GELBE GEFAHR FÜR DIE ANGESTAMMTEN ZENTREN
Es gab einmal die recht populäre, heute etwas aus der Mode gekommene Theorie des Wallersteinschen Weltsystems.
Nach ihrer populären Form – die gar nicht den Absichten der Verfasser entsprechen muß –, behauptete sie eine ständige Reproduktion von Abhängigkeiten. Die Schwellenländer kämen nie über die Schwelle, weil die kapitalistischen Zentren die Kapitalakkumulation bei sich versammeln. Die nachrangigen Staaten würden mit ihren Entwicklungsprogrammen nur ihre Abhängigkeit als Kreditnehmer und Rohstofflieferanten verstärken und blieben daher immer „Peripherie“.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist allerdings in dieses Modell einiges an Bewegung gekommen.
Erstens sind die Zentren nicht, was sie einmal waren, – was deren Führern selber auffällt, wenn sie Amerika wieder groß machen wollen, oder die Schwäche des Westens beklagen, wie zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Globalisierung hat Standorte zerstört, und die innerimperialistische Konkurrenz tat ein Übriges, um Währungen fraglich werden zu lassen, die einmal über jeden Zweifel erhaben waren und als Hart- und Weltwährungen durchgingen.
Zweitens hat sich aber auch an der Peripherie einiges getan, durch die Entwicklungen in Fernost und den Aufstieg Chinas zur Weltmacht.
Ich eröffne hier einmal eine Seite zu China, wo ich nicht sehr kompetent bin, aber es werden ja genug Inputs kommen.
Antikapitalismus/Die Marktwirtschaft und ihre Unkosten/Geld & Kredit/Ideologie/Imperialismus/Krieg/Linke/Postsozialismus
ÄGYPTEN UND CHINA:
Industriepark am Roten Meer
Die erste chinesische Stadt in Ägypten
Mit Verve und Milliarden treibt China sein Megaprojekt „neue Seidenstraße“ voran. Nun hat Peking auf afrikanischem Boden einen ersten wichtigen Pflock eingeschlagen: Am Suezkanal ist der chinesische Produktionsstandort „Teda Egypt“ entstanden.
https://www.deutschlandfunk.de/industriepark-am-roten-meer-die-erste-chinesische-stadt-in.799.de.html?dram:article_id=386674
Ägyptens neue Hauptstadt:
Flucht aus Kairo
https://www.sueddeutsche.de/politik/aegyptens-neue-hauptstadt-flucht-aus-kairo-1.2394108
Was diesem sehr „kritischen“ Artikel fehlt, ist die Info, daß ein guter Teil dieser neuen Stadt von chinesischen Firmen gebaut wird:
„Die chinesische Baufirma CSCEC ist für den Ausbau des Finanzdistrikts der neuen ägyptischen Hauptstadt zuständig, die von einem Wolkenkratzer mit einer Höhe von 390 Metern gekrönt werden wird. Hunderte von chinesischen Technikern und Spezialisten leben in einem Bienenstock aus Fertigteilhäusern neben der Baustelle.“
El País, 18.2.
Renate Dillmann in der jungen Welt vom 03.02.2020:
“Feindbild und Feindschaft” (HTML | PDF)
Medienkampagnen gegen China haben einen simplen Grund. Die Volksrepublik ist zu einem ernsthaften Konkurrenten um Weltmarktanteile herangewachsen.
China hat hierzulande keine gute Presse: Uiguren, Hongkong, Überwachungsstaat, Und jetzt auch noch das Corona-Virus. Die deutschen Medien haben sich in den letzten Jahren viel Mühe gegeben, und ihre Botschaft ist offenbar angekommen. China wurde zwar auch schon früher durchweg misstrauisch beäugt. In den Mao-Zeiten galt das Land als »gelbe Gefahr«, und seine Einwohner firmierten als »blaue Ameisen« – was heute vielleicht als politisch unkorrekt gelten würde. Die Wende der kommunistischen Staatspartei hin zu Öffnung und Kapitalismus wurde dann im Westen erleichtert bis euphorisch begrüßt. Deutsche Unternehmer und Politiker waren ganz vorne dabei, als es darum ging, Beziehungen zu knüpfen und erste Joint-Ventures zu gründen. Kaum aber stellte sich heraus, dass an diesen Geschäften auch chinesische Firmen verdienten und sich zu weltmarktfähigen Konkurrenten entwickelten, kaum wurde deutlich, dass Chinas Regierung sich keineswegs so behandeln ließ, wie man es von anderen »Dritte-Welt-Staaten« gewohnt war, gingen die Beschwerden los.
Und aktuell vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein neues Thema gewählt wird, um China gegenüber der Weltöffentlichkeit ins moralische Abseits zu stellen.
Wahrheit, Halbwahrheit, Feindbild?
Balken im Auge
Von der Konkurrenz zur Konfrontation
Menschenrechte als Waffe
Renate Dillmann ist Politologin und lehrt an der Evangelischen Hochschule Bochum. 2009 erschien von ihr das Buch »China – ein Lehrstück«, das zur Zeit nur als E-Book erhältlich ist.
Ein jw-Leser hat zum Artikel von Renate Dillmann diesen (vermutlich nicht untypischen…) Leserbrief an die jw eingesandt:
Kein kapitalistisches Land
Ich danke für diesen informativen und insgesamt begrüßenswerten Artikel. Doch ich denke, die Autorin tut der Volksrepublik Unrecht, wenn sie impliziert, China sei ein kapitalistisches Land. Zwar wurden gewisse Marktmechanismen übernommen, um die Wirtschaft des Landes effizienter und produktiver zu machen (wie in anderen sozialistischen Staaten übrigens auch schon), doch das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln und die Herrschaft der Kommunistischen Partei bleiben gesellschaftliche Grundlage. Gerade unter Präsident Xi Jinping haben beide Faktoren wieder zugenommen, und dem Sozialismus fremde Erscheinungen wie Korruption und extreme Ungleichheit werden massiv angegangen. Ich halte es für falsch, China seinen sozialistischen Charakter abzusprechen, denn das kann einige Linke und Kommunisten durchaus zu einer gefährlichen Äquidistanz verleiten.
Und ein weiterer Leserbrief-Schreiber meint:
Die chinesischen Kommunisten haben in dem Punkt eine andere Sichtweise: Für sie beruht die sozialistische Marktwirtschaft auf den Erfahrungen und Errungenschaften der ersten Phase des Aufbaus in den 50er und 60er Jahren inklusive Kollektivierung von Landwirtschaft und Industrie. Aber aus den Erfahrungen dieser Zeit, die eben auch in die Erkenntnis mündeten, dass man mit den Mitteln des traditionellen Sozialismus, wie er in der Sowjetunion und den Staaten Osteuropas praktiziert wurde, die Entwicklung nicht weiter voranbringt, sondern Gefahr läuft, vom dominierenden kapitalistischen System überrollt zu werden, zog man als Konsequenz das, was heute als sozialistische Marktwirtschaft bzw. als Sozialismus chinesischen Typs bezeichnet wird.
Wir erleben zwar zur Zeit eine gesellschaftliche Entwicklung in einer neuen historischen Dimension, dennoch verstehen das manche nicht als neues Zeitalter des Sozialismus. Für mich ist das ein idealistischer Standpunkt insofern, als man die wirklich stattfindende Entwicklung mit theoretischen Kriterien vermisst und eventuell verwirft, so nach dem Motto: So habe ich mir den Sozialismus aber nicht vorgestellt, also ist das gesellschaftliche Modell Chinas auch kein sozialistisches. Entscheidend sind aber die Fortschritte der chinesischen Gesellschaft in der Realität, und man wird eines Tages in der Retrospektive urteilen können, ob China den Weg in eine bessere Zukunft der Menschheit gegangen ist und geebnet hat oder nicht. Ich bin da durchaus optimistisch.
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Protokoll zum Jour Fixe vom 24.09.2018 –
China-Artikel: Trump macht Ernst – Xi auch (GS 2-18)
In China herrscht Kapitalismus, aber ohne die Formen der Demokratie, wie man sie hierzulande kennt. Wie ist das einzuordnen, wo doch die bürgerliche Demokratie die adäquate Herrschaftsform des Kapitalismus ist? (…) Festzustellen ist, dass man ganz offensichtlich einen kapitalistischen Staat betreiben und das Volk darauf verpflichten kann, ohne die politischen Formen der westlichen Demokratien zu beherzigen. Das ist ein schlichtes Faktum. Die westliche Welt beklagt sich immerzu darüber, dass in China die westlichen Werte und demokratischen Umgangsformen verletzt werden. Dagegen stellt sich die Frage, was für einen Staat haben die Chinesen aufgezogen, wie haben sie die kapitalistische Produktionsweise in ihrem Land eingeführt? …
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf180924-trumpchina.pdf
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Dieser Jour Fixe war eine Debatte über den o.g. GSP-Artikel
Die amerikanische Weltmacht und ihr kongenialer chinesischer Widerpart
Der Artikel bilanziert, “… dass China das nie vorgesehene Kunststück vollbracht hat, nicht gegen die, sondern mit den Prinzipien und Techniken kapitalistischer Standortkonkurrenz nicht nur sein Land und Volk für westliche Benutzungsinteressen herzurichten, sondern allen damit einhergehenden Gegensätzen und Brutalitäten den erwünschten Nutzen für den Aufstieg der eigenen Nation abzutrotzen. Der ist so groß, dass die USA nun zu dem Schluss kommen, dass er sich mit der bestehenden Konkurrenzordnung, also mit dem Nutzen ihrer amerikanischen Garantiemacht nicht mehr verträgt.”
Gliederung des GSP-Artikels aus 2-18:
I. Wie Trump China sieht: betrügt im Handel, klaut geistiges Eigentum, rüstet mit ergaunertem Geld sein Militär auf und bedroht die Sicherheit der USA
II. Auf welche Konkurrenzlage sich Trump damit bezieht: China ist zu einem imperialistischen Rivalen aufgestiegen, der Gleichrangigkeit beansprucht (…)
III. Die imperialistische Bedeutung von Trumps China-Kritik
Volltext: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/usa-china-trump-macht-ernst-xi-auch
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Über das chinesische Projekt der Neuen Seidenstraße vgl. Renate Dillmann 2019 in:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/schwer-zu-stoppen
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Chinas neues Geschäftsmodell
Statt Dollar und andere Devisen einzusammeln hält sich Peking inzwischen für stark genug, die eigene Währung weltweit zu etablieren….
FR-Analyse von Stephan Kaufmann vom 17.02.2020
https://www.fr.de/wirtschaft/chinas-neues-geschaeftsmodell-13544109.html
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Zum derzeitigen Stand des Handelsstreites mit den USA:
http://nestormachno.blogsport.de/2019/08/02/lesenswertes/#comment-38145 – sowie:
Das vorläufige Ende des Handelsstreits zwischen den USA und China wirkt sich besonders negativ auf deutsche Exporte nach China aus. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet damit, dass deutsche Unternehmen im kommenden Jahr weniger Güter nach China liefern – insgesamt im Wert von umgerechnet fast 4,2 Milliarden Euro. Das jährliche Handelsvolumen zwischen Deutschland und China betrug zuletzt knapp 200 Milliarden Euro, wobei die Volksrepublik einen leichten Exportüberschuss verbuchte. Aus Deutschland gehen vor allem Maschinen, Autos, Elektrotechnik und Chemie nach China.
IfW-Präsident Gabriel Felbermayr sagte, das Abkommen mit den USA bringe “Nachteile für die übrigen Handelspartner Chinas, deren Importe nun durch US-Produkte verdrängt werden und die in erheblichem Maße Marktanteile in China verlieren”
https://www.dw.com/de/deutsche-exporte-nach-china-leiden-unter-handelsdeal/a-52403614
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Auch beim Waffenhandel spielt China eine immer größere Rolle
http://www.trend.infopartisan.net/trd0220/t140220.html
https://www.dw.com/de/china-ist-laut-sipri-zweitgr%C3%B6%C3%9Fter-waffenproduzent-der-welt/a-52156808
Vor 10 Monaten meinte S. Kaufmann dazu:
„Washington (ist) militärisch überlegen, sein Rüstungsbudget ist mit 600 Milliarden Dollar pro Jahr drei Mal so groß wie das Pekings. Den größten Vorsprung haben die USA jedoch auf dem Finanzgebiet: Sie sind der Finanzmarkt der Welt, allein ihr Anleihemarkt beträgt das Vierfache des chinesischen. Und während der Renminbi nur lokale Gültigkeit hat, ist der US-Dollar das Geld der Welt, mit dem global investiert, gespart und gekauft werden kann. Das beschert den USA eine permanente Nachfrage nach ihrer Währung und ermöglicht ihnen so eine nahezu grenzenlose Verschuldungsfähigkeit.
Die Geschichte des Aufstiegs und Falls der Weltmächte zeigt jedoch: Das Wachstum der Wirtschaftskraft zieht die Bereiche Finanzen, Technologie und Militär nach sich. Ökonomische Riesen bleiben keine politischen Zwerge. So arbeitet Peking intensiv an der internationalen Stärkung seiner Währung. Zudem verschafft sein Wirtschaftswachstum China die Mittel zur Aufrüstung, die Militär- wie auch die Forschungsausgaben haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt.
In einigen digitalen Schlüsseltechnologien ist China bereits dabei, an den USA vorbeizuziehen. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) habe die Volksrepublik 2018 zweieinhalb Mal so viele Patente angemeldet wie die Vereinigten Staaten, heißt es in einer Untersuchung des China-Instituts Merics.“
(S. Kaufmann, 9.4.19)
https://www.fr.de/wirtschaft/china-fuehrungsmacht-12149277.html
Zu der in linken Kreisen beliebten, gar entscheidenden, Frage, ob China nun ein kapitalistisches oder ein sozialistisches Land sei, führt das o.g. Protokoll u.a. aus:
Auffällig in Hinblick auf den Entwicklungsweg des chinesischen Staates ist der Beschluss, die chinesische Partei zu dem politischen Instrument für die schrittweise Einführung des Kapitalismus im Lande zu machen. Weder dem Privateigentum noch den ausländischen Kapitalen wurde der Zugriff auf das Land einfach so gewährt. Der Kapitalismus sollte planmäßig entwickelt werden und das wurde mit staatlichen Eingriffen und Beschränkungen vollzogen, um Einflüsse abzuwenden, die dem chinesischen Staat in Hinblick auf seine Staatsräson nicht passten. (…)
Die Forderungen nach Demokratisierung, die vom Westen erhoben werden, sind kein Weg hin zur Entwicklung von Kapitalismus. Das lässt sich in der ganzen 3. Welt beobachten. Es sind zwei völlig verschiedene Sachen, ob man einen Kapitalismus aufbaut oder freie Wahlen, eine freie Presse etc. einführt. Demokratie ist in unentwickelten Ländern, deren Ökonomie v.a. auf Rohstoffexporten beruht, keine effektive Art und Weise, Kapitalismus einzuführen. In entwickelten kapitalistischen Nationen hingegen erweist sich die Demokratie als sehr effektive und der Ökonomie entsprechende Herrschaftsform. Aber das ist eine andere Aussage, als zu sagen, über die Demokratie ließe sich der Kapitalismus entwickeln. Dies erfordert zunächst einen Staat, der die Akkumulation im Lande etabliert und das nicht den Privaten, v. a. nicht den ausländischen Privatleuten überlässt. (…)
Auch der Kapitalismus in England oder Deutschland ist nicht darüber entstanden, dass die Demokratie eingeführt wurde. Vorher wurde einiges ins Werk gesetzt, um Privateigentum und Akkumulation in Gang zu setzen. So mussten beispielsweise die Bauern von ihrem Grund und Boden vertrieben werden, um Privateigentum und eine Masse von Expropriierten zu schaffen, die um Lebensunterhalt durch Fabrikarbeit nachsuchen. Erst auf der Grundlage des durchgesetzten Klassenverhältnisses ist die Demokratie entstanden. Wenn die imperialistischen Demokratien also andauernd die Forderung nach anständigem demokratischem Regieren stellen, das dann in eine kapitalistische Entwicklung einmünden soll, so ist das eine glatte Lüge. (…)
Was man bezüglich der chinesischen Herrschaft und ihrer politischen Gewalt feststellten kann, ist, dass die darauf setzt, dass ihre ökonomische Grundlage im Betreiben von kapitalistischer Ökonomie besteht. Da wird wie im Rest der Welt darauf gesetzt, dass alles, was es an ökonomischen Tätigkeiten gibt, am privaten Bereicherungsinteresse hängt. Dass der Staat da auch von Staats wegen Bedingungen für dieses private Bereichern setzt, ist nichts, was ihn wirklich unterscheidet von demokratischen Staaten. Dass die sich vornehm aus allem raushalten würden, ist auch nicht die Wahrheit. Die politische Gewalt steht dafür ein, dass die Ökonomie als kapitalistische funktioniert.
Die andere Seite ist, dass in China die politische Gewalt anders organisiert ist, eben als Einparteienherrschaft und was die in Bezug darauf leistet, dass das Volk dem nachkommt, was ihm von seiner Herrschaft auferlegt wird. Dass sich die chinesischen Massen ihrer Herrschaft anbequemen, liegt an dem, was die Einheitspartei für sich reklamiert: dass sie dem Wohl des Volkes zur Realität verhilft, darüber dass sie China groß und stark macht. Das ist die Art und Weise, wie da durch den Willen dieser Partei das Volk auf seine Herrschaft verpflichtet wird. Auch das unterscheidet sich gar nicht so sehr von der demokratischen Herrschaft: Hier behaupten mindestens vier verschiedene Parteien in Konkurrenz zueinander, dass das Volk zu dem Seinen kommt, wenn sie ermächtigt sind, sich um die Wohlfahrt der deutschen Nation zu kümmern. In China ist die Einheitspartei durchaus erfolgreich darin, einen entsprechenden chinesischen Nationalstolz aufgebaut und gepflegt zu haben.
Auf diese Weise leistet auch diese Form der Herrschaft das, was für die Einführung des Kapitalismus entscheidend ist, nämlich die Freiheit der Politik, über das Vorankommen der eigenen Nation zu bestimmen. Nach Maßgabe dessen, wie die chinesische Herrschaft meint, dass auch China dann davon profitiert und das als seine ökonomische Grundlage entwickelt, bekommt auswärtiges Kapital Zugang zum Land. Diese Freiheit der Politik kommt nicht auf demokratische Weise zustande, aber mit demselben Ergebnis, dass die Politik frei ist, über die Einführung kapitalistischer Verhältnisse dort zu entscheiden und das Nötige einzurichten. So wurde in China Kapitalismus eingerichtet, indem dem Antrag der USA, die sollen sich öffnen und das Land kapitalistisch benutzen, bedingt nachgekommen worden ist. Das Subjekt dieser kapitalistischen Wende war die kommunistische Partei in China.(…)
Der Aufstieg Chinas verdankt sich ausgerechnet seiner Benutzung und Herrichtung für das amerikanisches Kapital (Warenproduktion, verlängerte Werkbank, Kapitalexport usw.). Dagegen kann man nicht halten: die US-Kapitale haben dort Schwierigkeiten, denn das benennt gerade die Seite, dass China bei seiner Benutzung für ausländisches Kapital auf seinem Anteil bestanden hat. Die Benutzung, das Sich-Öffnen fürs fremde Interesse, ist der Weg gewesen, um das eigene nationale Interesse voran zu bringen. Der Artikel sagt, das ist so erfolgreich gewesen für das amerikanische Kapital, dass es selbstverständlich auf dem Standpunkt der Benutzung steht und sich über Beschränkungen, Auflagen etc. beschwert. Mit dem Anerkennen von deren „Schwierigkeiten“ nimmt man den imperialistischen Standpunkt ein, der auf Grundlage des Erfolges sehr anspruchsvoll ist.
Die kapitalistische Entwicklung in China ging darüber, dass ausländisches Kapital bedingten Zugang in dieses Land bekommen hat. China hat von Anfang an darauf bestanden, dass die billige Benutzung von Land und Leuten durch auswärtiges Kapital eine ist, die auch Profitquelle für China ist, die technologische Entwicklung in China leistet, also auch eine Kapitalproduktivität in China zustande kommt, mit der das Land dann auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist. Das hat sich China mit allen möglichen Regelungen, also Bedingungen für auswärtiges Kapital vorbehalten. Deswegen ist es mit Sonderwirtschaftszonen losgegangen und nicht einfach mit einem: Bereichert euch, wer immer das Land benutzen will! In vielen Schritten hat die Staatsmacht immer darauf geachtet, dass die kapitalistische Entwicklung unter ihrer Kontrolle bleibt. (…)
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf180924-trumpchina.pdf
Die heutigen Anhänger des ehemaligen Modells von angeblichem “Realsozialismus” verstehen unter “Sozialismus” also, dass der Staat weitgehend den Kapitalismus managt und beaufsichtigt. Und dass er dazu einige höhere Werte, vor allem der nationalistischen Sorte und des angeblichen Volkswohls, im Mund führt.
Das kriegt übrigens irgendwie doch auch Herr Macron hin. Dem wird seine geplante “Rentenreform” als Verarmung übel genommen. In China dient dergleichen natürlich nur dem besseren Volkswohl und der gemeinschaftlichen Zukunftsgestaltung. Und wenn man d a f ü r länger sich abschuftet, – und die US-Konzerne wissen, warum sie ausgerechnet in der Volksrepublik China arbeiten lassen… – dann ist darin das Volkswohl von allen bestimmt in Riesenschritten unterwegs….
Eine Frage an Renate Dillmann:
Ist ein Aufbau des Sozialismus auch in Ländern ohne entwickelte Produktivkräfte möglich?
(und wäre er im Fall der Volksrepublik China möglich gewesen?)
Die skeptische Überlegung dazu lautet:
„Solange ein gesellschaftlicher Mangel herrscht, gäbe es zwar mit staatlicher Gewalt die Möglichkeit, diesen Mangel zu verallgemeinern (alle haben wenig), eine ökonomische Entwicklung kommt so allerdings nicht zustande.
Dazu braucht es schon erst ´mal die Konzentration des spärlichen Reichtums in relativ wenigen Händen (…)
Das heißt letztlich nichts anderes als eine Klassengesellschaft mit Privilegierten einerseits und ärmeren Menschen andererseits. Um dieses gesellschaftliche Verhältnis der sich in einer auf materiellen Mangel begründeten Gesellschaft mehr oder weniger zwangsläufig herausbildenden Klassen tatsächlich aufheben zu können, braucht es nunmal entwickelte Produktivkräfte, die es ermöglichen, genügend Wohlstand für alle Menschen zu schaffen.“
Renate: Zu dieser Passage einige kritische Anmerkungen:
Zunächst sollte man m.E. unterscheiden.
• Wenn eine sozialistische Gesellschaft Lehrer und Wissenschaftler, die am technischen Fortschritt tüfteln sollen, von der normalen Arbeit freistellt und mit Lebensmitteln versorgt, mag das ein vergleichsweiser Vorteil gegenüber dem hart körperlich arbeitenden Rest der Bevölkerung sein. Das aber ist nicht gleichzusetzen mit der Einrichtung von Privilegien – im Gegenteil: die Bevorzugung ist nicht auf dauerhafte Besserstellung angelegt; sie dient ja umgekehrt gerade der Überwindung dieser als mangelhaft begriffenen Situation.
• Privilegien wiederum sind nicht identisch mit dem, was der Begriff „Klassengesellschaft“ sagen will, sondern sind sozusagen die bürgerliche Fassung davon: Sonderrechte, Bevorzugung gegen ein allgemeines Gleichheitsideal.
Der Begriff Klassengesellschaft dagegen behauptet, dass es sich um eine Gesellschaft handelt, in der der Nutzen der einen Klasse der Ausbeutung der anderen entspringt und die Interessen der Klassen in einem unüberwindbaren Gegensatz stehen (was man von den Interessen der für einen sozialistischen Aufbau forschenden Wissenschaftler nicht sagen kann).
Insofern finde ich es auch falsch, jede Besserstellung von Funktionären, jeden Vorteil, den sich irgendwer in den realsozialistischen Gesellschaften verschaffen konnte, gleich als „Wiederauferstehung der Klassengesellschaft“ zu titulieren. Das trifft den Zweck dieser sozialistischen Projekte als Ganzes nicht:
Die realsozialistischen Ökonomien bestanden nicht darin, einer neuen, anderen Klasse zu Reichtum zu verhelfen, sondern einen unter staatlicher Leitung planmäßig produzierten Reichtum volksfreundlich zu verwenden. Dieser Zweck führt mit all den Implikationen, die ihn ihm stecken (Stichworte: geplante Wertproduktion mit ihren Widersprüchen, Ansprüche der sozialistischen Staatsführung an den Aufbau der Ökonomie im Wettbewerb mit anderen Nationen) zu den bekannten Resultaten einer sozialistischen Mangelwirtschaft mit viel Arbeit und wenig Ertrag für die Produzenten und ist darin kritikabel. Es trifft aber auch nicht die in diesen Gesellschaften aufkommende „kleine Korruption“, bei der die Machtstellung innerhalb der Partei/des Staats zur Aneignung von Reichtum ausgenutzt wird – was verglichen mit den demokratischen Marktwirtschaften, deren Zweck im privaten Reichtum besteht, eine ziemlich poplige und zudem immer skandalträchtige Angelegenheit ist und bleibt.
Einmal anders überlegt: Jede kommunistische Bewegung/Partei mit dem Programm „genügend Wohlstand für alle Menschen zu schaffen“ hätte in der mangelhaften Industrialisierung Chinas oder eines anderen ähnlichen Landes extrem schwierige Bedingungen vorgefunden. Ein Teil ihrer Maßnahmen hätte also in der Tat zwangsläufig zunächst darin bestehen müssen, den vorgefundenen Mangel zu verwalten – damit auch: den Menschen Funktionen in der Arbeitsorganisation und Zugangsberechtigung zum Konsum zuzuweisen. Allgemein gesagt: Eine solche nicht industrialisierte Gesellschaft zu entwickeln, ist ohne staatliche Gewalt, ohne Herrschaft nicht denkbar, und zwar auch dann nicht, wenn diese das Ziel verfolgt, allen Mitgliedern der Gesellschaft möglichst schnell zu einem annehmlichen Leben zu verhelfen, und dieses Ziel planmäßig angegangen wird.
Eine Bewegung, die dieses Ziel in einem nicht-industrialisierten Land verfolgen will, wäre insofern eine Art „Entwicklungsdiktatur“. Was wären deren Aufgaben? Sie müsste den Menschen klar machen, dass ihre Kooperation selbst eine Produktivkraft ist, so dass – zumal auf dem Land – bereits das Zusammenlegen der Kräfte und vorhandenen bescheidenen Mittel die Ergebnisse für alle verbessert. Sie müsste Wert darauf legen, dass die Abgaben, die die Bauern weiterhin zu leisten haben, für sie selbst erkennbar nützlich sind, weil mit ihnen der Aufbau von Gesundheitswesen, Schulen, Hochschulen finanziert wird. Mittelfristig müssten sich die Früchte dieser Zeit, die von viel Arbeit und langsamem Fortschritt gekennzeichnet ist, zeigen in einem deutlichen Zuwachs an materiellen Mitteln, die den ländlichen Produzenten ihre Arbeit erleichtern und ihre Resultate vervielfachen (dadurch, dass es Staudämme, Straßen und Maschinen für die Landarbeit gibt, wissenschaftlich verbessertes Saatgut, die Anleitung der neu ausgebildeten Agraringenieure, Lehrer, Mediziner usw.) Für die kommunistische Herrschaft wäre das eine keinesfalls einfache Gratwanderung von praktischem Zwang (gegenüber denen, die diesem Programm feindselig gegenüberstehen, weil sie am bäuerlichen Klein- oder Großeigentum festhalten) und gedanklicher Überzeugungsarbeit.
So wäre in etwa die Politik einer kommunistischen Partei in einem nicht-industrialisierten Land, das keine nennenswerte Hilfe von außen zu erwarten hat, angelegt. Dabei spielen selbstverständlich weitere Bedingungen des Landes – seine Größe, seine natürlichen Voraussetzungen, der körperliche und geistige Zustand der Bevölkerung usw. – eine Rolle, weshalb diese Überlegungen notwendigerweise grob und abstrakt sind.
Insgesamt kommt es ganz und gar darauf an, ob die kommunistische Führung ihrerseits klar vor Augen hat und im Laufe der ersten nachrevolutionären Phase auch daran festhält, dass diese Organisation einer Übergangsgesellschaft mit der Beseitigung des materiellen Mangels den Zweck hat, diese Herrschaftsfunktionen, sprich: sich selbst als hervorgehobenen und damit auch privilegierten Teil der Gesellschaft überflüssig zu machen. Daran zeigt sich, ob das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung wirklich darin aufgeht, die Menschen mit möglichst wenig anstrengender Arbeit materiell zu versorgen, so dass sie ein angenehmes Leben führen können. Oder ob es sich – von Beginn an oder inzwischen – bei der Entwicklung der Gesellschaft um die In-Wert-Setzung der Bevölkerung für ein übergeordnetes Ziel handelt, etwa den Aufstieg der eigenen im Wettstreit der Nationen. Wenn das zum Zweck der kommunistischen Entwicklungsdiktatur wird, hat die Partei irgendwann auch kein Problem mehr mit ihrer Rolle als immerfort nötiger „Vorhut“; stattdessen verlangt sie von ihren Massen Dankbarkeit und Einsatzfreude und sieht es als ganz und gar gerechtfertigt an, wenn sich die eigenen Kader ihren anstrengenden Dienst mit kleinen Sonderrechten vergelten.
In dem angesprochenen Streitgespräch ging es mir vor allem darum, die sog. „Etappentheorie“ zurückzuweisen. Darin wird behauptet, dass es die historische Phase des Kapitalismus braucht, um die Produktivkräfte eines Landes zu entwickeln, auf deren Basis der Sozialismus dann seine paradiesische Wirkung entfalten kann. Diesem Argument liegt eine Verwechslung zugrunde: Aus der Tatsache, dass die kapitalistischen Unternehmen für ihre Konkurrenz um Vermehrung ihres Eigentums die technische Entwicklung in einer bis dahin unbekannten Art und Weise vorangetrieben und eingesetzt haben, folgt nämlich nicht, dass es ohne kapitalistisches Verwertungsinteresse keine schnelle Industrialisierung geben könnte. Wieso sollte das so sein? Wieso sollte ein sozialistisches Land keine nützlichen Maschinen konstruieren und bauen können? Wieso sollte es dabei nicht die aus der kapitalistischen Verwendung der Technik folgenden negativen Wirkungen auf Arbeiter und Natur vermeiden? Und wieso sollten ausgerechnet Leute, die sich klar gemacht haben, was die Härten der „ursprünglichen Akkumulation“ bei der Entstehung kapitalistischer Gesellschaften beinhalten – systematische Verarmung einer Landbevölkerung, die darüber in den elenden Status eines Industrieproletariats gezwungen wird bei gleichzeitiger Bildung großer Geldvermögen, die auf Vermehrung sinnen –, der Meinung sein, dass nur das Erleiden eines solchen „Prozesses“ am Ende die Maschinen hervorbringen könnte, die ein sozialistischer Planer gerne einsetzen will?
Die Behauptung, die notwendige Vorbedingung einer sozialistischen Gesellschaft sei ihre technische Entwicklung durch eine kapitalistische Phase, halte ich insofern nicht für stimmig.
Vorgebracht wird dieses Argument übrigens meistens da, wo bestimmte strategische/taktische Entscheidungen kommunistischer Parteien legitimiert werden sollen: Angesichts dieser und jener Ausgangsbedingungen sei nichts anderes möglich (gewesen) als …
Allein im Falle Chinas gibt es mehrere Beispiele für die Verwendung dieses Arguments:
• Die Hilferufe der chinesischen Kommunistischen Partei an die Führung der jungen Sowjetunion wurden mit dem Argument, im feudalen China stehe jetzt keine sozialistische, sondern eine bürgerliche Revolution auf der Tagesordnung der Weltgeschichte, abschlägig beschieden und die chinesischen Kommunisten wurden zur Bildung einer Volksfront mit der Guomindang-Partei aufgefordert (vgl. S. 49 ff).
• Deng Xiaoping hat mit dem Argument, zunächst müssten die Produktivkräfte der Volksrepublik entwickelt werden, die Einführung kapitalistischer Produktionsmethoden begründet (vgl. S. 145 ff) und bis heute legitimiert die chinesische KP so die sozialen Härten ihrer Politik: Als leider unvermeidliche Kollateralschäden bei der Entwicklung der Vorbedingungen für eine wahrhaft sozialistische Nation, die es aber erst in ferner Zukunft geben könne (vgl. S. 327 ff).
In diesen Beispielen wird deutlich, dass die vorgefundenen Bedingungen ins Feld geführt werden, um Entscheidungen zu rechtfertigen und gegen jede kritische Nachfrage zu immunisieren. Erstens werden die Bedingungen dafür im Blick auf die spätere Entscheidung entsprechend gedeutet. Zweitens lässt sich aus einer Summe von Bedingungen logisch niemals zwingend der Inhalt des Umgangs mit ihnen erschließen, schließlich sind es nur die Bedingungen für etwas (anderes).
In unseren Beispielen sind es praktisch eben Zwecke der KP-Führungen (die außenpolitischen Interessen der jungen Sowjetunion, der Anspruch der chinesischen KP an die Entwicklung ihres Sozialismus als Mittel eines nationalen Wiederaufstiegs), die die Bedingungen des Landes auf sich bezogen und daraus ihre Entscheidungen abgeleitet haben. Vorgetragen aber haben diese die Entscheidungen als innere Sachnotwendigkeiten, die kein anderes Vorgehen erlaubt hätten.
http://renatedillmann.de/kontakt-1/
Innerhalb der EU sind besonders Chinas größere Abkommen mit Griechenland und Italien teilweise auch argwöhnisch betrachtet worden
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/griechenland-china-101.html
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/leak-chinas-plaene-in-italien/
Ansonsten: misstrauisch beäugt wird auch chinesischer gewachsener Einfluss auf dem Balkan – parallel dazu, dass, wie nestor berichtet hat, nach dem gescheiterten Ukraine-Projekt die (konkurrierenden) Erweiterungsambitionen der EU in dieser Region derzeit ja insgesamt eher ins Stocken geraten sind.
https://www.mdr.de/nachrichten/osteuropa/politik/neue-seidenstrasse-china-balkan-100.html
US-Außenpolitiker Colby fordert die Europäer zu mehr Gefolgschaft bei der US-Konfrontationspolitik gegenüber China auf
„Der Handelskrieg mit China war absolut entscheidend, China sei mittlerweile so mächtig, dass der Westen seine gesamte politische Lage neu überdenken müsse”, sagte der US-Außenpolitiker Elbridge Colby im DLF. Der Handelskrieg habe gezeigt, dass nur die USA stark genug seien, China direkt gegenüberzutreten. Nun müsse Europa China „oben auf die Prioritätenliste“ stellen.
https://www.deutschlandfunk.de/us-aussenpolitiker-colby-handelskrieg-mit-china-war-absolut.694.de.html?dram:article_id=470816
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Europäisch wird derzeit u.a. diskutiert, “… dass wir eine Agenda haben mit Blick auf das europäisch-chinesische Investitionsabkommen. Hier haben wir einen klaren Zeitplan, der zwischen Brüssel und Peking vereinbart worden ist. Dazu kommt aber auch, dass wir insgesamt mit Blick auf das Verhältnis Staatswirtschaft – Privatwirtschaft in China ein großes Interesse haben, das was man wettbewerbspolitische Neutralität nennt, herzustellen. Das heißt, auch dafür zu sorgen, dass europäische Privatunternehmen mit den gleichen und fairen Bedingungen zu rechnen haben in China wie Staatsunternehmen.”
https://www.deutschlandfunk.de/chinas-geplantes-sozialkreditsystem-eine-neue-stufe-der.769.de.html?dram:article_id=457718
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/coronavirus-als-bedrohung-fuer-das-geplante-eu-china-abkommen/
„Wall Street Journal“-Reporter aus China ausgewiesen: USA erwägen Gegenmaßnahmen – Medien
Nach der Ausweisung von drei Journalisten der Zeitung „The Wall Street Journal“ aus China erwägen die USA auch die mögliche Abschiebung von chinesischen Reportern. Dies meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Verweis auf informierte Quellen am Dienstag.
»Piräus lässt grüßen«
Chinesischer Konzern unterzeichnet Vertrag für Logistikzentrum im Jade-Weser-Port. Auslastung zuletzt rückläufig
Von Burkhard Ilschner
In Wilhelmshaven wird wieder mal gejubelt – von Amts wegen. Ein Vertrag mit einem chinesischen Investor soll dem seit mehr als sieben Jahren unausgelasteten Jade-Weser-Port (JWP) nun ein Stück jenes Aufschwungs bringen, der schon wiederholt versprochen und nie realisiert wurde. Laut Mitteilung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums vom Wochenende hat der Staatskonzern China Logistics einen Erbbaurechtsvertrag unterzeichnet, der es ihm erlaubt, 99 Jahre lang über 20 Hektar Fläche des JWP-Güterverkehrszentrums zu verfügen.
China Logistics – »eines der größten chinesischen Logistikunternehmen« – will den Angaben zufolge dort rund 100 Millionen Euro investieren und bis zum kommenden Jahr das Logistikzentrum »China Logistics-Wilhelmshaven Hub« für den Umschlag chinesischer Waren mit 40.000 Quadratmetern Hallenfläche und weiteren 110.000 Quadratmetern Lagerfläche unter freiem Himmel errichten. Später soll in einem zweiten Bauabschnitt eine 20.000-Quadratmeter-Halle hinzukommen. Über den neuen Hub sollen schwerpunktmäßig Teile und Zubehör für die Kraftfahrzeugproduktion sowie Steinwaren, Lebensmittel und Konsumgüter importiert, zwischengelagert und verteilt werden. 350 neue Arbeitsplätze soll das mit sich bringen und – laut Wirtschaftsministerium – dem JWP »langfristig« einen Mehrumschlag von jährlich rund 100.000 TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit – Maß für Standardcontainer) bescheren.
Spätestens bei dieser Zahl gilt es einzuhaken: Erst kürzlich wurde bekannt, dass der auf eine Kapazität von 2,7 Millionen TEU ausgelegte JWP im vergangenen Jahr mit 639.084 TEU ein Umschlagsminus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr hat bilanzieren müssen (siehe jW vom 14.2.). Selbst ein Plus von 100.000 TEU brächte den Hafen nicht annähernd an seine Plangrenzen – zumal »langfristig« bei einem 99-Jahre-Pakt ein dehnbarer Begriff ist. Nichts hat bislang an dem anhaltenden Misserfolg des für rund eine Milliarde Euro Steuergeld in die Jade gerammten Hafens etwas ändern können: kein Vertrag mit marktbeherrschenden Reedereiallianzen, Deutschlands einzigen Tiefwasserhafen in die Fahrpläne der weltgrößten Containerschiffe aufzunehmen; auch nicht die Einigung mit dem Tiefkühllogistiker Nordfrost, nach langem Streit seinen Terminal am JWP nicht nur fertigzubauen, sondern einige Jahre später sogar zu erweitern.
Und auch als im Frühjahr vorigen Jahres nach nur neun Monaten Bauzeit ein neues VW-Logistikzentrum – vier Hallenkomplexe mit rund 40.000 Quadratmetern Fläche auf einem Zehn-Hektar-Areal für einen zweistelligen Millionenbetrag – eingeweiht wurde und für 500 neue Arbeitsplätze sorgen sollte, änderte das wenig an der unbefriedigenden Gesamtsituation. Im Gegenteil: Im Herbst 2019 kündigte Hafenbetreiber Eurogate – ein Gemeinschaftsunternehmen der halbstaatlichen Bremer BLG und des Hamburger Familienkonzerns Eurokai – an, zum einen etliche befristete Arbeitsverträge nicht verlängern und zum anderen die geplante Einstellung von 200 weiteren Mitarbeitern zurücknehmen zu wollen.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sieht das ganz anders. Er nennt die Unterzeichnung des Erbbaurechtsvertrages mit China Logistics einen »großartigen Erfolg für Wilhelmshaven«, der die »internationale Bedeutung des Jade-Weser-Ports und des maritimen Standorts Niedersachsen« unterstreiche. Und selbstverständlich erwartet er »eine Signalwirkung für weitere Ansiedlungen« sowie »positive Auswirkungen auch auf die Liniendienste« der großen Reedereien.
Alles nur lautes Pfeifen auf leerer Kaje? Schon 2011, also noch vor der mehrfach verzögerten Eröffnung des JWP, jubilierte die Wilhelmshavener Zeitung, dass »einer der angesehensten Logistikexperten Chinas, Prof. Wang Delfong« als Ehrengast einer Eurogate-Veranstaltung in Beijing den künftigen Jade-Weser-Port über alle Maßen gelobt habe. Jetzt offenbarte JWP-Marketingchef Andreas Bullwinkel, man habe »rund fünfeinhalb Jahre mit den chinesischen Partnern über die Ansiedlung verhandelt«. Das führt zu der Frage, was der Erbbaurechtsvertrag für den Fall des Scheiterns vorsieht. Denn im Prinzip hat ja der Erbbauberechtigte, also China Logistics, Anspruch, vom Grundstückseigentümer, also JWP, für Gebäude und Suprastruktur entschädigt zu werden.
Eine andere Befürchtung äußerte am Wochenende gegenüber junge Welt ein Mitglied einer der Wilhelmshavener Initiativen, die sich seinerzeit vergeblich gegen den Bau des neuen Hafens gestemmt hatten: »Mal gucken, wann die Chinesen das Milliardengrab JWP komplett übernehmen und dann ihre Mitarbeiter mitbringen – Piräus lässt grüßen.«
Streit um die Chinapolitik (26.02.2020)
Berliner Regierungsberater warnen, die EU drohe im Konflikt zwischen den USA und China zerrieben zu werden.
BERLIN/WASHINGTON/BEIJING (Eigener Bericht) – Unter dem Eindruck der ungebrochenen US-Kampagne gegen den chinesischen Konzern Huawei hält in Berlin die Debatte über den Umgang mit Beijing an. Ungeachtet des wachsenden Unmuts in der Bundesregierung über die US-Einmischung in die deutsche Chinapolitik fordern transatlantische Kreise, so etwa Bündnis 90/Die Grünen, eine engere Verkopplung mit Washington. Reinhard Bütikofer, Europaabgeordneter der Grünen, plädiert für die Gründung eines “Transatlantic China Caucus” aus Abgeordneten des US-Kongresses und des Europaparlaments – ungeachtet offen bellizistischer Äußerungen etwa des US-Verteidigungsministers auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Umgekehrt plädieren Teile der deutschen Wirtschaft für eine enge Kooperation mit der Volksrepublik; zur Zeit legen die Schäden, die deutschen Firmen wegen des Coronavirus drohen, den gewaltigen Nutzen des Chinageschäfts für die Industrie in der Bundesrepublik offen. Berliner Regierungsberater warnen mittlerweile, die EU drohe “im Spannungsfeld der amerikanisch-chinesischen Rivalität … zerrieben zu werden”.
Eine Epoche der Großmachtkonkurrenz
Die Frage nach der Positionierung der Bundesregierung gegenüber China hatte zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz für Debatten gesorgt. Dort hatten diverse US-Regierungsvertreter in einer erneuten Zuspitzung ihrer Kampagne gegen Huawei versucht, Berlin zum Ausschluss des Konzerns vom Aufbau des deutschen 5G-Netzes zu nötigen. Washingtons durchsichtiger Versuch, Huawei mit Hilfe angeblicher, wie üblich nicht belegter Geheimdienstbeweise aus dem Rennen zu werfen, stieß in der bayerischen Landeshauptstadt selbst bei der Bundesregierung auf steigenden Unmut; ein Regierungsvertreter stufte die US-Behauptungen gegenüber der Presse sogar offen als “Propaganda” ein.[1] Dabei ließen die anwesenden US-Politiker keinerlei Zweifel daran, dass das Verhältnis zu China aus ihrer Sicht grundlegende Bedeutung besitzt. So erklärte zum Beispiel US-Verteidigungsminister Mark Esper: “Wir befinden uns … in einer Epoche der Großmachtkonkurrenz, und unsere wichtigsten Herausforderer sind China und dann Russland”.[2] Esper behauptete, es sei nötig, sich gegen beide auch militärisch in Stellung zu bringen: “Wir müssen uns also … wieder vorbereiten auf hochintensive Kriegsführung”.
Der Transatlantic China Caucus
Auf Zustimmung zumindest in Sachen Huawei ist Washington in München allerdings bei einer Gruppe deutscher Abgeordneter aus dem Bundestag und dem Europaparlament gestoßen, darunter nicht zuletzt einflussreiche Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen. So warben Abgeordnete des US-Kongresses am Rande der Sicherheitskonferenz auf einem Treffen, das der American Council on Germany und das American Institute for Contemporary German Studies organisiert hatten, bei deutschen Parlamentariern für ein Förderprogramm, das es Netzanbietern erleichtert, chinesische Technologie aus ihren Telekomsystemen zu entfernen (“rip and replace”). Der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der Parlamentsdelegation für die Beziehungen zu China, setzt sich dafür ein, die transatlantische Kooperation gegen die Volksrepublik zu verstetigen und dazu eigens einen Ausschuss (“Transatlantic China Caucus”) zu gründen.[3] Denkbar sei dieser, erläuterte Bütikofer in München, als Zusammenschluss von Abgeordneten des US-Kongresses und des Europaparlaments.
Kampagnen gegen Beijing
Bütikofer bleibt damit – in voller Kenntnis bellizistischer Äußerungen wie derjenigen von Esper – der alten transatlantischen Chinapolitik von Bündnis 90/Die Grünen treu. Die Partei hat sich in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren stets für transatlantische Polit-Kampagnen stark gemacht, die auf eine innere Schwächung oder gar den Zerfall der Volksrepublik hinausliefen – vor allem die Kampagnen für eine Ausweitung der tibetischen [4] oder der uigurischen [5] Autonomie. Bütikofer hat China in diesem Zusammenhang “Totalitarismus” [6] vorgeworfen – eine Äußerung, die umso schwerer wiegt, als Bütikofer im Herbst auch dafür sorgte, dass das Europaparlament in einer international scharf als revisionistisch kritisierten Erklärung “totalitäre Regime” auf eine Ebene mit dem Nationalsozialismus stellte (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Aktuell tut sich der Grünen-Politiker unter anderem als Unterstützer der Uiguren hervor. So heißt es etwa auf seiner Website, das chinesische Autonome Gebiet Xinjiang sei “für Muslime eine Hölle auf Erden”. Dies ist umso bemerkenswerter, als Bütikofer in der Ära nach dem 11. September 2001 zunächst als politischer Geschäftsführer im Bundesvorstand, dann als Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen amtierte, die in dieser Zeit an der Regierung beteiligt waren und den Vizekanzler stellten. Sie verantworteten damit nicht nur die damalige Repression gegen Menschen islamischen Glaubens, sondern auch die Beihilfe zu Verschleppung und Folter an verdächtigen Muslimen mit.[8] Äußerungen, die betroffenen Muslime hätten damals “eine Hölle auf Erden” durchlebt, sind aus Bütikofers Mund nicht bekannt.
Die Hälfte gegen ein Drittel
Offen transatlantischen Positionen, die sich auch von bellizistischen Äußerungen aus Washington nicht abschrecken lassen, stehen nach wie vor energische Forderungen nach einer intensiveren Kooperation mit China entgegen, die vor allem in Teilen der deutschen Wirtschaft verbreitet sind. Aktuell zeigen die Schäden, die der deutschen Wirtschaft wegen des Coronavirus drohen, den gewaltigen Nutzen des Chinageschäfts für die deutsche Industrie. So warnt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die Epidemie beim größten Handelspartner der Bundesrepublik werde deutsche Unternehmen stark “in Mitleidenschaft” ziehen; die Hoffnung, das Bruttoinlandsprodukt werde in Deutschland dieses Jahr um 0,9 Prozent wachsen, werde man “nicht halten können”.[9] Zwar stehen den Stimmen aus der Wirtschaft, die enger mit Beijing kooperieren wollen, andere entgegen, die warnen, die Volksrepublik werde allzu stark: “Nur EU und USA zusammen”, urteilt etwa Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), “werden einem immer stärker werdenden China und einem Asien unter starkem chinesischem Einfluss langfristig Paroli bieten können.”[10] Dennoch kam Ende vergangenen Jahres eine Umfrage unter Führungskräften aus der deutschen Wirtschaft zu dem Resultat, dass sich – sollten sie sich im Konflikt zwischen den USA und China für eine Seite entscheiden müssen – zwar die Hälfte für die Zusammenarbeit mit Washington entschiede, ein Drittel aber für die Kooperation mit Beijing.
“Europas Selbstbehauptung”
In dieser Lage sprechen sich Berliner Regierungsberater dafür aus, auf einer eigenständigen Position zwischen Washington und Beijing zu bestehen. Die EU drohe “im Spannungsfeld der amerikanisch-chinesischen Rivalität … zerrieben zu werden”, heißt es in einer neuen Analyse der vom Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).[11] “Eine Äquidistanz zu China und den USA, wie sie von interessierter Seite gelegentlich … vorgeschlagen wird”, sei für Berlin und Brüssel zwar “keine Option”, erklärt SWP-Direktor Volker Perthes.[12] Dennoch setze die EU “im Verhältnis zu China nicht wie Washington auf geostrategische Eindämmung und Entkopplung”, sondern darauf, “zwischen Europa und China eine wechselseitige, vornehmlich wirtschaftlich-technologische Verflechtung” zu entwickeln. Dies müsse sie nun durchsetzen – und dazu nicht nur “die nötige industriell-technologische Widerstandskraft entwickeln”, sondern auch eine einheitlichere Politik gegenüber Washington sowie Beijing, heißt es weiter bei der SWP: “Insofern ist China ein Testfall für die Selbstbehauptung Europas.”
Kapital und Krankheit
Stephan Kaufmann über den Kurssturz durch Covid-19
Die Ausbreitung des Virus Covid-19 hat dem US-Aktienmarkt die schlechteste Woche seit der großen Finanzkrise beschert und den europäischen Börsen die schlechteste seit der Eurokrise. Abwärts geht es mit den Aktienkursen nicht wegen der ökonomischen Schäden durch das Virus – die sind noch gar nicht sicher. Sondern genau wegen dieser Unsicherheit, die italienische Anleihen ebenfalls nach unten zieht, womit sich die marktwirtschaftliche Logik durchsetzt, nach der Länder umso höhere Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen, je schlechter es ihnen geht.
Was die Anleger wegen Covid-19 befürchten, sind nicht Armut und leere Supermarktregale. Sondern die Möglichkeit, dass das Virus den Zweck der globalen Wirtschaftstätigkeit beschädigt: ihr Wachstum. Derzeit wird gewarnt, Chinas Wirtschaftsleistung könnte dieses Jahr »nur noch« um 5,6 Prozent steigen und die globale Produktion »nur noch« um 2,8 Prozent. In der Folge würden die Gewinne beispielsweise der US-Unternehmen dieses Jahr stagnieren und 2021 bloß um sechs Prozent zunehmen.
Keine Rolle spielt für die Börsen, dass China durch die Produktionsstopps der vergangenen zwei Wochen 100 Millionen Tonnen weniger CO2 emittiert hat. Beruhigt werden sie auch nicht durch delikate Modellrechnungen der Weltgesundheitsorganisation, nach denen 200 000 Virus-Opfer die globale Wirtschaftsleistung bloß um 0,2 Prozent drücken würden. Die Börsenkurse fallen trotzdem. Und so geben die Märkte auf ihre Weise zu Protokoll, dass der in Aktien, Profiten, Fabriken und Waren vorliegende Reichtum am Ende nicht abhängt von geschickter Steuerpolitik, niedrigen Zinsen, Hochtechnologie oder wagemutigen Unternehmern, sondern schlicht davon, dass die Menschen jeden Tag zur Arbeit gehen. (in: ND, 29.02.2020)
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133593.covid-kapital-und-krankheit.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Also was den Sozialismus betrifft, so ist die Frage, was sich jemand darunter vorstellt.
Die Kubaner haben sich nie mit solchen Entwicklungsstufen aufgehalten, sondern gesagt: Für uns ist Sozialismus Gesundheitsversorgung und Bildung für alle. Ansonsten wurschteln wir uns halt durch, so gut es geht.
Ich persönlich halte diese ganzen Debatten für schädlich, weil sie immer in einer Bedingungslogik verhaftet bleiben, anstatt die Frage zu stellen: Was will man eigentlich?
—
Die EU- und vor allem deutsche Politik ist seit geraumer Zeit in der Verlegenheit, daß nicht nur aus den Weltmachtambitionen, die 1991 ff. sehr hochfliegend waren – man vergesse nicht, der Eiserne Vorhang war gerade gefallen, die SU löste sich auf, alle Politiker meinten in Maastricht, jetzt starten wir durch und bald haben wir die USA einge- und überholt! –
nichts geworden ist, sondern sie jetzt zwischen die Mühlsteine einer abschiffenden und einer aufstrebenden Weltmacht geraten ist.
Es ist schon leicht lächerlich, wenn Merkel in Moskau anruft und von Putin verlangt, die Kriegshandlungen in Syrien einzustellen.
Meint sie im Ernst, daß sie damit durchkommt?
Der Quintessenz des Artikels von Stephan Kaufmann über die beginnende weltweite Pandemie:
Die Börsenkurse fallen. Und so geben die Märkte auf ihre Weise zu Protokoll, dass der in Aktien, Profiten, Fabriken und Waren vorliegende Reichtum am Ende nicht abhängt von geschickter Steuerpolitik, niedrigen Zinsen, Hochtechnologie oder wagemutigen Unternehmern, sondern schlicht davon, dass die Menschen jeden Tag zur Arbeit gehen. (in: ND, 29.02.2020)
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133593.covid-kapital-und-krankheit.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
… lässt sich leicht entnehmen, wie machtvoll es ist, dass Emil und Berta jeden Tag zur Arbeit renen – und wie also eine grundlegende Änderung der politischen Zustände umgekehrt ja eben auch vorangebracht werden könnte: durch einen politischen weltweiten selbstbewussten Generalstreik der ArbeiterInnen…
[Was eine Pandemie einen doch so alles lehren (bzw. in Erinnerung rufen) kann. Aber von einem solch selbstbewussten Proletariat ist weltweit in Pandemie-Zeiten nichts zu sehen. Eher wollen sich selbst die Kranken noch zur Arbeit schleppen…]
🙂
Die Guten haltens aus.
Und: mexikanische Migranten seien allemal viel schlimmer als solch ein Virus aus einem gottlosen Land …
So wird im “Counterpunch” gegen Trumps bigottes Weltbild anlässlich des Virus gepoltert …
“After all, Limbaugh did claim that the news about the virus is false and is being spread by the alleged deep state in order to sabotage Trump’s re-election.”
https://www.counterpunch.org/2020/02/28/cult-like-ignorance-is-death-trump-and-the-coronavirus/
… aber wetten, dass die weltweiten Aktien-Kurse sich wieder berappeln werden? Irgendein Wachstum wird sich sicherlich prognostizieren lassen. Und sei es bei Krankenhäusern und Hygiene-Materialien …
Einen Schluss auf die Verrohung der Sitten des ordinären Kapitalismus in den Verhaltensweisen der USA zum Virus, den zieht der ‘Counterpunch’-Autor:
” ..to take seriously Bertolt Brecht’s argument that it is impossible to condemn fascism without condemning capitalism. According to Brecht, “But how can anyone tell the truth about Fascism, unless he is willing to speak out against capitalism, which brings it forth?” In the shadow of this pandemic virus, we are witnessing the slow violence of capitalism and its resort to the defunding of the welfare state, government services, the regulatory state, and the public good. Under such circumstances, fascism sets the stage for increasing acts of barbarism that develop and accumulate into forms of political corruption, endless crisis, and the production of an eco-system of ignorance that is death dealing.”
Ist die weltweite Arbeitskraft angesichts des kapitalistischen “Überflüssigseins” von Millionen Menschen so billig wie Dreck, so verschieben sich auch Maßstäbe dessen, was als Vorstellungen über die “Volksgesundheit” den ideologischen Himmel bevölkert, – und wie die Gebräuche des Medizin-Geschäfts heutzutage für den Profit ‘modernisiert’ werden:
https://www.heise.de/tp/features/Was-kostet-ein-Leben-was-darf-es-kosten-4653544.html
” … stößt sich niemand daran, dass auch das Gesundheitswesen – wie alles in dieser Gesellschaft – ein Geschäftszweig ist und damit alles Lebensnotwendige abhängig ist von der Verfügung über Geld, (… sodass) die marktwirtschaftliche Vernunft ganz banal auf Fragen der Bezahlbarkeit von Behandlungen zurück- und in Debatten dazu überführt wird, ab wann Leistungen für Kranke (…) unbezahlbar werden und damit eingeschränkt gehören.” (Suitbert Cechura)
– Das ist dann hierzulande in Westeuropa beim Virus aber wohl erst noch das nächste Stadium…
Das Virus und der Zins
Die Zentralbanken reagieren auf die Corona-Krise. Das hilft zwar nicht dem produzierenden Gewerbe, beruhigt aber den Finanzsektor.
FR-ANALYSE von Stephan Kaufmann
“Das Coronavirus breitet sich aus und die großen Zentralbanken reagieren: In China vergibt die Notenbank verbilligte Kredite. In den USA wurde schon für Mitte März mit einer starken Zinssenkung gerechnet – diesen Schritt hat die Fed nun überraschend vorgezogen. Auch die Euro-Zentralbank hatte am Montag mitgeteilt, sie „stehe bereit“.
(…) Kein verbilligter Kredit kann die Unterbrechung von Lieferketten kompensieren. Es ist daher anzunehmen, dass die Zentralbanken mit ihren Zinssenkungen vor allem eine Panik an den Finanzmärkten verhindern wollen. Zum einen an den Aktienmärkten: Hier waren in den vergangenen Wochen viele Börsenindizes auf Rekordhöhen gestiegen – trotz schwacher Konjunktur, schlicht weil die Zinsen so tief liegen. Zum anderen an den Anleihemärkten, also an den Märkten für Schulden. Hier droht echte Gefahr. Denn das globale Wirtschaftswachstum lässt zu einer Zeit nach, in der die Schulden stark gestiegen sind. Das trifft nicht nur Länder wie Italien, deren Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr wohl stagnieren wird. Sondern vor allem ärmere Staaten, die „Low Income Countries“ (LIC). Ihre Schulden sind laut Institute of International Finance (IIF) seit 2008 von 90 auf den Rekordwert von 115 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen. Etwa die Hälfte der LIC sind laut IIF in einer prekären Finanzlage.
Dieses und nächstes Jahr müssen die LIC Anleihen über 255 Milliarden Dollar zurückzahlen, fast die Hälfte davon in ausländischer Währung. Sie sind daher angewiesen auf einen steten Zustrom internationalen Kapitals. Die Corona-Krise allerdings erhöht die Risikoscheu der Anleger und lässt Kapital aus den Schwellenländern abfließen: Im Februar brachen die Portfolioinvestitionen – also die ausländischen Kapitalzuflüsse in Schwellenländer-Aktien und -Anleihen – gegenüber Januar um knapp 90 Prozent ein, so das IIF. In solch einer Situation helfen Zinssenkungen der Weltwirtschaftsmächte zwar nicht dem Produktionssektor. Aber sie deckeln das globale Zinsniveau und machen so eine Schuldenkrise weniger wahrscheinlich.”
https://www.fr.de/wirtschaft/virus-zins-13571426.html
Ein weiterer Schritt in der Entkoppelung von materieller Produktion und Finanzwirtschaft.
Ich habe einmal nachgeschaut, was die LIC eigentlich sind, hier die Liste:
https://g2lm-lic.iza.org/call-phase-iv/list-of-lic/
Da werden offenbar sehr willkürlich irgendwelche Kennzahlen erstellt – vermutlich BIP in Dollar gemessen und in ein Verhältnis zu Bevölkerung und Territorium gesetzt, – um den Eindruck zu erwecken, bei den restlichen Ländern der Welt sei es um das Einkommen nicht so schlecht bestellt.
China wird Präsenz von US-Flugzeugträger in Vietnam nicht unbeantwortet lassen
Der Experte des Chinesischen Instituts für Studien im Südchinesischen Meer, Chen Xiangxiao, hat sich in einem Interview für Sputnik zum Auftauchen des US-Flugzeugträgers „Theodore Roosevelt“ im vietnamesischen Hafen Danang geäußert.
Bailout durch Verstaatlichung
Komitee kontrolliert chinesischen Mischkonzern HNA nach Pleite von Airlinetochter
Von Jörg Kronauer
Von den Auswirkungen der Verbreitung des neuartigen Coronavirus bleibt auch die Luftfahrtbranche nicht verschont. So stellte am Mittwoch der britische Regionalflieger Flybe als erste Airlinie aus diesem Grund völlig den Betrieb ein. Die epidemiebedingten Flugausfälle hatten dem ohnehin ins Schlingern geratene Unternehmen endgültig den Garaus gemacht. Einen weit größeren Akteur hat es ebenfalls erwischt. Die chinesische Hainan-Airline war infolge der Epidemie schwer in die Krise geraten. Eine Folge: Der Mischkonzern HNA, dessen zentrale Profitquelle die Hainan-Fluggesellschaft war, wird vom Staat übernommen, wie vor einigen Tagen bekannt wurde. Jener Fall betrifft, weil HNA 82,5 Prozent am Flughafen Frankfurt-Hahn hält, auch die Bundesrepublik.
Hainan-Airlines, heute die größte private Fluggesellschaft in der Volksrepublik China, war 1989 als regionaler Anbieter auf der südchinesischen Ferieninsel Hainan gegründet worden. International Schlagzeilen machte sie erstmals 1995, als George Soros 25 Millionen US-Dollar in sie investierte. Die Airline boomte, und in den Jahren ab 2010, verstärkt ab 2015, begann sie, Unternehmen und Unternehmensanteile im Ausland zu übernehmen. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst Firmen und Objekte aus der Luftfahrtbranche, so etwa Swissport, der größte Flugzeugabfertiger der Welt, den der Airlinemutterkonzern HNA im Jahr 2015 für rund 2,7 Milliarden Schweizer Franken kaufte, oder eben der Flughafen Frankfurt-Hahn, an dem HNA im Jahr 2017 die Mehrheit übernahm.
Beobachter kritisierten freilich schon damals, HNA habe bei seiner letztlich wohl 50 Milliarden US-Dollar teuren Einkaufstour zwar einen Schwerpunkt auf die Luftfahrt gelegt, seine Investitionen aber doch ungewöhnlich weit gestreut. In der Tat übernahm der Konzern so disparate Objekte wie etwa einen 25-Prozent-Anteil an der Hotelkette Hilton (2016) oder im Jahr 2017 einen fast zehnprozentigen Anteil an der Deutschen Bank, bei der er damit zum größten Investor avancierte.
Der Wildwuchs, der für einen Teil des in kürzester Zeit in die Höhe geschossenen chinesischen Privatsektors nicht ganz untypisch ist, wurde bereits 2017 auch staatlichen Stellen in Beijing ein wenig zu bunt, weil HNA sich mit Summen verschuldete, die, sollte der Konzern ins Straucheln geraten, für die chinesische Finanzwirtschaft ein Problem werden konnten: Die Rede war zeitweise von über 85 Milliarden US-Dollar. Unter Druck aus der Hauptstadt begann HNA im Jahr 2018, gerade erst erworbene Firmen und Firmenanteile wieder abzustoßen; Ende 2019 verkaufte er etwa die letzten verbliebenen Anteile an der Deutschen Bank.
Ob HNA sich hätte konsolidieren können, hätte nicht das Coronavirus die chinesische Luftfahrtbranche aufs Schwerste geschädigt, bleibt Spekulation. Bei der europäischen Konkurrenz – siehe Flybe und andere – beginnen die Schäden erst, aufzutreten. Wie auch immer: Seit dem Wochenende wird der Konzern von einem Komitee gesteuert, das die Provinz Hainan eingesetzt hat und in dem unter anderem der Regulator der Luftfahrtbranche sowie die China Development Bank, einer der Hauptgläubiger des Unternehmens, vertreten sind. HNA-Gründer Chen Feng soll laut aktuellem Stand allerdings den Vorsitz des Unternehmens behalten dürfen.
(…) Um die Produktion anzutreiben, haben Regierungen und Unternehmen in den letzten Jahren vermehrt Geld geliehen. Betrugen die globalen Schulden von Staaten und Privatsektor 1999 noch das Doppelte der Weltwirtschaftsleistung, so ist es heute mehr als das Dreifache. Ein Extremfall ist China, wo sich die Schuldenquote von Unternehmen und privaten Haushalten allein seit 2002 von 100 auf über 200 Prozent der Wirtschaftsleistung verdoppelt hat. Auch das Kreditvolumen im Rest der Schwellenländergruppe liegt auf Rekordhoch, viele Staaten sind abhängig vom stetigen Zufluss von Auslandskapital.
Die Schulden der Welt existieren im Finanzsektor als Forderungen, als Anleihen, Schuldverschreibungen oder andere Wertpapiere. Ihr Wert ist davon abhängig, dass die Konjunktur die erwarteten Zinsen und Dividenden auch wirklich abwirft – das Weltfinanzvermögen ist eine große Spekulation auf eine Produktionssteigerung, die erst noch stattfinden muss. Und diese Steigerung ist gefährdet. Daher warnte der Internationale Währungsfonds schon Ende 2019 vor »Verletzlichkeiten« des Finanzsystems….
… so erläutert Stephan Kaufmann im neuen ND den systematischen Zusammenhang zwischen dem Virus und dem Finanzkapital
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1133911.geldmarkt-kredit-und-corona.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Einerseits.
Andererseits hat sich doch spätestens seit der Finanzkrise 2007 ff. gezeigt, daß fehlender Profit, fehlendes Wachstum durch staatliche Garantien ersetzt werden kann. Wie weit und wie lange – das weiß niemand.
Aber die Regierungen aller Staaten, die über weltmarkttaugliche Währungen verfügen, haben wiederholtermaßen dem Finanzkapital gegenüber klargestellt, daß sie für alle Schulden in ihren Währungen bürgen.
Der politische Wille ist also da, und bisher wurde der als Ersatz auch angenommen.
Das Misstrauen der weltweiten Finanzanleger darin, ob sich ihre Wachstumserwartungen realisieren lassen werden, bekommt im Umkreis des Virus ein paar neue Anlässe – was sich z.B. darin zeigen wird, ob Italien seine staatlichen Verschuldungspapiere mit oder ohne weitere Aufpreise (höhere Zinsversprechen) wird losschlagen können – und so geht das normale Konkurrieren mit ein paar neuen Daten hierzulande zwar schlicht weiter. (Allerdings war der Kurseinbruch an den weltweiten Börsen kein Klacks…)
Dass die Parole ‘business as usual’ in ähnlicher Weise auch z.B. für die sogenannten “Schwellenländer” gelten wird, bezweifele ich aber, da deren Währungen ja sowieso schon stark unter Druck standen. (Darauf hatte Stephan Kaufmann im vorherigen Beitrag hingewiesen.)
Dass an irgendeiner Stelle irgendeine wichtige Kette reißt, ist also gar nicht ausgeschlossen…
Chinas Aktivitäten in Nahost
In dem Moment, da China die Corona-Krise zu überwinden scheint, winkt billiges Erdöl aus Saudi-Arabien. Gute Vorzeichen für Chinas weiteres (wirtschaftliches) Engagement in der Region.
(…) Nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen Russland und OPEC über eine Förderkürzung war der Ölpreis zu Wochenbeginn so stark gefallen wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Rede ist sogar von einem Preiskrieg zwischen Russland und – hauptsächlich – Saudi-Arabien. Das Königreich will seine Fördermenge in den kommenden Monaten erhöhen, und zwar bis auf die Rekordmarke von zwölf Millionen Barrel pro Tag, meldet die Finanzagentur Bloomberg. Während der vergangenen Jahre lag die Menge bei rund zehn Millionen Barrel täglich.
Vom billigeren Erdöl werden nicht nur die Verbraucher in Europa profitieren. Ein Großteil der zusätzlich geförderten Menge dürfte weiterhin nach China gehen. Schon im vergangenen Jahre hatte Saudi-Arabien dort mehr Erdöl absetzen können als die russische Konkurrenz. Sollte in China tatsächlich das Schlimmste vorbei sein und die von Xi Jinping ausgerufene Wiederankurbelung der Wirtschaft nachhaltige Wirkung zeigen, wird das auch Chinas gute Beziehungen zu den arabischen Förderländern und hier insbesondere Saudi-Arabien stärken. Denn China ist trotz der Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien größter Erdölimporteur weltweit. (…)
Zwar engagiert sich China auch militärisch, allerdings sehr zurückhaltend. So richtete es zusammen mit Iran und Russland im Dezember vergangenen Jahres ein Manöver im Golf von Oman ab – nachdem es im Vormonat bereits eine gemeinsame Marine-Übung zusammen mit Saudi-Arabien unternommen hatte.
Beide multinationalen Manöver zeigen, dass Peking sich bislang aus den Rivalitäten vor Ort heraushält. Im Konkurrenzkampf der beiden regionalen Hegemonialmächte Iran und Saudi-Arabien gibt es keiner Seite den Vorzug, im Gegenteil: Beide Länder zählen in Peking zu den wichtigsten Partnern in der der Region. So galten die beiden Manöver vor allem der Bekämpfung der Piraterie sowie als Vorbereitung auf maritime Unfälle. Politisch-militärisch gibt sich China hingegen zurückhaltend. Peking achtet sehr darauf, nicht (in regionale Spannungen) verwickelt zu werden. (…)
Politisch hingegen hält China sich zurück. “Es hat zwar der syrischen Regierung während des Krieges beigestanden, dies aber vergleichsweise verhalten”, sagt Kevjn Lim. “Auch hat es den Iran im Vorfeld der Atomverhandlungen ermutigt, sich auf diese einzulassen. Auch hat Peking im Nahost-Konflikt moderiert, allerdings auch hier nur ganz vorsichtig.”
Zwar sei man sich in Peking bewusst, dass die USA als Ordnungsmacht in der Region zunehmend ausfielen und es darum eine neue politische Gestaltungskraft brauche. “Aber zu dieser Rolle kann sich China bislang nicht entschließen”, sagt Lim. “Zu umfassendem politischen Engagement fehlt in Peking derzeit noch der Wille.”
https://www.dw.com/de/erd%C3%B6lm%C3%A4rkte-st%C3%BCtzen-chinas-aktivit%C3%A4ten-in-nahost/a-52704119
Wie in Zukunft als EU mit China umgehen?
Das fragen sich europäische Think-Tanks
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/interview/deutschland-sucht-seine-rolle-in-der-eu-china-politik/
Das Interview ist ein schönes Beispiel, wie die EU-Staaten sich bemühen, Entwicklungen hinterherzuhecheln, die sie gar nicht mehr mitbestimmen können.
Ja, so wird es wohl sein dieser Tage.
Folgen der Coronakrise: China könnte im Vorteil sein
China könnte der Gewinner der Coronakrise sein, meint Andreas Rinke. Bereits 2008/2009 sei es gestärkt aus der Finanzkrise hervorgegangen. Doch es sprechen auch noch weitere Faktoren sprächen dafür, dass China im Gegensatz zu Europa und den USA in der Nach-Corona-Zeit die Nase vorn haben könnte…
https://www.deutschlandfunk.de/folgen-der-coronakrise-china-koennte-im-vorteil-sein.720.de.html?dram:article_id=473023
Fortschritte in der innerchinesischen staatlichen Sittlichkeit werden im neuen Gegenstandpunkt 1/2020 gewürdigt:
Das chinesische Sozialkredit-System
Ein landesweiter Pranger für die harmonische sozialistische Marktwirtschaft
Nach langer Vorbereitung soll im laufenden Jahr das „Sozialkredit-System“ an den Start gehen, das die verfügbaren Informationen über jeden einzelnen Chinesen in einer großen Datenbank zusammenführt, um sein geschäftliches und soziales Verhalten zu bewerten. Damit will die kommunistische Partei das Land und seine Menschen durchgreifend optimieren. Ausgangspunkt der Reform ist eine sehr kritische und selbstkritische Diagnose des Entwicklungsstandes ihres Sozialismus:
“Verantwortungslosigkeit allerorten”
“Vorwärts zur harmonischen Gesellschaft”
“Eine umfassende Datenbank des Anstands und ihre Verwendung”
“Den Anständigen und Underdogs gefällt’s”
—
Der Artikel ist nicht kostenlos online erhältlich.
