Die Taliban in Kabul

DIE BLAMAGE DER „INTERNATIONALEN STAATENGEMEINSCHAFT“

Der rasante Vormarsch der Taliban hat alle überrascht. Man merkt daran, wie wenig Ahnung die zivilen und militärischen Vertreter des Freien Westens von dem Land hatten, das sie 20 Jahre lang besetzt gehalten haben. Die Arroganz der Kolonialherren paarte sich hier mit den ständig blamierten Weltmachtsphantasien derjenigen Staaten, die sich immer noch für den Nabel der Weltgeschichte halten.

Die Taliban sind sehr geschickt vorgegangen. Erst besetzten sie alle Grenzübergänge und dann verhandelten sie mit den diversen Provinzgrößen. Ihr sitzt in der Falle, sagten sie: Entweder für uns oder gegen uns! – möglicherweise mit einer eindeutigen Handbewegung des Fingers am Hals.

Und alle waren einsichtig.

Ganz üblen Burschen, wie Raschid Dostum, wurde freies Geleit zugesichert und man ließ sie abhauen. Wie es aussieht, ist Usbekistan inzwischen das bevorzugte Ziel der US-Kollaborateure. Die Taliban sind dabei, um Fidel Castro zu zitieren (anläßlich des Mariel-Exodus), das Klo in Richtung Usbekistan hinunterzulassen.

So ist es zu erklären, daß sie das ganze Land nicht nur in kürzester Zeit erobert wurde, sondern auch ziemlich unblutig. Und die Medien haben jetzt die schwierige Aufgabe, diesen Sieg der Taliban und die schlechte Figur, die EU und USA machen, zu erklären.

Erklärung 1. Die Taliban sind Schlächter, deswegen haben alle aus Angst nachgegeben.

Diese Erklärung ist einerseits sehr bequem. Sie stellt die – unter ganz anderen Bedingungen zustande gekommene – Herrschaft der Taliban vor mehr als 20 Jahren in den schrecklichsten Farben da und prophezeit eine Neuauflage.

In dieser Erklärung werden die westlichen Besatzungstruppen als eine Art Entwicklungshilfe dargestellt, die Afghanistan modernisierten, aus dem finstersten Mittelalter befreit hätten und reine Beschützer der Witwen und Waisen waren.

Das Schreckgespenst der Taliban wurde schon seit dem Abzugsbeschluß in den Medien ausgemalt: Afghanistan geht unter, wenn die Taliban an die Macht kommen! Sie werden uns, den Besatzern, nachweinen!

Irgendwie wirkt es aber nicht ganz glaubwürdig, daß alle diese bärtigen Burschen das ganze Land in Angst und Schrecken versetzt hätten. Die Fluchtbewegungen, von denen berichtet wird, fallen im Vergleich zu dem, was Afghanistan bisher erlebt hat, relativ harmlos aus. Außerdem kann niemand überprüfen, wie die Zahl, die genannt wird – die Rede ist von einer halben Million von Flüchtlingen – überhaupt erhoben wurde.

Erklärung 2: Biden, der Idiot, hat das alles ungeschickt gemacht.

Die Schuldsuche ist immer gerne zur Hand, wenn was schiefgeht, hat aber auch etwas Unbefriedigendes an sich.

Erstens war der Abzug aus Afghanistan bereits unter seinem Vorgänger ausgehandelt worden, der auch schon zu der Einschätzung gelangt war, daß sich an der Situation in Afghanistan nichts ändern würde und der Krieg und die Alimentierung des Marionettenregimes nur Geld kosten und nichts bringen.

Zweitens hat der US-Präsident es wohl alles mit dem Militär abgesprochen. Noch vor einer Woche dröhnte aus allen Rohren, Kabul würde in einigen Monaten fallen. Diese Einschätzung kam nicht vom Präsidenten, sondern von Geheimdienst und Militär. Der Präsident kann sich auch nur an dem orientieren, was ihm seine Dienste und die Offiziere vor Ort an Daten und Einschätzungen liefern.

Wie man es dreht und wendet, alle Beteiligten machten sich über Afghanistan, seine Bevölkerung, ihre Verbündeten und Sympathisanten in dem Land was vor, und nicht erst seit gestern. Jetzt Biden dafür an den Pranger zu stellen, ist ein recht plumper Versuch, den Rest der Mannschaft und die ganze Politik der USA reinzuwaschen.

Erklärung 3: Die ganze afghanische Gesellschaft ist eben rückständig und hat unsere selbstlose Entwicklungshilfe nicht goutiert.

Diese Erklärung schlägt in ihrer Selbstgefälligkeit dem Faß den Boden aus. Einmarsch und Besatzung eines fremden Landes werden zu einem Volksbeglückungsprogramm umfabuliert, wo Bomben und Drohnenangriffe wegretuschiert werden und der trostlose Zustand der Wirtschaft keiner Erwähnung wert ist. Die Kosten der Besatzung werden zu Hilfsleistungen umgelogen. Der Umstand, daß Afghanistan unter der US-Besatzung zum größten Opiumproduzenten der Welt wurde, scheint von den Medien vergessen worden zu sein.
(Nachträgliche Ergänzung: Afghanistan ist nicht erst unter der US-Besatzung zum größten Opiumproduzenten der Welt geworden, die Produktion stieg schon in den 1980er Jahren stetig, während sie in Burma sank, und Afghanistan löste Burma bereits 1991 als grösster Produzent ab. Das blieb auch unter den Taliban so, obwohl sie 2000 eine Kampagne gegen den Opiumanbau lancierten, um der UNO zu gefallen und ein paar Hilfsgelder ins Land zu holen. Die zu erhöhten Preisen verkauften Vorräte dürfte jedoch die Ernteausfälle weitgehend kompensiert haben oder vielleicht sogar mehr.
Es bleibt dennoch bemerkenswert, daß Afghanistan seine führende Rolle als Opiumproduzent während der ganzen US-Besatzung behielt.)

Zu dem Kriegsmaterial, das die sowjetische Besatzung und der jahrelange Bürgerkrieg hinterlassen haben, wurden noch weitere militärische Müllhalden angehäuft. Außerdem war die ländliche Zivilbevölkerung prinzipiell verdächtig, mit den Taliban zu kooperieren – vermutlich zu Recht – und wurde entsprechend drangsalisiert.

Und jetzt wird die Abneigung, die große Teile der afghanischen Bevölkerung aus diesem Grund gegen die Besatzung haben, zu Primitivität und Barbarei umfabuliert. Nicht nur die Taliban sind rückständig und primitiv, sondern der Rest der Bevölkerung auch!

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Afghanistan hat sich den Titel „Friedhof der Imperien“ nicht ausgesucht. Es wurde deswegen dazu, weil verschiedene Mächte dort einmarschiert sind und die Afghanen sich dagegen gewehrt haben. Der britische Kolonialismus ging mit der für ihn charakteristischen Mischung von Brutalität und Rassismus gegen dieses Hindernis seiner Expansion auf dem indischen Subkontinent vor. Nach drei Kriegen kam es zum Frieden von Rawalpindi, in dem Afghanistan Quetta, Peschawar und große, von Paschtunen bewohnte Gebiete im Süden verlor und die Durand-Linie als Staatsgrenze anerkennen mußte.

Die Regierungen und die Bevölkerung Afghanistans waren lange rußlandfreundlich, weil das Zarenreich sie gegen das britische Empire unterstützt hatte. Es war einer der ersten Staaten, die die Sowjetunion anerkannten, kurz nach ihrer Gründung 1922. Es war daher ein Schock und eine bittere Enttäuschung für die Afghanen, als die Rote Armee einmarschierte und die SU damit klarstellte, daß auch sie sich unter die Besatzer eingereiht hatte. Die sowjetische Besatzung brachte das Gleichgewicht der Nationalitäten durcheinander und mündete im Bürgerkrieg der von den USA gepäppelten Mudjaheddin: Usbeken, Tadschiken, Hazara und Paschtunen wetteiferten mit schwerem Gerät um die richtige Auslegung des Koran und legten dabei einiges im Land in Schutt und Asche.

Die westliche Welt hat von Anfang an den Einmarsch in Afghanistan 2001 und die Besatzung als eine zivilisatorische Errungenschaft schöngefärbt, wo einem rückständigen Volk die Segnungen der modernen Zivilisation verpaßt werden.

Jetzt hingegen zittern alle, daß die Taliban womöglich gar nicht so rückständig sind und mit Rußland, ihren Nachbarstaaten, dem Iran und China in freundschaftliche Beziehungen treten können und im Great Game des XXI. Jahrhunderts eine bedeutende Kräfteverschiebung in Richtung feindlicher Block stattfindet.

47 Gedanken zu “Die Taliban in Kabul

  1. Die Regierung von China würde die Taliban-Regierung anerkennen, um durch eine solche Umarmung die neue afghanische Regierung davon abzubringen,  sich mittels forcierter Aufstachelung von Uiguren aufständisch in bzw. gegen China breit machen zu wollen. Das meint jedenfalls die taz. https://taz.de/Machtuebernahme-in-Afghanistan/!5793849/    –  Dieselbe taz, die ansonsten hinter der Kriegführung des Westens umgekehrt nichts als positive Dienstleistungen an die unterdrückten afghanischen Frauen sehen wollte. So borniert-dumm und [bzw. weil] so parteilich schaut die Weltsicht eines deutschen Freiheitsorgans aus: Bei eigenen Kriegen nichts als allerbeste menschenfreundliche Absichten unterstellen, und bei Kriegsbeendigungen bzw. Regierungsantritt andernorts nichts als neue geheime zukünftige Kriegsabsichten in der ganzen Region wittern ….

    Bei der Gegenbehauptung: “alles Lüge”, und NATO und USA wollten mit dem Afghanistankrieg nichts als Massenmörder zum Regieren bringen, damit sich dort Korruption ausbreiten solle:  https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Hier-sind-die-Gewinner-6166281.html wird der Verlauf des militärischen NATO-Einsatzes zu ihrem eigentlichen wahren menschenschädlichen Zweck gemacht. Auch so kann man für besseres bürgerliches Regieren Propaganda machen…

  2. Die TAZ ist sowieso ein Kriegstreiber-Organ …

    Aber es ist nicht zu übersehen, wie gerade auf der linken, „fortschrittlichen“ Ecke wirkliche Verwirrung herrscht. Während in den 70-er und auch 80-er Jahren nationale Befreiungsbewegungen beklatscht wurden, schlägt sich die Meute jetzt mehrheitlich auf die Seite der Besatzer als Verkünder des Wahren, Guten und Schönen.

    Gegenüber der Dämonisierung der Taliban ist zu bemerken, daß die erstens bei ihrem Blitzkrieg mehr Köpfchen und auch Milde an den Tag gelegt haben als alle anderen. Sogar Dostum haben sie laufen gelassen, mit dem es mehr als ein Massaker zu Abrechnen gegeben hätte. Jetzt beknien sie die Beamtenschaft, doch bitte weiterzumachen, alles ist vergeben und vergessen!

    Man muß sich einmal deren Lage vor Augen halten: Die müssen jetzt einmal den Großraum Kabul versorgen, ca. 12 Millionen Menschen. Und das mit einem unbrauchbaren Flughafen, weil bis dort wieder normaler Flugverkehr möglich ist, das wird mindestens eine Woche dauern. Alles an Versorgungsgütern muß über den Khyberpass kommen, oder über Spin Boldak, eine irre Aufgabe.

    Die haben jetzt andere Sorgen als Händeabhacken oder Kleidungsvorschriften. Sogar das 5x tägliche Gebet dürfte bei vielen ausfallen.

  3. @Leser (am anderen Beitrag, bezieht sich auf den Dillmann-Artikel zur Verlängerung des Afghanistan-Mandats für die Bundeswehr)

    Na, das ist inzwischen alles Schall und Rauch und zeigt nur, wie Deutschland sich als Weltmacht aufführen will, obwohl sie gar keine Mittel dazu hat, und auch keinerlei Strategie.

    Ein ganz interessanter Artikel aus der NZZ:

    Zwanzig Jahre hat der Westen an Afghanistan gebaut. Innert Tagen bricht alles zusammen. Wie konnte das passieren?

    Die Geschichte der Islamischen Republik ist eine von Korruption und Verdrängung.

    Zehn Tage dauerte es nur, und alles zerfiel. Am 6. August hatten die Taliban Zaranj erobert, die erste Provinzhauptstadt war unter ihrer Kontrolle. Zehn Tage später gehört ihnen Kabul. Vielleicht ist auch vorher schon alles zerfallen, im Mai, als die Taliban zu ihrer Offensive ansetzten und ganze Provinzen eroberten. Vielleicht ist es auch schon viel länger vorbei mit der Islamischen Republik Afghanistan, und kaum einer hat es gemerkt.

    Innert weniger Tage und Wochen ist ein Staat zusammengebrochen, an dem die Amerikaner und ihre Verbündeten zwanzig Jahre gebaut hatten. Wie konnte das passieren?

    Will man verstehen, weshalb Afghanistan innert zwei Wochen zerbröselt ist, muss man zwanzig Jahre zurückschauen, sich den Zeitgeist vergegenwärtigen. Und das, was er mit dem Westen machte.

    Die Taliban hatten keine Chance

    Die Anschläge vom 11. September 2001 waren traumatisch vor allem für die USA, aber auch für Europa. Anfang der 1990er Jahre hatte Francis Fukuyama das Ende der Geschichte erklärt, die Sowjetunion war zerbrochen. Bald würden alle Länder der Welt Demokratien nach westlichem Vorbild sein. Der 11. September war das Ende einer Illusion. Die USA zogen in den Krieg gegen den Terror. Die Nato erklärte den Bündnisfall, zum ersten und bisher einzigen Mal – Deutschland, England, Frankreich, alle sandten Truppen nach Afghanistan.

    Die Taliban hatten gar keine Chance. Ihr Regime fiel innert Tagen.

    Es war ein Sieg für die Nato, aber eben auch für die Demokratie. Viele Länder engagierten sich. Nicht militärisch, aber am Aufbau dieses Landes, das so sehr gelitten hatte. Und damit begann die Korruption.

    Torek Farhadi war 2002 mitverantwortlich für die Koordination der Hilfe in Afghanistan, er arbeitete für die damalige Übergangsregierung, später beriet er den Präsidenten Hamid Karzai. Farhadi erzählt eine Episode, sie ist symbolisch für die Zeit des Wiederaufbaus: «Ich habe acht Monate lang mit den Japanern über den Bau von Schulen verhandelt. Sie haben endlich das Geld versprochen. Plötzlich erfuhr ich, dass die Amerikaner am genau gleichen Ort schon eine Schule finanziert hatten. Sie haben mich nicht einmal informiert.»

    Farhadi sagt, die Hilfe sei nicht koordiniert gewesen. Alle kamen mit vollen Geldkoffern nach Afghanistan, alle wollten helfen. Fast jedes Projekt wurde finanziert, kaum eines kontrolliert. «Der Westen ist ein Komplize der Korruption in Afghanistan», sagt Farhadi. Nicht weil er helfen wollte, sondern weil er immer wieder wegsah. (…)

    https://www.nzz.ch/international/afghanistan-wie-konnte-der-staat-innert-tagen-kollabieren-ld.1640606?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

    Die USA und die Freie Welt haben in Afghanistan vor allem Kabul zu einer Metropole aufgeblasen, mit Hilfsgeldern, Schulbauten, Projekten aller Art, usw. Die Provinz oder die Landwirtschaft interessierte niemanden.

