Serie „Lateinamerika heute“. Teil 23: Die Dominikanische Republik

VOM PECH, ALS MODELL ZU DIENEN

Die DR kennt man heute hauptsächlich als touristische Destination, Zweitwohnsitz des Jet-Sets und bessere Hälfte des als lokalem Problemfall bekannten Haití.
Der Weg zu diesem Zustand war allerdings holprig.

Entdeckung, „Umvolkung“ und territoriale Teilung

Die Insel Hispaniola, deren östlichen Teil die DR einnimmt, war nach den Bahamas und Kuba die nächste Insel, die Kolumbus „entdeckte“. Er wurde überall freundlich aufgenommen. Die unbekleideten Bewohner der karibischen Inseln hielten die Entdecker für Abgesandte des Himmels.
Kolumbus nahm aus dieser freundlichen Aufnahme vor allem wahr, daß diese Menschen friedlich und daher feige seien und man sie einfach unterjochen könne.
Die Insel Hispaniola wurde zum Modell für die Eroberung der Neuen Welt durch Spanien. Ihre Bewohner wurden in den folgenden Jahrzehnten ermordet, zu Tode geschunden und versklavt.
Die solcherart und außerdem durch aus Europa eingeschleppte Krankheiten dezimierte Bevölkerung Hispaniolas wurde bereits seit Anfang des 16. Jahrhunderts durch Sklaven aus Afrika ersetzt. Die Afrikaner waren vergleichsweise resistent gegen die europäischen Infektionskrankheiten und bewährten sich daher als Arbeitskräfte. Deshalb veränderte sich die Bevölkerung Hispaniolas bis Ende des 16. Jahrhunderts in spanischstämmige Oberschicht, schwarze und indigene Sklaven, und deren Mischlinge.

Anfang des 17. Jahrhunderts fanden Zwangsumsiedlungen der Bewohner des Westens der Insel und die Zerstörung der bis dahin entwickelten Wirtschaft dieser Gegenden statt, weil die spanische Krone der Schmuggel mit und der Kontakt mit den Untertanen anderer Kolonialmächte störte, der sich im Westteil der Insel eingebürgert hatte.
Deswegen erging ein Befehl an die Kolonialverwaltung in Santo Domingo, diese Gegenden an der West- und Nordküste zu entvölkern, ihre Bewohner zwangsumzusiedeln und die ehemals relativ blühenden Siedlungen vollständig zu zerstören, um eine Rückkehr zu verhindern.
Die unmittelbaren Folgen waren wirtschaftlicher Natur. Die Insel verarmte, Menschen wanderten aus. Hispaniola wurde zu einer Art Strafkolonie, wo niemand hinwollte.
In den verlassenen Regionen hingegen siedelten sich entlaufene Sklaven an. Piraten übernahmen die verlassenen Häfen und begannen von dort erst recht Schmuggel und Raubzüge. Eine tatsächlich gesetzlose Zone entstand und die durch den wirtschaftlichen Niedergang sehr ausgedünnte Kolonialverwaltung Hispaniolas hatte nicht mehr die Macht, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.
Die spanische Krone hatte Territorium aufgegeben und Wirtschaft, also gesellschaftlichen Reichtum, vernichtet. Die Trennlinie, die sie durch die Insel zog und westlich derer sich niemand ansiedeln durfte, teilte in der Tat Hispaniola in die 2 Hälften, aus denen es heute besteht.

Diese Zerstörung hatte weitreichende Folgen für die weitere Entwicklung Hispaniolas, und auch des heutigen Haitís.