Aber der gesamte neue Gegenstandpunkt landet nach Bestellung ratzfatz mit Rechnung im eigenen Briefkasten; bzw. es kann auch eine Digital-Version gekauft werden.
https://de.gegenstandpunkt.com/publikationen/zeitschrift/gegenstandpunkt-1-20
https://de.gegenstandpunkt.com/sonstiges/bestellen
China hat ja jetzt schon die Nase vorn.
Die Epidemie haben sie im Griff.
Die Regierung hat klare Richtlinien.
China kreditiert sich selber.
Der größte Teil der medizinischen Ausrüstung für diese Art von Epidemie/Pandemie wird in China erzeugt.
Der o.g. GSP-Artikel
Das chinesische Sozialkredit-System
Ein landesweiter Pranger für die harmonische sozialistische Marktwirtschaft
ist nun auch bei Telepolis/Heise (Peter Decker) erhältlich
https://www.heise.de/tp/features/Das-chinesische-Sozialkredit-System-4702006.html
Zu dem Sozialkreditsystem Chinas eine Rückerinnerung:
Das Rechtswesen der VR China war lange auf die Prinzipien der Umerziehung und Wiedergutmachung gegründet. Sowohl die im Westen angeprangerten „Bambus-GULAGS“ als auch das Justizsystem folgten diesen Richtlinien, wo sogar ein Mord durch Leistungen an die Hinterbliebenen des Opfers gesühnt werden konnte.
Die Todesstrafe oder lange Gefängnisstrafen waren Verbrechen vorbehalten, die als gegen die Gesellschaft, die Volksgemeinschaft gerichtete eingestuft wurden, also politische Vergehen wie Spionage für eine ausländische Macht, oder Verrat an den Prinzipien des Volksbefreiungskampfes, Sabotage, oder besonders schwere Vergehen gegen Leib und Leben usw.
Als China beschloß, die Marktwirtschaft schrittweise einzuführen, krempelte es sein gesamtes Rechtswesen um. Das Prinzip der Strafe trat in den Vordergrund. Verschiedene Formen der Wirtschaftskriminalität wurden überhaupt erst einmal als Verbrechen eingestuft und mit sehr harten Strafen bedacht.
Für diesen Umbau der Justiz bediente sich die chinesische Führung ausländischer Spezialisten, bevorzugt aus befreundeten Staaten des gegnerischen Lagers. Österreich war aufgrund seiner Neutralität in Rotchina immer willkommen. Ich erinnere mich an den österreichischen Rechtswissenschaftler Felix Ermacora, der in den 80-er Jahren wiederholt in China zu Beratertätigkeit eingeladen war. Und ich vermute, er war nicht der einzige.
So. Jetzt hatte China ein Rechtswesen, das dem einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft entsprach und – surprise, surprise! – es stellte sich heraus, daß China auch als Konkurrenzgesellschaft fungierte. Wo sogar ein hochgestellter Parteigenosse und Provinzgoverneur nicht vor einem ordinären Giftmord zurückschreckte.
Also ist jetzt wieder eine Reform angesagt. Ob die zu dem gewünschten Ergebnis führt, daß ganz sauber Geschäfte gemacht werden und dabei niemand geschädigt wird, darf bezweifelt werden.
Auch das chinesische weltweite Seidenstraßen-Projekt wird von der weltweiten Corona-Epidemie infiziert, mutmaßt ein Beobachter …
“Jetzt in der Krise zählt politische Hilfe doppelt. Das wird sich Xi etwas kosten lassen und er wird bei all den großen Schwierigkeiten aus einer vergleichsweise besseren Position als der Westen handeln können. Denn China hat die Viruskrise viel schneller hinter sich gelassen und befindet sich schon wieder in einer Phase der wirtschaftlichen Erholung.
Chinas Staatsbanken, welche die meisten Auslandskredite der vergangenen 15 Jahre bewilligt haben, haben genug Mittel, um von Fall zu Fall zu entscheiden, ob sie Stundungen, Zinsnachlässe oder Schuldenerlässe erlauben. Xi größtes Problem dabei: Auch seine Bürger brauchen Hilfe und werden wenig Verständnis zeigen, wenn jetzt Geld nach Pakistan oder Nigeria überwiesen wird. Denn trotz Zensur kann der Unmut über solche Entwicklungen in den Sozialen Medien schnell hochkochen. Die Nerven liegen nach der Corona-Krise auch in China blank. Die richtige Balance zwischen außenpolitischer Expansion und innenpolitischer Stabilität zu finden, ist jetzt die größte Herausforderung für Präsident Xi.”
https://www.dw.com/de/sierens-china-die-neue-seidenstra%C3%9Fe-auf-messers-schneide/a-53424301
Das ist auch wieder so ein Artikel, der nicht versteht, wie China funktioniert.
Die Hilfe, die China anderen Staaten gewährt, und die, die im Inland verteilt wird, stehen in gar keinem Verhältnis zueinander.
Für das eine muß China in seine Devisenkasse greifen und nicht einmal das, wenn es die Kredite in Naturalform vergeben hat, wie es seinerzeit mit Argentinien üblich war. Die Devisenkasse ist übrigens auch gut gefüllt.
Für seinen Inlandsbedarf druckt es Renminbi, und fertig.
China hatte ja keine Eurokrise oder ein Geld, das auf dem Weltmarkt von Entwertung bedroht wäre.
Trump droht China mit Abbruch der Beziehungen
Washington. US-Präsident Donald Trump hat im Streit mit China um den Umgang mit der Coronapandemie den Ton verschärft und mit einem Abbruch der Beziehungen gedroht. Er wolle »im Augenblick« nicht mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping sprechen, sagte Trump dem Sender Fox Business am Donnerstag. Er sei »sehr enttäuscht« über die Haltung Pekings in der Pandemie. Er habe ein »sehr gutes Verhältnis« zu Xi, wolle aber derzeit nicht mit ihm reden. Auf die Frage nach möglichen Vergeltungsmaßnahmen der USA gegen China nannte Trump keine konkreten Schritte, schlug aber einen drohenden Ton an: »Es gibt viele Dinge, die wir tun könnten. Wir könnten alle Beziehungen abbrechen.«
Die USA haben China bereits Sanktionen wegen dessen Umgang mit der Coronapandemie angedroht. Eine Gruppe republikanischer Senatoren legte am Dienstag einen Gesetzentwurf vor, der Trump die Vollmacht zu Strafmaßnahmen verleihen soll, falls Beijing nicht »volle Rechenschaft« über den Ausbruch des Virus ablege. Die US-Regierung warf China zudem vor, mit Hilfe von Internethackern Forschungsergebnisse zu möglichen Coronaimpfstoffen und -Medikamenten stehlen zu wollen. Die US-Bundespolizei FBI und die Agentur für Internetsicherheit erklärten am Mittwoch, Unternehmen und Organisationen seien vor der Gefahr gewarnt worden, dass »die Volksrepublik China sie wahrscheinlich ins Visier nimmt und ihr Netzwerk manipuliert«. (AFP/jW)
Hoheit und Konflikt
Lage im Südchinesischen Meer ist angespannt: Anrainerstaaten melden Ansprüche an. USA zeigen Militärpräsenz
Von Jörg Kronauer
Am Mittwoch gaben Beobachter Entwarnung. Bedrohliche Spannungen hatten sich aufgebaut im Südchinesischen Meer, genauer: in einem Seegebiet rund 370 Kilometer vor der Küste des malaysischen Nordens von Borneo, in dem größere Öl- und Gaslagerstätten vermutet werden. Ein Bohrschiff aus Malaysia hatte dort umfangreiche Erkundungen vorgenommen. Zugleich trieb ein chinesisches Forschungsschiff, die Haiyang Dizhi 8, Sondierungen voran. Das Problem: Beide Staaten beanspruchen das Seegebiet als ihr Territorium – und weil ihre Erkundungstätigkeiten den Ansprüchen des jeweils anderen Staates zuwiderlaufen, deckten Einheiten der Marine bzw. der Küstenwache beider Länder die Aktivitäten des malaysischen Bohr- und des chinesischen Forschungsschiffs. Und als ob die Situation damit nicht schon heikel genug gewesen wäre, trafen vergangene Woche noch drei US-Kriegsschiffe drohend in dem Gebiet ein. Erst am Mittwoch entspannte sich alles: Malaysia und China hatten ihre Projekte beendet und zogen ihre Schiffe ab.
Auch wenn es gelungen sein mag, eine Eskalation weit vor der Küste von Borneo zu verhindern: Die Lage im Südchinesischen Meer ist seit Wochen angespannt. Der Hintergrund ist komplex. Eine gewisse Rolle spielen die reichen Öl- und Gasvorkommen unter dem Meeresboden, deren Ausbeutung attraktive Profite verheißt. Das führt zu Streit, weil sämtliche Anrainerstaaten konkurrierende Ansprüche auf die Hoheit über große Teile des Gewässers und die dortigen Kleinstinseln, Riffe und Sandbänke erheben. Weiter verkompliziert wird die Lage dadurch, dass das Südchinesische Meer für Beijing eine wichtige Rolle bei der Landesverteidigung besitzt: Es hat sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert als zentrales Einfallstor für die Kolonialmächte und ihre Kanonenbootpolitik erwiesen, und es ist auch heute noch – die kontinuierliche Präsenz von US-Kriegsschiffen in dem Gewässer bestätigt das – ein potentielles Aufmarschgebiet für die westlichen Rivalen. Für die Volksrepublik ist die Kontrolle über das Meer daher strategisch fast schon prioritär.
Wegen der Konkurrenz um die Gewässerhoheit kommt es regelmäßig zu Streit zwischen China und anderen Anrainern, vor allem mit Vietnam. Die Zeiten, in denen die beiden Staaten sich Seegefechte um Inseln im Südchinesischen Meer leisteten – mit jeweils Dutzenden Toten –, sind seit 1988 vorbei. Bis heute gibt es aber immer wieder Konflikte, wenn Hanoi oder Beijing in Gewässern nach Öl bohren, die beide Staaten für sich beanspruchen. Zuletzt standen sich im vergangenen Sommer Erkundungs- und Küstenwachschiffe der beiden Länder feindlich gegenüber. Besonders pikant: Es ging um ein Gebiet, für das Vietnam dem russischen Erdölkonzern Rosneft die Explorationsrechte übertragen hatte. Der Konflikt endete ähnlich wie der aktuelle Zwist mit Malaysia – mit dem Abschluss der Explorationstätigkeit und dem Abzug beider Seiten.
Anfang April hat sich der Konflikt zwischen Beijing und Hanoi allerdings erneut zugespitzt. Diesmal ging es um vietnamesische Fischer, die in den fischreichen Gewässern um die Paracel-Inseln auf Fang gingen. Hanoi und Beijing streiten sich um das Gebiet. Die Lage eskalierte, als ein vietnamesisches Fischerboot nach der Kollision mit einem Schiff der chinesischen Küstenwache sank.
In diesem Jahr ist die Volksrepublik dazu übergegangen, ihre Ansprüche offensiver zu markieren. So richtet sie neue Verwaltungsbezirke im Südchinesischen Meer ein. Bislang werden die dortigen Gebiete, die China für sich beansprucht – nebenbei: Beijings Ansprüche decken sich mit denjenigen Taiwans –, offiziell von Yongxing Dao aus verwaltet, der größten der Paracel-Inseln südöstlich von Hainan; im Westen ist sie eher als Woody Island bekannt. Formal hat China alle Inseln des Meeres als »Stadt« mit dem Namen Sansha konstituiert; »Sansha« bedeutet »Drei Inselgruppen«. Jetzt hat es Sansha in zwei »Stadtbezirke« aufgeteilt: Xisha (»Westliche Inselgruppe«, gemeint sind vor allem die Paracel-Inseln) und Nansha (»Südliche Inselgruppe«, dies bezieht sich auf die Spratly-Inseln). Zudem hat es vor allem für Xisha für die Zeit vom 1. Mai bis zum 16. August, um Überfischung zu vermeiden, ein Fischfangverbot verhängt. Das mag der Sache nach sinnvoll sein; aus der Sicht von Fischern insbesondere in Vietnam, die traditionell auch in von China beanspruchten Gewässern arbeiten, handelt es sich um eine Provokation.
Das alles könnte als konfliktreicher Prozess eingestuft werden, der mit der Herausbildung einer neuen Weltmacht einhergeht, wäre da nicht noch eine weitere Ebene: die stetige Einmischung der Vereinigten Staaten und zunehmend auch europäischer Mächte. Die Patrouillenfahrten von US-Kriegsschiffen im Südchinesischen Meer stellen für die Volksrepublik eine – in letzter Konsequenz existenzielle – Bedrohung dar. Dabei ist Washington zunehmend bemüht, die Anrainerstaaten des Gewässers im Machtkampf gegen China auf seine Seite zu ziehen. Jüngstes Beispiel: Als sich im April der Konflikt zwischen Beijing und Manila 370 Kilometer vor Borneo zuspitzte, trafen gleich drei US-Kriegsschiffe vor Ort ein. Nach ihrem Abzug folgten Anfang Mai drei weitere. Involviert war im April übrigens auch eine australische Fregatte.
Es kann nicht behauptet werden, dass die betreffenden Anrainerstaaten darüber begeistert wären: Wenn sie etwas eint, dann ist es die Furcht, sich im Ringen der Weltmächte auf eine Seite schlagen zu müssen und zerrieben zu werden. Die Kleinen freilich hat noch nie einer der Großen nach ihrer Meinung gefragt – schon gar nicht eine der großen Mächte des Westens.
Hintergrund: Der antichinesische Kurs Australiens
Als im April drei US-Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer unweit des chinesischen Forschungsschiffs Haiyang Dizhi 8 Position bezogen, war auch eine Fregatte der australischen Marine präsent. Die HMAS Parramatta führte gemeinsame Übungen mit den US-Schiffen durch – eine klare Demonstration des Willens, sich auch von chinesischen Hoheitsansprüchen nicht davon abhalten zu lassen, für den Krieg zu proben. Eine Überraschung war die Provokation freilich nicht: Australien ist gegenwärtig der Staat, der sich wohl am aggressivsten an der Seite der USA gegen die Volksrepublik in Stellung bringt. Das Land hat ein Gesetz verabschiedet, das tatsächliche oder angebliche »ausländische Einmischung« – gemeint sind chinesische Aktivitäten – mit harten Strafen bedroht.
Canberra ist im Kampf gegen Huawei ganz vorne mit dabei. Es hat seine Einflussarbeit im Westpazifik erheblich ausgeweitet, um dort China entgegenzutreten. Es treibt zudem die militärische Blockbildung gegen die Volksrepublik voran, nicht zuletzt im Rahmen des »Quad« (Quadrilateral Security Dialogue), einem Pakt mit den USA, Japan und Indien, der eine zentrale militärische Komponente hat. Nebenbei: Australien ist inzwischen zu einem der bedeutendsten Kunden deutscher Waffenschmieden geworden.
Freilich ist der harte antichinesische Kurs in Australien selbst nicht ganz unumstritten. Washingtons Wunsch, im Norden des Landes Mittelstreckenraketen zu stationieren, ist selbst den Hardlinern in Canberra bislang noch zu heiß. Hinzu kommen wirtschaftliche Bedenken. China nimmt rund ein Drittel der gesamten australischen Exporte ab. Erst kürzlich mahnte Hans Hendrischke, ein Ökonom von der Universität Sydney, folge man der Trump-Administration bei ihrem Vorhaben, eine »Entkopplung« (Decoupling) zwischen China und dem Westen zu erzwingen, dann stelle man sich womöglich selbst ein Bein: Ein solcher Schnitt sei für Australiens Wirtschaft potentiell verheerend. (jk)
Beijing bleibt gelassen
Trump droht mit Abbruch der Beziehungen zu China. Volksrepublik reagiert entspannt
China lässt sich von den USA nicht provozieren. Die Volksrepublik hat am Freitag entspannt auf die erneuten Anschuldigungen Washingtons und den angedrohten Abbruch der Beziehungen reagiert. Die Aufrechterhaltung stabiler Beziehungen liege im Grundinteresse beider Völker und sei auch dem Weltfrieden förderlich, zitierte die staatliche Zeitung Global Times Außenamtssprecher Zhao Lijian. »Derzeit sollten China und die Vereinigten Staaten die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der (Corona-)Epidemie weiter verstärken«, so der Sprecher. Dies erfordere jedoch, dass sich beide Seiten aufeinander zubewegen.
US-Präsident Donald Trump hatte dem Sender Fox Business in einem am Donnerstag (Ortszeit) veröffentlichten Interview gesagt, »im Moment« wolle er mit Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht sprechen. Trump beklagte sich generell: »Ich bin sehr enttäuscht von China.« Er schob nach: »Wir könnten die Beziehungen komplett abbrechen.«
Wieder warf Trump Beijing ohne entsprechende Beweise vor, die Ausbreitung der Coronaviruspandemie nicht gleich an der Quelle gestoppt und dadurch enormen Schaden angerichtet zu haben. »Es war entweder Dummheit, Inkompetenz, oder es war absichtlich.«
Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hingegen warf am Freitag in einem Kommentar die Frage nach dem Umgang Washingtons mit der Covid-19-Pandemie auf. Die USA seien mit mehr als 1,4 Million Infektionsfällen und mehr als 84.000 im Zusammenhang mit der Lungenkrankheit Gestorbenen das am stärksten betroffene Land. »So wie die Amerikaner verzweifelt nach den fehlenden Fakten des US-Kampfes gegen Covid-19 suchen, wartet die Welt auf Washingtons Antworten auf eine Vielzahl unbeantworteter Fragen.«
In einem Fazit heißt es dazu von Xinhua: »Einst Hauptarchitekt der internationalen Ordnung, die ihre Vormachtstellung sicherte, stellen die USA sich nun als ein Opfer aller dar.« Die Volksrepublik sei dabei offenkundig Trumps erste Wahl, wenn es darum gehe, einen Schuldigen zu finden. (Xinhua/dpa/jW)
Corona-Sanktionen gegen China auf dem Weg?
Republikaner wollen China sanktionieren. Umfrage: Anti-China-Stimmung war noch nie so groß in den USA. Trump erwägt Abbruch der Beziehungen
Handelskrieg: USA schneiden Huawei von Chipversorgung ab, China reagiert
Die US-Regierung hat ihren Bann verschärft, wonach Huawei nicht mit Halbleitertechnik beliefert werden darf. Peking kündigt Restriktionen für Apple & Co. an.
Trump hats auch nicht leicht. Er kann sich schlecht auf Bill Gates einschießen, wie das die Coronyvirus-Dissidenten tun. Das wäre unglaubwürdig.
Was ich an Trump schätze ist das völlige Fehlen aller Diplomatie oder Etikette. Er benennt die weltpolitischen Gegensätze mit dem gleichen beleidigten Pose wie ein Bub, dem der Nachbarssohn ein Spielzeug weggenommen hat.
Das mit den Sanktionen gegen CHina wird schwierig.
Das Sanktionspaket müßte löchrig sein wie ein Schweizer Käse, damit die USA dabei nicht selbst noch mehr geschädigt werden als China.
»Gemeinschaft mit geteilter Zukunft
Nationaler Volkskongress in Beijing kündigt weiteren Kampf gegen Covid-19 an. Coronapandemie als Herausforderung für die gesamte Menschheit
Von Jörg Kronauer
Chinas Außenminister Wang Yi hat die zunehmenden Attacken der westlichen Mächte gegen Beijing verurteilt und zu einem gemeinsamen Kampf gegen die Covid-19-Pandemie aufgerufen. Es sei »niemals so deutlich gewesen« wie seit der rasanten weltweiten Ausbreitung des Virus, dass »die Menschheit eine Gemeinschaft mit einer geteilten Zukunft« sei, sagte Wang am Sonntag auf einer Pressekonferenz am Rande der Plenarsitzung des Nationalen Volkskongresses. »Mit dem Finger auf andere zu zeigen«, ihnen die Schuld zuzuschieben, helfe nicht, die Probleme zu lösen, erklärte der Minister mit Blick auf die anhaltenden Bestrebungen in den Vereinigten Staaten und in Westeuropa, die Volksrepublik für die Pandemie verantwortlich zu machen: »Alle Nationen leben im selben globalen Dorf.«
Der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie steht bei der diesjährigen Plenarsitzung des Parlaments im Zentrum der Debatte. »Die Epidemie ist noch nicht vorüber«, hatte Ministerpräsident Li Keqiang am Freitag gewarnt und angekündigt, Maßnahmen zur »Vorbeugung und Kontrolle« des Virus müssten auch in Zukunft einen zentralen Stellenwert besitzen. China habe für die erfolgreiche Eindämmung des Virus einen immensen Preis bezahlt – doch das sei »ein Preis, den wir bezahlen müssen, und ein Preis, der es wert ist, bezahlt zu werden«. Mit seinem entschlossenen Kampf gegen eine zweite Welle der Pandemie setzt sich Beijing dezidiert von den Vereinigten Staaten ab, deren Präsident Ende vergangener Woche öffentlich ankündigte, es werde, sollte es in den USA zu einer solchen zweiten Welle kommen, keinen zweiten Lockdown geben. Aufgrund der Gefahr einer zweiten Welle verzichtete Li erstmals darauf, für die Wirtschaft ein konkretes Wachstumsziel zu benennen, verlangte aber verdoppelte »Anstrengungen, um die durch das Virus bedingten Verluste zu minimieren« und die Entwicklungsziele für das laufende Jahr zu erreichen. Ursprünglich war geplant, im Jahr 2020 die Wirtschaftsleistung gegenüber 2010 zu verdoppeln und die Armut im Land auszurotten. Das erste Ziel wird vermutlich ein Jahr später erreicht; die zweite Aufgabe könnte, so scheint es, trotz aller Widrigkeiten pünktlich erfüllt werden.
Ein zweiter Schwerpunkt der Plenarsitzung kristallisiert sich auf dem Feld der Außenpolitik heraus: Die verstärkten Aggressionen des Westens, insbesondere der USA, fordern Reaktionen heraus. Das betrifft zum einen Hongkong, wo im vergangenen Jahr Demonstranten in großem Maße öffentliche Infrastruktur verwüstet, dabei immer wieder Festlandschinesen angegriffen und zuweilen auch die Abspaltung der Sonderverwaltungsregion von der Volksrepublik gefordert hatten. Die westlichen Mächte hatten die Proteste lauthals befeuert und zum Teil direkt unterstützt. Der Volkskongress soll diesen Destabilisierungsversuchen nun einen Riegel vorschieben, um dem täglich aggressiver werdenden Westen, vor allem den Vereinigten Staaten, einen höchst sensiblen Hebel im globalen Machtkampf zu nehmen. Dazu soll er in Kürze Gesetze gegen Separatismus, Subversion, Terrorismus sowie ausländische Einmischung in Hongkong beschließen. Ministerpräsident Li hob in seiner Rede wie üblich den Einsatz für die Wiedervereinigung mit Taiwan hervor, ließ diesmal in diesem Zusammenhang aber das Beiwort »friedlich« aus – womöglich eine Reaktion auf die seit einiger Zeit steigende Zahl von Verstößen der Trump-Administration gegen die »Ein-China-Politik«. Erneut wird auch der Militäretat erhöht, um 6,6 Prozent; das ist freilich weniger als in den vergangenen Jahren, und damit liegt das Streitkräftebudget immer noch bei nur wenig mehr als einem Viertel der US-Militärausgaben – auch dann, wenn man auf beiden Seiten verdeckte Rüstungsposten in die Rechnung einbezieht.
Dessen ungeachtet warb Außenminister Wang gestern erneut für eine Zusammenarbeit auch mit den Vereinigten Staaten. »Sowohl China als auch die USA werden durch Kooperation gewinnen, aber durch Konfrontation verlieren«, konstatierte er und versuchte, die eskalierenden US-Aggressionen ein wenig herunterzuspielen. Nichts spricht freilich dafür, dass Washington darauf positiv reagieren wird. Ergänzend plädierte Wang dafür, die Europäische Union solle die Volksrepublik nicht »als Rivalen«, sondern als »strategischen Partner« betrachten. Tatsächlich wäre es für Beijing sehr vorteilhaft, gelänge es, einen endgültigen Schulterschluss zwischen der EU und den USA im globalen Machtkampf zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Zugleich kündigte Wang an, Beijing werde bei seinem Bemühen, »Verleumdungen und Attacken« seitens »gewisser Länder« abzuwehren, eng mit Moskau zusammenarbeiten: »China und Russland haben gemeinsam eine uneinnehmbare Festung gegen das ›politische Virus‹ errichtet und die Stärke der bilateralen strategischen Koordinierung demonstriert«. Mit Blick auf Schadensersatzforderungen wegen angeblicher chinesischer Verantwortung für die Pandemie, wie sie vor allem in den USA erhoben werden, warnte der Minister: »Wenn irgendein Land Chinas Souveränität und Würde verletzen will«, dann mache derjenige sich, so der Minister, Illusionen. Denn schließlich sei China »nicht mehr das Land, das es vor 100 Jahren war«.
Hintergund
Armutsbekämpfung
Null Armut: Das ist das Ziel, das die Volksrepublik China noch in diesem Jahr erreichen will, und zwar trotz der Covid-19-Pandemie. Schon jetzt hat Beijing diesbezüglich Gewaltiges erreicht. Lebten im Jahr 1981 laut Angaben des International Poverty Reduction Center in China (IPRCC) noch 88 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag, so waren es im Jahr 2013 nur noch 1,85 Prozent: Es war gelungen, hunderte Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Ende 2019 lebten nur noch 5,51 Millionen der insgesamt mehr als 1,4 Milliarden Chinesen unterhalb der Armutsgrenze.
Zum Vergleich: In Indien, einem der Lieblingsverbündeten des Westens in Asien gegen China, leben laut den jüngsten verfügbaren Daten der Weltbank 13,4 Prozent der Bevölkerung, also rund 176 Millionen Menschen, von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Die EU wendet in ihren Statistiken andere, ehrgeizigere Standards an. Diesen zufolge waren im Jahr 2018 mehr als 109 Millionen Menschen, 21,7 Prozent der Bevölkerung, von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, nicht viel weniger als zehn Jahre zuvor (23,7 Prozent).
Doch auch die Zahl der Milliardäre wächst weiterhin: Auf der einschlägigen Forbes-Liste steht die Volksrepublik (inklusive Hongkong und Macao) mit 456 Milliardären hinter den USA (614) auf Platz zwei; auf Platz drei liegt Deutschland (107 Milliardäre). Zur Bezifferung der Ungleichheit wird oft der Gini-Koeffizient, ein statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen, verwendet. Methodisch streitbar, markiert er dennoch eine Tendenz. In China stieg er seit 1981 auf einen Höchststand von 0,49 im Jahr 2008 an, sank dann wieder ein wenig und pendelte in den vergangenen Jahren zwischen 0,46 und 0,47. Das ist in etwa der Wert von Mexiko, ein erheblich höherer als etwa in Deutschland, wo er zuletzt rund 0,29 Prozent betrug. (jk)
Hongkong: Separatisten randalieren erneut
Trotz Corona: Demonstrationen gegen Sicherheitsgesetz. Unterstützer mobilisieren online
Erstmals seit Beginn der Coronapandemie haben in Hongkong wieder Tausende für eine Abtrennung der Sonderverwaltungsregion von der Volksrepublik China demonstriert. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Wasserwerfer ein. Dutzende Personen wurden festgenommen.
Auslöser der Proteste am Sonntag sind Beijings Pläne für ein Sicherheitsgesetz, das sich gegen Randalierer und Separatisten in Hongkong richtet. Trotz Beschränkungen für Versammlungen in der Coronakrise gingen in den Einkaufsvierteln von Causeway Bay und Wan Chai Demonstranten auf die Straße. Radikale Aktivisten warfen Schaufensterscheiben ein. Wegen der Pandemie gelten in der dichtbevölkerten asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole Abstandsregeln, die Gruppen von höchstens acht Menschen erlauben.
Gleichzeitig war es zu Aktionen von Unterstützern des neuen Sicherheitsgesetzes gekommen, die am Sonntag eine Onlinepetition für einen raschen Erlass des Gesetzes gestartet hatten. Bis zum gestern abend waren bereits über 100.000 Unterschriften von Bürgern Hongkongs gesammelt worden.
Der seit Freitag tagende Volkskongress soll zum Abschluss seiner Plenarsitzung am Donnerstag einen Beschluss verabschieden, der dem Ständigen Ausschuss des Parlaments einen Auftrag zum Erlass eines Gesetzes für Hongkong zum Schutz der nationalen Sicherheit gibt. Das Gesetz wendet sich auch gegen ausländische Einmischung.
Seit der Rückkehr der einstigen britischen Kolonie zu China 1997 wird Hongkong nach dem Grundsatz »ein Land, zwei Systeme« autonom regiert. Die Zugehörigkeit der Metropole zur Volksrepublik wird von den USA wie auch von der BRD völkerrechtlich anerkannt. Seit vergangenem Sommer toben in der Stadt gewalttätige Demonstrationen, die sich gegen die eigene Regierung sowie die Zugehörigkeit zu China richten. Die Coronapandemie hatte die Proteste zunächst zum Stillstand gebracht. (Xinhua/dpa/jW)
Eine neue US-Computerchip-Fabrik ist nur vermeintlich ein Gewinn für Trump
Die USA versuchen, ihre globale Tech-Lieferkette zu entwirren und Huawei vom Zugriff auf moderne Siliziumchips auszuschließen. Das könnte nach hinten losgehen.
@NN
Die Wortwahl ist ungenau. Bisher werden diese Dinger nicht in China hergestellt, weil China es – ganz im Einklang mit den derzeitigen Globalisierungsgewohnheiten – für günstiger ansah, sie im Ausland einzukaufen, noch dazu beim abgespaltenen Nationalchina, das es gerne zurückholen möchte.
Ähnlich wie Rußland auch nach dem Zerfall der SU heikle Militärtechnologie weiter in der Ukraine herstellen ließ, war das eine politökonomische Entscheidung.
Sobald die chinesische Führung beschließt, das selber zu machen, kriegen sie das sehr schnell hin.
Rußland forscht übrigens seit geraumer Zeit zur Nanotechnologie, eine Kooperation mit Rußland auf diesem Gebiet wäre denkbar.
Der grüne Kalte Krieg (10.06.2020)
Transatlantische Parlamentarierallianz gegen China gegründet – unter maßgeblicher Beteiligung eines Grünen-Politikers.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Politiker von Bündnis 90/Die Grünen spielen eine führende Rolle in einem neuen, gegen China gerichteten Zusammenschluss transatlantischer Parlamentarier. In der am Freitag gegründeten Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), der bislang Abgeordnete aus zwölf Parlamenten angehören, gelten antichinesische US-Hardliner – Marco Rubio, Bob Menendez – als treibende Kräfte. Offizielles Vorhaben der Organisation ist es, die Herausbildung einer gemeinsamen westlichen Chinapolitik zu forcieren. Als konkretes Ziel zeichnet sich eine Durchsetzung der US-Sanktionspolitik gegen Beijing auch in Europa ab. Dazu mobilisiert die IPAC dort, wo die nationalen Regierungen sich Sanktionen noch verweigern, Parlamentsabgeordnete. Die Gründung einer derartigen Parlamentarier-Pressure Group hatte der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer schon im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeschlagen; nun amtiert er als IPAC-Ko-Vorsitzender. Die Organisation, die auch die Entwicklung von “Sicherheitsstrategien” gegen China fordert, hat einen Ex-CIA-Spezialisten in ihrem Beirat.
Die IPAC
Der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die am vergangenen Freitag von Abgeordneten aus acht Parlamenten gegründet wurde, gehören mittlerweile Politiker aus zwölf Parlamenten an, darunter elf nationale [1] und das europäische Parlament. Beteiligt sind nicht zuletzt diejenigen Staaten, die in der jüngeren Vergangenheit durch ein besonders aggressives Vorgehen gegen China aufgefallen sind: die USA, Australien und Japan. Eine führende Rolle in der IPAC spielen US-Abgeordnete, die sich seit längerer Zeit als antichinesische Hardliner profilieren: der Republikaner Marco Rubio und der Demokrat Bob Menendez. Zu den Ko-Vorsitzenden der IPAC zählen mit Margarete Bause und Reinhard Bütikofer zwei Politiker von Bündnis 90/Die Grünen; Bause ist als Bundestagsabgeordnete präsent, Bütikofer als Europaabgeordneter. Aus dem Bundestag ist neben Bause noch Michael Brand beteiligt, der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Typisch westliche Doppelstandards (I)
Ziel der IPAC ist es ausdrücklich, eine “koordinierte Antwort” auf den Aufstieg Chinas zu fördern.[2] Dabei verlangt der neue Zusammenschluss – gebildet aus transatlantischen Staaten und engen Verbündeten, Japan und Australien – von China die Wahrung von Normen, die die westlichen Mächte ihrerseits immer wieder gebrochen haben. So heißt es, man müsse dafür sorgen, dass die Volksrepublik “die Standards der internationalen Rechtsordnung” einhalte. Keine Rede ist von den völkerrechtswidrigen Kriegen gegen Jugoslawien (1999), den Irak (2003) oder Libyen (2011), die die westlichen Mächte in unterschiedlichen Konstellationen führten; IPAC-Gründungsmitglied Bütikofer etwa unterstützte den Krieg gegen Jugoslawien (1999) als politischer Geschäftsführer der damaligen Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen. Die IPAC erklärt zudem, man müsse dafür sorgen, dass China die WTO-Regeln einhalte. Die WTO-widrigen Praktiken der Trump-Administration bleiben unerwähnt. Zudem heißt es, man dürfe Beijing nicht erlauben, etwa durch Kredite die Souveränität der Empfängerländer zu kompromittieren. Über die Praxis des westlich dominierten Internationalen Währungsfonds (IWF), gegen den Willen seiner Kreditempfänger drakonische Austeritätsprogramme zu erzwingen, schweigt sich die IPAC aus.
“Endlich ein Sanktionsmechanismus”
Konkret zeichnet sich ab, dass die IPAC darauf zielt, die US-Sanktionspolitik gegen China in Europa durchzusetzen. Die US-Senatoren Rubio und Menendez sind die maßgeblich treibenden Kräfte bei der Einführung einschlägiger US-Gesetze, die unter dem Vorwand, gegen Beijings Vorgehen etwa in Hongkong und in Xinjiang einschreiten zu wollen, Strafmaßnahmen gegen die Volksrepublik ermöglichen. US-Präsident Donald Trump soll das Xinjiang betreffende Gesetz in Kürze unterzeichnen; das Hongkong betreffende Gesetz ist bereits seit November vergangenen Jahres in Kraft. Bütikofer hat sich unlängst dafür ausgesprochen, “endlich einen EU-weit vereinbarten globalen Sanktionsmechanismus” zu installieren, “um im Zweifelsfall Sanktionen wegen Menschenrechtsverstößen” gegen “chinesische Funktionsträger verhängen zu können”.[3] Dabei wählt die IPAC für ihre Einflussbemühungen den Weg über die Parlamente, wo es der US-Regierung noch nicht gelungen ist, andere Regierungen mit unmittelbarem Druck zu einer Übernahme ihrer Sanktionspolitik zu nötigen. Ein Beispiel für dieses Vorgehen bietet seit einiger Zeit Großbritannien, wo besonders US-nahe Tory-Hinterbänkler erbittert gegen die eigene Regierung opponieren, um die Entscheidung zur begrenzten Beteiligung von Huawei am Aufbau der britischen 5G-Netze zu revidieren. Die IPAC erlaubt es nun, derlei Praktiken auszuweiten.
Der Ex-Kolonialgouverneur und die Grünen
In Deutschland bildet Bündnis 90/Die Grünen eine tragende Säule dieser Politik. Das hat sich bereits kürzlich gezeigt, als der letzte britische Kolonialgouverneur von Hongkong, der ehemalige EU-Außenkommissar Chris Patten, einen Aufruf startete, der – Chinas neues Sicherheitsgesetz für Hongkong zum Anlass nehmend – ein gemeinsames Vorgehen der westlichen Staaten und ihrer Verbündeten gegen die Volksrepublik forderte. Auch dieser Aufruf zielt vor allem darauf ab, eine größtmögliche Zahl an Parlamentariern an den jeweiligen nationalen Regierungen vorbei für eine aggressive Konfrontationspolitik gegen Beijing zu mobilisieren. Er ist mittlerweile von 853 Politikern aus Europa, Nordamerika, Australien und Japan unterzeichnet worden, die meisten von ihnen Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten und dem Europaparlament. Der Aufruf des ehemaligen Kolonialgouverneurs hat eine besonders starke Zustimmung bei deutschen Grünen erhalten, die auf der Unterzeichnerliste neben Hardlinern der US-Rechten wie Marco Rubio oder Ted Cruz stehen.[4] Auch bei der IPAC spielt mit Bütikofer ein Grünen-Politiker eine führende Rolle. Der Leiter der China-Delegation des Europaparlaments hatte bereits im Februar am Rande der Münchener Sicherheitspolitik dafür plädiert, einen Transatlantic China Caucus zu bilden: Ziel sei es, Abgeordnete des US-Kongresses in einen engeren Kontakt mit dem Europaparlament zu bringen.[5] Die IPAC bindet nun zusätzlich diverse nationale Parlamente mit ein.
Typisch westliche Doppelstandards (II)
Die enge, auf den ersten Blick überraschende Zusammenarbeit deutscher Grüner mit Hardlinern vom rechten Flügel der US-Republikaner im Kampf gegen China hat Tradition. Schon seit vielen Jahren unterstützen deutsche Grüne ebenso wie US-Republikaner tibetische Milieus um den Dalai Lama, die zum Teil gewalttätig gegen Beijing opponieren – bis hin zur Forderung, Tibet von der Volksrepublik abzuspalten.[6] Auch im Protest gegen Beijings Vorgehen in Xinjiang stehen US-Republikaner und deutsche Grüne Seite an Seite – ein weiteres Beispiel für typisch westliche Doppelstandards: Während Chinas Kampf gegen den uigurischen Jihad in Xinjiang (german-foreign-policy.com berichtete [7]) aufs Schärfste attackiert wird, werden die massiven Verbrechen im westlichen “Anti-Terror-Krieg” nach dem 11. September 2001 – Verschleppung und Folter an Terrorverdächtigen – beschwiegen; in sie war auch die damalige deutsche Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen involviert [8]. Bütikofer wirkte damals – wie erwähnt – als politischer Geschäftsführer der Partei.
Beirat mit CIA-Karriere
Der erwähnten thematischen Agenda entspricht die Zusammensetzung des IPAC-Beirats. Ihm gehören unter anderem mehrere Aktivisten aus Hongkong an, darunter ein britischer Chirurg mit Erfahrung in Kriegs- und Konfliktgebieten [9], sowie einer der Vizepräsidenten des in München ansässigen World Uyghur Congress (WUC, german-foreign-policy.com berichtete [10]). IPAC-Beiratsmitglied Robert L. Suettinger wiederum arbeitete lange im Directorate of Intelligence der CIA.[11]
“Sicherheitsstrategien”
Den erklärten Zielen der IPAC lässt sich nicht zuletzt entnehmen, worauf der Zusammenschluss langfristig orientiert. Die “Demokratien”, erklärt die Organisation, müssten “Sicherheitsstrategien” gegen “Herausforderungen” durch die Volksrepublik entwickeln.[12] Das entspricht Überlegungen in transatlantischen Zirkeln, die NATO gegen China in Stellung zu bringen – explizit auch militärisch. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
Die Truppenreduzierungsdebatte (09.06.2020)
Berliner Regierungsberater: Washington könnte US-Stützpunkte in Europa schließen, um sich noch offensiver gegen China zu richten.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Berliner Regierungsberater weisen unabhängig vom jüngsten einschlägigen Vorstoß der Trump-Administration auf eine mögliche US-Truppenreduzierung in Deutschland hin. Weil die US-Wirtschaft in der Coronakrise stark einbreche und die US-Staatsschulden wohl auf deutlich mehr als 100 Prozent in die Höhe schnellen würden, sei damit zu rechnen, dass Washington in gewissem Maß militärpolitische Prioritäten setzen müsse, heißt es in einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die USA würden sich dann noch stärker als bisher auf den Machtkampf gegen China fokussieren und womöglich bei ihrer Präsenz in Europa Einsparungen vornehmen. Aktuell werden die diesbezüglichen Pläne der Trump-Administration sowohl in Washington als auch in Berlin scharf kritisiert. Würden sie umgesetzt, komme das einem “Geschenk an Putin” gleich, urteilen US-Politiker wie auch deutsche Militärs. Freilich wäre es für die USA nicht leicht, größere Reduzierungen in der Bundesrepublik vorzunehmen: Hiesige Militäreinrichtungen spielen für US-Kriege eine zentrale Rolle.
Kriegsdrehscheibe Deutschland
Die Pläne der Trump-Administration, die Zahl der in Deutschland stationierten US-Soldaten deutlich zu reduzieren, stoßen nach wie vor auf erbitterten Widerstand nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in der Bundesrepublik. Hintergrund für den Unmut in Washington ist, dass die US-Militärinfrastruktur in Deutschland erhebliche Bedeutung für die globalen Operationen der US-Streitkräfte besitzt. So sind Stuttgart sowohl das United States European Command (EUCOM) als auch das United States Africa Command (AFRICOM) angesiedelt. In Ramstein und im nahe gelegenen Landstuhl befinden sich die größte US-Luftwaffenbasis sowie das größte US-Militärkrankenhaus außerhalb der USA; während über Ramstein die meisten Transporte der US-Streitkräfte in die Einsatzgebiete in Afghanistan und im Irak abgewickelt werden, findet die Behandlung der dort verwundeten US-Soldaten oft in Landstuhl statt. Über Ramstein werden auch US-Drohnenoperationen gesteuert.[1] Das Hauptquartier der U.S. Army Europe ist in Wiesbaden-Erbenheim angesiedelt; dort sind, wie berichtet wird, “inzwischen auch wichtige Geheimdiensteinrichtungen” untergebracht.[2] Hinzu kommen mehrere große Militärlager (“Army Prepositioned Stock”, APS); das Army Depot in Miesau gilt als das größte US-Munitionslager außerhalb der USA.[3]
Gegen Russland
Erhebliche Bedeutung besitzt die US-Truppenpräsenz in Deutschland darüber hinaus für den Machtkampf gegen Russland. So hat Washington seit dessen Eskalation im Jahr 2014 nicht nur die US-Militäraktivitäten in Europa allgemein, sondern insbesondere auch diejenigen in Deutschland intensiviert.[4] Dazu zählt die Bestückung der APS-Lager mit Militärgerät für einen möglichen Krieg in Ost- und Südosteuropa gegen Russland ebenso wie die Ausweitung der Manövertätigkeit. Jüngstes Beispiel ist das Großmanöver Defender Europe 20, das die Verlegung von rund 20.000 US-Soldaten sowie von großen Mengen an Kriegsgerät über den Atlantik und den Weitertransport in Richtung russische Grenze proben sollte. Zwar musste es wegen der Covid-19-Pandemie unterbrochen werden, wird jetzt aber unter der Bezeichnung Defender 20-plus zumindest teilweise fortgeführt (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Vor diesem Hintergrund ist von Interesse, dass in Deutschland mehr US-Militärs stationiert sind als in jedem anderen Land außer Japan; zu den offiziell 34.500 US-Soldaten in der Bundesrepublik kommen rund 11.000 Zivilangestellte hinzu. Japan beherbergt dauerhaft mehr als 55.000 US-Militärs, während deren Zahl in Südkorea zuletzt um 2.000 gesunken ist – auf 26.000.
“Für Putin ein Geschenk”
Sowohl in Washington als auch in Berlin ruft speziellen Unmut hervor, dass die geplante US-Truppenreduzierung geeignet ist, den militärischen Druck auf Moskau abzuschwächen. Das liegt nicht nur am Abzug eines Teils der fest in der Bundesrepublik stationierten Einheiten, sondern auch daran, dass die Pläne der Trump-Administration zusätzlich eine Obergrenze für US-Truppen vorsehen, die sich gleichzeitig in der Bundesrepublik aufhalten – auch dann, wenn einige davon nur kurzfristig zu Manövern angereist sind. Die Obergrenze soll auf 25.000 festgelegt werden. Kommt es dazu, dann wären Kriegsübungen wie Defender Europe 20, zu denen Tausende US-Soldaten zusätzlich eingeflogen werden, nur noch mit erheblichen Einschränkungen möglich. Entsprechend dringen hochrangige US-Militärs darauf, die Pläne zur Truppenreduzierung nicht umzusetzen. Diese seien “eine Belohnung” für Moskau, urteilt exemplarisch Generalleutnant a.D. Frederick Ben Hodges, von Ende 2014 bis Ende 2017 Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa. Senator Jack Reed von den Demokraten erklärt, man tue mit ihnen “Putin einen Gefallen”.[6] In Berlin wurde der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul, mit der Äußerung zitiert, von Unstimmigkeiten im Westen, wie sie sich in den jüngsten US-Truppenreduzierungsplänen zeigten, profitierten “nur Russland und China”.[7] Auch General a.D. Hans-Lothar Domröse äußerte, das Vorhaben der Trump-Administration sei “für Putin ein großes Geschenk”.
“Es ist kompliziert”
Auch allgemein lassen Berliner Regierungspolitiker Unmut erkennen. Am gestrigen Montag wurde der Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit, Peter Beyer, mit der Äußerung zitiert: “Der Westen schwächt sich selbst”.[8] “Bei einer Scheidung” sei man zwar “noch nicht”: “Aber wir sind schon bei einer deutlich schlechteren Qualität des Miteinanders als früher.” Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bestätigte, Berlin sei nach wie vor nicht offiziell über die Washingtoner Pläne informiert worden: “Wir kennen nur die Informationen, die es aus der Presse gibt.”[9] Außenminister Heiko Maas hatte bereits am Wochenende erklärt, man lege im Grundsatz Wert auf die US-Truppenpräsenz: “Wir schätzen die seit Jahrzehnten gewachsene Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften. Sie ist im Interesse unserer beiden Länder”.[10] Jedoch gab sich auch Maas verärgert: “Wir sind enge Partner im transatlantischen Bündnis. Aber: Es ist kompliziert”.
“Noch mehr in Richtung China”
Bereits vor Beginn der aktuellen Debatte sind Berliner Regierungsberater zu dem Schluss gelangt, die Bundesregierung müsse mit der Möglichkeit einer US-Truppenreduzierung in Deutschland rechnen. Hintergrund ist, dass die Coronakrise die US-Wirtschaft massiv einbrechen lassen wird – und dass die US-Staatsschulden rapide in die Höhe schnellen werden. Wie es in einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, könne der US-Schuldenstand, der im vergangenen Jahr noch bei 79,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gelegen habe, bereits im kommenden Jahr auf 108,0 Prozent des BIP steigen. Zwar sei nicht damit zu rechnen, dass Washington größere Einschnitte im Militärhaushalt vornehmen werde. Doch könne sich wohl “die Einsicht” durchsetzen, “dass die USA sicherheits- und verteidigungspolitisch nicht mehr alles machen können und entsprechend Prioritäten setzen müssen”.[11] Insgesamt werde “der amerikanische Fokus” sich wohl “noch mehr in Richtung China und den Indo-Pazifik verlagern” – mit der Folge, dass woanders gekürzt werde: “Es ist gut möglich, dass Washington aufgrund der wirtschaftlichen Pandemie-Folgen dauerhaft in Europa stationierte Truppen reduzieren und gegebenenfalls einzelne Standorte schließen wird.”
Die Grünen erweisen sich einmal mehr als imperialistische Scharfmacher.
Digitaler Feldzug
US-Kurznachrichtendienst Twitter löscht massenhaft chinesischsprachige Profile. Druck westlicher Regierungen auf »soziale Netzwerke« steigt
Von Marc Püschel
Es ist erst wenige Wochen her, da übte der Kurznachrichtendienst Twitter zaghaft Kritik am US-Präsidenten Donald Trump: Seine Tweets vom 26. Mai wurden mit Warnhinweisen und Faktenchecks versehen. Die darauf folgenden Drohungen Trumps, gegen die sogenannten sozialen Netzwerke vorgehen zu wollen, scheinen den Kurznachrichtendienst wieder diszipliniert zu haben.
Symbolpolitik
Am vergangenen Donnerstag verkündete Twitter, es habe 170.000 Konten gelöscht, die Falschinformationen und »chinesische Staatspropaganda« verbreitet hätten. Dabei habe es sich um 23.750 sehr aktive und größtenteils chinesischsprachige Accounts gehandelt sowie weitere 150.000, die deren Nachrichten weiterverbreiteten. Ihr »Vergehen«: Sie hätten politische Darstellungen, die »günstig für die Kommunistische Partei Chinas« seien, und zugleich »trügerische Darstellungen der politischen Dynamik in Hongkong« verbreitet. Nähere Begründungen oder Nachweise lieferte der Konzern aus San Francisco in der auf dem hauseigenen Blog veröffentlichten Erklärung nicht.
Grundlage der Löschungen bildeten Untersuchungen des »Australian Strategic Policy Institute« (ASPI). Die Denkfabrik, die von sich selbst und westlichen Medien als »unabhängig« beschrieben wird, wurde 2001 von der australischen Regierung gegründet und finanziert sich zu großen Teilen mit Beiträgen des Verteidigungsministeriums und von Rüstungskonzernen wie Lockheed Martin. Die angeblich staatsnahen chinesischen Twitterprofile hatte ASPI anhand einer äußerst dünnen Datenbasis von nur 348.608 Tweets im Zeitraum zwischen Januar 2018 und April 2020 identifiziert. Auf jeden entfernten Account kommen also durchschnittlich zwei analysierte Tweets. Die auf der Website von ASPI vorgestellte Studie weist außerdem darauf hin, dass 78,5 Prozent der gelöschten Accounts keinen einzigen und 95 Prozent weniger als acht Follower hatten. Das Institut kommt selbst zu dem Schluss, dass die Accounts einen »relativ niedrigen Einfluss auf der Plattform« hatten.
Ob hinter den Accounts überhaupt eine gezielte Strategie oder ein Netzwerk mit computergesteuerten Bots steckt, bleibt daher unklar. Zudem ist die Behauptung von Twitter und ASPI, mit den Konten hätten gezielt chinesische Bürger beeinflusst werden sollen, angesichts des geringen Verbreitungsgrad des »sozialen Netzwerks« selbst bei im Ausland lebenden Chinesen zweifelhaft. Die aktuelle Löschkampagne ist in erster Linie als Symbolpolitik zu werten. Jedoch zeigt sich die politische Befangenheit des US-Konzerns in der ausbleibenden Reaktion auf vergleichbare Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen.
Jüngst hatte das »Centre for Responsible Technology« der australischen Denkfabrik Australia Institute eine Studie über die koordinierte Verbreitung falscher Behauptungen über das Coronavirus auf Twitter vorgelegt. Laut der britischen Tageszeitung The Guardian, die Ende Mai als einzige westliche Zeitung darüber berichtete, entdeckten die Forscher eine von mehreren tausend Accounts ausgehende »koordinierte Bemühung, die Verschwörungstheorie zu fördern, dass Covid-19 eine von China entwickelte Biowaffe sei«. Sie sei hauptsächlich von US-republikanischen und anderen Pro-Trump-Bots ausgegangen. Die Analyse von 2,6 Millionen Tweets und 25 Millionen Retweets in den letzten Monaten zeigte auch eine gezielte Verbreitung von Verschwörungsmythen zu William »Bill« Gates und dem Mobilfunkstandard »5 G«. Eine Antwort oder Löschung dieser Netzwerke seitens Twitter steht noch aus.
Politische Anpassung
Die prinzipielle Bereitschaft des Unternehmens, sich auf die Seite der US-Regierung zu stellen, zeigen auch vorangegangene Versuche, unliebsame englischsprachige Accounts zu sperren. Davon betroffen war vor allem das »Qiao Collective«, eine Gruppe von Auslandschinesen, die über den US-Imperialismus aufklären. Ihre Sperrung am 4. Juni musste ein paar Tage später von Twitter rückgängig gemacht werden, nachdem über 1.000 Journalisten, Professoren, Studenten und Aktivisten in einem offenen Brief protestiert hatten.
Der Konflikt der »sozialen Netzwerke«, zwischen ihrem wirtschaftlichen Ziel, möglichst viele Nutzer zu behalten, und politischer Anpassung wird sich in Zukunft verstärken. Der Druck der westlichen Regierungen auf Facebook und Co. nimmt mit entsprechenden Regulationen zu. Erst vergangene Woche kündigte die EU-Kommission an, von den Internetkonzernen die Herausgabe monatlicher Berichte zum Vorgehen gegen Desinformation verlangen zu wollen.
“China bleibt Partner” (12.06.2020)
Die deutsche Wirtschaft dringt auf den Ausbau ihres Chinageschäfts und warnt vor einseitiger Konflikteskalation.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Begleitet von Warnungen der deutschen Industrie bemüht sich die Bundesregierung trotz des eskalierenden Konflikts mit China um die weitere Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Land. Deutschland habe ein Interesse an “stabilen bilateralen Austauschbeziehungen”, hieß es gestern nach einer Videokonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang. Kurz zuvor hatte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dieter Kempf, geäußert: “China mag ein systemischer Rivale sein – es bleibt ein wichtiger Partner für die EU und für Deutschland.” Ursache ist das unverminderte Interesse deutscher Unternehmen nicht nur am riesigen chinesischen Absatzmarkt, sondern auch daran, in der Volksrepublik produzieren zu können: Das Wirtschaftsumfeld dort gilt als außerordentlich forschungs- und innovationsfreundlich – bei weiterhin vergleichsweise niedrigem Lohnniveau. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärt, man könne “keine multilaterale Welt schaffen, ohne dass China daran teilnimmt”.
Im Kampf gegen die Krise
Chinas aktuelle Bedeutung für die deutsche Industrie im Kampf gegen die Coronakrise lässt sich der am Dienstag veröffentlichten deutschen Außenhandelsstatistik für April entnehmen. Im April brachen die deutschen Exporte insgesamt gegenüber dem Vorjahresmonat um 31,3 Prozent auf einen Wert von 75,7 Milliarden Euro ein; einen solchen Kollaps hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegenben. Die Ausfuhren in andere EU-Länder stürzten um 34,8 Prozent ab, die Ausfuhren in die Vereinigten Staaten um 35,8 Prozent, diejenigen nach Italien um 40,1 und diejenigen nach Frankreich sogar um 48,3 Prozent. Die Exporte nach China hingegen gingen nur um 12,6 Prozent zurück; niedrigere Einbrüche verzeichneten sonst lediglich die Ausfuhren in die Türkei und in einige wenige, meist sehr kleine Länder, die wirtschaftlich für die deutsche Industrie nicht ins Gewicht fallen.[1] In der Volksrepublik lief die Wirtschaft schon im Mai zwar noch nicht gänzlich rund, aber doch deutlich besser als in Westeuropa sowie in den Vereinigten Staaten; manche deutschen Konzerne, so zum Beispiel Adidas und Kfz-Produzenten, konnten schon im Mai wieder ein Umsatzwachstum in China erzielen. Der chinesische Markt schaffe vor allem für deutsche Fahrzeughersteller Chancen, urteilt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer: Sie seien dort deutlich besser aufgestellt als “die europäischen Mitbewerber”, während die US-Konkurrenz “im politischen Chaos” versinke und in diesem Jahr vermutlich “auf keinen grünen Zweig mehr” komme.[2]
Im Kampf um den Zukunftsmarkt
Neben der kurzfristigen besitzt China ungeachtet aller globalen politischen Machtkämpfe auch langfristig hohe Bedeutung für die deutsche Industrie. Dies bestätigt eine aktuelle Umfrage, die die EU-Handelskammer in China am Mittwoch vorstellte. Demnach investieren deutsche Unternehmen in der Volksrepublik nicht nur, weil diese einen riesigen Absatzmarkt darstellt: Von den rund 1,4 Milliarden Chinesen werden inzwischen – nach unterschiedlichen Schätzungen – 400 bis 700 Millionen den Mittelschichten zugerechnet; Beijings erfolgreicher Kampf gegen die Armut bringt aus Sicht westlicher Unternehmen zahlenstarke kaufkräftige Mittelschichten hervor. Zum Vergleich: Die EU-Länder zählen aktuell zusammengenommen rund 450 Millionen Einwohner, die Vereinigten Staaten knapp 330 Millionen. Hinzu kommt der Umfrage zufolge vor allem, dass China mittlerweile aus Sicht europäischer Unternehmen ein zunehmend forschungs- und innovationsfreundliches Wirtschaftsumfeld aufweist. 38 Prozent der befragten Firmen urteilten, das Land habe diesbezüglich bereits das globale Durchschnittsniveau erreicht; 40 Prozent stuften es gar oberhalb des globalen Durchschnitts ein. Weit überwiegend positiv bewertet wurden außerdem der Zugang ausländischer Unternehmen zu Forschungs- und Entwicklungszuschüssen, die Produktivität chinesischer Forschungsteams sowie die Verfügbarkeit hochqualifizierten Arbeitspersonals – dies bei im Weltmaßstab weiterhin niedrigem Lohnniveau.[3]
Optimistische Prognosen
Dabei hat sich das Geschäftsklima in der Volksrepublik schon im vergangenen Jahr aus der Sicht europäischer Unternehmen kontinuierlich verbessert. Dies belegen die Detailergebnisse der Umfrage, die im Februar erhoben wurde; die Coronakrise spiegelt sich in ihnen noch kaum wider. Demnach gaben sich nur 17 Prozent der befragten Unternehmer bezüglich des Wachstums ihrer Firma in China pessimistisch, 48 Prozent hingegen optimistisch; nur 17 Prozent klagten über Umsatzeinbußen. 41 Prozent waren mit Beijings jüngsten Schritten zur Marktöffnung zufrieden, mehr denn je seit 2015. Die Zahl der Unternehmen, die sich im Vergleich zu chinesischen Firmen benachteiligt fühlten, lag – nach 57 Prozent im Jahr 2016 – nur noch bei 40 Prozent; hinzu kamen zehn Prozent, die ausländische Unternehmen sogar im Vorteil sahen. 23 Prozent fanden, sie seien einheimischen Firmen schon jetzt faktisch gleichgestellt; 12 Prozent meinten, dies werde in spätestens zwei Jahren erreicht sein, während 22 Prozent vermuteten, dies könne noch bis zu fünf Jahre dauern. Nur elf teilten mit, sie zögen eine Verlagerung ihrer Investitionen aus der Volksrepublik in andere Länder in Betracht – der niedrigste Wert seit 2016. Eine Zusatzumfrage, erhoben nach der Eskalation der Coronakrise, zeigte, dass zwar 41 Prozent sich veranlasst sahen, ihre Investitionspläne zu überdenken; allerdings ging es lediglich vier Prozent um einen etwaigen Wegzug aus China. Als größte Bedrohung für das Geschäft wurde außer der Coronakrise der US-Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik eingestuft.[4]
Gleichstellung angestrebt
Um die Bedingungen für Unternehmen aus der EU weiter zu verbessern und nach Möglichkeit vollständige Gleichstellung mit einheimischen Firmen zu erreichen, strebt Brüssel den Abschluss eines neuen Investitionsabkommens mit Beijing an. Ursprünglich war geplant, das Abkommen auf einem EU-China-Gipfel zu unterzeichnen, der für den 12. September in Leipzig vorgesehen war. Der Gipfel ist nun allerdings verschoben worden – offiziell wegen der Covid-19-Pandemie, doch heißt es, eine Rolle gespielt habe auch, dass das Abkommen noch längst nicht unterschriftsreif sei. Am Dienstag hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Druck zu erhöhen versucht und Beijing nicht nur unzureichenden Willen zur Einigung vorgeworfen, sondern auch einen Verstoß gegen Absprachen aus dem vergangenen Jahr.[5] Zudem hat die EU-Handelskammer in China den Außenbeauftragten zu unterstützen versucht, indem sie die erwähnte Umfrage dahingehend interpretierte, die Ungewissheit für Firmen aus der EU in China sei so groß “wie seit Generationen nicht mehr”: Sie “tappen im Dunkeln”, klagte die Vizepräsidentin der Handelskammer, Charlotte Roule.[6] Ihre taktische Rückendeckung für Borrell deckt sich freilich nicht wirklich mit den tatsächlichen Resultaten der Umfrage.
“Keine multilaterale Welt ohne China”
In einer Videokonferenz mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am gestrigen Donnerstag gleichfalls über das geplante Investitionsabkommen verhandelt. Dabei habe sie, teilte das Bundespresseamt anschließend mit, Deutschlands Interesse nicht nur “an regelbasiertem und freiem multilateralem Handel” unterstrichen, sondern auch “an stabilen bilateralen Austauschbeziehungen” [7]: eine Absage nicht nur an den wirtschaftspolitischen Kurs der Vereinigten Staaten, sondern auch an Überlegungen, die US-Sanktionspolitik gegenüber China in der EU zu übernehmen, wie sie kürzlich der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen) geäußert hatte (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Freilich hält der Druck vor allem transatlantischer Kreise, die Chinas Aufstieg stoppen wollen und deshalb ökonomische Zwangsmaßnahmen gegen die Volksrepublik fordern – zumindest einen Boykott des High-Tech-Konzerns Huawei -, an. Der Versuch, beides zu verbinden – den Einsatz für Interessen vor allem deutscher Unternehmen in China und den Kampf gegen den Aufstieg der Volksrepublik -, führt für die EU dabei zu immer größeren Schwierigkeiten. So hieß es am Dienstag, ein Treffen zwischen Borell und dem chinesischen Außenminister Wang Yi sei “sehr offen und freimütig” gewesen; dies ist die diplomatische Formulierung für schwere Differenzen.[9] Zugleich sah sich Borrell aber zu einer Relativierung gezwungen. Befragt, was es bedeute, dass die EU die Volksrepublik als “strategischen Rivalen” einstufe, erklärte der EU-Außenbeauftragte, Brüssel glaube nicht, “dass China den Weltfrieden bedroht”; vielmehr gelte: “Man kann keine multilaterale Welt schaffen, ohne dass China daran teilnimmt.”
EU geeint gegen China
»Weißbuch« der Kommission sieht strenge Maßnahmen gegen Firmenübernahmen vor
Von Jörg Kronauer
Die EU-Kommission bereitet neue Maßnahmen zur Abwehr chinesischer Investoren vor. Am morgigen Mittwoch soll Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ein »Weißbuch für faire Wettbewerbsbedingungen in bezug auf ausländische Subventionen« vorstellen: Es zielt darauf ab, Übernahmen europäischer Firmen durch Konzerne aus Drittstaaten zu erschweren. Damit sind, wenngleich sie nicht ausdrücklich genannt werden, Konzerne aus China gemeint. Nach Berichten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und des Handelsblatts vom Montag sollen in Zukunft Übernahmen ab 35 Prozent der Anteile von Firmen in der EU in Brüssel penibel geprüft werden. Gegenstand der Untersuchung soll sein, ob der übernahmewillige Drittstaatskonzern zu Hause Subventionen von der Regierung erhalten hat, die ihm einen Vorteil bei der Übernahme verschaffen. Generell schlägt die Kommission als Schwelle für ein solches Verfahren Zuwendungen in Höhe von umgerechnet zehn Millionen Euro im Verlauf der vergangenen drei Jahre vor. Unter Umständen soll Brüssel aber bereits bei Subventionen im Wert von 200.000 Euro einschreiten können. Der Begriff ist dabei weit gefasst und beinhaltet etwa auch zinslose Kredite, Staatsgarantien oder Steuervorteile.
Offiziell heißt es in Brüssel, man wolle mit der neuen Maßnahme strategisch wichtige, aber durch die Coronakrise geschwächte Unternehmen aus der EU vor einem feindlichen Zugriff auswärtiger Rivalen schützen. Tatsächlich dringen maßgebliche Kräfte in der Union schon seit vergangenem Jahr auf eine strikte Kontrolle chinesischer Komplett- und Teilübernahmen. Zuletzt forderten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sowie seine Amtskollegen aus Frankreich, Italien und Polen in einem gemeinsamen Schreiben die zuständige Kommissarin Vestager Anfang Februar auf, dazu geeignete wettbewerbspolitische »Instrumente« zu schaffen. Das »Weißbuch«, das sie morgen präsentieren wird, soll jetzt von den Mitgliedstaaten kommentiert werden, bevor der Kern in Gesetzesvorhaben gegossen wird. Maßgebliche Widerstände sind nicht zu erkennen. Selbst aus Staaten wie den Niederlanden, die bislang offene Märkte tendenziell über alles stellten, zeichnet sich Berichten zufolge, da es gegen China geht, Zustimmung ab.
Die Abwehrmaßnahmen erfolgen zu einem Zeitpunkt, zu dem die chinesischen Investitionen in der EU längst im Rückgang begriffen sind. 2016 hatten sie einen Höhepunkt erreicht, zwei Jahre später lagen noch bei einem Volumen von 18 Milliarden Euro und gingen 2019 auf rund zwölf Milliarden zurück, in etwa so viel wie 2013. Die Zahlen schließen Investitionen in Großbritannien, das inzwischen die EU verlassen hat, noch ein.
Unterdessen wächst Chinas Industrieproduktion weiter, wenngleich in etwas geringerem Umfang, als manche Beobachter vermutet hatten. War sie im April um knapp vier Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gestiegen – das erste Plus seit Beginn der Coronakrise –, nahm sie im Mai um 4,4 Prozent zu. Zuvor war über einen Anstieg von sogar fünf Prozent spekuliert worden. Allerdings hängt die chinesische Produktion in vielen Fällen vom Export nach Europa und Nordamerika ab; dort führt die Coronakrise aber bekanntlich zu enormen Einbrüchen.
Man kann so richtig zuschauen, wie sich die EU selber das Wasser abgräbt. Keine Gegner könnten das besser, was die gewählten Repräsentanten dieses imperialistischen Staatenbündnisses zuwege bringen.
Das Problem mit den Firmenübernahmen entsteht ja nur dadurch, daß die EU sich die Privatisierung von allem und jedem auf die Fahnen geschrieben hat und deshalb die Möglichkeit, für die Volkswirtschaften notwendige Industrien durch Staatsintervention und mit Staatsknete zu betreiben, ausschließt.
So können Schlüsselindustrien und Infrastruktur nach Weißgottwo ausgelagert oder große EU-Multis von Nicht-EU-Kapital übernommen werden.
Ohne Huawei geht’s nicht
Washington erlaubt US-Firmen Kooperation mit Chinas Netzwerkausrüster bei 5G-Ausbau
Die US-Regierung ändert ihre bisherigen Vorschriften für einheimische Unternehmen zum Umgang mit dem chinesischen Netzwerkausrüster Huawei. Dies bestätigte Handelsminister Wilbur Ross in einer Mitteilung an Reuters, nachdem die international operierende Nachrichtenagentur am Montag über entsprechende Planungen berichtet hatte. Mit der Angelegenheit vertraute Personen hatten die Journalisten informiert, die Vorschriften würden angepasst, damit US-Firmen bei der Ausarbeitung von Standards für Netzwerke der fünften Generation (5G) kooperieren dürften. Das US-Handelsministerium und andere Behörden hätten das veränderte Regelwerk bereits unterzeichnet.
US-Präsident Donald Trump hatte Mitte Mai faktisch für ein weiteres Jahr Geschäfte mit den chinesischen Technologiekonzernen Huawei und ZTE untersagt. Er verlängerte damals ein im Mai 2019 unterzeichnetes Dekret, mit dem er einen »Nationalen Notstand« ausgerufen und Geschäfte zwischen US-Unternehmen und ausländischen Konzernen verboten hatte, die »die nationale Sicherheit der USA gefährden könnten«.
Trumps Regierung wirft Huawei vor, über dessen Technik die Überwachung durch den chinesischen Staat zu ermöglichen – was im Selbstverständnis Washingtons nur den USA zusteht. Der Präsident forderte deshalb den Ausschluss des Konzerns vom Aufbau der Funknetze für den schnelleren Mobilfunkstandard 5G. Außerdem machte Trump Druck auf andere »befreundete« Wirtschaftspartner, insbesondere die Europäische Union, sich diesen Maßnahmen anzuschließen.
Dummerweise sind die Huawei-Konkurrenten aus den USA und der EU, allen voran die finnische Nokia-Gruppe, technologisch wohl nicht auf dem Stand des chinesischen Unternehmens. Zwar habe Nokia einem Bericht des Onlineportals Capital vom Dienstag zufolge die meisten Aufträge für den 5G-Netzausbau akquirieren können, deren Volumen liege allerdings deutlich hinter denen von Huawei.
Wirtschaft und vor allem Internetkonzerne drängen auf den schnellen Ausbau der Netze. Doch nach wie vor gibt es erhebliche Vorbehalte und zum Teil militanten Widerstand gegen diese Pläne. Die extrem hochfrequente Strahlung und deren notwendige Intensität haben bei vielen Menschen Befürchtungen für die Gesundheit der dem ausgesetzten Personen geweckt. Auch in der Bundesrepublik wurden bereits Sendemaste offenbar aus diesen Beweggründen von Unbekannten zerstört.
Huaweis technologischer Vorsprung dürfte einer der Hauptgründe sein, warum die US-Regierung bisher äußerst aggressiv gegen das Unternehmen vorgegangen ist. Die »nationale Sicherheit« wirkt dabei eher vorgeschoben, wenn ein gefährlicher Konkurrent technologisch zu enteilen droht. Um weiter im Rennen zu bleiben, dürfte es für Nokia, Ericsson (Schweden), Cisco (USA) usw. zwingend sein, sich mit Huawei zumindest auf gemeinsame Standards zu einigen. (Reuters/jW)
Beijing verurteilt Provokation
Zusammenstöße im Himalaja nach Grenzverletzung indischer Truppen. Mehrere Todesopfer
Von Matthias István Köhler
Beijing hat der indischen Armee »illegale Aktivitäten und provozierende Attacken« auf chinesische Soldaten im Galwantal vorgeworfen. Der Sprecher des Außenministeriums Zhao Lijan erklärte laut der chinesischen Tageszeitung Global Times am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Beijing, die indischen Truppen hätten am Montag zweimal die Grenze übertreten. Im Anschluss sei es zu »schweren körperlichen Auseinandersetzungen« gekommen.
Zhao reagierte damit auf indische Medienberichte vom Dienstag, laut denen es bei dem Zusammenstoß drei Tote auf indischer Seite gegeben habe. Ein Sprecher der indischen Armee teilte am Dienstag in Neu-Delhi mit, es habe Opfer auf beiden Seiten gegeben, was aus Beijing allerdings nicht bestätigt wurde. Nach Angaben des indischen Armeesprechers kamen nach dem Zwischenfall ranghohe Offiziere beider Seiten zusammen, »um die Lage zu entschärfen«.
China und Indien teilen sich eine circa 3.500 Kilometer lange Grenze. Im Galwantal im Himalaja ist der Verlauf bis heute umstritten. In den vergangenen Wochen waren auf beiden Seiten die Truppen verstärkt worden, es kam vermehrt zu Zwischenfällen. Am 7. Juni hatte das Außenministerium in Neu-Delhi noch erklärt, dass man sich auf eine »friedliche Beilegung« des Streits geeinigt habe. Nach einem Treffen hochrangiger Armeevertreter sei eine Fortsetzung der »militärischen und diplomatischen Verpflichtungen« vereinbart worden, »um Frieden und Sicherheit in den Grenzgebieten« zu gewährleisten. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums forderte Indien am Dienstag auf, diese Vereinbarungen einzuhalten.
