »Vermittler überbrachten eine Botschaft der USA an die Huthi-Rebellen im Jemen und boten "Anreize" als Gegenleistung für die Beendigung der Angriffe der Gruppe im Roten Meer, einschließlich der Aufhebung der Blockade des Flughafens Sanaa und des von den Huthi kontrollierten Hafens von Hodeida, sowie die Beschleunigung der Friedensverhandlungen«, schrieb die Zeitung "The National" unter Berufung auf mehrere jemenitische Quellen.“

    Die Begeisterung über dieses „Angebot“ dürfte sich bei der Ansarollah-Führung in Grenzen halten.
    Daß ein solches allerdings überhaupt gemacht wird, weist auf ein Scheitern der Mission hin, mit der das Rote Meer sicher gemacht und der Schiffsverkehr über diese Passage wieder angeregt werden sollte.

    (Izvestija, 30.4.)

  8. „Warum arabische Länder über die Zerstörung Gazas durch Israel schweigen

    Die zunehmende staatliche Repression und ungünstige lokale Rahmenbedingungen verhindern, dass sich die in der Region empfundene Wut über den Krieg gegen den Gaza-Streifen als Katalysator für eine breitere Bewegung entfaltet.

    In den Wochen unmittelbar nach Beginn der verheerenden Militäroffensive Israels gegen Gaza war der Nahe Osten Schauplatz massiver Demonstrationen, bei denen die israelischen Gräueltaten im Gazastreifen angeprangert und das palästinensische Volk unterstützt wurden. Die Aufmerksamkeit gilt nun vor allem der USA und Europa, da aufgrund der Ansteckungswirkung an immer mehr Universitätscampussen Camps und Proteste organisiert werden, die jedoch nicht zu einem vergleichbaren Aufbruch in der arabischen Welt geführt haben.

    Der anfängliche Höhepunkt der Mobilisierungen in der Region konnte sich nicht nur nicht in eine breitere Bewegung verwandeln, sondern ist sogar leicht zurückgegangen. Von außen könnte es sogar ein gewisses Gefühl der Gleichgültigkeit vermitteln.
    Allerdings ist dieser Trend größtenteils auf komplexe politische Gleichgewichte auf nationaler und regionaler Ebene, zunehmende Repression, … zurückzuführen. Darin verbergen sich auch Versuche, den Druck durch sicherere Ausdrucksformen aufrechtzuerhalten.“

    Die Palästinafrage ist für viele Staaten der Region deshalb heikel, weil es eigentlich immer die Oppositions-Gruppen waren und sind, die sich für die Palästinenser stark machen, gegen die Regimes, die sich mit Israel gutstellen wollen.

    „Darüber hinaus sind für die Regime der beiden Länder, die am längsten Beziehungen zu Israel aufgenommen haben – Ägypten und Jordanien – ihre Beziehungen zu Tel Aviv an ein Netzwerk von Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen gebunden, das von den USA geknüpft wurde, wodurch eine Überprüfung der Strategie an dieser Front ein existenzielles Risiko darstellt.
    Die beiden arabischen Staaten erhalten zwei der größten jährlichen Pakete direkter militärischer und wirtschaftlicher Hilfe aus Washington, ohne dessen Unterstützung sie ums Überleben kämpfen würden.

    Für die beiden einflussreichsten Nationen am Golf – die VAE und Saudi-Arabien – überraschte die israelische Offensive in Gaza und die Eskalation mit dem Iran, während sie gerade dabei waren, die Spannungen mit Teheran abzubauen, die Beziehungen zu Tel Aviv zu normalisieren und die palästinensische Sache beiseite zu legen, um sich auf ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung zu konzentrieren.
    Obwohl im Inland unbeliebt, ist die Normalisierung der Beziehungen zu Israel für beide Regionalmächte ein strategischer Einsatz, die für Riad auch an wichtige Abkommen zu Verteidigung, Energie und Technologie geknüpft ist, die es ebenfalls mit Washington aushandelt. Und obwohl sich das Tempo des Prozesses verlangsamt hat, gibt es keine Anzeichen für eine Revision.“

    Man kann sagen, daß die anfänglichen Befürchtungen einer Destabilisierung der Region angesichts dieser 4 Säulen des US-Imperialismus relativ gegenstandslos sind.
    In Syrien, dem Libanon, dem Jemen und dem Irak gibt es zwar Solidaritätsbezeigungen, die fallen aber kaum ins Gewicht, was die weitere freie Hand für Israel betrifft.

    Es sind Staaten außerhalb der Region, die sich dagegen stellen, wie Südafrika mit der Genozid-Anklage, der sich inzwischen Kolumbien, Nicaragua und Libyen angeschlossen haben.

    Auch die marokkanische Regierung arbeitet weiter an der Anerkennung Israels, trotz Protesten in den Straßen. Die Zusammenarbeit ist schon seit Jahren eng, mit israelischen Drohnen kontrolliert Marokko die Westsahara. 

    (El País, 12.5.)

    Das alles angesichts der Tatsache, daß inzwischen israelische Scharfschützen Jagd auf palästinensische Kinder machen, wie ein weiterer Artikel dieser Zeitung dokumentiert.

    Die Besorgnis der USA hält sich auch in Grenzen, da ihre Verbündeten inzwischen die Sache kontrollieren.