Sklavenhalter, Sklavenaufstände und die Bürde der Unabhängigkeit

Zwischen 1789 und 1843 erschütterten die Ausläufer der Französischen Revolution, der Koalitions- und Napoleonischen Kriege die Insel. Spanier, Franzosen und Briten gaben sich ein Stelldichein auf Hispaniola.
Der Ostteil wurde 1822 bis 1844 zweimal von Heeren der aufständischen bzw. nicht mehr-Sklaven aus Haití besetzt. Unter dieser haitianischen Herrschaft wurde die Sklaverei endgültig aufgehoben und der landwirtschaftliche Kleinbesitz durch eine Landreform eingerichtet. (Es sollte die letzte Landreform in der DR sein.) In dieser Zeit verließ noch einmal ein Teil der weißen Bevölkerung den Ostteil der Insel, weil sie ihre Privilegien und ihren Besitz verloren.
Nach dem Abzug der Haitianer erklärten einige Mitglieder der Oberschicht die Unabhängigkeit Santo Domingos und verzettelten sich in den folgenden Jahrzehnten in Verteilungskriege, bis eine Regierung 1861 den Beschluß faßte, sich wieder Spanien als Kolonie zu unterstellen. Ein zumindest auf dem amerikanischen Kontinent einmaliger Akt.
Diese Rückkehr in die Arme des Mutterlandes wurde nicht von allen Einwohnern der Insel begrüßt. Sowohl unter den Eliten als auch den Nachfahren der Sklaven war dieser Schritt unpopulär und sie begannen einen Aufstand, der von Haití aus unterstützt wurde, weil dort erst recht niemand wieder ein Kolonialsystem auf der Insel wollte.

Die Spanier zogen 1865 ab und der Ostteil verfiel wieder in Bürgerkrieg. Nach der Ermordung eines Diktators, der das Land in Schulden gestürzt hatte, drohte um die Wende zum 20. Jahrhundert eine Invasion, diesmal aus Frankreich, wo der Großteil der Schulden gemacht worden war.

In diesem Augenblick traten die USA auf den Plan, erstens, um eine Intervention zu verhindern und zweitens, um die Gültigkeit der Schuld zu garantieren und ihre Bedienung sicherzustellen.
Schließlich marschierten die USA 1916 in die DR ein.
Dies geschah unter dem Präsidenten Wilson, noch vor dem Eintritt der USA in den I. Weltkrieg, als eine Art Vorspiel oder Übung, mit der die USA Truppenverlegungen probten – in einem sicheren Terrain, wo kein nennenswerter Widerstand zu erwarten war. Die Invasion fiel umso leichter, als die USA zu diesem Zeitpunkt Haití bereits besetzt hatten.
Die USA richteten eine Militärregierung ein, bekämpften Guerillabewegungen und anderen Widerstand und führten die Zensur ein. Sie errichteten durch die Schaffung einer Nationalen Armee ein Gewaltmonopol, das in der DR bisher nicht vorhanden gewesen war. Sie blieben 8 Jahre lang. Der bei ihrem Abzug 1924 genehmigte Präsident wurde 1930 von einem von den USA gestützten Gorilla gestürzt und damit begann die 30-jährige Diktatur von Rafael Trujillo.

Die USA und der Diktator Trujillo

Den US-Besatzern war ein Kleinkrimineller wie Trujillo gerade recht, um ihr Statthalter nach ihrem Abzug zu werden. Es war klar, daß er alles machen würde, was die USA verlangen, solange er sich selbst dabei die Taschen füllen konnte.

Seine Diktatur war ein Modell für die USA, in ihrem Hinterhof ihnen genehme Potentaten einzusetzen, die ihnen bedingungslos ergeben waren und die ihre jeweiligen Staaten unter Kontrolle hatten.
Wie im Falle Trujillos war es dafür günstig, sich dafür solcher Leute zu bedienen, die nicht den angestammten Eliten des Landes angehörten, sondern ihren Aufstieg der Zusammenarbeit mit den USA verdankten. Diese Leute würden auch weiterhin auf die USA setzen, weil sie von ihnen abhängig waren und die Unterstützung von außen brauchten, um im Inneren ihre Herrschaft ausüben zu können.

Dieses Modell wurde später auf verschiedene Staaten der Karibik, Mittel- und Südamerika ausgedehnt. Die Ermordung eines spanischen Exilpolitikers, der unter Mitwirkung von CIA und FBI aus den USA in die DR entführt wurde, zeigt die enge Zusammenarbeit zwischen Trujillo und den USA auf.
Das System Trujillos, mit Folter, Verschwindenlassen bzw. offensichtlichen, von der Regierung angeordneten Morden Terror in der Gesellschaft der DR zu säen, sollte sich auch nach Trujillos Tod unter der Ägide der Operation Condor in Südamerika verbreiten.