Die indische Regierung unter dem Hindunationalisten Narendra Modi hatte in den vergangenen Monaten auch mit Nepal und Pakistan Grenzstreitigkeiten provoziert. Pakistans Ministerpräsident Imran Khan beschwerte sich bereits am 27. Mai über den Kurznachrichtendienst Twitter, die Regierung Modi sei mit ihrer »arroganten expansionistischen Politik« eine »Gefahr für Indiens Nachbarn«.
Der Modi denkt sich offenbar: Alle schießen sich auf China ein, vielleicht kann man das für eine kleine Offensive nutzen, mit Rückenwind aus dem Westen.
Gelegenheit macht Diebe.
Außerdem ist er spätestens seit der mißglückten Bargeldreduzierung vor 3 oder 4 Jahren eher unpopulär und schlägt deshalb auf die nationale Pauke. Die Coronakrise hat da natürlich auch noch dazu beigetragen.
Zum Stand der Bargeldabschaffung finde ich auf die Schnelle nix, wäre aber interessant.
Beijing fordert Untersuchung
Nach Zusammenstoß an chinesisch-indischer Grenze: Einigung auf »Dialog«. Wille zu Frieden bekräftigt
Von Matthias István Köhler
Chinas Außenminister Wang Yi hat seinen indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar am Mittwoch aufgefordert, den Zusammenstoß vom Montag in der Grenzregion im Himalaja untersuchen zu lassen. Wang erklärte gegenüber Indiens Außenminister laut der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua in einem Telefongespräch, die Verantwortlichen müssten bestraft werden. Außerdem sollten sich die indischen Streitkräfte zurückziehen, um jegliche Provokationen zu verhindern. Neu-Delhi müsse sicherstellen, dass sich ähnliche Vorfälle nicht wiederholen.
Am Montag war es im Galwantal an der Grenze zwischen Indien und China im Himalaja zu Zusammenstößen von Truppen gekommen. Laut chinesischen Experten handelte es sich dabei um die »schwierigste Situation« an der Grenze in den vergangenen Jahrzehnten, wie die chinesische Tageszeitung Global Times berichtete. Nach Angaben der indischen Armee vom Dienstag abend seien mindestens 20 ihrer Soldaten gestorben. Aus Beijing gibt es bislang keine Angaben zu Opfern. In den vergangenen Wochen waren auf beiden Seiten die Truppen verstärkt worden, es kam vermehrt zu Zwischenfällen.
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Zhao Lijan erklärte am Mittwoch in Beijing, die Volksrepublik und Indien würden sich über »diplomatische und militärische Kanäle« zum Konflikt an der Grenze verständigen. Beide Länder hätten ihre Verpflichtung zum Ausdruck gebracht, das »Problem durch Dialog zu lösen« und »Frieden und Ruhe in den Grenzgebieten aufrechtzuerhalten«. China und Indien hätten als die »beiden größten Entwicklungsländer« weit mehr gemeinsame Interessen als Unterschiede, so Zhao.
Die KP Indiens (Marxist) bedauerte am Dienstag in einer Stellungnahme, dass sich die »Konfrontation« trotz des bereits angestoßenen »Deeskalationsprozesses« ereignet habe. Es brauche nun Verhandlungen auf höchster Ebene zwischen Neu-Delhi und Beijing, »um Frieden und Stabilität an der Grenze zu wahren«, zitierte die lateinamerikanische Nachrichtenagentur Prensa Latina aus der Stellungnahme.
Washingtons Zeigefinger
Uiguren als Vorwand: USA verabschieden neue Strafmaßnahmen gegen China. Beijing kündigt Gegenwehr an
Von Jörg Kronauer
US-Präsident Donald Trump hat am Mittwoch (Ortszeit) das nächste Sanktionsgesetz gegen China unterzeichnet. Der »Uyghur Human Rights Policy Act«, im Mai von beiden Parteien im US-Kongress mit nur einer Gegenstimme verabschiedet, sieht insbesondere Sanktionen gegen chinesische Politiker vor, darunter mit Chen Quanguo, dem Parteisekretär von Xinjiang, zum ersten Mal gegen ein Mitglied des Politbüros. Washington, dessen weltweite Verbrechen in seinem »Antiterrorkrieg« nach dem 11. September 2001 bis heute straflos geblieben sind, begründet die Sanktionen mit dem harten Vorgehen der chinesischen Behörden gegen den uigurischen Dschihad. Trump, der ankündigte, seine Administration werde »Menschenrechtsverletzer« jetzt zur Rechenschaft ziehen, kann die Zwangsmaßnahmen nun jederzeit konkret in Kraft setzen – zusätzlich zu den Sanktionen, die er vor kurzem in Reaktion auf das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong angekündigt hat.
Während das chinesische Außenministerium umgehend ankündigte, Beijing werde bei Inkrafttreten der neuen Sanktionen »entschlossen Widerstand leisten«, kamen ebenfalls am Mittwoch (Ortszeit) US-Außenminister Michael Pompeo und Chinas Spitzendiplomat Yang Jiechi zu einem ausgedehnten Gespräch auf Hawaii zusammen. Pompeo erhielt Unterstützung durch die G-7-Außenminister – darunter Heiko Maas –, die in einer gemeinsamen Erklärung Kritik an dem neuen Sicherheitsgesetz für Hongkong übten und Beijing aufforderten, seine »Entscheidung noch einmal zu überdenken«. Detaillierte Ergebnisse des Gesprächs zwischen Yang und Pompeo sind nicht bekannt. Der US-Außenminister teilte anschließend mit, Washington bestehe in den bilateralen Beziehungen auf »voller Gegenseitigkeit«, diplomatisch sowie militärisch; freilich ist nicht ganz klar, was das bedeutet, da Pompeo Beijing wohl kaum zur Verhängung von Gegensanktionen oder zum Abhalten von Militärübungen nahe der US-Küsten aufgefordert haben wird. Chinas Nachrichtenagentur Xinhua wiederum berichtete, man habe sich geeinigt, den »Konsens« zu wahren, den Trump und Xi zuletzt erreicht hätten.
Tatsächlich hält die Volksrepublik die Bestimmungen des »Phase-1-Deals«, den Trump und Xi im Januar in aller Form besiegelt haben und der im Februar in Kraft getreten ist, bislang im Kern ein – im Kern, weil die Covid-19-Pandemie und US-Zwangsmaßnahmen einen Teil davon hinfällig werden ließen. So hat Beijing zwar die Einfuhr etwa von US-Sojabohnen erhöht – freilich pandemiebedingt nicht ganz im geplanten Umfang –, kann aber nichts daran ändern, dass Trumps Ankündigung, chinesischen Studenten mit Beziehungen zum Militär Visa zu verweigern, die Einnahmen von US-Universitäten aus chinesischen Studiengebühren empfindlich reduzieren wird. Ende vergangener Woche haben die chinesischen Behörden, wie im Phase-1-Deal zugesagt, mit American Express einer ersten US-Kreditkartenfirma grünes Licht für die Zahlungsabwicklung in Yuan gegeben. Visa und Mastercard hoffen ebenfalls auf die entsprechende Genehmigung.
Mit seinen Zugeständnissen an US-Konzerne und Farmer stärkt Beijing das Interesse von Teilen der US-Wirtschaft an einer Eingrenzung der Konflikteskalation zu einem Zeitpunkt, an dem Washington nicht nur politisch, sondern auch militärisch immer heftiger provoziert. In den vergangenen Tagen haben – zusätzlich zu den bestehenden Spannungen – US-Militärjets über Taiwan und der Taiwanstraße für weiteren Konfliktstoff und gefährliche Flugmanöver gesorgt.
Der Blick der NATO nach Ostasien (19.06.2020)
Das westliche Bündnis bringt sich stärker gegen China in Stellung. US-Experten fordern NATO-Operationen im Pazifik.
BERLIN/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Die NATO soll ihre Militärübungen und Operationen systematisch in die Asien-Pazifik-Region ausweiten: Dies fordert ein Experte des Washingtoner Think-Tanks Atlantic Council. Hintergrund ist die zunehmende Debatte darum, wie sich das westliche Kriegsbündnis gegen China in Position bringen soll. Die Volksrepublik sei “präsent in der Arktis, in Afrika und im Mittelmeer”, urteilt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg; darauf müsse man reagieren. In Think-Tanks heißt es, man solle chinesische Investitionen in die europäische Infrastruktur schärfer kontrollieren; “zivile Straßen, Häfen und Bahnstrecken”, an deren Ausbau die Volksrepublik sich beteilige, seien schließlich “ein wesentlicher Teil der NATO-Pläne für die militärische Mobilisierung”. Zudem stärkt die NATO ihre Beziehungen zu “Globalen Partnern” wie Japan, Südkorea und Australien. Am gestern beendeten Treffen der NATO-Verteidigungsminister nahm erstmals deren Amtskollege aus Australien vollumfänglich teil. Der Atlantic Council verlangt auch den Aufbau eines militärischen NATO-Hauptquartiers in der Asien-Pazifik-Region.
Die globale Machtbalance
Eine stärkere Fokussierung der NATO auf die Rivalität mit China ist in jüngster Zeit immer öfter gefordert worden. Ende vergangener Woche etwa erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er sei über das Land “besorgt”.[1] “Der Aufstieg Chinas verändert fundamental die globale Machtbalance”, erläuterte Stoltenberg: Die Volksrepublik sei “präsent in der Arktis, in Afrika und im Mittelmeer”; sie investiere “massiv in kritische Infrastruktur in Europa” und sei “eine feste Größe im Cyberraum”. Zudem stecke Beijing viel Geld sowie Energie “in Nuklearwaffen und Langstreckenraketen, die Europa erreichen können”: “Die Nato-Verbündeten müssen sich gemeinsam dieser Herausforderung stellen.” Dass China laut dem Forschungsinstitut SIPRI aus Stockholm mit 320 Stück lediglich einen Bruchteil der Atomwaffen der Vereinigten Staaten (5.800) und Russlands (6.375) besitzt und weniger als die beiden NATO-Atommächte in Europa zusammen (Frankreich: 290; Großbritannien: 215), ließ Stoltenberg unerwähnt.[2] Allerdings räumte er ein, kein Land werde von Beijing “unmittelbar bedroht”.
Die militärische Funktion ziviler Infrastruktur
Überlegungen, wie sich die NATO konkret gegen China in Stellung bringen könne, werden seit geraumer Zeit in außenpolitischen Think-Tanks angestellt. Ein aktuelles Papier, das vom German Marshall Fund (GMF) in Umlauf gebracht worden ist, hebt dabei unter anderem auf chinesische Investitionen in die europäische Infrastruktur ab. Der Sache nach geht es um Investitionen etwa in Häfen wie im griechischen Piräus und in Eisenbahnlinien wie die Zugstrecke von Belgrad nach Budapest, deren ungarisches Teilstück ein NATO-Mitglied direkt betrifft. “Zivile Straßen, Häfen und Bahnstrecken sind ein wesentlicher Teil der NATO-Pläne für die militärische Mobilisierung”, heißt es in dem Papier; deshalb hätten “chinesische Investitionen” in sie “unmittelbare Folgen für die Sicherheit der Allianz”.[3] Chinesische Unternehmen hätten etwa “in zwölf Häfen in sieben NATO-Ländern investiert, die Schlüsselbedeutung für die militärische Mobilisierungsplanung im Osten, Süden und Südosten der NATO besitzen”, heißt es weiter. Die NATO müsse daher dazu beitragen, “Schlüsselkriterien für auswärtige Direktinvestitionen in Bereiche mit ziviler wie auch militärischer Anwendung” festzulegen. Konkret sei auch “der Schutz und die Unversehrtheit digitaler Information” für die NATO von Bedeutung. Die Aussage zielt erkennbar auf die Debatte um die Nutzung von Huawei-Technologie beim aktuellen Aufbau der 5G-Netze in Europa ab.[4]
Ein NATO-China-Rat
Weiterreichende Überlegungen hat kürzlich der Atlantic Council angestellt. Die NATO sei längst über ihr eigentliches transatlantisches Bündnisgebiet hinausgewachsen, urteilt Ian Brzezinski von der Transatlantic Security Initiative des Washingtoner Think-Tanks: Sie habe Einsätze etwa in Afghanistan, am Horn von Afrika und im Mittleren Osten absolviert; sie habe außerdem “Globale Partnerschaften” mit Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland und der Mongolei geschlossen. Sie habe daher allen Anlass, sich auch mit China zu befassen. Ein erster Schritt könne die Gründung eines NATO-China-Rats nach dem Vorbild des NATO-Russland-Rats sein. Folgt man Brzezinski, dann zielt das Vorhaben insbesondere darauf ab, die europäischen NATO-Mitglieder fest an die Chinapolitik der Vereinigten Staaten zu binden: In einem NATO-China-Rat, schreibt der Experte, seien die Bündnismitglieder gezwungen, sich gegenüber Beijing “auf koordinierte Weise” zu positionieren; eine derartige Institution könne deshalb “unterstreichen”, dass sich im derzeitigen globalen Machtkampf nicht nur “China und die USA” gegenüberständen, “sondern China und die transatlantische Gemeinschaft”.[5]
NATO-Operationen im Pazifik
Vor allem aber schlägt Brzezinski vor, die NATO solle ihre militärischen Aktivitäten in die Asien-Pazifik-Region ausweiten. Zunächst gelte es, die gemeinsamen Beratungen mit den dortigen “Globalen Partnern” “um regelmäßigere und robustere Militärübungen zu ergänzen (insbesondere Luft-, See- und Spezialkräftemanöver)”.[6] Damit könne man US-Kriegsübungen im Pazifik, die bereits in den vergangenen Jahren mit Beteiligung europäischer Streitkräfte stattgefunden hätten (german-foreign-policy.com berichtete [7]), um eine NATO-Komponente erweitern. Brzezinski schlägt zudem vor, das Kriegsbündnis solle “im Indo-Pazifik” [8] ein “Center of Excellence” etablieren, in dem Offiziere aus den Streitkräften der “Globalen Partner” in die NATO-Kommandostruktur eingebunden würden und sich mit NATO-Praktiken und -Einsätzen vertraut machen könnten. Schließlich solle das Bündnis “ein kleines Hauptquartier im Indo-Pazifik” installieren, das NATO-Manöver und -Operationen koordinieren könne. Freilich dürfe die NATO ihre Aktivitäten nicht allein auf militärische Maßnahmen reduzieren: Sie müsse die gesamte Bandbreite “diplomatischer, ökonomischer, technologischer, gesellschaftlicher und militärischer Fähigkeiten und Dynamiken” mobilisieren, “die geopolitische Macht definieren”.
“Viel stärker auf dem Radarschirm”
NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat schon im vergangenen Jahr begonnen, die Beziehungen des Kriegsbündnisses insbesondere zu Australien zu intensivieren.[9] Das Land profiliert sich seit geraumer Zeit als schärfster Parteigänger Washingtons im Machtkampf gegen Beijing. Zu Beginn vergangener Woche hat Stoltenberg erneut bekräftigt, das Bündnis müsse künftig “noch enger mit gleichgesinnten Ländern wie Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea” zusammenarbeiten.[10] An dem gestern zu Ende gegangenen Treffen der NATO-Verteidigungsminister nahm erstmals der Amtskollege aus Australien in vollem Umfang teil. Zwar spricht sich Stoltenberg mit Rücksicht auf Mitgliedstaaten, die bislang zögern, noch nicht für NATO-Manöver und -Operationen in der Asien-Pazifik-Region aus: “Das Südchinesische Meer ist kein Einsatzort für die Nato. Es gibt keinen Grund, Truppen der Allianz dort hinzuschicken.”[11] Allerdings dauert die Debatte an. Mittlerweile sei China “viel stärker auf unserem Radarschirm”, erklärte die NATO-Botschafterin der Vereinigten Staaten, Kay Bailey Hutchison, am Dienstag: “Die NATO blickt jetzt nach Osten.”[12] Damit war nicht Osteuropa bzw. Russland, sondern Ostasien bzw. China gemeint.
Das ist doch eigentlich im Interesse Chinas, oder? Der Yuan gewinnt dadurch als Akzeptanz als Weltwährung.
Zwischen Druck und Kooperation
Virtueller EU-China-Gipfel: Brüssel und Beijing beraten zu Handelspolitik und Investitionsabkommen
Im Rahmen eines EU-China-Gipfels haben die Europäische Union (EU) und die Volksrepublik China am Montag über Handels- und Investitionsschutz verhandelt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel tauschten sich dazu mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang aus. Am Nachmittag (nach jW-Redaktionsschluss) sollte dann ein Gespräch mit Präsident Xi Jinping folgen.
Bei der Videokonferenz ging es insbesondere um die Verhandlungen über ein Investitionsabkommen, die bereits seit mehr als sechs Jahren laufen. Die EU hatte China zuletzt offen »mangelnden Einigungswillen« und einen »Verstoß gegen Absprachen« vorgeworfen. Im vergangenen Jahr eingegangene Verpflichtungen zu Themen wie Marktzugang seien demnach bislang nicht ausreichend umgesetzt worden.
Erst vor kurzem hatte die EU-Kommission Arbeiten an neuen »Abwehrinstrumenten gegen unfaire Konkurrenz« angekündigt, wodurch der Druck auf die Volksrepublik erhöht werden soll. Allerdings könnten solche auch den Interessen europäischer Konzerne auf dem chinesischen Markt schaden, der für EU-Unternehmen äußerst relevant ist. Auch die Entwicklungen rund um die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong sowie Fragen des Klimaschutzes sollten angesprochen werden, hieß es aus Brüssel.
Die chinesische Seite zeigte sich im Vorfeld des Gipfels optimistisch. »Ich glaube, dieser China-EU-Gipfel wird ein klares Signal senden, dass China und Europa den Multilateralismus nachdrücklich unterstützen«, zitierte das chinesische Staatsfernsehen Zhang Ming, den chinesischen EU-Botschafter in Brüssel. Beide Seiten seien entschlossen, die Stabilität der globalen Lieferketten aufrechtzuerhalten und »Reformen« bei der Welthandelsorganisation (WTO) voranzutreiben.
Um den Abschluss des Investitionsabkommens zu feiern, hatte es eigentlich im September einen großen EU-China-Gipfel in Leipzig geben sollen. Dieser wurde allerdings wegen der Coronapandemie verschoben. (dpa/jW)
Kommentar: Primat des Profits
EU-China-Gespräche
Von Jörg Kronauer
Neue politische Impulse wolle man den Beziehungen zu China geben: So hat ein namentlich nicht genannter EU-Funktionär vorab das Ziel der Videokonferenzen beschrieben, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel am Montag mit Chinas Ministerpräsident Li Keqiang und mit Präsident Xi Jinping führten. Bei den »neuen Impulsen« ging es vorrangig, jedoch nicht nur um das geplante Investitionsabkommen der EU mit der Volksrepublik.
In letzter Zeit hatte sich das Verhältnis zwischen der EU und China erheblich zugespitzt. Die Entwicklung in Hongkong, die Situation in Xinjiang, die Covid-19-Pandemie: All dies hatten nicht nur die USA, sondern auch die Union und ihre Mitgliedstaaten zum Anlass für aggressive Kampagnen gegen die Volksrepublik genommen. Transatlantisch festgelegte Kreise, die der Ansicht sind, die Länder Europas könnten ihre globalen Interessen immer noch am besten im exklusiven Bündnis mit den Vereinigten Staaten realisieren, trieben die Konfrontation nach Kräften voran.
Und nicht nur sie. Die Konfrontation ist zuletzt auch von manchen forciert worden, die vorrangig darauf abzielen, die EU in der Weltpolitik als eine auch von den USA unabhängige Macht mit »strategischer Autonomie« zu positionieren. Wieso? Weil China allzu mächtig wird und die EU, will sie nicht in den Sog der Volksrepublik geraten, ihr gegenüber Schranken errichten will, so etwa die neuen EU-Regeln, die chinesischen Investitionen gewisse Riegel vorschieben: ist man ehrlich, ein Zeichen europäischer Schwäche. Es werden nicht die letzten Maßnahmen zur Absicherung der eigenen Pfründe gewesen sein.
Nur: Zuviel Konfrontation, zuviel Abschottung gefährden das China-Geschäft, das für zahlreiche mächtige Unternehmen aus der EU, ganz besonders auch aus Deutschland, strategisch unersetzlich ist. Die Bedenken hat unlängst BDI-Präsident Dieter Kempf auf den Punkt gebracht: »China mag ein systemischer Rivale sein«, aber es bleibe auch »ein wichtiger Partner für die EU und für Deutschland«. Mit ähnlichen Worten war kürzlich schon der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zurückgerudert, nachdem er sich mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi heftig in die Haare geraten war. »Man kann keine multilaterale Welt schaffen«, bemühte er sich zu beschwichtigen, »ohne dass China daran teilnimmt«.
Also ging es gestern um »neue politische Impulse«: etwas mehr Kooperation, um nach all den Auseinandersetzungen das China-Geschäft wieder ein wenig zu pflegen. Die Arbeit an dem seit Jahren geplanten Investitionsabkommen bot dafür ein gutes Feld; Berlin will es noch unter seiner Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 abschließen. Das heißt freilich nicht, dass Brüssel seine antichinesische Agitation in der Schublade verschwinden ließe: Schließlich ist Beijing nicht nur Geschäftspartner, sondern eben auch globaler Rivale.
Zur Schadensbegrenzung nach Rom (23.06.2020)
Außenminister Maas wirbt in Italien für “EU-Solidarität”. Dort sprechen sich Mehrheiten für EU-Austritt und enge Kooperation mit China aus.
BERLIN/ROM (Eigener Bericht) – Auf seiner gestrigen Reise nach Rom hat Außenminister Heiko Maas sich unter anderem um Schadensbegrenzung bemüht. In Italien hatte die Tatsache, dass Deutschland und die EU dem Land in der härtesten Phase der Covid-19-Pandemie jegliche Hilfe verweigerten, gewaltige Empörung ausgelöst. Außerdem war die kategorische Weigerung Berlins, der Einführung sogenannter Coronabonds zuzustimmen, um Italiens wirtschaftlichen Absturz zu verhindern, auf Unverständnis gestoßen. Mitte April ergaben Umfragen, dass über die Hälfte der italienischen Bevölkerung China als “Freund” einstuften, fast die Hälfte hingegen Deutschland als “Feind”. Die Bundesregierung hat dies mit einer PR-Kampagne zu kontern versucht, in deren Rahmen eine Reihe von Covid-19-Patienten aus Italien auf unausgelasteten Intensivstationen deutscher Krankenhäuser aufgenommen wurden und Minister beider Staaten eine angebliche “EU-Solidarität” in höchsten Tönen priesen. Auch soll Italien Milliarden aus einem EU-Hilfsprogramm erhalten. Dennoch spricht sich derzeit eine Mehrheit in der Bevölkerung für den EU-Austritt aus.
Unterstützung verweigert
Das Vorgehen der Bundesregierung zu Beginn der Covid-19-Pandemie hatte in Italien weithin heftigen Unmut ausgelöst. Das Land, das als erstes in Europa massiv von der Pandemie erschüttert wurde, hatte Ende Februar bei der EU offiziell um Hilfe nachgefragt; dringend benötigt wurde medizinische Schutzausrüstung aller Art, insbesondere Atemmasken. Die Bundesrepublik reagierte darauf, indem sie am 4. März einen Exportstopp für derlei Schutzausrüstung verhängte. Italien, das immer tiefer in die Katastrophe rutschte, blieb ohne jegliche Unterstützung aus der Union; ihm sprang lediglich China bei.[1] Hinzu kam unter anderem, dass Deutschland sich Italiens Forderung nach der Einführung sogenannter Coronabonds kategorisch verweigerte. Die Coronabonds sollten, ganz wie die schon zuvor diskutierten “Eurobonds”, als EU-Anleihen aufgenommen werden; das hätte Rom helfen können, sich zu günstigeren Konditionen das Geld zu beschaffen, das im Kampf gegen die Coronakrise unverzichtbar ist. Hatte die EU-Kommission Rom zunächst bei der Forderung nach einer baldigen Einführung der Coronabonds unterstützt, so musste sie Italien rasch fallenlassen – auf Druck vor allem Berlins.[2]
EU: “Nur Rhetorik”
Die Erfahrung, in einer existenziellen Krise von der EU und von deren deutscher Zentralmacht im Stich gelassen zu werden, hat in Italien tiefe Spuren hinterlassen. Man sei bereits zum dritten Male binnen weniger Jahre auf sich allein gestellt, urteilte Mitte März Nathalie Tocci vom Istituto Affari Internazionali (iai) in Rom: Schon in der Eurokrise und dann während der Massenflucht nach Europa in den Jahren 2015 und 2016 habe man kaum nennenswerte Unterstützung seitens der EU erhalten, dafür aber Austeritätsdiktate penibel befolgen müssen.[3] Selbst in der linksliberalen, seit je EU-loyalen Tageszeitung La Repubblica hieß es, das Virus habe “die Heucheleien” über die EU “zertrümmert”: “Es bleibt nur Rhetorik.”[4] Bereits Mitte März zeigte eine Umfrage, dass der Prozentsatz der Italiener, die die Mitgliedschaft in der EU für nachteilig hielten, von 47 Prozent im November 2018 auf 67 Prozent in die Höhe geschnellt war.[5] Mitte April nahm in einer weiteren Umfrage, die feststellen sollte, welche Länder der italienischen Bevölkerung als “Freund” und als “Feind” galten, Deutschland unter den als “feindlich” eingestuften Staaten mit rund 45 Prozent den ersten Platz ein, während unter den als “freundlich” geltenden Ländern mit rund 52 Prozent China vorne lag.[6]
“Eng & solidarisch”
Die Bundesregierung hat auf die Aussicht, die Stimmung in Italien könne vollständig außer Kontrolle geraten und womöglich sogar den Bestand der EU gefährden, mit einer intensiven PR-Kampagne reagiert. Außenminister Heiko Maas erklärte Ende März in einer italienischen Tageszeitung in direktem Widerspruch zum bisherigen Vorgehen Berlins: “EU-Solidarität ist das Gebot der Stunde”.[7] In der folgenden Zeit erklärten sich deutsche Krankenhäuser bereit, eine gewisse Zahl italienischer Patienten auf ihren damals nicht recht ausgelasteten Intensivstationen aufzunehmen. Die Bundesregierung nutzt zudem seither jede Gelegenheit, sich gegenüber der italienischen Bevölkerung als angeblichen Wohltäter zu inszenieren. Rom trägt zu der peinlichen Berliner Inszenierung inzwischen bei. “Die Unterstützung Deutschlands hat in der gesamten Zeit der Pandemie eigentlich nie gefehlt”, behauptete Außenminister Luigi Di Maio am 5. Juni nach einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen in Berlin.[8] Noch gestern erklärte das Auswärtige Amt anlässlich von Maas’ Aufenthalt in Rom: “Deutschland und Italien haben in den schlimmsten Wochen der Corona-Krise eng & solidarisch zusammengearbeitet”.[9] Das widerspricht den Tatsachen.
Stützungsbemühungen
Darüber hinaus ist Berlin bemüht, in der EU gewisse ökonomische Zugeständnisse durchzusetzen, um den drohenden wirtschaftlichen Absturz Italiens zu verhindern. Das liegt auch im materiellen Interesse der Bundesrepublik: Das Land nahm im vergangenen Jahr deutsche Exporte im Wert von 68 Milliarden Euro ab und ist damit Deutschlands sechstgrößter Absatzmarkt. Hinzu kommt, dass das Abrutschen Italiens in eine umfassende Wirtschaftskrise die Eurozone destabilisieren und zu heftigen politischen Erschütterungen führen könnte – in einer Zeit, in der Berlin und die EU darum kämpfen, sich im globalen Machtkampf gegenüber den USA und China zu behaupten. Gestern bestätigte Maas in Rom, die Bundesregierung setze sich dafür ein, ein bis zu 750 Milliarden Euro schweres EU-Wiederaufbauprogramm (“Recovery Fund”) aufzulegen und zwei Drittel davon nicht als Darlehen, sondern als Zuschüsse zu vergeben. Freilich ist noch nicht sicher, ob das Programm von der EU wie gewünscht verabschiedet wird; zudem werden die Zuschüsse vermutlich an strikte Bedingungen geknüpft sein.[10] Schließlich werden die Zuschüsse langfristig über den EU-Etat anteilig zurückgezahlt werden müssen. Laut aktuellem Stand würde Italien aus dem EU-Programm komplett rückzahlbare Kredite im Wert von fast 91 Milliarden Euro und Zuschüsse im Wert von knapp 82 Milliarden Euro erhalten. Muss es einen Teil der Zuschüsse zurückzahlen – entsprechend seinem Anteil von aktuell 14 Prozent am EU-Haushalt -, verblieben von den 82 Milliarden Euro netto lediglich 12 Milliarden.
Neue Mehrheiten
Unklar ist nicht nur, ob dies genügt, Italien ökonomisch über die Coronakrise hinweg zu retten. Ebenso ungewiss ist, ob die Berliner PR-Kampagne Erfolg haben und den Zustimmungsverlust der EU rückgängig machen können wird. Eine vergangene Woche publizierte Studie des Istituto Affari Internazionali (IAI) aus Rom deutet jedenfalls nicht darauf hin. Demnach wird nicht nur die EU-Mitgliedschaft als ungünstig für Italien eingestuft. Erstmals spricht sich eine relative Mehrheit von 48 Prozent (2017: 31 Prozent) für den Austritt aus der Union aus, während nur noch 44 Prozent (2017: 61 Prozent) im Falle eines Referendums für den Verbleib votieren würden. Eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland befürworten lediglich acht Prozent (2019: 13 Prozent). Rund 90 Prozent plädieren für eine engere Zusammenarbeit mit China – 41 Prozent im EU-, 49 Prozent im bilateralen Rahmen; mehr als zwei Drittel stufen die chinesische Neue Seidenstraße, an der sich Italien offiziell beteiligt, als vorteilhaft ein. 19 Prozent heben dabei positiv hervor, die Seidenstraßen-Kooperation mit Beijing gestatte es Rom, die Abhängigkeit von den Ländern der EU und von den Vereinigten Staaten zu reduzieren.[11]
Konkurrenz für deutsche E-Autos
Neuer Hersteller aus China will noch diesen Sommer auf den EU-Markt
Von Peter Schadt
Auf dem für ausländische Importeure schwierigen deutschen Automarkt gibt es bald einen neuen Konkurrenten für Daimler und Co. Und der kommt aus China. Der SUV mit Elektromotor sollte dabei bereits ab Februar in der EU verkauft werden. Doch der Einstieg des Modells »U5« – verzögerte sich aufgrund der Coronakrise. Im August nun soll es aber soweit sein.
Das Fahrzeug selbst ist ein Fünfsitzer von der Größe des als »kleinerer SUV« geltenden VW-Modells »Tiguan Allspace« (die sogenannten Sports Utility Vehicles sind in der Regel deutlich schwerer und größer als normale Pkw; jW). Der Motor soll 190 PS leisten und das Auto auf bis zu 160 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Die Reichweite der verbauten Batterie für den Antrieb liegt laut Hersteller bei über 400 Kilometer. Ein noch wichtigeres Verkaufsargument dürfte der Preis sein: Mit ca. 40.000 Euro fällt der deutlich geringer aus als die Preise der Konkurrenz für Modelle ähnlicher Leistung. So verlangt Daimler für den Mercedes EQC 75.000 Euro, der Jaguar »I-Pace« schlägt sogar mit knappen 78.000 Euro zu Buche.
Produziert wird das Elektroauto von dem chinesischen Unternehmen Aiways Automobiles Co. Ltd. mit Sitz in Shanghai, das erst vor drei Jahren gegründet wurde. Die Geschäftsleute Fu Qiang und Gu Feng haben bereits Erfahrung als Manager in der Automobilwirtschaft sammeln können, unter anderem bei dem chinesischen FAW-Konzern, an dem auch die Volkswagen AG beteiligt ist. Mitarbeiter der Firma wurden Berichten zufolge unter anderem bei Audi, BMW und Daimler abgeworben.
Bei diesem neuen Versuch, deutschen Autohersteller auf dem Heimatmarkt Konkurrenz zu machen, gibt es interessante Konstellationen bei der Kooperation mit Aiways: Als Zulieferer sind u. a. Siemens, Bosch und BASF tätig, das Marketing für den Wagen übernimmt eine baden-württembergische Werbefirma. In der Branche selbst gibt man sich indes betont skeptisch, ob chinesische Modelle tatsächlich eine Chance auf dem hiesigen Markt haben: Zu stark seien die eigenen Marken, zu unbekannt der Herausforderer, zu klein noch das Service- und Vertriebsnetz des neuen Konkurrenten.
Währenddessen stellen deutsche Boulevardblätter wie die Münchener TZ trotz des vom Mainstream gepflegten Feindbilds »China« dem Auto durchaus gute erste Noten aus. Es scheine inzwischen nicht mehr unmöglich, dass bei Aiways gelingen könnte, woran die chinesischen Hersteller Jiangling Motors und Brilliance in der Vergangenheit gescheitert sind: sich auf dem deutschen Markt zu behaupten, prognostizierte die FAZ bereits im September vergangenen Jahres.
Den Satz Borrells muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen:
„»Man kann keine multilaterale Welt schaffen«, bemühte er sich zu beschwichtigen, »ohne dass China daran teilnimmt«.“
Die EU will also jetzt eine „multilaterale“ Welt schaffen. 1. Die EU als Arrangeur und Gestalter des Weltgeschehens, wie putzig. Da wird die imperialistische Macht dieses brüchigen Staatenbündnisses sehr überschätzt. 2. Da wird doch glatt verschiedenen Mächten gesagt: Auf die Plätze! Nix mehr mit Führungsanspruch. Wir gehen mit gutem Vorbild voran, Primus inter pares, aber doch bitte auf Augenhöhe mit anderen Mächten! Macht euch andere doch gefälligst etwas kleiner!
„ohne dass China daran teilnimmt“ – großzügig lädt die EU als ideeller Gestalter einer neuen Weltordnung jetzt das Reich der Mitte in diesen illustren Kreis ein.
Man kann die Unbescheidenheit nicht weiter treiben, um mit Nietzsche zu sprechen. „Zurückgerudert“ wurde da wahrlich nicht. Eher wurde da noch ein Schäuferl draufgelegt.
“Die EU will also jetzt eine „multilaterale“ Welt schaffen.” Das ist ja nichts neues. Die multipolare Welt stand schon immer dafür, das Deutschland und die EU, im Gegensatz zur Bipolaren Welt oder Unipolaren Welt, die von den USA dominiert wird, ebenfalls Pol zu sein beansprucht. Das war naturgemäß schon seit der Gründung der EU gegen die USA gerichtet und wurde ja auch eine ganze Zeit lang von den USA geduldet. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, dass die Ansprüche imperialistischer Nation größer sind als ihre Machtmittel. Wenn das nicht so wäre, wären sie ja schon dort wo sie erst noch hin wollen. Putzig sollte man das nicht finden, denn schließlich sind es Vertreter einer Staatsgewalt bzw. eines Staatenbündnisses, die sowas aussprechen und es bitter ernst meinen. Dein Schluss stimmt natürlich. Es ist die Aufforderung an die wirklich führenden Mächte sich etwas kleiner zu machen. Daher passt es dann auch wieder. Eine wirklich große Weltmacht ist nämlich mit einem Sitzplatz unter Gleichen nicht zufrieden, eine solche Macht will “first” sein, und kämpft darum es unangefochten zu bleiben.
Es ist eben so, genau so wie beim Gewinn, daß Macht immer mehr will, also auch die Staatsmacht in sich maßlos ist.
Staaten, die sich aus eigener Kraft nicht über die anderen erheben können, suchen dann ihr Heil in einem Bündnis, um sich über die Beschränkungen ihres Territoriums, Kapitals und Bevölkerung hinaus einen gewichtigen Platz auf der Weltbühne zu erobern.
Diesen Platz gibt es aber nicht, weil jeder sich am anderen stößt. Jeder imperialistische Rivale stört. Das Ende dieses Ideals ist stets die Weltherrschaft.
Ob das generell für Macht gilt, weiß ich nicht. Jedenfalls gilt es für imperialistische Mächte, bzw. kapitalistische Staaten. Macht ist ja kein Selbstzweck und welchen Zweck eine Macht hat, wird auch damit zu tun haben, wie und weshalb sie sich nach außen wendet und welches Verhältnis sie zu anderen Mächten eingeht. Bündnisse sind ein Weg die Beschränkung der eigenen Machtmittel auszudehnen. Aber nicht nur für Schwache sind sie ein Mittel auch für große Mächte sind sie ein Mittel. Werden kleine Mächte in ein Bündnis aufgenommen, stehen nämlich der Gegenseite nicht mehr zur Verfügung. Deshalb hat z.B. die USA Angst davor, dass sich Europa mit Russland zusammentut. Weil dann nochmal ein ganz anderes Kaliber von Staatenbund ihnen gegenüberstehen würde. Oder Russland und China. Die USA versucht deshalb auch immer andere Nationen gegeneinander auszuspielen. Ein Atomkrieg soll möglichst in Europa stattfinden. Damit hat man gleich zwei Konkurrenten auf einmal ausgeschaltet. Und das Heimatland der Tapferen bleibt unversehrt.
Natürlich haben verschiedene Subjekte verschiedene Inhalte, wie sie ihre Macht ausüben wollen. Aber sich „nach außen“ zu wenden und mehr haben zu wollen, ist in einer abstrakten Form allen gemeinsam.
Auch feudale und sozialistische Staaten hatten diesbezüglich ihre Ambitionen. Auf die feudalen Kriege will ich jetzt nicht eingehen, das führt zu weit vom Thema weg.
Die SU wollte – Sozialismus in einem Land hin oder her – ihren Einfluß auch außerhalb ihrer Grenzen ausdehnen, sonst wäre so etwas wie der Afghanistan-Krieg nie zustande gekommen. Oder die ganzen Satellitenstaaten in Osteuropa, das Regime von Menghistu, usw.
Ich weise hier nur darauf hin, weil es eine Neigung gibt, Staaten in aggressive und defensive einzuteilen. Obwohl unbestitten ist, daß die kapitalistischen Großmächte die anderen übertreffen, so ist es eine Illusion, anzunehmen, bei entsprechender innerer ökonomischer Ausrichtung könnte man eine friedliche Weltordnung einrichten.
Neu-Delhi auf Konfrontationskurs
Indien verstärkt Überwachung Chinas und installiert Raketenabwehrsystem an gemeinsamer Grenze
Von Emre Sahin
Die Situation zwischen Indien und China bleibt angespannt. Am heutigen Dienstag wollen sich erneut ranghohe Militärführer beider Länder zu Gesprächen treffen. Am Montag war bekanntgeworden, dass Neu-Delhi wegen der Grenzstreitigkeiten in der Himalajaregion Ladakh seine Überwachungsmissionen und den operativen Einsatz im Indischen Ozean verstärkt hatte. Ziel sei es, die dortigen Aktivitäten Chinas verfolgen zu können, wie die Economic Times am Montag berichtete.
Zuvor habe die indische Armee im Unionsterritorium Ladakh ein Raketenabwehrsystem gegen die chinesische Luftwaffe installiert, hatte die Zeitung Times of India am Samstag abend gemeldet. Ladakh ist entlang der 3.500 Kilometer langen Grenze zwischen Indien und China gelegen. Der Schritt Indiens kommt zu einer Zeit, in der die Nachbarn auf Deeskalation setzen wollten, nachdem es am 15. und 16. Juni zu Auseinandersetzungen gekommen war. Dabei starben nach Angaben der indischen Armee 20 ihrer Soldaten, während sich Beijing nicht zu diesem Punkt äußerte. Seit dem Grenzkrieg von 1962 kam es immer wieder zu Spannungen. Die Ereignisse Mitte Juni waren seither die ersten größeren Auseinandersetzungen. Eine Woche nach dem Zwischenfall hatten sich beide Seiten noch auf einen Truppenabzug am Himalaja verständigt.
Zusätzlich zu den jetzt stationierten Raketenbatterien plant Indiens Regierung offenbar auch wirtschaftliche Maßnahmen gegen China: Die japanische Onlinezeitung Nikkei Asian Review schrieb am Montag, die Grenzkonflikte führten dazu, dass die indische Regierung erwäge, Importzölle auf chinesische Produkte zu erhöhen. Im Blick habe Neu-Delhi die Autoindustrie sowie Telekommunikationsunternehmen wie Huawei.
Auch an Indiens Ostgrenze besteht weiterhin Konfliktpotential: Das pakistanische Militär hat nach eigenen Angaben am Sonntag eine indische Spionagedrohne abgeschossen, die inmitten der Spannungen zwischen den beiden Atommächten in die Region Kaschmir eingedrungen war.
Der indische Oberhäuptling sieht angesichts der Tatsache, daß Indien China bald an Bevölkerung überholen könnte (dort gabs keine Ein-Kind-Politik!) seine Gelegenheit gekommen, sich auch als Atommacht und Großmacht anzumelden.
Das umstrittene Ladakh will die indische Führung offenbar zu einer Art Stützpunkt für die Streitigmachung Tibets & Sinkiangs machen, und ein Schelm, wer Böses denkt: Ohne Rückendeckung von den USA käme er vermutlich nicht auf die Idee.
Dort wird also gezündelt. Die 20 toten Inder sind offenbar einkalkuliert gewesen, um die Bevölkerung auf einen Grenzkrieg gegen China einzuschwören.
“so ist es eine Illusion, anzunehmen, bei entsprechender innerer ökonomischer Ausrichtung könnte man eine friedliche Weltordnung einrichten.” Warum ist das eine Illusion? Weil der Realsozialismus und der Imperialismus das nicht hingekriegt haben? Wieso sollte eine Gesellschaft die bestrebt ist gesellschaftliche Gegensätze aufzulösen, den Drang entwickeln andere Staaten zu überfallen.
Kehrer, das ist deshalb eine Illusion, weil es nicht darum geht, ob deine klassenlose Gesellschaft andere Staaten überfallen will, sondern umgekehrt darum, daß die imperialistische Welt sich seit der Oktoberrevolution keinen Deut verändert hat und weiterhin alles abräumen wollen würde, was nach Auflösung gesellschaftlicher Gegensätze aussieht.
Oder willst du ex post doch noch eine Politik der friedlichen Koexistenz für möglich erklären? Haben es wirklich nur Stalin, Chruschtschow und Gorbatschow vergeigt?
Deshalb hab ich nach dem Grund gefragt. Es ist dann aber nicht der klassenlosen “Staatsmacht” anzulasten, dass andere sie überfallen wollen. Oder anders: Gäbe es als historisches Übrigbleibsel von kapitalistischen Staaten, nur solche klassenlose Gesellschaften auf der Welt, warum sollte diese sich gegenseitig überfallen. Die würden doch eher zusammenarbeiten bzw. sich ganz auflösen als eigenständige Mächte.
Es scheint mir eine marxistische Binsenwahrheit zu sein, daß in einer Welt, wo es nirgendwo auf diesem Erdball noch kapitalistische Gesellschaften und Staaten gibt, es auch keine systemischen Gründe mehr gibt, sich gegenseitig zu überfallen. Es wäre dann in der Tat zu erwarten, jedenfalls anzustreben, möglichst bald die Vielzahl der Staaten abzuschaffen und tendentielle in der Tat den Staat überhaupt. Da gibt es ja die klasssische Formulierung vom Wegsterben des Staates.
Nur leben wir weltweit eben in einer von imperialistischen Staaten dominierten kapitalistischen Welt. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird das auch nicht auf einen Schlag weltweit von einer sozialistischen Welt abgelöst werden. Für eine gewisse Zeit werden Kommunisten sowohl in diesen befreiten Inseln wie im Rest der Welt damit zu zun haben, daß ein enormer Stachel im Fleisch des Kapitalismus und Imperialismus ist.
Vor vielen Jahren hat es mal eine aus dem üblichen linken Rahmen fallende Veranstaltung in Hamburg gegeben. Da wurden auch linkere Linke ans Podium gelassen und konnten ihre Vorträge halten. Da hat jemand, der offenhörlich damals zum Umfeld des GegenStandpunkts gehört hat, einen interessanten Vortrag zum Thema “Übergangsgesellschaft” gehalten, der von der Kritik des Kapitalismus bis hin zur Skizzierung kommunistischer Verhältnisse ging. Ich habe das damals selber transkribiert, der Referent hatte das Manuskript zudem selber auf einer Webseite veröffentlicht.
http://kapitalkritik.blogsport.de/2013/11/30/kapitalismus-und-kommune/
Leider verhallten diese interessanten Thesen völlig antwortlos im Web und vom Autor selber habe ich auch nie wieder was in diese Richtung gehört.
“Nur leben wir weltweit eben in einer von imperialistischen Staaten dominierten kapitalistischen Welt.” Bitte Langzeitgedächtnis wieder zuschalten. Manchmal kommt mir das so vor als würde das Gedächtnis nur von Beitrag zu Beitrag reichen. Oben habe ich drauf hingewiesen, dass es nicht Mächte überhaupt sind, die sich gegenseitig überfallen wollen, sondern imperialistische, kapitalistische Mächte. Da wurde mir widersprochen, jetzt soll es eine Binsenweisheit sein. Na gut, bloß warum wurde dieser Binsenweisheit erst widersprochen, um sie dann als Binsenweisheit hinzustellen.
An und für sich habe ich Neoprenes Gedanken nichts entgegenzusetzen.
Vielleicht noch die Ergänzung, daß es bezüglich „Sozialismus“ eben die verschiedensten Vorstellungen gibt, die aber alle dem heutigen staatlichen System von Freiheit, Gleichheit, Eigentum, Justiz und Gewaltmonopol wenig entgegenzusetzen haben.
Eine Bewegung, die ihre wie immer verqueren Ideen auch noch durchsetzen möchte, kann ich erst recht nicht ausmachen.
Es sei “… möglich, dass das im Zuge der Coronakrise auf ein Rekordhoch von 117,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegene amerikanische Haushaltsdefizit in Verbindung mit einer extrem niedrigen Sparquote der amerikanischen Privathaushalte im internationalen Vergleich zu einem Wertverlust von einem guten Drittel innerhalb der nächsten zwei Jahren führen könnte…” und dadurch die Position des Yuan weltweit sich erheblich verändern würde – wird bei Heise gemutmaßt.
https://www.heise.de/tp/features/Internationalisierung-des-Yuan-4798396.html
Der Yuan rücke so allmählich in die Position des Weltgeldes hinein, parallel zum angeblichen Niedergang des Dollars.
Daran verwundert mich, dass der Autor nicht eine Zeile darauf verwendet, dass es derzeit einen ziemlich heißen Wirtschaftskrieg zwischen China und USA gibt. Obendrein wird auch der Macht des Militärs, hier: des US-Militärs, als eine der Grundlagen der ökonomischen Macht der USA, gar keine Bedeutung geschenkt.
Dass der Yuan gestärkt wird, mag ja durchaus sein. Gibt es dafür sonstige weitere Erkenntnisquellen?
Kehrer, mag sein, daß ich dich oben mißverstanden habe, ich habe mich jedenfalls hierauf bezogen:
Damit hast du aber gerade nicht auf eine schon weltweit nachkapitalistische Welt hingewiesen (da sind wir uns ja einig, daß es da keine solch masiven Interessengegensätze geben wird, die das gegenseitige Kriegführen verursachen würden), sondern auf die viel problematischere Welt des Gegensatzes von Imperialismus und Nachfolgestaaten der Oktoberrevolution.
Zu meiner Gegenfrage, ob du ernstlich meinst, daß friedliche Koexistenz doch bei anderer Politik in den Staaten des Warschauer Paktes möglich gewesen wäre, hast du übrigens nicht geantwortet.
“Eine Bewegung, die ihre wie immer verqueren Ideen auch noch durchsetzen möchte, kann ich erst recht nicht ausmachen.” Und wieso ist das für die Frage wichtig, ob Mächte per se einander überfallen wollen. Bei Staatsgewalten sieht das schon wieder anders aus. Die haben insofern einen Gegensatz, da sie sich gegenseitig ausschließen. Ihr Territorium ist ja gewaltsam den Nachbarn abgetrotzt und das ständige Abtrotzen ist die Bedingung ihrer Existenz.
Zum Yuan Dollar: Könnte möglich sein, sowie das Gegenteil auch ist halt bloß eine Spekulation. Ich empfehle eher:
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/-kuenstliche-intelligenz-wettlauf-der-grossmaechte-100.html
Oder heute 17.00 Uhr auf ZDF info Künstliche Intelligenz – Wettlauf der Großmächte
47% aller Arbeitsplätze sind durch KI bedroht. Die Supermächte sind übrigens China und die USA. Kai-Fu Lee sagt:
AI ist eine Revolution in der Produktivität der Arbeit die nur mit 1. der Dampfmaschine 2. der Elektrizität 3. der Computerisierung vergleichbar ist. Alles andere sei zu unbedeutend.
Für China war der Weckruf als der Weltmeister im GO 2016 von dem Google Computer Alpha Go geschlagen wurde. Da haben die Chinesen begonnen auf künstliche Intelligenz zu setzen.
Nimmt man das mit einer zukünftigen Roboterisierung zusammen ist das unter kapitalistischen Verhältnissen schon einigermaßen beängstigend. Die Frage der Währung ist da eher ein nachgelagertes Problem.
“Zu meiner Gegenfrage, ob du ernstlich meinst, daß friedliche Koexistenz doch bei anderer Politik in den Staaten des Warschauer Paktes möglich gewesen wäre, hast du übrigens nicht geantwortet.” Weil ich das für eine rhetorische und hypothetische Frage gehalten habe. Das bringt nichts sich damit zu beschäftigen, was bei anderer Politik möglich gewesen wäre. Es ist außerdem klar, dass die Staaten des Warschauer Paktes Produkte der SU gewesen sind.
“Damit hast du aber gerade nicht auf eine schon weltweit nachkapitalistische Welt hingewiesen (…), sondern auf die viel problematischere Welt des Gegensatzes von Imperialismus und Nachfolgestaaten der Oktoberrevolution.” Nein, ich habe gefragt, wie dieses Urteil begründet sei, dass auch bei “entsprechender innerer ökonomischer Ausrichtung” keine friedliche Weltordnung eingerichtet werden könne. Da steht ja ein Fragezeichen. Dass die realsozialistischen Staaten das nicht gemacht haben, halte ich jedenfalls nicht für die Begründung, dass es nicht geht.
Hab ich übrigens schon mal Qualityland von Marc-Uwe Kling empfohlen? Science-fiction-Satire (würde ich das nennen) im Stil von per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams.
Daran bin ich in letzter Zeit häufiger erinnert worden. Lustig und teilweise ganz schön links. Ich kenne es als Hörbuch.
@Leser
Bei dem Heise-Artikel finde ich die Erwähnung der „Sparquote“ fast schon putzig.
Das ist eine alte VWL-Größe, die irgendwie den Volkswohlstand oder die Verschuldung oder sonstwas messen und in ein Verhältnis setzen wollte.
Meiner bescheidenen Ansicht nach war diese Größe schon immer ein Blödsinn.
Aber jetzt, nach Finanzkrise und Immobiliencrash, massenhaften Delogierungen, Jahren der Null- und Negativzinsen, dem Gejammer über die Enteignung der Sparer und den Hinweisen auf die Überschuldung der US-Haushalte auf einmal draufzukommen: Huch, die Amis haben zuwenig auf der hohen Kante! – also das läßt mich etwas an den geistigen Kapazitäten des Autors zweifeln.
Daß der Yuan vormarschiert, pfeifen schon alle Spatzen von allen Dächern, aber sicher nicht wegen der „Sparquote“.
Auch wenn die berühmte “Sparquote” vielleicht nicht so viel hergibt, ihr Gegenstück, die Investitionsquote schon eher: Die VR China hat unter anderem so lange Jahre schon ein vergleichsweise hohes jährliches Wirtschaftswachstum hingekriegt, weil sie, wie kein anderes kapitalistischer Staat, über lange Jahre einen sehr hohen Anteil der Wirtschaftsleistung für Investitionen eingesetzt hat. Und das breit durch alle Bereiche, die für die wirtschaftliche Entwicklung und den politischen Zusammenschluß der verschiedenen Gebiete in China für wichtig erachtet wurden. Das dadurch zustande gekommene enorm gestiegene Sozialprodukt und der riesige Exportsektor haben sicherlich nicht unwesentlich zur Stärkung der chinesischen Währung beigetragen. Aber Weltwährung zu werden ist eben nicht nur eine Sache von harmlosen Zahlungsströmen. Und das werden die USA jedem, der hören will oder nicht, immer wieder laut vorhalten.
Die „Sparquote“, wie errechnet sich die?
Aus einer Summe aller ausgewiesener Spareinlagen? Oder ein schwindliges Zusammenrechnungen von Gewinnen unter Abzug von Ausgaben, inklusive Schätzungen von in Matratzen und Safes lagernden Geldbündeln?
Hatte China so etwas überhaupt jemals? Also ein Sparkassenwesen, Sparer und deshalb eine errechenbare „Sparquote“?
Weil dann wäre auch die „Investitionsquote“ dort etwas anderes, die vermutlich auf privaten kapitalistischen Investitionen beruht, nicht auf Staatsinvestitionen.
Man muß einmal nachfragen, was diese ganzen Begriffe eigentlich bedeuten und wie sie errechnet werden, weil das sind letztlich alles volkswirtschaftliche Abstraktionen von gegensätzlichen Kalkulationen.
Ist der Yuan eine Währung im strengen Sinne? Was heißt „Stärkung“?
Was zeichnet einentlich (bisher) eine Weltwährung aus? Zumindest doch das, daß sie weltweit gehandelt wird und einen Wechselkurs zu anderen wichtigen Währungen hat.
London will Huawei von 5G-Netz ausschließen
London. Der chinesische Telekomriese Huawei soll nun doch vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes in Großbritannien ausgeschlossen werden. Der britische Minister für Kultur und Medien, Oliver Dowden, sagte am Montag der BBC, die Sanktionen der USA gegen Huawei hätten weitreichende Folgen. »Das wird sich auch wahrscheinlich auf die Zukunftsfähigkeit von Huawei als Anbieter für das 5G-Netz auswirken.« Verteidigungsminister Ben Wallace sagte demselben Sender, dass die US-Sanktionen – die im September in Kraft treten sollen – speziell dazu gedacht seien, Großbritannien zum Umdenken zu zwingen. Die Regierung hatte noch im Januar beschlossen, dass Huawei sich unter Einschränkungen am Ausbau der 5G-Mobilfunknetze in Großbritannien beteiligen darf. (dpa/jW)
Was braut sich im Südchinesischen Meer zusammen?
Handelsstreitigkeiten, Sanktionen und die Pandemie sorgen für angespannte Beziehungen zwischen China und USA. Bahnt sich ein Konflikt im Südchinesischen Meer an?
Stricken die USA am seidenen Vorhang?
Eine turbulente Woche für die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und China zeigt: Die “Entkopplung” von China nimmt weiter Gestalt an
Teures “decoupling” (24.07.2020)
US-Außenminister fordert “breite Allianz” gegen China. Europa reagiert verhalten.
BERLIN/BEIJING/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Die Forderung von US-Außenminister Mike Pompeo nach der Gründung einer “breiten Allianz” gegen China stößt in Europa bislang auf verhaltene Reaktionen. Einflussreiche deutsche Kommentatoren urteilen, “eine Strategie” sei hinter dem aktuellen Vorgehen der Trump-Administration “nicht zu entdecken”; mit “unabgestimmten” Maßnahmen wie der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston “und anschließenden Forderungen an andere Staaten” kämen die USA nicht weit. Der britische Außenminister Dominic Raab verwahrt sich gegen Pompeos Drängen, London solle umgehend Sanktionen gegen Beijing verhängen. In Deutschland stößt vor allem Washingtons Bestreben, eine ökonomische Entkopplung (“decoupling”) zwischen den Vereinigten Staaten und China zu erzwingen, auf Widerspruch: Zwar erzielten nicht wenige deutsche Unternehmen “derzeit noch den größeren Teil ihres Umsatzes in den USA”, heißt es in der Wirtschaftspresse, “aber das Wachstum kommt aus Asien”. Das gilt umso mehr, als in China trotz Coronakrise wieder Profite erzielt werden – anders als in den USA.
“Breite Allianz gegen China”
US-Außenminister Mike Pompeo hat am Dienstag bei seinem Besuch in London die Schaffung einer “breiten Allianz” gegen China gefordert. “Wir wollen es erreichen, dass jede Nation, die Freiheit und Demokratie versteht, die Bedrohung begreift, die die Kommunistische Partei Chinas für sie bedeutet”, erklärte Pompeo in einer Pressekonferenz.[1] Alle Demokratien sollten künftig “eine Koalition” bilden, um gemeinsam gegen die Volksrepublik vorzugehen. Zur Begründung behauptete der US-Außenminister unter anderem, Beijing “drangsaliere” fremde Länder. Die Behauptung ist für einen Vertreter eines Staates, der seinerseits regelmäßig fremde Länder völkerrechtswidrig mit Krieg überzogen hat und nach Belieben harsche Wirtschaftssanktionen gegen andere Staaten und deren Unternehmen verhängt, bemerkenswert. Nähere Hinweise dazu, wie die “Allianz” gegen China ausgestaltet werden solle, gab Pompeo nicht. Schon jetzt existiert freilich eine internationale antichinesische Allianz auf Parlamentarierebene – die Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die Anfang Juni gegründet wurde und die eine schroffe Blockbildung gegen die Volksrepublik anstrebt. Ihr gehören mittlerweile Abgeordnete aus 16 Staaten an. In Deutschland sind insbesondere Grünen-Politiker involviert (german-foreign-policy.com berichtete [2]).
“Robust und ansatzlos”
Die Reaktion auf Pompeos Vorstoß ist in Europa bislang verhalten. In London stellten Beobachter fest, während Pompeo plump auf “die Kommunistische Partei Chinas” eingedroschen habe, habe sich der britische Außenminister Dominic Raab konsequent “der diplomatischen Standardsprache” bedient.[3] Während der US-Minister insinuiert habe, Großbritannien solle endlich Sanktionen gegen Beijing verhängen, habe sein Amtskollege aus dem Vereinigten Königreich darauf beharrt, man könne “nicht einfach so” Zwangsmaßnahmen beschließen.[4] In Deutschland geben sich Leitkommentatoren führender Tageszeitungen skeptisch. So heißt es etwa distanziert, es entbehre “nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Außenminister der Macht, die seit gut drei Jahren multilaterale Bündnisse verächtlich macht”, jetzt “nach einer ‘breiten Allianz’ gegen China ruft”: Wolle Washington Beijing eindämmen, dann “wird dies nicht mit unabgestimmten, publikumswirksamen Gesten”, etwa der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston, “und anschließenden Forderungen an andere Staaten gelingen”.[5] “Die USA handeln … robust und ansatzlos”, urteilt ein anderer Kommentator: “Eine Strategie” sei hinter ihrem aktuellen Vorgehen “nicht zu entdecken”.[6]
Entkopplung “geschieht bereits”
Auf Unwillen stößt insbesondere in Deutschland das Bestreben der Trump-Administration, die Volkswirtschaften des Westens und Chinas zu “entkoppeln” (“decoupling”) – mit dem Ziel, Beijing möglichst umfassend zu isolieren, um es leichter niederringen zu können. Vergangene Woche hat John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, diesen Plan ausdrücklich bestätigt: Eine wirtschaftliche “Entkopplung” sei “nicht nur möglich, erklärte er, “sie geschieht bereits”.[7] Bolton bezog sich unter anderem darauf, dass eine Reihe westlicher Unternehmen sich seit geraumer Zeit bemüht, Zulieferer aus China durch Zulieferer aus anderen Ländern etwa Südostasiens zu ersetzen. Die Entwicklung ist ursprünglich der Tatsache geschuldet, dass die Löhne in der Volksrepublik in den vergangenen Jahren gestiegen sind und deutlich über denjenigen in Ländern wie etwa Vietnam oder Indien liegen. Allerdings hat die Abwanderung Grenzen, weil China mit seiner riesigen, gut ausgebildeten Bevölkerung über ein herausragendes Potenzial an Arbeitskräften und mit seinen zahlreichen High-Tech-Unternehmen über ein kaum zu ersetzendes Zulieferumfeld verfügt. Die Trump-Administration nutzt deswegen Strafzölle sowie Sanktionen, um chinesische Zulieferer auszuschalten. Erst zu Wochenbeginn verhängte sie neue Sanktionen gegen elf chinesische Unternehmen, die bislang unter anderem Apple, Google und bekannte Modemarken, etwa Tommy Hilfiger und Hugo Boss, belieferten. Diese müssen sich jetzt neue Zulieferer suchen – ein weiterer kleiner Schritt in Richtung “decoupling”.[8]
“Wachstum kommt aus Asien”
Die deutsche Wirtschaft lehnt das “decoupling” entschieden ab. “Europäische Firmen sind in einer Zwickmühle”, hieß es kürzlich im “Handelsblatt” [9]: “Je nach Branchen machen viele von ihnen derzeit noch den größeren Teil ihres Umsatzes in den USA – aber das Wachstum kommt aus Asien.” Es sei daher “ohne jede Alternative, hier in China zu bleiben”, wird der Chinachef von Volkswagen, Stephan Wöllenstein, zitiert. Tatsächlich gilt dies insbesondere für die deutsche Kfz-Branche, die schon heute laut Schätzungen zwischen 35 und 50 Prozent ihrer Gewinne in China macht.[10] Dabei ist die Volksrepublik für die deutschen Autohersteller nicht nur wegen der dort erzielten Profite unersetzlich, sondern auch aufgrund ihrer industriellen Dynamik. So boomt der Markt für Elektroautos, auf die die Branche weltweit umstellt, nirgends so stark wie in China. Dort wird unter anderem zunehmend auf modernste Cloudtechnologien gesetzt, die es ermöglichen, den Kunden “innerhalb von Sekunden Services anbieten zu können”, erläutert Marco Hecker, Leiter für den Kfz-Markt in China bei der Wirtschaftsberatung Deloitte; dabei “hängen die deutschen Hersteller sicher drei Jahre hinterher”.[11] Wolle man aufholen, sei man faktisch auf die Volksrepublik angewiesen: “In Deutschland hält man einen digitalen Entwicklungsprozess von vier bis sechs Monaten für schnell. Lokale Player in China können das fast innerhalb von einem Tag erledigen”.
Die Folgen der Coronakrise
Aktuell kommt hinzu, dass die Volksrepublik zu den Ländern gehört, die die Coronakrise bislang mit den geringsten Schäden überstanden haben und inzwischen wieder Wachstumschancen bieten. Die chinesische Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal wieder um 3,2 Prozent gewachsen, während sie in Europa und Nordamerika dramatisch schrumpft. Die Folgen zeigen sich recht klar auf einzelbetrieblicher Ebene. So konnte Daimler seinen Umsatz in China im zweiten Quartal um beinahe 22 Prozent steigern; obwohl die Verkäufe in Europa und den USA stark schrumpften, genügte dies für ein globales Konzernwachstum um 0,4 Prozent. Daimler hat angekündigt, seine Produktionskapazitäten in den USA und Mexiko sowie womöglich auch in Brasilien zu kürzen; damit verschöben sich die Gewichte für das Unternehmen noch stärker nach China.[12] Nicht zuletzt gewinnt die Volksrepublik auch für den deutschen Gesamtexport noch größere Bedeutung. Aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamts zeigen, dass der deutsche Export von Januar bis Mai insgesamt um 14,1 Prozent einbrach. Dabei kollabierte der Export in die Vereinigten Staaten um 15,5 Prozent, derjenige nach China nur um 10,1 Prozent. Weil die chinesische Wirtschaft mittlerweile wieder wächst, während die US-amerikanische unverändert am Boden liegt, wird die Differenz in den kommenden Monaten noch zunehmen – zugunsten Chinas, zu Ungunsten der Vereinigten Staaten. Dies wird die politischen Aggressionen der Trump-Administration wohl nicht abmildern.
Milliarden für Jio
Neue Episode im Handelskrieg gegen Volksrepublik China: Google und Facebook investieren in indische Huawei-Konkurrenz
Von Steffen Stierle
Mit Google steigt ein weiterer US-Internetgigant beim indischen Telekommunikationsunternehmen Jio ein, wie deren Muttergesellschaft, Reliance Industries, Mitte Juli mitteilte. Satte 4,5 Milliarden US-Dollar (ca. 3,86 Milliarden Euro) werden demnach auf den Tisch gepackt. Dafür bekommt Google 7,7 Prozent der Unternehmensanteile. Im April dieses Jahres war bereits Facebook bei Jio eingestiegen. Der »Social Media«-Konzern hatte sogar 5,7 Milliarden Dollar in die Hand genommen und rund ein Zehntel des Konzerns erworben. Es geht dem US-Kapital auch darum, für den Aufbau des 5G-Netzwerks eine Alternative zu dem chinesischen Anbieter Huawei zu etablieren.
Keine Frage, Reliance-Industries-Chef Mukesh Ambani versteht sein Geschäft und hat ein Gespür für die politische Großwetterlage. Mit dem Internetunternehmen hat er es zum reichsten Mann Indiens gebracht, zeitweise wurde er vom US-Magazin Forbes sogar als reichster Mann der Welt gehandelt. Zuletzt betrug sein Privatvermögen rund 50 Milliarden Dollar. Insbesondere beim Aufbau des 4G-Netzwerks konnte er Jio im indischen Digitalsektor etablieren. Der Konzern eroberte mit Umsonstangeboten und Tiefstpreisen den Markt. Später folgte der Vertrieb preiswerter Mobilfunkgeräte, der Start von Streamingdiensten für Videos und Musik und was sonst noch so zu einem Tech-Unternehmen auf der Höhe der Zeit gehört. Längst dominiert der Konzern den riesigen Internetmarkt Indiens. Insofern ist er für Facebook, Google und Co. ohnehin von Interesse.
Dass es Ambani nun gelungen ist, in derart großem Umfang US-Kapital zu mobilisieren, hat viel mit dem Handelskrieg gegen die Volksrepublik China zu tun, den US-Präsident Donald Trump vor gut einem Jahr vom Zaun gebrochen hat und den er seither immer weiter eskaliert. So besteht eine wichtige Säule der wirtschaftlichen Attacken gegen Beijing darin, Huawei aus dem 5G-Markt zu drängen, der von großer geopolitischer Bedeutung ist. Washington verzichtet deshalb nicht nur selbst auf die Leistungen des Unternehmens aus Shenzhen. Darüber hinaus übt die Trump-Administration Druck auf andere Regierungen aus und fordert unverhohlen, nicht mit Huawei zu kooperieren.
Zuletzt hatte Großbritannien Mitte Juli nachgegeben und angekündigt, den Kauf von Huawei-Komponenten ab Januar 2021 zu verbieten. Der Ausbau des 5G-Netzes auf der Insel dürfte sich dadurch deutlich verlangsamen. Schließlich ist die Expertise aus China nicht leicht zu ersetzen. Doch augenscheinlich schickt sich nun Jio an, dies zu ändern. Bei der Hauptversammlung Mitte Juli hatte Ambani überraschend verkündet, die Firma habe eine eigene 5G-Technologie entwickelt. Die von ihm kontrollierte Nachrichtenplattform news18.com sprach von einem »Huawei-Killer«. Und die politische Führung der USA schwärmt auffallend leidenschaftlich. So nannte etwa Außenminister Michael Pompeo Jio laut eines Berichts der Neuen Zürcher Zeitung vom 18. Juli ein Netzwerk, das »sauber« sei, weil es keine Huawei-Technologie benutze.
Auch die Rückendeckung der indischen Regierung ist Ambani gewiss: Bereits 2016 geriet Jio in die Kritik, weil die politische Unterstützung beim Markteintritt aus Sicht vieler Konkurrenten zu großzügig ausfiel. Geändert hat das nichts. Der Jio-Chef teilt mit Premierminister Narendra Modi nicht nur den Willen, das bevölkerungsreiche Land möglichst schnell und möglichst weitgehend zu digitalisieren. Auch im geopolitischen Streben nach weniger Abhängigkeit von China sind sich die beiden einig. Angesichts der engen Verbindung von Regierung und Geldelite ist wohl davon auszugehen, dass Jio den indischen Telekommunikationsmarkt bis auf weiteres dominieren wird.
Die 5G-Technologie könnte zudem das Sprungbrett sein, mit dem Ambanis Konzern zu einem der »Big Player« auf der Weltbühne wird. Die Milliarden aus den USA sind also sicherlich gut angelegt. Sie dürften sich allerdings nicht nur für die US-Konzerne auszahlen, sondern auch den Aufstieg Jios weiter vorantreiben – ebenso wie die Spannungen gegenüber China, die durch diese Episode des US-Wirtschaftskrieges weiter eskaliert werden. Die US-Regierung sieht das Engagement des einheimischen Kapitals in Indien daher sicher gerne.
Irgendwie entsteht beim Lesen dieser Artikel der Eindruck, in ein paar Jahren werden die Weltmächte China und Indien heißen, während sich der Rest der Welt um 5G-Technologie bei ihnen anstellt, weil Europa und die USA das nicht hinkriegen.
Währenddessen entwickeln Russland und Nordkorea zusammen 6G.
Warum tritt so ein Satire-Reflex ein, während man diese Artikel liest?
China wirft BRD Rechtsbruch vor
Scharfe Kritik an Berlins Aussetzung des Auslieferungsverfahrens mit Hongkong
Die Regierung Hongkongs hat am Samstag die Entscheidung der BRD, das Auslieferungsabkommen mit der Sonderverwaltungsregion auszusetzen, stark kritisiert. Das Vorgehen Berlins diene »politischen Zwecken« und nutze die Verschiebung der Wahlen zum Legislativrat in Hongkong aufgrund der ernsten epidemischen Situation in Hongkong als »Vorwand«, sagte ein Regierungssprecher laut der chinesischen Agentur Xinhua.
Der sozialdemokratische Bundesaußenminister Heiko Maas hatte am Freitag abend die Suspendierung des Auslieferungsabkommens verkündet, nachdem Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam bekanntgegeben hatte, dass die für September geplante Parlamentswahl um ein Jahr verschoben werde. Maas erklärte, Deutschland hätte erwartet, »dass China seine völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält«.
In einer Stellungnahme der chinesischen Botschaft in der BRD hieß es am Samstag dazu, die Entscheidung stelle einen »ernsten Verstoß gegen internationales Recht« und eine »Einmischung in innere Angelegenheiten« dar. »Wir behalten uns das Recht zu weiteren Reaktionen vor«. Es wurde zudem Verständnislosigkeit über »irrige Äußerungen« von Maas geäußert.
Derweil haben am Samstag die Behörden in der Sonderverwaltungsregion wegen der dramatisch ansteigenden Coronainfektionszahlen ein Feldlazarett für 500 Covid-19-Patienten eröffnet. Die auf dem ehemaligen Expogelände eingerichtete provisorische Klinik werde Patienten im Alter von 18 bis 60 Jahren aufnehmen, die sich in stabilem Zustand befinden, sagte Larry Lee von der Hongkonger Krankenhausbehörde vor Journalisten.