    Die neue Regierung hat daher vor allem das Problem, wie sie diese Metropole, die von Hilfsgeldern alimentiert wurde, weiter betreibt und versorgt.

    Es ist hier wie sonstwo verkehrt, sich auf die „Korruption“ zu berufen. Das Verschwinden öffentlicher Gelder in privaten Taschen ist eine Folge von Verhältnissen, die den ökonomischen Kreislauf eines Landes behindern, und nicht ihre Ursache.

    Afghanistan ist unter der Besatzung ähnlich wie die EU deformiert worden: Alles strömte in die Meropole, die wuchs enorm an, und dort lebten die Menschen von Hilfsgeldern. Am Land florierte der Opiumanbau unter der Fuchtel von örtlichen Notabeln, die sich damit einen luxuriösen Lebenswandel finanzierten und dem Rest der Bevölkerung Brosamen übrig ließen.

    Die Taliban treten ein schweres Erbe an, und alle Regierungen wären gut beraten, sie zu unterstützen, anstatt sie zu dämonisieren. Aber wie es aussieht, können sie nur auf Staaten hoffen, die mit dem westlichen Imperialismus nicht verbunden sind: den Iran, Rußland und China. Und wahrscheinlich die zentralasiatischen Staaten, in Zusammenarbeit mit Rußland.

    Dazu kommt natürlich Pakistan, das aus verschiedenen Gründen die Taliban unterstützen wird. Man wird sehen, was das für die ganze Region für Folgen haben wird.

  4. Flughafen Kabul abgeriegelt

    Taliban erschweren Flug ins Ausland

    Während sich die Lage auf dem Flughafen in der afghanischen Hauptstadt Kabul beim Ausfliegen von diplomatischem Personal und Zivilpersonen in die jeweiligen Länder am Dienstag beruhigt hat, häufen sich offenbar die Probleme, will man überhaupt auf den Flughafen gelangen – vor allem für Afghaninnen und Afghanen. (…)

    Landebahn und Rollfeld nun frei

    Laut den Angaben des Sicherheitsbeamten sind die Landebahn und das Rollfeld des Flughafens nun frei von Menschenmassen, die noch am Montag verzweifelt den Flughafen belagert hatten, um aus der afghanischen Hauptstadt zu fliehen. Die Start- und Landebahn ist auch nach Angaben eines NATO-Vertreters wieder geöffnet.

    USA wollen täglich mehrere tausend Menschen ausfliegen

    Die USA rechnen damit, pro Tag 5.000 bis 9.000 Menschen aus Kabul ausfliegen zu können. Das sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby, dem Sender CNN. In den USA stünden drei Militärstützpunkte bereit, um in den kommenden Wochen bis zu 22.000 afghanische Helfer aufzunehmen. Seinen Angaben nach sichern rund 3.500 US-Soldaten den Kabuler Flughafen. Er warnte, jeder Angriff auf Menschen oder Abläufe auf dem Flughafen werde sofort beantwortet.

    Mit der Landung eines zweiten Transportflugzeugs auf dem Flughafen von Kabul setzte die deutsche Bundeswehr am Dienstag ihre Evakuierungsmission fort. „Wir nehmen alles mit, was vom Platz her in unsere Flugzeuge passt“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in Berlin. Das betreffe deutsche Staatsbürger, gefährdete Afghanen und Staatsbürger verbündeter Nationen. (…)

    Japan zog unterdessen sein gesamtes Botschaftspersonal aus Afghanistan ab. „Wegen der raschen Verschlechterung der Sicherheitslage schließen wir zeitweise unsere dortige Botschaft“, teilte das Außenministerium in Tokio mit. Die zwölf letzten Botschaftsmitarbeiter seien von einer befreundeten Nation von Kabul nach Dubai geflogen worden. (…)

    Rotes Kreuz bleibt in Afghanistan

    Das Rote Kreuz bzw. der Rote Halbmond werden weiter in Afghanistan präsent sein, um den Menschen zu helfen. „Diese Hilfe ist auch dringend nötig“, so der Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig, am Dienstag in einer Aussendung. Nicht nur der aktuelle Konflikt, „auch extreme Dürre und Corona machen dem Land zu schaffen, das jetzt plötzlich im Zentrum der Medienöffentlichkeit steht“.

    Fast elf Millionen Menschen, also etwa ein Drittel der Bevölkerung, hätten schon bisher dringend Hilfe benötigt. „Es gibt zu wenig Nahrung und Wasser. Wir stehen vor einer Riesenherausforderung“, so Opriesnig. Die Klimaerwärmung verschärfe die Situation. Der Weizenertrag sei stark gesunken, viele Nutztiere drohten zu verenden. Und das in einem Land, in dem 80 Prozent der Afghanischen Bevölkerung von Landwirtschaft und Tierhaltung leben: „Zehntausende Familien mussten ihre Dörfer deshalb bereits verlassen. Dazu kommen etwa 390.000 Vertriebene durch den Konflikt“, so Opriesnig.

    Taliban verkünden Generalamnestie

    Die Taliban verkündeten unterdessen eine Generalamnestie für alle afghanischen Regierungsmitarbeiter. Die Dschihadisten forderten die Beamten am Dienstag auf, zu ihrem Arbeitsplatz zurückzukehren. „Sie sollten mit vollem Vertrauen in Ihren Alltag zurückkehren“, hieß es in einer Erklärung der Taliban.

    Der Vizechef der Taliban wies seine Kämpfer an, keine Privathäuser in Kabul zu betreten. Unter keinen Umständen sollte irgendjemand in die Häuser von Menschen gehen oder ihre Fahrzeuge mitnehmen, hieß es in einer vom lokalen TV-Sender ToloNews veröffentlichten Audionachricht, die dem Taliban-Vizechef Mullah Yaqub zugeschrieben wurde. Das sei ein „Verrat am System“, und man werde die Person zur Rechenschaft ziehen.

    Taliban sollen auch Autos gestohlen haben

    Hintergrund der Botschaft ist offensichtlich, dass sich seit der faktischen Machtübernahme der Taliban in Kabul Berichte mehrten, dass sich Taliban-Kämpfer Zutritt zu Wohnhäusern verschafften und Autos mitnahmen. Gleichzeitig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle die Ankunft der Taliban ausnutzten und wohl vorgaben, Taliban zu sein.

    Die Taliban weisen nach Angaben eines Sprechers ihre Kämpfer auch an, Botschaften nicht zu betreten und keine Fahrzeuge von Diplomaten zu behindern. „Die Mitglieder der Taliban sind angewiesen worden, auf allen Ebenen sicherzustellen, dass wir jede Vertretung eines Landes in Afghanistan respektieren“, sagte ein Vertreter der Taliban, der nicht namentlich genannt werden wollte. Die Bürger würden von den Taliban aufgefordert, ihren üblichen Arbeiten nachzugehen.

    Unterdessen floh nach dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani auch der Chef der afghanischen Zentralbank aus Kabul. Durch den Vormarsch der Taliban war der afghanische Devisenmarkt zuletzt in Turbulenzen geraten, vor allem, nachdem die Zentralbank am Freitag erklärt hatte, sie werde keine weiteren Dollar mehr erhalten.

    Usbekistan will Flucht verhindern

    Das Nachbarland Usbekistan will Fluchtbewegungen in das eigene Staatsgebiet verhindern. Jeder Versuch, die Grenze zu verletzen, werde gemäß usbekischem Recht strikt unterbunden, teilte das Außenministerium am Dienstag in der Hauptstadt Taschkent mit. Die Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien stehe in Fragen des Grenzschutzes und zur Lage an der Grenze eng in Kontakt mit den Taliban.

    Am Wochenende hatten nach usbekischen Angaben 22 Militärflugzeuge und 24 Hubschrauber mit zusammen 585 afghanischen Soldaten das Land erreicht. 84 afghanische Soldaten waren außerdem auf dem Landweg in die Ex-Sowjetrepublik geflohen. Darüber hinaus hatten 158 Zivilisten laut der usbekischen Staatsanwaltschaft illegal die Grenze überquert. Ein afghanisches Militärflugzeug wurde abgeschossen.

    Dem usbekischen Außenministerium zufolge will Usbekistan an den traditionell freundschaftlichen und guten nachbarschaftlichen Beziehungen zu Afghanistan festhalten. Man wolle sich weiterhin nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes einmischen und hoffe, dass die Machtübernahme friedlich verlaufe auf Grundlage „der allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts“, teilte das Ministerium mit.

    https://orf.at/stories/3225189/

  5. Ein Artikel in der Komsomolskaja Pravda zählt auf, was den Taliban alles an Kriegsgerät in die Hände gefallen ist:

    I. Fluggeräte: 22 Embraer-314 Super Tucano (leichte Aufklärungsflugzeuge,                            brasilianische Produktion)
                             4 Transportflugzeuge C-130H Hercules (Lockheed)
                             24 Cessna 208B (US-Transportflugzeug)
                             18 Turboprop PC-12 (geländegängiges Mehrzweckflugzeug, Pilatus, Schweiz)
                             6 MI-35 (Kampfhubschrauber, Rußland)
                             76 MI-17 (Kampfhubschrauber, Rußland)
                             41 MD-530F (eleganter Mehrzweckhubschrauber, USA)
                             bis zu 30 Stück UH-60A Black Hawk

    Der Autor merkt spöttisch an, dank der USA verfügt jetzt eine terroristische Organisation auch über eine Luftwaffe, und eine gar nicht so kleine.

    Beachtlich auch das Arsenal an Bodentechnik:

                          40 mittlere Panzer Т-55 и Т-62
                          640 Schützenpanzer MSFV
                          200 Panzerfahrzeuge MAXX Pro und mehrere 1000e Panzerfahrzeuge der Marke                       „Humvee“ (alles USA-Produktion).

    Man merkt hier, wie gut die US-Rüstungsindustrie mit dem Afghanistan-Krieg gefahren ist.

    Dann Schußgeräte:

                          50 Raketenwerfer "Grad" (Sowjetische/russische Produktion)
                          mehr als 80 122-mm-Haubitzen D-30 (Sowjetische/russische Produktion)
                          mehr als 500 Minenwerfer
                          50 Panzerabwehrgeschütze „Javelin“ (US-Produktion)
                          mehr als 1000 tragbare Raketensysteme
                          sowie ein wahres Meer von Schußwaffen verschiedener Kaliber

    Weiters Kommunikationstechnik in rauhen Mengen, Nachtsichtgeräte, Zielfernrohre, Drohnen.

    Alles auf Kosten der US-Kasse für die afghanische Armee angeschafft, und jetzt bei den Taliban gelandet …

  6. Der Vertreter der afghanischen Diaspora in Rußland rechnet mit Flüchtlingen, weist jedoch darauf hin, daß man sich darauf einstellen sollte, daß viele von ihnen Analphabeten sind.

    Außerdem spricht er von einer drohenden humanitären Katastrophe in Kabul, wo Tausende Flüchtlinge aus den Provinzen praktisch auf der Straße leben und nix zum Fressen haben.

    Er weist auch darauf hin, daß viele der älteren Afghanen in der SU studiert haben und es inzwischen eine gewisse Nostalhgie gegenüber Rußland gibt, weil die SU hat in Afghanistan immerhin Fabriken und Straßen gebaut, zum Unterschied von der jetzigen Besatzung.

  7. Flüchtlinge aus Afghanistan sollen gefälligst  in Lagern im Umfeld des Landes verbleiben, und nicht bis zur BRD durchkommen. Dieser generelle Regierungs-Standpunkt, den über die Jahre Seehofer verkörpert hat, auch Österreichs Regierung, der ist offensichtlich auch der Grund dafür, dass die "Evakuierung" von afghanischen "BRD-Helfern" eher schleppend vonstatten geht, was hierzulande  als "Chaos" leider verkehrt zum Thema gemacht wird. (Dass innerhalb der Flüchtlinge anschließend in der BRD groß Unterschiede gemacht würden, das wurde übrigens offiziell mit dem “Skandal” über die angebliche Bevorzugung von Jesiden in Bremen https://www.deutschlandfunk.de/die-vermeintliche-bremer-bamf-affaere-hochgezogen.724.de.html?dram:article_id=501364 ad acta gelegt.)  Vgl. dazu auch diesen älteren Beitrag von F. Huisken       http://www.fhuisken.de/downloadable/korrespondenz/korrespondenz-fl%C3%BCchtlinge-oder-gefl%C3%BCchtete.pdf
    Nestor htte bereits oben aufgeschrieben: Das Nachbarland Usbekistan will Fluchtbewegungen in das eigene Staatsgebiet verhindern. Jeder Versuch, die Grenze zu verletzen, werde gemäß usbekischem Recht strikt unterbunden, teilte das Außenministerium am Dienstag in der Hauptstadt Taschkent mit. Die Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien stehe in Fragen des Grenzschutzes und zur Lage an der Grenze eng in Kontakt mit den Taliban.

  8. Ja, das Gejeier um die „Ortskräfte“, die im Stich gelassen werden, setzt sich auch in den USA fort, wo ein noch unter Obama im Kongreß angenommenes Gesetz zur Visaerteilung für Helfer so schöpferisch angewendet wurde, daß die Leute 4 bis 8 Jahre drauf warten müssen.

    Wie man es dreht und wendet: Niemand will diese Kollaborateure, obwohl das sicher sehr brave Staatsbürger wären, die die westlichen Werte hochhalten.

    Die Frage stellt sich, wer unter solchen Umständen noch mit Besatzern zusammenarbeiten will? Es schaut so aus, als ob die Zeit der „Auslandseinsätze“, sprich Einmärsche, zu Ende geht. Auch in Afrika dürfte es bald zu Rückzugsbewegungen kommen.

    Der Prestigeverlust des Freien Westens ist enorm, weil diese Wurschtigkeit gegenüber den Helfershelfern wird auch weltweit zur Kenntnis genommen.

  9. Die selbsternannte Taliban-Regierung darf vorerst nicht auf allzu viele Geldmittel hoffen: Die US-Regierung und die US-Notenbank haben den Großteil von Afghanistans Währungsreserven in den USA eingefroren. Der Internationale Währungsfonds setzt den Zugang des Landes zu IWF-Ressourcen wegen der unklaren Regierungsverhältnisse aus. (…)

    Auch bei der Blockade der Währungsreserven in den USA geht es darum, die Anlagen nicht in die Hände der Taliban fallen zu lassen, zitierte unter anderem die "Washington Post" Kreise aus dem US-Finanzministerium.

    Druckmittel für westliche Staaten

    Der nach der Machtübernahme der Taliban außer Landes geflohene afghanische Zentralbankchef Ajmal Ahmady hatte am Mittwoch auf Twitter erklärt, rund sieben Milliarden Dollar (sechs Milliarden Euro) der Reserven seien bei der US-Notenbank in Verwahrung. Weitere zwei Milliarden Dollar sind demnach anderweitig international angelegt.