Die DR bewährte sich also im 20. Jahrhundert, wie schon in der Kolonialzeit, als eine Art Labor und Testgelände – in diesem Fall zur Unterwerfung des lateinamerikanischen Hinterhofs in das US-System der kontrollierten Souveränitäten und militärischen Interventionen.

Abgesehen von dieser Nützlichkeit für die USA verfolgte Trujillo auch noch eine eigene Agenda, um sich von der zweiten Hälfte der Insel, den von ihm als minderwertig eingestuften Schwarzen Haitís abzugrenzen. Das führte zu Massenmorden an haitianischen Immigranten durch die Armee und dem Angebot, Juden aufzunehmen, die vor der nationalsozialistischen Herrschaft flüchten wollten. Aus letzterem wurde aber nichts, vermutlich aufgrund eines Machtworts der USA.

Bis heute ist nicht ganz klar, in wie weit die USA die Attentäter unterstützten, die Trujillo im Mai 1961 in der Nähe der Hauptstadt erschossen. Nach Unruhen, einer Übergangsregierung und einem Putsch kam es zu Neuwahlen, die der aus dem Exil zurückgekehrte Juan Bosch gewann.

Politische Kontinuität nach Trujillo

Die neuere Geschichte der DR spielte sich, was die politische Ebene anging, im Lichte der Rivalität zweier Personen ab: Joaquín Balaguer und Juan Bosch.
Beide begannen ihre unterschiedlichen Karrieren als Schriftsteller und Journalisten.

Balaguer war ein enger Mitarbeiter Trujillos gewesen, und hatte Posten als Botschafter und Minister besetzt. Nach dem Tod Trujillos stand er einer Übergangsregierung vor.
Bosch war 1938 er ins Exil gegangen, wo er ein Jahr darauf in Kuba die Revolutionäre Dominikanische Partei gründete, nach dem Vorbild der kubanischen Partei ähnlichen Namens.
Es ist bezeichnend für die Verhältnisse in Lateinamerika, daß die Einführung Partei mit mehr oder weniger sozialdemokratischer Ausrichtung oder nur der Versuch derselben bereits als „revolutionär“ galt.

Fast alles, was Bosch in Angriff nahm, brachte ihm bald den Verdacht des Kommunismus ein: eine neue Verfassung, Arbeitsrechte, die Freiheit zu gewerkschaftlicher Organisation, liberale Lehrpläne und vor allem – eine Landreform, die die Großgrundbesitzer gegen ihn aufbrachte. Nach nur 7 Monaten putschte das Militär gegen ihn und Bosch ging wieder ins Exil.
Eine weitere Erhebung innerhalb des Militärs, die die Wiedereinsetzung des gewählten Präsidenten Bosch forderten, führte 1965 zu einer weiteren Invasion der USA mit 42.000 Mann. Sie zogen erst wieder ab, als neue Wahlen wieder Balaguer an die Macht brachten.

Balaguer regierte 12 Jahre, mit ähnlichen Methoden wie Trujillo. Als die USA eine erneute Wahlfälschung verhinderten, mußte er einige Zeit pausieren, kam aber 1988 wieder von neuem an die Macht und regierte bis in die 90-er Jahre.

Bosch trat immer wieder zu Wahlen an, blieb aber chancenlos. Die Bevölkerung der DR hatte verstanden, daß die Wahl eines nicht genehmen Kandidaten US-Interventionen zu Folge hatte und daß die Dominikaner „keine zweite Chance auf Erden hatten“.
Die Zusammenarbeit mit den USA ist alternativlos.
Sie setzt sich auch im 21. Jahrhundert fort.

In all diesen Jahren haben US-Firmen in der DR investiert, Grund gekauft, Firmen gegründet und stellen auch in den zur Zeit der ersten Regierung von Balaguer eingerichteten Sonderwirtschaftszonen das Gros der Unternehmen.
In der DR besitzen laut Wikipedia „1 % der Landwirtschaftsbetriebe … über 50 % des Nutzbodens, während 75 % der kleinen Agrarbetriebe nur über einen Anteil von 15 % verfügen.“ (Wikipedia, Wirtschaft der DR)
Diese Latifundien setzen auf Cash Crops für den Export, wie Avocados, sodaß der einheimische Bedarf aus Importen gedeckt werden muß.
Aber Landreformen sind, wie man gelernt hat, eine No-Go-Area.