Seit Ende Juli steigen die Infektionszahlen stark an. Am Samstag meldeten die Behörden 125 Neuinfektionen. Die Gesamtzahl der nachgewiesenen Infektionen in Hongkong stiegen damit auf fast 4.000, die Zahl der Todesfälle erhöhte sich auf 31. Die Gesundheitskommission der chinesischen Zentralregierung teilte mit, sie habe ein Expertenteam aus 60 Laboranten sowie einem Vorauskommando zusammengestellt, das am Sonntag zur Unterstützung der Hongkonger Behörden entsandt werde. (Xinhua/dpa/AFP/jW)
Opfer im US-Wirtschaftskrieg
Betreiber will Videoplattform Tik Tok in USA wegen Verbotsdrohung verkaufen
Der chinesische »Tik Tok«-Eigentümer Bytedance ist nach der Verbotsankündigung von US-Präsident Donald Trump Insidern zufolge zu einem vollständigen Verkauf der US-Geschäfte »bereit«. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom Sonntag wolle Bytedance dem US-Internetgiganten Microsoft die Verwaltung der auf dem beliebten Videoportal gesammelten US-Nutzerdaten komplett übertragen. Reuters bezog sich dabei auf Angaben von »zwei mit den Vorgängen vertrauten Personen« vom Wochenende.
Der auf diese Weise geplante Rückzug des Eigners erlaube es auch anderen US-Unternehmen als Microsoft, das dortige Geschäft von »Tik Tok« zu übernehmen, so die Informanten. Damit will Bytedance offenbar dem in Aussicht stehenden Totalschaden vorbeugen – und die Verluste minimieren. Außerdem plant das Unternehmen, seinen US-Investoren die Möglichkeit einzuräumen, Minderheitsbeteiligungen zu übernehmen.
Die US-Regierung hat im Zuge ihres Wirtschaftskrieges gegen die Volksrepublik China »Sicherheits- und Datenschutzbedenken« gegen die vor allem bei jungen Leuten bliebte App geltend gemacht. Weltweit zählt »Tik Tok« etwa eine Milliarde Nutzer – darunter rund 100 Millionen in den USA. Am Freitag hatte der US-Präsident angekündigt, er wolle die Plattform im Lande verbieten. Nach den Worten von Handelsberater Peter Navarro wollte Trump entweder noch am Sonntag oder an diesem Montag eine Entscheidung treffen. »Die Regierung hat sehr ernste nationale Sicherheitsbedenken gegenüber Tik Tok«, erklärte das Präsidialamt. Dabei gehe es um Nutzerdaten, die nach China weitergegeben würden. (Reuters/jW)
Um was geht es bei Tik Tok, was würde ein etwaiger Übernehmer damit gewinnen? Einnahmen aus Nutzungsgebühren, Werbeeinnahmen?
Oder geht es darum, daß derartige Plattformen / soziale Medien usw. nur mehr von US-Firmen betrieben werden dürfen, aus Gründen der nationalen Sicherheit?
Beijings Börsenboom
China versucht über »Star Market« Kapital ins Land zu holen. Aktien von Ant Financial in Shanghai und Hongkong heiß begehrt
Von Simon Zeise
Es ist eine Retourkutsche an Washington. Während die US-Regierung gegen chinesische Hightechkonzerne zu Felde zieht, plant Beijing Medienberichten zufolge, den heimischen Zahlungsdienstleister Ant Financial schon im September an die Börsen in Shanghai und Hongkong zu bringen. Mit einer geschätzten Marktkapitalisierung von 200 Milliarden Dollar wäre es der größte Börsengang der Geschichte. Wenn der Konzern bis zu 15 Prozent seiner Aktien auf den Markt wirft, wäre das Listing des saudischen staatlichen Ölkonzerns Aramco übertroffen.
Das Tochterunternehmen des »chinesischen Amazons« Alibaba stellt in der Volksrepublik einen der am häufigsten genutzten Bezahldienste zur Verfügung: Über die Smartphone-App »Alipay« wickeln Millionen Menschen täglich ihre Geldtransfers ab.
Die US-Regierung verschärft den bereits seit zwei Jahren währenden Handelskrieg beinahe täglich. Neben einer Orgie von Strafzöllen und Sanktionen gegen chinesische Hightechkonzerne, hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, dass Unternehmen aus der Volksrepublik ab 2022 von der New Yorker Börse genommen werden sollen, wenn sie sich nicht von US-Prüfungsgesellschaften in die Bilanzen schauen lassen. Anlass bot die in Xiamen ansässige Kaffeehauskette »Luckin Coffee«, die am 17. Mai 2019 in die Technologiebörse Nasdaq aufgenommen worden war. Am 2. April dieses Jahres musste die Kaffeehauskette eingestehen, dass es sich bei der Hälfte ihrer ausgewiesenen Umsätze um Luftbuchungen gehandelt habe.
Um gegen ein drohendes Verbot in den USA oder die Willkür aus Washington – erinnert sei an die Inhaftierung von Huawei-Finanzvorstand Meng Wanzhou im Dezember 2018, die einer Geiselnahme glich – gewappnet zu sein, haben zahlreiche chinesische Konzerne wie der IT-Riese JD.com oder der Halbleiterhersteller SMIC bereits eine Zweitnotierung in Hongkong in die Wege geleitet.
Der Börsengang von Ant Financial wurde staatlich geplant. Shanghai und Hongkong kommen dabei besondere Rollen zu. Beijing will mit dem im Juli 2019 gegründeten »Shanghai Stock Exchange Science and Technology Innovation Board«, dem sogenannten Star Market einen eigenen Nasdaq entwickeln, um Kapital ins Land zu holen, die heimische Hightechindustrie finanziell zu stärken und perspektivisch eine Alternative zum internationalen Kapitalumschlagplatz in Hongkong anzubieten. Die Gründung des »Star Market«, die Präsident Xi Jinping veranlasst hatte, wird in der chinesischen Presse als Erfolg gefeiert. So berichtete etwa die South China Morning Post am 23. Juli euphorisch, der Aktienumschlagsplatz habe seit seiner Gründung bislang jeden Monat einen Milliardär hervorgebracht. Laut Xinhua sind in einem Jahr für die dort gelisteten Konzerne 217,9 Milliarden Yuan (31 Milliarden Dollar) erzielt worden. Auch ausländische Unternehmen können eine Notierung in Shanghai beantragen, wenn sie über eine Kapitalisierung in Höhe von mindestens 20 Milliarden Yuan und über »weltweit führende Technologie und innovative Stärke« verfügen, berichtete Xinhua am 26. Juli.
Doris Fischer, Professorin für »China Business and Economics« an der Universität Würzburg, sagte gegenüber jW, gelänge Ant Financial der Gang aufs Parkett, wäre es ein »unglaublicher Erfolg für die chinesische Regierung«. Es wäre ein wichtiger Schritt, um globale Investoren zu überzeugen, in China zu investieren und sich schrittweise von den US-Finanzmärkten loszulösen. Es handele sich allerdings um ein gemächliches Tempo, denn die Dominanz des US-Dollars sei ungebrochen. Der Yuan hat lediglich einen Anteil von rund zwei Prozent am Welthandel. Der internationale Zahlungsverkehr wird durch das SWIFT-System von Washington kontrolliert. Die USA können sich mit dieser »nuklearen Option« ihrer Konkurrenz entledigen, indem sie in Dollar verrechnete Zahlungsströme kappen.
Jack Ma, Firmengründer von Alibaba, sagte beim Börsengang in New York 2014: »Was wir heute eingenommen haben, ist nicht Geld, sondern Vertrauen.« Die Zeiten scheinen vorbei.
„die Dominanz des US-Dollars sei ungebrochen. Der Yuan hat lediglich einen Anteil von rund zwei Prozent am Welthandel.“
Soviel ich weiß, hat China den Yuan bis heute nicht für den Handel freigegeben, also wie soll er dann einen Anteil am Welthandel haben?
Das SWIFT-System sitzt in Belgien und ist eher eine EU-Institution. So ganz unter der Kontrolle der USA ist es also nicht:
https://de.wikipedia.org/wiki/SWIFT#Versuchte_Einflussnahme_auf_SWIFT
Was an diesem Börsengang bei dem obigen Artikel ebenfalls etwas untergeht, ist die Rolle, die Hongkong in diesem Zusammenhang zugedacht wird: Da soll sowohl die Integration in die chinesische Wirtschaft als auch die Bedeutung Hongkongs für China herausgestrichen werden, als Sprungbrett für die Einrichtung eines eigenen Finanzzentrums.
Ich lese und sehe übrigens auch nichts mehr Demos dort. Entweder es gibt sie nicht mehr, oder die internationalen Medien haben das Thema ad acta gelegt.
Im transpazifischen Kalten Krieg (01.09.2020)
Chinas Außenminister Wang Yi besucht Berlin. Die USA intensivieren Wirtschaftssanktionen und militärische Provokationen.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Fast täglich gesteigerte US-Aggressionen gegen China begleiten die heute zu Ende gehende Europareise des chinesischen Außenministers Wang Yi. Wang führt heute Gespräche in Berlin; er sucht einen transatlantischen Schulterschluss gegen Beijing zu verhindern und hat während seiner Reise vor einem “neuen Kalten Krieg” gewarnt. Die Trump-Administration hat nicht nur ihre Sanktionen gegen Huawei erheblich ausgeweitet und chinesische Internetkonzerne mit einem Verbot ihrer Geschäftstätigkeit in den USA bedroht, sondern zuletzt auch Sanktionen gegen Tochterfirmen des staatlichen Baukonzerns CCCC verhängt; US-Politiker bezeichnen die Firma, die eine wichtige Rolle für Bauprojekte im Rahmen der Neuen Seidenstraße spielt, vielsagend als “Huawei der Infrastruktur”. Zudem verschärfen die USA militärische Provokationen. Berlin hat zuletzt bekräftigt, die von Washington geforderte “Entkopplung” von Beijing abzulehnen. Wangs Europareise wird von systematisch orchestriertem Protest begleitet, der – günstig für die US-Aggression – die Kooperation stören soll; eine zentrale Rolle spielen dabei Bündnis 90/Die Grünen.
Verhältnis zu China: “kompliziert”
Im Zentrum der heute zu Ende gehenden Europareise des chinesischen Außenministers Wang Yi steht das Bemühen, einen umfassenden transatlantischen Schulterschluss gegen die Volksrepublik zu verhindern. US-Außenminister Mike Pompeo hatte Ende Juli in London die Schaffung einer “breiten Allianz” gegen Beijing gefordert und erklärt, sämtliche Demokratien müssten “eine Koalition” bilden, um gemeinsam gegen die Volksrepublik vorzugehen.[1] Mitte August hatte der vormalige CIA-Direktor dann Polen, Tschechien, Slowenien und Österreich bereist, um seine antichinesische “Allianz” zu fördern. Berlin sucht den Schulterschluss zu meiden. Anfang August hatte der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth in einem Namensbeitrag erklärt, “das Verhältnis der EU zu China” sei “kompliziert”; Beijing sei zwar einerseits “Systemrivale”, andererseits aber auch – vor allem ökonomisch – “wichtiger Partner”: “Unsere Volkswirtschaften sind miteinander verflochten, Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse.”[2] Insbesondere erklärte Roth, die von Washington geforderte “möglichst weitgehende ‘Entkoppelung’ von China” sei “für die EU … keine Option”.
Das “Gesetz des Dschungels”
Wang sucht nun dem US-Druck etwas entgegenzusetzen. Bereits am Dienstag warnte er auf der ersten Station seiner Europareise in Rom, “ein neuer kalter Krieg” werde die ganze Welt als Geisel nehmen. China lehne ihn dezidiert ab – und biete allen die Hand, “sich jedem zu widersetzen”, der versuche, “uns wieder in das ‘Gesetz des Dschungels’ zu ziehen”.[3] Die Äußerung war klar auf Washington und seine global zunehmenden unilateralen Aggressionen gemünzt. Konkret diente die Reise des Außenministers nicht zuletzt dem Ziel, die Videokonferenz der EU mit Chinas Präsident Xi Jinping vorzubereiten, die für den 14. September angekündigt ist; zudem stellte Wang auf einer Veranstaltung am Sonntag in Paris in Aussicht, das geplante Investitionsabkommen zwischen der EU und China noch in diesem Jahr zum Abschluss zu bringen.[4] Nach Aufenthalten in Italien, Frankreich, den Niederlanden und Norwegen hält sich Wang am heutigen Dienstag zu Gesprächen in der deutschen Hauptstadt auf. Zudem wird Chinas Spitzendiplomat Yang Jiechi, Mitglied des Politbüros, noch diese Woche in Griechenland und Spanien erwartet – ebenfalls ein Teil der Bemühungen Beijings, seine Beziehungen zu Europa zu stabilisieren.
Eskalierende Sanktionen
Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem die Vereinigten Staaten ihre Aggressionen gegen China beinahe täglich steigern. So hat die Trump-Administration jüngst ihre Sanktionen gegen Huawei so verschärft, dass nun alle Chiphersteller weltweit, die auch nur in geringem Maße US-Produkte nutzen, dem chinesischen Telekomkonzern keinerlei Halbleiter mehr liefern dürfen. Aufgrund der bedeutenden Stellung von US-Konzernen in der High-Tech-Branche läuft das auf einen kompletten Halbleiterboykott und womöglich auf den Kollaps des Unternehmens nach dem Aufbrauchen der vorhandenen Reserven hinaus, die Experten zufolge allenfalls bis zum kommenden Frühjahr reichen.[5] Die Trump-Administration bedroht darüber hinaus chinesische Apps wie TikTok oder WeChat mit dem Verbot – und verbindet dies im Mafia-Stil mit dem Angebot, TikTok zu einem per Verbotsdrohung, also gewaltsam gesenkten Preis an einen US-Konzern zu verkaufen. Vergangene Woche hat Washington darüber hinaus Sanktionen gegen 24 Unternehmen verhängt, die auf Inseln im Südchinesischen Meer Aktivitäten entfalten, darunter fünf Tochterfirmen des Baukonzerns CCCC (China Communications Construction Company). Die Folgen sind noch nicht abschließend geklärt. Beschränkten sich die Sanktionen auf einen Lieferboykott, hätten sie wenig Folgen; CCCC kauft kaum US-Produkte.[6] Allerdings ist unklar, ob sich Kooperationspartner des Konzerns abschrecken lassen. CCCC, von US-Politikern bereits vielsagend als “Huawei der Infrastruktur” etikettiert, führt annähernd 1.000 Projekte in mehr als 150 Staaten durch und spielt bei Bauvorhaben im Rahmen der Neuen Seidenstraße eine herausragende Rolle.
Militärische Provokationen
Darüber hinaus weiten die Vereinigten Staaten ihre militärischen Provokationen aus, insbesondere im Südchinesischen Meer. Dort hat die U.S. Pacific Fleet ihre Manöver verstärkt und mehrmals gemeinsam mit Marineschiffen Australiens Kriegsübungen durchgeführt, zum Teil in unmittelbarer Nähe zu chinesischen Schiffen. Mitte August trainierten B-1- und B-2-Bomber der U.S. Air Force in Verbindung mit einer US-Flugzeugträger-Kampfgruppe nahe Japans und über dem Indischen Ozean; vergangene Woche durchquerte ein US-Lenkraketenzerstörer demonstrativ die von China beanspruchten Gewässer um die Paracel-Inseln. Nur kurz zuvor war ein U-2-Spionageflugzeug der U.S. Pacific Air Forces ungenehmigt in eine nordostchinesische Flugverbotszone eingedrungen, während die chinesischen Streitkräfte dort ihrerseits Übungen durchführten – ein riskanter Schritt, der auch in westlichen Militärkreisen bestehende Befürchtungen nährt, die USA könnten mit einem – gewollten – Unfall eine bewaffnete Auseinandersetzung zu provozieren suchen. Beijing hat in den vergangenen Tagen unter anderem mit vier gleichzeitig abgehaltenen Manövern – im Süd- und im Ostchinesischen Meer, im Gelben Meer und im Golf von Bohai – klargestellt, dass es auf eine etwaige Verteidigung gegen US-Angriffe vorbereitet ist. Zudem haben die chinesischen Streitkräfte in einer Übung mehrere Raketen der Modelle DF-21D und DF-26B ins Südchinesische Meer gefeuert. Die DF-21D gilt als hocheffiziente Antischiffsrakete und wird daher auch “Carrier Killer” genannt; die DF-26B kann gegebenenfalls den US-Militärstützpunkt Guam im Pazifik erreichen.
Kampagne gegen Beijing
In dieser Situation hat ein antichinesisches Parlamentarierbündnis, in dem rechte US-Hardliner und deutsche Grünen-Politiker eine führende Rolle spielen, die Europareise des chinesischen Außenministers mit PR-Aktionen begleitet, die offen darauf zielen, die Spannungen noch weiter zu verschärfen. Bei dem Bündnis handelt es sich um die Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), einen Zusammenschluss, der auf Initiative unter anderem des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer gegründet wurde; prominentes Führungsmitglied ist US-Senator Marco Rubio, im IPAC-Beirat ist nicht zuletzt ein langjähriger CIA-Spezialist aktiv (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die IPAC hat Protestaktionen mit Hongkong-Aktivisten am Rande des Wang-Besuchs, Protestbriefe und in den Niederlanden eine angebliche Einladung an Wang zum Gespräch über die Lage in Xinjiang organisiert [8]; in Deutschland haben die drei IPAC-Mitglieder Michael Brand (CDU), Gyde Jensen (FDP) und Margarete Bause (Bündnis 90/Die Grünen) die Regierung aufgefordert, in den Gesprächen mit dem chinesischen Außenminister auf eine “zurückhaltende Sprache” zu verzichten und “Klartext zu reden” [9]. Vorwand sind menschenrechtliche Argumente, die die IPAC-Mitglieder allerdings gegen westliche Mächte nicht vorbringen (völkerrechtswidrige Kriege gegen Jugoslawien, Irak, Libyen, Menschenrechtsverbrechen im “Anti-Terror-Krieg”, bei der EU-Flüchtlingsabwehr etc.). Faktisch begünstigt das Störmanöver den von der Trump-Administration gewünschten transatlantischen Schulterschluss gegen Beijing.
Deutsches Dilemma
Dissonanzen in der Außenpolitik: BRD will eine von den USA »unabhängige Position« gegenüber der Volksrepublik China einnehmen
Von Jörg Kronauer
Nach dem Berlin-Besuch des chinesischen Außenministers Wang Yi dauert die Debatte um die deutsche China-Politik an. Schwere Vorwürfe gegen diejenigen, die eine Zusammenarbeit mit der Volksrepublik befürworten, erhob der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand. Brand warnte die Bundesregierung vor einem angeblichen »Kotau« vor Beijing und beschimpfte Siemens-Chef Joseph Käser (Joe Kaeser) als »ein sehr schlechtes Beispiel«; Käser, der für eine Kooperation mit China eintritt, werfe sich »vor der KP in den Staub«. Wirtschaftskreise wiederum wiesen darauf hin, dass die Volksrepublik für einige der größten deutschen Konzerne mittlerweile der bedeutendste Markt sei; man müsse darauf Rücksicht nehmen, zugleich jedoch darauf achten, nicht weiter in Abhängigkeiten zu geraten.
Außenminister Heiko Maas hatte sich am Dienstag bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Wang an einem widersprüchlichen Dreiklang versucht. Einerseits sprach er sich für den raschen Abschluss des schon seit langem geplanten Investitionsabkommens zwischen der EU und China aus. Andererseits zelebrierte er in der anschließenden Pressekonferenz die bekannten Vorwürfe des Westens gegen Beijing in Sachen Hongkong und Xinjiang. Die wegen der Covid-19-Pandemie verschobene Wahl in Hongkong müsse »schnell und ungehindert« stattfinden, forderte Maas. Wang wies dies umgehend als Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes zurück. Bei alledem legte Maas allerdings – drittens – Wert darauf, ungeachtet aller Vorwürfe gegen China eine von den Vereinigten Staaten unabhängige Position zu vertreten. Man werde nicht zulassen, »dass wir zum Spielball einer Großmächtekonkurrenz der USA und Chinas werden«, kündigte der deutsche Außenminister an.
Maas bezog dies insbesondere auf die Bestrebungen der Trump-Administration, eine ökonomische »Entkopplung« (»Decoupling«) des Westens von China zu erzwingen, um die Volksrepublik zu isolieren und sie dann im globalen Machtkampf niederringen zu können. »Eine Abkoppelung der EU und Chinas ist nicht in unserem Interesse«, teilte Maas nach seinem Gespräch mit Wang mit. Auch die Bundesregierung ließ über einen ihr nahestehenden Reporter verlauten: »Beide Länder brauchen sich tatsächlich.« Zur Begründung wurde auf die Tatsache verwiesen, dass die chinesische Wirtschaft die Coronakrise in mancher Hinsicht fast schon hinter sich gelassen habe und wieder stark wachse. Dadurch habe China im Lauf dieses Jahres bereits Frankreich als zweitgrößten Absatzmarkt deutscher Unternehmen abgelöst und könne laut Einschätzung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft bis Jahresende sogar die USA als bislang mit Abstand bedeutendsten Absatzmarkt überholen. Eine Abkopplung von China wäre für die deutsche Industrie fatal.
Während die Bundesregierung darauf setzt, Druck auf die Volksrepublik mit einer Fortsetzung der Wirtschaftskooperation zu verbinden, beteiligten sich Bundestagsabgeordnete an einer Protestkampagne, die Wangs vergangene Woche gestartete und in Berlin beendete Europareise auf allen Stationen begleitete. Organisiert worden war sie von der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), einem Zusammenschluss von Parlamentariern aus 16 Staaten, die im Juni unter maßgeblicher Mitwirkung antichinesischer US-Hardliner, darunter der exilkubanische Senator Marco Rubio, sowie des deutschen Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer gegründet worden war. Der IPAC gehört neben mehreren Grünen-, FDP- und SPD-Politikern auch der CDU-Abgeordnete Brand an.
Deutschland im Indo-Pazifik (I) (03.09.2020)
Bundesregierung veröffentlicht neue “Leitlinien zum Indo-Pazifik”. Ziele: Wirtschaftskooperation mit China, Aufbau eines Gegengewichts gegen Beijing.
BERLIN (Eigener Bericht) – In ihren gestern veröffentlichten “Leitlinien zum Indo-Pazifik” stellt die Bundesregierung die Intensivierung ihrer Aktivitäten in Süd-, Südost- und Ostasien in Aussicht, darunter militärische Maßnahmen. Wie es in dem Papier heißt, sollen die ökonomischen und die politischen Beziehungen zu den Ländern der Großregion spürbar ausgebaut werden; Außenminister Heiko Maas erklärt: “Der Indo-Pazifik ist eine Priorität der deutschen Außenpolitik.” Militärische Kooperation wird mit Ländern angestrebt, die in der einen oder anderen Form in Rivalität zu China stehen; die “Leitlinien” plädieren unter anderem für engere NATO-Beziehungen beispielsweise zu Japan und Australien. Gleichzeitig sieht das Dokument den Ausbau der ökonomischen Kooperation mit der Volksrepublik vor – in klarer Absetzung von der Politik der Trump-Administration. Das Chinageschäft gilt in der deutschen Industrie längst als unersetzlich; Experten zufolge könnte die Volksrepublik noch in diesem Jahr die USA als größten Absatzmarkt deutscher Exporteure ablösen. Maas verlangt, die EU dürfe kein “Spielball einer Großmächte-Konkurrenz der USA und Chinas” werden.
“In Freunde und Feinde geteilt”
Der Begriff “Indo-Pazifik” ist in der Debattenwelt außenpolitischer Strategen noch relativ neu. Üblich waren lange Zeit traditionelle Begriffe wie Süd-, Südost- und Ostasien, unter denen jeweils Regionen subsumiert wurden, die gewisse historisch-kulturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Sollten die Boomregionen Ost- und Südostasiens gemeinsam betrachtet werden, griffen Fachleute häufig auf die Bezeichnung “Asien-Pazifik” zurück; der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) etwa unterhält gemeinsam mit anderen Wirtschaftsverbänden den Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. “Indo-Pazifik” wurde im Jahr 2007 von dem indischen Marinestrategen Gurpreet S. Khurana eingeführt.[1] Khurana ging es vor allem darum, Indien in die Debatte zu integrieren, um dem indischen Interesse an Teilhabe am ost- und südostasiatischen Boom Geltung zu verschaffen. Übernommen hat den Begriff dann im Herbst 2017 die Trump-Administration. Sie verfolgte damit freilich ein anderes Ziel: Es ging ihr darum, einen begrifflichen Rahmen zu spannen, um alle potenziellen Rivalen Chinas – von Japan über Australien bis nach Indien – zum gemeinsamen Kampf gegen die Volksrepublik zusammenzuführen. Khurana hat sich bitter darüber beklagt. In seiner US-Variante diene der Begriff dazu, “in einer aktualisierten Version des Kalten Kriegs” China “einzudämmen”; er definiere nun einen “geopolitischen Rahmen, der Asien in Freunde und Feinde teilt”. Das sei das Gegenteil seines ursprünglichen Plans.[2]
In Absetzung von den USA
Das Auswärtige Amt und Minister Heiko Maas haben den Begriff “Indo-Pazifik” in den vergangenen Jahren stillschweigend übernommen – freilich ohne seine weitreichenden politischen Implikationen näher zu erläutern. Über den Hintergrund hieß es im Mai bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die EU und ihre Mitgliedstaaten sähen sich “verstärkt Druck aus Washington ausgesetzt, sich direkt oder indirekt zum ‘Indo-Pazifik’ zu bekennen – und damit aus Sicht der USA für Washington und gegen Peking”.[3] In ihren gestern veröffentlichten “Leitlinien zum Indo-Pazifik” bezieht die Bundesregierung zur Begriffsfrage Position. “Indo-Pazifik” werde “von unterschiedlichen Akteuren unterschiedlich definiert”, heißt es in dem Papier: “Die Bundesregierung versteht unter dem Indo-Pazifik die Gesamtheit des vom Indischen Ozean und vom Pazifik geprägten Raums.”[4] Von der US-Konzeption setzt sich das Dokument dadurch ab, dass es zahlreiche Felder der Zusammenarbeit mit China benennt – vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Zudem heißt es mit Blick auf die zunehmenden Bestrebungen der USA, die Staaten der Region zu einer offenen Positionierung an ihrer Seite gegen Beijing zu nötigen: “Kein Land soll – wie in Zeiten des Kalten Krieges – vor die Wahl gestellt werden, sich zwischen zwei Seiten entscheiden zu müssen”.
Gegengewicht gegen China
Setzt sich die Bundesregierung damit von der Politik der Trump-Administration ab, so stellt sie zugleich einen “Schulterschluss mit den Demokratien und Wertepartnern der Region” in Aussicht; dabei handelt es sich vor allem um Japan und Südkorea, um Australien und Neuseeland, um den südostasiatischen Staatenbund ASEAN und um Indien. Ein “Schulterschluss” mit ihnen läuft faktisch auf die Bildung eines “indo-pazifischen” Gegengewichts gegen China hinaus. Dabei will Berlin die Zusammenarbeit mit ihnen nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch militär- und rüstungspolitisch intensivieren. So sehen die neuen “Leitlinien” nicht nur die “Teilnahme an sicherheitspolitischen Foren”, sondern auch “die Teilnahme an Übungen in der Region”, “die Entsendung von Verbindungsoffizieren” sowie “verschiedene Formen maritimer Präsenz” vor.[5] Die Bundesregierung will “die bilaterale Verteidigungszusammenarbeit” mit den “Ländern der Region pflegen” sowie gegebenenfalls ausgewählte “Länder des Indo-Pazifiks” in die Berliner “Ertüchtigungsinitiative einbeziehen”. Gemeint sind Ausbildungsprogramme der Bundeswehr für ausländische Streitkräfte. Nicht zuletzt kündigt die Regierung an, sich in der NATO “für den Ausbau der Beziehungen zu den ‘Partners Across the Globe'” einzusetzen. Gemeint sind insbesondere Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea.
Zweitwichtigster Markt überhaupt
Die Positionsbestimmung der “Leitlinien” ermöglicht es der Bundesrepublik, ihre wirtschaftliche Kooperation mit China und den Aufbau eines asiatischen Gegengewichts gegen die Volksrepublik zu verbinden und zugleich Eigenständigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten zu wahren. Die Regierung hat zuletzt anlässlich des Berlin-Aufenthalts des chinesischen Außenministers Wang Yi am Dienstag bestätigt, dass sie – entgegen den “Entkopplungs”-Forderungen (“decoupling”) der Trump-Administration – auf der Weiterführung der ökonomischen Kooperation mit China besteht: “Beide Länder brauchen sich tatsächlich”, wurden Regierungskreise gestern zitiert.[6] In der Tat erwirtschaften die deutschen Dax-Konzerne mittlerweile 15 Prozent ihres Umsatzes in China; das Land ist damit ihr zweitwichtigster Markt nach den USA. Für die Autokonzerne Volkswagen, Daimler und BMW sowie für den Chipproduzenten Infineon ist die Volksrepublik inzwischen der größte Markt überhaupt; VW erzielt dort mehr als 40 Prozent seines Umsatzes.[7] War China bislang drittgrößter Absatzmarkt deutscher Exportunternehmen, so hat es, da seine Industrie trotz der Coronakrise bereits wieder rasch wächst, den bislang zweitgrößten Käufer deutscher Exporte, Frankreich, überholt und könnte laut Einschätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft noch in diesem Jahr die Vereinigten Staaten als größten Absatzmarkt deutscher Exporteure ablösen.[8]
“Abhängigkeit verringern”
Während ein Verzicht auf die Profite aus dem Chinageschäft für die Bundesregierung nicht zur Debatte steht, dringt Berlin zunehmend auf “Diversifizierung”: Man wolle die rasch zunehmende “wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik … verringern”, werden Stimmen aus dem Auswärtigen Amt zitiert. Es gehe, heißt es, um “die Eindämmung des Risikos, das von einer einseitigen Fokussierung auf einen Handelspartner ausgeht”.[9] Dazu sehen die “Indo-Pazifik-Leitlinien” unter anderem den Abschluss von EU-Freihandelsabkommen mit Ländern der Region vor. Berlin strebt dies schon lange an; mittlerweile sind EU-Freihandelsverträge mit Japan, Südkorea und Singapur in Kraft. Verhandlungen mit Australien und Neuseeland sind schon im Gang. Der Versuch, ein Freihandelsabkommen mit dem gesamten Staatenbund ASEAN zu schließen, ist gescheitert. Die “Leitlinien” schlagen seine Wiederaufnahme vor.
“Unabhängig von West und Ost”
Führende Politiker aus Deutschland und der EU sind zuletzt mehrfach mit Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten, die die Absicht erkennen lassen, eine von China wie von den Vereinigten Staaten unabhängige Position aufzubauen – auch in Asien. Außenminister Maas erklärte anlässlich seines Treffens mit Wang am Dienstag, die EU dürfe nicht zulassen, “dass wir zum Spielball einer Großmächte-Konkurrenz der USA und Chinas werden”. Mit Bezug auf die Nutzung von 5G-Technologie des chinesischen Konzerns Huawei äußerte Maas, die EU dürfe “weder nach Westen noch nach Osten in eine digitale Abhängigkeit geraten”.[10] Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb in einem soeben publizierten Namensartikel: “Wir müssen es vermeiden, an einen Punkt zu gelangen, wo wir Europäer, wie mein Freund Enrico Letta sagt, dazwischen wählen müssen, eine chinesische oder eine US-amerikanische Kolonie zu sein.”[11] Letta hatte im Laufe seiner politischen Karriere mehrere Parlamentsmandate und Ministerposten inne und amtierte von 2013 bis 2014 als italienischer Ministerpräsident.
Die “Indo-Pazifik-Leitlinien” nehmen eine riesige Region ins Visier. german-foreign-policy.com berichtet in den kommenden Wochen in lockerer Folge über “indo-pazifische” Schwerpunktgebiete der Berliner Einflusspolitik.
Ja ja, diese Absichtserklärungen und „Wir werden! … Wir müssen! … “ Erinnert mich an Obamas „Pivot to Asia“, der genauso sang- und klanglos untergegangen ist wie andere seiner Projekte.
Und dann noch Deutschland, das da versucht, Weltpolitik in Fernost zu machen!
Gegen Beijing gerichtet
Berlin beteiligt sich an der Anti-China-Front, auch und gerade im militärischen Bereich
Von Jörg Kronauer
In ihren neuen »Leitlinien zum Indopazifik« kündigt die Bundesregierung an, ihre außen- und militärpolitischen Aktivitäten – pardon, heute sagt man: »ihr sicherheitspolitisches Engagement« – »im indopazifischen Raum (…) auszuweiten«, und zwar »in der gesamten Bandbreite, einschließlich des maritimen Bereichs«. Unter anderem plant sie, »noch aktiver an Maßnahmen zu Schutz und Sicherung der regelbasierten Ordnung im Indopazifik« teilzunehmen. Genannt werden etwa Operationen zur Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea.
Schon seit geraumer Zeit ist zu diesem Zweck gelegentlich die Entsendung deutscher Kriegsschiffe im Gespräch. Die Formulierungen der Leitlinien lassen noch einiges mehr zu: So schließen sie, unter dem Vorwand, im Südchinesischen Meer die »Schiffahrtsfreiheit« schützen zu wollen, eine Beteiligung an Patrouillen dort nicht aus. In der Vergangenheit ist es schon zu gefährlichen Situationen gekommen, als westliche Kriegsschiffe beinahe mit chinesischen kollidiert wären. Künftig könnte die deutsche Marine beteiligt sein.
Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung, die militärpolitische Kooperation »mit Partnern in der Region weiter auszubauen«. Dazu zählen sogenannte strategische Dialoge, Stabsgespräche und Ausbildungskooperation. Künftig sollen nicht nur Besuche intensiviert, sondern auch die »verteidigungspolitischen Kontakte« in die Region selbst gestärkt werden. Das schließt, heißt es, »Verbindungsoffiziere, Militärattachéstäbe, Hafenbesuche und die Teilnahme an Übungen« ein.
Die Bundesregierung setzt sich darüber hinaus »innerhalb der NATO für den Ausbau der Beziehungen zu den ›Partners Across the Globe‹ ein, zu denen im Indopazifik u. a. Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea zählen«. Der »enge Austausch« mit ihnen soll nicht zuletzt »in Form gemeinsamer Ausbildungsmaßnahmen und Übungen« vollzogen werden. Dabei geht es Berlin auch um die Verbesserung der »Interoperabilität«, also der Fähigkeit, gemeinsam Krieg zu führen.
Die Pläne für deutsche Militäraktivitäten im Indischen und im Pazifischen Ozean sind nicht ganz neu. So hatte die deutsche Marine in diesem Jahr ursprünglich die Übungsfahrt einer deutschen Fregatte in den Indischen Ozean und weiter bis nach Australien geplant, doch sie musste pandemiebedingt abgesagt werden. Bereits seit 2016 nehmen deutsche Soldaten regelmäßig an dem alle zwei Jahre stattfindenden US-Manöver »Rimpac« (Rim of the Pacific, Randzone des Pazifik) im Pazifischen Ozean teil.
Seit einigen Jahren intensiviert die Bundesrepublik zudem ihre militärpolitischen Beziehungen zu Australien. Dem Land also, das sich in der Region mit seiner aggressiv antichinesischen Politik seit geraumer Zeit den Ruf erworben hat, als Hilfssheriff der Vereinigten Staaten aufzutreten. Gleichzeitig ist Canberra in den vergangenen Jahren einer der bedeutendsten Kunden deutscher Waffenschmieden geworden. Australien rüstet drastisch auf: Erst kürzlich teilte Premierminister Scott Morrison mit, in den kommenden zehn Jahren sollten umgerechnet gut 165 Milliarden Euro in den Militärhaushalt des Landes fließen – 35 Prozent mehr als geplant. Der Machtkampf mit China entwickelt sich auch für deutsche Rüstungskonzerne zu einem überaus lukrativen Geschäft.
Trump zielt auf Chinas Achillesferse
Washington droht größtem Halbleiterentwickler der Volksrepublik mit Handelsembargo. Wertschöpfungskette des Landes wäre empfindlich getroffen
Von Simon Zeise
Die chinesische Wirtschaft ist weiter auf Wachstumskurs. Am Montag teilte die Zollverwaltung in Beijing mit, dass die Exporte im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,5 Prozent gestiegen sind. Unterm Strich verzeichnete der Außenhandel damit ein Plus von 4,2 Prozent auf einen Wert von rund 412 Milliarden US-Dollar.
Um den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zu stoppen, setzt die US-Regierung weiter auf Sabotage. Der in Shanghai ansässige Halbleiterhersteller »Semiconductor Manufacturing Industry Corporation« (SMIC) soll auf eine schwarze Liste von Unternehmen gesetzt werden, hatte eine Sprecherin des US-Außenministeriums am Freitag (Ortszeit) in Washington mitgeteilt. Eine Begründung für das Vorgehen nannte sie nicht.
Medienberichten zufolge soll es um mutmaßliche Kontakte zwischen dem Chiphersteller und der Volksbefreiungsarmee gehen. Die Vorwürfe wirken konstruiert. Aus einer Studie des Pentagon, aus dem die Financial Times (FT) am Montag zitierte, hieß es, dass viele Forscher an chinesischen Militärhochschulen mit Geräten und Chips von SMIC arbeiteten. Dies zeige, dass diese Forschung spezifisch auf SMIC-Produkte zugeschnitten sei und es ihnen unmöglich mache, ihre Chips von einem anderen Anbieter herstellen zu lassen, heißt es in dem Bericht. Es wurde auch auf Pressemitteilungen und chinesische Medienberichte über die geschäftliche Zusammenarbeit zwischen SMIC und CETC hingewiesen, einem Auftragnehmer der Armee mit vielen verbundenen Unternehmen, die bereits auf der schwarzen Liste der USA stehen. Ein US-Regierungsbeamter sagte der FT, der Bericht informiere über »die laufenden Diskussionen«.
Sollte SMIC auf der »Entity List« landen, werden deren Geschäftspartner künftig mit Handelsrestriktionen und finanziellen Sanktionen aus Washington bedroht. Die US-Regierung setzt die schwarze Liste häufig ein, um die chinesische Industrie zu treffen. Inzwischen sind dort mehr als 275 in China ansässige Firmen aufgezählt. Für besonders viele Schlagzeilen hatten die Maßnahmen gegen die Netzwerkanbieter Huawei und ZTE gesorgt. Das Embargo träfe auch Unternehmen in Europa und in den Vereinigten Staaten. So gehören die US-Firma Applied Materials und der niederländische Chiphersteller ASML (siehe jW vom 10. August) zu den größten Zulieferern für SMIC.
Der Aktienkurs des Unternehmens in Hongkong brach am Montag um rund ein Fünftel ein. In Shanghai fielen die Werte um zehn Prozent. Das Unternehmen verlor mehr als fünf Milliarden Dollar an der Börse.
SMIC erklärte am Wochenende, man stehe komplett unter Schock. Man sei bereit, mit der US-Regierung zusammenzuarbeiten, um »Missverständnisse« aus der Welt zu räumen. Der Konzern bestritt zudem jegliche militärischen Verbindungen. »Das Unternehmen stellt Halbleiter her und bietet Dienstleistungen ausschließlich für zivile und gewerbliche Endverbraucher an. Wir haben keine Beziehung zum chinesischen Militär.« Bei allen entsprechenden Berichten handele es sich falsche Anschuldigungen und falsche Nachrichten, sagte ein Sprecher der Financial Times am Montag.
Beijing verurteilte das Vorgehen als Schikane. Die USA betrieben »unverhohlenes Mobbing« gegen chinesische Unternehmen, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag. Die Vereinigten Staaten müssten aufhören, ausländische Firmen zu unterdrücken.
Während Huawei das weltweit führende Unternehmen beim 5G-Netzausbau ist, hinken chinesische Unternehmen bei der Entwicklung von Halbleitern westlichen Konzernen hinterher. Das Handelsembargo für SMIC könnte Chinas Bemühungen zur Entwicklung einer eigenen inländischen Industrie für integrierte Schaltkreise und Software empfindlich stören; die Produktion von Smartphones, 5G-Basisstationen bis hin zu Raketenleitsystemen wäre beeinträchtigt. Sollte die US-Regierung ihre Drohung wahrmachen, wäre die Achillesferse der chinesischen Wertschöpfungskette getroffen.
China soll von westlicher Technik abgeschnitten werden
Europäische Firmen kommen immer häufiger unter die Räder, weil die USA ihre Handelssanktionen gegen China immer stärker ausweiten
Halbleiterfertigung: China wirbt aggressiv TSMC-Ingenieure ab
Verdoppelte Gehälter, Boni und Aufstiegsperspektiven sollen laut einem Medienbericht neue Talente anlocken.
Während die deutschen Aktivitäten eher einen Alibi-Charakter eines militärischen Adabei haben, fahren die USA schon schwere Geschütze auf, sowohl auf militärischem als auch auf ökonomischem Gebiet.
Erstens deshalb, weil sie die Macht dazu haben, im Unterschied zur EU.
Zweitens auch deshalb, weil bei den USA Freund und Feind recht klar definiert sind – im Grunde alles außerhalb der USA ist der Feind – wohingegen die EU mit allen Geschäfte machen will und sich militärisch mit NATO-Mitgliedschaft freie Bahn beim Welthandel erkaufen will.
Die Volksrepublik holt auf
Chinas Wirtschaft wächst wieder
Von Jörg Kronauer
Nein, im freien Westen wäre das, was die chinesische Regierung da treibe, völlig unmöglich: So äußerten sich hierzulande, als die Volksrepublik im Januar mit harten Mitteln gegen die Covid-19-Pandemie durchzugreifen begann, nicht wenige, damals noch in dem irrtümlichen Glauben, sicher zu sein vor der Seuche, gleichzeitig stolz auf die vermeintliche moralische Überlegenheit des liberalen Westens gegenüber dem angeblich autoritären Ostasien. Heute zeigt sich immer klarer, welche Weltregion im Kampf gegen die Pandemie erfolgreich ist und welche eher nicht. Den jüngsten Beleg liefern aktuelle Wirtschaftsdaten, die aufs neue bestätigen, dass der Westen dieses Jahr ökonomisch krass abstürzen wird, während China wieder auf Wachstumskurs ist: Laut am Dienstag präsentierten Prognosen der Asiatischen Entwicklungsbank darf das Land einen Anstieg seiner Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent erhoffen; zuvor hatten bereits US-Institute, etwa JP Morgan oder die Ratingagentur Fitch, ein Plus von sogar 2,5 respektive 2,7 Prozent vorausgesagt. Die Volksrepublik holt in der Krise gegenüber Europa und den USA weiter auf.
Was tun? In einem sind sich die westlichen Mächte einig: Chinas Aufstieg erfordert, will man ihn noch bremsen, stärkeren Druck auf Beijing, lauteres Krakeelen in Sachen Hongkong und Xinjiang, wohl auch neue militärische Schritte etwa im Südchinesischen Meer. Ökonomisch setzen Deutschland und die EU allerdings noch auf Kooperation: Die Volksrepublik ist für Europas Industrie unverzichtbar, um den eigenen Absturz zu dämpfen. Daher das Drängen auf den möglichst schnellen Abschluss eines Investitionsabkommens mit Beijing; soviel Zusammenarbeit muss – allein aus blankem Eigeninteresse – sein.
Einen anderen Weg geht die Trump-Administration: Chinas Aufholen auf dem Feld der Ökonomie beantwortet sie mit stets neuen Feldzügen in ihrem Wirtschaftskrieg gegen Beijing, um die chinesische Industrie doch noch sturmreif zu schießen. Huawei? Muss weg. Tik Tok? Wegkaufen oder verbieten. Jüngstes Beispiel: Washington zieht Sanktionen gegen Chinas Chiphersteller SMIC in Betracht. Trump spielt va banque. Klar: Derlei Sanktionen schaden der Volksrepublik schwer. Nur: US-High-Tech-Konzerne klagen schon lange, der Boykott beraube sie ihres bedeutendsten Absatzmarkts, senke also den Profit. Und vor allem: Washingtons stets neue Willkürsanktionen motivierten die Konkurrenz nicht nur in China, auf US-Produkte zu verzichten, Alternativen zu ihnen zu entwickeln, um den unberechenbaren Launen des Weißen Hauses – man weiß ja nie, wen es als nächsten trifft – nicht mehr ausgeliefert zu sein. Die Zwangsmaßnahmen gegen China, mit denen Washington den in der Krise schneller als zuvor schrumpfenden Vorsprung der US-Wirtschaft vor der chinesischen Konkurrenz zu wahren sucht, könnten ihrem Urheber mittel- bis langfristig den Garaus machen: Trump geht mit den Sanktionen ein hohes Risiko ein.
Geschäft statt Entkopplung (15.09.2020)
EU/China: Fortschritte in Verhandlungen über Investitionsabkommen. Deutscher Staatsminister lehnt US-“Dämonisierung von China” ab.
BERLIN/BRÜSSEL/BEIJING (Eigener Bericht) – Die EU und China wollen sich noch in diesem Jahr auf ein bilaterales Investitionsabkommen einigen. Dies ist das zentrale Ergebnis der gestrigen Videokonferenz der Unionsspitze mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Demnach sind in den bilateralen Verhandlungen zuletzt wichtige Fortschritte erzielt worden, die einen Abschluss noch vor Jahresende realistisch erscheinen lassen. Massives Interesse an einem Abkommen haben nicht zuletzt deutsche Unternehmen, die – entgegen anderslautenden Medienberichten – in ihrer großen Mehrheit nicht wegen der aktuellen politischen Spannungen aus der Volksrepublik abwandern, sondern in zahlreichen Fällen ihre Präsenz dort noch “vertiefen”, wie die European Chamber of Commerce in China konstatiert. Während der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vor “chinesischem Expansionismus” warnt und den Schulterschluss der EU gegen Beijing verlangt, spricht sich der Staatsminister im Auswärtigen Amt Niels Annen dafür aus, mit China “im Dialog” zu bleiben: Es gelte im Konflikt mit Beijing Eigenständigkeit gegenüber den USA zu wahren.
Verhandlungsfortschritte
In den Verhandlungen über das Investitionsabkommen zwischen der EU und China hätten zuletzt wichtige Fortschritte erzielt werden können, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung, die EU-Ratspräsident Charles Michel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und, im Namen der Berliner EU-Ratspräsidentschaft, Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der gestrigen Videokonferenz mit Chinas Präsident Xi Jinping konstatierten. Dabei gehe es um “Fortschritte bei den Verhaltensregeln für Staatsunternehmen, in Bezug auf den erzwungenen Technologietransfer und die Transparenz von Subventionen”.[1] Offene Fragen gebe es noch bei den “Problemen des gleichen Marktzugangs und der nachhaltigen Entwicklung”; auf diesen beiden Feldern müsse “dringend … weitergearbeitet werden”. Die gestrigen Gespräche seien zudem “wichtig” gewesen, heißt es weiter, “um die Dynamik des hochrangigen Austausches zwischen der EU und China aufrecht zu erhalten”. Man habe scharfe Kritik an der “Aushöhlung der Grundrechte und -freiheiten” in Hongkong sowie der “Behandlung von ethnischen und religiösen Minderheiten” in der Volksrepublik geübt. Dennoch wolle man nicht nur das Investitionsabkommen bis Jahresende unter Dach und Fach bringen, sondern auch “die Gespräche über die Strategische Agenda 2025” fortführen, die “die Zusammenarbeit zwischen der EU und China” bündeln soll. Der ursprünglich geplante EU-China-Gipfel, der pandemiebedingt abgesagt werden musste, soll nächstes Jahr nachgeholt werden.
Der mit Abstand größte Markt
Mit seinem Bestreben, die Arbeiten an dem EU-Investitionsabkommen mit China noch dieses Jahr zum Abschluss zu bringen, folgt Brüssel Forderungen von Unternehmen aus diversen EU-Staaten, insbesondere aus Deutschland. Hintergrund ist nicht nur, dass die Volksrepublik als Absatzmarkt deutscher Firmen eine immer größere Bedeutung erhält. Tatsächlich hat sie in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres, beschleunigt durch die Covid-19-Pandemie, die in Europa und in Nordamerika weitaus schlimmere Folgen zeitigt als in China, Frankreich als zweitgrößtes Zielland deutscher Exporte abgelöst und könnte, wie es in einer Analyse des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) heißt, schon gegen Jahresende “die neue Nummer eins” unter den Absatzmärkten der Bundesrepublik werden.[2] Zudem gewinnt die Volksrepublik weiter an Attraktivität als Produktionsstandort für den chinesischen Markt, der mit etwa 1,4 Milliarden potenziellen Kunden diejenigen der EU (rund 450 Millionen Einwohner) und der Vereinigten Staaten (330 Millionen Einwohner) zusammengenommen um mehr als die Hälfte übertrifft. Dem chinesischen Wachstum verdanken europäische Unternehmen teilweise beispiellose Profite. So konnten laut einer Umfrage der European Chamber of Commerce in China 39 Prozent ihrer Mitgliedsfirmen im vergangenen Jahr ein Umsatzwachstum von bis zu 20 Prozent erzielen; elf Prozent erreichten sogar noch höhere Wachstumsraten.[3]
Mediales Bild und ökonomische Realität
Entsprechend bestätigt die Umfrage der European Chamber of Commerce in China Berichte nicht, die in deutschen Medien zur Zeit kolportiert werden – Berichte, denen zufolge sich westliche Firmen aktuell intensiv bemühten, ihre Produktionsstätten aus China in andere Staaten zu verlegen, etwa in Länder des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN oder nach Indien. Tatsächlich gilt dies im Wesentlichen für diejenigen Firmen, die in China schon lange zu niedrigsten Löhnen für die Ausfuhr in alle Welt produzieren. Bereits vor Jahren haben nicht wenige von ihnen begonnen, sich in Ländern wie Vietnam oder Kambodscha um den Aufbau neuer Fabriken zu bemühen, weil die Löhne in China steigen, während sie in Südostasien noch deutlich niedriger sind. Wie die European Chamber of Commerce in China konstatiert, hält die überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder an ihren Aktivitäten in der Volksrepublik jedoch fest; Unternehmen, die in China für den riesigen chinesischen Markt produzieren, sind tendenziell sogar bemüht, die Vor-Ort-Produktion noch zu vertiefen.[4] Selbst im Februar, als die Covid-19-Pandemie in China am schlimmsten wütete, dachten der Handelskammer zufolge nur elf Prozent der Firmen aus der EU darüber nach, in China geplante Investitionen in andere Länder umzulenken; ihre Zahl habe seitdem, so heißt es, gewiss nicht zugenommen. Ex-Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, heute Strategieberater für deutsche Unternehmen in China, urteilt: “Es gibt einen Unterschied zwischen dem medialen, vor allem politisch geprägten Bild des Verhältnisses [der EU zu China] und der [ökonomischen] Realität”.[5]
“Systemischer Rivale”
Dabei positioniert sich die EU – im Bestreben, ihren Weltmachtanspruch gegen das aufsteigende China durchzusetzen – tatsächlich auch offensiv gegen Beijing. Heißt es etwa in der EU-Chinastrategie vom März 2019, China sei “Partner”, “Wettbewerber” und “systemischer Rivale” zugleich [6], so wird gegenwärtig vor allem die Rivalität betont. Hintergrund ist nicht zuletzt, dass inzwischen 15 EU-Mitglieder, weil sie ihre ökonomischen Interessen allein im EU-Rahmen nur unzulänglich berücksichtigt finden, eigene Wirtschaftsvereinbarungen mit China im Rahmen der “Neuen Seidenstraße” (“Belt and Road Initiative”, BRI) getroffen haben und dass in manchen EU-Ländern, darunter Italien [7], aber auch Deutschland [8], die Volksrepublik spürbar an Ansehen gewinnt. Im Bemühen, die eigenen Reihen zu schließen und Beijing in die Defensive zu drängen, hat unlängst etwa der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell geäußert, die EU müsse gegen “den chinesischen Expansionismus” zu Felde ziehen, der darauf abziele, “die internationale Ordnung in ein selektives multilaterales System mit chinesischen Merkmalen zu verwandeln”; dies gelte es zu verhindern und “die europäischen Werte” sowie die eigene Technologie zu schützen.[9] Borrell forderte einen offensiven Schulterschluss der Union gegen die Volksrepublik, sprach sich zugleich aber dagegen aus, die EU im Konflikt mit Beijing offen an der Seite der Vereinigten Staaten zu positionieren.
Keine Entkopplung
Wie Berlin die widersprüchlichen Elemente in der Chinapolitik zusammenzufügen sucht, hat am Wochenende der Staatsminister im Auswärtigen Amt Niels Annen erläutert. Annen erklärte, wegen der “Menschenrechtslage” in der Volksrepublik und wegen Beijings jüngster “Militärmanöver im Südchinesischen Meer” habe es eine “Neuorientierung in Europa” gegeben; als Beispiel für die neuen aggressiven Töne können Borrells Äußerungen gelten. Es gebe allerdings “auch den Willen” in der EU, “mit China im Dialog zu bleiben”, konstatierte Annen nicht zuletzt mit Blick auf die Interessen der Wirtschaft: “Wir wollen eine Partnerschaft auf Augenhöhe.”[10] Es gebe “aus Washington seit Monaten massive politische Angriffe auf Peking”, “eine regelrechte Kampagne”; “eine neue globale Konfrontation” nach dem Modell des Kalten Krieges aber sei “nicht in unserem Interesse”: “Entkopplung kann nicht unsere Strategie sein.” Annen fügte hinzu, daher spreche er sich “gegen eine Dämonisierung von China aus”; es gelte “Gesprächskanäle offen zu halten”. Die Berliner Strategie zielt demnach darauf ab, sich zwar offensiv gegen Beijing zu positionieren, zugleich allerdings Eigenständigkeit gegenüber Washington zu wahren – im Interesse der expandierenden deutschen Industrie.
Die Schäden, die China durch US-Maßnahmen entstehen, haben auber einen anderen Charakter und andere Auswirkungen als die, die die EU betreffen.
China hat ja letztlich immer noch eine gelenkte Wirtschaft, wo ganze Fabriken und Sektoren aus dem Boden gestampft, geographisch transferiert oder zugesperrt werden können.
Außerdem hat es einen ganz anderen Stand auf dem Weltmarkt, weil es als eigene Kreditmacht über Bartergeschäfte und bilaterale Abkommen Märkte bzw. Handelpartner gewinnen kann, wo die westlichen Kapitale längst abgezogen sind.
Die USA und die EU schießen sich durch ihre Politik schrittweise selbst aus dem Weltmarkt hinaus.
Handelskrieg: China bereitet Sanktionen gegen ausländische Firmen vor
Was Washington kann, kann Peking schon lange: Unternehmen auf Schwarze Listen setzen. So stellt China den USA die Rute ins Fenster.
Hoffnung auf China gesetzt
Deutsche Autohersteller ringen um Marktanteile und setzen auf Absätze in Volksrepublik. Beijing streicht Subventionen für E-Autos
Von Stephan Krull
Sie hätte im April des Jahres stattfinden sollen, wurde coronabedingt verschoben: die internationale Messe »Auto China 2020« in Beijing. Seit Sonnabend nun hat sie ihre Pforten geöffnet, findet bis zum 5. Oktober statt. Die Autoindustrie schaut voller Hoffnung auf die wahrscheinlich einzige große Automobilschau in diesem Jahr. Weltweit ist die Konjunktur in der Branche seit drei Jahren rückläufig – für die auf Wachstum fokussierte kapitalistische Ökonomie ist das eine Katastrophe. Wenn Absatz und Umsatz sinken, sinkt der Profit.
Die Folgen sind Pleiten und Betriebsübernahmen wie die von Opel durch die PSA-Gruppe oder der rapide Wertverlust bei Fiat-Chrysler. Allerdings verfügen die drei großen deutschen Hersteller über außerordentliche Gewinnrücklagen von 180 Milliarden Euro, mit denen sie ihre Marktanteile verteidigen. Betroffen vom Absatzrückgang und von der Umstellung auf Elektromotoren sind auch die großen Zulieferer wie Bosch, Continental, Schaeffler, Mahle und ZF, die allesamt Betriebsschließungen angekündigt und, wie die Autohersteller selbst, begonnen haben, Arbeitsplätze jeweils in fünfstelliger Größenordnung zu streichen. Opel droht mit betriebsbedingten Kündigungen, sollten Abfindungsangebote nicht angenommen werden. Daimler will 20.000, vielleicht sogar 30.000 Arbeitsplätze vernichten, bei MAN sollen 9.500 Jobs verschwinden. In Summe geht es um weit über 100.000 Industriearbeitsstellen, die in den nächsten drei Jahren wegfallen könnten.
Produktion, Absatz und Export auch der deutschen Hersteller sinken seit Jahren. Dieser Trend hat sich 2020 nochmals beschleunigt – in den ersten acht Monaten wurden in Deutschland 30 Prozent weniger Fahrzeuge abgesetzt. Der Export sank gar um 36 Prozent. Das ist der größte Einbruch in der Geschichte der deutschen Autoindustrie. Diese Verluste konnten durch die Produktion im Ausland nur teilweise wettgemacht werden. So sank sie bei VW um gut 200.000 Fahrzeuge, die bei BMW stagniert bei etwa 2,2 Millionen, ähnlich sieht es bei Mercedes aus. Offensichtlich ist, dass es bei den Analysten gravierende Fehleinschätzungen in ihren Absatzprognosen gab.
Überall Rückgänge, nur nicht in der Volksrepublik China. Der chinesische Automarkt ist seit Jahren der größte der Welt und der einzige Rettungsanker für die entsprechende deutsche Industrie. Die Zeiten des ungebremsten Wachstums in diesem Markt sind zwar auch vorbei, die sogenannte Motorisierungsrate jedoch ist in China noch weit geringer als die hierzulande.
Dort haben von 100 Einwohnern etwa 15 ein Auto – in Deutschland sind es 56. Der Marktanteil deutscher Hersteller in China liegt bei etwa 25 Prozent, was rund sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr ausmacht. Allein Volkswagen setzt inzwischen fast die Hälfte seiner Fahrzeuge in der Volksrepublik ab – oft kommen diese aber aus dortigen Fertigungsstätten. Dies führt zu geringerer Auslastung an deutschen bzw. europäischen Standorten. Für die Fabrik in Wolfsburg waren für 2020 eigentlich 800.000 Fahrzeuge geplant – tatsächlich werden weniger als 500.000 produziert. Das Ziel für 2022, etwa eine Millionen Autos in diesem größten Werk zu bauen, ist unrealistisch. Die in die Welt posaunten Wachstumspläne, mit denen auch Kapital angelockt wurde, stellen sich nun als spekulativ heraus.
Allerdings hat die Coronakrise auch im chinesischen Markt tiefe Spuren hinterlassen: Im Februar 2020 wurden fast 82 Prozent weniger Pkw als im Vorjahresmonat verkauft, im März lag der Rückgang immer noch bei 48 Prozent. Dennoch: Als einzige große Volkswirtschaft zeigt China jetzt wieder Wachstumsraten, während die globale Konjunktur sich nach wie vor in einer Rezession befindet.
Die Konzernspitzen erhoffen sich nach der Messe »Auto China 2020« neuerliche Zuwächse beim Verkauf in der Volksrepublik. Indes: Die Signale sind widersprüchlich, vor allem was das Segment der Elektrofahrzeuge betrifft. Die Regierung in Beijing hatte die Subventionen für E-Autos reduziert bzw. gestrichen – Folge: Der Absatz brach 2019 um 30 Prozent ein. Ein anderer Grund dürfte sein, dass viele Hersteller zwar E-Fabrikate angekündigt haben, diese aber mitunter noch nicht bis zur Serienreife entwickeln konnten bzw. nur wenige Fahrzeuge bei den Händlern vorrätig sind. Das betrifft beispielsweise die von Volkswagen (ID. Next), den Audi- E-Tron, den BMW- i3 und von Mercedes den EQC. Allein Volkswagen will in diesem Jahr 300.000 E-Autos in China verkaufen – das wären etwa 25 Prozent aller solcher Kfz auf diesem Markt. Einige Regierungen sind strikt: In den Niederlanden sind ab 2030 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen, in Kalifornien ab 2035.
Fest steht: Die Konkurrenz zwischen den großen alten Playern wie Volkswagen, BMW, Daimler, PSA, Toyota, Ford und GM sowie den neuen Herstellern wie Tesla, Great Wall und Geely wird an Schärfe zunehmen. Und im Handelskrieg von Trump gegen die Volksrepublik China drohen die Konzerne aus Deutschland zwischen die Fronten zu geraten: Ausgang offen, die Zukunft bleibt höchst ungewiss.
Bis dahin fließt aber noch viel Wasser die Donau hinunter, also diese Vorschrift sollte man im Auge behalten, ob die wirklich in Kraft tritt.
Das sind doch nur Absichtserklärungen, mit denen das Kaufverhalten gesteuert und der Branche Wunschlisten übermittelt werden.
Dass staatliche Regelungen nicht nur Wunschlisten sind, sondern Hindernisse für den Marktzugang, also die Benutzung fremder Kaufkraft, – das beklagen chinesische wie europäische Unternehmer. Aber dies jeweils – [vor allem] beim anderen Souverän …
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/interview/chinesische-handelskammer-klagt-ueber-europaeische-regeln-und-buerokratie/
Dass die Staaten ihre Regulierungen nicht verändern könnten, das sei nicht behauptet. Es folgen dann aber eben schlichtweg – neue, andere Regulierungen…
Bericht: US-Geheimdienste sollen verstärkt China in Fokus nehmen
Washington. Ein Bericht des US-Repräsentantenhauses fordert von den Geheimdiensten einen stärkeren Fokus auf die Volksrepublik China statt auf Terrorismusbekämpfung. »Die Geheimdienste haben sich nicht schnell genug auf die wachsende Herausforderung durch China in praktisch allen Bereichen neu ausgerichtet«, sagte der Vorsitzende des zuständigen Ausschusses, Adam Schiff (Demokraten), am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Laut einer zensierten Fassung des Berichts, die an Journalisten übergeben wurde, haben die Geheimdienste im Zuge der Antiterrormaßnahmen ihre klassische Aufgaben vernachlässigt. Es müsse daher erwogen werden, Mitarbeiter entsprechend umzuschulen. Die Herausforderung durch China werde Jahrzehnte bestehen bleiben. Ein getrennt veröffentlichtes Papier einer China-Arbeitsgruppe der Republikaner in der Kongresskammer fordert ebenfalls eine »verbesserte Spionageabwehr« sowie eine stärkere Sprachschulung in Mandarin. Beide Berichte wurden kurz vor der Präsidenten- und Kongresswahl Anfang November veröffentlicht. Für beide Präsidentschaftskandidaten – der republikanische Amtsinhaber Donald Trump und der Demokrat Joe Biden – ist China das wichtigste außenpolitische Thema im Wahlkampf. (Reuters/jW)
Verdeckter Angriff
Bundesregierung grenzt chinesischen IT Konzern Huawei formaljuristisch aus – Lobbyverband befürchtet technologischen Rückschritt
Von Jörg Kronauer
Die Bundesregierung hat sich auf einen De-Facto-Ausschluss des chinesischen Konzerns Huawei vom Aufbau der deutschen 5G-Netze geeinigt. Dies berichtet am Mittwoch das Handelsblatt. Demnach sehen die geplanten Regeln des neuen IT-Sicherheitsgesetzes 2.0 für sämtliche 5G-Bauteile ein zweiteiliges Genehmigungsverfahren vor, das zwar formal für Hersteller aus allen Ländern offen ist, praktisch aber die Grundlage für die Ausgrenzung chinesischer Unternehmen wie Huawei schafft. So ist vorgesehen, dass 5G-Bauteile nicht nur technisch zertifiziert, sondern auch die Hersteller auf ihre »Vertrauenswürdigkeit« überprüft werden müssen. Gilt die technische Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Fall von Huawei als unproblematisch, so soll die »Vertrauenswürdigkeit«, wie es das Handelsblatt formuliert, »mit Hilfe nachrichtendienstlicher Informationen« bewertet werden. Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat in der Vergangenheit regelmäßig erklärt, er sei der Ansicht, Huawei müsse von den deutschen 5G-Netzen ferngehalten werden. Das neue IT-Sicherheitsgesetz verleiht dem Geheimdienst die Macht, Entscheidungen von immenser Tragweite, wie diejenige über Huawei, letztlich im Alleingang zu fällen.
Mit dem De-Facto-Ausschluss von Huawei trägt die Bundesregierung einerseits dem massiven Druck der Vereinigten Staaten Rechnung, die mit allen Mitteln versuchen, den Paradekonzern der chinesischen IT-Branche zu zerstören. Erst in der vergangenen Woche hatte sich der Staatssekretär im US-Außenministerium Keith Krach im Rahmen der US-Kampagne für »saubere Netzwerke« in Berlin aufgehalten, um nicht zuletzt Telekom-Chef Timotheus Höttges zum Verzicht auf Huawei-Technologie zu nötigen. Allerdings sprechen sich in Berlin nicht nur beinharte Transatlantiker für den Ausschluss von Huawei aus, sondern auch Politiker, die in der Maßnahme eine Chance für die Positionierung der EU als Weltmacht sehen. Demnach hat die EU, die in der Zukunftswelt der globalen Internet- und Kommunikationstechnologie von Großkonzernen aus den USA und China weitgehend abgehängt worden ist, bei 5G die – seltene – Chance, mit Ericsson (Schweden) und Nokia (Finnland) endlich einmal selbst zum »Global Player« zu werden. Entsprechend wirbt etwa EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, Exchef des französischen IT-Konzerns Atos, ebenfalls für den Ausschluss übermächtiger Konkurrenz, auch wenn er, im Unterschied zu Krach, immerhin von »sicheren« anstatt von »sauberen Netzwerken« spricht, um Huawei nicht offen als »schmutzig« zu diffamieren.
Dass die Bundesregierung – anders als unlängst etwa Großbritannien – Huawei nicht namentlich ausgrenzt, sondern den Ausschluss mit dubiosem Geheimdienstgeraune legitimiert, hat Gründe. Zum einen fordert die EU aktuell von China, mit dem geplanten Investitionsabkommen den chinesischen Markt erheblich stärker für Unternehmen aus Europa zu öffnen. Schlösse Berlin eine Firma vom Kaliber Huaweis direkt aus, lieferte es Beijing ein kaum zu widerlegendes Gegenargument gegen die Marktöffnung. Zudem fürchtet die Bundesregierung, die Volksrepublik könnte Gegenmaßnahmen gegen deutsche Unternehmen ergreifen. Vor allem die Kfz-Hersteller – Paradekonzerne der deutschen Industrie – sind auf ihr Chinageschäft existenziell angewiesen. Aus ähnlichen Gründen sind auch andere Länder zu einem nicht offen erklärten Ausschluss von Huawei übergegangen. So vermeidet etwa Kanadas Regierung einen offiziellen Ausschluss, um, wie Agenturen kürzlich bestätigten, »die Chinesen nicht zu verärgern«, setzt aber darauf, dass die Netzbetreiber freiwillig auf Huawei verzichten, was sie bislang – man kennt sich – auch tun. Indiens Regierung wiederum übt, wie jüngst bekannt wurde, hinter den Kulissen stark Druck auf die indischen Telekomfirmen aus, keine 5G-Komponenten in China zu kaufen, um New Delhi ein Verbot zu ersparen.
Unbestritten ist allerdings, dass auch ein De-Facto-Ausschluss von Huawei teuer wird, und kostbare Zeit verlorengeht. In Deutschland warnten die großen Netzbetreiber kürzlich vor Mehrkosten von bis zu 55 Milliarden Euro, müssten sie auf Huawei verzichten und die bereits verbauten Komponenten sowie die 4G-Elemente, auf denen 5G aufbaut, entfernen. Das ist, was die unmittelbaren Kosten anbelangt, wohl zu hoch gegriffen; Milliardensummen kommen auf die Konzerne und indirekt auf die Verbraucher allerdings fraglos zu. Erst kürzlich wies der European Round Table for Industry (ERT), ein Lobbyverband von 55 Großkonzernen, darauf hin, dass die Union beim 5G-Ausbau schon jetzt weit zurückliegt; ein Huawei-Verzicht dürfte locker 18 zusätzliche Monate kosten. Da die Industrie der Zukunft auf 5G aufbaut, droht der Rückstand den »Standort Deutschland« in der globalen Konkurrenz empfindlich zurückzuwerfen.
Der Wettlauf um 5G (01.10.2020)
EU fällt im globalen Rennen um 5G zurück. Der angekündigte De-Facto-Ausschluss von Huawei droht dies zu verstärken.
(Eigener Bericht) – Deutschland und die EU fallen im globalen Rennen um den Ausbau der 5G-Netze zurück und riskieren durch den Ausschluss von Huawei weitere Einbußen. Wie Äußerungen aus der EU-Kommission und eine Kurzanalyse aus Konzernkreisen belegen, verfehlt die Union nicht nur ihre eigenen Ziele in Sachen 5G; sie verliert auch gegenüber konkurrierenden Staaten den Anschluss. So sind in der EU bis vor kurzem acht 5G-Basisstationen pro Million Einwohner installiert worden, in den USA 63, in China 86, in Südkorea fast 1.500. Die Coronakrise droht zu weiteren Rückschlägen zu führen. Dies trifft auch auf den De-Facto-Ausschluss des chinesischen Konzerns Huawei vom Aufbau der deutschen 5G-Netze zu, auf den sich die Bundesregierung Berichten zufolge geeinigt hat. Demnach sollen Firmen, die 5G-Bauteile herstellen, ihre “Vertrauenswürdigkeit” nachweisen müssen; die Beurteilung soll sich dabei auf Geheimdienstinformationen stützen. Der Ausschluss von Huawei könnte den 5G-Aufbau leicht um 18 Monate verzögern. Die Folge: ein Rückstand bei 5G-Anwendungen und Milliardeneinbußen.
Zeit verloren
Die EU-Kommission hat kürzlich offen eingestanden, gegenüber ihren eigenen Planungen für den Aufbau der 5G-Netze ins Hintertreffen geraten zu sein. Ursprünglich hatte die Kommission im September 2016 angekündigt, “spätestens Ende 2020” solle in allen Mitgliedstaaten “wenigstens eine größere Stadt” über 5G verfügen; “bis 2025” müssten dann “alle städtischen Gebiete und größere Transportwege eine lückenlose 5G-Abdeckung aufweisen”.[1] Außerdem müsse der 5G-Aufbau “koordiniert” geschehen, um Brüche innerhalb der Union zu vermeiden. Die Erfüllung der Pläne ist nicht in Sicht. Am 18. September räumten Margrethe Vestager, für Digitales zuständige Vizepräsidentin der Kommission, sowie Binnenmarktkommissar Thierry Breton unumwunden ein, die Covid-19-Pandemie habe die EU in puncto 5G erheblich zurückgeworfen; Breton sprach von einem Rückstand von “vier Monaten”. Überdies drohe, hieß es, ein fragmentiertes 5G-Netz zu entstehen. Die EU-Staaten sollten nun alles daran setzen, um “so schnell wie möglich Fortschritte zu erzielen”, forderte Breton, Ex-Chef des französischen IT-Konzerns Atos.[2]
Abgeschlagen
Dass die EU in Sachen 5G nicht nur gegenüber ihren Planungen, sondern vor allem im Vergleich zur globalen Konkurrenz in Rückstand geraten ist, zeigt eine knappe Analyse, die unlängst der European Round Table for Industry (ERT) veröffentlicht hat. Dem ERT, einem Lobbyverband, gehören mehr als 50 der größten Konzerne Europas an – aus Deutschland etwa Siemens, Daimler, BASF und die Deutsche Telekom. Wie es in der Kurzanalyse heißt, sind erste kommerzielle 5G-Dienste in den USA im April 2019 in Betrieb genommen worden; erste EU-Länder folgten mit dreimonatiger Verzögerung, und bis heute haben lediglich 13 der 27 EU-Staaten erste Schritte bei kommerziellem 5G getan. Während in der EU acht 5G-Basisstationen pro Million Einwohner installiert wurden, verfügen die USA über 63, China über 86, Südkorea über 1.491 Basisstationen pro Million Einwohner; die USA haben 7 Prozent, Südkorea beispiellose 98 Prozent, die EU aber erst 1 Prozent ihrer 4G-Basisstationen zu 5G-Basisstationen aufgewertet. Gebremst werde die Umstellung auf 5G auch dadurch, dass die EU bereits bei 4G hinter der Konkurrenz zurückliege, heißt es in der Analyse; so hätten EU-weit nur 70 Prozent aller Nutzer bis heute von 3G auf 4G umgestellt, in China, den USA und Südkorea aber bereits um die 90 Prozent.[3] Letzteres begünstige die Umstellung auf 5G.