    Die Taliban hätten daher wohl nur Zugriff auf bis zu 0,2 Prozent der Währungsreserven, schrieb er. Weil in Afghanistan bisher deutlich mehr US-Dollar ausgegeben als eingenommen wurden, war die Zentralbank zudem auf regelmäßige Lieferungen von US-Bargeld angewiesen. Ahmady zufolge hat die Zentralbank nun aber kaum mehr US-Dollar, weil die Lieferungen angesichts des Vormarschs der Taliban eingestellt worden seien. Der Mangel an US-Dollar könnte zu Kapitalkontrollen, einer Begrenzung von Abhebungen und zu einem Verfall des Kurses der örtlichen Währung führen.

    https://www.derstandard.at/story/2000129021011/biden-nennt-chaos-beim-us-truppenabzug-aus-afghanistan-unvermeidbar

  10. Es ist interessant, worüber es bisher zu Demonstrationen mit Blutvergießen und Toten gekommen ist:

    Um die Flagge Afghanistans, also ein Hoheitszeichen

    Zur Flagge Afghanistans kann man hier alles nötige nachlesen. Umstritten war sie immer, ihre bisher gängige Form stammte aus der Zeit Amanollahs, der die britische Besatzung los wurde, aber dann selbst fluchtartig Afghanistan verlassen mußte.

    Die Flagge der Taliban enthält die Schahada, das Vaterunser des Islams: „Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammend ist sein Gesandter“

    Das gleiche Zitat, aber in anderer Form, enthält die Flagge des IS,

    während die Flagge Saudi Arabiens das gleiche Bekenntnis auf grünem Grund, der Farbe des Islams, enthält:

    Die Verteidiger der Flagge Afghanistans beziehen sich als auf Afghanistan als Staat, als Nation und wollen die neue Herrschaft daran erinnern, daß sie der afghanischen Bevölkerung zu dienen habe. (Für die Taliban hat diese Fahne allerdings den üblen Beigeschmack der Kollaboration … Sie löste nach 2001 die Taliban-Fahne ab und wehte unter dem Besatzungsregime.)

    Die Fahnen mit der Schahada hingegen haben einen universalistischen Anspruch, es ist eine Fahne, die alle Muslime ansprechen – und zu den Fahnen rufen soll. Die Schahada-Fahne weist also weit über die Grenzen Afghanistans hinaus.

    Dieser Fahnenstreit wirft bereits ein Licht auf zukünftige Richtungskämpfe innerhalb der neuen Führung.

  11. Spanien evakuiert seine gesamten ehemaligen afghanischen Mitarbeiter, indem es spanische Soldaten nach Kabul schickt, die die Leute von ihren jeweiligen Aufenthaltsorten abholen und zum Flughafen bringen sollen, sobald eine von Spanien geschickte Maschine startklar ist. Es rechnet mit dem Abtransport von bis zu 800 Personen.

    Ein solches Vorgehen ist offenbar von anderen Staaten der EU nicht vorgesehen, worin man sehen kann, daß hier auch wieder eine Art Konkurrenz um die außenpolitische Glaubwürdigkeit losgeht.

  12. Zu dem fahnenstreit: Die Machtübernahme der Taliban trifft sich nämlich mit dem aghanischen Nationalfeiertag am 19. August, mit dem der Friedensschluß von Rawalpindi (am 8. August 1919) gefeiert wird:

    „Darin erkannte Großbritannien die volle staatliche Souveränität Afghanistans an. Im Gegenzug akzeptierte Afghanistan die Durand-Linie Linie und somit den Verlust ehemaliger Landesteile an Britisch-Indien.“

    https://de.wikipedia.org/wiki/Friede_von_Rawalpindi

    Dieser Streit um die Fahne ist also gar nicht so ohne, weil da geht es um Grenzfragen.

    Es ist auch noch festzuhalten, daß dieser Gegensatz zwischen universalistischer Religion und territorial definierter Souveränität höchst abstrakt ist und nichts mit Primitivität oder „Mittelalter“ zu tun hat, wie den Taliban gerne nachgesagt wird.

  13. Vermögen der Afghanischen Zentralbank

    Kabuls Dollar-Milliarden und die Taliban

    Nach Informationen eines US-Insiders haben die Taliban keinen Zugriff auf das Vermögen der Afghanischen Zentralbank in den USA. Dort hat die geflohene afghanische Regierung nicht nur ihre Goldreserven deponiert.

    Die radikal-islamischen Taliban haben die Macht in Afghanistan mit erstaunlicher Geschwindigkeit übernommen. Mit dem gleichen Tempo werden die neuen Herscher am Hindukusch aber voraussichtlich nicht die Kontrolle über mehrere Milliarden Dollar an Vermögenswerten der heimischen Notenbank erlangen können. Wie der aus Kabul geflohene Zenralbank-Gouverneur Adschmal Ahmadi am Mittwoch via Twitter mitteilte, kontrollierte die Zentralbank, Da Afghanistan Bank (DAB), zuletzt rund neun Milliarden Dollar an Reserven. Der überwiegende Teil werde in Form von Gold oder US-Staatsanleihen bei der US-Notenbank Federal Reserve in New York, bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und über die Weltbank und weitere Konten gehalten.

    Ex-Zentralbank-Gouverneur: Devisenreserven sicher

    »In keiner Weise wurden Afghanistans internationale Reserven jemals kompromittiert«, twitterte Ahmadi. Von keinem Reserve-Konto sei Geld gestohlen worden. Er könne sich auch kein Szenario vorstellen, in dem das US-Finanzministerium oder deren Kontrollbehörde OFAC den Taliban Zugang zu solchen Geldern gewähren würde (siehe Tweet unten). Die Taliban stünden immer noch auf internationalen Sanktionslisten. Es sei daher zu erwarten, dass Vermögenswerte eingefroren würden und die Taliban auf sie keinen Zugriff erlangten. "Wir können sagen, dass die für die Taliban zugänglichen Mittel vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozent der gesamten internationalen Reserven Afghanistans sind. Nicht viel", erklärte Ahmadi.

    Ein Mitarbeiter der Regierung von US-Präsident Joe Biden sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Jedwede Zentralbank-Vermögensgegenstände, die die afghanische Regierung in den Vereinigten Staaten hat, werden den Taliban nicht zugänglich gemacht." Die Taliban hatten in einer Mitteilung am Samstag erklärt, dass die Staatskasse, öffentliche Einrichtungen und Regierungsbüros Eigentum der Nation seien und streng bewacht werden sollten. Nach der letzten online einsehbaren Bilanz der DAB vom Juni besaß die Notenbank ein Gesamtvermögen von umgerechnet rund zehn Milliarden Dollar.

    Darunter waren Goldreserven im Wert 1,3 Milliarden Dollar und Barreserven in Fremdwährung über 362 Millionen Dollar nach dem damaligen Umrechnungskurs. Laut Jahresbilanz 2020 wurden die Goldbarren bei der Federal Reserve in New York aufbewahrt.

    Was passiert mit dem Baktrischen Goldschatz?

    Zentralbanken in Entwicklungsländern parken Vermögenswerte oftmals im Ausland bei Institutionen wie der US-Notenbank oder der Bank von England. Im Juni-Bericht der afghanischen Währungshüter wurden zudem Investments im Wert von 6,1 Milliarden Dollar ausgewiesen. Details dazu fanden sich zwar nicht. Aber aus einer früheren Aufstellung im Jahresbericht der Bank kann abgelesen werden, dass die Mehrheit davon US-Staatsanleihen und US-Schatzanweisungen sind. Zu den kleineren Investments gehörten Anteile an einem Investmentpool.

    Die Fremdwährungsreserven der DAB von 362 Millionen Dollar (308 Millionen Euro) bestehen fast ausschließlich aus der US-Währung. Sie lagerten zuletzt im Hauptsitz und in den Zweigstellen der Notenbank sowie im Präsidentenpalast in Kabul, der sich inzwischen in den Händen der Taliban befindet (Artikelbild). Auch knapp 160 Millionen Dollar (136 Millionen Euro) an Goldbarren und Silbermünzen wurden laut dem Jahresbericht im Präsidenten-Palast aufbewahrt. 

    In den Schatzkammern der afghanischen Notenbank lagerten nach Angaben der UNESCO außerdem 2000 Jahre alte Goldjuwelen, Ornamente und Münzen des sogenannten Baktrischen Schatzes. Die rund 21.000 archäologischen Artefakte galten bis zum Jahr 2003 als verschollen. Dann aber wurden sie in einem geheimen Tresor im Keller der Zentralbank entdeckt. Die archäologischen Fundstücke waren unter der früheren Herrschaft der Taliban unentdeckt geblieben.

    Afghanistans IWF-Sonderziehungsrechte

    Eine wichtige Frage wird auch sein, was mit dem Anteil Afghanistans an den zusätzlichen Mitteln von 650 Milliarden Dollar (553 Milliarden Euro) beim Internationalen Währungsfonds (IWF) geschehen soll. Die Erhöhung der sogenannten Sonderziehungsrechte (SDRs) soll am 23. August wirksam werden. Damit sollen insbesondere die von der Corona-Pandemie gebeutelten ärmeren Entwicklungsländer gestützt werden. Als IWF-Mitglied stehen Afghanistan gemäß seinem 0,07-prozentigen Anteil an dem Fonds Mittel im Umfang von rund 455 Millionen Dollar (387 Millionen Euro) zu.

    In vielen Hauptstädten rund um den Globus wäre es wahrscheinlich nur schwer vermittelbar, sollten die Taliban Zugriff auf diese Mittel erhalten. Nicht immer können Länder über solche Gelder verfügen. So wurde beispielsweise 2019 Venezuela der Zugriff verweigert, nachdem 50 Mitgliedsländer es abgelehnt hatten, nach den umstrittenen Wahlen 2018 die Regierung von Nicolás Maduro als legitim anzuerkennen. Der IWF äußerte sich auf eine Anfrage zu Afghanistan zunächst nicht. Einer mit der Situation vertrauten Person zufolge folgt der Fonds in solchen Fällen der Haltung seiner Mitglieder.

    https://www.dw.com/de/kabuls-dollar-milliarden-und-die-taliban/a-58897807

    Was da so cool als „Wir hüten Afghanistans Schätze“ daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Aneignung derselben, wie es die USA schon mit verschiedenen Staaten gemacht haben. (Nur bei Ghaddafi kamen die Europäer zum Zug):
    Schah von Persien 1979
    Ukraine 2014
    Philippinen 1986
    Venezuela 2019
    jetzt Afghanistan …
    (Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

    Auch eine Unterfütterung der Leitwährung, die geraubten Schätze anderer Staaten.

    Man kann übrigens spätestens in ein paar Monaten mit Berichten rechnen, in denen über Hungersnöte in Afghanistan berichtet wird, die dann natürlich ein Ergebnis der „Mißwirtschaft“ und „Willkürherrschft“ der Taliban sein werden, damit diese altbackenen Textbaustein-Semmeln auch wieder einmal aufgewärmt werden können.

  14. Primitivität, Mittelalter steht für Rückständigkeit. Und Rückständigkeit ist ja auch bloß eine Zuschreibung und keine Aufklärung worum es bei dem Gegensatz von universalistischer Religion und territorialer Souveränität geht. Es geht natürlich in beiden Fällen um die Staatsraison. Es geht um den Gemeinwillen, auf den sich der afghanische Staat gründen soll. Ist der Gemeinwille ein islamischer, soll die islamische Religion das gemeinsame Band sein, das die Nation zusammenhält und dem die Gewalt gehorcht oder soll Religion und Staat getrennt sein, soll es eine bürgerliche Nation sein. Was nicht heißen soll das in einem Islamischen Staat kein Kapitalismus herrschen soll. Es ist eher eine Frage der Reihenfolge. Islam an erster Stelle oder Kapitalismus an erster Stelle. 

  15. Historiker rechnet mit Merkels Außenpolitik ab

    „Das Afghanistan-Debakel ist nur die Spitze des Eisberges“

    Das Scheitern in Afghanistan wirft die Frage nach der außenpolitischen Bilanz der Kanzlerin auf. Ein kritisches Resümee. (…)

    https://www.tagesspiegel.de/politik/historiker-rechnet-mit-merkels-aussenpolitik-ab-das-afghanistan-debakel-ist-nur-die-spitze-des-eisberges/27526408.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

    Was als wahnsinnig kritischer Abgesang auf Mutti daherkommt, ist eigentlich das Zähnknirschen darüber, daß Deutschlands Außenpolitik seit geraumer Zeit darin besteht, bei den US-Aktionen Adabei zu sein.

  16. Neuigkeiten zu Afghanistan:

    Die Nachbarstaaten Afghanistans haben es offenbar zur Bedingung gemacht, mit der neuen Taliban-Regierung zusammenzuarbeiten, daß sie die Flüchtlingsbewegungen stoppen. Weder der Iran, noch Pakistan noch die nördlichen Nachbarn wollen jede Menge afghanische Flüchtlinge. Die Sperre der Landgrenzen geht sicher nicht von den Taliban aus.

    Weil den Taliban wäre es sicher recht, wenn möglichst viele ihrer Gegner abhauen. Die müßten sie dann 1. nicht füttern und 2. hätten sie keine politischen Probleme.

    Der Flughafen Kabul ist aus logistischen Gründen ein Nadelöhr. Er war nicht in erster Linie für Personentransport ausgerichtet. Es war mehr ein Militär- und Fracht-Flughafen. Er ist also derzeit völlig überfordert. Er scheint auch über keinen bemannten Tower zu verfügen. Die landenden und abhebenden Flugzeuge müssen sich also über Funk verständigen, wer gerade landet oder abhebt.

    Ein weiteres Problem scheint der Luftraum Afghanistans zu sein. Der wurde von den US- bzw. NATO-Truppen überwacht, teilweise mit Drohnen-Flügen. Die Taliban haben keine Piloten, keine ausgebildeten Leute für Betrieb und Wartung der ganzen Fluggeräte, die ihnen durch den Abzug der NATO-Truppen in die Hände gefallen sind. Ihre militärische Führung bekniet die vorherigen Regierungssoldaten, sich zu melden und die Bedienung und Wartung der Fluggeräte zu übernehmen – Piloten, Mechaniker und Fluglotsen.

    Der IS rivalisiert mit den Taliban um die Macht in Afghanistan, und die IS-Leute (Herübergemachte aus Syrien oder Überläufer aus der eigenen afghanischen Fraktion) drohen mit Selbstmordattentaten in Menschenmengen, um sich bei der Taliban-Führung als ernstzunehmende Verhandlungspartner ins Gespräch zu bringen.

    Die Taliban haben es nicht leicht, auch angesichts der mangelnden Bereitschaft der USA und europäischer Staaten, Afghanen aufzunehmen.

  17. Aus meinen Debatten, die ich im Standard-Forum zu dem Afghanistan-Abzug führe, merke ich, wie der Stolz der demokratischen Untertanen sehr unter diesem schmählichen Rückzug leidet. Biden wird angefeindet, und alle gehen auf Schuldsuche.

    Man hat sich doch ganz wohlgefühlt als Mitglied der demokratischen Wertegemeinschaft, die den anderen Mores lehrt.

  18. Sieh da, sieh da – Konflikte mit Pakistan kündigen sich an:

    Taliban wollen Kämpfern aus Pakistan Einhalt gebieten

    Die neue Taliban-Führung in Afghanistan will die von ihnen unabhängigen Taliban aus Pakistan nach eigenem Bekunden nicht auf ihrem Staatsgebiet gewähren lassen. Der pakistanische Innenminister Sheikh Rashid Ahmed sagte, seine Regierung habe aus Kabul die Zusicherung erhalten, dass den pakistanischen Taliban nicht erlaubt werde, von afghanischem Boden aus Angriffe auf Pakistan zu verüben.

    Ahmed zeigte sich besorgt, weil beim Eroberungsfeldzug der Taliban mehrere Mitglieder und auch Anführer der in Pakistan verbotenen Gruppe Tehreek-e-Taliban aus afghanischen Gefängnissen befreit worden seien. Man sei deshalb in Kontakt mit den afghanischen Taliban.