  9. „Sisi in Ankara: Erdogan rollt seinem einstigen Erzfeind den roten Teppich aus

    Zum ersten Mal überhaupt besucht der ägyptische Präsident Abdelfatah al-Sisi die Türkei. Wirtschaftliche Interessen, aber auch der Krieg in Gaza begünstigen die Normalisierung der Beziehungen zwischen Ankara und Kairo.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist bei all seiner kämpferischen Rhetorik ein sehr pragmatischer Politiker. Und zum Pragmatismus gehört es, den eigenen Kurs anzupassen, wenn sich dieser als nicht mehr opportun erweist. Rote Linien und angeblich in Stein gemeisselte Grundsätze haben, mit welchem Nachdruck sie auch vorgetragen werden, nur so lange Bestand, bis sie es halt nicht mehr tun.

    «Wertvolle Einsamkeit»

    Das war bei der Geldpolitik so, die das Land fast in den Ruin getrieben hat. Obwohl der türkische Präsident hohe Zinsen lange als Mutter allen Übels bezeichnete, verfolgt die neue wirtschaftspolitische Führung unter Finanzminister Mehmet Simsek seit Erdogans Wiederwahl vor einem Jahr eine äusserst restriktive Zinspolitik.

    Auch in der Aussenpolitik hat Erdogan vor allem in der Nachbarschaft teilweise drastische Kehrtwenden vollzogen. Der Grund dafür war, dass die Türkei in der Region weitgehend allein dastand, nachdem sie sich im Arabischen Frühling auf die Seite der letztlich gescheiterten religiös-konservativen Kräfte geschlagen hatte.

    Auch wenn der frühere Präsidentenberater und heutige Geheimdienstchef Ibrahim Kalin die Episode als «wertvolle Einsamkeit» bezeichnete, schwächte die Isolation die Türkei. Seit einigen Jahren bemüht sich Ankara deshalb um die Normalisierung der Beziehungen zu seinen ehemaligen Erzfeinden.

    So bezeichnete Erdogan den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis Ende 2023 als Freund. Ein Jahr davor hatte er noch mit einer Invasion gedroht. Auch für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der im Istanbuler Generalkonsulat den Journalisten Jamal Khashoggi ermorden liess, und für den Präsidenten der Emirate, Mohammed bin Zayed, findet Erdogan wieder freundliche Worte.

    Besonders zerrüttete Beziehungen

    Mit dem Besuch des ägyptischen Präsidenten Abdelfatah al-Sisi in Ankara am Mittwoch ist nun auch die Wiederannäherung an das grösste und in vielerlei Hinsicht wichtigste Land im östlichen Mittelmeer zementiert worden. Es war der erste Besuch eines ägyptischen Präsidenten seit zwölf Jahren.

    Sisi erwidert mit seiner Reise Erdogans Besuch in Kairo diesen Februar. Den Boden für diese Normalisierung hatte der türkische Präsident unter anderem gelegt, indem er den zuvor offen geduldeten Tätigkeiten der ägyptischen Opposition in der Türkei enge Grenzen gesetzt hatte. Kairo wiederum demonstrierte durch seine Hilfe nach dem Doppelbeben in der Südosttürkei seinen Willen zur Verbesserung der Beziehungen.

    Diese waren lange besonders tief zerrüttet gewesen. Ankara hatte nach dem Umbruch des Arabischen Frühlings den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi unterstützt, der den islamistischen Muslimbrüdern nahestand. Als Mursi 2013 von Sisi gestürzt wurde, nannte Erdogan ihn deshalb einen Putschisten und Mörder. Niemals werde er sich mit diesem Mann an einen Tisch setzen.

    Ägyptische Gasvorkommen und türkische Drohnen

    Davon war am Mittwoch freilich nichts mehr zu spüren. Erdogan empfing seinen Gast am Flughafen der Hauptstadt und fuhr mit ihm zum Präsidentenpalast, wo eine militärische Ehrengarde wartete. An der gemeinsamen Pressekonferenz betonte Erdogan, dass die Zusammenarbeit in allen Bereichen verstärkt werden solle.

    Dabei geht es einerseits um wirtschaftliche Kooperation. Bereits im Februar war das Ziel ausgegeben worden, das Handelsvolumen innert fünf Jahren auf 15 Milliarden Dollar zu erhöhen. Potenzial für gemeinsame Projekte gibt es auch in der Energie- und Rüstungspolitik.

    Ägypten ist durch die Gasvorkommen vor seiner Küste zu einem wichtigen energiepolitischen Akteur im östlichen Mittelmeer geworden. Türkische Drohnen wiederum sind ein begehrtes Exportgut, an dem auch das ägyptische Militär Interesse hat.

    Im Fokus stand aber auch der Krieg in Gaza. Erdogan gehört zwar zu den lautesten Kritikern der israelischen Regierung und hat den Anspruch, als Fürsprecher der muslimischen Welt aufzutreten. In der Realität hat er aber nur beschränkte Möglichkeiten, auf den Konflikt einzuwirken.

    Durch die Zusammenarbeit mit Ägypten würde die Türkei auch ihr eigenes Gewicht erhöhen. Das Land am Nil ist der wichtigste Ausgangspunkt für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. Dennoch bleiben Differenzen bestehen. Im libyschen Bürgerkrieg etwa unterstützen Ankara und Kairo unterschiedliche Parteien. (…)

    (NZZ, 5.9.)

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