Ansonsten ist der ohnehin in der Hand ausländische Konzerne befindliche Bergbau zurückgegangen und die Haupt-Stützen der Wirtschaft der DR sind Tourismus und die Überweisungen der dominikanischen Migranten: „Die dominikanische Diaspora in den USA zählt zu den größten lateinamerikanischen Gemeinschaften im Land. Rund 2,4 Millionen Menschen dominikanischer Herkunft leben in den USA (Stand: 2021 … Überweisungen dominikanischer (…) Migranten aus den USA machen etwa 7 bis 8 % des Bruttoinlandsprodukts der Dominikanischen Republik“. (Wikipedia, Beziehungen zwischen DR und USA)

Wenn das Lob erklingt, daß „die DR 2022 die 7-größte Wirtschaft Lateinamerikas“ war, das stärkste Wirtschaftswachstum Mittelamerikas und der Karibik hat, usw. usf. – so sagt das eben über die anderen verglichenen Staaten Unerfreuliches aus.
Besonders krass fällt der Vergleich mit den Nachbarn in Haití aus, die vor ihrem Elend in Massen in die DR flüchten und auch immer wieder in großen Mengen zurück nach Hause abgeschoben werden.

Siehe dazu: Eine Geschichte von Sklaverei und Schuldknechtschaft – Kurzer Abriß der Geschichte Haitís

Serie „Lateinamerika heute“, Teil 21: Costa Rica

MILITÄRFREIE ZONE

Costa Rica ist neben seiner neueren Karriere als mittelamerikanisches Ferienparadies vor allem dafür bekannt, daß es keine Armee besitzt.

Das ist einerseits bemerkenswert. Jeder Staat auf der Welt hat normalerweise ein Heer und begründet das damit, daß man sich ja ständig gegen böse Feinde verteidigen muß bzw. davon abhalten muß, einen zu überfallen.

Außer Costa Rica verzichten nur Island, Haití, die Salomonen und einige kleine Inseln und Stadtstaaten auf diese Abteilung des staatlichen Gewaltapparates.
Das weist darauf hin, daß Costa Rica offenbar keine Feinde hat und auch keine Interessen, mit denen man sich andere Staaten zu Feinden macht.
Zusätzlich zur Armeelosigkeit ist es nämlich auch noch neutral und hat keinerlei offene Grenzfragen mit Nachbarstaaten.

Man fragt sich wirklich, wie in dem an Konflikten und Elend nicht gerade armen Mittelamerika ein solcher Staat zustandekommen konnte?

Rückzugsgebiet von Minderheiten und Armenhaus der Kolonie

Kolumbus gab der Gegend den Namen „Reiche Küste“. Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.
Die Eroberung und spätere Besiedlung ging in sehr gemächlichem Tempo voran, weil jeder Eroberer, der seine Nase in das Territorium Costa Ricas steckte, herausfand, daß es dort nichts zu holen gab.

Die Eingeborenen, die es dort zu Kolumbus’ Ankunft durchaus gab, verstarben mit der Zeit an den von den Europäern eingeschleppten Infektionskrankheiten. Viele Konflikte erledigten sich dadurch von selbst. Heute machen die Indigenen ca. 2% der Bevölkerung aus.

Der Mangel an Bergbau oder Plantagenwirtschaft machte auch das Einführen von Sklaven aus Afrika unnötig.

Sowohl die Beamten der Kolonialverwaltung als auch die Kleriker, die sich nach Costa Rica begaben, waren notgedrungen anspruchslose Personen.

Der Ausspruch Galeanos von der „Armut der Menschen als Ergebnis des Reichtums der Erde“ bestätigt sich in Costa Rica in umgekehrter Weise: Es konnte kein großes Elend entstehen, weil sich dort keine Reichtümer anhäufen ließen.

Die Landwirtschaft bzw. das Grundeigentum

Mühsam warben die frühen Eroberer oder besser Erschließer dieser Gegenden Siedler an, die unerfreulichen Lebensumständen in Spanien zu entkommen versuchten. Es waren entweder verarmte spanische Kleinadlige, Bauern aus dem Norden oder konvertierte Juden, die dem Elend zu Hause oder der Inquisition entkommen wollten. Auch Protestanten suchten Zuflucht in diesem Niemandsland.