    Die pakistanischen Taliban haben die Verantwortung für eine Reihe schwerer Anschläge übernommen, unter anderem im Jahr 2014, als bei einem Angriff auf eine Schule in Peshawar 154 Menschen ums Leben kamen, die meisten von ihnen Kinder. Viele Mitglieder der Gruppe sollen sich in Afghanistan versteckt halten, um Militäroperationen in Pakistan zu entgehen.

  19. Ob es wieder eine Neuauflage von Al-Kaida als internationale Terrororganisation geben wird, oder ob sich diese Organisation mit dem Erreichen eines Islamischen Kalifats in Afghanistan zufriedengeben wird. Die neue afghanische Führung dürfte jedenfalls nicht glücklich sein, falls sich Afghanistan wieder als Sprungbrett für internationale Attentate etablieren würde:

    Afghanistan, Again, Becomes a Cradle for Jihadism—and Al Qaeda

    The terrorist group has outlasted the trillion-dollar U.S. investment in Afghanistan since 9/11.

    In March, I travelled to Afghanistan and the Middle East with General Kenneth (Frank) McKenzie, Jr., the Alabama-born marine who heads Central Command. He has been overseeing the frantic evacuation out of Kabul. During one of several interviews aboard his plane, I asked him, “Do you really think, given the intermarriage, the interweaving of the Taliban and Al Qaeda, that the Taliban is really ever going to be able or willing to restrain Al Qaeda from doing anything against us?” By then, the Taliban held roughly half of Afghanistan, a country about the size of Texas. McKenzie was chillingly candid. “I think it will be very hard for the Taliban to act against Al Qaeda, to actually limit their ability to attack outside the country,” he replied. “It’s possible, but I think it would be difficult.”

    With the Taliban takeover, the trillion-dollar investment in a campaign to contain Al Qaeda may have changed little since 9/11. Bruce Hoffman, a senior fellow for counterterrorism and homeland security at the Council on Foreign Relations and the author of “Inside Terrorism,” was blunter. “The situation is more dangerous in 2021 than it was in 1999 and 2000,” he told me. “We’re in a much weakened position now. We’ve learned so little.” The Taliban takeover is the biggest boost to Al Qaeda since 9/11 and a global game changer for jihadism generally, Rita Katz, the executive director of the Site Intelligence Group, a leading tracker of extremist activity worldwide, told me. There is a “universal recognition” that Al Qaeda can now “reinvest” in Afghanistan as a safe haven, Katz said. Jihadism effectively has a new homeland, the first since the collapse of the ISIS caliphate in March, 2019. “It foreshadows a new future that sadly couldn’t have been further from what we would hope for after twenty years of war,” she said. It’s a boon for Al Qaeda and its franchises, which now stretch from Burkina Faso in West Africa to Bangladesh in South Asia. “Militants from across the world—whether they be regionally focussed Islamists or globally focussed jihadists—will surely seek to enter Afghanistan’s porous borders,” Katz added. (…)

    https://www.newyorker.com/news/daily-comment/afghanistan-again-becomes-a-cradle-for-jihadism-and-al-qaeda?

  20. Interviews in der Komsomolskaja Pravda mit mehreren Personen,

    dem Leiter des Zentrums für das Studium der afghanischen Politik Andrei Serenko, dem Direktor des Zentrums für das Studium des Nahen Ostens und Zentralasiens Semjon Bagdasarov und dem früheren Botschafter in mehreren mittelasiatischen Staaten Andrej Baklanov

    fördert folgende Aussagen zutage:

    Das von der SU installierte Regime von Nadschibullah hätte sich noch viel länger halten können, wenn es von Rußland unterstützt worden wäre. Aber nach dem Zerfall der SU kam unter der Jelzin-Regierung die Weisung, keine Munition, Waffen und Lebensmittel mehr nach Afghanistan zu schicken. Dennoch hielt sich Nadschibullah noch über 3 Jahre.

    Die Posten der afghanischen Armee zur Zeit der SU wurden mit Vorräten für 90 Tage ausgestattet, die USA versorgten sie nur für 3 Tage – deshalb brach alles so schnell zusammen. 

    Die Taliban wurden stets von Pakistan versorgt, mit Kriegsgerät und mit militärischer Unterweisung – selber halten die russischen Experten sie nicht für regierungsfähig. Das Nach-USA-Afghanistan müßte von Pakistan aus regiert werden, meinen sie.

    Die SU baute Treibstofflager, Mühlen, Brotfabriken und einen großen Hafen am Amurdarja. Die USA haben ökonomisch nicht viel hinterlassen, worauf eine neue Regierung aufbauen könnte.

  21. Gesundheitswesen in Afghanistan vor Kollaps

    Nach den Anschlägen am Flughafen von Kabul und kurz vor Ende der Evakuierungen wird die humanitäre Lage in Afghanistan immer verzweifelter. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Rick Brennan, der regionale Notfalldirektor wies darauf hin, dass die Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Geräten nur noch für ein paar Tage reiche.

    Lieferungen über den Flughafen der Hauptstadt Kabul seien nicht möglich, sagte Brennan. Das Chaos und die Gewalt erlaubten das nicht. Die WHO versuche nun, Transporte über den Flughafen in Masar-i Scharif im Norden des Landes abzuwickeln. Als Lichtblick bezeichnete er die Tatsache, dass 97 Prozent der rund 2200 Gesundheitseinrichtungen, die die WHO unterstützt, weiter funktionierten. Allerdings blieben den Kliniken hier und da sowohl Frauen und Kinder als Patienten als auch weibliches Personal fern. Nach ersten Eindrücken gehe das auf Angst und Vorsicht der Frauen zurück. Unter den Evakuierten und Geflüchteten sei zudem auch Gesundheitspersonal, sagte Brennan. Der Verlust von Fachkräften sei ein enormes Problem.

    (…)

    https://www.dw.com/de/gesundheitswesen-in-afghanistan-vor-kollaps/a-59005114

  22. Bombenanschläge in Kabul: Terror in Afghanistan: Wer ist IS-K?

    Der Bombenanschlag am Kabuler Flughafen legt nahe: Die derzeit größte Sicherheitssorge sind nicht die Taliban – es ist der IS. Dem sind selbst die Taliban zu moderat.

    Was viele befürchtet hatten, ist eingetreten: Bei Anschlägen am Flughafen in Kabul wurden etliche Menschen getötet. Die Attacke reklamierte inzwischen der afghanische Ableger der Terrororganisation "Islamischer Staat", IS-K, für sich. Das K steht für Khorasan, eine historische Region in Zentralasien, die auch Afghanistan umfasst. (…)

    Kämpfe unter Dschihadisten

    Tatsächlich bekämpfen sich beide Gruppen schon lange in blutigen Gefechten. Und auch am Donnerstag hatten Nachrichtenagenturen schon vor den Explosionen unter Berufung auf Militärkreise berichtet, die Taliban sollen an ihren Kontrollstellen im Umfeld des Flughafens mehrere Attentäter des IS abgefangen und getötet haben. Umgekehrt sollen bei dem Bombenanschlag auch mehrere Taliban-Wachen umgekommen sein.

    Ideologische Gräben trennen beide Gruppen. Der IS folgt der salafistischen Richtung des Islam; die Taliban der konservativen Deobandi Schule. Der IS-K strebt ein Kalifat an, das sich von Südasien bis nach Zentralasien und erstreckt; die Taliban wiederum geben sich – zumindest erstmal – mit einem Emirat in Afghanistan zufrieden. Und weil dem IS-K die Auslegung der Scharia durch die Tabilian obendrein nicht streng genug ist, gelten sie ihm als "Abtrünnige". Erst recht, seit die Taliban mit den USA ein Friedensabkommen geschlossen haben. Damit hätten die Taliban die Ziele des Dschihad verraten, schäumten die IS-Terroristen. Symptomatisch auch: Nachdem die Taliban vor zwei Wochen in Kabul einmarschierten, hatten unterschiedlichste Dschihadistengruppen den Islamisten gratuliert. Der IS nicht. Der kündigte stattdessen an, den Kampf fortzusetzen. 

    Der IS in Afghanistan, IS-K, soll sich laut einem UN-Bericht vom 15. Juli auf geschätzt 500 bis 1500 Kämpfer stützen können. Die Gruppe habe ihre Positionen in und um Kabul verstärkt, wo sie auch die meisten Angriffe verübe. Die Gruppe hoffe, Angehörige der Taliban zu rekrutieren, die das Abkommen mit den USA ablehnen.

    Außerdem setze der IS darauf, Kämpfer aus Syrien, dem Irak und anderen Konfliktzonen aufnehmen zu können. Laut einem weiteren UN-Bericht von Anfang Juni sollen zwischen 8000 und 10.000 ausländische Kämpfer in Afghanistan sei.

    Lange Spur blutiger Anschläge

    In diesem Jahr hatte der IS-K bereits eine blutige Spur von Terrorattacken gelegt: Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan, UNAMA, hat allein für die ersten vier Monate dieses Jahres 77 Angriffe von Seiten des IS gezählt – dreimal so viel wie im Vergleichszeitraum letzten Jahres. In einem dem IS von den USA zur Last gelegten Autobombenanschlag etwa wurden Anfang Mai in einer vorwiegend von schiitischen Mädchen besuchten Schule in Kabul 85 Menschen getötet und fast 300 verletzt.

    Einen Monat später überfielen IS-Kämpfer in der nördlichen Provinz Baghlan Mitarbeiter einer internationalen Nichtregierungsorganisation für Minenräumung, HALO Trust. Zehn Menschen wurden erschossen. Lokale Taliban hätten die Minenräumer unterstützt und die Angreifer vertrieben, sagte der CEO von Halo-Trust der BBC später – und stützte damit das Bild der Feindschaft zwischen beiden Gruppen.

    Der IS-K hatte seine Waffen spätestens 2017 gegen die Taliban gerichtet. Damals hatten IS-Kämpfer die Taliban aus der Bergfestung Tora-Bora vertrieben. In dem tief verbunkerten Tunnelsystem hatte einst Al-Kaida Chef Osama bin-Laden Unterschlupf vor den Angriffen der Amerikaner gesucht.

    IS-K ging ursprünglich aus pakistanischen Islamisten der Gruppe Tehrik-e Taliban Pakistan, TTP, hervor. Die waren wegen des Verfolgungsdrucks in Pakistan über die Grenze nach Afghanistan geflüchtet und hatten im Oktober 2014 dem Islamischen Staat unter dem mittlerweile getöteten IS-Chef Bagdadi die Treue geschworen. Im Frühjahr 2015 nahm der IS die Terroristen offiziell auf und gab seine Ausdehnung nach Zentralasien bekannt, als IS-K.

    Damals war der IS in Irak und Syrien auf dem Höhepunkt seiner Macht. Und er konnte seinen Ableger in Afghanistan finanziell und personell unterstützen. Diese Unterstützung ist mittlerweile weitgehend ausgetrocknet. Aber nach Einschätzung der UN-Experten hält die in den Untergrund abgetauchte IS-Führung in Syrien und im Irak weiterhin Kontakt mit IS-K.

    https://www.dw.com/de/terror-in-afghanistan-wer-ist-is-k/a-58994677

  23. Nach einigen etwas merkwürdigen Anfangssätzen über die angebliche ehemalige Zielsetzung der USA, Afghanistan eine Ökonomie bescheren zu wollen, die Afghanistan sollte erlauben können, den (US-)Krieg gegen die Taliban mit einem Wirtschaftsaufbau, der diesen Krieg sollte selbst finanzieren können, wundersam verknüpfen zu können, erläutert Stephan Kaufmann im weiteren Fortgang seines aktuellen Artikels im ND, wie aus Sicht der USA Afghanistan, ein Land ohne national funktionierende ökonomische kapitalistische Strukturen, zukünftig ggf. sich in den Kampf gegen den neuen imperialistischen Hauptgegner China solle einfügen lassen:

    “Die Schwäche der afghanischen Wirtschaft (sic…) versuchen die USA und ihre Verbündeten nun abermals für sich nutzbar zu machen – aber nicht als Angebot, sondern als Drohung an die Regierung. Washington hat neun Milliarden Dollar Reserven der afghanischen Zentralbank eingefroren. Der Internationale Währungsfonds hält fast 500 Millionen Dollar zurück, die dieser Tage nach Kabul hätten fließen sollen. Da Importe mit harten Devisen bezahlt werden müssen, »ist die Frage, wer Afghanistans Dollar-Reserven kontrolliert, so zentral«, erklärte Ökonom Tooze. Auch viele nationale Regierungen kündigten an, Hilfszahlungen auszusetzen. Damit steht das Land vor einer Krise, es wird mit einem Rückgang des BIP von bis zu 20 Prozent gerechnet. Berichte aus Kabul sprechen von leeren Geldautomaten, Medikamentenmangel und steigenden Preisen für Nahrungsmittel. Hilfsorganisationen warnen vor einer humanitären Katastrophe.

    Die neue Regierung in Kabul muss sich also beugen – oder sie findet neue Geldgeber. Hier hat sich bereits China angemeldet: »Mit dem Abzug der USA kann Peking das bieten, was Afghanistan braucht: politische Neutralität und Investitionen«, schrieb vergangene Woche Zhou Bo, Ex-Offizier der Volksbefreiungsarmee, in der »New York Times«. Darauf reagierte Washington mit einer scharfen Warnung – und ordnete den Fall Afghanistan damit ein in die neue strategische Priorität der USA: den Kampf gegen China.

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156050.wirtschaft-afghanistans-land-ohne-wirtschaft.html

    Und warum ‘musste’ so eine Idee wie kapitalistisches ‘nation-building’ in Afghanistan und Irak scheitern?
    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156058.afghanistan-unendliche-konflikte.html
    Wegen fehlender demokratischer Traditionen und wegen Nationenvielfalt? Oder war von vornherein ‘nation-building’ gar nicht das Konzept der USA?
    http://neoprene.blogsport.de/2012/01/12/gsp-thesen-zur-weltlage-nach-3-jahren-obama/#comment-131132

  24. Das Nation-building ist als Zielsetzung nicht ganz von der Hand zu weisen und hat als Grundlage die Sehnsucht, einen gefügigen Staat nach westlichem Vorbild dort zu errichten.

    Es ist allerdings irreführend, zu behaupten, die USA hätten dort in die Ökonomie investiert oder versucht, diese aufzubauen. Das würde nämlich einmal heißen: In die Produktion. Auf der beruhen nämlich der Handel, die Verwaltung, die Steuern und der ganze restliche Scheiß.

    Afghanistan konnte sich zu Zeiten Zahir Schahs zwar irgendwie selbst ernähren, aber für Devisenexport gab die traditionelle Landwirtschaft kaum etwas her. Und das liegt nicht so sehr an „archaischen“ und Stammesstrukturen, sondern an Geographie und Klima.

    45 Jahre später ist Afghanistan ein Hungerhilfe-Bezieher, der vor allem unmöglich den Wasserkopf Kabul ernähren kann.

    Traditionelle Gewerbe, wie Teppichindustrie, sind ziemlich eingegangen. Außerdem ist ein damaliges Exportprodukt, die Felle für die Persianer-Mäntel, schon längst den Konjunkturen der Mode zum Opfer gefallen.