Weltmarktführer China
Den Rückstand Deutschlands und der EU verdeutlichen Angaben über den Stand des 5G-Aufbaus in China. Dort sind inzwischen mehr als 500.000 5G-Basisstationen installiert; Ende 2020 sollen es 600.000 sein. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik strebt der Marktführer Deutsche Telekom im selben Zeitraum die Installation von 40.000 5G-Antennen an. Über 46.000 5G-Basisstationen stehen allein in Shenzhen, der südchinesischen Metropole, in der Huawei seine Firmenzentrale hat. Shenzhen ist Chinas erste Stadt, in der 5G vollumfänglich nutzbar ist.[4] Ende August wurden in China bereits mehr als 100 Millionen 5G-Endgeräte von mehr als 60 Millionen Nutzern verwendet; die Zahl der 5G-fähigen Smartphones, die im Jahr 2020 in China ausgeliefert werden, dürfte sich Schätzungen zufolge auf 140 Millionen belaufen.[5] Damit steht China für 72 Prozent des globalen Umsatzes, der mit dem Verkauf von 5G-fähigen Smartphones generiert wird. Laut Prognosen werden in fünf Jahren mutmaßlich 28 Prozent aller Mobilfunkverbindungen in der Volksrepublik 5G-Verbindungen sein; das wären ein Drittel aller 5G-Verbindungen weltweit. Über die 5G-Netze werden in manchen Orten Chinas inzwischen autonome Straßen- und Schienenfahrzeuge betrieben, autonome Baustellengeräte bewegt und Operationen mit Hilfe von Telemedizin durchgeführt. Der Sprung hin zu umfassenden Anwendungen in Alltagsleben und Industrie hat längst begonnen.
Der Geheimdienst entscheidet
Deutschland wird seinen Rückstand dabei vermutlich noch vergrößern – weil, wie Berichte gestern bestätigten, die Bundesregierung sich auf einen De-Facto-Ausschluss des chinesischen Konzerns Huawei vom Aufbau der deutschen 5G-Netze geeinigt hat. Demnach soll für die Zulassung der 5G-Komponenten künftig nicht nur eine technische Zertifizierung, sondern auch eine Überprüfung der “Vertrauenswürdigkeit” der Hersteller erforderlich sein.[6] Letztere soll, heißt es weiter, auf der Basis von Geheimdienstinformationen durchgeführt werden. Damit erhält der BND bei der Entscheidung in Sachen Huawei faktisch das letzte Wort. Der Auslandsgeheimdienst hat mehrmals erklärt, er lehne die Nutzung von Huawei-Technologie für die deutschen 5G-Netze ab. In der Branche wird nun nicht nur mit zusätzlichen Milliardenkosten gerechnet, sondern auch mit einer erheblichen Verzögerung; optimistischere Prognosen gehen von einem Zeitverlust von 18 Monaten aus, der daraus resultiert, dass zusätzlich zum 5G-Aufbau bestehende Huawei-4G-Komponenten entfernt werden müssen und mit Lieferverzögerungen bei den 5G-Herstellern Nokia und Ericsson gerechnet wird.[7]
Milliardeneinbußen
Die Verzögerungen wiegen schwer: Der technologische Vorsprung, den China erzielt hat, wird sich mutmaßlich in einem Vorsprung auch bei den 5G-Anwendungen niederschlagen; die daraus resultierenden Profite drohen deutschen Unternehmen, sofern sie nicht in der Volksrepublik produzieren, verlorenzugehen. Um welche Größenordnung es sich handelt, lässt eine Untersuchung erahnen, die kürzlich die Londoner Firma Assembly Research veröffentlicht hat. Sie schätzt die Verluste ab, mit denen das Vereinigte Königreich aufgrund seines Huawei-Ausschlusses zu rechnen hat. Die Untersuchung geht davon aus, dass Großbritannien mit 5G und 5G-Anwendungen allein von 2020 bis 2030 wirtschaftliche Zuwächse von 173 Milliarden Pfund erzielen könnte – dann jedenfalls, wenn der neue Mobilfunkstandard schnell und effizient eingeführt wird. Sei dies nicht der Fall, heißt es, dann sei demgegenüber mit Einbußen zu rechnen. Laut Assembly Research muss von Einbußen in Höhe von 18,2 Milliarden Pfund ausgegangen werden. Die Untersuchung wurde von Huawei finanziert, basiert aber auf Zahlenangaben der britischen Regierung.[8] Auch wenn sie nicht im Detail auf Deutschland übertragen werden kann: Vergrößert sich der Rückstand vor allem gegenüber China, den etwa der ERT schon heute beklagt, stehen auch der Bundesrepublik satte Einbußen bevor.
Deutschland im Indo-Pazifik (III) (30.09.2020)
Berlin bemüht sich im Machtkampf gegen China um engere wirtschaftliche und militärische Kooperation mit Indien.
BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) – Mit einem Akt der “Maskendiplomatie” bemüht sich die Bundesrepublik um neuen Einfluss in Indien. Wie die Bundesregierung kürzlich angekündigt hat, stellt sie dem hart von der Covid-19-Pandemie getroffenen Land 600.000 Schutzausrüstungen und 330.000 Covid-19-Testkits zur Verfügung; auch soll es Kredite im Wert von 460 Millionen Euro für New Delhi geben. Der Schritt ist Teil der Bestrebungen Deutschlands, seine Stellung im “Indo-Pazifik” auszubauen – im Machtkampf gegen China. Eine engere Kooperation mit Indien hat Berlin dabei schon seit Jahren im Visier, konnte allerdings bislang keinen wirklichen Durchbruch erzielen. So bleiben Handel und Investitionen hinter dem erhofften Potenzial zurück – nicht zuletzt, weil deutsche Manager über unzulängliche Rahmenbedingungen in Indien klagen. Auch die militärische Zusammenarbeit kam lange Zeit kaum vom Fleck, soll nun aber intensiviert werden. Indien wird seit Jahren wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen kritisiert. Amnesty International hat gestern mitgeteilt, seine Arbeit in dem Land einzustellen – wegen eskalierender staatlicher Repressalien.
Hochgesteckte Ziele
Die Bestrebungen der Bundesregierung, ihre Beziehungen zu Indien als potenziellem asiatischen Gegengewicht zu China systematisch zu stärken, reichen mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Bereits im Mai 2000 vereinbarten Berlin und New Delhi eine “Agenda für die Deutsch-Indische Partnerschaft im 21. Jahrhundert”, die, wie es im Auswärtigen Amt heißt, “seither durch weitere gemeinsame Erklärungen fortgeschrieben wurde”.[1] Herausgehobene Bedeutung besitzen die Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen, die seit 2011 alle zwei Jahre abgehalten werden, zuletzt Anfang November 2019. Besonderes Augenmerk gilt seit je der Wirtschaftskooperation: Bereits Mitte der 2000er Jahre etwa reisten die Wirtschaftsminister des Bundes und einiger Länder in kurzer Folge nach Indien, um dem Ausbau der Geschäfte Schwung zu verleihen.[2] 2007 nahm ergänzend die EU Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit dem südasiatischen Land auf; nicht zuletzt deutsche Exporteure erhofften sich davon einen Durchbruch auf dem riesigen indischen Absatzmarkt.
Bescheidene Erfolge
Die Erfolge der deutsch-europäischen Bemühungen sind bislang allerdings eher bescheiden. Nahmen die deutschen Ausfuhren nach China, die im Jahr 2000 noch bei rund 9 Milliarden Euro gelegen hatten, bis 2019 auf fast 96 Milliarden Euro zu, so stiegen die Ausfuhren nach Indien im selben Zeitraum von rund 2 Milliarden Euro lediglich auf knapp 12 Milliarden Euro; dabei gingen sie zuletzt sogar zurück (2018 waren es 12,5 Milliarden Euro). Ähnlich verhält es sich mit den deutschen Investitionen: Im Jahr 2018 hatten deutsche Unternehmen um die 90 Milliarden Euro direkt oder indirekt in China inklusive Hongkong investiert, lediglich 17 Milliarden Euro dagegen in Indien. Auf EU-Ebene sieht es ähnlich aus: Der Warenhandel der Union wird heute zu 15,2 Prozent mit den USA und zu 13,8 Prozent mit China abgewickelt, nur zu 1,9 Prozent jedoch mit Indien. Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen wurden 2013 ausgesetzt; es hieß, man habe allzu unterschiedliche Vorstellungen davon. Berlin und Brüssel sind auch weiterhin um eine Einigung bemüht; EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte beim jüngsten EU-Indien-Gipfel Mitte Juli: “Wir wollen ein ehrgeiziges Handelsabkommen.” Ergebnisse bleiben freilich aus; so wird unter Berufung auf EU-Stellen berichtet, seit 2013 habe es keinerlei Annäherung gegeben.[3]
Schlechte Bedingungen
Ein erneuter Versuch, die Handelsbeziehungen zu intensivieren, ist gegenwärtig im Gang. Anlass sind vor allem die US-Strafzölle und -Sanktionen gegen China, die unter anderem darauf abzielen, Zulieferer und Standorte westlicher Konzerne zum Wegzug aus der Volksrepublik zu nötigen und zur Niederlassung in prowestlich orientierten Ländern zu bewegen.[4] Zu Jahresbeginn, als die Wirtschaft in China durch die Covid-19-Pandemie in den Stillstand gezwungen wurde, insistierten interessierte Kreise ergänzend, der chinesische Shutdown bestätige, dass man sich von der Volksrepublik unabhängig machen müsse. Da Indien inzwischen deutlich härter von der Pandemie getroffen wird als China, greift dieses Argument freilich nicht mehr. Zugleich bleibt bislang die ersehnte, groß angelegte Verlagerung von Firmen aus China nach Indien aus.[5] Ursache ist, dass die Rahmenbedingungen in Indien in Unternehmenskreisen als nicht besonders günstig gelten: Die indische Bürokratie gilt als langsam, ineffizient und unzuverlässig; die Infrastruktur wird oft als unzulänglich beurteilt; zudem trägt die Tatsache, dass 22 der 30 Städte mit der schlechtesten, zuweilen akut gesundheitsschädlichen Luft weltweit in Indien liegen, nicht gerade zur Attraktivität des Landes bei.
Zwangsmaßnahmen
New Delhi sucht seit einigen Monaten nachzuhelfen – mit Zwangsmaßnahmen. Diese stehen in Zusammenhang mit einer umfassenden Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die Premierminister Narendra Modi im Mai angekündigt hat – unter dem Motto “Atmanirbhar Bharat” (“Selbständiges Indien”).[6] Ziel ist, die aktuelle Abhängigkeit des Landes von Importen aus China zu reduzieren. Die Neuausrichtung fällt zusammen mit einer Anpassung an US-Repressalien gegen Beijing: Hatte New Delhi noch Ende 2019 entschieden, Huawei in die indischen 5G-Tests einzubinden, so hat es im Frühjahr den Kurs gewechselt und übt hinter den Kulissen Druck auf die indischen Telekomkonzerne aus, den chinesischen Marktführer informell zu boykottieren.[7] Zudem sind die indischen Behörden dazu übergegangen, Importe aus China mit Schikanen bei der Grenzkontrolle zu sabotieren. Dies trifft auch westliche Unternehmen, darunter indische Montagestandorte deutscher Kfz-Hersteller, die kürzlich monierten, Reifenlieferungen aus China würden von Indiens Zoll aufgehalten; dies behindere die Produktion.[8] Faktisch sucht New Delhi die Konzerne zur Umstellung auf indische Zulieferer zu zwingen.
Militärkooperation
Berlin strebt neben dem Ausbau der Wirtschaftskooperation auch eine deutlich engere militärische Zusammenarbeit mit New Delhi an – jüngst noch verstärkt durch den offiziell erklärten Anspruch, den eigenen Einfluss im “Indo-Pazifik” erheblich auszuweiten.[9] Dazu unterzeichneten die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihre indische Amtskollegin Nirmala Sitharaman am 12. Februar 2019 ein Abkommen zur Militärkooperation [10]; Mitte März 2019 hielt sich Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn zu vertiefenden Gesprächen mit führenden indischen Generälen in New Delhi auf [11]. Neben dem Ausbau der Zusammenarbeit in Sachen “Cybersicherheit und Nachrichtenwesen” sei es besonders um gemeinsame Aktivitäten der Marinen beider Länder gegangen, hieß es anschließend im Verteidigungsministerium. New Delhi will sechs U-Boote kaufen; als Lieferant ist ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) im Gespräch. Der Auftragswert beläuft sich auf Milliarden. Indien ist seit Jahren einer der bedeutenderen Kunden deutschen Waffenschmieden – mit jährlichen Käufen im Wert von einer meist dreistelligen Millionensumme. Bereits für Mitte dieses Jahres war der Besuch der deutschen Fregatte “Hamburg” in Indien geplant [12]; er musste jedoch pandemiebedingt abgesagt werden.
Geteilte Werte
Einen gewissen Schatten auf die deutsch-indischen Kooperationspläne warf am gestrigen Dienstag Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation hat in den vergangenen Jahren regelmäßig die systematische Ausgrenzung der indischen Muslime durch die regierenden Hindunationalisten und die staatliche Gewalt gegen sie dokumentiert, zuletzt etwa die Menschenrechtsverbrechen – Misshandlungen und Folter -, die indische Polizisten zu Jahresbeginn an Muslimen begingen, als Hindu-Mobs diese gewalttätig attackierten.[13] Amnesty International hat zudem die Repression in Jammu und Kashmir festgehalten, mit der die indischen Repressionsapparate die Bevölkerung der Region niederhalten, seit sie im vergangenen Herbst die Autonomie des Gebiets aufhoben und es unmittelbar New Delhi unterstellten.[14] Die dadurch hervorgerufene Kräfteverschiebung im indisch-chinesischen Grenzgebiet gilt als ein wichtiger Auslöser der jüngsten indisch-chinesischen Kämpfe im Himalaya.[15] Die indischen Behörden haben die Menschenrechtsrecherchen von Amnesty International mit stetig zunehmenden Schikanen quittiert – bis hin zu Kontensperrungen. Amnesty hat daraufhin gestern bekanntgegeben, ihre Aktivitäten in Indien nicht mehr fortführen zu können und sie umgehend einzustellen.[16] Noch im Juli hatte EU-Ratspräsident Charles Michel beim EU-Indien-Gipfel die bilaterale Kooperation mit der Begründung gelobt: “Wir teilen gemeinsame Werte: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und den Respekt vor Menschenrechten.”[17]
Höhen und Tiefen
Nationalfeiertag Chinas: Vietnam gratuliert, Bejing betont traditionelle Freundschaft. Differenzen sollen friedlich beigelegt werden
Von Stefan Kühner
Vietnam und die Volksrepublik China unterhalten seit 70 Jahren diplomatische Beziehungen und sind wirtschaftlich eng miteinander verbunden. Am Freitag standen Glückwünsche der vietnamesischen Regierung für den Nachbarn zum 71. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik und die deutliche Forderung an Beijing nach Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen Verhaltenskodex für die Anrainer des Südchinesischen Meeres auf der Nachrichtenseite Vietnam News unmittelbar nebeneinander. Dieses Nebeneinander prägt auch das aktuelle Verhältnis. Es ist durch eine langjährige Freundschaft geprägt, aber durch das, in Vietnam als äußerst aggressiv empfundene, Verhalten Chinas im Südchinesischen Meer getrübt.
Belastet werden die Beziehungen vor allem durch den Streit um die Spratly- und Paracel-Inseln. Die zumeist kleinen Eilande und Archipele werden von beiden Ländern und weiteren Staaten als ihr Hoheitsgebiet reklamiert. China hat auf den Inseln militärische Anlagen installiert. Zusätzlich gibt es erheblichen Streit um Fischereirechte, der mehrfach bis an den Rand kriegerischer Auseinandersetzungen führte. Dies veranlasste Vietnam zu Aufrüstungsmaßnahmen im Südchinesischen Meer. Die Regierung beschloss 2018 in Russland Rüstungsgüter im Wert von einer Milliarde US-Dollar zu kaufen und nach Aufhebung des US-Waffenhandelsembargos 2016 werden selbst Käufe aus den USA in Betracht gezogen, wenn auch nicht in großem Umfang.
Hanoi betont allerdings seinen Willen zum Frieden und seine militärische Neutralität. Dazu gehört die strikte Weigerung der Stationierung von ausländischem militärischen Equipment auf vietnamesischem Boden. Um so wichtiger wird der Dialog zwischen den beiden Ländern betrachtet. Regelmäßige Konsultationen finden auf diplomatischer Ebene oder zwischen den Außenministern statt, zuletzt am 21. Juli.
Einen Tag vor dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober hatten die Staatsoberhäupter, die gleichzeitig Generalsekretäre der jeweiligen Kommunistischen Partei sind, ein freundschaftliches Gespräch geführt. Dass Xi Jinping seinen vietnamesischen Genossen Nguyen Phu Trong unmittelbar vor einem der wichtigsten Feiertage der Volksrepublik begrüßte, ist als Zeichen hoher Wertschätzung zu interpretieren. Und auch Vietnams Generalsekretär verwies auf die »Höhen und Tiefen«, die es in der Geschichte der beiden Nationen gegeben habe. Nguyen zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass das gegenseitige Vertrauen und Verständnis mit einem Austausch auf allen Ebenen und zwischen den Menschen gestärkt werden könne. Auch Xi rief zu gemeinsamen Anstrengungen auf, um die traditionelle Freundschaft zwischen den beiden Nationen fortzuführen und das gemeinsame Fundament zwischen ihren Völkern zu festigen. Beide Staaten wollen weiterhin den Multilateralismus pflegen, Streitigkeiten und Differenzen durch freundschaftliche Konsultationen beilegen.
China ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner Vietnams. Der Gesamtwert der Ein- und Ausfuhren zwischen den beiden Länder wuchs 2019 im Vergleich zu 2018 um 7,6 Prozent auf 517 Milliarden US-Dollar. Die Coronapandemie hat jedoch große Löcher in die Handelsbilanz gerissen, vor allem im Tourismusbereich. Mit 5,8 Millionen machten Chinesen, die 2018 das Nachbarland besuchten, ein Drittel der ausländischen Touristen aus. Jetzt liegt die Zahl bei nahezu null.
Auch auf ein weiteres wichtiges Standbein von Vietnams Wirtschaft, die Agrarexporte nach China, hat die Pandemie enorme Auswirkungen. Allein bis März sank die Ausfuhr von Meeresfrüchten und Agrarprodukten um bis zu acht Prozent. Belastet hat dies die Beziehungen nicht, beide Länder wollen gemeinsam an der Überwindung der Krise arbeiten. So zeigte sich Xi bei dem Gespräch auch sehr zufrieden mit der gegenseitigen Unterstützung im Kampf gegen das Coronavirus.
Berlin: Im Untergrundkrieg gegen Russland und China (III) (06.10.2020)
Kommentar von Hans-Rüdiger Minow
Als im Krieg um Korea ein Atombombenschlag gegen Peking (und Moskau) disloziert worden war (Bereitstellungsort: Guam, max. 34 A-Bomben, Klasse Mark-4), sorgte in München der Nachfolgestab der NS-Spionage (Org. Gehlen) für direkte Kontakte mit der Kuomintang. Ihre Truppenbestände sollten nach Abwurf der Atombombenlast als Besatzungsarmeen im verseuchten Gelände gegen Peking marschieren. Für Panzervorstöße der Kuomintang, die General Tschiang Kai-shek als notwendig ansah, konnte Gehlen in München Spezialisten anbieten: Reichswehr- und NS-Militärs. Sie hatten Erfahrung – beim Niederschlagen von Aufruhr und Streiks im Weimarer Deutschland, dann bei der Deckung der Vernichtungsfeldzüge und NS-Massaker im Osten (“Unternehmen Barbarossa”). Die blutige Spur der in Europa begangenen Kriegsverbrechen verlängerte Gehlen nach China.
BND-Personal
Im Verbund der Org. Gehlen (ab 1956 Bundesnachrichtendienst/BND) war Leo Geyr von Schweppenburg tätig. Der NS-General, beim Vormarsch auf Moskau vielfacher Held der Panzereinheiten (NS-Ritterkreuzträger), jetzt für Taiwan und die Kuomintang im Kampf gegen Peking, instruierte die Stäbe der nationalistischen Truppen mit Originaldokumenten des NS-Überfalls “Barbarossa”. Er unterstand Tschiang Kai-shek persönlich.
Oskar Munzel, Kriegskamerad des Ritterkreuzträgers, schien Gehlen und dem Bundesnachrichtendienst ebenfalls wertvoll, da auch Munzels Erfahrung auf den Panzerkampf zielte (3. NS-Panzerdivision, Vormarsch auf Moskau) – das zentrale Projekt der Taiwan-Militärs, um Peking zu schleifen. Während der Planung des Atombombenschlags (April 1951) war Munzel noch in Afrika tätig – in Kairo, als Berater des feudalen Faruq-Regimes, das sich für Kämpfe an seiner östlichen Grenze von Munzel entsprechenden Kriegsrat versprach.
Munzel kannte die Feinde, die Kairo umtrieben. Beim Vormarsch auf Moskau waren sie Munzel ständig begegnet: die zum sofortigen Tod befohlenen Juden, denen Munzel und etwa 70 westdeutsche NS-Spezialisten jetzt in Kairo nachspürten – bei Planungen für Kriege mit Israel.
Diese Karriere führte Munzel nach Münster, zu den Panzertruppen der Bundeswehr (1956), und nach erfolgter Bewährung zu einer klandestinen Mission des Bundesnachrichtendienstes (BND), der er im Untergrundkrieg gegen China vorstand.
Operation “Ming Teh”
Munzels BND-Gruppe, getarnt als Gesandtschaft des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst, Bonn), empfing in Taiwan Tschiang Kai-sheks Sohn Wego, vormals Kadett im NS-Militär, jetzt Rüstungsexperte mit Verbindungen zur westdeutschen Kriegsindustrie. Tschiang Wegos Auftrag war umfassend und klar: mit der deutschen Erfahrung beim “Barbarossa”-Einsatz (und nach Munzels Erprobung in Kairo) für den Vorstoß aufs Festland und den Vormarsch auf Peking Nachwuchs zu schulen – und zugleich für entsprechende Waffen zu sorgen.
Über Munzels BND-Gruppe, die in Taiwan ein eigenes Büro mit Geheimdienststrukturen des Präsidenten verband (Codename “Ming Teh”), kamen diese Waffen aus Westdeutschland – mit Billigung des Bundesaußenministers: Panzergranaten von Bölkow (später MBB), Panzerfäuste von Diehl, Treibsätze und Gefechtsköpfe, System “Mars”, von Dynamit Nobel, Sprengstoffe und Chemikalien.
Mit der Legende, sie gehörten zum deutschen Lehrpersonal am Kulturkolleg der Insel Taiwan, bauten die BRD-Militärs der Gruppe “Ming Teh” ihren Einfluss aus. Die gegen Peking gerichtete Angriffsfront wurde verstärkt und nun auch sichtbar gemacht. Während Munzel, geführt vom Bundesnachrichtendienst, ein noch geheimes “Versuchsbataillon” gegen China aufstellte (1968), studierten in Hamburg Stabsoffiziere der Taiwan-Diktatur an der Führungsakademie der Bundeswehr, ganz offiziell.
Mordstimulans
Die Rüstungsvorhaben für einen Krieg gegen China standen im Gleichklang mit Vernichtungsideen, die das Kolonialstereotyp von der “gelben Gefahr” in imperialer Verkleidung wiederbelebten (“roter Drache”) – und beim Verlangen nach Abwehr einem ethischen Auftrag nicht abgeneigt waren. Das ideelle Objekt der NS-Propaganda, ein den “Innerasiaten” unterlegenes Volk, das noch Reinheit bewahrt hat und beschützt werden müsse, wurde bruchlos tradiert; der berüchtigte Streifen aus SS-Produktion (“Geheimnis Tibet”, 1943) über arische Gene im Himalaya-Hochland kam erneut in die Kinos.
Der westdeutsche Staat war kaum ein Jahr alt und der Atombombenschlag gegen Peking in Planung (1950), als die grafisch identischen Kinoplakate den Neustart bewarben: “Der Originalfilm der deutschen Tibetexpedition”. Der Film enthält Szenen, in denen der Auschwitz-Verbrecher Bruno Beger auftritt (vgl. Teil II). Die Bilder von Beger, beim Arier-Abgleich die Köpfe und Körper des Urvolks vermessend, transportieren Rassismus als ein Mordstimulans, das harmlos aussieht und austauschbar ist: mal als volkliche Reinheit, die vor jüdischer Trübung bewahrt werden muss, mal als arisches Erbe im tibetischen Asien und von der gelben Gefahr mit Durchmischung bedroht (vom staatlichen China und den Han-Chinesen). Je heller der Schein der Ursprungsgestalt, desto wüster der Schatten des Gegenentwurfs, der Vernichtung verdient.
Kaum hatte Peking seinen Anspruch auf Tibet erneut unterstrichen, erhielt der SS-Film den Freigabestempel der westdeutschen Filmindustrie (FSK, Freiwillige Selbstkontrolle): seit 5.6.1950 unbedenklich ab 12 Jahre (Verlängerung der Freigabe 1956; seit 5.1.2000 in neuer Fassung weiter unbedenklich und nun auch ohne Altersbeschränkung).
Fremdvölkerpflege
An den kolonialen Rassismus, der im Untergrundkrieg Affekte aufreizt und von der Jagd auf die Beute (Ressourcen und Märkte, Landschaft und Leben) mit einem ethischen Vorwand ablenken will, schloss im westlichen Deutschland das Fernsehen an. Archaische Bilder über Urvölkerreste, deren baldigen Tod die Marktkonkurrenz zu beschleunigen drohe, verstellten den Blick auf die aggressiven Manöver der BND-Spionage, der militärischen Stäbe und Rüstungsbetriebe im Konflikt mit “Rotchina”.
Als hätte Radio Free Europe (RFE) mit seinen Münchener Agenten vom Bundesnachrichtendienst der Ergänzung bedurft, bot das Erste Programm der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten (ARD) den Fremdvölkerserien eine riesige Bühne: über mehrere Jahrzehnte (1963-2009), mit TV-Schwerpunkt Tibet.
Imperial
Im Abendprogramm erfuhren Millionen, wie vor etlichen Jahren der im Bild stets präsente TV-Moderator und Bergsteigerheld den Dalai Lama antraf: als göttlichen König im tibetischen Lhasa, der dem weißen Besucher aus dem fernen Europa seine Freundschaft anbot und sich jetzt auf der Flucht vor “Rotchina” befand – ohne sein Urvolk. Der weiße Besucher und im Bild stets präsente TV-Moderator war Heinrich Harrer, vormals SS-Oberscharführer. Im Untergrundkampf für ein arisches Deutschland der SA beigetreten, als Bezwinger der Berge von Adolf Hitler empfangen, zu den Gipfeln des Nanga Parbat entsandt (“sportliche Ertüchtigung für den bevorstehenden Krieg”, 1939), verkörperte Harrer die weiße Mission: mit ihren kernigen Kräften über sämtliche Grenzen auf die Welt auszugreifen, den harmlosen Rassen ein gütiger Freund, für konkurrierende Mächte unbesiegbar zu sein.
Mit der ethnologischen Serie (über 50 ARD-Sendungen à 45 Minuten, begleitet von Features in Radio und Presse) trat der koloniale Rassismus auf die höhere Stufe imperialer Manier: Fremdvölkerpflege(mit TV-Schwerpunkt Tibet)im Untergrundkrieg gegen Marktwiderstand (VR China).
Klandestine Verstärkung
Als die Bonner Parteien eine Aufstandsbewegung des tibetischen Adels (1987) mit offenen Attacken gegen Peking belohnten (“Menschenrechtsverletzungen in Tibet”), und vermehrte Stipendien für Exilanten aus Tibet in Deutschland verlangten, hatten Münchener Agenten an der Fremdvölkerfront längst Breschen geschlagen: für Stipendienbewerber eines weiteren Volkes, das die staatliche Einheit der Volksrepublik beschädigen konnte, sofern sein türkisch-muslimischer Separatismus gewalttätig würde: Uiguren aus Tibets Nachbarregion, dem autonomen Gebiet Xinjiang.
Nach dem Vorbild “Ming Teh”, der Schleusung der Gruppe aus BND-Militärs mittels DAAD, bekam die uigurische Szene in der bayerischen Hauptstadt klandestine Verstärkung – legal finanziert aus den üblichen Mitteln des exquisiten Vereins für akademischen Austausch.
UKW Biblis
Der uigurische Nachwuchs reiste via Türkei und füllte in München die muslimischen Reihen der Gehlen-Agenten, die bei Radio Free Europe (RFE), dem Geheimdienstbetrieb in der Oettinger Straße, bereits seit Jahrzehnten ihr Auskommen fanden. Der Sender, inzwischen vergrößert um ein weiteres Standbein der US-Finanziers (Radio Liberty), rief von westdeutschem Boden im Uiguren-Programm (UKW-Stationen Biblis und Lampertheim) zum Widerstand auf – gegen den Zuzug chinesischer Bürger, der blutsfremden Han, die die ethnische Reinheit der Mehrheitsbevölkerung in Xinjiang liquidierten (“Genozid”), für muslimisches Recht und “Identität” in einem eigenen Staat.
Großturkestan, Tibet, Hongkong
Den Münchener Senioren der Uiguren-Gemeinde (heute World Uyghur Congress, WUC) ist die Blutspropaganda bestens bekannt: aus ihrem Dienst in den Ostland-Legionen der Waffen-SS (Turkestanische 162. Infanterie-Division). Berlin hatte ihnen einen eigenen Staat unter Einschluss Xinjiangs (“Großturkestan”), “Identität” und muslimisches Recht in Aussicht gestellt, um das großdeutsche “Reich” mit turkmenischer Hilfe an den Grenzen zu China in Stellung zu bringen. Mit den geschlagenen Resten der SS-Division in Bayern gestrandet, hofften sie weiter und werden erneut gegen China benutzt – wie das Urvolk der Nazis im Himalaya-Hochland, dessen Siedlungsgebiet (Tibet) und das Gebiet der Uiguren (Xingjiang) ein Drittel der Fläche ganz Chinas umfassen.
Zählt man Hongkong hinzu, scheint die westliche Seite über mehrfache Hebel im Kampf gegen China verfügen zu können: erstens innere Zersetzung (Aufstandsbewegung ethnischer Gruppen in der Peripherie, soziale Verwerfung in den Ballungsgebieten), zweitens äußerer Eingriff militärischer Art (ab Stützpunkt Taiwan Chinesen gegen Chinesen kämpfen zu lassen).
Führende Rolle
Im Untergrundkrieg erfährt die zweite Option eine neue Gewichtung, seitdem die EU unter deutscher Ägide die Taiwan-Politik gegen Peking verschärft. Sie erlaubt es Berlin, die politisch gewachsene, ideell überbaute Sonderbeziehung mit der Kuomintang, die seit Reichswehr und Wehrmacht nie aufgehört hat, für eine führende Rolle im westlichen Bündnis gegen China zu nutzen.
Atomkrieg
Deutsche Weltpolitik, die nach Osten vorrückt, stand in sämtlichen Phasen des chinesischen Aufbruchs auf der feindlichen Seite. Als der Aufbruch mit Gründung der Volksrepublik unumkehrbar erschien (1949) und ein Kernwaffenkrieg gegen China geplant war, half das westliche Deutschland mit klandestiner Verstärkung und militärischem Wissen. Noch in den Trümmern des Hitler-Regimes, griff die Weltpolitik des Nachfolgestaates auf das historische Erbe der kolonialen Verbrechen in China zurück: der kriminellen Potenz ihrer Kriegskonkurrenten im Kampf um Großasien gewachsen zu sein – selbst mit Atomkrieg.
Dieses Rufs bleibt sie würdig.
Huawei sucht Ausweg aus der Patentsperre
Der chinesische Hersteller kann von seinen neuen Smartphones wegen des US-Embargos weniger ausliefern, als bestellt sind, und entwickelt über Beteiligungen an chinesischen Firmen nun eigene Chips
Deutschland im Indo-Pazifik (IV) (09.10.2020)
Rohstofflieferant, Rüstungskunde und Militärpartner: Berlin stärkt die Beziehungen zu Australien – gegen China.
BERLIN/CANBERRA (Eigener Bericht) – Deutschlands wichtigste “indo-pazifische” Verbündete intensivieren ihre Zusammenarbeit gegen China. Am Dienstag haben die Außenminister des “Quad”, eines Bündnisses der USA, Japans, Australiens und Indiens, die weitere Stärkung ihrer Kooperation beschlossen. Die “Quad”-Mitglieder gelten als zentrale Rivalen Beijings. Zieht Berlin die zuweilen vorgeschlagene Annäherung an den Pakt zur Zeit noch nicht offiziell in Betracht, so arbeitet die Bundesrepublik immer enger mit Australien zusammen, mit dem sie seit 2013 in einer “strategischen Partnerschaft” verbunden ist. Australien ist heute ein bedeutender Rohstofflieferant Deutschlands; für die Zukunft strebt die Bundesregierung zum Zwecke der Dekarbonisierung auch den Bezug “grünen” australischen Wasserstoffs als Energieträger an. Intensiviert wird zudem die deutsch-australische Rüstungs- und Militärkooperation; während Australien zu einem bedeutenden Kunden deutscher Waffenschmieden aufgestiegen ist, baut die deutsche Marine ihre Beziehungen zu Australiens Seestreitkräften aus. Diese operieren regelmäßig im Südchinesischen Meer.
Rohstofflieferant
Jenseits geostrategischer Überlegungen gewinnt Australien für die Bundesrepublik zusehends als Rohstofflieferant an Bedeutung. Schon heute zählt das Land, das über riesige Lagerstätten verfügt, zu Deutschlands bedeutendsten Kohlequellen und ist mit einem Anteil von knapp 30 Prozent größter Zinklieferant der deutschen Industrie. Zudem besitzt es umfangreiche Lithiumvorräte und ist zur Zeit größter Lithiumproduzent der Welt – eine Tatsache, die von einigem Interesse für die deutsche Kfz-Industrie ist, da Batterien für Elektroautos Lithium benötigen. Berlin fördert die Kooperation systematisch; so hat etwa das Bundeswirtschaftsministerium am 21. März 2017 eine Absichtserklärung mit Australiens Energieministerium über eine engere Zusammenarbeit auf den Feldern Energie und Rohstoffe unterzeichnet.[1] Aktuell nimmt die Bundesregierung speziell Australiens Bestrebungen in den Blick, sich zu einem führenden Hersteller “grünen” und “blauen” Wasserstoffs zu entwickeln. Wasserstoff gilt als globaler Energieträger der Zukunft, mit dem es möglich sein soll, aus Sonne und Wind gewonnene Energie zu speichern und sie in andere Länder zu transportieren.[2] Australien gilt mit seinen riesigen wind- und sonnenreichen, zugleich dünn besiedelten Flächen als herausragender Standort für die Erzeugung erneuerbarer Energien. Am 10. September haben Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und zwei australische Kollegen die Erstellung einer Machbarkeitsstudie beschlossen, die die Schaffung einer deutsch-australischen Lieferkette für “grünen”, mit Sonne und Wind erzeugten Wasserstoff untersuchen soll.[3]
Rüstungskunde
Parallel baut die Bundesrepublik die rüstungswirtschaftlichen und militärpolitischen Beziehungen zu Australien systematisch aus. Grundlage ist die “Berlin-Canberra-Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft”, anlässlich deren Unterzeichnung am 28. Januar 2013 der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle urteilte, Australien sei für Deutschland “strategisches Sprungbrett in den asiatisch-pazifischen Raum”.[4] Die gemeinsame Erklärung sieht außer einem allgemein gehaltenen “strategisch-politischen Dialog” auch eine dichtere “Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich” vor. Zuletzt hielt sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Oktober 2018 zu Gesprächen mit ihrem Amtskollegen Christopher Pyne in Canberra auf und kündigte eine engere Kooperation der Bundeswehr mit den australischen Streitkräften an.[5] Gleichzeitig nehmen die Lieferungen deutscher Rüstungskonzerne nach Australien deutlich zu. 2016 befand sich das Land auf der Rangliste der Käufer deutschen Kriegsgeräts bereits auf Platz sieben, 2017 auf Platz fünf und 2018 auf Platz drei. 2019 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte nach Canberra im Wert von über 300 Millionen Euro. Der zur Zeit wohl größte Profiteur ist Rheinmetall; der Düsseldorfer Konzern erzielte im Jahr 2018 bereits 14,8 Prozent seines Gesamtumsatzes in der Absatzregion “Australien/Ozeanien”. Er liefert Militär-Lkw sowie Radpanzer des Typs Boxer (Auftragsvolumen: 2,1 Milliarden Euro) und bewirbt sich gegenwärtig um einen Auftrag zur Lieferung von 450 Schützenpanzern (Typ Lynx, 9,5 Milliarden Euro).[6]
Militärpartner
Die deutsch-australische Militär- und Rüstungskooperation bezieht nicht zuletzt die Seestreitkräfte beider Staaten ein. Im November 2017 hat die Bremer Lürssen-Werft den Auftrag für den Bau von zwölf hochseetauglichen Küstenwachbooten für die australische Marine erhalten, die neben dem Grenzschutz auch für Patrouillenfahrten geeignet sind; sie werden für rund 2,57 Milliarden Euro unter Lürssen als Generalunternehmer in Australien produziert.[7] Eine Intensivierung der Marinekooperation war zuletzt im Zusammenhang mit einer Übungsfahrt der Fregatte “Hamburg” in den Indischen Ozean geplant, die das deutsche Kriegsschiff in diesem Sommer bis Australien hätte führen sollen (german-foreign-policy.com berichtete [8]); die Reise musste jedoch wegen der Covid-19-Pandemie kurzfristig abgesagt werden. Die Marinekooperation verdient besondere Aufmerksamkeit, da Australiens Kriegsschiffe regelmäßig Patrouillenfahrten im Südchinesischen Meer durchführen und sich damit offen gegen China in Stellung bringen. Im April etwa hat die Fregatte HMAS Parramatta gemeinsam mit drei US-Kriegsschiffen Manöver im Südchinesischen Meer abgehalten, darunter Schießübungen. Im Juli stießen fünf australische Kriegsschiffe, als sie das Südchinesische Meer auf ihrem Weg zu einem US-amerikanisch-australisch-japanischen Manöver östlich der Philippinen durchquerten, auf chinesische Kriegsschiffe.[9] Erwägungen, an Marinefahrten durch das Südchinesische Meer teilzunehmen, werden in wachsendem Maß auch in Berlin lanciert.
Freiheit und Demokratie
Deutschlands “strategischer Partner” Australien, der lange mit seiner brutalen Flüchtlingsabwehr von sich reden machte [10] und besonders mit seiner seit 2013 amtierenden Rechtsregierung in der Region als “Hilfssheriff der USA” gilt, tut sich seit Jahren als Speerspitze im erbitterten Machtkampf des Westens gegen China hervor. Abgesehen von den Patrouillen im Südchinesischen Meer war Australien etwa im August 2018 der erste Staat, der Huawei vom Aufbau der 5G-Netze ausschloss. Im Inland führt das Land bereits seit Jahren eine heftige Kampagne gegen angebliche chinesische Einflussnahme, die sich längst nicht mehr nur gegen die zahlenstarke chinesische Minderheit richtet. Im Jahr 2018 etwa verabschiedete das Parlament in Canberra neue Gesetze zur Abwehr “ausländischen Einflusses”, die unter anderem Mittel zur Repression gegen Journalisten bieten. Zielten sie zunächst insbesondere darauf ab, angebliche Einflussagenten Chinas der Strafverfolgung auszusetzen, so wurden sie bereits im Juni 2019 von Australiens Polizei genutzt, um in einem Strafverfahren gegen einen Journalisten das Hauptgebäude der öffentlich-rechtlichen Australian Broadcasting Corporation (ABC) zu durchsuchen. Das vermeintliche Vergehen des Journalisten: Er hatte über Morde und weitere Kriegsverbrechen recherchiert, die mutmaßlich von australischen Soldaten in Afghanistan begangen wurden. Das Beispiel zeigt, wie antichinesische Agitation – selbstverständlich im Namen von “Freiheit und Demokratie” – unvermittelt in unerbittliche Angriffe auf grundlegende Freiheitsrechte übergehen kann.
Der Quad-Pakt
Im Machtkampf gegen China hat sich Australien mit den USA, Japan und Indien zu dem Bündnis “Quad” (Quadrilateral Security Dialogue) zusammengeschlossen, das unter der Parole, für einen “freien und offenen Indo-Pazifik” zu kämpfen [11], eine – freilich weitgespannte – Einkreisung der Volksrepublik unternimmt. Zuletzt trafen die Außenminister der vier Quad-Länder am Dienstag in Tokio zusammen. Politstrategen haben zuweilen eine Annäherung der Bundesrepublik an den Viererpakt gefordert, der von Kritikern gelegentlich als “indo-pazifische Mini-NATO” eingestuft wird (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Während die Bundesregierung eine solche Annäherung offiziell – noch – nicht in Betracht zieht, intensiviert sie die Kooperation mit den einzelnen Mitgliedern des Zusammenschlusses, darunter Australien.
Der Unterschied zwischen Indien und China als Markt und Standort ist gewaltig.
China ist immerhin ein (ex?)sozialistisches Land, wo der Analphabetismus (oder wie man das dort nennen mag) mehr oder weniger ausgerottet wurde und die ordnende Hand des Staates in alle Winkel reicht.
Vor allem in Sachen Bildung ist China Indien um Nasenlängen voraus und kennt auch keine überflüssige Bevölkerung, zum Unterschied von der derzeit an der Macht befindlichen indischen Regierungsmannschaft.
Es ist die Dummheit von politisch verblendeten Antikommunisten, zu glauben, viele und billige Arbeitskräfte machen ein Land fürs Kapital attraktiv und man müßte nur die nötigen Anstöße geben, schon laufen die Unternehmer los und investieren dort.
Was Vietnam angeht, so ist es schon beachtlich, daß das Land, von dem es seinerzeit “in die Steinzeit zurückgebombt” wurde, sein größter Handelspartner ist!
Sowohl von den USA als auch von Vietnam aus ist dieses Verhältnis offenbar gewollt.
AUSTRALIEN:
Europäische Kohleproduzenten wie Spanien, Polen, Rumänien sollen ihre Förderung aufgeben oder haben das schon getan, alles natürlich mit Berufung auf Umwelt usw. – und vom anderen Ende des Globus wird Kohle importiert?!
Die offenbar trotz des langen Transportweges billiger zu sein scheint als die aus der EU?!
Weiter auf Erholungskurs
Chinas Außenhandel zieht stark an. Automarkt mit Absatzplus
Trotz Corona: Die Volksrepublik China erholt sich wirtschaftlich deutlich schneller von den Folgen der Pandemie als andere Staaten. Die Exporte der zweitgrößten Volkswirtschaft stiegen im September im Vorjahresvergleich um 9,9 Prozent, wie Beijing am Dienstag mitteilte. Die Importe legten demnach im selben Zeitraum um 13,2 Prozent zu. Insgesamt belief sich der chinesische Außenhandel im abgelaufenen Monat auf ein Volumen von rund 443 Milliarden US-Dollar (rund 375 Milliarden Euro). Der Einbruch, der durch die Coronapandemie im Frühjahr ausgelöst wurde, konnte laut offiziellen Angaben im dritten Quartal schon fast wieder aufgeholt werden. In US-Dollar gerechnet ergab sich bei den Ausfuhren von Januar bis September noch ein Minus von 1,8 Prozent. In der chinesischen Landeswährung Yuan gerechnet habe der Außenhandel wieder 0,7 Prozent im Plus gelegen.
Bemerkenswert ist bei dieser Erholung der boomende chinesische Automarkt. Mit einem Absatzplus von 12,8 Prozent ist er im September den sechsten Monat in Folge gewachsen. Die Hersteller verkauften 2,57 Millionen Fahrzeuge, wie der Branchenverband China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) am Dienstag mitteilte. Von Januar bis September verringerte sich der Rückstand gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 6,9 Prozent. Per Ende August waren es noch 9,7 Prozent gewesen. Die Branche, die ihre Hauptsaison üblicherweise als »goldenen September« und »silbernen Oktober« bezeichnet, kann also auch in diesem Jahr auf einen umsatzträchtigen Herbst hoffen.
Am Montag ergriff die chinesische Notenbank zudem Maßnahmen, um eine leichte Abwertung der heimischen Währung Yuan zu bewirken. Denn ein zu starker Yuan verteuert die Waren Chinas aus Sicht anderer Länder und wirkt sich dadurch negativ auf den Export aus. Die Yuan-Stärke wurde nicht zuletzt durch die konjunkturelle Erholung sowie einen bis zuletzt schwächeren US-Dollar begünstigt.
Unter dem Strich haben die strengen Maßnahmen in China dazu geführt, dass das Virus schneller unter Kontrolle gebracht werden konnte als in anderen Staaten. Auch deshalb hat die Wirtschaftsleistung in der Volksrepublik wieder spürbar zugelegt. (dpa/jW)
In westlichen Ländern vertrauen mehr Menschen XI Ping als Donald Trump
Nach einer Umfrage wird Chinas Umgang mit Corona negativ gesehen, aber die USA wird als noch schlechter beurteilt, auch als Wirtschaftsmacht sind die USA nicht MAGA
Die Meldung muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
In der westlichen Welt werden Währungen durch den Devisenhandel auf den Börsen ab-, oder seltener: aufgewertet. Die jeweiligen Regierungen versuchen dann mit Interventionskäufen die Talfahrt zu stoppen und brauchen dabei gute Teile ihrer Devisenrücklagen auf. Sie sind also gar nicht die Subjekte der Abwertung, sondern hecheln den Ereignissen hinterher und versuchen den Schaden zu begrenzen. Oftmals gelingt das gar nicht, man erinnere sich an Argentinien, wo der IWF fest hineinbuttern mußte, um den Peso irgendwie als Währung aufrechtzuerhalten.
Und dann kommt China, das seine Währung bis heute sehr absichtlich nicht freigegeben hat und sagt: Wir werten ein bißl ab, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu verbessern!
Das muß allen möglichen westlichen Politikern den Schaum vor den Mund treiben.
Deutsches Kapital gegen China
Regierung auf der Suche nach alternativen Absatzmärkten in Südostasien
Bundesregierung und Kapitalvertreter wollen Alternativen zum Geschäft mit China suchen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verwies am Montag auf der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Berlin darauf, dass derzeit 75 Prozent der deutschen Exporte nach Ostasien gingen, die Hälfte allein in die Volksrepublik. »Angesichts dessen bieten sich noch viele Möglichkeiten der Diversifizierung und Erschließung weiterer Märkte in der gesamten Asien-Pazifik-Region«, fügte sie hinzu. Wichtig seien dabei die Gleichbehandlung der Unternehmen, Transparenz, Rechtssicherheit und der Schutz geistigen Eigentums.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte auf der Konferenz: »Wir wollen natürlich unsere Lieferketten diversifizieren.« Es habe sich in der Coronapandemie gezeigt, dass diese sehr einseitig ausgerichtet seien, was zu Abhängigkeiten führe und anfällig für Unterbrechungen mache.
Altmaier verwies darauf, dass auch andere asiatische Länder wie Singapur oder Südkorea sehr gut mit der Coronapandemie umgegangen seien. »Es hat zur Folge, dass dort die Wachstumskräfte sehr früh wieder die Überhand gewonnen haben.« Das müsse man ausnutzen. Josef Käser, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft und Vorstandschef von Siemens, nannte vor allem Vietnam als wichtige Alternative für Investitionen. Deutschland habe dort die duale Ausbildung vorangetrieben, so dass qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden. Man könne »relativ zügig« in das Land ausweichen. Zudem benannte Käser Indien und Indonesien. Letzteres habe bei 300 Millionen Einwohnern eine wachsende Mittelschicht. Deutsche Firmen und die Politik sollten die Qualifizierung von Mitarbeitern vorantreiben, wie man es früher auch in China gemacht habe. Die EU müsse ihre wirtschaftspolitischen Interessen im Wettbewerb mit den USA und China klarer und einheitlicher formulieren. Die neuen Wirtschaftszahlen zeigten, dass China schnell aus der Pandemie gekommen sei. Das liege an der Größe des chinesischen Marktes, aber auch am Handeln der Regierung. (dpa/Reuters/jW)
Staunen in Berlin
Wirtschaftswachstum in China
Von Jörg Kronauer
Chinas Wirtschaft brummt wieder: Nachdem sie im ersten Quartal unter dem Druck der Covid-19-Pandemie um 6,8 Prozent eingebrochen war, ist sie – nach 3,2 Prozent im zweiten Quartal – im dritten Quartal bereits um 4,9 Prozent gewachsen, wie das Statistikamt in Beijing am Montag mitteilte. Eine Sprecherin der Behörde warnte, man dürfe keinesfalls Entwarnung geben, denn die erneute Explosion der Pandemie in Europa und den USA bedrohe einen wichtigen Wachstumstreiber, den chinesischen Export. Auch die Volksrepublik müsse höllisch aufpassen, nicht selbst von einer zweiten Welle überrollt zu werden: Dennoch, dass das Land für 2020 insgesamt ein positives Wachstum wird verzeichnen können, scheint nun beinahe sicher zu sein. Was für ein Unterschied zu Deutschland, wo die Auguren kürzlich stolz verkündeten, man werde den Einbruch der Wirtschaft im Gesamtjahr auf »nur« 5,5 Prozent beschränken können! Es zeige sich, räumte Siemens-Chef Josef Käser am Montag auf der online abgehaltenen Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft unumwunden ein, »dass das chinesische System, was die Krisenbekämpfung angeht, westlichen Systemen überlegen war«.
Die deutschen Eliten, nicht gewohnt, dass ehemals ganz oder teilweise kolonialisierte Länder an ihnen vorbeiziehen, werden das kaum auf sich sitzen lassen. Schon allein deswegen nicht, weil die Volksrepublik, die die Pandemiekrise glimpflicher überstanden hat als der alte Westen, ihren Weg an die Spitze der Weltwirtschaft und -politik beschleunigt. Kanzlerin Angela Merkel riet in einer Onlineansprache auf der Asien-Pazifik-Konferenz, künftig doch weniger Geschäfte mit China zu machen, mehr dafür mit den anderen Staaten der Region, mit Südkorea oder Vietnam, Indonesien oder Indien. Das soll Beijing Einfluss rauben und Gegengewichte schaffen. Das Problem ist nur: Das Kapital geht dorthin, wo es die günstigsten Verwertungsbedingungen vorfindet. Es hat durchaus seinen Grund, dass deutsche Firmen beispielsweise viel weniger in Indien investieren als in China. Und gegen die rohen Kräfte des Marktes helfen im globalen Kapitalismus hohle Appelle kaum.
Was bleibt? »Wir müssen zeigen, dass wir genauso effektiv die Coronakrise bekämpfen können«, schlug Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor. Nun, mit 370.000 Infektionsfällen zu Beginn der zweiten Pandemiewelle gegenüber 86.000 in China, dessen Bevölkerung zudem siebzehnmal so groß ist wie die deutsche, wird das schwer. Siemens-Chef Käser riet denn auch dazu, den miserablen Umgang mit der Krise durch ein stärkeres »Eintreten für westliche Werte« zu übertünchen. Das ist für die deutschen Eliten wohl ohne weiteres machbar. Man wird in nächster Zeit also vermutlich noch mehr als schon bisher von großen Heldentaten »Europas« und des Westens hören und vor allem von angeblichen Schandtaten Chinas. Propaganda, das können sie im Land der Dichter und Stänker.
Die rasante staatskapitalistische Industrialisierung Chinas beförderte auch eine gigantische Verdreckung von Luft, Boden, generell “Umwelt”. Damit die natürlichen Ressourcen besser benutzbar bleiben bzw. es erst wieder werden sollen, ist “Umwelt” in China ein eigenständiger staatlicher Programmpunkt geworden. Das legt dieser Artikel nahe.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/chinas-grosser-oeko-sprung
“Klima” und “Umwelt” sind im Verkehr imperialistischer Staaten immerzu Einspruchstitel in die Innenpolitik des anderen. So reüssiert der minutiös mit Grenzwerten ausgemessene, die Leute so vergiftende, Dreck des Kapitals als Ideal des Besseren zum Sinnspruch für staatliche Vorhaben neben der Förderung des kapitalistischen Wachstums. Besonders schlau kommt man sich hierzulande vor, wenn grünes Wachstum als Zukunft des Kapitalismus verkündet wird. So wird der Dreck des Kapitals transformiert zu den hohen “Werten” Umwelt und Klima in der internationalen Politik, mit denen andere Nationen gerne auf internationalen Konferenzen auf Gefolgschaft zu den weltweiten eigenen Vorhaben und internationale Regulierungsabsichten festgelegt werden… Sollen.
https://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/eu-china-soll-bei-den-klima-ambitionen-nachziehen/
Der obige Artikel ais dem ‘Freitag’ behauptet implizit, dass “Umwelt” so was wie ein positiver eigenständiger Zweck in China geworden sei. Ob das so stimmt? Oder sind das lediglich notwendige Reparatur-Erfordernisse zwecks Fortführung der schädlichen (staats)kapitalistischen Produktionsweise, wie man das angesichts diverser Meldungen über Smog in China vermuten kann?
Der eigenständige Zweck und die Reparaturmaßnahme schließen einander nicht aus.
Tatsache ist, daß in China mehr Bäume gepflanzt werden als anderswo, die Wüsten begrünt und damit ent-wüstet werden sollen, massiv in Umwelttechnologie wie Kläranlagen und Luftfilter investiert wird, die Heizsysteme in den Großstädten modernisiert werden – Kohle ade! – usw. usf.
Bei China geht es noch vor allem Geschäftskalkül um die Größe der Nation, des Staates – da gehört es dazu, sich um Umwelt zu kümmern.
Mindestens 25 Kohlekraftwerke seien in China in Planung. Und auch sonst wird in hiesigen Medien eher berichtet, dass China scharf auf Wachstum überhaupt sei, inklusive damit einhergehender Vergiftung der Leute.
Zum Wachstumsmodell dazu gehört dann allerdings auch z.B. Solartechnologie etc. zwecks Verkauf auf dem Weltmarkt. Oder die Nötigung von vor 5 Jahren an die westlichen Autokonzerne, auf dem chinesischen Markt anteilig einen festen Prozentsatz Elektro-Autos anbieten zu müssen, womit China dann auch seine Vorreiterrolle in der Elektro-Auto-Mobilität weltweit befördern wollte.
Dass der Staat seiner Macht wegen auf kapitalistisches (!) Wachstum setzt, sei behauptet. Aber solche Baumaktionen gibt es wohl auch. Überhaupt für Infrastruktur etc. gibt der (ideelle wie dort eben – sehr reelle) ‘Gesamtkapitalist’ Gelder aus.
Aber dass die Größe der Nation ein anderer Zweck ist als das Wohlergehen der Chinesen, das behaupte ich. Und dass es beim Kapitalismus irgendwie um die Leute gehe, das wird einem hierzulande auch ununterbrochen erzählt. In China, incl. Landumsiedlung, Wanderarbeiterschaft etc. geht es natürlich auch vor allem um die Leute…
Das ist eben die hiesige Berichterstattung.
Es ist richtig, China setzt stark auf Kohle, weil sie die eben hat. Aber es wurden auch unzählige Kohlekraftwerke geschlossen, die wahre Drecksschleudern waren, und der Trend geht erstens auf mehr Filter und zweitens weg von den Ballungszentren.
Ja ja, in China fällt ihnen das auf, während hierzulande gibt es so etwas bekanntlich überhaupt nicht. Wachstum, was ist das? 😀
Wie bereits oben beschrieben, natürlich hat Wachstum in China Priorität. Man darf dabei nicht vergessen, daß Wachstum in China etwas anderes heißt: Das heißt Entwicklung der Produktivkräfte, und nicht herumschieben von Aktien, Anleihen und Optionen, woraus sich z.B. ein guter Teil des britischen BIP speist.
Aber genau deshalb ist die Umwelttechnologie in China sehr gefragt, was vor allem österreichische Firmen begünstigt, weil die seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet Marktführer sind.
China verurteilt US-Taiwan-Rüstungsdeal
Beijing sieht durch Waffenverkauf Frieden und Stabilität in der Region gefährdet
Wegen des geplanten Verkaufs von US-Raketen an Taiwan hat China mit Konsequenzen gedroht. In Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung werde es eine »legitime und notwendige Antwort« auf diesen Rüstungsdeal geben, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Donnerstag in Beijing. Das Geschäft verletzte das »Ein-China-Prinzip«, schicke ein »sehr falsches Signal« an separatistische Kräfte in Taiwan und füge den Beziehungen zwischen den USA und China »schweren« Schaden zu. Gleichzeitig werde der Frieden und die Stabilität in der Taiwanstraße gefährdet, so der Sprecher des Außenministeriums.
Die US-Regierung hatte in den vergangenen Tagen den Verkauf von Luft-Boden-Raketen an Taiwan im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar (850 Millionen Euro) genehmigt. Diese würden Taipeh dabei helfen, »gegenwärtigen und zukünftigen Bedrohungen zu begegnen«, erklärte das Außenministerium in Washington. Neben den 135 präzisionsgelenkten Marschflugkörpern sollen nach US-Angaben auch elf mobile leichte Raketenwerfer und sechs Systeme zur Luftaufklärung an Taiwan geliefert werden.
Wiederholt hatte Beijing in den vergangenen Jahren Waffenlieferungen an Taipeh kritisiert. Bereits Barack Obama hatte als US-Präsident Taiwan Rüstungsexporte im Wert von 14 Milliarden US-Dollar (zwölf Milliarden Euro) genehmigt. Das ist mehr, als alle vorherigen US-Präsidenten seit der Anerkennung der Volksrepublik 1979 zusammen genehmigt hatten.
Donald Trump hat den Konfrontationskurs mit China fortgesetzt. Insbesondere seit das neue Sicherheitsgesetz für die Sonderverwaltungszone Hongkong in Kraft getreten ist und die US-Einflussnahme effektiv einschränkt, sucht Washington nach neuen Wegen, Beijing zu provozieren. Zuletzt hatte der Besuch von hochrangigen Vertretern der US-Regierung in Taiwan für Streit gesorgt. Mitte August war US-Gesundheitsminister Alex Azar auf der Insel Chinas eingetroffen, um sich unter anderem mit Präsidentin Tsai Ing-wen zu treffen. Offiziell unterhält Washington – wie auch Berlin – keine diplomatischen Beziehungen mit Taipeh. (AFP/jW)
Deutsche Fernost-Front
BRD für taiwanesischen Separatismus
Von Sebastian Carlens
Wenn die deutsche Presse anfängt, über Taiwan zu schwadronieren, möchte man die Beine in die Hand und Reißaus nehmen – dann droht akute Gefahr für den Weltfrieden. Denn erstens stimmt mit Sicherheit nichts von dem, was in den bürgerlichen Gazetten gedruckt wird. Zweitens wären wir, wenn die schreibenden Propagandaoffiziere – wie der »Chefkorrespondent Außenpolitik« der Zeitung Die Welt – wirklich umsetzen könnten, was sie aufs Papier fiebern, schon mitten im nächsten Krieg. »Wir müssen China Einhalt gebieten«, verlangte besagter Korrespondent Clemens Wergin am Freitag. Vermutlich meint er das völlig ernst: Den Chinesen zeigen, wie im Sinne König Etzels deutscherseits mit Unbotmäßigen verfahren wird. Da gibt es historische Vorbilder genug.
Soldat Wergin hat nicht als einziger mental die Flinte umgeschnallt für diese neue Fernost-Front. Die chinesische Reaktion auf US-Waffendeals mit Taiwan hat ein Wutgebell in der Presse verursacht. Washington hatte am Donnerstag den Verkauf von Marschflugkörpern und Raketenwerfern an Taiwan genehmigt. Das steht in krassem Widerspruch zur offiziellen amerikanischen Politik, derzufolge Taiwan ein »untrennbarer Bestandteil Chinas« ist. Auf diesen Umstand wies auch Beijing am Freitag hin; die Hochrüstung der völkerrechtlich zur Volksrepublik gehörenden Insel ist eine reine Provokation – so, als würde Bayern munitioniert, um sich von Berlin lossagen zu können.
Die FAZ weiß: »China betrachtet Taiwan, das sich 1949 von China losgesagt hatte, weiterhin als abtrünnige Provinz«. Die klugen Köpfe hinter der Zeitung wären bestimmt baff, wenn ihnen jemand stecken würde, dass nicht nur die amerikanische, sondern auch die Bundesregierung diese Einschätzung teilt. Doch irgendwie ist das nicht bis zum Zeitungshaus nach Frankfurt durchgedrungen. Und bis nach Hamburg auch nicht. Die Wochenzeitung Zeit fühlt sich in den Taiwanesen ein: »Die Zahl derjenigen, die langfristig eine offizielle Unabhängigkeit Taiwans anstreben, sprang binnen zwei Jahren von 12 auf 27 Prozent.« Eine Quelle nennt das Blatt natürlich nicht. So viele Bayern, die gerne einen eigenen Staat hätten, würden sich sicherlich auch finden lassen. Aber: »2019 führte Taiwan als erstes Land in Asien die Homoehe ein.« Wenn das nicht der ultimative Grund für Separatismus ist.
Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Drohmanöver der Administration Taiwans im Bunde mit imperialistischen Mächten übersteigen längst das Maß des Hinnehmbaren. Es ist und bleibt das gute Recht der Chinesen, mit ihrer Insel zu verfahren, wie sie wollen. Niemand wünscht sich Gewalt, von einer Handvoll Maulhelden in deutschen Redaktionsstuben abgesehen. Wenn die Gefahr eines dritten Weltkrieges, in dem der unsinkbare Flugzeugträger Taiwan gegen die Volksrepublik benutzt werden könnte, nicht anders zu bannen ist, wäre die Rückeroberung durch die Volksbefreiungsarmee ein Friedensdienst.
In der zweiten Welle (21.10.2020)
Politiker und Unternehmer sprechen von Niederlage gegen China im “Wettstreit der Systeme” beim Kampf gegen die Covid-19-Pandemie.
BERLIN (Eigener Bericht) – Unter dem Druck der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie räumen Politiker und Wirtschaftsvertreter in Berlin eine Niederlage im “Wettstreit der Systeme” gegen China ein. “Europäer wie Amerikaner” sähen “im Kampf gegen die Pandemie bisher nicht gut aus”, erklärt CSU-Generalsekretär Markus Blume. Es zeige sich, urteilt Siemens-Chef Joe Kaeser, “dass das chinesische System, was die Krisenbekämpfung angeht, westlichen Systemen überlegen war”. US-Medien sprechen von einer neuen “Kluft” zwischen dem transatlantischen Westen auf der einen sowie Ost- und Südostasien auf der anderen Seite: Während die Infektionszahlen beispielsweise in Japan, Südkorea und Singapur schon lange recht niedrig liegen und in China sogar gegen Null tendieren, schnellen sie in Europa und Nordamerika erneut in die Höhe. Schon im Februar rief, wie Ex-Bundespräsident Horst Köhler berichtet, Europas planloser Umgang mit der Pandemie in den Ländern Afrikas “Erstaunen” hervor. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Pandemiebekämpfung der EU auch in Ostasien als miserabel eingestuft wird und das Bild vom mächtigen Westen schwächt.
Die Pandemie in Ost- und Südostasien
Rund zehn Monate nach dem offenen Ausbruch der Covid-19-Pandemie verzeichnen die meisten Länder Ost- und Südostasiens eine spürbare bis weitreichende Normalisierung ihres Alltagslebens. Japan, Südkorea, Singapur und Volksrepublik China inklusive Hongkong hätten seit September zusammengenommen nie mehr als 1.000 Neuinfektion pro Tag registriert, heißt es etwa in einem aktuellen US-Medienbeitrag; entsprechend könnten Bars und Restaurants wieder stark frequentiert werden, Konzerte und Sportveranstaltungen würden zahlreich besucht.[1] Dabei sei die Pandemie in den vier erwähnten Ländern mit ihren insgesamt knapp 1,6 Milliarden Einwohnern weiter unter Kontrolle. Tatsächlich melden einschlägige Statistiken Infektionsraten von lediglich drei Personen pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen in Japan, einer Person von 100.000 in Südkorea und Singapur sowie 103 Infizierte insgesamt in der vergangenen Woche in ganz China. Der jüngste Ausbruch im chinesischen Qingdao wurde durch den Test sämtlicher Einwohner der Stadt innerhalb kürzester Zeit mit Erfolg eingedämmt. In Ost- und Südostasien insgesamt, wo gut ein Drittel der Weltbevölkerung lebt – oft in extrem dicht besiedelten Gebieten -, ist bisher weniger als ein Fünftel der globalen Covid-19-Todesopfer zu beklagen. Zudem erholt sich in mehreren Ländern der Region die Wirtschaft recht rasch. China etwa verzeichnete im dritten Quartal ein Wachstum von 4,9 Prozent und kann laut jüngsten Schätzungen seiner Zentralbank im Gesamtjahr mit einem Plus von 2 Prozent rechnen, nach einem Absturz im ersten Quartal um 6,8 Prozent.[2]
Die Pandemie im transatlantischen Westen
Demgegenüber werden die Länder Europas und Nordamerikas aktuell von einer zweiten Welle der Pandemie überrollt. Den maximal 1.000 Neuansteckungen pro Tag in Japan, Südkorea, Singapur und China seit September standen am Montag etwa beinahe 7.000 in Deutschland, mehr als 13.000 in Frankreich, fast 19.000 in Großbritannien und mehr als 56.000 in den USA gegenüber. Wochen-Infektionsraten von drei Personen pro 100.000 Einwohner gab es im Westen nicht; den niedrigsten Wert verzeichnete Estland (15), Deutschland lag bei 52, die USA bei 122 und Frankreich bei knapp 250. Sukzessive müssen neue Einschränkungen des öffentlichen Lebens verhängt werden; längst sind die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehbar, die Lage gerät außer Kontrolle. Schon heute verzeichnen Europa (inklusive Russland und Türkei) mit knapp 250.000 und Nordamerika mit rund 230.000 beinahe die Hälfte der globalen Covid-19-Todesopfer; ihr Anteil dürfte weiter steigen. In Medienberichten wird bereits eine neue “Kluft” zwischen dem Westen sowie Ost- und Südostasien diagnostiziert.[3] Die Kluft lässt sich längst auch den einschlägigen Wirtschaftsdaten entnehmen. Laut jüngsten Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden die Vereinigten Staaten den Einbruch ihrer Wirtschaft womöglich auf 4,3 Prozent beschränken können; Deutschland wird hingegen 6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung einbüßen, die Eurozone 8,3 Prozent, Großbritannien sogar 9,8 Prozent. Auch im kommenden Jahr werden die westlichen Industriestaaten dem IWF zufolge weniger wachsen (3,9 Prozent) als China (8,2 Prozent) – nicht eingerechnet die mutmaßlichen Schäden durch die zweite Welle.[4]
Selbst- und Außenwahrnehmung
Das Scheitern des Westens im Kampf gegen die Pandemie führt nicht nur dazu, dass China seinen Aufstieg an die Spitze der Weltwirtschaft weiter beschleunigen können wird. Er geht mit massiven Ansehensverlusten Europas und Nordamerikas einher. Schon heute stimmt die Selbsteinschätzung der Bundesrepublik nur recht eingeschränkt mit der Außenwahrnehmung des westlichen Umgangs mit der Pandemie überein. Deutschland sei “bisher … gut durch die Krise gekommen”, äußerte kürzlich – durchaus exemplarisch – CSU-Generalsekretär Markus Blume: “Die Welt schaut mit Anerkennung auf uns.”[5] Gegenteiliges berichtete kürzlich Ex-Bundespräsident Horst Köhler auf einer Tagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Köhler schilderte, wie bereits Mitte Februar die Gesundheitsminister der Afrikanischen Union (AU) “eine gemeinsame Strategie verabredet” hatten, unter anderem “die Entwicklung einer panafrikanischen Virus-Tracking-App”: “Umgekehrt registrierte man dort mit Erstaunen, wie unkoordiniert Europa agierte, und wie Präsidenten großer Staaten” – dies war auf den US-Präsidenten gemünzt – “das Pandemieproblem sogar leugneten”.[6] Im September zeigte eine Umfrage des Pew Research Center, dass nur 34 Prozent der Japaner und nur 19 Prozent der Südkoreaner die Pandemiebekämpfung der EU positiv beurteilten; schlechter kamen nur die Vereinigten Staaten weg (Japan: 15 Prozent; Südkorea: 6 Prozent).[7] Auch in China gilt die Covid-19-Politik im Westen weithin als miserabel: Die Erfolge der Volksrepublik im Kampf gegen die Pandemie hätten “den Blick vieler Chinesen auf ihr Land verändert”, heißt es zutreffend [8]; das Bild vom mächtigen, handlungsfähigen Westen hat sich entsprechend relativiert.
“Wettstreit der Systeme”
Mit Beginn der zweiten Welle setzt nun in Deutschland nicht nur die Erkenntnis ein, dass der Westen ökonomisch rascher als bisher Boden an China verliert, sondern auch die, dass das eigene Land außerhalb Europas mittlerweile kaum noch als Vorbild gilt. “Tatsache ist, dass Europäer wie Amerikaner im Kampf gegen die Pandemie bisher nicht gut aussehen”, gestand unlängst CSU-Generalsekretär Blume zu. Blume erklärte, “die Corona-Bekämpfung” sei “auch ein Wettstreit der Systeme”; “nach Lage der Dinge” werde aus diesem Wettstreit nun freilich China “als Sieger hervorgehen”.[9] “Es ist in der Tat so”, bekräftigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Montag auf der diesjährigen – online abgehaltenen – Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft, dass diejenigen Länder, “die die Corona-Krise besonders konsequent bekämpft haben, auch als Erste wieder wirtschaftlich auf die Beine kommen”.[10] Es zeige sich, äußerte ebenfalls auf der Asien-Pazifik-Konferenz Joe Kaeser, Siemens-Chef und Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, “dass das chinesische System, was die Krisenbekämpfung angeht, westlichen Systemen überlegen war”.[11]
“Westliche Werte”
Mit Blick auf den weltweiten Ansehensverlust Deutschlands, der EU und des Westens sagte Wirtschaftsminister Altmaier am Montag auf der Asien-Pazifik-Konferenz: “Wir müssen zeigen, dass wir genauso effektiv die Corona-Krise bekämpfen können”.[12] CSU-Generalsekretär Blume hatte bereits zuvor geäußert: “Das westliche, freiheitliche System muss beweisen, dass es auch mit einer solchen Pandemie umgehen kann.”[13] Wie das geschehen soll, ist mit Blick auf die aktuelle Pandemieentwicklung in Deutschland nicht recht ersichtlich. Siemens-Chef Kaeser wiederum postulierte, angesichts des offenkundigen Scheiterns im Kampf gegen die Pandemie sei es umso wichtiger, für “westliche Werte” einzutreten.[14] Demnach steht in dem Maß, in dem Deutschland in der zweiten Infektionswelle versinkt, ein weiteres Anschwellen der antichinesischen “Werte”-Agitation bevor.
Dem ist nur hinzuzufügen, daß das Image der EU nach der EU-Politik in Libyen und Syrien, den Ereignissen in der Ukraine sowie dem Management der Flüchtlingskrise schon sehr gelitten hatte, nur wurde das von den hiesigen Medien nicht zur Kenntnis genommen.
