Ökumene, Teil 4

VERSUCHE ZU EINER GEMEINSAMEN LINIE IM SUNNITISCHEN ISLAM

Ein sunnitischer Beinahe-Papst

Eine der renommiertesten Institutionen der islamischen Welt ist die Azhar-Universität und -Moschee in Kairo.
Im 10. Jahrhundert von den schiitischen fatimidischen Kalifen gegründet, als neues Zentrum des Islam – nach Damaskus und Bagdad – ist sie eine der ältesten Stätten islamischer Gelehrsamkeit der Welt. Ihr Vorstand, der „Scheich al-Azhar“ ist eine der höchsten Autoritäten des Islam. Seine Autoriät wird allerdings durch die Konkurrenz der muslimischen Staaten eingeschränkt. Für Ägypten ist die Azhar immer ein Mittel zur Einflußnahme in der islamischen Welt gewesen, aber neben den Geldmitteln der Saudis schaut sie eben recht alt aus. In Ägypten selbst mußte ihr Scheich seit geraumer Zeit den Spagat schaffen zwischen den Muslimbrüdern, Al-Quaida-Anhängern und den verschiedenen Militärführungen seit Nasser.

Der jetzige Scheich der Azhar, Achmad Al-Tayyib, hat genug von diesem Lavieren zwischen allen möglichen Machtzentren und Bewegungen, das ihn letztlich bei allem Ansehen zu einem faktischen Hampelmann der weltlichen Mächte, konkret der ägyptischen Regierung, degradiert. Er baut seine jetzige Stellung auf der wechselseitigen Unterstützung der Regierung Al-Sisi auf, hat aber Ambitionen, seinen Einfluß auszudehnen und den Saudi-Arabiens zurückzudrängen. Das wäre natürlich der ägyptischen Führung auch sehr recht.

… in Zusammenarbeit mit einem muslimischen Außenpolitiker …

So hat er 2016 bei einem Treffen islamischer Autoritäten in Groznyj teilgenommen, das von Ramzan Kadyrow organisiert worden war und wo diejenigen Vertreter des Islams eingeladen worden waren, die Wahhabismus, Salafismus und andere Strömungen des politischen Islams ablehnen.
Um die Person und die Rolle Kadyrows zu verstehen, muß man wissen daß sein Vater, Achmad-Hadschi Kadyrow, seinerzeit die Unabhängigkeit Tschetscheniens von Rußland unterstützt hatte, aber später, als der Salafismus Saudi-Arabiens sich in Tschetschenien breitzumachen begann, die Seiten wechselte und dafür mit seinem Leben bezahlte.
Ramzan Kadyrow macht gerne Außenpolitik und hat dafür auch die Unterstützung Moskaus. Zusammen mit Raschid Dostum plante er vor einiger Zeit ein Afghanistan nach den USA. Ebenso wie diese Konferenz sind dergleichen Treffen und Pläne für ihn ein Versuch, einen muslimischen Gegenpol gegen den Einfluß Saudi-Arabiens aufzubauen. Der Ausgang dieser Politik ist ungewiß, aber der Papst nimmt diese Art von Initiativen zur Kenntnis und möchte sich einklinken.

… und dem christlichen Oberhäuptling

2019 hat Al-Tayyib sich mit Papst Franziskus in Abu Dhabi getroffen und eine „Erklärung der Brüderlichkeit“ unterzeichnet.

Den Ort sollte man sich merken. Auch die Vereinigten Emirate sind offensichtlich die Dominanz Saudi-Arabiens satt und wollen aus deren Schatten heraustreten, ohne in eine offene Konfrontation mit Riad zu treten. Deswegen die Anerkennung Israels und die Organisierung der Gespräche zwischen den USA und den Taliban, und auch das Treffen zwischen dem Papst und Al-Tayyib.