    Der Kaufmann-Artikel drückt sich irgendwie um den Umstand herum, daß er das „Nation-building“ weder kritisieren noch analysieren kann. Dieser schwammige Begriff ist, wie vieles, was mit „Nation“ zusammenhängt, eben Ausdruck der Quadratur des Kreises, mit Besatzung Wohlstand zu bringen. Es ist halt etwas dürftig, nur herauszubringen: Es war nix, und dann an negativen Begriffen sein Auslangen zu finden.

    Das Einkassieren bzw. Zurückhalten von Afghanistans Geld und Krediten im Ausland und beim IWF ist da nur ein Zusatzproblem, ein zusätzliches Erschwernis. Aber es ist nach Ende der Besatzung sowieso unmöglich, das Land aus dem Ausland zu finanzieren, oder die Bevölkerung aus dem Ausland zu versorgen.

    Weswegen ich das Szenario einer humanitären Katastrophe für ziemlich realistisch halte.

  25. Eine kurze Bilanz dessen, was wir derzeit über Afghanistan wissen:

    Die USA haben einen Haufen Waffen hinterlassen, die die neuen Machthaber und ihre Fußtruppen nur teilweise benützen können. Warum wurde dieses Arsenal dort gelassen? Man hätte es ja auch mitnehmen können … Die offizielle Begründung lautete, die afghanische, westlich ausgebildete Armee hätte sich damit verteidigen sollen. – War es wirklich so überraschend, daß sie es nicht tat? Vor allem angesichts der Tatsache, daß die meisten Militärstützpunkte in Afghanistan aus der Luft versorgt wurden und diese Versorgung von einem Tag auf den anderen ausblieb?

    Diese Waffen sind also dort gelassen worden, um Scherereien zu bereiten. Die Taliban können sie ja erstens an IS-Mitglieder oder uigurische Separatisten verkaufen, die dann damit andere Möglichkeiten des Auftretens haben, ähnlich wie nach der Eroberung Mossuls. Sie können eingesetzt werden in Konflikten mit den Nachbarländern, oder zur Aufrüstung Pakistans beitragen.

    Was immer geschieht, dieses Waffenarsenal wird, so möglicherweise die Berechnung der abziehenden Besatzungsmacht, in der Region Probleme bereiten.

    Eine weitere Frage ist diejenige der Flüchtlinge. Die USA haben ihren Teil evakuiert, vor weiteren Flüchtlingswellen aus Afghanistan müssen sie sich nicht fürchten, aus geographischen Gründen. Anders ist es mit der EU. Überall laufen fieberhaft Verhandlungen, um afghanische Flüchtlinge in Zukunft von den Grenzen Europas fernzuhalten. Die Nachbarstaaten sollen die Grenzen dicht machen, die Türkei soll sich als Riegel an der Tür Europas bewähren, usw.

    In nächster Zeit wird da sicher noch einiges geschehen, um Flüchtlinge zurückzuhalten.

    Aber in einem oder zwei Jahren könnte sich hier auch einiges ändern, wenn die Zustände dort unerträglich werden und die Nachbarstaaten andere Berechnungen entwickeln. (Man denke an Belarus.)

  26. Afghanische Polit-Elite sucht Schutz in Deutschland

    Nach dem Fall von Kabul haben sich mehrere hochrangige afghanische Regierungsvertreter nach Deutschland abgesetzt: Nach SPIEGEL-Informationen ist darunter offenbar ein früherer Anhänger der Taliban.

    Nach der Machtübernahme der Taliban hat sich eine ganze Reihe hochrangiger Regierungsmitglieder aus Afghanistan nach Deutschland abgesetzt. Nach SPIEGEL-Informationen flüchteten mindestens fünf hochrangige Politiker in letzter Minute aus ihrer Heimat und sind mittlerweile in Deutschland angekommen, darunter sind der Ex-Außenminister Mohammed Hanif Atmer und der frühere Nationale Sicherheitsberater Rangin Spanta. (…)

    https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/mehrere-ex-minister-angekommen-afghanische-polit-elite-sucht-schutz-in-deutschland

    Ob die deutsche Regierung mit diesen Flüchtlingen eine Freude hat? Immerhin kommen sie teilweise mit viel Bargeld im Koffer …

  27. TALIBAN UND PAKISTAN:

    Half Pakistan den Taliban in Pandschir?

    Die Taliban verkünden die Einnahme von Pandschir, der letzten noch von Widerstandskräften gehaltenen Provinz. Dort berichtet man über Lufthilfe des pakistanischen Militärs für die Islamisten.

    Noch am Wochenende sah es so aus, als versuchten die Rebellen, sich mit Erfolgsmeldungen gegen die Niederlage zu stemmen. Mehr als tausend Taliban-Kämpfer seien gefangen genommen worden und viele weitere getötet, teilte die Nationale Widerstandsfront Afghanistan aus dem Pandschir-Tal mit. Dort hatten sich nach der Machtübernahme zahlreiche Gegner der Islamisten unter der Führung des früheren Vizepräsidenten Amrullah Saleh und Ahmad Massoud verschanzt, des Sohnes des legendären Mudschahedin-Führers Ahmad Schah Massoud. Die Taliban hatten da in Kabul längst die Einnahme von Pandschir mit Gewehrsalven gefeiert. Es ist die letzte von 34 afghanischen Provinzen, die sich ihrer Herrschaft widersetzt hatte.

    Am Montag verkündete Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid dann in Kabul, dass der Krieg zu Ende sei. In einem Video, das vor dem Gouverneurspalast in der Provinzhauptstadt Bazarak aufgenommen sein soll, sind Kämpfer zu sehen, die die Taliban-Flagge neben dem Gebäude hissen. Auch eine italienische Hilfsorganisation, die nahe Bazarak ein Krankenhaus betreibt, bestätigte die Einnahme der Gegend durch die Taliban. Die Widerstandsfront teilte derweil über Twitter mit, dass ihr Sprecher, der bekannte afghanische Journalist Fahim Daschti, während der Kämpfe ums Leben gekommen sei. Daschti hatte bereits an der Seite von Massouds Vater in den Neunzigerjahren gegen die Taliban gekämpft. Von Massoud selbst hieß es zunächst, er habe das unzugängliche Tal verlassen. Doch dann meldete er sich über Twitter mit der Nachricht, er sei in Pandschir, der Widerstand gehe weiter. (…)

    https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-half-pakistan-den-taliban-in-pandschir-17524372.html

    Das ging ja recht schnell, mit entsprechender Luft-Unterstützung.

    Pakistan tut alles, um sich die Taliban gewogen zu halten, schon deshalb, um der in Pakistan tätige Taliban-Fraktion, die das Attentat in Quetta verübt hat, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ob diese Strategie aufgeht, wird sich erst weisen.

  28. Angesichts des Ukraine-Kriegs und der Waffenlieferungen habe ich überlegt: Wer unterstützte eigentlich die Mudschaheddin nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Februar 1989 und bis zum Einmarsch der Taliban in Kabul im September 1996?

    Wer gab ihnen die finanzielle Unterstützung und vor allem die Waffen und Munition, um Kabul in Schutt und Asche zu legen?

    Pakistan unterstützte höchstens Hekmatyar, aber woher hatten die anderen ihre Unterstützung? Der Iran und die Sowjetunion bzw. ihre Nachfolgestaaten fallen als Unterstützer aus.

    Also bleiben nur die USA. Sie wollten, daß das Land weiter zerstört wird, (Kabul blieb während der sowjetischen Besatzung von Kämpfen verschont,) daß dort ein schwarzes Loch entsteht, das den Nachbarländern Kopfweh bereitet und sie mit Flüchtlingen überschwemmt.

    Wo das schon einmal so gut gelungen ist, werden sie es sich nicht nehmen lassen, dergleichen wieder zu versuchen, diesmal in Europa … und mit der Unterstützug der europäischen Staaten selbst.

  29. Mindestens 50 Menschen bei Explosion in Kabul getötet

    Im Fastenmonat Ramadan erschüttert eine Anschlagsserie Afghanistan. Erst vergangenen Freitag waren 33 Menschen getötet worden

    In der afghanischen Hauptstadt Kabul sind bei einer Explosion in einer Moschee nach Angaben ihres Vorstehers mindestens 50 Menschen getötet worden. Das Innenministerium bestätigte am Freitag zunächst mindestens zehn Tote. Viele Gläubige hatten sich in der sunnitischen Moschee eingefunden, um an dem religiösen Gedenken Zikr teilzunehmen. Ein Teilnehmer, offenkundig ein Selbstmordattentäter, habe eine Bombe gezündet, berichtete Moschee-Vorstand Sayed Fasil Agha.

    "Schwarzer Rauch stieg auf und verbreitete sich überall, überall lagen Leichen", sagte er zu Reuters. Auch seine Neffen seien unter den Toten. Der Anschlag reiht sich ein in eine Serie von Attacken, die entweder Sunniten oder Schiiten galten, Vertreter der beiden dominierenden Ausprägungen des Islam. Erst am Donnerstag explodierten in Mazar-i-Sharif im Norden des Landes Sprengsätze in zwei mit Schiiten besetzen Minibussen und rissen mindestens neun von ihnen in den Tod.

    Reihe von Anschlägen

    Besmullah Habib, stellvertretender Sprecher des afghanischen Innenministeriums, sagte, die Explosion habe sich um 14 Uhr Ortszeit (11.30 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit) in der sunnitischen Khalifa Sahib Moschee im Westen der afghanischen Hauptstadt ereignet. Sie ist das jüngste Glied einer Reihe von Anschlägen, die bislang im Fastenmonat Ramadan auf Gebetsstätten und zivile Ziele in Afghanistan verübt worden waren. Erst vergangenen Freitag wurden 33 Menschen bei Anschlägen in Nordafghanistan getötet. Für einige der Anschlage übernahm der Islamische Staat (IS) die Verantwortung.

    Die Taliban erklären, seit ihrer Machtübernahme im vergangenen August hätten sie Afghanistan befriedet. Vor allem hätten sie die Extremistengruppe Islamischer Staat so gut wie ausgeschaltet. Allerdings sind in den vergangenen Wochen zahlreiche Afghanen bei Anschlägen ums Leben gekommen. Zu einigen hat sich der Islamische Staat bekannt. Vertreter internationaler Organisationen und Beobachter warnen, Afghanistan könne wieder in einen Bürgerkrieg abgleiten, in dem sich verschiedene Interessengruppen gegenseitig bekämpfen.

    https://www.derstandard.at/story/2000135315632/mindestens-zehn-menschen-bei-explosion-in-kabul-getoetet

    Wenn Anschläge auf das Konto des IS gehen, so wird dieser von irgendwo unterstützt.
    Manche Anschläge mögen aber auch auf Spaltungen innerhalb der Taliban zurückzuführen sein, die sich über den weiteren Weg dieses geplagten Landes uneins sind, oder auf Vertreter von Volksgruppen, die durch die Machtübernahme der Taliban zu kurz gekommen sind.

  30. Burka in Afghanistan: Westliches Versagen

    Afghanistan wurde im August 2021 nicht von den Taliban erobert, es wurde vom Westen aufgegeben

    Die Tragödie der afghanischen Frauen unter der zweiten Taliban-Herrschaft vollzieht sich in kleinen Schritten: Nur besonders schockierende Nachrichten wie die neue Verordnung der Verhüllung des ganzen Körpers inklusive des Gesichts schaffen es in die internationale Öffentlichkeit. Damit ist die Burka, das ultimative Symbol der Segregation – der Trennung der Frauen von allem, was öffentlich ist –, wiedereingeführt. Und damit schwindet die letzte Hoffnung, dass Druck von außen, gepaart mit wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten, die Taliban diesmal zu mehr Pragmatismus im Umgang mit Frauen veranlassen könnte. (…)

    Und es wird immer klarer, dass die moralische Autorität, die sich die USA und ihre Verbündeten zusprechen, international Schall und Rauch ist. Die Taliban mögen damit rechnen, dass Staaten wie Russland und China ihr Regime trotz ihrer Frauenpolitik früher oder später anerkennen, nicht trotz, sondern gerade wegen der Empörung des Westens. Nach Moskau und Peking schauen die Taliban, nicht nach Washington.

    https://www.derstandard.at/story/2000135539235/burka-in-afghanistan-westliches-versagen

  31. Ayman al-Zawahiri and the Taliban

    What does the stark evidence of the renewed relationship between Al Qaeda and Afghanistan’s leaders suggest?

    During his long career as a polemicist and a strategist of terror, Ayman al-Zawahiri often taunted the United States. He hewed to the familiar theme that America was an apostate power at war with Islam. But he also described it as a spent force. In a video released this spring, he said that “U.S. weakness” was responsible for the war triggered by Russia’s invasion of Ukraine, and he mocked the country’s standing “after its defeat in Iraq and Afghanistan, after the economic disasters caused by the 9/11 invasions, after the coronavirus pandemic, and after it left its ally Ukraine as prey for the Russians.”

    The U.S. drone strike in Kabul last Saturday that killed Zawahiri, who was seventy-one, added a punctuation mark to the long search for justice for the victims of 9/11 and of other deadly attacks that Zawahiri directly approved, such as the bombing of two U.S. Embassies in Africa in 1998, which killed twelve Americans and more than two hundred Africans. President Joe Biden, announcing the attack on Monday evening, said that he hoped Zawahiri’s death “provides a small measure of peace to the 9/11 families and everyone else who has suffered at the hands of Al Qaeda.”

    An Egyptian-born physician who took up Islamist violence as a teen-ager, Zawahiri succeeded Osama bin Laden as Al Qaeda’s leader in 2011, following bin Laden’s death, in Pakistan, at the hands of Navy SEALs. Regarded by some of his colleagues as a turgid, finger-wagging figure of limited charisma, Zawahiri saw his relevance in the firmament of global Islamist radicalism fade during the past decade. According to recent scholarship based on papers captured from Bin Laden’s hideout, the C.I.A.’s drone campaign that targeted Al Qaeda between 2008 and 2013 devastated the core organization, which was based in Pakistan and Afghanistan. More recently, the rise of the Islamic State has eclipsed Al Qaeda in the Middle East, and even in Afghanistan.

    Apart from the issue of justice served, the greatest source of interest in Zawahiri’s killing lies in where he was found—not far from the now-shuttered U.S. Embassy, in Sherpur, one of central Kabul’s relatively upscale neighborhoods, where senior figures in the Taliban regime currently reside. According to an unnamed Taliban leader quoted by Reuters, Zawahiri moved to Afghanistan just a few months after the Taliban seized power last August. An unnamed senior Biden Administration official told reporters on Monday that at least some figures in the Taliban’s Haqqani faction knew of Zawahiri’s presence. After the strike, the Taliban removed all signs of his stay from the safe house in which he had been residing.

    President Biden and his critics both immediately used the stark evidence of the Taliban’s renewed relationship with Al Qaeda to relitigate Biden’s decision last year to withdraw all remaining U.S. forces from Afghanistan, which were then mainly focussed on counterterrorism. The President called Saturday’s strike “proof that it’s possible to root out terrorism without being at war in Afghanistan.” The obvious rejoinder is that the boldness reflected in Zawahiri’s presence in downtown Kabul—he was reportedly killed while meeting with other Al Qaeda leaders—suggests the rising danger that terrorist groups pose under Taliban hospitality. In June, a United Nations unit that monitors terrorism reported that Al Qaeda enjoys “increased freedom of action” in Afghanistan.