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Die Erde planen
China wird zum Vorreiter im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel. Die Erfolge der Volksrepublik gründen in ihrer rationalen Haltung zu Natur und Wissenschaft. Ein Überblick
Von Marc Püschel
»Hat Xi gerade die Welt gerettet?« fragte der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze am 25. September in dem Magazin Foreign Policy und antwortete selbst: »Mit diesen beiden kurzen Sätzen könnte Chinas Führer die Zukunftsaussichten für die Menschheit neu definiert haben. Das mag übertrieben klingen, aber in der Welt der Klimapolitik kann man Chinas Bedeutung kaum übertreiben.« Wovon war die Rede? Drei Tage zuvor hatte der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), Xi Jinping auf der digitalen UN-Generalversammlung eine Videobotschaft überbracht. Er betonte darin nicht nur die Wichtigkeit des Multilateralismus und erinnerte an den Sieg über den Faschismus vor 75 Jahren, sondern überraschte auch mit einigen fast beiläufig geäußerten Sätzen, in denen er in bezug auf das Pariser Abkommen zum Klimawandel ankündigte: »China wird seine beabsichtigten national festgelegten Beiträge durch energischere Politik und Maßnahmen steigern. Wir streben an, dass die CO2-Emissionen vor 2030 ihren Höhepunkt erreichen und wir vor 2060 klimaneutral in Sachen CO2 sind.«¹
Die Nachricht schlug in Fachkreisen ein wie eine Bombe. Angesichts dessen, dass die Volksrepublik – nicht zu Unrecht oft als »Werkbank der Welt« bezeichnet – derzeit noch für fast 28 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich ist, wäre ein forcierter Kohleausstieg ein großer Erfolg. Sollte China seine Ankündigung wahrmachen, so der Politikwissenschaftler Michael Krätke, »dürfte das unserer Zivilisation 0,2 bis 0,3 Grad des erwarteten globalen Temperaturanstiegs ersparen«. Xi Jinpings Ankündigung sei daher »ein Paukenschlag, ein Wendepunkt für die internationale Klimapolitik«.²
Nun war die Rede zunächst ein kluger Schachzug auf dem diplomatischen Parkett, der die antichinesischen Attacken des US-Präsidenten Donald Trump und dessen »America-first«-Rhetorik ins Leere laufen ließ. Einmal mehr wurde der Gegensatz zwischen den beiden Großmächten deutlich: Multilateralismus und Verantwortung für globale Probleme auf der einen, nationaler Egoismus und imperialistische Interessen auf der anderen Seite. Doch Xis Ansprache war mehr als nur ein politisches Manöver. Am Montag, den 12. Oktober, veröffentlichte das Institut für Klimawandel und nachhaltige Entwicklung der Tsinghua-Universität die Forschungsarbeit »Die langfristige Strategie und der Pfad Chinas zu einer kohlenstoffarmen Entwicklung«, worin die Zielsetzung wissenschaftlich untermauert und konkrete Schritte vorgeschlagen wurden. Und das Ganze ist nicht nur Zukunftsmusik. Wer sich mit der Politik der Volksrepublik China beschäftigt, wird feststellen, dass das ostasiatische Land mittlerweile – vom Westen fast unbemerkt – zum Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel geworden ist.
Rationale Haltung zur Natur
Im durch die Romantik geprägten Deutschland herrscht ein schwärmerisches Naturbild vor. Während die politische Rechte zumeist schlicht abstreitet, dass sich das Klima verändert, besteht das Ziel vieler linker Klimaaktivisten darin, die Umwelt durch ein Zurückfahren zivilisatorischer Errungenschaften zu schonen. Bezeichnend war etwa der Jubel über den Ausfall großer Teile des Flugverkehrs zu Beginn der Coronapandemie. Doch eine gute Lösung ist solch ein »Gesundsparen« nicht: Während die Reichen mit ihren Privatjets fliegen konnten, waren es vor allem die »einfachen« Leute, die vom Ausfall des Passagierverkehrs betroffen waren – Arbeiter, die ihren wohlverdienten Urlaub nicht antreten oder ihre Familien nicht besuchten konnten. Strebt man eine hochentwickelte und sozial gerechte Gesellschaft an, kann das bloße Vermeiden von Umweltverschmutzungen durch weniger Industrie nicht das Ziel sein.
Marxisten hatten seit jeher ein rationaleres Verhältnis zur Natur. Hübsch veranschaulicht ist diese Haltung in Peter Hacks’ Drama »Pandora«. Im Streit der beiden Titanenbrüder Prometheus – der hier sinnbildlich für die Industrie steht – und Epimetheus wirft letzterer seinem Bruder vor, mit Produktionsanlagen einen Fluss aufzuheizen und zum Absterben zu bringen: »Auf ewig hast du Heiles zu verderben vor?« Prometheus entgegnet kühl: »Wer sprach von ewig? Jenes Flusses Leichnam wird / Zu munterm Dasein eines spätern Tags erweckt«, denn: »Das Wasser, künstlich aufgeheizt, / Geht künstlich abzukühlen. (…) Werkanlagen plane ich stromab, / Die werden reinen Wassers dann benötigen.«
Vergleichbar nüchtern ist der Ansatz der KPCh. Anstatt Umweltschutz und Produktivkräfte als starren Gegensatz zu betrachten, wird beides unter dem Stichwort der »ökologischen Zivilisation« (vgl. »Rotlicht« auf Seite 14 in dieser Ausgabe) miteinander verbunden. Xi Jinping verweist auf die notwendige Verknüpfung beider Elemente, wenn er unter Bezug auf eine beliebte Redewendung betont: »Ich habe immer gesagt, dass grüne Berge und klares Wasser tatsächlich Berge aus Gold und Silber sind und dass Umweltverbesserungen große Produktivität bedeuten.«³ Und noch deutlicher in einer Rede 2013: »Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz herstellen und dabei bedenken, dass Umweltschutz gleichbedeutend mit dem Schutz der Produktivität ist und dass die Verbesserung der Umwelt auch gleichbedeutend mit der Entwicklung der Produktivität ist.«⁴
In dem Wechselverhältnis Mensch-Natur ist es unmöglich, letztere einfach so zu belassen, wie sie vor Entstehung des Menschen war – allein mit unserer bloßen Existenz greifen wir immer schon in unsere Umwelt ein. Darauf verweist Shi Jun, Leiter des Instituts für Klimawandel und -politik an der Universität Nanjing. Man solle den Gedanken der Nachhaltigkeit »nicht mit Naturbelassenheit verwechseln. Damit ist es ohnehin schon lange vorbei.« Zudem habe die Umwelt »nur einen Wert, wenn sie dem Menschen dient. Sie ist kein Wert an sich«, und »wenn sie kaputt ist, muss man sie reparieren.«⁵
Zu reparieren gibt es aber viel, denn China ist eines der am stärksten von Klimawandel und Umweltverschmutzung betroffenen Länder und hat mit steigendem Meeresspiegel, Fluten, Dürren, Wüstenbildung, Sand- und Schneestürmen, Luftverschmutzung, Grundwasserverseuchung und Artensterben zu kämpfen. Dabei ist sich China des Themas schon seit einigen Jahrzehnten bewusst und hat es mit der »Beijinger Erklärung« zu Umwelt und Entwicklung von 1991 auch in der politischen Agenda verankert. Bereits seit Ende der 80er Jahre hat China ein eigenes Forschungsprogramm zum Klimawandel. Auf internationaler Bühne bestand die Volksrepublik aber darauf, dass die westlichen Länder voranzugehen haben, denn die Forderung, alle Länder sollten in gleichem Maße zum Umweltschutz beitragen, konnte für die imperialistischen Staaten allzuleicht zu einem Mittel werden, die industrielle Aufholjagd von Schwellenländern zu behindern – ein um so heuchlerisches Vorgehen, als die westlichen Staaten ihre Umweltprobleme meist dorthin exportieren. So gingen schätzungsweise allein rund 30 Prozent der deutschen Emissionsminderungen seit 1990 auf die Auslagerung von Produktionskapazitäten nach China zurück.⁶ Darum weigerte China sich verständlicherweise lange Zeit, verbindliche internationale Grenzen für die Emissionen von Treibhausgasen zu akzeptieren (wie etwa beim Kopenhagen-Gipfel 2009) und bestand auf dem Prinzip »gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortlichkeiten«.
Doch die direkte Konfrontation mit Umweltschäden im eigenen Land sorgte für eine schrittweise Umkehr. 2006, in dem Jahr, als China zum größten CO2-Emissionär der Welt wurde, veröffentlichte der Staat seinen ersten »grünen Bericht« zum Bruttoinlandsprodukt und stellte darin fest, dass Umweltverschmutzungen allein 2004 wirtschaftliche Verluste in Höhe von 80 Milliarden US-Dollar verursacht hätten. Noch prägender war die »Airpocalypse« zu Beginn des Jahres 2013, als Großteile des nördlichen Chinas in wochenlangen Smog eingehüllt waren. Zum ersten Mal war auch genügend Datenmaterial vorhanden, um die Auswirkungen ermessen zu können. Studien zufolge starben allein an der Luftverschmutzung jeden Tag 4.000 Menschen. Schon im November 2013 legte der Staatsrat daraufhin eine »Nationale Strategie zur Anpassung an den Klimawandel« vor. Der Durchbruch kam mit dem 13. Fünfjahresplan (2016–2020), der zum ersten Mal eine Deckelung für den nationalen Verbrauch von Kohle vorsah.⁷ Der KPCh wurde klar, dass sie die Lösung der Probleme nicht länger hinausschieben könne, sondern auch global gesehen die Initiative übernehmen müsse.
Nation der Superlative
Doch was wurde konkret bisher erreicht? Grüne Politiker werfen China immer noch vor, das Land mit den größten CO2-Emissionen zu sein (mit knapp 28 Prozent deutlich mehr als die USA mit 15 Prozent). Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn man die Pro-Kopf-Emissionen betrachtet. Hier lag China 2018 weltweit auf dem 36. Platz mit nur 7,95 Tonnen CO2 jährlich pro Einwohner, die USA dagegen befanden sich mit 14,61 Tonnen jährlich pro Person auf dem dreizehnten Rang. Zudem hat China mit einem Anteil von geschätzt nur 13 Prozent an den historisch akkumulierten Emissionen (im Zeitraum von 1751 bis 2017) eine vergleichsweise saubere, die USA mit 25 Prozent und der EU-Raum mit 22 Prozent dagegen eine weitaus schmutzigere Industrialisierung durchlaufen.⁸ Ein weiterer Vorwurf: China baue immer noch Kohlekraftwerke. In der Tat waren 2019 neue Meiler mit einer Kapazität von 125 Gigawatt im Bau. Andererseits gilt es zu berücksichtigen, dass diese erstens zu den effizientesten, mithin umweltschonendsten weltweit gehören und dass die Kohlekraftwerke zweitens zu weniger als der Hälfte ausgelastet werden.⁹ Dass überhaupt noch so viele Kohlekraftwerke gebaut werden, liegt daran, dass sie in den Provinzen als Garant für Arbeitsplätze gelten. Die Zentralregierung versucht hier gegenzusteuern, ohne dies ganz unterbinden zu können.
Um so erstaunlicher sind im Gegenzug die Erfolge Chinas. Der Anteil der Kohle an der Gesamtstromproduktion sank von 80 Prozent 2010 auf 59 Prozent im Jahr 2018. Von den 6,8 Billionen Kilowattstunden, die 2018 in der Volksrepublik erzeugt wurden, stammen rund 30 Prozent von den »grünen« Energieträgern Wind-, Wasser-, Solar- und Atomenergie.¹⁰ Die CO2-Emissionen stagnierten zwischen 2013 und 2016 bereits und stiegen in den letzten Jahren nur geringfügig an (2017 etwa um 1,5 Prozent), insofern ist davon auszugehen, dass der Plan, bis 2030 den Höhepunkt der Emissionen zu erreichen, vorzeitig erfüllt wird.¹¹ Möglich wird dies unter anderem durch riesige Investitionen in die Energieeffizienz von rund 370 Milliarden US-Dollar allein zwischen 2006 und 2014. Schätzungen der Internationalen Energieagentur zufolge haben sich bereits dadurch die CO2-Emissionen Chinas um 1,2 Milliarden Tonnen verringert, was in etwa dem gesamten Ausstoß Japans im Jahr 2014 entspricht. Zudem hat China 2014 ultraniedrige Emissionsstandards für Kohlekraftwerke eingeführt, die fortan so schadstoffarm wie Erdgaskraftwerke sein müssen.¹²
Dem Ausbau einer Energiewirtschaft auf Grundlage erneuerbarer Energieträger wird als »strategischer Industrie« seit dem 12. Fünfjahresplan besondere Aufmerksamkeit gewidmet. China ist hier führend – und zwar schlicht in jedem Bereich. Allein 2017 investierte China 126,6 Milliarden US-Dollar in saubere Energien und kam damit für 45 Prozent der weltweiten Ausgaben auf. In der Solarenergie ist das Land seit 2010 Spitzenreiter und stellt mehr als die Hälfte der weltweiten Solarpanels her. Mittlerweile errichtet China jede Stunde Solaranlagen in Größe eines Fußballfeldes sowie eine Windturbine.¹³ Auch in Sachen Wasserenergie ist China die Nummer eins und generiert rund 28 Prozent des weltweit damit erzeugten Stromes. Die Kapazitäten aus Wasserkraft sind in China mindestens dreimal größer als bei jeder anderen Nation und tragen rund 18 Prozent zur inländischen Stromproduktion bei. Sowohl bei Wind- als auch Solarenergie stellt China über ein Drittel der weltweiten Kapazität. Auch die Atomenergie gilt in China als »grüne Energie« und wird systematisch ausgebaut, macht aber nur vier Prozent der Stromversorgung aus.¹⁴
Um die durch Autoabgase entstehenden Probleme und die geopolitisch gefährliche Abhängigkeit vom Erdöl zu minimieren, setzt die Volksrepublik auf Elektroverkehr. 2019 fuhren 45 Prozent aller Elektroautos und 99 Prozent aller Elektrobusse der Welt in China. Das Land setzt vor allem auf emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr, so ist etwa Shenzhen die erste Millionenstadt, die komplett auf Elektrobusse umgestellt hat. Zudem machen Hochgeschwindigkeitszüge und Magnetschwebebahnen Inlandsflüge allmählich ersetzbar. Besonders der Güterverkehr wird statt mit Lkws bevorzugt mit Zügen abgewickelt. Das größte und leistungsfähigste Hochgeschwindigkeitsschienennetz der Welt hilft dabei.
Durch all diese Maßnahmen konnte die Luftqualität in China signifikant erhöht werden. Dem chinesischen Umweltreport 2019 zufolge, der dieses Jahr veröffentlicht wurde, wird in den chinesischen Städten im Durchschnitt an 82 Prozent der Tage im Jahr eine gute Luftqualität erreicht. Besonders in der Hauptstadt Beijing, in deren Umgebung keine Kohlekraftwerke mehr in Betrieb sein dürfen, hat sich die Lage erheblich verbessert.
Und wie fruchtbar die Verbindung von Umweltschutz und Industrieförderung ist, beweist auch ein Blick auf die Arbeitsplatzsituation. »Die Industrie für neue Energien wie Windkraft und Solarenergie kann 1,5- bis dreimal mehr Arbeitsplätze schaffen als der traditionelle Energiesektor«, schätzt der stellvertretende Direktor des Nationalen Expertenkomitees für Klimawandel, He Jiankun, laut Global Times (27.9.2020). In ganz China sind 4,1 Millionen Menschen in diesem Sektor beschäftigt, das sind 39 Prozent der weltweiten Arbeitsplätze auf dem Gebiet der erneuerbaren Energieträger.¹⁵
»Himmelsfluss« und »Grüne Mauer«
Die schrittweise Ersetzung der Kohleverstromung ist nur ein Aspekt der chinesischen Politik, die gezielt an die Umgestaltung der Erde im Sinne der ökologischen Zivilisation geht. So läuft im Norden des Landes seit 40 Jahren das größte Aufforstungsprogramm der Geschichte – das Projekt der »Großen grünen Mauer«, die dort angepflanzt wird, um Sandstürme und die Ausbreitung der Gobi-Wüste aufzuhalten. Zu diesem Zweck verpflichtete der nationale Volkskongress 1981 »Chinesen ab einem Alter von elf Jahren, jedes Jahr drei Baumsetzlinge zu pflanzen – vorzugsweise Pappeln oder Weiden, Eukalyptus, Birken und Lärchen. Allein zwischen 2000 und 2010 haben die Bürger 56 Milliarden Bäume gesetzt. Bis heute werden in China mehr Bäume aufgezogen als im Rest der Welt zusammengenommen.«¹⁶
Mittlerweile sind annähernd 23 Prozent der Landfläche von Wald bedeckt – ein bemerkenswerter Wert angesichts der Wüsten im Norden, des Hochgebirges im Westen und der dichten Besiedlung im Osten. Laut Huang Runqiu, Minister für Ökologie und Umwelt, sind zudem 18 Prozent des chinesischen Territoriums geschütztes Gebiet. Darauf befinden sich rund 11.800 Naturschutzgebiete. Zwar gibt es durch Erosion und das Eingehen von Setzlingen immer wieder Rückschläge, dennoch ist China das Land mit dem schnellsten Zuwachs an Waldressourcen.
Anders als im Westen werden im Reich der Mitte die digitalen Medien gezielt genutzt, um die Bevölkerung in diese Politik einzubeziehen. Am berühmtesten ist die App »Ant Forest«, die spielerische Anreize für umweltbewussten Konsum setzt. In der App erhält man etwa durch klimafreundliches Einkaufsverhalten Bonuspunkte, mit denen man einen virtuellen Baum bewässern kann. Ab einem bestimmten Wachstumsstand wird vom Konzern Alibaba, der die App anbietet, ein echter Baum gepflanzt. Auf diese Weise wurden laut China Daily dank mehreren Hundert Millionen Nutzern bisher 1,12 Milliarden Bäume gepflanzt.
Wichtiger noch als die digitalen Medien sind die Fortschritte in Sachen Big Data und technischer Überwachung. Im Westen verteufelt, stellen sie sich in China als Schlüssel zum Erkennen und Reagieren auf Umweltschäden heraus. Laut dem Technikexperten Wang Qiao hat das Land zur Zeit 5.000 automatisierte Überwachungsstationen für städtische Luftqualität, 11.000 für Wasseroberflächen und 80.000 für die Bodenqualität. Zu Beginn des Jahres hat das Ministerium für Naturressourcen einen Plan vorgestellt, um mit Hilfe von künstlicher Intelligenz, 5G-Netzwerken und Big Data bis 2023 ein einheitliches Überwachungssystem für alle Umweltbestände einzurichten. Dann wären alle Umweltinformationen in Echtzeit auf einer digitalen Karte abrufbar.
Nutzbar gemacht werden kann dies für Geoengineering, also für geplante Eingriffe in das Klimasystem mit technischen Mitteln. In den letzten Jahren hat China eines der weltweit größten Forschungsprogramme dazu eingerichtet – ein blindes Drauflosexperimentieren ist das aber nicht, eine der vorrangigen Aufgabe der Forscher ist es, herauszufinden, welche ökologischen und politischen Auswirkungen absichtliche Klimaveränderungen haben (nicht zufällig ist der oben zitierte Shi Jun Autor eines Buches über ethische Fragen des Geoengineerings). Doch gibt es auch praktische Versuche, insbesondere in und um Beijing, wo es mittlerweile sogar ein eigenes »Amt für Wettermanipulation« mit Tausenden Mitarbeitern gibt.
Das größte Einzelprojekt ist das Projekt »Himmelsfluss« (Tianhe). Die staatliche Aerospace Science and Technology Corporation plant den Bau von Zehntausenden kleinen Maschinen, die im Tibetanischen Hochland automatisiert Silberiodid in die Wolken bringen, um den Niederschlag in der trockenen Region zu steigern und so die Zuläufe zu den großen Flüssen und die landwirtschaftlichen Erträge aufrechtzuerhalten. Das Projekt soll auf einer Fläche von 1,6 Millionen Quadratkilometern umgesetzt werden und die Regenmenge dort um zehn Milliarden Kubikmeter steigern – das entspricht sieben Prozent des gesamten Wasserverbrauchs Chinas.¹⁷ Das Projekt hat vor zwei Jahren für Aufsehen gesorgt, erste Stationen wurden bereits errichtet, dennoch ist unklar, wann und in welchem Umfang das Vorhaben umgesetzt wird. Womöglich zögert China wegen der geopolitischen Implikationen. Zwar hat China 2005 das »Abkommen über das Verbot von militärischem oder feindlichem Gebrauch von umweltverändernder Technik« der UNO unterzeichnet, aber für Spannungen könnte der »Himmelsfluss« in Ostasien dennoch sorgen, schließlich wären die Anrainerstaaten des Himalaya-Gebirges direkt von dem Vorhaben betroffen.
Umweltschutz made in China
Wird China den Aufbruch in eine ökologische Zivilisation schaffen? Die Herausforderungen des Klimawandels sind gewaltig, doch wer, wenn nicht das sozialistische Land, könnte sie bewältigen? In der Coronakrise hat die KP ohne Rücksicht auf Unternehmerinteressen alles getan, was notwendig war. Und »was Klima und saubere Energie angeht, stapelt China oft tief und übertrifft sich dann selbst«, so die Klimaexpertin Barbara Finamore.¹⁸
Die Volksrepublik arbeitet nicht nur im eigenen Interesse an der Erreichung der Klimaziele. Während die USA noch bevorzugt Waffen und Kriege exportieren, trägt China verstärkt auch im Ausland zum Naturschutz bei. So wurde 2017 im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative (BRI), des größten Infrastrukturprogramms der Geschichte, Solarenergieausrüstung im Wert von acht Milliarden Dollar an Partnerländer exportiert.¹⁹ Vieles läuft auch uneigennützig, beispielsweise stellte China mehrere Milliarden Dollar zur Einrichtung eines »South-South Climate Cooperation Fund« bereit, um anderen Entwicklungs- und Schwellenländern Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel zu leisten. Die BRI sorgt zwar auch für ein vorübergehendes Ansteigen der Emissionswerte und der Umweltbelastungen, dafür bietet sie nicht nur Millionen Menschen die Chance, der Armut zu entfliehen, sondern auch die Möglichkeit, Geotransformationen im globalen Maßstab umzusetzen. Planungen für eine »grüne Seidenstraße« gibt es.
Die Volksrepublik jedenfalls setzt den Rest der Welt mehr und mehr unter Druck – und das nicht nur durch ihre eigene vorbildliche Politik. So veröffentlichte das chinesische Außenministerium am 19. Oktober ein Faktenblatt zu von den USA verursachten Umweltschäden und prangerte erstmals die Weltmacht offen an.²⁰ In diesem Konflikt werden die europäischen Länder entscheiden müssen, was ihnen wichtiger ist: ihr Antikommunismus oder der gemeinsame Kampf gegen den Klimawandel. Die Umweltmacht China zumindest ist zweifellos auf Kooperation aus. Ein letztes Mal Xi, aus seiner Rede vor der UN: »Wir rufen alle Länder auf, eine innovative, koordinierte, grüne und offene Entwicklung für alle zu verfolgen und die historischen Chancen zu nutzen, die sich aus der neuen Runde der wissenschaftlichen und technologischen Revolution und der industriellen Transformation ergeben …«
Vermutlich sogar das einzige.
Woanders wird hauptsächlich geschlägert, so wie in der EU. Die immer wieder abbrennenden Wälder in Südeuropa werden – zumindest auf der iberischen Halbinsel – vor allem mit Eukalyptus aufgeforstet, weil das die Papierindustrie so will.
Das wirkt ein paar Jahre später als Brandbeschleuniger. Also selbst wenn dort auf dem Papier aufgeforstet wird, so wird de facto abgefackelt.
Sonst ist mir nicht bekannt, wo noch aufgeforstet würde.
In Australien und Neuseeland?
Natürlich ist 2060 noch weit weg, bis dahin könnte Europa bereits Steppe sein …
Inneren Kreislauf stärken
Plenartagung zu Chinas neuem Fünfjahresplan: Volksrepublik kurbelt Binnenwirtschaft an und will in Hightechbranchen unabhängiger werden
Von Jörg Kronauer
Am heutigen Freitag sollen sie bekanntgegeben werden, am Vormittag in Beijing, also noch weit vor dem Morgengrauen in Europa: die wesentlichen Leitlinien für den nächsten Fünfjahresplan, an dem sich die Volksrepublik China von 2021 bis 2025 orientieren wird. Am Montag hatte das 19. Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas seine 5. Plenartagung gestartet, auf der es im wesentlichen um die Prüfung und Verabschiedung der Vorlagen für das Dokument gehen sollte; am Donnerstag wurde die Diskussion abgeschlossen. Die formale Verabschiedung durch den Volkskongress ist für März geplant. Dabei zeichnet sich schon seit geraumer Zeit ab: Der neue Fünfjahresplan wird in erheblichem Maß nicht von inneren, sondern von äußeren Entwicklungen bestimmt, die sich aus Chinas rasantem Aufstieg ergeben. Er wird darauf abzielen, Chinas Selbständigkeit zu stärken.
Das hat besonders die öffentliche Debatte über das neue Konzept der »dualen Kreisläufe« gezeigt, die die ZK-Plenartagung begleitete. Gemeint ist damit im Kern die Unterscheidung zwischen der chinesischen Binnenwirtschaft auf der einen, der Außenwirtschaft auf der anderen Seite: einem »inneren« und einem »äußeren Kreislauf«. Sie sind eng miteinander verschränkt; die Strategie der »dualen Kreisläufe« sieht nun aber vor, dass die Volksrepublik sich in nächster Zeit ökonomisch stärker auf den »inneren Kreislauf« konzentriert, also auf Produktion, Handel und Konsum im eigenen Land. Ursache dafür ist der Wirtschaftskrieg gegen China, den die Trump-Regierung losgetreten hat. US-Strafzölle stürzen chinesische Exporteure in ernste Probleme, US-Sanktionen schneiden strategisch zentrale chinesische Hightechkonzerne wie Huawei von existentiellen Vorprodukten ausländischer Zulieferer ab. Die einzige zuverlässig Alternative, die Beijing bleibt – abgesehen vom Durchwursteln für eine gewisse Übergangszeit –, besteht darin, technologisch eigenständig zu werden und bedrohte Exporteure anderweitig zu bedienen. Nur eine hohe Unabhängigkeit bietet gegen Angriffe, die Chinas Aufstieg stoppen sollen, Schutz.
Entsprechend dürfte der neue Fünfjahresplan zum einen großen Wert darauf legen, nicht nur wie bisher ganz allgemein die chinesischen Hightechbranchen weiterzuentwickeln – von künstlicher Intelligenz über autonomes Fahren bis hin zur Biomedizin. Es wird mit besonderer Priorität vor allem darum gehen, fatale Lücken zu schließen – etwa in der Halbleiterproduktion, in der die Volksrepublik in der Tat noch deutlich zurückliegt und von ausländischen Lieferanten abhängig ist. Ziel ist es, in strategisch zentralen Hightechbranchen nach Möglichkeit vollständig unabhängige Produktionskreisläufe im eigenen Land zu etablieren.
Ein zweites Feld, auf dem Fortschritte erreicht werden müssen, sofern China seine wirtschaftliche Verletzlichkeit – etwa im Hinblick auf Strafzölle – verringern und trotzdem weiter wachsen will, ist der Inlandskonsum: Gerät der Export ins Wanken, muss der Absatz zu Hause gesteigert werden. Da ist noch viel Spielraum. Die Ausgaben privater Haushalte, die in den reichen Staaten des Westens auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung beziffert werden – in den USA ist es sogar noch mehr –, lagen in der Volksrepublik zuletzt bei 38,5 Prozent. Im Gespräch sind Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, den individuellen Konsum zu steigern.
Die Ankündigung der Volksrepublik, sich zukünftig auf den »inneren Kreislauf« zu konzentrieren, hat in der westlichen Wirtschaft Befürchtungen ausgelöst, in China künftig nicht mehr wie gehabt zum Zuge zu kommen. Die Reduzierung der Importabhängigkeit rufe erhebliche »Sorgen in Japan, Südkorea, Deutschland und anderen« Ländern hervor, »die bislang vom Export von Zwischenprodukten an chinesische Unternehmen profitieren«, stellte schon im September Alicia García-Herrero, Asien-Pazifik-Chefökonomin der französischen Investmentbank Natixis, fest. Das neue Konzept der »dualen Kreisläufe« könne Chinas bisherigen Außenwirtschaftspartnern ganz erheblich schaden. Auch aus den Vereinigten Staaten sind Beschwerden zu hören. Eine Strategie, die im wesentlichen »amerikanische Produkte aus dem chinesischen Markt« ausschließe, werde »in Washington nicht willkommen sein«, kommentierte zu Wochenbeginn verärgert die konservative Denkfabrik Heritage Foundation. Nun, die Idee, die Volksrepublik ökonomisch vom Westen zu isolieren – das Konzept der »Entkopplung« (»Decoupling«) –, stammt nicht von Chinas Präsident Xi Jinping, sondern von seinem US-Amtskollegen Donald Trump. Tatsächlich muss die von Beijing angestrebte Unabhängigkeit nicht zwingend zu Abschottung führen. Sie bietet China aber perspektivisch die Möglichkeit, seine Wirtschaftskontakte frei zu wählen.
Die Volksrepublik hätte, geht das Konzept der »dualen Kreisläufe« auf, in der Tat die Option, langfristig etwa auf Käufe bei US-Halbleiterherstellern zu verzichten, um Washingtons Repressalien nicht mehr ausgesetzt zu sein, statt dessen aber eng mit Unternehmen aus der EU zu kooperieren, um die Festigung einer einheitlichen antichinesischen Front des Westens zu verhindern. Darauf setzen zumindest deutsche Spezialisten. In diesem Sinn hat sich nun jedenfalls Max Zenglein geäußert, ein Mitarbeiter des Berliner Mercator Institute for China Studies (Merics), das in letzter Zeit immer wieder mit Stellungnahmen gegen Beijing aufgefallen war. »Investitionen oder Forschungskooperation in strategisch wichtigen Bereichen« seien »für China in Anbetracht des geopolitischen Umfelds wichtiger denn je«, erklärte Zenglein am Donnerstag gegenüber dpa. »Deutschen Unternehmen, die sich daran beteiligen wollen, wird von seiten Chinas der rote Teppich ausgerollt.« Beijings »Streben nach mehr Eigenständigkeit« sei »nicht mit einem Abkopplungsprozess gleichzusetzen«. Jedenfalls dann nicht, wenn der Westen diesen nicht seinerseits auf Druck der USA forciert.
Generell gilt: Wenn eine Firma in China eine Fabrik hinstellt, so gehört die im Falle einer Konfrontation China.
Umgekehrt, umgekehrt: Wenn chinesische Investoren Fabriken in Europa aufkaufen, so gehören die ihnen auch nur so lange, als Kooperation zwischen der EU und China herrscht.
Angesichts der zusehends unfreundlichen Töne zwischen den verschiedenen imperialistischen Rivalen ist es kaum vorstellbar, daß dieser Gesichtspunkt von den Politikern dieser Staaten unberücksichtigt bleibt.
Zumindestens derzeit, also noch vor der Wahl, lauten die Parolen betr. China aus dem Biden-Lager:
(…) Tony Blinken, außenpolitischer Berater von Biden, hatte angekündigt, im Falle von Bidens Wahlsieg den „künstlichen Handelskrieg“ mit Europa zu beenden. Denn der eigentliche Gegner sei nicht die EU, sondern China. Zunehmend gegen den Präsidenten wendet sich daher auch das außenpolitische Establishment der USA. Sein Hausblatt „Foreign Policy“ mahnt, die „transatlantische Spannung lässt die Tür für Peking weit offen“. Gegen ein erstarkendes China wirke nur „eine starke, koordinierte Antwort der Vereinigten Staaten und Europas“.
Hier scheint die EU ihre Chance zu sehen. Sie hat kürzlich schärfere Kontrollen ausländischer Investitionen in Europa beschlossen sowie Zugangsbeschränkungen zum EU-Binnenmarkt für staatliche und hochsubventionierte Unternehmen aus dem Ausland – beides richtet sich vor allem gegen die Volksrepublik. Auf diese Weise, mit Zolldrohungen gegen die USA und Maßnahmen gegen China, bietet sich die EU derzeit Washington an als Partner gegen den gemeinsamen Feind.
Das zumindestens meint Stephan Kaufmann in der FR
https://www.fr.de/wirtschaft/donald-trump-usa-us-wahl-2020-handel-wirtschaft-beziehungen-strafzoll-china-eu-europa-90079020.html
Corona im Griff
Chinas Wirtschaft boomt im Pandemiejahr wieder. Davon will auch das deutsche Kapital profitieren
Von Jörg Kronauer
Chinas Industrie boomt so stark wie seit fast zehn Jahren nicht mehr und beginnt die Coronakrise auch ökonomisch hinter sich zu lassen. Das zeigen nach den kürzlich publizierten Wachstumsdaten für das dritte Quartal nun auch Angaben des renommierten Wirtschaftsmagazins Caixin aus Beijing. Demnach wird die Volksrepublik nicht nur als einzige große Volkswirtschaft weltweit im Pandemiejahr 2020 ihre Wirtschaftsleistung steigern können; der IWF geht zur Zeit von einem Plus von 1,9 Prozent aus. Darüber hinaus hat der weithin beachtete Caixin-Einkaufsmanagerindex, der die Stimmung in der Industrie wiedergibt, im Oktober mit 53,6 Punkten seinen höchsten Stand seit Januar 2011 erreicht. Der abstrakte Index spiegelt oberhalb von 50 Punkten ein Wachstum, darunter ein Schrumpfen der Wirtschaft wider. So hoch wie heute war er zuvor nur in der Erholungsphase nach der Weltfinanzkrise des Jahres 2008. »Der Geschäftsbetrieb verbessert sich, und Unternehmer sind zuversichtlich«, bilanziert der Caixin-Ökonom Wang Zhe.
Gefahr droht dem chinesischen Aufschwung allenfalls noch durch einen nicht auszuschließenden Einbruch bei den Exporten. Das liegt daran, dass die Absatzmärkte in Europa und in Nordamerika zur Zeit von der zweiten Pandemiewelle überrollt werden, die die Ergebnisse der Aufholjagd nach der ersten Welle vom Frühjahr zunichte machen könnte – ein erneuter Beleg dafür, wozu es führt, wenn man Beschränkungen im Kampf gegen die Pandemie allzu rasch lockert, um kurzfristige Unternehmensinteressen zu bedienen. Nun richtet Beijing seinen nächsten Fünfjahresplan wegen des US-Wirtschaftskriegs ohnehin darauf aus, von den Märkten im Westen unabhängiger zu werden. Sollte es pandemiebedingt zu einem Rückgang der Ausfuhren etwa in die EU kommen, dann würde dies zwar womöglich zu kleineren Nachbeben in der chinesischen Wirtschaft führen, aber insgesamt wohl nur die ohnehin geplante Fokussierung auf den eigenen Markt beschleunigen.
In deutschen Wirtschaftskreisen löst das durchaus Sorgen aus. Gegenwärtig erweist sich China für eine ganze Reihe von Unternehmen als Rettungsanker. Audi etwa berichtete in der vergangenen Woche, in der Volksrepublik habe man den Kfz-Absatz von Januar bis September um 4,4 Prozent steigern können, während es auf allen anderen größeren Absatzmärkten Einbrüche um zweistellige Prozentsätze gegeben habe. Volkswagen bestätigte, auch für den Gesamtkonzern sei China das Schlüsselland für die Erholung nach der Pandemie. »Würde China nicht so stark wachsen«, äußerte am Montag Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Beijing, »hätten wir noch viel größere Probleme«.
Allerdings fürchten manche deutschen Exporteure nun, die Fokussierung der Volksrepublik auf ihren eigenen Markt – den »inneren Kreislauf«, wie es in der Terminologie des künftigen Fünfjahresplans heißt – werde ihnen keine Chance mehr lassen. Experten relativieren das jedoch. So sind diejenigen deutschen Firmen, die in China Produktionsstätten unterhalten, faktisch Teil des chinesischen Binnenmarkts und würden somit von einer Konzentration auf diesen nicht negativ betroffen. Zum anderen – darauf weist Wuttke hin – hat die deutsche Industrie Vorteile in manchen Sektoren, die Beijing in Zukunft stärken will: So sei sie etwa »gut im Bereich der Umwelttechnik«. Solle China bis 2060 klimaneutral werden, dann »wird doch wohl irgendwas dabei rausspringen für uns«.
Tik Tok bleibt harte Nuss für Trump
US-Gericht stoppt mit einstweiliger Verfügung das Aus der Videoplattform
Die US-Regierung hat bei ihrem Vorgehen gegen die Video-App Tik Tok einen weiteren Rückschlag vor Gericht erlitten. Eine Richterin im Bundesstaat Pennsylvania setzte am Freitag eine Anordnung des Washingtoner Handelsministeriums aus, die das komplette Aus für Tik Tok in den USA zum 12. November bedeuten würde. Sie erließ eine einstweilige Verfügung auf Antrag von drei Autoren von Videos, die ihren Lebensunterhalt auf der Plattform verdienen.
Zuvor hatte bereits ein Richter in Washington D. C. den für Ende September geplanten Downloadstopp für die App ebenfalls mit einer einstweiligen Verfügung ausgesetzt. Die US-Regierung legte Berufung dagegen ein. Durch den Downloadstopp sollte Tik Tok aus den App-Stores der globalen Marktriesen Apple und Google in den USA verschwinden.
Die Video-App gehört dem chinesischen Konzern Beijing Bytedance Technology. Sie hatte sich seit der Gründung 2016 und mit der späteren Übernahme der ebenfalls chinesischen Social-Media-Plattform Musically besonders in den USA rasant ausgebreitet. Damit geriet sie auch in Konkurrenz zu den dortigen Platzhirschen. Nach einem »Hinweis« des Facebook-Chefs Mark Zuckerberg, wonach nicht etwa von seiner weltumspannenden Plattform, sondern vom chinesischen Konkurrenten Gefahren für Anwender in den USA heraufbeschworen würden, griff US-Präsident Donald Trump im Juli das Thema auf und bezeichnet die App kurzerhand als Sicherheitsrisiko. Chinesische Behörden könnten über sie an Daten von US-Bürgern kommen. Nachdem er sie ursprünglich stillegen wollte, gab er später das Ziel aus, das US-Geschäft von Tik Tok unter Kontrolle US-amerikanischer Besitzer zu bringen.
Die Regierung in China machte dem zunächst einen Strich durch die Rechnung und verbot den Export von Softwarealgorithmen ohne spezielle Erlaubnis. Trump hatte inzwischen verkündet, dass er einen grundsätzlichen Deal abgesegnet habe, der den Fortbestand von Tik Tok in den USA durch den Einstieg der US-Konzerne Oracle (Technologie) und Walmart (Einzelhandel) sichern solle. Doch seitdem gab es widersprüchliche Angaben dazu, ob die neuen US-Partner oder Bytedance die Mehrheit am globalen Geschäft halten sollen. Der Abschluss einer endgültigen Vereinbarung verzögert sich immer weiter.
Die drei klagenden Videoautoren von Tik Tok haben auf der Plattform jeweils mehr als eine Million Follower. Sie argumentierten in ihrem Antrag auf eine einstweilige Verfügung unter anderem, dass das Handelsministerium keine ausreichende rechtliche Grundlage für sein Vorgehen gegen die App habe. Das hielt auch der Richter in Washington für wahrscheinlich, weswegen er den Downloadstopp aussetzte. Mit den zum 12. November geplanten Maßnahmen soll Bytedance unter anderem verboten werden, Daten von US-Nutzern zu halten sowie Infrastruktur für Tik Tok zu bereitzustellen. (dpa/jW)
Huawei-Finanzchefin hat 3 Argumente gegen Auslieferung an die USA
Wanzhou Mengs kanadische Anwälte erzielen Teilerfolge im Kampf gegen ihre Auslieferung. Die gerichtliche Prüfung ist ungewöhnlich penibel.
Absage von Börsengang bringt Alibaba und seine Ant Group ins Schleudern
Die Absage des Rekord-Börsengangs der Ant Group haben Folgen für das Unternehmen und das Mutterhaus Alibaba. Der Alibaba-Aktienkurs ist eingebrochen.
Das nächste Operationsgebiet der Bundeswehr (09.11.2020)
Die Bundesregierung kündigt im Machtkampf gegen China verstärkte militärische Aktivitäten im “Indo-Pazifik” an.
BERLIN/CANBERRA (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung bereitet Patrouillen einer deutschen Fregatte im Indischen Ozean vor und will deutsche Marineoffiziere auf australische Kriegsschiffe entsenden. Dies teilt Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer anlässlich von Gesprächen mit ihrer australischen Amtskollegin mit. Eine Übungsfahrt der Fregatte Hamburg im Indischen Ozean war bereits für dieses Jahr vorgesehen, musste aber pandemiebedingt abgesagt werden. Zu dem Vorhaben erklärt Kramp-Karrenbauer, der “indopazifische Raum” sei zu einer Arena des “globalen Kräftemessens” geworden; es sei notwendig, dass “Deutschland seine Position in der Region markiert”. Gleichzeitig wird Kramp-Karrenbauer mit der Aussage zitiert, die Bundesrepublik wolle weiter am Chinageschäft festhalten, das die deutsche Industrie aktuell durch die Coronakrise trägt. Unterdessen heißt es in einem Beitrag in der Fachzeitschrift “Internationale Politik”, Deutschland solle die taiwanischen Streitkräfte aufrüsten und gemeinsame Militärübungen mit ihnen abhalten. Dies liefe auf einen tiefen Bruch in den Beziehungen zu Beijing hinaus.
“Arena des globalen Kräftemessens”
Deutschland wird seine Militärpräsenz im “Indo-Pazifik” ausweiten. Dies kündigte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vergangene Woche anlässlich von Gesprächen mit ihrer australischen Amtskollegin Linda Reynolds an. Demnach wird sich Berlin nicht nur für den Ausbau der Zusammenarbeit der NATO mit Australien einsetzen – “besonders in den Bereichen Cyberverteidigung, Weltraum, maritime Sicherheit” und manches mehr, wie es im Bundesverteidigungsministerium heißt.[1] Die NATO kooperiert unter dem Sammelbegriff “partners across the globe” außer mit Australien in unterschiedlicher Form auch mit Neuseeland, Japan und Südkorea, Afghanistan, Pakistan und dem Irak, der Mongolei sowie Kolumbien. Außer im NATO-Rahmen wird die Bundeswehr auch ihre nationalen Aktivitäten im “Indo-Pazifik” ausweiten; mit “Indo-Pazifik” ist das gewaltige Gebiet von Süd- über Südost- und Ostasien bis zu den Inselgruppen im Pazifik gemeint, das US-Strategen begrifflich zusammenfassen, um den Rahmen für ein breites Bündnis gegen China zu schaffen (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Kramp-Karrenbauer begründet die verstärkten Bundeswehraktivitäten mit der Aussage, der “indopazifische Raum” sei zu einer “Arena des ‘globalen Kräftemessens'” geworden, der die Bundesrepublik nicht fernbleiben solle.
“Deutsche Positionen markieren”
Konkrete Ankündigungen hatte Kramp-Karrenbauer bereits zu Beginn vergangener Woche in der australischen Tageszeitung The Sydney Morning Herald gemacht. Demnach werden zum einen deutsche Marineoffiziere auf Schiffe der australischen Marine entsandt.[3] Zum anderen soll eine deutsche Fregatte auf Patrouille in den Indischen Ozean geschickt werden. Eine Übungsfahrt der Fregatte Hamburg in den Indischen Ozean war ursprünglich schon für dieses Jahr geplant. Dabei sollte das Kriegsschiff zunächst im französischen Übersee-Département La Réunion rund 800 Kilometer östlich von Madagaskar eintreffen, sich anschließend eine Zeitlang in den Deutsch-Französischen Marineverband (DEFRAM) eingliedern und dann seine Fahrt bis nach Australien fortsetzen – ein Schritt zum Ausbau der militärischen Kooperation mit dem Land.[4] Die Fahrt musste letztlich allerdings wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt werden. Kramp-Karrenbauer zufolge geht es bei der Wiederaufnahme des Vorhabens auch darum, dass “Deutschland seine Position in der Region markiert”.[5] Zusätzlich sind laut Angaben des Verteidigungsministeriums Ausbildungskooperationen, die Entsendung von Verbindungsoffizieren in multilaterale Stäbe und die Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Manövern im “Indo-Pazifik” geplant.[6]
Die Profite des Chinageschäfts
Offen ist, ob Berlin beabsichtigt, Kriegsschiffe auch ins Südchinesische Meer zu entsenden. Dort provoziert die US-Marine regelmäßig China, indem sie militärische Durchfahrten durch die Zwölf-Meilen-Zone rings um Inseln vornimmt, die die Volksrepublik als ihr Territorium beansprucht. Das Südchinesische Meer kreuzen nicht zuletzt auch Kriegsschiffe Frankreichs, Großbritanniens und Australiens; Beijing begreift dies ebenfalls als Affront.[7] Kramp-Karrenbauer hat im Kontext mit den Plänen, eine Fregatte in den Indischen Ozean zu entsenden, hervorgehoben, dass China ein bedeutender Handelspartner der Bundesrepublik ist und dass enge ökonomische Bindungen “im Interesse beider Seiten” liegen.[8] Tatsächlich legt Berlin Wert darauf, die Volksrepublik nicht bloß als “strategischen Rivalen”, sondern zugleich als wirtschaftlich wichtigen “Partner” einzustufen.[9] Die Bedeutung des Landes für die deutsche Industrie – größter Handelspartner, drittwichtigster Investitionsstandort mit weiterhin rasch steigender Tendenz – hat sich jüngst durch die Coronakrise noch erheblich verstärkt. Mit Blick darauf, dass beispielsweise deutsche Kfz-Konzerne lediglich dank aktueller Zugewinne in der Volksrepublik ein totales Krisendebakel vermeiden können, konstatierte in der vergangenen Woche der Präsident der Europäischen Handelskammer in Beijing, Jörg Wuttke: “Würde China nicht so stark wachsen, hätten wir noch viel größere Probleme.”[10] Unklar ist, ob die Volksrepublik dem weiteren Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zustimmen würde, dehnte die deutsche Marine ihre Aktivitäten ins Südchinesische Meer aus.
“Schutzwall” gegen “Völkerwanderungen”
Dabei gehen Hardliner inzwischen längst über die Forderung nach einer deutschen Marinepräsenz im Südchinesischen Meer hinaus. Entsprechend äußern sich in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift “Internationale Politik”, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird, Oberst a.D. Heino Klinck, der im US-Verteidigungsministerium in führender Stellung mit Zuständigkeit für Ostasien tätig ist, und Martin Wagener, Professor für Internationale Politik am Fachbereich Nachrichtendienste der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Berlin. Wagener hatte vor zwei Jahren mit einem Buch für Schlagzeilen gesorgt, in dem er unter dem Titel “Deutschlands unsichere Grenze – Plädoyer für einen neuen Schutzwall” für eine drastische Hochrüstung der EU-Außengrenzen warb. So sprach er sich etwa dafür aus, eine Sperranlage mit Stacheldraht und Wärmebildkameras zu errichten und rund 90.000 Grenzbeamte an ihr einzusetzen; Asylbewerber sollten interniert werden. Nur so sei es möglich, Deutschland im “Zeitalter der Völkerwanderungen” gegen Migranten abzuschotten.[11] Wagener schätzte die Kosten für die Errichtung des “Schutzwalls” auf 20 Milliarden Euro, die Ausgaben für ihren Unterhalt auf jährlich rund neun Milliarden Euro.
Militärübungen auf Taiwan
Klinck und Wagener sprechen sich nun in der “Internationalen Politik” dafür aus, umfassende diplomatische sowie rüstungs- und militärpolitische Aktivitäten auf Taiwan zu entfalten. Bislang unterlässt Berlin dies; Grund ist die “Ein-China-Politik”, der zufolge nur offizielle Beziehungen zu Beijing unterhalten kann, wer keine offiziellen Beziehungen zu Taipeh pflegt. Klinck und Wagener fordern nun, nicht nur einen Bundesminister nach Taipeh zu entsenden und einen Repräsentanten Taipehs “im Auswärtigen Amt bis zur Ebene des Staatssekretärs” zu empfangen.[12] Sie verlangen zudem, “den taiwanischen Streitkräften [zu] helfen, ihre Verteidigungsfähigkeiten auszubauen”: “Dies wäre auch für die heimische Rüstungsindustrie von Vorteil.” Schließlich plädieren sie dafür, den “inoffizielle[n] Austausch zwischen den Mitgliedern der Streitkräfte beider Seiten” zu stärken: “Eine solche Beziehung könnte mit Übungen im Bereich der Bekämpfung der Folgen von Naturkatastrophen oder im Sanitätswesen beginnen und dann erweitert werden.”
Rote Linien
Ein Schritt, wie ihn der US-Militär Klinck und der Nachrichtendienst-Professor Wagener vorschlagen, liefe auf einen Bruch in den Beziehungen zu Beijing hinaus und wäre geeignet, das bisherige Vorgehen der Bundesregierung scheitern zu lassen, das durch den Versuch geprägt ist, den Druck auf Beijing zu erhöhen, ohne die Profite deutscher Unternehmen aus dem Chinageschäft aufs Spiel zu setzen. Die “Ein-China-Politik” gehört zu den roten Linien der Volksrepublik. Im Oktober gab Beijing nach der Ankündigung eines milliardenschweren US-Rüstungsgeschäfts mit Taiwan bekannt, gegen beteiligte US-Konzerne Sanktionen zu verhängen. An dem Geschäft beteiligt waren unter anderem Lockheed Martin, Raytheon Technologies und Boeing Defense.[13]
Huaweis Gegenwehr
Rückschlag im Wirtschaftskrieg des Westens gegen China: Schwedisches Gericht hebt Ausschluss des Konzerns beim 5G-Netzausbau zunächst auf
Von Jörg Kronauer
Huawei wehrt sich: Der chinesische Konzern hat in Stockholm gegen seinen Ausschluss vom Aufbau der schwedischen 5G-Netze geklagt – und im ersten Schritt recht bekommen. Im Oktober hatte die dortige Post- und Telekommunikationsbehörde seine Verbannung aus den Netzen der fünften Mobilfunkgeneration des skandinavischen Landes verfügt. Zur Begründung berief sie sich, wie inzwischen üblich, auf nicht hinterfragte Geheimdienstvorwürfe. Am Montag setzte das Verwaltungsgericht in Stockholm die Entscheidung der Behörde vorläufig aus (siehe jW vom 11.11.). Der Kampf um die Beteiligung von Huawei beim Netzausbau geht nun in die nächste Runde. Abgesehen von den globalen Schlachten um den neuen Mobilfunkstandard hält er auf dem Smartphoneweltmarkt und vor allem in der Halbleiterindustrie an.
Rückschläge bei Smartphones
Auf dem Smartphoneweltmarkt hat Huawei Rückschläge hinnehmen müssen. War es dem Konzern im zweiten Quartal 2020 trotz aller Widrigkeiten noch gelungen, erstmals mehr Smartphones zu verkaufen als der bisherige Platzhirsch Samsung, so ist sein Absatz in der Branche im dritten Quartal derb eingebrochen. Mit einem Anteil von 14,7 Prozent liegt Huawei nun wieder deutlich hinter Samsung (22,7 Prozent). Profitiert hat besonders einer der chinesischen Konkurrenten: Xiaomi konnte seine Verkäufe im Jahresvergleich um 42 Prozent steigern und hat mit einem Marktanteil von 13,1 Prozent Apple (11,8 Prozent) von Platz drei verdrängt. Weitere chinesische Produzenten rücken ebenfalls nach: Vivo hält einen Weltmarktanteil von 8,9 Prozent, Oppo setzt auf Europa, hat im Oktober eine strategische Partnerschaft mit der Deutschen Telekom geschlossen und will in zwei bis drei Jahren in der BRD einen zweistelligen Anteil erreichen. Huawei dagegen will sich Berichten zufolge von seiner Marke Honor trennen und konzentriert sich aktuell darauf, das Betriebssystem Android (Google), dessen Nutzung ihm US-Sanktionen verbieten, durch seine Eigenentwicklung Harmony OS zu ersetzen. Das soll zum Jahreswechsel beginnen. Gelingt es, dann stünde das Beinahemonopol von Android vor dem Fall.
Im Hintergrund des Kampfs um Anteile am profitablen Smartphonemarkt wird freilich eine ungleich bedeutendere Schlacht ausgetragen: die um die Produktion von Halbleitern, ohne die kein Smartphone, kein 5G-Netz und auch sonst rein gar nichts in der rasant boomenden Welt digitaler Technologien läuft. Die USA setzen im Kampf gegen Huawei wie auch in ihrem Krieg gegen die gesamte chinesische Hightechbranche zunehmend darauf, den Verkauf von Halbleitern an chinesische Unternehmen durch extraterritoriale Sanktionen zu verbieten. Das ist nicht ohne Risiko: Branchenkreise beziffern den Wert der weltweit verkauften Halbleiter zur Zeit auf mehr als 400 Milliarden US-Dollar im Jahr. Rund 36 Prozent davon erwerben chinesische Unternehmen. Wer diesen Absatzmarkt verliert, gräbt sich womöglich sein eigenes Grab. Und das droht in der Tat: Beijing hat kürzlich angekündigt, seinen Investitionsfonds zum Ausbau der Halbleiterindustrie, die in China tatsächlich noch riesige Lücken aufweist, um 28,9 Milliarden US-Dollar aufzustocken, und es zeichnen sich zugleich erste Erfolge ab. So urteilte diese Woche das Fachblatt Elektronik, auf einem wichtigen Feld der Chipproduktion, beim »28-nm-CMOS-Knoten«, sei »Autarkie« – also Unabhängigkeit von US-Sanktionen – für China »in Reichweite«. Die Schlacht geht weiter: Washington sucht Beijing jetzt auch von der Belieferung mit Hightechmaschinen abzuschneiden, ohne die man keine Halbleiter herstellen kann. Noch dominieren westliche Firmen den Markt – doch sollte es der Volksrepublik gelingen, auch hierbei autark zu werden, dann ginge die westliche Technologieführerschaft womöglich dem Ende entgegen.
Knackpunkt Halbleiter
Kein Wunder, dass selbst US-Halbleiterkonzerne in Washington auf Ausnahmegenehmigungen für den Export nach China dringen: Das soll die eigenen Profite sichern und den Anreiz für Beijing, eine eigene Halbleiterproduktion aufzubauen, zumindest reduzieren. So wurde Ende Oktober bekannt, dass die US-Behörden immer mehr Lieferungen an Huawei wieder erlauben – Ausnahme: Halbleiter für 5G-Technologie. Schließlich ist diese für die digitale Entwicklung in den kommenden Jahren absolut zentral. Das Problem ist nur: Der Huawei-Boykott könnte für den Westen zum Rohrkrepierer werden. Großbritannien etwa rechnet aufgrund des Huawei-Ausschlusses mit Verzögerungen bei 5G von bis zu drei Jahren. Die Coronakrise verzögert den Netzausbau weiter – und dann kommen noch Gerichtsverfahren wie dasjenige in Schweden hinzu, das eine Verschiebung der dortigen 5G-Auktion erzwungen hat. Dabei befindet sich die EU laut einer Untersuchung des Lobbyverbandes European Round Table for Industry (ERT) längst weit im Rückstand: Sie verfügt aktuell über acht 5G-Basisstationen pro Million Einwohner, China bereits über 86 – und der Vorsprung der Volksrepublik wächst.
Neue Monopole, neue Konkurrenz
Chinas wirtschaftliche Reform- und Öffnungspolitik am Beispiel des Technikkonzerns Lenovo
Von Olaf Matzerath
In diesen Tagen erscheint das neue Heft der Marxistischen Blätter unter dem Titel »China, Vietnam, Kuba, Chile … Wege des Sozialismus«. Zum Anstoß einer intensiveren Debatte über die Volksrepublik China drucken wir daraus mit freundlicher Genehmigung des Neue-Impulse-Verlags den redaktionell leicht gekürzten Beitrag »Neue Monopole – neue Konkurrenz« von Olaf Matzerath. (jW)
»Pate der chinesischen IT-Industrie«, »Fackelträger des chinesischen Kapitalismus«¹: Liu Chuanzhi hat mit Lenovo ein Unternehmen aufgebaut, das den Wandel Chinas von der Planwirtschaft über die Billigproduktion in internationalen Lieferketten bis zur globalen Wirtschaftsmacht verkörpert. Durch Übernahmen in den USA, Deutschland und Japan konnte Lenovo zum Marktführer aufsteigen: Heute kontrolliert der Konzern ein Viertel des PC-Weltmarktes. Lenovo war ein Vorreiter bei Privatisierung und Durchsetzung von Marktbeziehungen und ist ein international starkes chinesisches Unternehmen in der IT-Industrie, die zu den prägenden Branchen der heutigen Wirtschaft gehört. Damit lassen sich am Beispiel Lenovo einige allgemeine Züge der Reform und Öffnung erkennen. Es kann helfen, die Debatte über China stärker auf die konkrete Entwicklung der vergangenen 40 Jahre zu beziehen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Geschäfte der neuen Kapitalisten nur möglich wurden, weil die sozialistische Planwirtschaft die Grundlagen dafür geschaffen hat. Reform und Öffnung bedeuteten, sozialistische Errungenschaften an neue Unternehmer weiterzugeben. Die Konzerne, die so entstanden sind, konkurrieren heute um die Führung in der weltweiten Jagd um Profite und Märkte. Sie sind neue Monopole. Mit der Reform und Öffnung sind sozialistische Beziehungen in China immer weiter zurückgedrängt worden.
Errungenschaften privatisiert
Lenovo wurde in den 1980ern gegründet. Teilweise wird argumentiert: China sei noch nicht reif gewesen für eine entwickelte Planwirtschaft, deshalb seien die Marktreformen nötig gewesen. China hatte in den 1950ern mit dem Aufbau einer IT-Industrie begonnen. Während des Großen Sprungs wurde der erste Großrechner in China gebaut. Die Forschung war damals vor allem auf die Bedürfnisse des Militärs ausgerichtet, gleichzeitig wurde dabei notwendige Grundlagenforschung geleistet. 1978 übernahmen die Marktreformer die Macht in der Partei. Nun nahm die Führung eine positive Haltung gegenüber privaten wirtschaftlichen Initiativen ein und unterstützte sie mit staatlichen Mitteln. Lenovo entstand als »Spin-off« oder Ablegerunternehmen des Computerinstituts der Akademie der Wissenschaften.² Die Initiative zur Gründung ging von einem Mitarbeiter dieses Instituts aus: Liu Chuanzhi. Das erste Produkt, mit dem Lenovo größeren kommerziellen Erfolg hatte, war die »Han-Card« – ein Gerät, das an einen PC angeschlossen werden konnte, um die Steuerung mit und die Eingabe von chinesischen Schriftzeichen zu ermöglichen. Dieses Gerät war ein wichtiger Schritt, um PC für einheimische Nutzer handhabbar zu machen. Die entsprechende Forschung hatte das öffentliche Computerinstitut durchgeführt, der leitende Ingenieur hatte sich Lenovo angeschlossen. Lenovo konnte nun die Forschungsergebnisse des Instituts auf eigene Rechnung vermarkten.³
Dieser Vorgang ist ein Beispiel für einen grundlegenden Aspekt der Reform und Öffnung: Neue private Unternehmen wuchsen auf Grundlage sozialistischer Errungenschaften. Die sozialistische Wirtschaft hatte den Aufbau der chinesischen IT-Industrie möglich gemacht, das öffentliche Institut hatte die Han-Card entwickelt – Lenovo konnte diese Errungenschaften vermarkten. In dieser Transformation staatlicher zu privaten Unternehmen waren – auch bei Lenovo – die genauen Eigentumsverhältnisse oft unklar. Dabei gingen riesige Werte in private Kontrolle und privates Eigentum über – auf eine Weise, die oft erst Jahre später gesetzlich reguliert wurde. Diese Umwandlung hat Korruption in einem Ausmaß hervorgebracht, das zwischen 1949 und 1978 in China unbekannt war.⁴
Im Laufe der 1980er Jahre erwirtschaftete Lenovo den Großteil seiner Profite durch Importe. Auch diese Geschäfte wurden zwar toleriert, aber erst später gesetzlich geregelt – sie waren zu einem guten Teil halblegal oder illegal. Lenovo verkaufte also zunächst die Produkte der Konzerne, die das Unternehmen später verdrängen sollte. Es war von der Gründung an ein profitorientiertes Unternehmen – zwar offiziell in Staatseigentum, allerdings unter vollständiger Kontrolle des Managements.
Kurz nach der Konterrevolution in Europa leitete die Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) den groß angelegten, vollständigen Übergang zur Marktwirtschaft ein. Das Ereignis, das diesen Übergang markiert, ist die berühmte Reise Deng Xiaopings in die südlichen Provinzen 1992. Schon seit 1978 hatte die KPCh erste Marktreformen durchgeführt – vor allem in der Landwirtschaft. Sie hatte aber auch einen Aufschwung kleinerer Privatunternehmen ermöglicht. Dieser Prozess war ab 1988 wegen wirtschaftlicher Krisenerscheinungen und politischer Verwerfungen ins Stocken geraten.⁵
Die Vorreiter der marktwirtschaftlichen Umgestaltung waren lokale, oft ländliche, kleinere Unternehmen – »Township and Village Enterprises« (TVE). Sie hatten ihren Ursprung im kollektiven Sektor, waren also mit den aus den Volkskommunen hervorgegangenen lokalen Regierungen verbunden. Diese Unternehmen wuchsen schon in den 80ern, aber auch in den 90ern auf dynamische Weise – mit Profitraten von teilweise 30 Prozent.⁶ Sie fertigten zunächst alle Arten von arbeitsintensiven, technisch nicht besonders anspruchsvollen Industrieprodukten. Sie orientierten sich mehr und mehr am Markt, auch am Weltmarkt, produzierten also für den Export und wurden in internationale Lieferketten eingebunden.
Im Laufe der 1990er Jahre wurde China zur »Werkbank der Welt«: Aus den Zentren verlagerten Konzerne einen großen Teil ihrer industriellen Fertigung nach China, insbesondere die arbeitsintensiven Schritte.⁷ Die TVE bildeten den wichtigsten Teil dieser exportorientierten Industrie (und damit auch die Grundlage für das Klischee von der qualitativ schlechten chinesischen Billigproduktion). Ab Anfang der 1990er Jahre wurden die TVE massenhaft privatisiert, häufig in der Form, dass sie ans Management verkauft wurden. Das bedeutete oft, dass bisherige sozialistische Wirtschaftskader nun zu Privatunternehmern wurden. Auch hier zeigt sich, wie im Zuge der Reform und Öffnung sozialistische Errungenschaften an eine neu entstehende Unternehmerschaft weitergegeben wurden.
Erfolgreicher Übergang
Auch heute spielen Staatsunternehmen – Unternehmen im Eigentum der Zentralregierung – eine wichtige Rolle in der chinesischen Wirtschaft, auch wenn der private schon lange größer als der staatliche Sektor ist. Aber auch diese Staatsunternehmen sind keine sozialistischen Unternehmen mehr. Die ersten Reformschritte ging die KPCh in den 1980ern: Sie gab den Staatsunternehmen größere Autonomie, um selbst über die Investition ihrer Gewinne zu entscheiden, Preise für ihre Produkte festzusetzen und auf dem Weltmarkt zu agieren. Die große Welle der Umstrukturierung der Staatsunternehmen fand in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre statt.⁸
Die Regierung stand vor dem Problem, dass die Staatsunternehmen in der Konkurrenz mit inzwischen stärker gewordenen Privatunternehmen oft unterlegen waren – schon deshalb, weil die Staatsunternehmen höhere Löhne zahlen mussten und für die Versorgung der Rentner verantwortlich waren, die früher bei ihnen gearbeitet hatten. 1994 formulierte die Regierung die neue Strategie: »Die Großen erhalten, die Kleineren gehen lassen.«⁹ Die Zentralregierung erlaubte erstmals, dass Staatsunternehmen pleite gingen. Andere dieser Unternehmen verkaufte sie – auch in diesem Bereich typischerweise an das bisherige Management. Im allgemeinen wuchs der private Sektor bereits in den 1990er Jahren schneller als der staatliche. Heute dominieren Staatsunternehmen vor allem in den Bereichen der Stahlindustrie, Erdöl, Transport, Energie und im Bankwesen. In den anderen Branchen wurden die Staatsunternehmen überwiegend umstrukturiert, um am Markt bestehen zu können.¹⁰ In diesem Prozess sind die meisten Staatsunternehmen zu Aktiengesellschaften reorganisiert worden – eine Rechtsform, die das ganze Unternehmen am Profit ausrichtet. In der IT-Wirtschaft lasse sich »ein ziemlich erfolgreicher Übergang zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft« erkennen, schätzen die Wirtschaftsforscher Dieter Ernst und Barry Naughton ein.
Damit hat sich auch die Art und Weise, wie der Staat die Wirtschaft lenkt, grundsätzlich verändert. Seit 2003 verwaltet eine neue Behörde die Staatsunternehmen: die Kommission des Staatsrats zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen (SASAC). Unter der Leitung dieser Behörde sind alle Unternehmen der Zentralregierung – unabhängig von der Branche – zusammengefasst worden. Diese Behörde ist gesetzlich dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich der Wert der Unternehmen vergrößert.¹¹ Das bedeutet im Ergebnis, dass die Unternehmen nach dem Profitprinzip geleitet werden müssen.
Arbeitskraft als Ware
Die Wirtschaftspläne, die es heute in China gibt, haben einen anderen Charakter als vor der Reform und Öffnung – es handelt sich um Rahmenpläne, die die markt- und profitorientierte Wirtschaft makroökonomisch steuern. Der Ostasienwissenschaftler Thomas Heberer schätzt ein: »Die heutigen Pläne in China sind keine nach sowjetischem, sondern nach japanischem Muster.«¹² Privatunternehmer sind inzwischen stärker in der Partei vertreten, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht, Großunternehmer stärker als kleine.¹³ Sie nehmen häufig auch wichtige Funktionen ein. Dort, wo es in Privatbetrieben Parteikomitees gibt, ist der Unternehmer meist Parteisekretär. Bei Streiks und anderen Arbeitskonflikten stehen Parteikomitee und Gewerkschaft im allgemeinen eher (nicht immer) auf der Seite der Geschäftsführung als der Beschäftigten.
Die Umstrukturierung der Staatsunternehmen hatte weitreichende Auswirkungen auf die Beschäftigten. Diese Auswirkungen werden oft mit dem Begriff »Zerschlagung der eisernen Reisschale« beschrieben – mit der »eisernen Reisschale« ist das frühere System der Absicherung und Versorgung gemeint. Generell spielten die Betriebe eine wichtige sozialpolitische Rolle (ähnlich wie in anderen sozialistischen Ländern). In profitorientierten Unternehmen, die sich am Markt und in Konkurrenz zu Privatunternehmen behaupten sollen, ist diese sozialpolitische Rolle nicht tragbar. Die Regierung entließ die Staatsunternehmen also aus dieser Verantwortung. Das schloss ein, dass die Unternehmen nun die Möglichkeit bekamen, Mitarbeiter zu entlassen.¹⁴ (Zuletzt lag die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Zahlen um die vier Prozent.) Damit ist auch die Arbeitskraft der städtischen Arbeiter zur Ware geworden.
Die billige Arbeitskraft vor allem der vielen Millionen proletarisierten Wanderarbeiter war der wichtigste Vorteil, den China im Wettbewerb anzubieten hatte, um ausländische Konzerne zur Verlagerung ihrer Produktion nach China zu bewegen. Als »Werkbank der Welt« war China das ergänzende Gegenstück zum Neoliberalismus in den imperialistischen Zentren.¹⁵
Vorreiter der Transformation
Lenovo verfolgte – ähnlich wie andere große Konzerne – im Laufe der 90er Jahre zunächst das Geschäftsmodell, einfache Produkte anzubieten, die an die chinesische Kaufkraft angepasst waren. Lenovo produzierte also PC und später Laptops, deren Leistung und Ausstattung nicht an die Produkte der US-Konkurrenz heranreichten, die aber deutlich billiger waren. Auf diese Weise entwickelte der Konzern nach und nach die eigene Fertigung und die eigene Marke. Lenovo konnte so eine starke Position auf dem chinesischen Markt erreichen und schließlich beginnen, ausländische Märkte zu erschließen.
Im Prozess der marktwirtschaftlichen Transformation der großen Unternehmen war Lenovo ein Vorreiter. Schon in den 80er Jahren ging das Unternehmen dazu über, Führungskräfte auch mit Boni zu bezahlen. Auch dabei handelte es sich um ein mindestens halblegales Verfahren, das in sozialistischen Betrieben nicht vorstellbar gewesen wäre – wieder wird deutlich, dass die Marktwirtschaft in der Praxis schneller umgesetzt wurde, als sich das im Recht widerspiegelte. Insgesamt führte Lenovo zügiger als andere Unternehmen Verteilungsformen ein, die für kapitalistische Unternehmen charakteristisch sind, und war damit für andere Unternehmen ein Vorbild.
1997 wurde Lenovo als erstes Unternehmen im Eigentum der Zentralregierung mehrheitlich privatisiert. Neuer Eigentümer wurde das Management (»Management buyout«, MBO). Schon längere Zeit vorher hatte das Management das Recht erhalten, für gewisse Anteile des Unternehmens über die Dividende zu verfügen, obwohl die Anteile im Eigentum der Regierung blieben. Diese Anteile wurden nun ans Management verkauft, in einem komplizierten und teils undurchsichtigen Prozess wurden die Eigentumsverhältnisse im Unternehmen neu geordnet. Im Ergebnis hielten private Eigentümer drei Viertel der Anteile, die Zentralregierung ein Viertel.
Das Neue Zeitalter
Inzwischen haben sich die internationalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse verschoben. »Xi Jinpings Ideen des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter« bringen das zum Ausdruck. China ist wirtschaftlich und politisch zum nennenswerten Konkurrenten der alten Großmächte geworden.
Mit China als »Werkbank der Welt« waren chinesische Unternehmen vor allem Billigzulieferer ausländischer Konzerne und haben ausländische Technik kopiert. Der Staat versuchte, durch Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen technische Fähigkeiten ins Land zu holen. Heute konkurrieren chinesische Unternehmen mit ihren früheren Auftraggebern weltweit um Marktanteile.
Die Politik der chinesischen Regierung zielt darauf, systematisch Märkte und Anlagemöglichkeiten für chinesische Unternehmen zu erschließen, unabhängig davon, ob es sich um private oder staatliche Unternehmen handelt. Besonders betont sie dabei den Wettlauf um Technologie. Die Initiativen und Programme der Regierung wie die »Neue Seidenstraße«, »Go Out« (oder »Going Global«) oder »Made in China 2025« zielen darauf ab, chinesische Unternehmen in der Konkurrenz zu stärken und ihnen Investitionen im Ausland zu ermöglichen.
Für Lenovos Position auf dem Weltmarkt waren Käufe ausländischer Unternehmen entscheidend. 2005 übernahm das Unternehmen die PC-Sparte von IBM, 2011 kaufte es Medion, den PC-Lieferanten von Aldi.
Die staatliche Förderung des chinesischen Kapitalexports trug lange dazu bei, dass die chinesischen Investitionen im Ausland schnell wuchsen – besonders von Anfang der 2000er Jahre bis 2017. Das heißt: Chinesische Konzerne nehmen wie ihre Konkurrenz aus der EU, aus Japan oder den USA an der weltweiten Jagd nach Profiten und Märkten teil. Und: Was ist der Grund für ein Unternehmen, im Ausland zu investieren? Es findet im Inland nicht mehr ausreichend profitable Anlagemöglichkeiten. Die Legend Holdings Corporation, die hinter Lenovo steht, ist heute eine stark diversifizierte Unternehmensgruppe – sie hat Tochterunternehmen, die Agrarprodukte herstellen oder Finanzdienstleistungen anbieten. Trotzdem investiert sie nicht nur in andere Branchen im Inland, sondern auch im Ausland.