Februar 2019, Abu Dhabi

Al-Tayyib freut sich auch über die Irakreise des Papstes, weil er sich davon Stärkung seiner eigenen Autorität erhofft. Wenn es schon keinen Papst im sunnitischen Islam gibt, so macht zumindest die Anerkennung durch ein christliches Oberhaupt und eine möglichst breite Koalition anderer muslimischer Notabeln einen guten Eindruck:

„Die Reise von Papst Franziskus in den Irak, in deren Verlauf er auch den Schiitenführer Ali al-Sistani treffen wird, hat den Segen des (sunnitischen) Großimams von al-Azhar: »Die historische Reise meines Bruders @pontifex_de in den Irak sendet eine Botschaft von Frieden, Solidarität und Unterstützung für alle Iraker«, schreibt Ahmed al-Tayyeb, der als höchste sunnitische Lehrautorität gilt, an diesem Freitag auf seinem Twitter-Account.
Er bete zu Allah um Erfolg für den Besuch »und dass seine Reise das gewünschte Ergebnis haben wird, auf dem Pfad der menschlichen Geschwisterlichkeit weiterzugehen.«
Schon lange pflegen Papst Franziskus und der Großscheich al-Tayyeb einen fruchtbaren und durch Respekt geprägten Dialog.“
(„Ein geschwisterlicher Tweet aus Kairo“, Vatican News, 5.3. 2021)

Seinerzeit kam es sogar zu schriftlichen Ergebnissen:

„Papst Franziskus und Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb haben am Montag in Abu Dhabi eine historische gemeinsame Erklärung zum Thema »Menschliche Brüderlichkeit« unterzeichnet. Einige Auszüge aus dem Dokument“ finden sich hier.
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Alles in allem eine schwierige Aufgabe – mit den Mitteln des Glaubens seine unerwünschten Praktiken zu bekämpfen:

„Der Gegenstand des Mohammedanismus ist rein intellektuell, kein Bild, keine Vorstellung von Allah wird geduldet: Mohammed ist Prophet, aber Mensch und über des Menschen Schwächen nicht erhaben. Die Grundzüge des Mohammedanismus enthalten dies, dass in der Wirklichkeit nichts fest werden kann, sondern dass alles tätig, lebendig in die unendliche Weite der Welt geht, so dass die Verehrung des Einen das einzige Band bleibt, welches alles verbinden soll.
In dieser Weite, in dieser Macht verschwinden alle Schranken, aller National- und Kastenunterschied; kein Stamm, kein politisches Recht der Geburt und des Besitzes hat einen Wert, sondern der Mensch nur als Glaubender. Den Einen anzubeten, an ihn zu glauben, zu fasten, das leibliche Gefühl der Besonderheit abzutun, Almosen zu geben, das heißt, sich des partikularen Besitzes zu entschlagen: das sind die einfachen Gebote; das höchste Verdienst aber ist, für den Glauben zu sterben, und wer in der Schlacht dafür umkommt, ist des Paradieses gewiss.“
(G.F.W. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Der Mohammedanismus)

Ein Gedanke zu “Ökumene, Teil 4

  1. Es ist schon interessant, aus welcher Ecke die heftigste Kritik der NATO kommt:

    Wenn der Papst beim Ukraine-Krieg totgeschwiegen wird

    Der Pontifex kritisiert die Aufstockung der Rüstungsausgaben der Nato-Staaten auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch die meisten Medien verschweigen die Nachricht

    Papst Franziskus hat sich kein Blatt vor den Mund genommen. "Ich habe mich geschämt, als ich vom Entschluss einiger Regierungen las, als Antwort auf den Krieg zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in den Kauf von Waffen zu stecken", erklärte der Papst. "Verrückt" sei das, fuhr er fort: Noch mehr Waffen und Sanktionen seien nicht die Lösung. Noch nie hat ein Pontifex der katholischen Kirche mit derart deutlichen Worten gegen die Aufrüstung Stellung bezogen – nicht einmal Benedikt XV., der im Jahr 1917 auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkriegs in seinem Brief an die Staatsoberhäupter der beteiligten Konfliktparteien den Krieg als "unnützes Gemetzel" bezeichnete. (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000134566482/wenn-der-papst-beim-ukraine-krieg-totgeschwiegen-wird

    Der geplante Ukraine-Besuch scheint wieder abgesagt worden zu sein. Aber Franziskus plant den nächsten Streich:

    Treffen zwischen Papst und Patriarch Kyrill möglich

    Der Papst und der russisch-orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. könnten sich im Juni in Jerusalem treffen. Dies berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Montag, die sich auf "qualifizierte katholische Kirchenkreise" bezog. Der Papst sollte demnach am 14. Juni aus Jordanien in Jerusalem eintreffen, nachdem er am 12. und 13. Juni einen zweitägigen Besuch im Libanon abgestattet hat. Der Moskauer Patriarch ist ein enger Verbündeter von Kreml-Chef Wladimir Putin.

    https://www.sn.at/politik/weltpolitik/treffen-zwischen-papst-und-patriarch-kyrill-moeglich-119785519

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