So bildete sich in Costa Rica eine größtenteils auf Subsistenz beruhende Landwirtschaft von kleinen Bauern heraus, die sich bescheiden weiterbrachten. Sie bauten neben den für ihren eigenen Konsum bestimmten Feldfrüchten auch handelsfähige Produkte wie Tabak, Kaffee oder Kakao an, die auf Maultierrücken in die Städte der umliegenden Provinzen transportiert wurden. Kleinformatige Aufstände und Piratenüberfälle störten hin und wieder diese ärmliche Idylle.

Große Teile des Territoriums wurden während der Kolonialzeit nie besiedelt. Neben den Bauern hielten sich abgeschiedene indigene Gemeinden, der Rest blieb Wildnis. Ein paar Großgrundbesitzer gab es zwar, aber sie waren eben ähnlich wie der Rest sehr bescheiden, besaßen weder große Flächen noch eine nennswerte Anzahl von Sklaven, die sie bewirtschafteten.

Nach der Unabhängigkeit wurde weiter nach Siedlern gesucht, die das unbebaute Land erschließen sollten. Sie erhielten das Land geschenkt, erhielten Eigentumstitel gegen geringe Abgaben. So kam ein neuer Schwung von Habenichtsen nach Costa Rica, die im Schweiße ihres Angesichts Wälder rodeten und Land urbar machten.

Durch diese unabhängige Bauernschaft und die vielen Produkte kam es auch nie zu Monokulturen wie in anderen Teilen Lateinamerikas. Sogar die Banane konnte sich trotz heftiger Aktivitäten des US-Kapitals nicht in gleichem Ausmaß wie in anderen lateinamerikanischen Staaten durchsetzen.

Hier hat sich inzwischen einiges getan. Ende des vorigen Jahrhunderts wurden gemäß dem Washington Konsens Privatisierungen auf die Tagesordnung gesetzt. Seit Costa Rica 2004 dem Freihandelsabkommen CAFTA mit den USA beigetreten ist, haben Investitionen, Gesetzesänderungen und die moderne Art des Bauernlegens mittels Banken und Krediten einiges verändert. Das moderne Agrarkapital hat auch den traditionellen costaricanischen Bauernstand reduzieren geholfen.

Man merkt hier, wie diese Freihandels-Abkommen sich keineswegs auf den Handel beschränken, sondern in die Rechtspflege und die Eigentumsverhältnisse eingreifen.

Tourismus

Freiwerdende Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft wurden von dem seit den 80-er Jahren ständig anwachsenden Tourismus-Sektor aufgesogen.

Auch hier gelang es den Costaricanern, aus der Not eine Tugend zu machen: Klein strukturierte Landwirtschaft mit mehr Human- als sonstigem Kapital und viel Wildnis – ideal für sanften Tourismus!

Costa Rica war Pionier des Öko-Tourismus. Flugs wurden viele brachliegende Naturschönheiten zu Nationalparks oder zu Orten von nationalem Interesse erklärt, sie wurden und blieben staatlich. Und Costa Rica ging damit international auf Werbefeldzug. Sie wollen Ballermännern entkommen? Sie wollen Naturbeobachtungen machen, aber doch am Abend warm duschen? Da sind sie bei uns genau richtig!

„Der Tourismus in Costa Rica ist einer der wichtigsten und am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige des Landes und stellt seit 1995 die erste Einnahmequelle der Wirtschaft dar.
Seit 1999 generiert der Tourismus mehr Deviseneinnahmen für das Land als der Export ihrer traditionellen Agrarprodukte: Bananen, Ananas und Kaffee. Der Tourismusboom begann 1987. Die Zahl der Besucher stieg von 329.000 im Jahr 1988 auf eine Million im Jahr 1999 und überstieg 2008 die 2-Millionen-Marke, bis sie im Jahr 2015 den Rekord von 2,6 Millionen ausländischen Touristen erreichte.“ (Wikipedia, Turismo en Costa Rica)

Unabhängigkeit

Ebenso unaufregend wie die Kolonisation gestaltete sich auch die Erringung und Bewahrung der nationalen Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit kam von außen – schwups, auf einmal war die Kolonialmacht weg.