    We don’t know very much about how the U.S. learned that Zawahiri was in Kabul. His hideout appears to have been unsubtle, and there are many Afghans opposed to the Taliban in the capital who could have passed clues to the C.I.A. or others. Unlikely as it seems now, it would also not be shocking to learn that Taliban leaders themselves might have done so, in order to win favor in Washington, or that a Taliban dissenter did for personal gain. Certainly, Zawahiri would not have been shocked by such a betrayal. Although he and bin Laden respected and trusted Mullah Mohammad Omar, the Taliban’s founding emir, who died in 2013, they regarded other Taliban commanders and leaders as self-interested, opportunistic, and dangerous, according to “The Bin Laden Papers,” a revelatory book that analyzes internal Al Qaeda correspondence, published earlier this year by the social scientist Nelly Lahoud.

    (…)

    https://www.newyorker.com/news/daily-comment/ayman-al-zawahiri-and-the-taliban

    Wer sich nicht den ganzen Artikel durchlesen will: In ihm wird vermutet, daß Al-Zawahiri nur von einer Fraktion der Taliban unterstützt wurde und daß andere Fraktionen mit seiner Übersiedlung (von Pakistan) nach Afghanistan unzufrieden waren.
    Von dort dürften auch die USA den Tip bekommen haben, wo man ihn finden kann.

  32. China und Afghanistan: Hin zum Gold

    Ein Jahr nach dem amerikanischen Rückzug aus Afghanistan versuchen jetzt die Chinesen in die Lücke zu stoßen.

    Die Flagge klemmt. Zwei Arbeiter zerren und ruckeln am Seil, bis sie aufsteigt: gelbe Sterne auf rotem Grund. Das Banner Chinas steht nun über der Kabuler Kreuzung. Unten regeln Taliban den Verkehr. Am Gebäude zum Fahnenmast, einer Art Einkaufszentrum, steht in geraden, schwarzen Lettern: Chinatown. Im Eingang steht Mister Yu und strahlt: "Vor uns liegen großartige Zeiten!"

    Seit bald einem Jahr herrschen die Taliban über Kabul und ganz Afghanistan. Ihr Sieg wurde als Signal für den Verfall westlicher Macht wahrgenommen, als Alarmzeichen für den Niedergang der Vereinigten Staaten und ihres globalen Einflusses. Heute grüßt die Ankommenden am Kabuler Flughafen ein riesiges Plakat: "Willkommen in Chinatown".

    Als wir Chinatown zum ersten Mal besuchen, im März, begegnen uns die Mitarbeiter reserviert. Bis der Chef kommt. Yu Minghui, den in Kabul alle nur Mister Yu nennen, findet es logisch, dass sich die westliche Presse endlich einmal für ihn interessiert. Er ist seit 20 Jahren in Afghanistan, länger als wohl jeder andere Ausländer. Fast 20 Jahre Krieg, nun entschieden. Yu: "Es ist, als stünden wir am Ende eines langen Winters. Wenn das Eis erst schmilzt, die Wirtschaft in Bewegung kommt, dann werden die Lande erblühen!"

    Yu, heute Mitte 50, kam 2002 nach Kabul, kurz nach dem Sieg der Amerikaner über die Taliban. China war da noch viel ärmer als heute. Yu suchte im Ausland das große Geschäft – und machte viele kleine. Eine Windelfabrik. Die Beteiligung an einer Lapislazuli-Mine. Zuletzt Chinatown, ein Großhandelszentrum für chinesische Haushaltswaren. Mit jedem kleinen Deal sammelte er neues Wissen, Kontakte. Nie verlor er seinen Traum aus den Augen: ein Industriepark in Kabul, er an der Spitze. Yu würde der Pate des chinesisch-afghanischen Handels. Potenziell ein Millionengeschäft. Würde es nur tauen.

    Noch friert es nachts in Kabul. Die Taliban an den Checkpoints tragen ihre Schals fest ums lange Haar. Viele sind blutjung, zum ersten Mal in der Großstadt, beschwingt. Einer hat die olympischen Ringe auf die weiße Taliban-Fahne an seiner Straßensperre gemalt: "Wir werden dabei sein, so Gott will!" Die Mauer vor dem Außenministerium hat die Propagandaabteilung bunt bemalen lassen: "Das Islamische Emirat Afghanistan wünscht sich positive und friedliche Beziehungen mit der Welt", steht da, daneben eine Weltkarte, auf der Afghanistan leuchtet.

    Der Westen behandelt Afghanistan seit der Machtübernahme wie eine Insel der Aussätzigen. Die Zahlungswege sind gekappt. Budgethilfen, von denen der Staat lebte, fließen nicht mehr. Es gibt kaum noch Flüge ins Land. Die Taliban haben den Staat erobert, der nun unter ihnen zu zerbröseln droht. Sie brauchen die Anerkennung, das Geld des Auslands. Sie blicken nach Osten.

    Kurz nach dem ersten Gespräch mit dem erwartungsfrohen Mister Yu findet ein Überraschungsbesuch statt: Chinas Außenminister Wang Yi landet in Kabul. Sein Amtskollege Amir Muttaki begrüßt ihn auf einem roten Teppich am Flugzeug. Ein Triumph für die Taliban: Die Weltmacht behandelt sie wie Staatsmänner. Man habe über die Vertiefung der Beziehungen gesprochen, heißt es anschließend, über den Bergbau. Sei doch Afghanistan reich an seltenen Erden. Auch China gewinnt durch die Bilder aus Kabul. Der Minister lächelnd auf dem Rollfeld, dem Symbol der Schande Amerikas: ein Mittelfinger an den Westen.

    An Yus Gebäude steht neben "Chinatown" auch "Neue Seidenstraße". Es ist das große Schlagwort des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping, der sein Land über die Wiederbelebung alter Handelskorridore wieder zu einer Weltmacht machen möchte. Die antike Seidenstraße verlief auch durch Afghanistan. "Und 'Neue Seidenstraße' ist kein geschützter Begriff", meint Yu. Er benutze ihn ohne Absprache mit Regierungsstellen. Yu ist kein Vertreter seines Staates. Doch er versteht: Der Westen hat eine Lücke gelassen, und die Hoffnungen ruhen jetzt auf China. Und er, der Chinese, ist plötzlich Hoffnungsträger.

    (…)

    https://www.zeit.de/2022/33/china-afghanistan-xi-jinping-taliban-bodenschaetze

  33. Vergessenes Afghanistan

    Die Hälfte der jungen afghanischen Bevölkerung wird ihrer Bildung und Bewegungsfreiheit beraubt. Doch der Westen hat Afghanistan abgeschrieben

    Blitzlichtartig werden von Zeit zu Zeit die Zustände in Afghanistan unter den Taliban erhellt, wenn sich etwas als leicht verständliche Schlagzeile eignet: Dass Frauen aus Universitäten ausgesperrt werden, ist so eine. Aber um es entsprechend der afghanischen Realität zu formulieren: Es gibt ab jetzt auch für jene Mädchen keine akademische Bildung mehr, die noch glücklich genug waren, die Hochschulreife zu erlangen. Neue Schulabsolventinnen wären nicht mehr dazu gekommen. Denn die Taliban haben längst die Schulbildung für Mädchen ab der siebten Schulstufe gekippt.

    Die Hälfte der jungen afghanischen Bevölkerung wird ihrer Bildung und Bewegungsfreiheit beraubt. Was es für eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert bedeutet, wenn dieser Zustand länger anhält, kann man sich gar nicht vorstellen.

    Keine Mäßigung in Sicht

    Von den Hoffnungen, dass sich die "neue" Generation der Taliban als pragmatischer erweisen könnte als jene, die von den USA im Winter 2001 gestürzt wurde, ist nichts geblieben. Als die islamisch-paschtunischen Nationalisten im August 2021 die Macht in Kabul wieder übernahmen – und den USA nach zwanzig Jahren einen Abgang bescherten, der an das Ende des Vietnamkriegs erinnerte –, hatte die internationale Gemeinschaft jene Taliban-Vertreter vor Augen, mit denen die USA immerhin zuvor in Katar über eine Machtteilung in Afghanistan verhandelt hatte. Sie wurden von den an der alten Garde geschulten Ideologen verdrängt. Alle Versprechen von Mäßigung haben sich in Luft aufgelöst. Nun tauchen die aus den späten 1990er-Jahren bekannten Bilder von Auspeitschungen wieder auf, öffentliche Hinrichtungen wurden vor kurzem wiederaufgenommen.

    Informelle Beziehungen

    Bemerkenswert ist, dass die Taliban fast ein Jahr abgewartet haben. Sie hatten wohl damit gerechnet, zumindest bei einigen Staaten in der Region die formelle Anerkennung ihrer Herrschaft erlangen zu können. Aber nicht einmal Pakistan, dessen Rolle als Taliban-Sponsor oft kritisiert wurde, ist dazu bereit. Auch Russland und China, die nichts auslassen, um die USA zu antagonisieren, bleiben bei informellen Beziehungen.

    Dennoch haben die Taliban das erste Jahr überstanden, ohne dass das Land zusammengebrochen ist – und jetzt fallen die letzten Schranken. Der Westen hat Afghanistan abgeschrieben. Die ganze Aufmerksamkeit gilt jetzt dem Kampf der tapferen Iraner und Iranerinnen, und das hilft auch dabei, das eigene Versagen in Afghanistan zu vergessen.

    https://www.derstandard.at/story/2000142048492/vergessenes-afghanistan

  34. Man kann natürlich auch mutmaßen, daß Afghanistan deshalb aufgegeben wurde, weil auch die Feinde des Westens mit dem Land nichts anfangen können.

  35. Was nicht alles in Afghanistan ausprobiert wurde:

    So bringen Biometrie-Geräte Afghanen in Gefahr

    US-Truppen und ihre Verbündeten haben in Afghanistan Millionen von Menschen biometrisch erfasst – mit tausenden Biometrie-Geräten. Nach dem chaotischen Abzug der internationalen Truppen im August 2021 blieben offenbar viele Geräte zurück. Expertinnen und Experten befürchten, dass die Taliban diese einsetzen könnten, um Menschen zu identifizieren, an denen sie sich rächen wollen. Ob das tatsächlich möglich ist, war nicht belegt. Bis jetzt. (…)

    Im schlimmsten Fall könnten die Taliban so Menschen finden, die für Nato-Truppen, die für die ehemalige afghanische Polizei oder das Militär gearbeitet haben. (…)

    Angestoßen von den USA haben die internationalen Truppen unter Führung der Nato das Ziel verfolgt, möglichst die gesamte Bevölkerung Afghanistans biometrisch zu erfassen. Auf diese Weise wollten sie in Afghanistan „Identity Dominance“ erlangen, wie die Amerikaner diese Strategie der Kriegsführung nennen. Je schneller man alle Menschen erfasse, umso schneller könne man sämtliche Attentäter vom Schlachtfeld entfernen, heißt es in einem Biometrie-Handbuch des US-Militärs. Dafür setzten US-Truppen in Afghanistan mehrere Tausend solcher Geräte ein und scannten Millionen Menschen. Auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nahmen damit biometrische Daten von Menschen in Afghanistan auf.

    In Afghanistan war Biometrie in den vergangenen Jahren allgegenwärtig. Wenn Menschen zur Wahl gingen, Zugang zu Armeebasen hatten, bei der Polizei oder in Schulen arbeiten wollten, dann wurden ihre Identitäten überprüft und ihre biometrischen Daten gespeichert. Ein ehemaliger hoher Beamter des afghanischen Innenministeriums bestätigt uns: Sehr viele dieser Daten sind letztlich in ABIS in den USA gelandet. Auch Daten, die nicht von internationalen Truppen, sondern von afghanischen Behörden aufgenommen wurden. Möglicherweise befinden sich deshalb auch die Daten von Shir Entezar in ABIS. Der Beamte hält das für wahrscheinlich. Falls seine Daten auf die Geräte und in die Hände der Taliban gelangt sind, ist die Familie in großer Gefahr.

    (…)

    https://interaktiv.br.de/biometrie-afghanistan/

    Manche dieser Geräte landen im Internet-Handel, wie aus dem Artikel hervorgeht, mitsamt vieler der gespeicherten Daten.
    Außerdem sind sie möglicherweise nach wie vor mit US-Servern verbunden und ermöglichen damit den dortigen Behörden eine weitere Beobachtung in Afghanistan.

    Sie sind also nicht aus Nachlässigkeit dort gelassen worden, wie der Artikel vertritt.

  36. Taliban töteten offenbar Drahtzieher des Anschlags auf Kabuler Flughafen

    170 Afghanen und 13 US-Soldaten kamen im August 2021 ums Leben, als sich ein IS-Anhänger inmitten der chaotischen Evakuierungsaktion in die Luft sprengte

    Die afghanischen Taliban sollen den Anführer der IS-Zelle getötet haben, die angeblich für den verheerenden Selbstmordanschlag auf den Flughafen von Kabul im August 2021 verantwortlich ist. Zu diesem Schluss sei die US-Regierung anhand von Geheimdienstinformationen gekommen, berichteten mehrere US-Medien am Dienstag übereinstimmend unter Berufung auf hochrangige Regierungsmitarbeiter.

    Der Selbstmordanschlag hatte sich während des Abzugs des US-Militärs aus Afghanistan ereignet. "Er war ein hoher ISIS-K-Kämpfer, der direkt an der Planung von Operationen wie dem Abbey Gate beteiligt war und nun nicht mehr in der Lage ist, Anschläge zu planen oder durchzuführen", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby, unter Verweis auf das Flughafentor, an dem der Anschlag verübt worden war. Der afghanische Ableger des Islamischen Staates (IS) ist in Anlehnung eines historischen Namens der Region als Islamischer Staat Khorasan oder ISIS-K bekannt und gilt als Feind der Taliban.

    USA wohl nicht an Tötung beteiligt

    Es sei unklar, ob der IS-Anführer gezielt von den Taliban getötet wurde oder einem der sich mehrenden Kämpfe zwischen den militanten Islamisten und IS-Kämpfern zum Opfer fiel, berichtete die "New York Times". Sein Tod gehe aber allein auf das Konto der Taliban, die USA seien nicht beteiligt gewesen, zitierte der Sender CBS einen nicht namentlich genannten Regierungsmitarbeiter. Nähere Details oder Beweise, dass es sich bei dem Getöteten tatsächlich um den besagten IS-Anführer handelte, habe die US-Regierung nicht geliefert, hieß es.

    (Standard, 26.3.)

    Ein eigenartiges Dementi. Die USA geben erfreut bekannt … haben aber nichts damit zu tun! devil

    Wie man auch bei der Ermordung Al-Zawahiris feststellen kommt, scheint es eine Zusammenarbeit zwischen Taliban und und US-Diensten zu geben.

    El País steuert noch weitere Details bei:

    Die Angehörigen der bei dem Attentat getöteten Soldaten wurden vom Ableben des – angeblichen! – Drahtziehers benachrichtigt.
    Das im Lichte dessen, daß es eine Kommission gab, wo die Umstände des Abzugs untersucht wurden und die Regierung von Biden reingewaschen wurde: Schuld an allem war sein Vorgänger Trump!

  37. Die USA treten ein in den Wettlauf nach Kabul

    Die Biden-Regierung trifft sich mit den Taliban, um nicht China allein das Feld zu überlassen

    Folgende Nachrichten aus Afghanistan haben es in der vergangenen Woche in die Medien geschafft: Die Taliban verbieten Schönheitssalons für Frauen. Die Taliban konfiszieren und verbrennen Musikinstrumente – denn Musik ist unislamisch und verboten. Eine dritte Meldung kommt aus Washington: In der katarischen Hauptstadt Doha findet ein Treffen zwischen einer Taliban-Delegation und den beiden US-Regierungsbeauftragten für Afghanistan statt.