Von 2013 bis 2017 war Lenovo erstmals Weltmarktführer bei PC und Laptops, und im Moment ist der Konzern es wieder: Sein Weltmarktanteil liegt bei 24,8 Prozent (vor HP mit 22,8 Prozent). Ein Unternehmen, das für eine Produktgruppe fast ein Viertel des gesamten Weltmarktes kontrolliert, ist ein Monopolkonzern. Auch das Beispiel zeigt also: Mit dem »Neuen Zeitalter« haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben, China und chinesische Unternehmen sind zu starken Konkurrenten »des Westens« geworden.
Die chinesische Wirtschaft ist durch die Reformen im Laufe der 1990er Jahre umfassend zur Marktwirtschaft umgewandelt worden, einer Wirtschaft, in der alle Wirtschaftsbereiche auf den Markt ausgerichtet sind, die Unternehmen gezwungen sind, ihre Profite zu steigern, die Arbeitskraft eine Ware ist – einer kapitalistischen Wirtschaft. In China hat sich eine besondere Form der Verflechtung von Staat und Konzernen herausgebildet: durch die Strukturen der KPCh, durch das besondere politische System der Volksrepublik.
Schon dieser grobe Überblick macht deutlich: Die chinesischen Marktreformen mit der »Neuen Ökonomischen Politik« in Sowjetrussland bzw. der Sowjetunion der 20er Jahre gleichzusetzen führt in die Irre. Diese Analogie verstellt den Blick auf einige zentrale Aspekte der chinesischen Geschichte: Es war die Revolution, die China von imperialistischem Einfluss befreit hat – nicht die Marktreformen. Es war die Revolution, die den Bauern das Land gegeben hat und die feudalen Elemente beseitigt hat, die China in Rückständigkeit gehalten haben – nicht die Marktreformen. Und es war die Revolution, die eine planmäßige Entwicklung der chinesischen Wirtschaft möglich gemacht hat. Die Marktreformen konnten nur deshalb erfolgreich sein, weil Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus an neue Kapitalisten verkauft wurden.
Wer hat denn die Entwicklung Chinas mit dem NEP gleichgesetzt?
Der war doch eine Verlegenheitslösung, weil die junge Sowjetmacht gar kein ökonomisches Konzept hatte.
Deutschland im Indo-Pazifik (V) (13.11.2020)
Berlin will militärisch enger mit Singapur kooperieren und nutzt dabei den Unmut in Südostasien über den US-Machtkampf gegen China.
BERLIN/SINGAPUR (Eigener Bericht) – Im Gespräch mit ihrem Amtskollegen aus Singapur will Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am heutigen Freitag für den Ausbau der Militärkooperation zwischen Deutschland und Südostasien werben. Hintergrund ist die neue “Indo-Pazifik”-Strategie der Bundesregierung, die die Stärkung des deutsch-europäischen Einflusses im regionalen Umfeld Chinas vorsieht; damit will sich Berlin dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Volksrepublik entgegenstellen. Um besser in der Region Fuß fassen zu können, nutzt die Bundesregierung den in Südostasien verbreiteten Unmut über die Forderung der US-Administration, der südostasiatische Staatenbund ASEAN solle sich im Machtkampf gegen China auf ihre Seite schlagen. Berlin wirbt mit der Aussage, man setze sich für eine “multipolare Welt” ein, “in der sich kein Land zwischen zwei Machtpolen entscheiden muss”. Zu den deutschen Schwerpunkten in der Region gehört die Handels- und Finanzdrehscheibe Singapur, seit je ein Zielland auch deutscher Unternehmen, zudem ein wichtiger Kunde deutscher Rüstungsfirmen und ein Kooperationspartner der Bundeswehr.
Alte Bestrebungen
Stärkeren Einfluss in den Ländern des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN streben Berlin und die EU schon seit vielen Jahren an. Ökonomisch ist die Kooperation mit einigen von ihnen schon lange eng, zuletzt vor allem mit Malaysia, Vietnam und Singapur; das Handelsvolumen, das die deutsche Wirtschaft mit ihnen abwickelt, liegt nicht weit hinter dem Wert des Handels mit Ländern wie Brasilien oder Kanada zurück und übersteigt denjenigen des Handels mit reichen Golfstaaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien erheblich. Bestrebungen, auch militärisch in der Region Fuß zu fassen, gab es bereits vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten. So entsandte Berlin im Januar 2005, um nach dem verheerenden Tsunami von Ende 2004 Hilfe zu leisten, nicht zivile Kräfte, sondern ein Kriegsschiff, den Einsatzgruppenversorger Berlin, in die indonesische Provinz Aceh. Dies wiederum öffnete die Tür für eine EU-Operation in Indonesien, die Aceh Monitoring Mission, die vom 15. September 2005 bis zum 15. Dezember 2006 die Umsetzung des Friedensabkommens zur Beilegung des Bürgerkriegs auf Aceh überwachen sollte – unter Beteiligung auch deutscher Militärs. Damalige Versuche, die Militärpräsenz in der Region zu verstetigen [1], scheiterten. In den Jahren darauf absorbierten zunächst, ab 2011, die Konflikte in der arabischen Welt und im Sahel, ab 2014 dann auch der eskalierende Machtkampf gegen Moskau die Kräfte Berlins.
Ein neuer Anlauf
Ein neuer Anlauf Berlins bei der politischen Einflussarbeit speziell in Singapur zeichnet sich seit einigen Jahren ab. Im November 2017 besuchte Frank-Walter Steinmeier als erster deutscher Bundespräsident überhaupt den südostasiatischen Stadtstaat; im Dezember 2019 empfing er zum Gegenbesuch Präsidentin Halimah Yacob, ihrerseits als erstes Staatsoberhaupt Singapurs, in der deutschen Hauptstadt. Am 28. September 2018 gaben Außenminister Heiko Maas sowie sein singapurischer Amtskollege Vivian Balakrishnan am Rand der UN-Generalversammlung in New York eine Gemeinsame Erklärung ab, in der sie eine engere bilaterale Zusammenarbeit ins Visier nahmen; so kündigten sie “einen fortlaufenden strategischen Dialog” auf Ministerebene sowie “reguläre bilaterale Konsultationen” auf Staatssekretärsebene an. Insbesondere wolle man, so hieß es, “in sicherheitspolitischen Fragen noch enger kooperieren”.[2] Betont wurde dabei, Singapur habe innerhalb von ASEAN bis 2021 das Amt des Koordinators für die Beziehungen zur EU inne. Als Ausdruck der Absicht, die Zusammenarbeit mit ASEAN insgesamt zu vertiefen, trat die Bundesrepublik zudem am 2. November 2019 dem Vertrag über Freundschaft und Kooperation in Südostasien (Treaty of Amity and Cooperation in Southeast Asia) bei – recht spät: Als erste Nicht-ASEAN-Staaten hatten sich China und Indien bereits 2003 angeschlossen; viele andere folgten, etwa Japan im Jahr 2004, Frankreich 2006, die USA 2009, die EU und Großbritannien 2012.
Unmut über die USA
Bei ihren aktuellen Einflussbestrebungen sucht die Bundesregierung sich zunutze zu machen, dass die US-Politik in der Region zuletzt zunehmend auf Unmut gestoßen ist. China ist in Südostasien längst die dominierende Wirtschaftsmacht; sein Handel mit den ASEAN-Staaten habe mittlerweile ein Volumen von 650 Milliarden US-Dollar pro Jahr erreicht, das Doppelte des ASEAN-Handels mit den Vereinigten Staaten, hielt kürzlich Dino Patti Djalal, einstiger Botschafter Indonesiens in den USA, Ex-Vizeaußenminister seines Landes, fest. Daher habe kein Staat der Region Interesse, sich aggressiv gegen China zu positionieren, wie die Trump-Administration es verlange. Es gebe durchaus Differenzen mit Beijing, doch habe man inzwischen Wege gefunden, sie zu lösen; im Übrigen helfe die Volksrepublik im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie, unter anderem mit der baldigen Lieferung von Impfstoffen [3], was die Vereinigten Staaten nicht täten. Ohnehin herrsche in Südostasien die verbreitete Ansicht, die USA seien “interventionistischer als China”. Zu den Bestrebungen Washingtons, ASEAN zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen China anzustacheln, hielt Djalal explizit fest, “keine südostasiatische Regierung” habe auf die Aufforderung, die Volksrepublik zu isolieren oder sich ihr zu widersetzen, “geantwortet, geschweige denn Applaus gespendet”.[4] Vielmehr hat etwa die indonesische Regierung vor kurzem ganz offen die US-Forderung abgewiesen, Spionageflugzeuge in Indonesien zwischenlanden zu lassen.[5]
“Multipolare Alternative”
An den Unwillen, sich im US-Machtkampf gegen China auf eine Seite zu schlagen, knüpft Berlin nun an. Deutschland werde “den Gedanken einer multipolaren Welt stärken, in der sich kein Land zwischen zwei Machtpolen entscheiden muss”, hieß es in einem Beitrag des – damals noch designierten – deutschen Botschafters in Singapur, Norbert Riedel, den The Straits Times, eine führende Tageszeitung Singapurs, am 19. September publizierte.[6] Man “teile die Auffassung”, dass Südostasien”ein Platz für inklusive Kooperation” sei, “nicht für Eindämmung” – gemeint war das US-Bemühen um eine Eindämmung Chinas. Zugleich sei man in Deutschland der Ansicht, “dass stärkere politische, ökonomische und sicherheitspolitische Netzwerke zu einer Reduzierung einseitiger Abhängigkeit führen” – “einseitige Abhängigkeit” war auf den starken wirtschaftlichen Einfluss Chinas gemünzt – “und sowohl die Souveränität als auch unsere Handlungsfähigkeit bewahren”. Deutschland werde deshalb “in den kommenden Jahren seine Kooperation mit den ASEAN-Institutionen ausbauen und die Rolle der EU als Partner von ASEAN stärken”. Mit Blick auf “Singapurs Rolle als regionale Drehscheibe” sei das Land für die Bundesrepublik dabei “ein wesentlicher Partner” für “neue Initiativen in der Indo-Pazifik-Region”.
Militärkooperation
Laut Riedel “spielt in diesem Kontext der sicherheitspolitische Bereich eine spezielle Rolle”.[7] Singapur gehört traditionell zu den bedeutendsten Käufern deutscher Rüstungsgüter außerhalb der NATO. So nutzt es unter anderem mehr als 200 Kampfpanzer des Typs Leopard 2, verfügt über sechs Korvetten, die von der staatseigenen Singapore Technologies Engineering (ST Engineering) gemeinsam mit der Bremer Lürssen-Werft gebaut wurden, und hat vier U-Boote bei ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel bestellt; das erste davon soll im kommenden Jahr ausgeliefert werden. Singapurs Panzertruppen werden in Ermangelung geeigneter Übungsplätze in dem äußerst dicht besiedelten Stadtstaat in Deutschland ausgebildet – früher in Bergen, jetzt in der Oberlausitz; zudem werden U-Boot-Crews Berichten zufolge parallel zu den Probefahrten des ersten neuen U-Boots in Kiel trainiert. Seit kurzem ist ein deutscher Marineoffizier zu einem Informationszentrum (Information Fusion Centre) abgeordnet worden, das von Singapurs Marine beherbergt wird und dem Austausch von Informationen zur “maritimen Sicherheit” dient. Mit eigenen Militärs vertreten sind neben den ASEAN-Staaten etwa die USA, Australien, Frankreich und Großbritannien, aber auch China. Berlin will darüber hinaus ein “German Information Centre” in Singapur installieren, das gegen die Verbreitung von “Fake News” vorgehen soll – ein interessantes Ziel, da in Singapur die Pressefreiheit ohnehin faktisch stark eingeschränkt ist. Genaueres wird Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am heutigen Freitag in einem Gespräch mit ihrem Amtskollegen Ng Eng Hen diskutieren.[8]
So so, Deutschland will sich hier als blockfrei positionieren.
Wenn das nur gutgeht …
Asien macht sich frei
ASEAN-Gipfel: Weltweit größtes Handelsbündnis vereinbart. Abkommen stärkt Chinas Wirtschaftsmacht
Von Jörg Kronauer
Es ist das größte Freihandelsbündnis der Welt: das asiatische Abkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership), das am Sonntag im Anschluss an das jüngste Gipfeltreffen des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN geschlossen wurde. Beteiligt sind außer den zehn ASEAN-Mitgliedern China, Japan und Südkorea sowie Australien und Neuseeland. In den insgesamt 15 Ländern lebt fast ein Drittel der Weltbevölkerung, das mittlerweile fast 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung erarbeitet – etwas mehr als Nordamerika im United-States-Mexico-Canada-Agreement (USMCA, vormals NAFTA) sowie deutlich mehr als die EU. Das Abkommen stärkt China im globalen Machtkampf mit dem alten Westen.
Die eigentliche Bedeutung des RCEP-Verbundes reicht dabei über den äußeren Anschein hinaus. Formal gilt das Abkommen als wenig ehrgeizig. Es wird, ausgelegt über einen längeren Zeitraum, 90 Prozent der Zölle abschaffen, weniger als andere Handelsvereinbarungen – dies, obwohl viele Mitglieder längst Freihandelsverträge unterhalten, ASEAN und China zum Beispiel oder ASEAN, Australien und Neuseeland. Zudem bleibt das Abkommen etwa in punkto Dienstleistungen eher dünn und lässt Schutzregeln für Agrarproduzenten, die in vergleichbaren Verträgen ausgehebelt werden, fast unangetastet. Dafür schließt es wichtige Lücken. So ermöglicht RCEP erstmals eine systematische Reduzierung der Zölle zwischen China, Japan und Südkorea, und es vereinheitlicht die Ursprungsregeln, was bisherige Hemmnisse im Handel zwischen den Ländern Ost- und Südostasiens beseitigt. Dies trägt dazu bei, Asien perspektivisch von seiner Orientierung auf den Handel mit dem Westen zu lösen und seine Eigenständigkeit zu stärken. Dank seiner Größe wird RCEP vermutlich langfristig global wichtige Standards setzen können – ohne Mitwirkung Europas und der USA.
Für die Vereinigten Staaten bringt das RCEP-Abkommen gleich mehrere Rückschläge. Zum einen beantwortet es die US-Bestrebungen, eine »Entkopplung« möglichst vieler Länder von China zu erzwingen, mit einer Stärkung der ökonomischen Integration. Dabei steht die Volksrepublik, die längst bedeutendster Handelspartner fast aller RCEP-Staaten ist, im Mittelpunkt. Zum anderen sind die Vereinigten Staaten, seit US-Präsident Donald Trump im Januar 2017 den Ausstieg aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP vollzog, an keinem der zwei großen pazifischen Handelsverträge beteiligt. Eine etwaige Rückkehr der USA zu TPP, das seit 2018 als CPTPP in Kraft ist (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership), wird seit einiger Zeit diskutiert, ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, weil die US-Gewerkschaften und zahlreiche Demokraten dies scharf ablehnen. Sie fürchten – nicht zu Unrecht – die Abwanderung von Unternehmen nach Asien.
Als Verlierer kann zudem Indien gelten. Die ASEAN-Staaten, der ursprüngliche Motor hinter den 2012 gestarteten RCEP-Verhandlungen, hätten das Land gerne in das Freihandelsabkommen eingebunden, um ein Gegengewicht zu China aufbauen zu können, das allein schon wegen der schieren Größe seines Markts zur bestimmenden RCEP-Macht werden dürfte. Neu-Delhi ist allerdings im November vergangenen Jahres aus den Verhandlungen ausgestiegen; seine Industrie fürchtete – nicht ohne Grund –, sich gegen die chinesische Konkurrenz nicht behaupten zu können. Damit bleibt Indien, das sich traditionell als asiatischen Gegenspieler Chinas begreift, dem möglichen Kern eines eigenständig werdenden Asiens fern.
Einflusssphären schaffen
RCEP-Abkommen
Von Jörg Kronauer
Keine Frage: Im großen transpazifischen Wirtschaftskrieg hat China mit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens RCEP einen strategischen Erfolg erzielt. Es verdankt ihn zum guten Teil seinen langjährigen Bemühungen, die Wirtschaftsbeziehungen nach Südostasien auszubauen. Inzwischen sind sie so stark und für alle Beteiligten so profitabel, dass selbst Staaten sie intensivieren wollen, die anderweitig so manchen Konflikt mit Beijing austragen – etwa die Philippinen oder Vietnam mit Blick auf den Streit um Inseln im Südchinesischen Meer. China verdankt den Erfolg mit RCEP allerdings auch ausgerechnet seinem großen Rivalen, den USA.
Pazifischer Freihandel war ursprünglich ein großes Vorhaben der US-Regierung unter Barack Obama. Sie wollte den transpazifischen Zukunftsmarkt nach US-Interessen und unter Ausschluss der Volksrepublik formen. Mehrere südostasiatische Länder beteiligten sich an der Trans-Pacific Partnership (TPP). Zugleich initiierten sie Gespräche über RCEP: Sich einseitig an die Vereinigten Staaten zu binden, das schien ihnen ebenfalls wenig vorteilhaft. Mit Washington über TPP verknüpft, über RCEP mit China sowie nach Möglichkeit auch mit Indien: Das hätte Südostasien eine vorteilhaft zentrale Position im transpazifischen Zukunftsgeschäft verschafft.
Zerschlagen haben sich diese Hoffnungen mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump. Der stieg nicht nur in einer seiner ersten Amtshandlungen aus TPP aus. Er hat zudem seit 2018 die Teilnahme an jedem ASEAN-US-Gipfel verweigert, auch an dem in der vergangenen Woche – ein Akt demonstrativer Missachtung, der in Südostasien seine Spuren hinterlassen hat. Wer die Länder der Region im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie unterstützt und wer nicht, einschließlich der Versorgung mit einem Impfstoff – nun, da muss man nicht lange raten. Die Lust, sich von den Vereinigten Staaten im großen Machtkampf gegen Beijing einspannen zu lassen, ist in Südostasien nicht nur, aber auch wegen »America First« zur Zeit denkbar gering.
Davon zu profitieren suchen nun die deutschen Eliten. Ein ausgleichendes Gegengewicht zu China käme den Ländern Südostasiens weiterhin recht – und prompt treibt die Bundesregierung die Umsetzung ihrer neuen »Indo-Pazifik-Leitlinien« voran, die bei Beibehaltung des Chinageschäfts die Intensivierung der Kooperation mit den ASEAN-Ländern vorsehen. Man wolle »den Gedanken einer multipolaren Welt stärken«, in der sich »kein Land zwischen zwei Machtpolen entscheiden muss«, säuselte kürzlich Berlins Botschafter in Singapur und bot den ASEAN-Staaten Deutschland und die EU als Verbündete zur Nivellierung chinesischen Einflusses an. Geplant ist dabei neben intensiver Wirtschafts- auch eine engere deutsche Militärkooperation mit Südostasien: Neue Aktionsgebiete für die Bundeswehr kündigen sich an.
China und Japan ziehen EU davon
Krise derzeit besser gemeistert: Asiatische Giganten mit hohen Wachstumsraten
Auch in China und Japan hat die Coronapandemie für schwere Turbulenzen in Wirtschaft und Gesellschaft gesorgt. Doch während die EU und die USA – als unmittelbare ökonomische Konkurrenten der asiatischen Großmächte – weiter in tiefer Krise verharren, läuft die Konjunktur in der Volksrepublik und dem Kaiserreich wieder auf Hochtouren. Japan, die Nummer drei unter den führenden Weltwirtschaftsmächten, zeigte sich vom Rekordeinbruch erholt: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zog im dritten Quartal – auf das Jahr hochgerechnet – um 21,4 Prozent an, wie die Regierung in Tokio am Montag bekanntgab. Besser noch sieht es in China aus.
Der Anstieg des japanischen BIP fiel stärker aus, als viele Experten orakelt hatten. Die Börse in Tokio legte in Reaktion deutlich zu. Der Leitindex Nikkei beendete den Handel auf dem höchsten Stand seit rund 29 Jahren. In China deuten starke Wirtschaftsdaten auf ein schnelleres Wachstum im letzten Quartal des Jahres hin. Im Oktober stiegen die Ausgaben im Einzelhandel für Verbrauchsgüter wieder um 4,3 Prozent und damit deutlicher als im Vormonat (3,3 Prozent), wie das Statistikamt in Beijing mitteilte. Die Industrieproduktion kletterte schneller als erwartet um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Experten rechnen nun mit fünf bis sechs Prozent BIP-Wachstum. Insgesamt dürfte China als einzige große Volkswirtschaft in diesem Jahr überhaupt zulegen.
Dabei waren in dem Land vor einem Jahr erstmals Infektionen mit dem Coronavirus entdeckt worden. Doch seit dem Sommer sind in der Volksrepublik nur noch vereinzelt kleinere lokale Ausbrüche bekanntgeworden, gegen die meist sofort energisch vorgegangen wird. Es gibt heute ansonsten nur importierte Fälle, die bei den strengen Einreisekontrollen festgestellt werden.
Japan litt bereits vor dem Ausbruch der Coronapandemie infolge des Handelskonflikts zwischen den USA und China stark. Hinzu kamen die Folgen einer Mehrwertsteueranhebung im vergangenen Jahr. Dann kam noch die Coronakrise. Da Japan jedoch keinen harten Lockdown verhängte, fiel der wirtschaftliche Einbruch relativ milde aus. Nun sieht die Lage in Ostasien besser aus als in Europa oder den USA. So rechnen die »Wirtschaftsweisen« für Deutschland für das laufende Jahr mit einem Rückgang des BIP um 5,1 Prozent. In Washington und London hatten die Zentralbanken jüngst vor einer weiteren Verschlechterung der Lage gewarnt.
Doch auch in Ostasien gibt es keine Garantie, dass die Wirtschaft dauerhaft zulegt. So benötigt China starke Handelspartner, Lockdowns und schlechte Konjunkturzahlen in der EU und den USA träfen auch die größte »Fabrik der Welt« hart, die auf diese Kundschaft angewiesen ist. Und auch in Japan wird eine Art konstruktiver Pessimismus gepflegt: Experten rechnen damit, dass es noch Jahre dauern wird, bis sich die Wirtschaft vollständig von den Auswirkungen der globalen Pandemie erholt hat. (dpa/jW)
China diktiert die Spielregeln
Beijing greift auf heimischem Finanzmarkt durch. Investoren aus dem Westen müssen Vorgaben erfüllen, wenn sie Profite machen wollen
Von Simon Zeise
Biden oder Trump, wen interessiert es? Spekulanten haben ein anderes, größeres Problem. Für Daryl Liew vom Vermögensverwalter Reyl Singapore wiegt der vorerst geplatzte Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Financial (siehe jW vom 5. November) schwerer als der Ausgang der US-Wahl.
Kapital fließt in die Volksrepublik, auf der Suche nach rentablen Anlagenmöglichkeiten. Die ausländischen Direktinvestitionen haben in diesem Jahr bereits um 6,4 Prozent zugelegt – zuletzt im Oktober sogar um 18,3 Prozent, wie das Handelsministerium am Montag in Beijing mitteilte. Umso schwerer wiegt es, dass nur wenige Tage, nachdem Handelskrieger Trump als US-Präsident abgewählt wurde, Beijing den Finanzmarkt vom Kopf auf die Füße stellte.
Am 5. November sollte die Erstnotierung des Zahlungsdienstleisters Ant Financial an den Börsen Shanghai und Hongkong 37 Milliarden Dollar einspielen – es wäre das weltweit größte Aktiendebüt aller Zeiten gewesen. Doch zwei Tage vorher machte die chinesische Regierung den Investoren einen Strich durch die Rechnung. Für ihn sei dieser Schritt »aus heiterem Himmel« gekommen und womöglich »ein Querschuss – nicht nur für Ant, sondern auch für andere Techfirmen«, sagte Liew am 4. November gegenüber CNBC.
Womit er Recht behalten sollte. Nur wenige Tage später zog die chinesische Regierung erste Konsequenzen. Die Wertpapieraufsichtsbehörde kündigte am 11. November »eine härtere Bestrafung illegaler Handlungen« an. In diesem Zusammenhang werde eine gezielte Kampagne zur Verbesserung der Unternehmenssteuerung börsennotierter Firmen gestartet, berichtete Xinhua. Risiken im Zusammenhang mit Kursversprechen börsennotierter Unternehmen sollten reduziert und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber illegalen Aktivitäten auf dem Kapitalmarkt des Landes verfolgt werden. Das Außenamt hatte die Entscheidung damit begründet, die »Kapitalmarktstabilität und die Rechte und Interessen der Investoren schützen« zu wollen.
Im Detail müssen Finanzinstitute künftig ihre Risikovorsorge erhöhen. Knackpunkt für die chinesischen Aufsichtsbehörden ist insbesondere das Geschäft mit der Onlinekreditvergabe. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Bank finanziert Ant Financial nur zwei Prozent der Kredite selbst, 98 Prozent werden von den rund 100 Banken und Finanzpartnern des Unternehmens gestellt bzw. besichert. Dieser minimale Prozentsatz soll nach den neuen Vorschriften der Behörden auf 30 Prozent angehoben werden. Das bisherige Geschäftsmodell der Branche wird damit umgekrempelt. Der Börsenwert von Ant, der Anfang November auf rund 300 Milliarden Dollar geschätzt wurde, wäre durch die neuen Vorgaben nahezu halbiert.
William Bao Bean, Finanzanalyst beim Private-Equity-Fonds SOSV, der auch in China tätig ist, sagte am vergangenen Mittwoch gegenüber jW: »Ant war zu groß. Das Unternehmen hatte zu viel Einfluss am Markt.« Die chinesische Regierung wolle für ausreichend Wettbewerb sorgen und wende sich dagegen, dass Monopole entstehen. »Üblicherweise stoßen im Land 50 oder 100 Firmen in eine Branche vor, killen sich gegenseitig, bis nur noch eine handvoll übrig bleibt. Aber es sollen eben nicht nur eins oder zwei sein«, so Bean weiter. »Wenn die großen Fintechs zu großen Druck auf traditionelle Banken ausüben, schreitet die Regierung ein.« Er sehe die chinesischen Banken im Inland viel besser aufgestellt als ausländische Institute, die in der Volksrepublik Geschäfte machen wollten, weil es einen immensen Wettbewerb unter ihnen gebe. Die größte europäische Bank, HSBC, sehe im Vergleich dazu ziemlich alt aus. Er glaube auch nicht, dass es Beijing kümmere, was die US-Regierung von den strengeren Regeln halte. Der Westen wird sich an den neuen Kurs anpassen müssen – oder geringere Profite einstreichen.
Die Sache mit dem Wettbewerb kann nicht alles sein, warum dieser Börsengang so plötzlich gestoppt wurde und Chinas Führung genauer auf die Kreditvergabe schauen will.
China dürfte überhaupt seine Geld- und Kreditpolitik anläßlich der Entwicklungen auf dem Weltmarkt ändern.
Bisher ging seine Politik darauf, Schritt für Schritt den Renminbi zur Weltwährung zu machen. Deshalb seine Aufnahme in die Sonderziehungsrechte des IWF, und Verträge mit britischen Banken.
Das erscheint offenbar der chinesischen Führung – begreiflicherweise – als nicht mehr erstrebenswert, und vielleicht auch gar nicht machbar.
Ein wichtiger Eckstein in der währungsmäßigen Einbindung in den Weltmarkt war Hongkong. Der Abstieg Hongkongs, die Unruhen und die Statusänderung Hongkongs machen schon für sich eine Änderung der Geldpolitik Chinas notwendig.
Das nächste ist der Brexit. Angesichts der Performance der EU in Sachen Coronavirus und dem nach wie vor blöden Herumgestammel um den Brexit ist abzusehen, daß mit 1.1. 2021 ein großes Chaos auf beiden Seiten des Ärmelkanals ausbrechen wird, was die Londoner City als Finanzplatz nicht unbehelligt lassen wird, auf die China große Hoffnungen in währungspolitischer Hinsicht gesetzt hat.
Schließlich ist abzusehen, daß die Coronakrise und ihre unelegante Handhabung auf $ und € Auswirkungen haben werden, die es China nicht geraten erscheinen läßt, mit diesen Währungen in einen Wettstreit um Weltmarktanteile zu treten.
Ich vermute, daß China den Renminbi zur einzig starken, verläßlichen und auf eigene Kräfte gegründeten Währung machen will, und damit eine neue Währungskonkurrenz aufmachen wird, gegenüber den gebeutelten, vom internationalen Finanzkapital gekürten und benützten „alten“ Weltwährungen.
Brüssels Dilemma
Bidens Kurs gegen China
Von Jörg Kronauer
Der President-elect sucht im Machtkampf gegen China die Initiative zu übernehmen. Erst am Sonntag hat sich mit RCEP das größte Freihandelsbündnis der Welt gegründet, ein rein asiatisch-pazifischer Zusammenschluss um die ASEAN-Staaten und die Volksrepublik, der fast 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf die Waage bringt. Damit haben RCEP bzw. letztlich sein einflussreichstes Mitglied, China, langfristig das Potential, im Welthandel wichtige Standards zu setzen: Erstmals seit dem Aufstieg der Kolonialmächte gäben dann nicht mehr Europa und die Vereinigten Staaten den Takt der Weltwirtschaft vor. »Wir«, ließ sich schon am folgenden Tag Joseph Biden zitieren, um gar nicht erst unliebsame Gedanken aufkommen zu lassen, »wir machen 25 Prozent der Weltwirtschaft aus« – und wenn »wir«, die USA, »mit anderen Demokratien auf einer Linie« lägen, »mit weiteren 25 Prozent oder gar mehr«, dann könnten auch in Zukunft »wir die Handelsregeln festlegen«, damit »nicht China und andere« dies tun.
Bidens Antwort auf die Gründung von RCEP ist zugleich eine Antwort, wenn auch nur eine halbe, auf Vorstöße in Sachen China aus der EU. Berlin und Brüssel haben in den vergangenen Tagen und Wochen keinerlei Zweifel daran gelassen, dass sie sich von der künftigen US-Regierung eines erhoffen, was mit der scheidenden Administration nicht möglich war – sich im Machtkampf um die Normierung der Weltwirtschaft eng mit Washington und vielleicht auch mit Tokio abzustimmen, etwa im Rahmen der WTO. China ökonomisch Seite an Seite mit der EU in die Schranken zu weisen oder dies doch wenigstens zu versuchen, dazu ist Biden offenkundig bereit. Details will er allerdings erst am Tag nach seinem Amtsantritt bekanntgeben. Spekuliert wird viel – etwa darüber, ob der President-elect im Bemühen, die Welthandelsregeln zu bestimmen, die USA auch in das transpazifische Freihandelsabkommen CPTPP führen könnte, das Überbleibsel des einstigen Obama-Projekts TPP, von dem die Trump-Administration so schroff Abschied nahm. Eine CPTPP-Erweiterung ist ohnehin im Gespräch: Großbritannien will Mitglied werden.
Eine halbe Antwort ist Biden der EU freilich schuldig geblieben: darauf, wie seine Regierung es mit der Trumpschen »Entkopplung« von China halten will. Die Industrie der EU, vor allem aber Deutschlands ist auf den riesigen chinesischen Zukunftsmarkt angewiesen; ohne ihn bräche sie – und mit ihr die deutsch-europäische Wirtschaftsmacht – dramatisch ein. Nicht ohne Grund insistieren Berliner Politiker darauf, China dürfe nicht nur als »Systemrivale« angegriffen werden, es müsse trotz alledem auch »Wirtschaftspartner« bleiben. Eine »Entkopplung« torpedierte dies. Die US-Sanktionen gegen Beijing, die das Decoupling forcieren, sind nun aber im US-Kongress von Bidens Demokraten nach Kräften ausgeweitet worden. Nimmt die zukünftige Administration dabei keine Rücksicht auf die EU, droht der nächste transatlantische Streit.
Hilfe aus dem Osten
G-20-Gipfel im Zeichen der Pandemie
Von Jörg Kronauer
Nicht als der große Gleichmacher wirkt sie, sondern als der große Beschleuniger: die Covid-19-Pandemie, mit der sich am Wochenende der G-20-Gipfel befasste und die laut offiziellen Angaben bald schon eineinhalb Millionen Menschenleben weltweit gefordert haben wird. Sie trifft alle, aber die Folgen unterscheiden sich dramatisch: Während der alte transatlantische Westen in der zweiten Welle versinkt und manche schon vor einer dritten warnen, haben mehrere Staaten in der Asien-Pazifik-Region das Schlimmste wohl überwunden. In einigen, in China etwa, aber nicht nur dort, normalisieren sich Alltagsleben und Wirtschaftswachstum sogar schon wieder. Die größten Opferzahlen wie auch die schlimmsten ökonomischen Einbrüche sind dies- und jenseits des Nordatlantiks zu beklagen: ein Beleg dafür, dass ausgerechnet diejenigen Länder im Kampf gegen die Pandemie versagen, die lange Zeit den Ton in der Welt angaben und meist auch die globalen Reaktionen auf große Krisen bestimmten. Immer noch versuchen sie – wie auf dem G-20-Gipfel –, die Richtung vorzugeben; sie schaffen es aber nicht mehr, jedenfalls nicht allein.
Jüngstes Beispiel: die Forderung, überall auf der Welt einen bezahlbaren Impfstoff zugänglich zu machen, die am Wochenende – neben anderen – auch Bundeskanzlerin Angela Merkel vortrug. Bis vor kurzem wäre die Sache klar gewesen: Pharmakonzerne in Westeuropa und in Nordamerika entwickeln Vakzine, verkaufen sie gewinnbringend im reichen Westen – und verscherbeln sie dann mit Hilfe internationaler Organisationen in ärmeren Ländern, solange genug Geld dafür fließt. Die Zeiten sind vorbei. Als Deutschland unlängst den Biontech/Pfizer-Impfstoff feierte, da hatten China und Russland längst schon Notfallgenehmigungen für erste Impfungen erteilt – und Chinas Präsident Xi Jinping bestätigte jetzt auf dem G-20-Gipfel, Beijing unterstütze neben der Verteilung der chinesischen Vakzine auch ihre Herstellung in ärmeren Drittstaaten. Indonesien dürfte einer davon sein. Die Volksrepublik hat sich zudem vorsichtig der Forderung Indiens sowie diverser weiterer Staaten angeschlossen, Covid-19-Impfstoffe vom Patentschutz auszunehmen, um sie zu verbilligen. USA und EU lehnen das wie üblich ab. China hat es mit seinen eigenen Impfstoffen in der Hand, diesbezüglich den – so wichtigen – Durchbruch zu schaffen.
Für eine wachsende Zahl an Ländern hängt damit der Erfolg im Kampf gegen die Pandemie nicht mehr an der Unterordnung unter die westliche Dominanz, um von gönnerhaft verteilten Brosamen transatlantischer »Geber« zu profitieren, sondern an gedeihlicher Kooperation mit China: Nach den weltwirtschaftlichen Gewichten verschiebt sich nun also auch der politische Einfluss in der Weltpolitik in Richtung Beijing. Es trifft zu: Dies tut er schon seit geraumer Zeit. Die Coronakrise lässt den Prozess aber immer deutlicher hervortreten, und sie beschleunigt ihn.
Eiegntlich gehört diese Bemerkung von mir eher zu diesem Thema hier:
Die Frage, die sich immer wieder viele stellen, ist die: Warum schaffen es die alten Heimatländer des Kapitals nicht, die Pandemie einzudämmen, China hingegen schon?
Es ist offenbar nicht der ganz gewöhnliche Kapitalismus, der dort zugegen ist, ein Stück des alten Versorgungsstandpunktes lebt fort.
Nordatlantikpakt entdeckt Pazifik
Die von einer “Reflexionsgruppe” empfohlene neue NATO-Strategie sieht mit Blick auf China eine engere Zusammenarbeit mit Australien, Japan, Neuseeland, Südkorea und Indien vor
Das nächste Jahrzehnt der NATO (03.12.2020)
NATO-Bericht macht Vorschläge zur Dämpfung bündnisinterner Konflikte und zur Stärkung der Allianz gegen Russland und China.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die NATO soll ihre innere Geschlossenheit stärken und sich mit neuen Schritten gegen Russland und China in Stellung bringen. Dies fordert ein Bericht (“NATO 2030”), den das Militärbündnis anlässlich seines gestern zu Ende gegangenen Außenministertreffens offiziell vorgelegt hat. Demnach soll zukünftig ein Veto gegen unliebsame Bündnisbeschlüsse erschwert werden; zugleich müsse die Allianz die Kooperation mit Staaten an den Grenzen zu Russland und im regionalen Umfeld Chinas intensivieren. Der Bericht war im vergangenen Dezember in Auftrag gegeben worden, um offen eskalierende Differenzen innerhalb der Allianz zu kitten, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuvor in einer pointierten Formulierung (“Hirntod der NATO”) angeprangert hatte. Erstellt wurde er unter Leitung von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem US-Diplomaten Wess Mitchell. Der Bericht, der in die Erstellung eines neuen “Strategischen Konzepts” münden soll, wird von Außenminister Heiko Maas lautstark gelobt, von Experten aber als “sicherheitspolitischer Bauchladen” abgetan.
Der “Hirntod” der NATO
Offizieller Auslöser für die Erstellung des Berichts, den die NATO-Außenminister auf ihrem Treffen in den vergangenen zwei Tagen diskutierten, war die Äußerung von Frankreichs Präsident Emmanuel Anfang November 2019, man erlebe gegenwärtig “den Hirntod der NATO”.[1] Anlass für Macrons Äußerung wiederum war, dass kurz zuvor die Türkei nach Syrien einmarschiert war und die Vereinigten Staaten mitgeteilt hatten, ihre Truppen von dort abzuziehen. Frankreich hatte, über beides nicht vorab in Kenntnis gesetzt, seine in Syrien operierenden Spezialkräfte überstürzt aus dem Land beordern müssen. Dabei konnte das Vorgehen weder der USA noch der Türkei als Ausrutscher gewertet werden: Washington setzte unter Präsident Donald Trump zusehends auf Alleingänge; Ankara nutzt unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein gewachsenes ökonomisch-politisches Gewicht, um die eigene Expansion ohne besondere Rücksichtnahme auf die Allianz voranzutreiben. Zwar werden die USA unter ihrem künftigen Präsidenten Joe Biden wohl wieder stärker auf Bündniskooperation setzen; doch kann mit Blick auf die tiefe Zerrissenheit des Landes nicht fest davon ausgegangen werden, dass dies auf Dauer, etwa nach der nächsten Wahl im Jahr 2024, auch so bleibt.
“Vereint für eine neue Ära”
Vor diesem Hintergrund hatte auf Initiative von Außenminister Heiko Maas der Londoner NATO-Gipfel Anfang Dezember 2019 beschlossen, einen “Reflexionsprozess” zur Konsolidierung des Bündnisses zu starten. Zu diesem Zweck setzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April eine “Reflexionsgruppe” ein, die unter Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem zuletzt im State Department für Europa zuständigen US-Diplomaten Wess Mitchell den jetzt vorgelegten Bericht “NATO 2030: Vereint für eine neue Ära” erstellte. In die zehnköpfige “Reflexionsgruppe” eingebunden waren sämtliche relevanten Strömungen in der NATO. Explizit beteiligt waren der türkische Diplomat Tacan İldem und Frankreichs Ex-Außenminister Hubert Védrine. Schwerpunktmäßig geht es darum, den politischen Zusammenhalt des zumindest partiell auseinanderdriftenden Militärbündnisses zu stärken, um mit größtmöglicher Geschlossenheit die Machtkämpfe gegen Russland und China führen zu können. Dazu bietet der aktuelle Bericht nicht nur Kernaussagen über vorgebliche “globale Bedrohungen” der kommenden Jahre, sondern auch 138 konkrete Empfehlungen für die praktische Arbeit der Allianz.
Bedrohungsszenarien
“Bedrohungen” diagnostiziert der Bericht der “Reflexionsgruppe” rund um den Globus. Hatte die NATO in ihrem “Strategischen Konzept” aus dem Jahr 2010 noch festgestellt: “Heute lebt der euro-atlantische Raum in Frieden”, so ist nun von einer “Rückkehr der Systemrivalität” und von einem “Aufstieg globaler Bedrohungen” die Rede.[2] Russland etwa sei zwar “nach wirtschaftlichen und politischen Maßstäben eine absteigende Macht”; es habe sich aber als “fähig zu territorialer Aggression” erwiesen und bleibe “im kommenden Jahrzehnt wahrscheinlich eine Hauptbedrohung” für die Allianz. China hingegen, heißt es in dem Bericht, stelle “eine ganz andere Art von Herausforderung für die NATO” dar: Es sei “gegenwärtig keine direkte militärische Bedrohung für die euro-atlantische Region”, habe aber dennoch “eine globale strategische Agenda” und werde in den Jahren bis 2030 wohl “die Fähigkeit” des Bündnisses herausfordern, “kollektive Resilienz herauszubilden”. Die Formulierung ist unter anderem auf Chinas heftig attackierte Beteiligung am Aufbau von Infrastruktur wie den 5G-Netzen in Europa gemünzt. “Terrorismus” bleibe “eine der unmittelbarsten asymmetrischen Bedrohungen für die Allianz”, heißt es weiter; darüber hinaus bestünden “andere Bedrohungen und Herausforderungen” im Süden fort – in einem riesigen Gebiet von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten “bis nach Afghanistan”.
Gegen Russland, gegen China
Die konkreten Empfehlungen des Berichts für die praktischen Aktivitäten der NATO haben eine doppelte Dimension: Zum einen sollen sie die zunehmenden Differenzen innerhalb des Bündnisses wenigstens dämpfen; zum anderen zielen sie auf eine strategische Stärkung der Allianz vor allem gegen Russland und China. So heißt es, “im Norden” solle die “Partnerschaft” mit Schweden und Finnland fortgesetzt und intensiviert werden. Faktisch werden beide Länder schon längst als informelle Mitglieder behandelt und sind bei zahlreichen NATO-Treffen vertreten, so zum Beispiel gestern beim Außenministertreffen. “Im Osten” müssten “die Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien gestärkt” werden, heißt es weiter; beide Länder fungieren seit Jahren als vorgeschobene Verbündete unmittelbar an den russischen Grenzen. Mit Blick auf Asien plädiert der Bericht schließlich dafür, “Konsultation und Kooperation mit indo-pazifischen Partnern zu vertiefen” – mit Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea. Die vier Länder zählen bereits zu den “globalen Partnern” des Kriegsbündnisses; man könne die schon bestehende Zusammenarbeit im “NATO+4-Format” ausbauen, heißt es. Als weitere Option nennt der Bericht eine Kooperation mit dem Quad (“Quadrilateral Security Dialogue”), einem lockeren Bündnis der USA, Australiens, Japans und Indiens, das sich gegen China richtet – auch militärisch.[3]
Konfliktpotenziale
Mit Blick auf den inneren Bündniszusammenhalt heißt es in den Empfehlungen des Berichts, “die transatlantische Konsultation” müsse “auf systematische, glaubwürdige und kraftvolle Art und Weise gestärkt werden”. Dazu sollten die Absprachen der Außenminister intensiviert und generell mehr Ministertreffen abgehalten werden. Zu erwägen sei darüber hinaus, die Stellung des NATO-Generalsekretärs weiter aufzuwerten. Zudem sollen Blockaden erschwert werden; so haben jüngst Ungarn die Bündniskooperation mit der Ukraine und die Türkei diejenige mit Österreich systematisch torpediert, weil sie auf nationaler Ebene mit den Ländern im Streit liegen. Lege ein Staat – wie in den erwähnten Fällen Ungarn und die Türkei – sein Veto ein, dann müsse dies “auf Ministerebene geschehen, nicht in Gremien”, fordert de Maizière: “Das erhöht den politischen Preis.”[4] Allerdings erhöht es zugleich die politischen Kosten, wenn Konflikte in Zukunft nicht mehr in Gremien, sondern von den Ministern und damit näher am Blick der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Zudem soll in Zukunft, teilt de Maizière mit, “eine Gruppe von Staaten unter dem Dach der Nato” enger zusammenarbeiten können. Das eröffnet neue Optionen, schafft aber zugleich neues Konflikt- und Spaltungspotenzial.
“Der übliche sicherheitspolitische Bauchladen”
Erstaunliche Differenzen zeigen sich bei der Beurteilung des Berichts. Außenminister Heiko Maas lobt ausdrücklich, die “Empfehlungen” des Papiers hätten “Substanz” und seien “sehr ausgewogen”: “Wir danken der Gruppe für ihre ausgezeichnete Arbeit”.[5] Ganz anders stuft Patrick Keller, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das Dokument ein. “Das Beste an diesem Impulspapier ist, dass es keine Überraschungen enthält”, urteilt Keller: Es mangele nicht nur “an echten Innovationen”; auch lasse “der traditionsbewusste Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung” die “anderen Kernaufgaben des Krisenmanagements und der Partnerschaften arg blass aussehen”.[6] “Wirklich neue Ideen” etwa zur “Partnerschaft” mit nahestehenden Staaten im asiatischen Umfeld Chinas suche man “leider vergeblich”. “Gut die Hälfte des Papiers” gerate darüber hinaus lediglich “zum üblichen sicherheitspolitischen Bauchladen”.
Chinas Expansion bremsen
Berlin untersagt Beijing Übernahme deutscher Firma. Washington droht mit Delisting von Konzernen aus der Volksrepublik
Von Simon Zeise
Der »Westen« macht dicht. Die Bundesregierung hat am Donnerstag die Übernahme des Chipherstellers IMST durch den Rüstungskonzern Addsino – ein Tochterunternehmen des chinesischen Staatskonzerns Casic – untersagt. IMST, mit Sitz in Kamp-Lintfort, ist spezialisiert auf Satelliten- und Radarkommunikation sowie 5G-Millimeterwellen. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, das Bundeskabinett habe am Mittwoch eine Ermächtigung für eine Untersagung nach der Außenwirtschaftsverordnung beschlossen. Das Außenwirtschaftsrecht erlaubt es der Bundesregierung zu prüfen, ob vom Erwerb eines deutschen Unternehmens durch einen ausländischen Investor eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht. IMST habe für den Erdbeobachtungssatelliten Terra SAR-X eine Schlüsselkomponente entwickelt. Deren Daten habe das Bundesverteidigungsministerium für einen dreistelligen Millionenbetrag angekauft. Daraus sei für militärische Zwecke ein hochpräzises 3-D-Höhenmodell errechnet worden, das unter anderem in Waffensystemen eingesetzt wird: »Ohne Untersagung würde dieses Know-how nach China abfließen und zur Aufrüstung Chinas beitragen«, berichtete das Wirtschaftsministerium.
Auch Washington verschärft seinen Kurs gegen chinesische Unternehmen. Nach dem Senat verabschiedete auch das Repräsentantenhaus am Mittwoch abend (Ortszeit) ein Gesetz, das Konzerne aus der Volksrepublik, die an der Wall Street gelistet sind, verpflichtet, ihre Bilanzen nach US-Recht auszugestalten. Falls die Firmen der Aufforderung binnen drei Jahren nicht folgen, können sie ihre Notierung in den Vereinigten Staaten verlieren.
Ins Rollen gebracht hat die Forderung nach strengeren Regeln der Finanzskandal um die chinesische Kaffeehauskette Luckin Coffee. Der Konzern gestand nach einem Bericht des Leerverkäufers Muddy Waters Research Anfang April, Zahlen frisiert zu haben. Der Kurs der Aktie fiel daraufhin um 80 Prozent. Der Handel im Nasdaq wurde vorübergehend ausgesetzt.
Doch das Gesetz, das der scheidende US-Präsident Donald Trump voraussichtlich unterzeichnen wird, geht über den Schutz von Kleinanlegern deutlich hinaus. Unternehmen müssen die Namen der Vorstandsmitglieder offenlegen, die Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas sind. In Beijing wird man mit solchen Forderungen auf taube Ohren stoßen. Leerverkäufer Carson Block von Muddy Waters schlägt vor, US-Wirtschaftsprüfer für das Versagen ihrer chinesischen Geschäftstätigkeit haftbar zu machen. Gleichzeitig sollten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in China von US-amerikanischen Tochtergesellschaften mit finanziellen Sicherheiten garantieren. Beides seien gute Ideen, schrieb Reuters am Donnerstag. Doch der Kongress habe keine angenommen. »So wie es aussieht, geht der Plan sowohl zu weit als auch nicht weit genug.«
Insgesamt geht es nicht um Peanuts: Auf chinesische Unternehmen an US-Börsen – unter ihnen befindet sich etwa der Onlineriese Alibaba – entfällt ein Kapitalvolumen von rund zwei Billionen US-Dollar. Ihre Schäfchen wissen sie ins Trockene zu bringen. Mittlerweile bieten die meisten von ihnen eine Zweitnotierung an der Börse in Hongkong an.
Christoph Scherrer, Professor für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel, sagte am Donnerstag gegenüber jW, die Zustimmung zum Gesetz verdeutliche, dass es einen breiten Konsens unter den US-Eliten für eine härtere Konfrontation mit China gebe. »Aus diesem Grunde ist auch nicht davon auszugehen, dass Biden einen drastischen wirtschaftspolitischen Kurswechsel gegenüber China einleiten wird, zumal in den Bundesstaaten, in denen Biden Trump Wählerschichten abwerben konnte, die Trumpsche Handelspolitik durchaus Zustimmung fand«, so Scherrer weiter. Der designierte US-Präsident hatte am Mittwoch erklärt, die von seinem Amtsvorgänger erhobenen Strafzölle auf chinesische Waren beizubehalten. In einem Interview mit der New York Times sagte Biden, er wolle gegen Chinas »missbräuchliche Praktiken« vorgehen. Scherrer ergänzte gegenüber jW: »Das von beiden Häusern des Kongresses verabschiedete Gesetz verleiht zunächst den USA nur mehr Verhandlungsmacht gegenüber China, da eine Dekotierung (Rückgabe der Börsenzulassung, jW) nicht sofort in Kraft tritt.« Falls die chinesische Regierung dem Druck nicht nachgebe, verlören die chinesischen Firmen durch das Delisting zwar nicht den Zugang zu Finanzmitteln, denn diese stünden ihnen auch in der Volksrepublik zur Verfügung. Doch ihnen bliebe der Zugang zum US-Finanzmarkt versperrt, was ihre Handlungsmöglichkeiten, ins Ausland zu expandieren, einschränke.
Huawei-Finanzchefin bietet Geständnis für Freiheit
Wanzhou Meng bietet den USA ein Geständnis, wenn sie dafür nach China zurückkehren darf. Möglichst noch unter Trump.
Dafür war die Gesetzgebung der EU nicht gedacht, daß sich Rivalen auf dem Weltmarkt, wie chinesische Firmen, in die eigene Industrie einkaufen!
Man merkt die Veränderungen der letzten eineinhalb bis 2 Jahrzehnte – damals dachte kein Gesetzgeber daran, daß sich chinesische Firmen in den Heimatländern des Kapitals breit machen könnten.
Man hoffte auf gute Freunde aus den USA oder anderen EU-Staaten, die mit ihren Investitionen die eigene nationale Akkumulation voranbringen würden.
Rasante Aufholjagd
Exportboom: Chinas Ausfuhren im November um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen
Von Jörg Kronauer
Chinas Exportwirtschaft hat die Coronakrise hinter sich gelassen und erreicht neue Höchstwerte. Dies zeigen aktuelle Handelsdaten, die der chinesische Zoll am gestrigen Montag vorlegte. Demnach ist die chinesische Ausfuhr im November um 21,1 Prozent gestiegen – im Vergleich nicht zu einem Krisenmonat, sondern zum November 2019, einem Zeitpunkt also, zu dem von der Pandemie noch nicht die Rede war. Zwar nahm die chinesische Einfuhr lediglich um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu; das genügte jedoch immer noch, um den gesamten Außenhandel im November um 13,6 Prozent gegenüber dem November 2019 ansteigen zu lassen. Und für die nächste Zeit zeichnet sich – nicht nur dank boomender Exporte, sondern auch dank der Erholung des Konsums im Inland – weiteres Wachstum ab: Der Einkaufsmanagerindex des Wirtschaftsmagazins Caixin aus Beijing, ein abstrakter Index, der die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe wiedergibt, oberhalb von 50 Punkten auf eine positive Entwicklung hindeutet und im Oktober mit 53,6 Punkten seinen höchsten Stand seit Januar 2011 erreicht hatte, kletterte im November sogar auf stolze 54,9 Punkte; auf diesem Niveau hatte er zuletzt Ende 2010, in der unmittelbaren Erholungsphase nach der globalen Finanzkrise, gelegen.
Der rasante Anstieg der Exporte trägt dazu bei, dass die chinesische als einzige größere Volkswirtschaft weltweit im Coronakrisenjahr wachsen wird. Bereits im dritten Quartal war die chinesische Wirtschaftsleistung um satte 4,9 Prozent gewachsen. Und während der transatlantische Westen aktuell in der zweiten Pandemiewelle versinkt, wird die Volksrepublik im vierten Quartal weiter boomen: Ökonomen rechnen mit einem Quartalswachstum von 5,5 Prozent, vielleicht noch mehr. Das würde genügen, um im Gesamtjahr 2020 auf eine Wirtschaftsleistung zu kommen, die um zwei, womöglich sogar 2,2 Prozent über derjenigen von 2019 läge. In Deutschland hatte der Sachverständigenrat kürzlich noch auf ein Minus von »nur« 5,1 Prozent gehofft; die zweite Welle der Pandemie droht die Negativentwicklung nun aber erneut zu vertiefen. Den USA sagte die Investmentbank Goldman Sachs unlängst ein Minus von 3,5 Prozent voraus.
Chinas Aufholjagd bei den Exporten basiert dabei aktuell auf einem krisenbedingten Sondereffekt: Chinesische Unternehmen verkaufen zur Zeit gewaltige Mengen an medizinischer Schutzkleidung sowie an IT- und Elektrogeräten, die in erheblich größerer Zahl als zuvor benötigt werden, weil wegen der Restriktionen und der Lockdowns in der zweiten Pandemiewelle wieder zunehmend im Homeoffice gearbeitet und die Freizeit zu Hause verbracht wird. Die Volksrepublik profitiert auch deshalb davon, weil die Produktion anderswo in vielen Fällen immer noch durch die Pandemie eingeschränkt ist. Die Nachfrage ist offenbar stark genug, um währungsbedingte Rückschläge zu verhindern: Der Yuan hat seit dem Frühsommer gegenüber dem US-Dollar deutlich an Gewicht gewonnen und seinen höchsten Stand seit zweieinhalb Jahren erreicht, was die Ausfuhr im Prinzip verteuert. Gelingt es, mit dem erhofften Abflauen der Coronakrise und der ersehnten Erholung der Wirtschaft im Westen die Ausfuhr der vor der Krise gehandelten Güter wieder in Schwung zu bringen, die zur Zeit noch leidet, dann könnte der absehbare Exportrückgang bei Schutzkleidung und IT-Geräten wohl aufgefangen und das weitere Wachstum stabilisiert werden.
Ein Nebeneffekt des Exportbooms ist, dass der chinesische Außenhandelsüberschuss Rekordhöhen erreicht. Insgesamt stieg er im November auf mehr als 75 Milliarden US-Dollar – mehr denn je zumindest seit 1981, dem ersten Jahr, für das der Finanzdienstleister Refinitiv über entsprechende Daten verfügt. Auch das chinesische Exportplus gegenüber den USA dürfte dem scheidenden US-Präsidenten Donald Trump die Zornesröte ins Gesicht treiben: Es stieg von 31,4 Milliarden US-Dollar im Oktober auf 37,4 Milliarden US-Dollar im November, so stark wie seit Ende 2018 nicht mehr, obwohl die Volksrepublik, den »Phase 1 Deal« vom Januar nach Kräften erfüllend, fleißig Agrarprodukte in den USA kauft. Das Gesamtdefizit wird bei alledem durch das Ausbleiben chinesischer Touristen und Studenten, die viel Geld in die Vereinigten Staten brachten, verstärkt.
Monopolmacht beschränken
Chinesische Regierung verhängt Sanktionen gegen Internetkonzerne
Von Jörg Kronauer
Die chinesischen Behörden nehmen die mächtigen Internetmonopole des Landes stärker an die Kandare. Wegen Verstößen gegen das Antimonopolgesetz aus dem Jahr 2008 hat die Marktaufsicht in Beijing zu Wochenbeginn Geldstrafen gegen Alibaba und Tencent verhängt. Alibaba habe sich 2017 die Aufstockung seines Anteils an der chinesischen Einzelhandelskette Intime auf rund drei Viertel nicht vorschriftsgemäß genehmigen lassen, hieß es zur Begründung. Tencents E-Book-Tochterfirma China Literature wiederum habe es unterlassen, ihre Übernahme von New Classics Media im Jahr 2018 anzumelden. Zugleich wurde eine dritte Geldstrafe gegen eine Tochterfirma des hierzulande weniger bekannten Logistikkonzerns SF Express bekanntgegeben, die gleichfalls eine Übernahme betraf. Die drei Konzerne müssen nun jeweils 500.000 Yuan (fast 76.500 US-Dollar) zahlen. Darüberhinaus kündigte die Marktaufsicht weitere Schritte an. So wird sie nun die im Oktober angekündigte Fusion der beiden Game-Streamingplattformen Huya und Douyu sowie eine Reihe weiterer Deals unter die Lupe nehmen. Sowohl an Huya als auch an Douyu ist Tencent beteiligt. Der Konzern hat die Fusion vorangetrieben, um einen Spieleriesen mit einer immensen Marktmacht entstehen zu lassen. Der Vorgang wird nun überprüft.
Beobachter schreiben dem Einschreiten der Marktaufsicht zunächst vor allem symbolische Bedeutung zu. Die Höhe der Geldstrafen ist für die Internetriesen ein Klacks, den sie locker aus ihren Portokassen bezahlen können. Ernsthafte Folgen – etwa eine Annullierung der inkriminierten Übernahmen, die prinzipiell ohne weiteres möglich gewesen wäre – sind ausgeblieben. Die Strafen seien vor allem »ein Signal an die Gesellschaft, dass die Antimonopolaufsicht im Bereich des Internets verstärkt wird«, erklärte die Marktaufsicht denn auch. »Die Internetindustrie befindet sich nicht außerhalb der Kontrolle des Antimonopolgesetzes.« Dies zu betonen, ist wohl nötig gewesen, denn die Internetbranche ist in China, nicht viel anders übrigens als in den Vereinigten Staaten, in jüngster Zeit nicht nur rasant, sondern vor allem auch wild gewachsen. So soll es seit 2008 zum Beispiel kein einziges Verfahren wegen nicht korrekt angemeldeter Konzernübernahmen gegeben haben. Jetzt werden nicht nur die Kontrollen, sondern auch die Regeln verschärft. Im November sind in Beijing die Entwürfe für neue Vorschriften zur Verhinderung monopolistischer Praktiken in der Internetbranche vorgelegt worden. Und die Botschaft kommt an: Die Einhaltung bestehender Regeln sei »ein Grundpfeiler für eine stabile langfristige Entwicklung des Fintech-Sektors«, bekundete Ant Group-Chef Eric Jing am Dienstag auf einem Branchenforum.
Wie notwendig die Regulierung ist, das zeigt nicht nur die Macht von Chinas Internetriesen: Tencents App Wechat etwa, die nicht nur – wie Whatsapp – zur Übermittlung von Nachrichten genutzt wird, sondern die auch zahllose weitere Funktionen hat, nicht zuletzt eine zum Bezahlen, wird von über einer Milliarde Menschen genutzt. Alipay wiederum, die Bezahl-App der Alibaba-Tochter Ant Group, verzeichnet mehr als 700 Millionen aktive Kunden pro Monat. Mit ihrer Marktmacht haben die Internetriesen überdies ein durchaus bedrohliches ökonomisches Destabilisierungspotential. Das ließ sich Anfang November erahnen, als Chinas Finanzaufsicht kurzfristig den geplanten Rekordbörsengang der Ant Group, mit einem Volumen von 34,5 Milliarden US-Dollar, untersagte. Der Konzern vermittelt über Alipay kurzfristige, nicht abgesicherte Kredite, deren Gesamtvolumen sich im Juni auf 230 Milliarden US-Dollar belief. In die Darlehen involviert waren eine ganze Reihe kleinerer und wohl eher risikoanfälliger Banken. Unter ungünstigen Umständen könnten sie durch Kreditausfälle in einer Wirtschaftskrise ins Wanken geraten und schlimmstenfalls einen Dominoeffekt auslösen. Dem suchen Chinas Regulationsbehörden nun einen Riegel vorzuschieben.
Deutschland im Indo-Pazifik (VI) (18.12.2020)
Bundesregierung will Militärkooperation mit Japan ausweiten und stellt Bundeswehrpräsenz im “Indo-Pazifik” in Aussicht.
BERLIN/TOKIO (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung will die Militärkooperation mit Japan ausweiten. Wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in mehreren Gesprächen mit ihrem japanischen Amtskollegen bestätigte – zuletzt am Dienstag -, wünsche Berlin eine stärkere “Präsenz” der Bundeswehr in der Asien-Pazifik-Region sowie die “Teilnahme an militärischen Übungen” dort. Deutschland und Japan setzten sich gemeinsam für einen “freien und offenen Indo-Pazifik” (“Free and Open Indo-Pacific”) ein, heißt es; die Formel entstammt der Militärstrategie der Vereinigten Staaten im Machtkampf gegen China. Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren mehrmals in Aussicht gestellt, ihre Militär- und Rüstungskooperation mit Japan erheblich zu intensivieren; bislang ist allerdings noch kein Durchbruch erfolgt. Eine engere Zusammenarbeit gelingt seit geraumer Zeit allerdings im Rahmen des EU-Marineeinsatzes am Horn von Afrika; dort sind auch die japanischen Seestreitkräfte präsent. Japan ist dabei, seine militärischen Aktivitäten, die lange durch seine Verfassung eingeschränkt wurden, massiv auszuweiten – gegen China.
Erfolglose Ankündigungen
Einen Ausbau der militärischen und der rüstungsindustriellen Beziehungen zu Japan strebt die Bundesregierung bereits seit Jahren an, konnte dabei allerdings noch keinen Durchbruch erzielen. So gab es zuweilen Besuchskontakte zwischen den Marinen beider Länder; engere Beziehungen zwischen Heer, Luftwaffe und Sanitätsdienst der jeweiligen Streitkräfte wurden thematisiert, ohne dass es dabei zu echten Fortschritten gekommen wäre.[1] Ähnlich verhält es sich in der Rüstung. Bereits vor knapp zehn Jahren drängten deutsche Waffenschmieden die Bundesregierung, den “traditionell eher geschlossenen japanischen Markt” für deutsche Rüstungsexporte zu öffnen; aber auch dieser Vorstoß verpuffte.[2] Anfang 2015 nahmen die Regierungen beider Länder Gespräche über ein Rüstungsabkommen auf, das am 17. Juli 2017 schließlich unterzeichnet wurde und, wie das Bundesverteidigungsministerium damals mitteilte, den “Rahmen für die Zusammenarbeit im Bereich Wehrtechnologie” schuf.[3] Allerdings hat sich auch diesbezüglich nicht viel getan: Die Ausfuhr deutschen Kriegsgeräts nach Japan liegt ausweislich der Rüstungsexportberichte der Bundesregierung jährlich nach wie vor im niedrigen zweistelligen Millionenbereich.
Ausgangspunkt für umfassendere Kooperation
Eine regelmäßige Kooperation findet seit einiger Zeit allerdings im Rahmen der EU-Operation Atalanta in den Gewässern am Horn von Afrika statt; dies liegt nahe, da neben der EU nicht zuletzt auch Japan Marineschiffe zum Kampf gegen Piraten in die Region entsendet. Dort würden bereits seit Jahren “regelmäßig” gemeinsame Übungen durchgeführt, teilen die Medienbeauftragten der EU-Operation mit. Zuletzt hätten zum Beispiel am 5. Oktober ein spanisches sowie ein japanisches Kriegsschiff eine gemeinsame Schieß- sowie diverse taktische Übungen durchgeführt; dabei habe sich dann ein deutscher Seefernaufklärer vom Typ P-3 Orion eingeschaltet.[4] Am 15. Oktober hätten Kriegsschiffe aus Japan, Spanien und Italien eine Schiffsparade in den Gewässern vor dem Hafen von Dschibouti abgehalten; auch in diesem Fall habe sich ein deutscher Seefernaufklärer eingeklinkt. Anschließend habe man eine Videokonferenz organisiert, an der sich neben dem Atalanta-Hauptquartier im spanischen Rota der Europäische Auswärtige Dienst und das japanische Verteidigungsministerium beteiligt hätten. Das Seegebiet im westlichen Indischen Ozean sei ideal, um die Marinekooperation der EU mit Japan zu vertiefen, heißt es bei Atalanta – und zwar als Ausgangspunkt für eine umfassendere Kooperation.
Manöver und Hafenbesuche
Eine solche umfassendere Kooperation strebt nun die Bundesregierung an. Bereits am 24. April einigten sich Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr damaliger japanischer Amtskollege Tarō Kōno in einem Telefongespräch, die Militärkooperation “kraftvoll” voranzutreiben. Beide Seiten bekannten sich dabei zu einem “freien und offenen Indo-Pazifik” (“Free and Open Indo-Pacific”); dabei handelt es sich um eine Parole, die vor allem von der US-Militärpolitik genutzt wird.[5] Am 10. November und an diesem Dienstag (15. Dezember) folgten zwei weitere Telefongespräche zwischen Kramp-Karrenbauer und ihrem neuen japanischen Amtskollegen Nobuo Kishi, die sich gleichfalls um etwaige gemeinsame Aktivitäten im “Indo-Pazifik” drehten. Die deutsche Verteidigungsministerin betonte dabei das Interesse Berlins, in der Region “mehr Präsenz zu zeigen”; dies könne, hieß es, etwa durch “Teilnahme an militärischen Übungen oder Hafenbesuche von Marine-Einheiten” geschehen.[6] Kramp-Karrenbauer hob auch hervor, man wünsche eine “Zusammenarbeit mit Japan im Bereich der Cyberverteidigung und Digitalisierung der Streitkräfte”. Zudem habe sie “nach weiteren Kooperationsmöglichkeiten aus japanischer Sicht” gefragt, teilt das Bundesverteidigungsministerium mit.
Rüsten gegen China
Japan, dessen Verfassung – eine Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg – die Aktivitäten der japanischen Streitkräfte eigentlich explizit auf die Landesverteidigung beschränkt, ist bereits seit Jahren dabei, seine militärischen Aktivitäten im Ausland auszuweiten. Im Jahr 2015 stimmte das Parlament in Tokio einem Gesetz zu, das es erlaubt, die Verfassung neu zu “interpretieren”; den japanischen Streitkräften ist es seitdem erlaubt, zur “kollektiven Selbstverteidigung” auch im Ausland zu operieren. Im Jahr 2018 stellte Japan mit der neuen Amphibious Rapid Deployment Brigade zum ersten Mal seit 1945 eine Einheit in Dienst, die speziell dafür ausgebildet ist, an fremden Küsten an Land zu gehen. Zudem stockt Tokio seinen Militärhaushalt systematisch auf: Für das Jahr 2021 sind Ausgaben in Höhe von 51,5 Milliarden US-Dollar geplant – die siebte Steigerung des Rüstungsetats in den vergangenen sieben Jahren.[7] Gut 48 Milliarden US-Dollar sind allein für den Bau eines Kampfjets der sechsten Generation vorgesehen, eines Gegenstücks zum deutsch-französischen FCAS (Future Combat Air System), das gemeinsam mit dem US-Konzern Lockheed Martin entwickelt wird. Der Kampfjet (“F-X”) soll bereits 2035 in den Krieg geschickt werden können und damit fünf Jahre früher als das FCAS.[8]
“Zwischenfall im Ostchinesischen Meer”
Dabei richtet sich die japanische Aufrüstung eindeutig gegen China. Die japanischen Streitkräfte haben im November an einem Großmanöver im Golf von Bengalen und im Arabischen Meer teilgenommen (“Malabar 2020”), das von Indien im Rahmen des Quad ausgerichtet wurde; beim Quad (Quadrilateral Security Dialogue) handelt es sich um einen lockeren Zusammenschluss der USA mit Japan, Australien und Indien – sämtlich Rivalen der Volksrepublik. Mitte November einigten sich Japan und Australien im Grundsatz auf einen Militärpakt, der eine Zusammenarbeit der Streitkräfte beider Länder erleichtert; als Gegner wird offen China benannt.[9] Schon im Oktober hatten Japan und Vietnam eine Vereinbarung getroffen, die Lieferungen japanischer Rüstungsprodukte in das südostasiatische Land vorsieht; auch dies richtet sich erklärtermaßen gegen China.[10] Aktuell wird in US-Militärkreisen zudem eine neue Analyse der RAND Corporation diskutiert, die unter dem Titel “Japans mögliche Beiträge bei einem Zwischenfall im Ostchinesischen Meer” künftige kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Volksrepublik durchdekliniert. Berlins neuer Militärpartner Tokio könne im Rahmen etwaiger Kämpfe gegen China eine wichtige Rolle spielen, heißt es in dem RAND-Papier. Zwar stehe die japanische Verfassung dem noch entgegen, heißt es weiter; Washington könne jedoch “erwarten”, dass deren “Interpretationen” so gestaltet würden, dass sie “US-Operationen unterstützen”.[11]
USA setzen Dutzende chinesische Unternehmen auf schwarze Liste
Der Chip-Hersteller SMIC soll Verbindungen zum chinesischen Militär haben. Die US-Regierung verhängt deswegen Sanktionen
Chinesischer Chipauftragsfertiger SMIC: Tumult in der Führung
Nach der Insolvenz von HSMC läuft es auch bei SMIC nicht gerade rund: Ein neuer Geschäftsführer und der Co-CEO knüpft seinen Verbleib an Bedingungen.
Die Welt teilt sich rasant in 2 Blöcke, man fragt sich, mit welchem Ausgang?
Berlin droht China
Verteidigungsministerium baut militärische Kooperationen in indopazifischem Raum aus. Gemeinsame Marineübungen geplant
Von Jörg Kronauer
Annegret Kramp-Karrenbauer macht Druck. Seit die Bundesregierung am 2. September offiziell ihre neuen »Indopazifik-Leitlinien« verabschiedete, hat die CDU-Verteidigungsministerin den Austausch mit ihren Amtskollegen und auf diplomatischer Ebene spürbar intensiviert. Die Leitlinien sehen neben der Verstärkung der allgemeinen deutschen Einflussarbeit in den Anrainerstaaten des Indischen und des Pazifischen Ozeans auch neue Aktivitäten der Bundeswehr in der riesigen Region rings um China vor.
Am 10. September startete Kramp-Karrenbauer ihre politische Offensive mit einem Treffen mit den Botschaftern des Berlin ASEAN Committee, denen sie erläuterte, »die indopazifische Region« sei »für Deutschland von herausragender strategischer Bedeutung«. Im November hielt sie Videokonferenzen mit ihren Amtskollegen aus Australien, Singapur und Japan ab – als Ersatz für eine Reise, die ursprünglich für den Sommer geplant gewesen war, dann aber pandemiebedingt zunächst auf den Herbst und letztlich in virtuelle Sphären verschoben werden musste. Am 9. Dezember trat Kramp-Karrenbauer als Gastrednerin bei einem virtuellen Treffen der ASEAN-Verteidigungsminister und ihrer Amtskollegen aus acht weiteren Staaten von Indien über China bis zu den USA auf. Den – vorläufigen – Abschluss bildete dann ein erneutes Videogespräch mit dem japanischen Verteidigungsminister Nobuo Kishi am 15. Dezember.