Das Gebiet blieb für die dortigen Beamten und sonstigen Bewohner irgendwie übrig, weil niemand sie wollte. Keine Armeen durchquerten Costa Rica, keine Caudillos lieferten sich Bürgerkriege. Wofür denn auch? Für ein paar Kühe oder 3 Kaffeesträucher?
Diese beschauliche Ereignislosigkeit bescherte Costa Rica 1824 auch noch einen Gebietsgewinn, als eine Provinz Nicaraguas sich freiwillig Costa Rica anschloß, um eine Ruhe von den Machtkämpfen der nicaraguensischen Eliten zu haben.

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit besaß Costa Rica keine Ärzte oder Spitäler oder Apotheken, sondern nur Heiler mit einiger Kenntnis von Pflanzen und Kuren für die Krankheiten, die eben so auftraten. Es gab kaum Schulen, die meisten Bewohner waren Analphabeten. Von höherer Bildung keine Spur. Die einzigen Gebildeten waren die Priester.

Die über das Land hereingebrochene Unabhängigkeit nötigte die spärlichen Eliten dazu, sich um so Dinge wie Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur usw. zu kümmern. Auf einmal war das alles notwendig, da von den Metropolen des Nordens nix mehr kam.

Staatswerdung

Der Versuch, die Infrastruktur zu entwickeln – vor allem durch Eisenbahnbauten – und neue Quellen des Reichtums, vor allem im Begbau, zu erschließen, führte im 19. Jahrhundert zu Wellen der Einwanderung aus Europa, Jamaica und China.

Diese Einwanderung aus allen Teilen der Welt verursachte die Notwendigkeit, ein Bildungssystem zu etablieren, das diese verschiedenen neuen Bürger über nationale Bildung und Spracherwerb in Wort und Schrift integrierte. Das Schulsystem Costa Ricas entstand in der gleichen Langsamkeit und in Schüben wie alles andere in der Geschichte dieses Staates. Erst im 20. Jahrhundert wurden Universitäten gegründet.

Ähnlich sah es mit der Rechtspflege aus. Die kam auch erst so um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in die Gänge. Da wurden Volkszählungen, Gerichte, Gefängnisse und ein Wahlregister eingerichtet, um überhaupt einmal eine Nation, ein Verhältnis von Oben zu Unten zu schaffen, wo alle Bürger erfaßt und in das staatliche System einbezogen wurden.

Im 19. und auch im 20. Jahrhundert war ein weiterer Vorteil Costa Ricas, daß durch seine geringe Attraktivität für ausländisches Kapital keine nennenswerte Verschuldung stattfand. Sogar die Aktivitäten der US-Unternehmer in Sachen Eisenbahn usw. funktionierten nur dann, wenn sie das Kapital vorschossen, um nicht an der staatlichen Zahlungsunfähigkeit zu scheitern.

Für die Entwicklung Costa Ricas war der Sohn katalanischer Emigranten, José Figueres Ferrer entscheidend, der nach einer kurzen Rebellion im Jahr 1948 zum Präsidenten aufstieg. Er schaffte das Heer ab, etablierte einen Sozialstaat,  und entwickelte die Infrastruktur und das Bildungswesen. Er machte dadurch Costa Rica zu einem attraktiven Staat für Einwanderer und Investitionen.

Wie das alles finanziert wurde, ist eines der Rätsel Costa Ricas. Es jedoch bemerkenswert, daß das Land nie in die in der weiteren Umgebung öfter vorkommenden Schuldenkrisen geriet. Es hat auch eine eigene Währung, den Colón (= Kolumbus), der nie besonders inflationär war, weshalb auch keine großen Währungsreformen nötig wurden.

Der Gewaltapparat

Costa Rica hat eine Polizei. Immerhin gibt es auch dort eine Eigentumsordnung und sonstige Gesetze, deren Einhaltung überwacht werden muß. Man merkt aber an Costa Rica – das eine bemerkenswert hohe Rechtssicherheit aufweist –, daß, wo es nicht viel Elend gibt, auch nicht viel Polizei nötig ist. In Costa Rica kommt nach offiziellen Angaben 1 Polizist auf 413 Einwohner. Im ebenfalls nicht besonders rechtsunsicheren Österreich war das Verhältnis im Vorjahr, d.h. 2023, 1 zu 239.