    Die US-Sondergesandte für Frauen, Mädchen und Menschenrechte wird in Doha zu hören bekommen, dass innerhalb des islamischen Rahmens, wie ihn die ultrakonservativ-tribalen Taliban verstehen, alles in bester Ordnung sei. Laut Washington ist das Treffen kein Anzeichen dafür, dass sich an der US-Position etwas geändert habe, sprich, dass die USA – die 2021 den Taliban in Kabul quasi die Schlüssel übergaben – in Richtung Anerkennung ihres Regimes driften.

    Tatsächlich hat noch keine Regierung weltweit diesen Schritt gemacht. Aber kooperiert wird bereits kräftig mit den paschtunischen Finsterlingen, die nunmehr die mutmaßlich weltgrößten Lithiumvorkommen kontrollieren. So ist Afghanistan seit Mai Teil des chinesischen Seidenstraßenprojekts.

    Dass ausgerechnet China im Wettlauf die Nase vorn hat, stärkt die Fraktion der US-Realpolitiker: Für sie reicht es, dass die Taliban Al-Kaida und den "Islamischen Staat" von der Macht in Kabul fernhalten. Und das tun sie – einstweilen.

    (Standard, 27.7.)

  38. Ich frage mich, was eigentlich aus den ganzen Fluggeräten geworden ist, die die USA in Afghanistan zurückgelassen haben?

    Ob die Taliban dafür Käufer gefunden haben oder ob sich doch noch ein paar Piloten gefunden haben, die damit fliegen können?

  39. Schon interessant, wer mit den Taliban zarte Bande knüpft – ausgerechnet eine Partei, die für ihre Islam-Gegnerschaft bekannt ist:

    FPÖ-Mitglieder besuchten Taliban in Afghanistan

    Mehrere FPÖ-Mitglieder haben bei einer Reise nach Afghanistan unter anderen Taliban-Außenminister Amir Khan Muttaqi zu Gesprächen getroffen. Das geht aus einer Pressemitteilung samt Foto des afghanischen Außenministeriums hervor, die gestern veröffentlicht wurde.

    Auf dem Foto sieht man neben Muttaqi und weiteren mutmaßlichen Mitgliedern der Taliban unter anderem den ehemaligen FPÖ-Abgeordneten im EU-Parlament, Andreas Mölzer, sowie den Ex-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner. Auch der afghanische TV-Sender Tolo News veröffentlichte dazu ein Foto auf Twitter (X).

    Außenministerium riet von Reise ab

    Das Außenministerium wusste bereits seit vergangener Woche von der geplanten Reise. Man habe „explizit davon abgeraten“, teilte eine Sprecherin auf APA-Anfrage mit. „Es handelt sich um die Reise einer Privatperson. Herr Mölzer ist kein offizieller Vertreter Österreichs“, hieß es weiter. Die Position der Bundesregierung sei hinlänglich bekannt, man erkenne die Taliban-Regierung nicht an.

    Seites der FPÖ hieß es, man habe von der Reise erst aus den Medien erfahren. Generalsekretär Christian Hafenecker sagte gegenüber Puls24, es handle sich „um eine reine Privatangelegenheit dieser Personen“.

    Afghanisches Außenministerium berichtet von Einsichten

    Laut afghanischem Außenministerium ging es bei den Gesprächen neben anderen Themen auch um eine Erleichterung von Konsulatsdiensten für afghanische Bürger in Wien. Zudem soll die FPÖ-Delegation nach den Gesprächen die Situation in Afghanistan „viel besser“ eingeschätzt haben, als sie es aus Medien erfahren habe.

    Sie hätten mit einigen Afghaninnen und Afghanen über die aktuelle Situation in Kabul gesprochen, und laut Pressemitteilung des afghanischen Außenministeriums sei ihnen dabei klar geworden, dass die Bürgerinnen und Bürger in Afghanistan mit der derzeitigen Situation zufrieden seien und sich sicher fühlten.

    Fehlende Anerkennung des Regimes „beklagt“

    Hübner beklagte laut der Aussendung zudem, dass die derzeitige Regierung in Afghanistan, die für „allgemeine Sicherheit gesorgt und den vier Jahrzehnte andauernden Konflikt in Afghanistan beendet“ habe, international noch nicht anerkannt wurde. Auch versprach die FPÖ-Delegation laut Pressemitteilung, dass sie Europa das wahre Bild der aktuellen Situation in Afghanistan schildern würde.

    Weder von Mölzer noch von Hübner liegen bisher Stellungnahmen zu dem Besuch vor. Innenpolitische Reaktionen darauf kamen unter anderen von der außenpolitischen Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, und dem NEOS-Abgeordneten Helmut Brandstätter, die sich auf Twitter dazu äußerten und um Aufklärung ersuchten. Und auch ÖVP-Generalsekretär Stocker forderte in einer Presseaussendung „sofortige Aufklärung“ durch FPÖ-Chef Herbert Kickl. SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder kritisiert das Treffen aufs Schärfste. „Extremisten sind für die FPÖ immer willkommene Partner, da machen sie nicht einmal vor den Taliban halt.“

    (ORF, 25.9.)

  40. Mehr als 200.000 Afghanen haben Pakistan verlassen

    Die pakistanische Regierung hatte Flüchtlingen ohne Aufenthaltsstatus eine Frist bis 1. November zur Ausreise gesetzt und mit Massenabschiebungen gedroht

    (…)

    (Standard, 4.11.)

  41. Mehr als 200.000 Afghanen haben bereits die afghanisch-pakistanische Grenze überquert, täglich werden weitere Tausende abgeschoben, die teilweise über 30 jahre in Pakistan gelebt haben bzw. dort geboren sind.

    „»Vor der Ausreise wird ihnen ihr gesamtes Hab und Gut weg, einschließlich Schmuck und Geld, abgenommen und sie erhalten nur 100 Dollar (etwa 94 Euro), um Pakistan zu verlassen«, prangert Thamindri de Silva an, – die nationale Direktorin der NGO World Vision in Afghanistan, in einem Telefoninterview mit dieser Zeitung nach ihrem Besuch am afghanischen Grenzübergang Torkham.“

    Nun ja, was man so liest, wird das Gleiche ja auch in Griechenland mit denjenigen Flüchtlingen gemacht, die versuchen, über dieses Land in die EU einzureisen.
    Die pakistanischen Behörden haben vermutlich an den Praktiken der EU Maß genommen.

    „»Die Flüchtlinge haben uns gesagt, dass ihnen alles weggenommen wird«, was bedeutet, dass sie mittellos in einem Land ankommen, in dem 15 Millionen Menschen – bei einer Bevölkerung von etwa 40 Millionen – bereits auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, bekräftigt die UNHCR-Mitarbeiterin Caroline Gluck, ebenfalls in einem Telefongespräch.

    Trotzdem, so Gluck weiter, entschließen sie sich, Pakistan zu verlassen, weil »die Strafen der Behörden für diejenigen, die bleiben, sehr hart sind … Eine Frau erzählte mir, dass sie gekommen sei, weil man ihr gesagt hatte, dass sie ihr Haus zerstören, niederbrennen und abreißen würden, wenn sie nicht ginge; anderen wurde mit Gefängnis gedroht«, erklärt sie.
    Humanitäre Organisationen und afghanische Flüchtlinge berichten, dass es im Land eine massive Verhaftungskampagne gibt, um die Ausreise derjenigen zu erzwingen, die keine Aufenthaltserlaubnis haben, etwa 1,7 Millionen Afghanen der geschätzten 4,4 Millionen, die in Pakistan leben.“

    (El País, 9.11.)

  42. Die Behörden zerstören Siedlungen und gehen von Haus zu Haus: Pakistan schickt Tausende Afghanen zurück

    Die pakistanische Regierung sagt, sie wolle illegal eingereiste Migranten ausschaffen. Aber die Massnahme trifft auch andere.

    Tausende Afghanen haben Pakistan in den vergangenen Tagen verlassen. Pakistan ist die Heimat der grössten afghanischen Diaspora. Rund vier Millionen Afghanen leben im Nachbarland. Laut der pakistanischen Regierung sind 1,7 Millionen Afghanen illegal im Land. Die Grenzen zwischen den Ländern sind durchlässig, und in Afghanistan herrschte 40 Jahre lang Bürgerkrieg – immer wieder kamen Afghanen und Afghaninnen nach Pakistan, manche kehrten zurück, manche blieben. Jene, deren Aufenthaltsstatus nie geklärt wurde, müssen nun laut den pakistanischen Behörden gehen.

    Die Regierung in Islamabad hatte den Afghanen im Oktober eine Deadline gesetzt: Bis am 1. November mussten illegale Immigranten das Land verlassen. In den vergangenen Wochen mehrten sich Berichte von Afghanen, die auf der Strasse aufgegriffen, verhaftet und deportiert wurden. Je näher die Deadline rückte, umso mehr Afghanen tauchten an der Grenze auf. Hilfsorganisationen beschrieben die Situation als chaotisch.

    Derweil zerstörten die pakistanischen Behörden mit Bulldozern afghanische Siedlungen, einfache Lehmhäuser, zum Beispiel am Rand der Hauptstadt Islamabad. Polizisten gehen von Haus zu Haus auf der Suche nach Afghanen.

    Es trifft nicht nur illegal Eingewanderte

    Medienberichte von der Grenze zeigen Lastwagen voll mit Menschen und ihrem Hab und Gut. An der Grenze warten Menschen auf die Rückkehr in ein Land, in dem sie teilweise seit Jahren nicht mehr waren. Viele haben jahrelang in Pakistan gelebt. Einige zeigen in einem Bericht der BBC ihre Aufenthaltsbewilligung – sie sind also nicht illegal im Land. Trotzdem hat die Polizei sie verhaftet.

    Die pakistanische Regierung und das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) bekräftigen, dass registrierte Flüchtlinge das Land nicht verlassen müssen. Seit die Taliban vor zwei Jahren die Macht in Afghanistan übernahmen, dürften laut UNHCR rund 600 000 Menschen von Afghanistan nach Pakistan geflohen sein. Allerdings haben sich gerade einmal 256 000 offiziell als Flüchtlinge registriert. Das hat mehrere Gründe: Einerseits ist der Prozess langwierig, während er läuft, befinden sich die Flüchtlinge illegal im Land, Pakistan kennt kein Asylrecht nach Genfer Konvention. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass solche Flüchtlinge nun ebenfalls Ziel von Abschiebungen werden könnten.

    Andererseits ist Pakistan für afghanische Flüchtlinge auch ein Durchgangsland. Viele Afghanen, die in den vergangenen 20 Jahren mit den Nato-Truppen oder mit internationalen NGO zusammengearbeitet hatten, fürchteten Rache von den Taliban. Die meisten hätten Aussicht auf Asyl in Europa, Amerika oder auch Australien. Die Evakuierung all dieser Menschen läuft allerdings schleppend. Sie haben sich in Pakistan nicht als Flüchtlinge registriert, weil sie nicht bleiben wollen. Viele hatten Visa für Pakistan, welche mittlerweile abgelaufen sind. Auch sie fürchten nun die Rückführung nach Afghanistan.

    Anschläge mehren sich

    Grund für die Rückführungen ist laut der pakistanischen Regierung die verschärfte Sicherheitslage an der Grenze. Im vergangenen Jahr verübten Islamisten der Tehrik-e Taliban (TTP) immer wieder Anschläge. Die TTP sind die pakistanischen Taliban, sie operieren unter dem Schutz der afghanischen Taliban, ihre Anschläge planen sie auf afghanischem Boden. Hunderte pakistanische Polizisten und Soldaten wurden im vergangenen Jahr Opfer von Terroranschlägen.

    Laut den pakistanischen Sicherheitsbehörden sollen Mitglieder der afghanischen Diaspora ebenfalls in die Planung der Anschläge involviert gewesen sein.

    Die Menschen, die jetzt über die Grenze geschickt werden, sind Teil eines grösseren politischen Machtkampfes zwischen Pakistan und Afghanistan. Hochrangige Taliban haben die Rückführung der Afghanen verurteilt und als grausam betitelt.

    Noch weiter ging der Verteidigungsminister, Muhammad Yaqoob Mujahid, der Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar. Mullah Omar wurde einst von Pakistan unterstützt, der Nachbar war ein Verbündeter, als die Taliban noch Rebellen und nicht die Regierung waren. Nun warnte Mullah Omars Sohn: «Pakistan soll die Konsequenzen seiner Taten spüren, sie werden ernten, was sie sähen», sagte Muhammad Yaqoob Mujahid in einem Interview, «was gerade passiert, wird sich negativ auf die Beziehung zwischen den zwei Ländern auswirken.»

    (NZZ, 6.11.)

    Pakistan hat sich in den Jahrzehnten der Unterstützung von erst den Mudjaheddin, dann den Taliban in jeder Hinsicht übernommen.

    Die Hoffnung war immer, Einfluß in Afghanistan zu bekommen.

    Inzwischen scheint jedoch von Zusammenarbeit keine Rede zu sein, und die Taliban gefährden die territoriale Integrität Pakistans.
    Man vergesse nicht, daß die Durand-Linie nie zwischen Pakistan und Afghanistan anerkannt wurde. Der einzige Grenzvertrag – im Frieden von Rawalpindi – wurde mit dem British Empire geschlossen.

  43. „Lawrow sagte, dass Russland regelmäßige Kontakte mit den Taliban unterhält
    Es gebe in Afghanistan eine De-facto-Regierung, die die Lage kontrolliere, sagte der Diplomat

    Die russischen Behörden pflegen regelmäßige Kontakte zu den Taliban, sagte der russische Außenminister. »Wir haben regelmäßige Kontakte mit den Taliban, auch zu Fragen, die gelöst werden müssen, damit sie eine vollständig anerkannte Regierung werden können«, sagte der Diplomat während einer Pressekonferenz.

    Wie der Chef des russischen Außenministeriums feststellte, gibt es in Afghanistan eine De-facto-Regierung, die die Lage wirklich kontrolliert. Er räumte ein, dass es in der Republik immer noch einige Spannungs- und Protestnester gibt, aber im Allgemeinen kontrollieren die Taliban die Situation.“

    Für Rußland ist offenbar das Allerwichtigste, daß es in dem Land ein funktionierendes Gewaltmonopol gibt.
    Außerdem erkennt Lawrow hier auch die Leistungen der Taliban in der Bekämpfung des IS Khorasan an.

    Die jüngsten Angriffe des Iran auf das irakische Kurdistan und Pakistan deuten an, daß sie dort die Drahtzieher des Attentats von Kerman vermuten, nicht in Afghanistan.

    „Zuvor hatte der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für Afghanistan und Direktor der zweiten Asienabteilung des russischen Außenministeriums, Zamir Kabulov, erklärt, dass die russischen Behörden in Zukunft die vorläufige Regierung der Taliban anerkennen könnten, diese dafür aber noch einige Vorgaben machen müssten.“

    (KP, 18.1.)

  44. Botschaften in Kabul wieder öffnen

    Der frühere deutsche Botschafter Markus Potzel plädiert dafür, dass Deutschland und andere westliche Nationen ihre Botschaften in Kabul wieder öffnen.