Die Polizisten Costa Ricas erhalten ihre Ausbildung im Ausland, da es gar keine Polizeiakademie oder dergleichen gibt. Nachdem ein Schub Polizisten, die von den USA in der „School of the Americas“ ausgebildet worden waren, gleich einmal ein kleines Massaker anrichtete, – weil sie die Subversionsbekämpfung unbedingt praktizieren wollten, auch wenn es keine Subversion gab – wurde die Ausbildung etwas diversifiziert. Inzwischen wird Spanien als Ausbildungsstaat bevorzugt.

Die Sicherheitsprobleme Costa Ricas kommen heute vor allem von außen: Erstens liegt es auf der Drogen-Route für das Kokain aus Kolumbien, zweitens schleppt sich ein ständiger Strom von Flüchtlingen aus der ganzen Welt von Südamerika durch Costa Rica Richtung Norden, um in das Gelobte Land USA zu gelangen.

Die Politik Costa Ricas besteht darin, daß sie versucht, diese Reisenden möglichst schnell von der südlichen Landesgrenze zur nördlichen zu schieben, wo das benachbarte Nicaragua eine ähnliche Politik betreibt, was dem großen Bruder im Norden sehr mißfällt.

Da aber Costa Rica eine privilegierte Stellung genießt, schlossen die USA unter Trump mit anderen Staaten ein Rückführungsabkommen ab ( – das inzwischen von seinem Nachfolger aufgekündigt wurde).

Die Stellung Costa Ricas in beiden Amerikas und in der Welt

Ihren ersten wichtigen außenpolitischen Auftritt hatte die Regierung Costa Ricas Mitte des 19. Jahrhunderts, als der damalige Präsident Mora eine zentralamerikanische Allianz schuf, um den US-Abenteurer Walker daran zu hindern, eine Art US-Brückenkopf in Nicaragua zu errichten.

Später geriet das Land in Territorialstreitigkeiten, vor allem aufgrund der beiden anvisierten Routen für den späteren Panamakanal. (Die 2. Route war durch den Nicaraguasee geplant, ein Projekt, das hin und wieder auftaucht und wieder verschwindet.) Costa Rica lag zwischen den beiden Routen – ein weiterer historischer Glücksfall – wurde aber durch die Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen.

Rund um den I. Weltkrieg und danach geriet Costa Rica in verstärkte Abhängigkeit von den USA in dem Maße, in dem es sich aus der britischen löste, die sich vor allem an der Pazifikküste gezeigt hatte. Das sogenannte Taft-Urteil entband Costa Rica des Schuldendienstes gegenüber britischen Banken, die damit korrupte Geschäfte eines früheren Machthabers finanziert hatten – damit war klargestellt, daß sich die USA die Jurisdiktion über Costa Ricas Geldgeschäfte zusprachen.

Amerika den Amerikanern!

In realistischer Einschätzung seiner geringen Größe und sich der daraus ergebenden Bedeutungslosigkeit segelt Costa Rica seither im Windschatten der USA und vermeidet Konfrontationen mit der Weltmacht.

Von 1961 bis 2003 waren die diplomatischen Beziehungen Costa Ricas zu Kuba auf Eis gelegt.
Vorsichtiger positionierte sich Costa Rica gegenüber den Sandinisten in Nicuaragua. Weder wurden sie nach ihrem Sieg groß unterstützt, noch gab sich Costa Rica allzu lange für ihre Bekämpfung her.

Costa Rica hat sich inzwischen etabliert als eine Art lateinamerikanische Moralinstanz, dessen Politiker in Konflikten zu vermitteln versuchen. In der Hauptstadt San José wurde die Amerikanische Menschenrechtskonvention 1969 initiert und später erweitert.

Der Präsident Arias Sánchez erhielt 1987 den Friedensnobelpreis für seine Vermittlungstätigkeit in den Bürgerkriegen Mittelamerikas.

Eine ausführlichere Version dieses Beitrags findet sich hier.

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