    Man könne die Lage besser einschätzen, wenn man im Land sei. Deutschland und andere westliche Staaten hätten Interessen in Afghanistan, das dürfe man nicht vergessen, sagte er. (…)

    Im August 2021 übernahmen die militant-islamistischen Taliban wieder die Macht in Afghanistan, nachdem Präsident Aschraf Ghani nach einer Offensive der Islamisten aus dem Land geflohen war.
    Westliche Staaten schlossen ihre diplomatischen Vertretungen und evakuierten ihr Personal.

    Dem Westen sei an einem stabilen Afghanistan gelegen, in dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nicht weiter ausbreite und keine Drogen angebaut würden.
    Der Westen habe auch ein Interesse daran, dass den Menschen im Land Perspektiven geboten würden, »damit sich eine Flüchtlingswelle, wie wir sie 2015 gesehen haben, nicht wiederholt«, sagte Potzel. Das alles seien Interessen, für die es lohne, sich einzusetzen und vor Ort präsent zu sein.

    Aktuell sind einzelne Botschaften in Kabul aktiv, etwa die Vertretungen Chinas, Russlands, von Katar oder jene der Nachbarländer Usbekistan, Iran und Pakistan.

    (ZdF, Dezember 2022)

    Der Post ist schon alt, aber es hat sich seither wenig geändert.

  45. „Bewegung Richtung Beitritt: Die Taliban sprachen sich für die Aufnahme Afghanistans in die SOZ aus

    Die Taliban plädieren dafür, dass Afghanistan als ständiges Mitglied der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) beitritt, sagte Jamal Nasir Garhwal, der Geschäftsträger des Landes in Moskau, gegenüber der Izvestija.

    Er fügte hinzu, dass die Bewegung auch an einer Mitgliedschaft Afghanistans bei den BRICS und der EAWU interessiert sei. Das russische Außenministerium hatte zuvor darauf hingewiesen, dass Moskau im Falle einer Anerkennung der Taliban bereit sei, die Kandidatur Kabuls zu unterstützen.
    Darüber hinaus könnte der Beitritt Afghanistans zur SOZ von China, Kirgisistan, Usbekistan und Pakistan genehmigt werden. Iran, Indien und Tadschikistan könnten sich solchen Maßnahmen möglicherweise widersetzen. (…)

    Aufnahme Afghanistans in die SOZ, BRICS und EAWU

    Die in Russland verbotene Taliban-Bewegung,“

    – hier wird darauf hingewiesen, daß die Sache nicht zu einfach ist, weil nicht nur, daß auch Rußland die Taliban bis heute nicht als Regierung Afghanistans anerkannt hat: Es ist keineswegs erwünscht, daß diese Interpretation des Islam in Rußland eindringt.
    Aber außenpolitisch muß man eben flexibel sein …

    „die 2021 in Afghanistan an die Macht kam, zeigt Interesse an einer geographischen Erweiterung ihrer Außenpolitik.
    Die derzeitigen afghanischen Behörden sind nicht bei der UNO und anderen internationalen Organisationen vertreten. Darüber hinaus vermeiden sie den Beitritt zu Bündnissen und verfolgen eine Politik der Neutralität. Gleichzeitig ist die Taliban-Regierung daran interessiert, Beziehungen zu ihren Nachbarn aufzubauen, auch im Rahmen regionaler Verbände. Insbesondere plädiert die Bewegung für einen Beitritt Afghanistans zur SOZ.

    »Afghanistan ist immerhin Beobachter in der SOZ,«“

    – immerhin! – Das mußte ja auch einmal genehmigt werden –

    „»aber wir wollen ein ständiges Mitglied dieser Organisation werden«, sagte der Geschäftsträger in Moskau, Jamal Nasir Garhwal, gegenüber der Izvestija. »Und wir wollen, dass Russland uns in dieser Angelegenheit unterstützt.«

    Er fügte hinzu, dass Afghanistan in Zukunft gerne Mitglied in anderen Verbänden werden möchte, zu denen auch die Russische Föderation gehört.
    »Das Gleiche gilt für BRICS. Der Beitritt zur SOZ erscheint uns jedoch einfacher, da unsere wichtigsten Partner in der Region Mitglieder dieser Organisation sind«, erklärte der Taliban-Vertreter. »Afghanistan möchte künftig auch Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion werden.«
    Heute verfügt Afghanistan nicht über eine ausreichende politische und rechtliche Grundlage für die Interaktion mit den BRICS-Staaten und der EAWU.“

    Damit wird darauf hingewiesen, daß auch die anderen Mitglieder der BRICS die Taliban-Regierung nicht anerkannt haben.

    „Anfang Juni sagte der amtierende Minister für Arbeit und soziale Entwicklung, Adbul Umari, dass Kabul den Abschluss von Absichtserklärungen mit den EAWU-Ländern erwarte. Er interessiert sich auch für die Arbeitsmigration afghanischer Einwohner, insbesondere nach Russland.
    »Wir müssen zusammenarbeiten und die Umsetzung großer Infrastrukturprojekte, Eisenbahnkommunikations- und Energieprojekte sicherstellen. All dies wird ein vorteilhaftes Umfeld nicht nur für unser Land, sondern für ganz Asien schaffen«, sagte Adbul Umari.“

    Das wiederum ist ein Hinweis darauf, daß China bereits umfangreich tätig ist in Afghanistan und zahlreiche Projekte der Neuen Seidenstraße in Angriff nehmen will, oder das schon getan hat.

    „Darüber hinaus hat Afghanistan seit 2012 Beobachterstatus in der SOZ.“

    Dieser Status wurde also noch unter der Regierung von Hamid Karzai erlangt.

    „Nach der Machtübernahme der Taliban wurde die Teilnahme des Landes an den Treffen jedoch praktisch eingefroren: Die Bewegung wurde nicht zu den Treffen der Organisation eingeladen. Der Grund dafür ist höchstwahrscheinlich die mangelnde Anerkennung der Taliban als Vertreter der legitimen Regierung in Afghanistan. (…)

    »Damit Afghanistan der SOZ beitreten kann, sind die Mindestvoraussetzungen die diplomatische Anerkennung der Taliban-Regierung, also die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen, die es derzeit tatsächlich nicht gibt«, meint Nikita Mendkovitsch, der Leiter des Eurasischen Analyse-Klubs.
    »Meiner Meinung nach kann dieses Problem gelöst werden, da Afghanistan einen erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus, eine produktive Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich sowie die Gewährleistung der Sicherheit russischer Projekte in der Region zeigt«, sagte er gegenüber der Izvestija.

    Nach den Regeln der Organisation muss der antragstellende Staat insbesondere der eurasischen Region angehören, den Status eines Beobachterstaates oder Dialogpartners haben und aktive Handels-, Wirtschafts- und humanitäre Beziehungen zu SOZ-Mitgliedern unterhalten.
    Mendkovitsch betont, dass eine vollständige Beteiligung Afghanistans an der Schanghai-Organisation sowie an BRICS und der EAWU Afghanistan für neue Märkte und diplomatische Plattformen öffnen würde. »Angesichts der derzeitigen Isolation, in die das Taliban-Regime durch die NATO gebracht wurde, ist dies für sie im Hinblick auf den Aufbau diplomatischer und politischer Beziehungen sowie den Handel und die Anwerbung von Investitionen äußerst wichtig«, erklärt er.

    Zur SOZ gehören neben Russland derzeit acht Staaten: China, Indien, Pakistan, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan. Weißrussland könnte bald neues Mitglied der SOZ werden – eine entsprechende Einigung wurde im Mai bei einem Treffen der Außenminister der Organisation erzielt. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Mongolei das nächste Mitglied der SOZ sein könnte.

    Wer wäre für und gegen die Mitgliedschaft Afghanistans in der SOZ?

    Erstens könnten China und Kasachstan die Kandidatur Afghanistans für die SOZ unterstützen. Peking war das erste Land, das einen Taliban-Diplomaten als Botschafter in seinem Land akkreditierte. Die VR China ist daran interessiert, Zugang zu den reichen natürlichen Ressourcen Afghanistans zu erhalten, ihren Einfluss in der Region zu stärken und die uigurischen Militanten in Afghanistan zu kontrollieren.
    Kasachstan wiederum hat die Taliban Ende 2023 von seiner Terroristenliste gestrichen. Der Präsident des Landes, Kassym-Schomart Tokajew, sagte, Astana strebe die Entwicklung einer für beide Seiten vorteilhaften wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Afghanistan an.

    Tadschikistan, Indien und Iran könnten möglicherweise die Aufnahme des Landes in die SOZ blockieren, sagt Kamoliddin Chasanov, Forscher an der Wirtschaftshochschule Moskau. »Tadschikistan ist von allen zentralasiatischen Ländern das Land mit der größten Feindseligkeit gegenüber Afghanistan unter der derzeitigen Taliban-Regierung. Es kommt immer wieder zu Eskalationen an der Grenze. Darüber hinaus habe die Regierung von Emomali Rachmon Kontakte zur afghanischen Opposition gehabt, die von der von Ahmad Massud angeführten Nationalen Widerstandsfront vertreten werde, die hauptsächlich aus ethnischen Tadschiken bestehe, sagte er gegenüber der Izvestija.

    Die Führung Tadschikistans hat den Taliban wiederholt »aggressive Diskriminierung« verschiedener ethnischer Gruppen und »starren religiösen Konservatismus« vorgeworfen.

    Teheran erhebt ähnliche Ansprüche gegen Kabul. Er kritisiert die Taliban für ihre Unterdrückung der Hazara, einer schiitischen Minderheit in Afghanistan. Übrigens sind diese iranischsprachigen Menschen nach wie vor eine der wichtigsten ethnischen Gruppen des Landes (bis zu 10 % der Bevölkerung).
    »Hier geht es nicht nur um die Hazara, sondern um den ethnisch-konfessionellen Faktor insgesamt. Die Taliban waren in der Vergangenheit nicht nur gegenüber anderen Religionsgemeinschaften wie Buddhisten, sondern auch gegenüber Schiiten intolerant. Das ist ein unangenehmer Faktor für den Iran«, erklärt Chasanow.
    »Was Indien betrifft, so betrachtet Neu-Delhi die Taliban im Hinblick auf das Anwachsen des religiösen Radikalismus und die Verschlechterung der Lage in seinem Land als gefährliche Organisation, und daher könnte auch Indien sich negativ auf einen Beitritt Afghanistans zur SOZ beziehen. Im Jahr 2023 forderte der indische Premierminister Narendra Modi, zu verhindern, dass afghanisches Territorium zur Destabilisierung seiner Nachbarn genutzt wird.«“

    Es ist hier allerdings nicht klar, ob er sich dabei auf die Taliban bezogen hat, oder auf die zu diesem Zeitpunkt nicht ganz ausgeschalteten Gruppierungen des IS in Afghanistan, die die Taliban bekämpfen und vermutlich von den USA und einigen Golfstaaten unterstützt werden.

    „Die verbleibenden Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit – Usbekistan, Kirgisistan, Pakistan, Russland – werden die Aufnahme Afghanistans in die SOZ wahrscheinlich nicht boykottieren, glaubt der Analyst.
    Taschkent und Bischkek unterhalten seit 2021 Kontakte zu den Taliban (während Kirgisistan die Taliban immer noch als Terrororganisation betrachtet).

    Trotz der Spannungen in den Beziehungen zu Afghanistan (im Frühjahr wurden an der afghanisch-pakistanischen Grenze militärische Zusammenstöße gemeldet) strebt Islamabad eine Zusammenarbeit mit den Taliban bei der Bekämpfung des grenzüberschreitenden Terrorismus an. Anfang Juni erklärte der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für Afghanistan, Samir Kabulov, dass Russland die Aufnahme Afghanistans in die SOZ als Vollmitglied unterstütze. Dies ist jedoch erst möglich, nachdem die Taliban von der Liste der verbotenen Organisationen gestrichen wurden und die Taliban-Regierung anerkannt wurde.
    Der Diplomat Kabulov betont jedoch: »Die SOZ ist in erster Linie eine Wirtschaftsorganisation, und Afghanistan muss seine Wirtschaft in eine gewisse relative Ordnung bringen, damit die übrigen SOZ-Mitglieder ihren Beitritt für sinnvoll halten.«

    Anerkennung der Taliban durch die Russische Föderation

    Heute erkennt kein einziger Staat der Welt die Taliban als legitime Regierung Afghanistans an.“

    Immerhin 3 Jahre ohne Legitimität, und weiterhin fest im Sattel, Hut ab!

    „Am 27. Mai gab Kabulov bekannt, dass das Außenministerium und das Justizministerium den russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Möglichkeit informiert hätten, die Taliban von der Liste der Extremisten und Terroristen zu streichen.
    Der russische Außenminister Sergej Lawrow begründete dies damit, dass Moskau die Taliban für die wahre Macht in Afghanistan halte. Obwohl die Taliban seit 1999 unter UN-Sanktionen stehen, wurde die Bewegung vom Sicherheitsrat nicht als Terrororganisation anerkannt.
    Sergej Lawrow wies zuvor darauf hin, dass die Liste der Terroristen auf der Ebene des UN-Sicherheitsrates nur 12 bis 15 konkrete Personen umfasst.

    Omar Nessar, Forscher am Institut für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften, stellt fest, dass die Aufhebung des Status einer verbotenen Organisation für die Taliban ein Schritt zur Anerkennung der neuen afghanischen Behörden sei. »Aber das ist nur der erste Schritt. Das sind sie eigentlich nicht mehr, da sie keine Gewalttaten mehr begehen. Sie wurden zur Staatsmacht«, sagte er gegenüber der Izvestija.“

    Ein interessanter Hinweis darauf, daß der Terrorismus die Gewalt der Schwachen ist, und Staaten sich jede Gewaltanwendung erlauben können.

    „»Ich denke, dass jetzt Verhandlungen im Gange sind und dass externe Akteure, darunter Russland und Kasachstan, die Grundlage dafür schaffen, dass ihre Kollegen über die Anerkennung sprechen.

    Gleichzeitig hat die RF wiederholt erklärt, dass sie bereit ist, die Taliban unter einer Reihe von Bedingungen anzuerkennen:
    Erstens die Achtung der Menschenrechte, insbesondere der Rechte von Mädchen und Frauen, und
    zweitens die Bildung einer politisch inklusiven Regierung nicht nur aus Paschtunen, sondern auch aus Usbeken, Tadschiken und andere Nationalitäten.
    Diese Bedingungen sind jedoch noch nicht erfüllt. Obwohl an der Spitze der Taliban tatsächlich Vertreter anderer Nationen stehen, spielen diese in der Politik des Landes keine ernsthafte Rolle und wahren auch nicht die Interessen ihrer ethnischen Gruppen. Darüber hinaus registriert die UNO weiterhin Fälle von Verletzungen der Rechte von Mädchen und Frauen im Land. Gleichzeitig hat die internationale Gemeinschaft immer wieder darauf hingewiesen, dass die Behörden in Kabul den Terrorismus in Afghanistan nicht wirksam bekämpfen. So stellte das Anti-Terror-Zentrum der GUS im vergangenen Jahr fest, dass die Taliban dem wachsenden Einfluss des IS-Ablegers »Vilayat Khorasan« nicht gewachsen seien, dessen Zahl etwa 6.000 Kämpfer erreicht habe.“

    (Izvestija, 13.6.)

    Die Taliban müssen also sowohl politisch als auch wirtschaftlich einmal Ordnung im eigenen Haus machen, bevor sie auf größeren Bühnen auftreten können – das wird ihnen durch Rußland höflich und unmißverständlich bedeutet.

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