In der Summe zeichnen sich mittlerweile Schwerpunkte der militärischen Pläne Berlins für den »Indopazifik« recht deutlich ab. Einer davon ist die Militärkooperation mit Australien, dem Land, das sich in den vergangenen Jahren in der Region am schärfsten gegen China positioniert hat und dessen ultrarechter Premierminister Scott Morrison zuweilen als »australischer Trump« bezeichnet wird. Eine stärkere »Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich« mit Australien sah schon die »Berlin-Canberra-Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft« vor, die am 28. Januar 2013 unterzeichnet worden war und deren Funktion der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) mit der Äußerung zusammengefasst hatte, das Land sei Deutschlands »strategisches Sprungbrett in den asiatisch-pazifischen Raum«.
Im Oktober 2018 reiste Ursula von der Leyen (CDU) als erste deutsche Verteidigungsministerin überhaupt nach Canberra, um dort nach Gesprächen mit ihrem australischen Amtskollegen Christopher Pyne eine engere Kooperation der Bundeswehr mit Australiens Streitkräften in Aussicht zu stellen. Kramp-Karrenbauer kündigte Anfang November anlässlich ihrer Videokonferenz mit der seit 2019 amtierenden Verteidigungsministerin Linda Reynolds laut dem Sydney Morning Herald an, die deutsche Marine werde im nächsten Jahr eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Dies war eigentlich bereits für 2020 geplant, musste allerdings pandemiebedingt abgesagt werden. Des weiteren will Berlin unter anderem deutsche Marineoffiziere auf Schiffe der australischen Seestreitkräfte entsenden.
Eine engere Militärkooperation strebt die Bundesregierung darüber hinaus mit Indien und mit dem einstigen Achsenpartner Japan an. Bereits am 12. Februar 2019 hatten Verteidigungsministerin von der Leyen und ihre indische Amtskollegin Nirmala Sitharaman dazu ein bilaterales Abkommen unterzeichnet. Mitte März vertiefte dann der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, die Beziehungen in Gesprächen mit indischen Generälen in Neu-Delhi.
Mit Japan will sich Berlin – dies teilte Kramp-Karrenbauer nach ihrem jüngsten Gespräch mit Kishi mit – etwa »im Bereich der Cyberverteidigung und Digitalisierung der Streitkräfte« zusammentun, aber auch gemeinsame Manöver durchführen. Gemeinsame Marineübungen werden schon seit geraumer Zeit vor dem Horn von Afrika abgehalten, wo sowohl der EU-Einsatz Atalanta als auch die japanischen Seestreitkräfte Piraterie bekämpfen. Zuletzt fanden dort im Oktober Übungen unter aktiver Beteiligung japanischer, spanischer und italienischer Kriegsschiffe sowie deutscher Seefernaufklärer statt.
Nicht zuletzt baut die Bundesrepublik die militärischen Beziehungen zu Singapur aus, dem südostasiatischen Handelsdrehkreuz, das unmittelbar an der geostrategisch bedeutenden Straße von Malakka liegt. Bereits seit Jahren werden die Panzertruppen des dicht besiedelten Stadtstaats auf deutschen Übungsplätzen ausgebildet – eine Weile in Bergen, inzwischen in der Oberlausitz. Dies geht auch darauf zurück, dass die singapurischen Streitkräfte mehr als 200 Kampfpanzer des Typs »Leopard 2« nutzen. Seit kurzem ist darüber hinaus ein deutscher Marineoffizier am Information Fusion Center stationiert, einer von Singapurs Marine betriebenen Einrichtung, die dem internationalen Austausch von Informationen zur »maritimen Sicherheit« dient. Dort sind Offiziere aus den ASEAN-Ländern, den USA, Australien, Frankreich und Großbritannien, aber auch aus China präsent.
Jenseits ihrer bilateralen Aktivitäten setzt sich die Bundesregierung dafür ein, die Kooperation der NATO mit ausgewählten Ländern der Region voranzutreiben. Die Kriegsallianz unterhält unter der Bezeichnung »Partners Across the Globe« zu einigen Staaten jenseits des transatlantischen Bündnisgebiets engere Beziehungen. Dazu gehören neben Afghanistan, Pakistan, dem Irak, der Mongolei und Kolumbien auch Australien und Neuseeland sowie Japan und Südkorea. Berlins Plädoyer für eine engere Zusammenarbeit steht demnach im Einklang mit Beschlüssen des jüngsten NATO-Außenministertreffens Anfang Dezember, denen zufolge es gelte, »Konsultation und Kooperation mit indopazifischen Partnern« zu vertiefen.
Hintergrund: Lukrativer Waffenabsatz
Von der Aufrüstung der »Indopazifik«-Staaten gegen China profitieren deutsche Waffenschmieden. Australien ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Käufer deutschen Kriegsgeräts geworden und liegt seit 2016 in der Rangliste der deutschen Rüstungsexporte durchweg zwischen Platz sieben und Platz drei. Rheinmetall etwa erzielte 2018 bereits fast 15 Prozent seines Umsatzes in der Absatzregion »Australien/Ozeanien«, beliefert Canberra mit Militär-Lkw und Radpanzern vom Typ »Boxer« für insgesamt 2,1 Milliarden Euro und bewirbt sich zur Zeit um den Auftrag zur Lieferung von 450 Schützenpanzern (»Lynx«). Dabei soll es um ein Gesamtvolumen von 9,5 Milliarden Euro gehen. Die Bremer Lürssen-Werft produziert als Generalunternehmer in Australien zwölf Küstenwachboote, die hochseetauglich und für Patrouillenfahrten aller Art geeignet sein sollen. Das Auftragsvolumen beträgt in diesem Fall fast 2,6 Milliarden Euro.
Umfangreiche Rüstungseinkäufe tätigt auch Singapur. Neben über 200 Kampfpanzern des Typs »Leopard 2« besitzt der Stadtstaat sechs Korvetten, die von der staatseigenen Singapore Technologies Engineering gemeinsam mit der Lürssen-Werft gebaut wurden; auch hat er vier U-Boote bei Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) bestellt.
Indien kauft regelmäßig Rüstungsgüter im Wert von rund 100 Millionen Euro jährlich ein, teils auch mehr. Aktuell bewirbt sich TKMS um einen Auftrag zur Lieferung von sechs U-Booten an die indische Marine, dessen Wert Milliardenhöhe erreichen wird.
Einer der größten Kunden deutscher Waffenschmieden ist Südkorea: Das Land verfügt unter anderem über acht U-Boote deutscher Bauart und über fast 180 Boden-Luft-Raketen vom Typ »Taurus«. Zudem nutzt es eine hohe Zahl an Bauteilen und Motoren deutscher Hersteller etwa für Kriegsschiffe und für Panzer. (jk)
In Österreich baut übrigens Huawei das G5-Netz aus, soweit man diesem Artikel Glauben schenken darf:
Ab 2020 wird 5G in Österreich ausgebaut: Chancen und Potenziale des neuen Standards
Das neue Wunderkind der Mobilfunkbranche heißt 5G: Dadurch werden schnelle Übertragungen bei kurzer Verzögerung und niedrigem Energieverbrauch ermöglicht. Der brutkasten hat Führungskräfte der drei Mobilfunknetzbetreiber befragt, wann 5G in Österreich verfügbar sein wird – und was wir dann damit anstellen können.
https://www.derbrutkasten.com/5g-magenta-a1-drei-2020/
Investitionsabkommen zwischen EU und China
Beijing. Das Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China wird europäischen Unternehmen Staats- und Parteichef Xi Jinping zufolge mehr Zugang auf den chinesischen Markt ermöglichen. Es werde auch ein besseres Geschäftsumfeld und stärkere institutionelle Garantien bieten, sagte der Präsident nach Angaben chinesischer Staatsmedien vom Mittwoch nach der Verkündung der grundsätzlichen Einigung. Xi Jinping zeigte sich zuversichtlich, dass das Abkommen auch die Erholung der Weltwirtschaft nach der Coronapandemie ankurbeln werde. Es werde den globalen Handel und die »Liberalisierung« von Investitionen fördern. Somit werde ein bedeutender Beitrag für die Entwicklung der beiden großen Märkte in Europa und China geleistet. Das Abkommen demonstriere Chinas Zuversicht in bezug auf eine weitere Öffnung, hieß es weiter. (dpa/jW)
Aufstieg zur Weltmacht verhindern
Jahresrückblick 2020. Heute: US-Handelskrieg gegen China. Washington zieht mit Sanktionen gegen Hightech-Branche der Volksrepublik zu Felde
Von Jörg Kronauer
Das Jahr 2020 hatte kaum begonnen, von den globalen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie war noch nichts zu ahnen, da unterzeichneten US-Präsident Donald Trump und Chinas Vizeministerpräsident Liu He am 15. Januar im East Room des Weißen Hauses die Vereinbarung, die im fast zwei Jahre währenden US-Handelskrieg gegen die Volksrepublik als Wende gepriesen wurde: den »Phase One Deal«. Beijing machte ein paar Zugeständnisse, sagte eine Ausweitung seiner Importe aus den USA um 200 Milliarden US-Dollar binnen zwei Jahren zu, um das klaffende US-Handelsdefizit zu reduzieren, und versprach zudem einen besseren Schutz geistigen Eigentums. Washington verzichtete im Gegenzug auf angedrohte neue Strafzölle, halbierte einige weitere; das wars. Trump konnte zu Beginn des Wahljahres damit punkten, dass sich für US-Farmer und -Fracker der chinesische Absatzmarkt wieder weit auftat, während China als Erfolg verbuchte, dass die US-Administration von ihrer Forderung nach Beschränkungen chinesischer Staatssubventionen stillschweigend abgerückt war. Ein begrenzter Waffenstillstand an der Handelsfront: Das war der »Phase One Deal« wohl – aber auch nicht mehr.
Chinas Achillesferse
An allen anderen Fronten haben die Vereinigten Staaten ihren Wirtschaftskrieg gegen China im gesamten Jahr 2020 denn auch unvermindert weitergeführt. Die Schlacht, die wohl am meisten ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist, ist die gegen Huawei. Im März unterzeichnete Trump ein Gesetz, das Mobilfunkanbieter in ländlichen US-Regionen traf. Die Konzerne, die mit hohem logistischen Aufwand riesige Territorien versorgen und bis Anfang 2019 häufig auf kostengünstige Huawei-Technologie gesetzt hatten, erhielten zunächst Ausnahmegenehmigungen vom Huawei-Bann. Damit war nun Schluss. Allerdings kostete dies nicht nur Huawei treue Kunden, es stürzte auch viele US-Anbieter in ein Dilemma: Noch Anfang Dezember beklagten sie, es koste sie insgesamt mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar, schon verbaute Huawei-Technologie zu ersetzen. Die Mittel dazu hätten sie nicht. Die versprochene Staatshilfe aber sei ausgeblieben. So könne es nicht weitergehen, wetterte Anfang Dezember das Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS): Man sei dabei, Tausenden unterversorgten ländlichen Kommunen auch noch die grundlegende Kommunikationsinfrastruktur wegzunehmen.
Viel schwerer wog freilich Washingtons nächster Schlag. Im Mai und im August untersagte es die US-Regierung in zwei Schritten allen Chipproduzenten weltweit, Huawei mit Halbleitern zu beliefern, bei deren Herstellung auch nur in irgendeiner Form US-Technologie genutzt wurde. Da praktisch keiner der großen Chipproduzenten ganz ohne US-Geräte und -Programme auskommt, lief dies mehr oder weniger auf einen vollständigen Halbleiterboykott gegen Huawei hinaus. Für den chinesischen Konzern geht es seitdem tatsächlich ums Ganze. Nicht, dass er der einzige wäre, der Schaden nimmt: Diverse IT-Konzerne, nicht zuletzt US-amerikanische, haben in Washington Ausnahmegenehmigungen zur Belieferung von Huawei beantragt, da ausfallende Exporte in Form hoher Einkommenseinbußen zu Buche schlagen. Kein Konzern aber lässt sich widerstandslos Milliarden wegnehmen. Seit Oktober sickerte durch, dass die Trump-Administration sich in der Tat veranlasst sieht, im Interesse der US-Industrie zuweilen Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Allerdings sucht sie dies auf Halbleiter zu beschränken, die für 5G nicht geeignet sind: Bei der Spitzentechnologie bleibt Huawei außen vor.
Dabei sind die US-Zwangsmaßnahmen gegen Huawei nur die Spitze des Eisbergs. Auch 2020 hat Washington Sanktionen gegen weitere chinesische Konzerne verhängt. Darunter befinden sich Textilunternehmen, die bis dahin prominente westliche Marken wie Calvin Klein oder Nike belieferten, aber auch Hightech-Firmen wie Nanchang O-Film Tech, die zum Beispiel Apple und Microsoft mit modernster Technologie versorgten. Besonders schwer wiegt, dass die Trump-Administration Anfang Dezember neben zahlreichen Unternehmen wie dem Drohnenhersteller DJI vor allem den Chiphersteller SMIC von sämtlichen US-Produkten abschnitt. Die Volksrepublik ist in vielen Technologiebranchen inzwischen an der Weltspitze angekommen oder steht kurz davor; sie hat jedoch eine Achillesferse: die Halbleiterproduktion, bei der sie noch um Jahre zurückliegt. SMIC ist der bedeutendste chinesische Chipproduzent. Auf ihm ruht ein guter Teil von Beijings Hoffnungen, den Rückstand so rasch wie möglich aufholen zu können. Die neuen US-Sanktionen gegen das Unternehmen zeigen, dass es Washington nicht mehr nur darum geht, Huawei und damit die chinesischen 5G-Ambitionen zunichte zu machen: Es geht zunehmend um die Zerstörung von Chinas gesamter Hightech-Branche.
Beijing schlägt zurück
Neben immer neuen US-Sanktionen hat das Jahr 2020 freilich auch etwas anderes gebracht: Die Volksrepublik hat erste Gegenmaßnahmen gestartet – noch relativ vorsichtig, doch sie legt sich das Instrumentarium für Abwehrschläge im Wirtschaftskrieg zurecht. So hat sie im September das Regelwerk für die bereits im Vorjahr angekündigte »Unreliable entity list« veröffentlicht – die Liste »unzuverlässiger« Unternehmen, die Strafmaßnahmen von chinesischer Seite zu gewärtigen haben. Gelistet werden können Firmen und Personen, die zentralen chinesischen Interessen Schaden zufügen. Darunter fällt es auch, chinesische Unternehmen unzulässig zu diskriminieren. Am 1. Dezember ist zudem ein neues Exportkontrollgesetz in Kraft getreten, das die Möglichkeit schafft, die Ausfuhr in China hergestellter Güter strikt zu reglementieren. Beides hat westliche Manager in Alarmstimmung versetzt. Dabei ist aus Sicht etwa ihrer Hightech-Konzerne die größte Gefahr womöglich eine andere: Was, wenn die Volksrepublik den US-geführten Wirtschaftskrieg übersteht, wenn es ihr etwa gelingt, eine eigene Halbleiterbranche aufzubauen und auch sonst ihre Lücken zu schließen? Die westlichen Konzerne hätten dann ihren wichtigsten Absatzmarkt verloren, und sie hätten es mit einer erheblich gestärkten chinesischen Konkurrenz zu tun. Im Wirtschaftskrieg geht es um alles oder nichts – und das nicht nur für China.
Trend der Geschichte
Chinas wirtschaftlicher Aufstieg
Von Simon Zeise
Nur noch wenige Tage sind es, bis Joseph Biden die Amtsgeschäfte des US-Präsidenten übernehmen wird. Der aggressive Kurs gegen China dürfte sich jedoch nur in Nuancen ändern. Die Vereinigten Staaten würden »mit China konkurrieren und Chinas Regierung für ihre Missbräuche in den Bereichen Handel, Technologie, Menschenrechte und anderen Bereichen zur Rechenschaft ziehen«, erklärte Biden am vergangenen Montag. Im Gegensatz zu Trump wolle er die Ziele der US-Regierung aber in einer »Koalition gleichgesinnter Partner und Verbündeter« verfolgen.
Der orange Mann im Weißen Haus führte sich in den vergangenen Wochen noch einmal auf wie ein Elefant im Porzellanladen: Im November erließ Trump ein Dekret, das weitreichende Sanktionen gegen Firmen und Personen aus der Volksrepublik vorsieht. Diese würden die US-Märkte »ausbeuten« und »kommunistische chinesische Militärkonzerne« finanzieren. Im Dezember unterzeichnete Trump den »Holding Foreign Companies Accountable Act«, eine Maßnahme, nach der börsennotierte Unternehmen nachweisen müssen, dass sie nicht im Besitz ausländischer Regierungen sind oder von diesen kontrolliert werden. Am vergangenen Donnerstag kündigte die New Yorker Börse an, die drei Aktiengesellschaften »China Unicom Hong Kong«, »China Mobile«, und »China Telecom« vom Handel auszuschließen.
In Beijing ist man mit der Geduld am Ende. Außenminister Wang Yi sagte am Sonnabend in einem Interview mit mehreren chinesischen Medien, die sino-US-amerikanischen Beziehungen stünden an einer »neuen Wegscheide«. Die Vereinigten Staaten müssten das vom chinesischen Volk gewählte Sozialsystem, den Entwicklungspfad und dessen legitime Rechte auf ein besseres Leben respektieren. In Richtung Washington erklärte Wang, der beste Weg, um einen Vorsprung zu halten, bestünde in der »ständigen Selbstverbesserung« und nicht in der »Blockierung der Entwicklung anderer«. Entwicklungsperspektiven seien nötig, die dem Trend der Geschichte entsprächen. Entgegen der in Brüssel und Berlin vertretenen Staatsräson seien China und die EU keine »systemischen Rivalen«, sondern »strategische Partner«, schloss Wang.
Das deutsche Kapital schaltet bei solchen Sätzen auf Durchzug. Mitte Dezember hatte der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) die Bertelsmann-Stiftung Szenarien des Scheiterns des chinesischen Wirtschaftsplans »Made in China 2025« durchspielen lassen. Nur wenn es Beijing nicht gelinge, die darin vorgesehene Industrialisierung des heimischen Maschinenbaus voranzutreiben, lockten weiterhin hohe Exportprofite für den VDMA. Könne China weiterhin in Abhängigkeit gehalten werden, sei im besten Fall bis 2030 ein jährliches Handelsvolumen von 34 Milliarden Euro möglich. Jedoch: »Es sieht nicht so aus, als würde China daran scheitern«, schätzt die Bertelsmann-Stiftung. Der Gaul der Geschichte des Westens hinkt.
Merz will Verhältnis zu China »klären«
Berlin. CDU-Vorsitzendenkandidat Friedrich Merz sieht eine Klärung des Verhältnisses zu China als wichtigstes »transatlantisches« Thema in der Zusammenarbeit mit dem neuen US-Präsidenten Joseph Biden. Die USA würden unter Biden nicht weit von der Linie des scheidenden Präsidenten Donald Trump abweichen, sagte Merz am Freitag der Nachrichtenagentur dpa. Man müsse sich fragen: »Was will Deutschland?« Biden hatte Anfang Dezember angekündigt, dass er die von Trump eingeführten Zusatzzölle auf Produkte aus China und andere Maßnahmen im Handelskonflikt vorerst beibehalten will. »Das ist die Zeit für wirklich große strategische Entscheidungen«, sagte Merz. (dpa/jW)
China kriegt es sicher hin, seine „Lücken“ in der Produktion zu schließen.
Die sind ja erst zu Lücken geworden, nachdem die USA auf die antichinesische Linie geschaltet haben.
Vorher war das der von den medialen und wirtschaftswissenschaftlichen Sprachrohren des Freien Westens gepredigte friedliche Handel und Wandel, wo der eine das herstellt, was der andere braucht und umgekehrt, und alle sind zufrieden.
China wollte erstens die Technologie anderer Staaten nützen, um sich auf seine eigenen Ziele konzentrieren zu können.
Zweitens wollte es sich auch gegenüber USA und EU als Handelspartner beliebt machen, der nicht nur mit seinem Zeug die anderen Märkte überschwemmt, sondern auch dort kräftig einkauft.
Aber heute machen die sicher in China alles, um sich unabhängig von Technologieimporten zu machen, und das kriegen sie auch hin.
Berlin setzt die Duftmarken
Investitionsabkommen mit China: Deutsche Unternehmen haben größten Nutzen, Unmut in weiteren EU-Staaten
Von Jörg Kronauer
In beinahe letzter Minute der deutschen Ratspräsidentschaft konnte es noch geschlossen werden: das Investitionsabkommen, auf das sich die EU und China am 30. Dezember unter dem formellen Titel »Comprehensive Agreement on Investment« (CAI) politisch geeinigt haben. Nach sieben Jahre währenden Verhandlungen steht nun ein Vertrag im wesentlichen fest, der wechselseitige Investitionen zwischen der Union und der Volksrepublik erleichtert und so Voraussetzungen dafür schafft, die wirtschaftlichen Bindungen zwischen beiden Seiten weiter zu intensivieren. In einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten auf scharfe Konfrontation mit China und auf ökonomische »Entkopplung« (»Decoupling«) setzen, ist das politisch recht brisant.
Auf ökonomischer Ebene ist die Einigung auf das CAI folgerichtig, jedoch nicht allzu spektakulär. Folgerichtig, da China mittlerweile zweitwichtigster Handelspartner und einer der bedeutendsten Investitionsstandorte von Unternehmen aus der EU ist – und weil das Land, wie die EU-Kommission in ihren Erläuterungen zu dem Investitionsabkommen festhält, mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern, deren Kaufkraft beständig wächst, ein höchst attraktiver, lange noch nicht ausgereizter Absatzmarkt ist. Was die Kommission nicht erwähnt: Den größten Nutzen aus dem CAI werden wohl deutsche Unternehmen ziehen können, da sie in China präsenter sind als Firmen aus sämtlichen anderen EU-Staaten. So entfielen im Vorkrisenjahr 2019 von den 560 Milliarden Euro, auf die sich der Handel zwischen der Union und der Volksrepublik belief, beinahe 206 Milliarden auf den deutsch-chinesischen Handel. Von den 140 Milliarden Euro, die Firmen aus der EU laut Kommissionsangaben in den vergangenen 20 Jahren in China investiert hatten, stammten laut Statistik der Bundesbank gut 86 Milliarden aus Deutschland. Französische Unternehmen etwa brachten es lediglich auf 25 Milliarden Euro.
Technisch nicht allzu spektakulär ist das CAI, weil es vor allem längst eingeleitete Entwicklungen fest- und fortschreibt, einige hochgesteckte Wünsche der deutschen Wirtschaft aber nicht erfüllt. So wird die Pflicht, Investitionen in der Volksrepublik in Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen zu tätigen, für weitere Bereiche aufgehoben. Schon jetzt darf etwa BASF komplett eigenständig im Land investieren; eine entsprechende Regelung für die Kfz-Branche ist beschlossen. Laut dem CAI werden künftig zum Beispiel auch private Krankenhausbetreiber auf einen einheimischen Joint-Venture-Partner verzichten können. Nach – unter anderem – der Finanzbranche sollen weitere Sektoren für ausländische Beteiligungen geöffnet werden, darunter Clouddienste sowie die Telekommunikation. Chinesische Staatsunternehmen dürfen künftig nicht mehr Lieferanten aus der Volksrepublik bevorzugen, sondern müssen Kaufentscheidungen nach ökonomischen Kriterien treffen. Die Forderung, dass Firmen aus der EU bei öffentlichen Ausschreibungen nicht ausgeschlossen werden dürften – so wie es Huawei jetzt in einer steigenden Zahl an EU-Staaten widerfährt –, wird allerdings nicht erfüllt. Auch werden staatliche Subventionen – anders, als Berlin es wollte – nicht eingeschränkt.
Das CAI ist gegen Ende des Jahres 2020 von der Bundesregierung, die das Abkommen zu einem Schwerpunkt ihrer EU-Ratspräsidentschaft erklärt hatte, regelrecht durchgepeitscht worden – ganz in Übereinstimmung mit den Interessen der deutschen Industrie, für die das China-Geschäft teils existentielle Bedeutung besitzt. Bei diversen anderen EU-Regierungen hat das für Unmut gesorgt. Paris etwa war verärgert, weil in der Union – wieder einmal – deutsche Interessen bedient werden, während französische regelmäßig ausgebremst sind, zuletzt beispielsweise im Streit um Türkei-Sanktionen. Präsident Emmanuel Macron ließ sich allerdings einfangen, indem ihm zugestanden wurde, neben Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Repräsentantin der deutschen Ratspräsidentschaft, an der Videokonferenz mit Chinas Präsident Xi Jinping anlässlich der Einigung auf das Abkommen teilzunehmen. Diese Extrawurst wiederum stieß der bei der Videokonferenz nicht vertretenen italienischen Regierung sauer auf. Rom hatte ohnehin zu bremsen versucht: eine kleine Revanche wohl dafür, dass Deutschland im März 2019 Italiens Anbindung an Chinas »Neue Seidenstraße« zu verhindern versucht und im März 2020 chinesische Covid-19-Hilfslieferungen für das Land heftig attackiert hatte. Beides müsse verhindert werden, da es Beijings Einfluss in Europa stärke, war jeweils in Berlin zu hören. Kooperation mit China ist demnach nur erwünscht, wenn die Bundesrepublik profitiert.
Auch bei kleineren EU-Staaten macht sich, wie ein EU-Diplomat gegenüber dem Onlineportal Politico Europe klagte, »eine Menge Frustration über die Art und Weise« breit, wie bei der Durchsetzung des CAI »die Kommission benutzt worden« sei, um deutschen Interessen zu dienen. Berlin habe sich in Brüssel nicht nur auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und deren Kabinettschef Björn Seibert stützen können, sondern auf weitere hochrangige EU-Funktionäre, insbesondere auf Sabine Weyand, die einflussreiche Leiterin der Generaldirektion Handel, und auf Michael Hager, den Kabinettschef von Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis – alles mächtige Figuren des gut geschmierten »deutschen Motors« in Brüssel, stellte Politico Europe fest. »Wenn sich Deutschland zu stark einschaltet, haben die kleineren EU-Staaten nichts zu sagen«, konstatierte der erwähnte EU-Diplomat: »Ist das die Art und Weise, wie die EU nach dem Brexit funktioniert?« Die Antwort hat er damit wohl selbst gegeben.
USA und EU verurteilen Festnahmen in Hongkong
Hongkong. Die Festnahme von mehr als 50 sogenannten Demokratieaktivisten in Hongkong hat in Brüssel und Washington Protest hervorgerufen. Die EU verlangte am Mittwoch die sofortige Freilassung der Oppositionellen und kündigte an, Sanktionen gegen China zu prüfen. Auch der designierte US-Außenminister Antony Blinken verurteilte die Festnahmen. Die 53 Personen wurden wegen Verstößen gegen das Sicherheitsgesetz eingesperrt. Das chinesische Außenministerium erklärte, mit den Festnahmen seien Versuche von »externen Kräften und Individuen in Hongkong« verhindert worden, die »Stabilität und Sicherheit Chinas zu untergraben«. (AFP/jW)
Auf langer Linie
US-Wirtschaftskrieg gegen China
Von Jörg Kronauer
Sollte noch jemand Zweifel daran gehegt haben, dass die künftige US-Administration den Trumpschen Aggressionskurs gegen China im wesentlichen fortsetzen wird: Antony Blinken, Joseph Bidens designierter Außenminister, hat sie jetzt ausgeräumt. Nach der jüngsten Verhaftung von rund 50 Protestaktivisten in Hongkong erklärte Blinken, die Maßnahme sei »ein Angriff auf diejenigen, die sich tapfer für universelle Rechte einsetzen«. Washington werde nach dem Personalwechsel im Weißen Haus fest an ihrer Seite stehen – gegen Beijing. Die Ankündigung ist konsequent. Schon im Mai, damals noch als außenpolitischer Berater des Präsidentschaftskandidaten, hatte Blinken erklärt, eine Regierung unter Biden werde im Konflikt um Hongkong auf breiter Basis Sanktionen verhängen: gegen chinesische Regierungsmitarbeiter, gegen Finanzinstitute, Unternehmen. Man wird sehen, ob da auch ein wenig Wahlkampfgeklapper mitschwang. Die Richtung aber, die Washington ab dem 20. Januar einschlagen wird, liegt auf der Hand.
Das gilt nicht nur für Hongkong, wo ein Teil der in den vergangenen Wochen festgenommenen Aktivisten enge Kontakte nach Washington unterhält, im Gespräch mit US-Abgeordneten scharfe Sanktionen gegen China gefordert oder gar offen zur Abspaltung der einstigen britischen Kolonie aufgerufen hat. Blinken war Nationaler Sicherheitsberater des Vizepräsidenten Biden, als dessen Chef Barack Obama 2011 seinen Schwenk nach Asien (»Pivot to Asia«) verkündete und systematisch die Positionen der Vereinigten Staaten gegen China zu stärken begann – eine Verlegung von US-Streitkräften vom Atlantik zum Pazifik inklusive. Obamas »Pivot« zeigt: Bei dem anschwellenden Machtkampf gegen das aufsteigende China geht es um eine lange Linie der Washingtoner Politik. Entsprechend gibt es für aggressive Maßnahmen gegen Beijing schon längst eine klare überparteiliche Mehrheit im US-Kongress.
Nichts Neues im Westen also? Nun, kleinere Kurskorrekturen sind nicht auszuschließen. So hat Biden zwar angekündigt, zunächst an den Strafzöllen gegen China festzuhalten, also auch den Wirtschaftskrieg gegen Beijing weiterzuführen. Die designierte Handelsbeauftragte Katherine Tai plädierte im vergangenen Jahr für eine »robuste politische Unterstützung für aggressive und mutige Schritte« gegen China, riet dann aber zu einem »strategischeren Ansatz«, der Zwangsmaßnahmen sorgfältig plant – eventuell in Absprache mit Verbündeten, um eine breite, geschlossene Front herzustellen. Blinken wiederum hat geäußert – wohl mit Blick auf die Profite, die so mancher US-Konzern in China erzielt –, eine komplette Abkopplung von der Volksrepublik liege nicht in US-Interesse. Mit einigen Feinjustierungen ist demnach vielleicht zu rechnen, mit einer Abkehr vom US-Aggressionskurs jedoch nicht: Der Machtkampf gegen den aufsteigenden Rivalen kennt kein Pardon.
Verzweifelter Angriff
US-Präsident holt gegen chinesische Unternehmen aus. New Yorker Börse zieht Verbot zurück
Zwei Wochen vor seinem Abgang aus dem Weißen Haus startet US-Präsident Donald Trump zum wiederholten Male einen Angriff auf chinesische Firmen. Obwohl seine Attacken gegen die Videoplattform Tik Tok in der Vergangenheit erfolglos blieben, will er nun versuchen, acht andere Anwendungen aus der Volksrepublik vom US-Markt zu verdrängen, darunter die Bezahldienste Alipay und We Chat Pay. So untersagte Trump am Dienstag per Erlass Geschäfte mit den Apps – allerdings mit dem üblichen Aufschub von 45 Tagen. Da er ab dem 20. Januar mit der Amtseinführung seines Nachfolgers Joseph Biden nicht mehr Präsident sein wird, wird es der neuen Regierung zufallen, die Order auszuführen oder aufzuheben.
Begründet wurde das Vorgehen gegen die Apps mit der Befürchtung, dass China die über sie erhaltenen Daten von US-amerikanischen Bürgern und Unternehmen missbrauchen könne. Trump habe das Handelsministerium auch angewiesen, weitere potentiell gefährliche Plattformen ausfindig zu machen, sagte ein Regierungsmitarbeiter in der Nacht zum Mittwoch. Private Informationen von den Geräten könnten in Datenbanken zur »globalen Unterdrückung« fließen, warnte er. Trump kämpfe gegen »digitalen Totalitarismus«, so der offizielle Sprech.
Ob diese erneute Offensive gegen chinesische Unternehmen erfolgreich sein wird, ist ungewiss. Schon seit dem Sommer versucht Washington, durch Verbote einen Verkauf zumindest des US-Geschäfts von Tik Tok an Unternehmen aus den Vereinigten Staaten zu erzwingen. Doch erst torpedierte die chinesische Regierung die Gespräche mit Verkaufsbeschränkungen für die entsprechende Software. Und dann befanden auch US-Richter, dass Trumps Regierung keine ausreichende rechtliche Grundlage für ihr Vorgehen gehabt habe. Die Tik-Tok-Verbote liegen deshalb auf Eis. Zudem stoppte ein US-Gericht Trumps Versuch, die Nachrichtenplattform We Chat in den USA zu verbieten.
Und auch die New Yorker Börse hat jüngst ihre Pläne aufgegeben, drei chinesische Telekommunikationsunternehmen nicht mehr zu listen. Die Entscheidung, China Telecom, China Mobile und China Unicom doch weiter für den Börsenhandel zuzulassen, sei nach Konsultationen mit den Regulierungsbehörden erfolgt, teilte die New York Stock Exchange (NYSE) am Montag mit. Näher begründete die Börse die Entscheidung nicht. Die Regierung in Beijing hatte die Pläne zum Entzug der Börsennotierung der chinesischen Firmen zuvor kritisiert und mit Gegenmaßnahmen gedroht. Die NYSE hatte erst Ende vergangener Woche angekündigt, die Notierung der drei chinesischen Unternehmen beenden zu wollen. Sie hatte dies mit einer Verordnung der scheidenden Regierung vom November begründet, durch die Investitionen in Firmen mit Verbindungen zum chinesischen Militär und Sicherheitsapparat verboten werden. Die Verordnung soll am 11. Januar in Kraft treten. (AFP/dpa/jW)
Nyse gibt Trumps Druck nach und sperrt chinesische Telecom-Konzerne
Börsenbetreiber New York Stock Exchange macht den Rückzieher vom Rückzieher und schließt nun doch drei große Telecom-Konzerne aus China vom Handel aus.
Der Ausschluß der 3 chinesischen Firmen ist sicher der Börsenleitung nicht recht. Die Börse ist ja interessiert, möglichst viele wichtige Unternehmen bei sich zu versammeln, und die Kapitalströme der ganzen Welt möglichst bei sich zu bündeln.
Auch der US-Regierung war Erscheinen chinesischer Unternehmen auf der US-Börse lange recht. Es gibt ja US-Aktionären die Möglichkeit, sich in chinesische Unternehmen einzukaufen und dann dort mitzureden.
Ich erinnere daran, daß einer der Gründe, warum Chodorkowski in Rußland in Ungnade fiel, sein Entschluß war, Jukos an die New Yorker Börse zu bringen und damit endgültig dem russischen staatlichen Einfluß zu entziehen.
Der Entschluß, chinesische Unternehmen von der Börse zu entfernen, zeigt also auch hier das Dilemma der USA: Beim Versuch, ihre Gegner zu schädigen, begeben sie sich auch des Einflusses auf sie und stacheln sie dabei an, von den USA unabhängige Parallelimperien aufzubauen.
Beijing kritisiert US-Position mit Taiwan
Beijing. Mit scharfer Kritik hat China auf die Entscheidung der US-Regierung reagiert, künftig offizielle Kontakte zur Regierung in Taiwan pflegen zu wollen. Außenamtssprecher Zhao Lijian warnte am Montag vor der Presse, die USA sollten alle Schritte unterlassen, ihre Beziehungen zu Taiwan aufzuwerten oder ihre militärische Kooperation zu stärken. Die noch bestehende US-Regierung unter Donald Trump hatte die Beschränkungen im Umgang ihrer Diplomaten und Regierungsvertreter mit Ansprechpartnern in Taiwan am Wochenende aufgehoben. (dpa/jW)
Ein Schritt zu weit
US-Aggression gegen China
Von Jörg Kronauer
Verbrannte Erde hinterlässt die Trump-Regierung nicht nur in der Innen-, sondern auch in der Außenpolitik. Nochaußenminister Michael Pompeo hat am Wochenende mitgeteilt, US-Diplomaten und -Regierungsvertreter dürften ab sofort ohne jede Einschränkung Beziehungen nach Taiwan pflegen. Um dem Nachdruck zu verleihen, wird Trumps UN-Botschafterin Kelly Craft am Mittwoch zu einem dreitägigen Besuch in Taipeh eintreffen und für den weltweiten Ausbau der politischen Beziehungen zur dortigen Führung plädieren. Damit bricht Washington die Ein-China-Politik, auf deren Einhaltung die USA sich in den 1970er Jahren verpflichtete – als Voraussetzung für die damalige Aufnahme von Beziehungen zur Volksrepublik. Aus Sicht antichinesischer Hardliner ist der Schritt nur konsequent: Die Trump-Regierung hatte erst im September den US-Gesundheitsminister als höchstrangiges Regierungsmitglied seit 1979 nach Taiwan geschickt und neue Rüstungsexporte auf die Insel genehmigt. Für Beijing aber ist die Ein-China-Politik eine rote Linie, die man nicht ungestraft übertritt.
Entsprechend überschattet die Ankündigung von Ex-CIA-Chef Pompeo den Amtsantritt von Joseph Biden. Man darf sich nichts vormachen: Schon die Obama-Regierung inklusive ihres Vizepräsidenten Biden hatte Taiwan mit milliardenschweren Waffenlieferungen hochgerüstet. Taiwan aufzuwerten und es militärisch noch stärker als bisher gegen die Volksrepublik in Stellung zu bringen, ist eine parteiübergreifende Linie der US-Außenpolitik. Pompeos Schritt geht allerdings wohl weiter, als es Bidens künftiger Führungsriege lieb ist. Aus ihr waren am Sonntag jedenfalls pikierte Töne zu vernehmen. Die Freude darüber, sich gleich zu Amtsantritt mit einer Maßnahme auseinandersetzen zu müssen, die die Spielräume in der China-Politik ganz empfindlich einschränkt, ist unter US-Demokraten – bei aller Entschlossenheit im Kampf gegen Beijing – doch recht gering.
Eine kleine Randbemerkung: Die Presseagentur dpa meldete am Sonntag, Pompeos Sprachduktus übernehmend, »die kommunistische Führung in Peking« betrachte die Insel Taiwan »als Teil der Volksrepublik, obwohl sie nie dazugehört hat«. Nun, Taiwan gehört offiziell seit dem späten 17. Jahrhundert zu China und wurde nur durch die japanische Kolonialherrschaft (1895 bis 1945) für 50 Jahre abgetrennt. China aber ist seit 1949 Volksrepublik; die UNO hat deren Vertreter in ihrer Resolution 2758 als »die einzigen legitimierten Vertreter Chinas« anerkannt. Von einer etwaigen Aufspaltung Chinas ist darin nicht die Rede. Nun wird das Völkerrecht, zum Glück, nicht in deutschen Redaktionsstuben gemacht. Gemacht wird dort aber die öffentliche Meinung. Dass die Einheit Chinas – ganz egal, wie man zum Konflikt um Taiwan steht – jetzt faktisch für inexistent erklärt wird, ist mit Blick auf die anschwellende Welle antichinesischer Agitation bemerkenswert.
Imperium unter Druck
Chinesischer Konzern Alibaba gewinnt immer mehr an Einfluss. Staatliche Behörden versuchen ihn einzuhegen
Von Jörg Kronauer
Die Frage »Wo ist Jack Ma?« treibt die westliche Medienwelt seit Tagen um. Die FAZ, die Wirtschaftswoche und die Taz haben sie wortgleich gestellt, die Washington Post, das Wall Street Journal und CNN, der Londoner Guardian, Radio France International, die Times of India und das Wirtschaftsblatt Nikkei aus Japan ebenso. Warum? Ma, Gründer und langjähriger Chef des chinesischen Onlinehandelskonzerns Alibaba, ist nicht mehr öffentlich aufgetreten, seit er am 24. Oktober auf einem Finanzforum in Shanghai Chinas Staatsbankern eine »Pfandleihermentalität« vorgeworfen hat.
Was ist los? Ist der reichste Mann des Landes, dessen Vermögen das US-Magazin Forbes aktuell auf 59,1 Milliarden US-Dollar schätzt, in Hausarrest, womöglich sogar in Haft? Steht ihm ein Gerichtsverfahren bevor? Oder hat er sich, wie es der US-Wirtschaftssender CNBC erfahren haben will, freiwillig aus dem Scheinwerferlicht zurückgezogen? Wer weiß. Klar ist nur eines: Ma und sein Alibaba-Imperium stehen schwer unter staatlichem Druck, und zwar aus mehreren Gründen.
Zunächst: Alibaba ist, wie andere private Internetkonzerne, zu groß und zu mächtig geworden. Die Firma droht ein Maß an Einfluss zu erlangen, das sich staatlicher Kontrolle entzöge und private Unternehmensinteressen dominant werden ließe. Alibaba konnte im dritten Quartal 2020 seinen Umsatz auf 20 Milliarden Euro und seinen Gewinn unterm Strich auf 3,67 Milliarden Euro steigern – bei weiter rasant zunehmender Tendenz. Was aber noch schwerer wiegt: Der Konzern hat eine immense Zahl an Nutzern, laut Eigenangaben fast eine Billion Menschen pro Jahr. Seine Bezahl-App Alipay wird heute von zwei Dritteln der chinesischen Bevölkerung genutzt; das Jahresvolumen der dabei getätigten Transaktionen belief sich zuletzt auf mehr als 14,4 Billionen Euro.
Längst ist das Unternehmen auf breiter Basis in die Finanzbranche eingedrungen, vergibt Kredite, greift immer weiter aus. Dabei verfügt die Firmengruppe – ein Spezifikum der Internetbranche – über gewaltige Datenmengen ihrer Kunden, deren Auswertung nicht nur Marktvorteile gegenüber der Konkurrenz verschafft. »Der Einfluss einiger Internetunternehmen reicht so weit, dass sie versuchen, gesellschaftliche Einstellungen und die Medienberichterstattung zu manipulieren«, zitierte Nikkei kürzlich Zhu Ning, einen Professor am Shanghai Advanced Institute of Finance. Für chinesische Privatunternehmen sei dies bisher strikt tabu.
Hinzu kommt, dass Ma immer wieder versucht hat, die Grenzen staatlicher Kontrolle zurückzudrängen. Nikkei erinnerte kürzlich daran, wie die chinesischen Behörden Alibaba vor gut fünf Jahren vorgeworfen hatten, in ihrem Onlinesortiment gefälschte Waren anzubieten. Die Firma schlug zurück, beschwerte sich offiziell – und die Behörden mussten einen demütigenden Rückzieher machen. Alibaba hatte es kurz zuvor, im September 2014, mit einem Rekordbörsengang an die Wall Street geschafft. Beijing zog es damals vor, den stolzen Erfolg nicht durch kleinliche Meckereien zu beschädigen. Allerdings nahmen die Behörden Konzernchef Ma immer stärker ins Visier. Viel ist spekuliert worden, der populäre Ma habe im September 2018 nicht ganz freiwillig angekündigt, sich im September 2019 nach 20 Jahren an der Spitze von Alibaba zurückzuziehen. Wie auch immer – am Tag nach seinem Rücktritt titelte die Parteizeitung Renmin Ribao: »Es gibt keine sogenannte Jack-Ma-Ära, nur eine Ära, in der es einen Jack Ma gibt«. Kurz darauf kündigte die Verwaltung in der Metropole Hangzhou, dem Alibaba-Firmensitz südwestlich von Shanghai, an, Beamte in der Konzernführung zu installieren.
Der nächste Schlag folgte im Herbst 2020. Als Auslöser gilt weithin, dass Ma die Staatsbanker am 24. Oktober öffentlich abkanzelte. Die tatsächliche Ursache reicht jedoch tiefer. Abgesehen davon, dass das Alibaba-Konglomerat immer mächtiger wurde und Ma weiterhin bockte, brachten die Aktivitäten der Firmengruppe mittlerweile ernsthafte Risiken mit sich. So vermittelt Ant Financial, Alibabas Finanzarm, Privatpersonen kurzfristige, nicht abgesicherte Darlehen bei Banken, von denen einige als risikoanfällig gelten. In einer Krise könnten Kreditausfälle bei diesen durchaus zu einer verheerenden Kettenreaktion führen und die chinesische Finanzbranche schwer erschüttern.
Dies ließ im Laufe des Jahres die Spannungen zwischen Ma und den Regierungsbehörden steigen. Sie eskalierten unmittelbar vor dem geplanten Börsengang von Ant Financial, der mit der Plazierung von Aktien in Shanghai und Hongkong im Wert von 34,4 Milliarden US-Dollar am 5. November erneut einen Weltrekord bringen sollte. Am 2. November bestellten Zentralbank und Behörden Ma zum Gespräch ein. Am 3. November zogen sie die Reißleine und stoppten den Börsengang.
Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Am 10. November veröffentlichten die Regulierungsbehörden einen Entwurf für ein neues Gesetz, das große Internetmonopole wie Alibaba straff an die Kandare nehmen soll. Neben Schritten, mit denen gefährlicher Wildwuchs bei Fintech-Konzernen wie Ant Financial zurechtgestutzt werden soll, stehen auch Datenschutzmaßnahmen auf dem Programm. Allgemein werden die Kriterien für unzulässige Monopolbildung dabei recht weit gefasst. Zudem stellte die Marktaufsicht klar, dass Regeln künftig auch eingehalten werden müssen – das war zuvor nicht unbedingt der Fall.
So zeigte sich, als am 14. Dezember Strafzahlungen gegen Alibaba und Tencent wegen nicht ordnungsgemäß angemeldeter Firmenübernahmen verhängt wurden, dass seit 2008 die Behörden in solchen Fällen nie eingeschritten waren. Das hatte seinen Grund: Ganz wie etwa auch Washington hatte Beijing darauf gesetzt, die Internetkonzerne an der langen Leine zu lassen, um die ungeheuren Weiten der Internetwirtschaft mit höchstem Tempo zu erschließen. Dies haben Alibaba, Tencent und Co. denn auch getan. Da ihr Einfluss nun aber überhandnimmt, gilt es, sie energisch zu zügeln. Die Volksrepublik steht damit nicht allein: Auch Washington versucht, Facebook, Google und Co. einzuhegen. Man wird sehen, ob bzw. wie dies den zwei dominierenden Weltmächten gelingt.
Hintergrund: Chinesische Internetriesen
Alibaba und die mit dem Onlinehändler verbundenen Finanzableger Ant Financial bzw. Alipay sind nicht die einzigen chinesischen Internetriesen, deren Größe und Macht überhandzunehmen droht. Ein weiterer ist Tencent, bekannt vor allem für Wechat, Chinas Pendant zu Whats-App. Wechat hat allerdings mehr Funktionen und ermöglicht beispielsweise, Essensbestellungen oder Terminbuchungen bei Ärzten vorzunehmen. Angegliedert ist mit Wechat Pay ein Bezahlservice ähnlich Alipay, der 2019 von rund 800 Millionen Menschen genutzt wurde und mit dem man bei vier von fünf kleineren und mittelgroßen Händlern in China bezahlen kann. Tencent ist darüber hinaus im lukrativen Onlinegaming präsent und treibt derzeit mit der Fusion der beiden Gamestreaming-Plattformen Huya und Douyu die Schaffung eines Spielegiganten mit gewaltiger Marktmacht voran.
Weitere, hierzulande noch wenig bekannte Beispiele: Neben Alibaba haben es inzwischen zwei weitere Onlinehändler geschafft, sich nennenswerte Marktanteile zu sichern. Deckte Alibaba 2019 noch gut 50 Prozent des chinesischen Markts ab, so waren es bei den Konkurrenten JD.com und Pinduoduo immerhin schon 26,5 respektive 12,8 Prozent. Der Essenslieferant Meituan dehnt sein Geschäftsfeld aus, hat bereits 2018 den Fahrradverleihdienst Mobike übernommen. Der Fahrdienstvermittler Didi Chuxing, ein Uber-Äquivalent, bemüht sich um einen Einstieg ins Cloud-Geschäft.
»Die Gewinner der Internetwirtschaft dominieren nicht nur ihr eigenes Feld«, zitierte unlängst die japanische Wirtschaftszeitung Nikkei den Fachanwalt Scott Yu von der Anwaltskanzlei Zhong Lun aus Beijing. »Sie können auch recht leicht in andere Geschäftsfelder expandieren und weitere Branchen dominieren, indem sie ihre Nutzerdaten einsetzen.« Einige von ihnen haben dabei – nach dem Vorbild von Alipay und Wechat Pay – ausgewählte Segmente der Finanzbranche im Visier. Dies zu regulieren ist ein wichtiges Element der jüngsten Schritte Beijings. (jk)
Hmmm.
Ich halte die aus dem demokratischen Lager kommende Beschwerde über angebliche Eier, die die scheidende Trump-Regierung angeblich dem neuen Potus legt, für ein politologisches Geschwätz ohne Bedeutung – vermutlich vor allem von Medien verbreitet, die sich um den guten Ruf der Weltmacht sorgen.
Wenn Biden und sein Team diese Maßnahmen nicht für gut halten, so können sie sie doch nach der Amtsübernahme wieder zurücknehmen.
Sie haben in dieser Frage genausoviel „Spielräume“ wie ihr Vorgänger.
Medienwirksames Engagement
Der chinesische Unternehmer Jack Ma begann schon früh damit, auch gesellschaftliche Belange zu fördern
Von Jörg Kronauer
Jack Ma hat früh angefangen, seine bemerkenswerten Geschäftserfolge um gesellschaftliches Engagement zu ergänzen. Bereits 2006 startete Alibaba ein Programm, das mittellosen Müttern in der Volksrepublik Zugang zu Fortbildungen und zu Anschubfinanzierungen gewährte, mit denen sie sich als Onlineunternehmerinnen selbständig machen konnten. Im Dezember 2011 gründete Alibaba die Alibaba Foundation, die jedes Jahr 0,3 Prozent des Konzernumsatzes erhalten soll. Sie fördert unter anderem die schulische Bildung in ländlichen Regionen und setzt sich für Umweltbelange ein.
Im Dezember 2014, drei Monate nach Alibabas erfolgreichem Börsengang in New York, gründete Ma zusätzlich die Jack Ma Foundation. Sie hält Anteile an Alibaba, deren Wert sich Ende 2019 auf 4,6 Milliarden US-Dollar belief. Die Stiftung widmet sich ebenfalls dem Erziehungswesen sowie dem Umweltschutz, darüber hinaus aber auch der Förderung von Internetunternehmern. So vergibt sie seit 2018 – beschränkt auf zunächst ein Jahrzehnt – einen Preis an jährlich zehn Menschen aus afrikanischen Staaten, die attraktive Konzepte für Onlinefirmen entwickelt haben. PR-wirksam ist nicht zuletzt, dass die Jack Ma Foundation gemeinsam mit zwei weiteren Stiftungen – der Alipay Foundation und der Stiftung des Alibaba-Mitgründers Joseph Tsai – 143 Millionen US-Dollar zur Förderung des chinesischen Frauenfußballs locker macht.
Als unerwartet folgenreich hat sich nun erwiesen, dass die Jack Ma Foundation auch auf medizinischem Feld tätig ist. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat sie begonnen, Hilfslieferungen zu organisieren – in zahlreiche Länder Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Europas. Sorgte sie zunächst für medizinische Schutzausrüstung und dafür, dass Erfahrungen aus chinesischen Krankenhäusern bei der Behandlung von Covid-19-Patienten in anderen Ländern zugänglich wurden, so hat sie auch die Entwicklung von Impfstoffen finanziell gefördert. Heute wird die Lieferung von Impfstoffen an Drittstaaten unter anderem von der Alibaba-Logistiktochter Cainiao in Kooperation mit Ethiopian Airlines durchgeführt.
Seine Stiftungstätigkeit hat Ma zusätzliche Popularität gebracht. Zuweilen wird auf Parallelen zu einem ganz anderen Fall verwiesen – zu dem russischen Oligarchen Michail Chodorkowski, der im Jahr 2001 ebenfalls begann, seine Geschäftstätigkeit um andere Aktivitäten zu erweitern. Der damals reichste Mann Russlands geriet bekanntlich, allzu stark und mächtig geworden, mit der russischen Regierung in Konflikt, die 2003 mit harten Bandagen gegen ihn vorging. Die Folgen sind bekannt.
Stephan Kaufman: USA und China. Trumps Irrtum
Der Handelskrieg gegen China ist gescheitert. Vorerst.
Donald Trump muss nächste Woche nicht nur das Weiße Haus räumen. Verwehrt blieb ihm auch ein Erfolg in seinem wichtigsten globalen Projekt: die Schwächung Chinas. Der jahrelange Zollkrieg hat weder der US-Wirtschaft genutzt, noch der chinesischen nennenswert geschadet. Denn die Volksrepublik ist längst zu bedeutsam für die globale Wirtschaft geworden. Trumps Nachfolger Joe Biden hat daher nun angekündigt, im Kampf gegen Peking auf die Unterstützung Europas und anderer Verbündeter zu setzen. Damit stellt Biden zum einen klar: Was ihn von seinem Vorgänger unterscheidet, ist nicht das Ziel, es sind vielmehr die Mittel, um es zu erreichen. Gleichzeitig liefert er das Eingeständnis: Allein sind die USA nicht mehr stark genug, China niederzuringen.
Seit Jahren versucht die US-Regierung, ihr Gewicht im globalen Handel einzusetzen, um wirtschaftliche und politische Ziele zu verfolgen. Hauptgegner in diesen Kämpfen ist die Volksrepublik…
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1147054.usa-und-china-trumps-irrtum.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Angst vor wirtschaftlicher Abkopplung
EU-Konzerne warnen vor »Decoupling« Chinas. Industrie drohen enorme Einbußen
Von Jörg Kronauer
Die EU-Handelskammer in China warnt eindringlich vor einer Fortsetzung der US-Bestrebungen, eine Abkopplung der chinesischen Wirtschaft voranzutreiben. Zwar hätten die Strafzollattacken der Trump-Administration ihr Ziel verfehlt, die chinesische Industrie ernsthaft zu schädigen, heißt es in einer Studie, die die Handelskammer und der Berliner Thinktank Merics (Mercator Institute for China Studies) am Donnerstag in Beijing gemeinsam vorstellten. Zu einer schweren Bedrohung werde aber das »Decoupling«, der Versuch, Chinas Wirtschaft soweit wie möglich zu isolieren. Von US-Aktivitäten in diesem Zusammenhang – insbesondere von Sanktionen gegen einzelne chinesische Unternehmen – seien inzwischen 96 Prozent aller in der Volksrepublik tätigen Firmen aus der EU betroffen. Mehr als die Hälfte verzeichne bereits negative Ergebnisse, 72 Prozent rechneten mit weiteren Konsequenzen. »Wir sehen einen Sturm aufziehen«, ließ sich Jörg Wuttke, Präsident der Handelskammer und seit 1997 BASF-Generalbevollmächtigter in China, zitieren.
Die Sorgen, die sich Unternehmen aus der EU machen, reichen dabei deutlich über die bislang verhängten US-Sanktionen, etwa gegen Huawei oder den Chiphersteller SMIC aus Shanghai, hinaus. Wozu derlei Zwangsmaßnahmen führen können, zeigt ein Beispiel, das Wirtschaftskreisen zufolge noch nichts mit Sanktionen, sondern lediglich mit pandemiebedingten Produktionsunterbrechungen zu tun hat: Im Dezember klagten VW und Zulieferer wie Continental und Bosch, ihre Fabriken in der Volksrepublik müssten die gerade erst wieder hochgefahrene Produktion schon wieder bremsen, weil Chiphersteller in Drittstaaten – eine Folge der Shutdowns – die benötigten Halbleiter nicht in ausreichendem Maß liefern könnten. Das könne die Autofabrikation um mehrere Monate verzögern und schwere Schäden anrichten. Sanktionen hätten tatsächlich das Potential, betroffene Werke sogar komplett lahmzulegen.
Noch gravierender wirken sich laut der Handelskammer-Merics-Studie jedoch die Bemühungen um eine Abkopplung bei den industriellen Standards sowie bei Daten und Normen in der Informations- und Kommunikationstechnologie aus. Dürfe man in China keine US-Hightechprodukte mehr nutzen, dann würden sich Unternehmen aus der EU mit einem – noch – schwächeren China-Geschäft wohl gänzlich aus der Volksrepublik zurückziehen müssen, während andere, die auf den dortigen Markt angewiesen seien – die deutsche Kfz-Branche etwa –, ihre Waren künftig in zwei Varianten produzieren müssten, in einer für China und einer für den Westen. Das werde ihnen herbe Nachteile bringen. Ernste Konsequenzen ergeben sich laut der Studie schon jetzt, weil Beijing auf die US-Abkopplungsbestrebungen mit dem Versuch reagiert, sich industriell vom Westen soweit wie möglich unabhängig zu machen. Im nächsten Fünfjahresplan, der sich gegenwärtig in der Endabstimmung befindet, ist das in der Doktrin von den »dualen Kreisläufen« festgelegt, deren innerer China für den Fall der Fälle soweit wie möglich Hightechautarkie sichern soll.
Die präsentierte Studie dringt zum einen darauf, beim US-Streben nach einem Decoupling nach Kräften zu bremsen, wenngleich die Autoren Skepsis erkennen lassen. Man dürfe nicht davon ausgehen, heißt es in dem Papier, dass die künftige Biden-Administration jenseits allfälliger neuer Feinjustierungen einen Kurswechsel vornehmen werde. Immerhin gehe das jüngst vereinbarte Investitionsabkommen zwischen der EU und China in die richtige Richtung. Zum anderen sind die Autoren der Studie bemüht, der Debatte einen neuen Spin zu geben und Beijing – vor allem mit Verweis auf die angestrebten »dualen Kreisläufe« – die Schuld am Decoupling zuzuschieben. Dass die Bemühungen der Volksrepublik um Hightechautarkie durch den US-Wirtschaftskrieg de facto erzwungen wurden, wird ausgeblendet. Dies ist um so bemerkenswerter, als auch die EU ihre aktuellen Bemühungen um industrielle Autarkie – eine »europäische Cloud«, eine »europäische Halbleiterproduktion« etc. – als Reaktion auf nicht mehr auszuschließende US-Sanktionen präsentiert.
Wachstum trotz Pandemie
China ist einzige große Volkswirtschaft, die 2020 nicht geschrumpft ist. Gute Prognosen für 2021
Chinas Wirtschaft ist trotz der Pandemie im vergangenen Jahr gewachsen. Wie die Nationale Statistikbehörde in Beijing am Montag mitteilte, wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft 2020 um 2,3 Prozent. Das Wachstum fiel damit größer aus, als viele Analysten erwartet hatten. Die Volksrepublik ist so laut Prognosen die einzige große Industrienation, die im Coronajahr nicht geschrumpft ist. Laut Zahlen der Behörde hatte die Wirtschaft zuletzt weiter Fahrt aufgenommen. Nach einem Plus von 4,9 Prozent im dritten Quartal legte sie im vierten Quartal um 6,5 Prozent im Vorjahresvergleich zu. Da das Land das Coronavirus seit dem Sommer weitestgehend im Griff hat und nur vereinzelt Infektionen und kleinere Ausbrüche registriert, haben sich die ökonomischen Aktivitäten wieder normalisiert. Zum Vergleich: In Deutschland, wo das Infektionsgeschehen immer noch hoch ist, ist die Wirtschaftsleistung im abgelaufenen Jahr laut Schätzung des Statistischen Bundesamtes um fünf Prozent eingebrochen.
Mit einem Wert von 101,6 Billionen Yuan (rund 13 Billionen Euro) habe das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) erstmals in einem Jahr die Marke von 100 Billionen Yuan überschritten, hob Ning Jizhe, Chef der Statistikbehörde, laut dpa am Montag hervor. Die jüngsten Erfolge zeigten, dass das Land einen weiteren großen Sprung gemacht habe. Die Stärke der chinesischen Wirtschaft ließ sich zuletzt auch an den Außenhandelszahlen des Landes ablesen, mit denen es bereits seit Monaten bergauf geht. Wie die Beijinger Zollbehörde vergangene Woche mitgeteilt hatte, waren allein im Dezember die Exporte im Vorjahresvergleich um 18,1 Prozent gestiegen. Die Importe hatten um 6,5 Prozent zugelegt.
»Die chinesische Wirtschaftsentwicklung 2020 bot sicher einen der wenigen Lichtblicke in der Welt«, sagte Max Zenglein vom Berliner Thinktank Merics (Mercator Institute for China Studies) am Montag in Berlin. Deutschen Unternehmen habe der Aufschwung in China geholfen, um Einbrüche auf anderen Märkten zu kompensieren. Die starken Exportzahlen seien damit zu erklären, dass sich die chinesische Wirtschaft schnell der neuen Nachfragesituation in anderen Staaten angepasst habe. So seien sowohl viel Elektronik für die Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen als auch medizinische Schutzausrüstung geliefert worden.
Auch in diesem Jahr wird damit gerechnet, dass China den ökonomischen Aufschwung fortsetzen wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von einem Wachstum von 7,9 Prozent für 2021 aus. Impulse werden durch den neuen Fünfjahresplan erwartet, der auf dem Volkskongress im März verabschiedet werden soll. Damit soll dort angesetzt werden, wo das Land in der Vergangenheit Rückschläge hinnehmen musste. Der Handels- und Technologiekrieg der USA gegen die Volksrepublik hat die Abhängigkeit vom Ausland in bestimmten Bereichen bewusst gemacht. Wie aus ersten Mitteilungen der Kommunistischen Partei zum neuen Plan hervorging, wird aus diesem Grund ein neuer Wirtschaftskurs eingeschlagen. Heimische Nachfrage und eigene Innovation sollen noch stärker gefördert werden. China will sich damit unabhängiger von den USA und dem Rest der Welt machen. (AFP/dpa/jW)
Verschärfter Handelskrieg gegen Beijing
US-Regierung macht Druck auf Huawei-Lieferanten. Chinas Volkswirtschaft wächst weiter
Die Trump-Regierung hat Huawei-Lieferanten, darunter den Chiphersteller Intel, benachrichtigt, dass sie bestimmte Lizenzen für den Verkauf an das chinesische Unternehmen widerruft und beabsichtigt, Dutzende von Anträgen zur Belieferung des Telekommunikationsunternehmens abzulehnen. Die Maßnahme ist die jüngste in einem langjährigen Versuch, den weltgrößten Telekommunikationsausrüster zu schwächen, den Washington als »Bedrohung der nationalen Sicherheit« ansieht. Von Intel bezieht Huawei Prozessoren und Datenträger zum Bau von Servern.
Huawei und Intel Corp. lehnten eine Stellungnahme ab. Das US-Handelsministerium sagte, es könne sich nicht zu spezifischen Lizenzierungsentscheidungen äußern, sondern arbeite weiterhin mit anderen Behörden zusammen, um die Richtlinien »konsequent« und in einer Weise anzuwenden, die »die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Interessen der USA schützt«.
Generell ist die aktuelle Situation chaotisch: Verschiedene Behörden, darunter das US-Verteidigungs- sowie das Handelsministerium hätten sich häufig nicht entscheiden können, wer Ausnahmegenehmigungen zur Belieferung erhält und wer nicht. Bei rund 150 Anträgen zu Gütern im Wert von 280 Milliarden Dollar (etwa 231 Milliarden Euro) stand laut Reuters-Informationen Anfang Januar noch eine Entscheidung aus.
Intel Corp. hatte ursprünglich von den US-Behörden Lizenzen erhalten, um weiterhin bestimmte Erzeugnisse an Huawei liefern zu dürfen. Eine Regel vom August besagte, dass Produkte, die für den 5G-Mobilfunkstandard zu nutzen sind, wahrscheinlich abgelehnt würden, aber über den Verkauf von weniger anspruchsvoller Technologie würde von Fall zu Fall entschieden werden. Damit scheint es jetzt vorbei zu sein.
Auch unter den Vorzeichen des Handelskriegs mit den USA und den Belastungen durch die Coronapandemie hat Chinas Wirtschaft im Jahr 2020 ein deutliches Wachstum geschafft. Das teilte das Pekinger Statistikamt am Montag mit. (Reuters/jW)
Streit über Mister Liu
Parteispenden: Australischer Geheimdienst stuft chinesischen Unternehmer als »Sicherheitsrisiko« ein
Von Thomas Berger
In Australien beschäftigen die drohende Abschiebung eines seit Jahren in Melbourne lebenden chinesischen Geschäftsmanns und seine Verbindung zu mindestens zwei namhaften Mitgliedern der Regierung zu Jahresbeginn die Medien. Die Aufregung um die Aktivitäten von Liu Huifeng sind aus zwei Gründen von Interesse: Einerseits geht es abermals um das Schreckgespenst chinesischer Einflussnahme auf australisches Regierungshandeln. Andererseits wirft der aktuelle Fall ein weiteres Schlaglicht auf die trotz mehrerer Skandale in der Vergangenheit noch immer lockere Kontrolle von Parteispenden in dem Land. Davon hat nicht nur die rechte bürgerliche Koalition aus Liberal Party (LP) und National Party, sondern auch die oppositionelle Labor Party profitiert.
Der 52jährige Liu war im Zuge eines abschlägig beschiedenen Antrags auf dauerhaftes Aufenthaltsrecht vom Geheimdienst Australian Security Intelligence Organisation (ASIO) als »Sicherheitsrisiko« eingestuft worden und kämpft gegenwärtig auf gerichtlichem Wege gegen seine drohende Ausweisung. Das geht aus den Recherchen des öffentlich-rechtlichen Senders ABC von Anfang des Jahres hervor. Was die ASIO ihm genau vorwirft, ist bisher allerdings unklar. Die Angelegenheit hätte weniger Öffentlichkeit, wäre Liu nicht unter anderem auch großzügiger Spender der LP von Premierminister Scott Morrison und ein zumindest guter Bekannter zweier namhafter LP-Vertreter, nämlich des Vizeschatzkanzlers Michael Sukkar und der Abgeordneten Gladys Liu (nicht verwandt). Obwohl sich die beiden von ihm zu distanzieren versuchten, sind mehrere Treffen nachweisbar. Mehr aber bisher eben auch nicht.
Laut ABC lebt Liu mindestens seit 2014 in Melbourne, ist 2016 erstmals ins Visier von Beobachtern geraten und soll Offizier der chinesischen Volksbefreiungsarmee gewesen sein. Kein Geheimnis ist, dass er der Australia Emergency Assistance Association Inc. (AEAAI) vorsteht – einer Organisation, die Unterstützung für in Not geratene chinesische Muttersprachler anbietet. Konkrete Vorwürfe gegen AEAAI sind nicht publik.
Die Angelegenheit erinnert an einen Fall aus dem Jahr 2017. Damals stand der Unternehmer Huang Xiangmo im Mittelpunkt ähnlicher Auseinandersetzungen. Auch er hatte sich um ständige Residenz bemüht und war als »Sicherheitsrisiko« schließlich an der Wiedereinreise gehindert worden. Huang stand auf einer damals von ABC publizierten Liste chinesischer Geschäftsleute, die zwischen 2013 und 2015 fünf- und sechsstellige Spenden an den politischen Betrieb Australiens getätigt haben sollen. Konservative wie Sozialdemokraten sollen 2,7 Millionen australische Dollar, umgerechnet 1,72 Millionen Euro, von dem Unternehmer direkt oder seiner Firma Yuhu Group erhalten haben – strittig ist bis heute eine angebliche größere Barspende an Labor. Vor allem wegen dieses Falls hatte das Parlament im Folgejahr eine Verschärfung des Parteispendengesetzes beschlossen. Huang, dem Verbindungen zu chinesischen Regierungsstellen vorgeworfen wurden, sah sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, wie er noch 2019 in einer Erklärung betonte. Er fordere seine Spenden zurück, sollten diese nicht korrekt sein.
Wenn Intel den chinesischen Markt verliert, dürfte das eine erhebliche Einbuße für die Firma bedeuten.
In Australien kursiert offenbar das „Modell Sarkozy“ – erst sich mit Spendengeldern (Ghaddafis) an die Macht hieven lassen und dann auf den Spender losgehen!
China verbietet Pompeo und Bolton Einreise
Peking. China hat Sanktionen gegen mehrere Politiker der früheren US-Regierung von Expräsident Donald Trump verhängt, unter anderem gegen den bisherigen Außenminister Michael Pompeo und den früheren Sicherheitsberater John Bolton. Beide dürfen künftig nicht mehr nach China einreisen, wie das Außenministerium in Beijing am Mittwoch mitteilte. Zudem wurde ihnen verboten, Geschäfte mit chinesischen Firmen zu machen. Insgesamt sind 28 US-Bürger betroffen. In einer Mitteilung des Außenministeriums wurden die Sanktionen damit begründet, dass sich Pompeo und die anderen jahrelang in innere Angelegenheiten der Volksrepublik eingemischt und das chinesische Volk beleidigt hätten. Das Handeln solcher »anti-chinesischer Politiker« sei von Selbstsucht, Hass und Vorurteilen getrieben worden. (dpa/jW)
In der Einleitung zu einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik zur »Gesundheitsdiplomatie« Chinas heißt es:
Internationale Kooperation im Gesundheitssektor ist seit über fünf Jahren ein fester Bestandteil der chinesischen Seidenstraßeninitiative (BRI). Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie wirbt die chinesische Führung für diesen Teilbereich der Initiative (»Gesundheitsseidenstraße«) als einen Schlüssel für den Aufbau einer »Weltschicksalsgemeinschaft«. Die Pandemie offenbart die Stärken der BRI und ihre Funktionsweise. Chinas Gesundheitsdiplomatie agiert weitsichtig und strategisch. Beijing verknüpft Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in Hilfsempfängerstaaten mit der Aussicht auf Kooperation im Rahmen der BRI in der Zeit nach der Coronapandemie. Nicht zuletzt strebt Beijing danach, international als »verantwortungsvolle Großmacht« wahrgenommen zu werden. Der im Westen vielfach verengte Fokus auf Qualitätsmängel chinesischer Hilfsleistungen lässt verkennen, dass Beijing viele Drittstaaten effektiv und umfassend unterstützt hat, bei Abwesenheit traditioneller Hilfsgeber. (…)
Das Einreiseverbot für Pompeo ist rein symbolisch, so auf die Art: Wir können auch!
Der abgehalfterte Trump-Kumpan wird sich vermutlich was Besseres wissen als eine Reise ins Reich der Mitte.
CDU-Spitze für transatlantische China-Strategie
Berlin. Die CDU-Spitze hat sich für eine »transatlantische« Strategie im Umgang mit China ausgesprochen. »Deutschland, Europa und die USA müssen vor allem mit Blick auf China zu gemeinsamen Positionen finden«, heißt es in einem Beschluss des CDU-Vorstandes vom Montag unter dem Titel »Die Präsidentschaft Joe Bidens als Chance für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ergreifen«. Bei einer solchen Strategie spiele Deutschland eine entscheidende Rolle: »Wir müssen unsere Beziehungen zu China umfassend gestalten und dabei die geopolitische Dimension von Chinas Aufstieg ins Auge fassen.« Deutschland müsse aus seinem »Selbstverständnis heraus und als verlässlicher Bündnispartner mehr für die Sicherheit Deutschlands und Europas tun«, schreibt die CDU-Spitze. Gemeinsam mit den USA gebe es die Chance, die künftige Weltordnung weiterhin nach den Prinzipien der Offenheit und Zusammenarbeit zu prägen, heißt es im Beschluss weiter. Gerade für das Exportland Deutschland sei es wichtig, dass die Globalisierung »weiterentwickelt und nicht durch einen neuen Protektionismus abgelöst wird«. Wenn es Europa und den USA gelinge, die Welthandelsorganisation WTO wieder zu stärken, sich miteinander abzustimmen und rasch ein transatlantisches Handelsabkommen zu Kernfragen zu vereinbaren, könne man weiterhin Standards und Normen setzen und dadurch den globalen Wettbewerb »konstruktiv« gestalten. (dpa/jW)
Washington provoziert weiter
USA schicken Flugzeugträger in Südchinesisches Meer. Beijing verurteilt »Machtdemonstration«
Bereits in den ersten Tagen der Amtszeit des neuen US-Präsidenten Joseph Biden setzt Washington seine Provokationen der Volksrepublik China fort. Der chinesische Außenamtssprecher Zhao Lijian verurteilte am Montag vor der Presse in Beijing die Entsendung des US-Flugzeugträgers »USS Theodore Roosevelt« ins Südchinesische Meer als »Machtdemonstration«, die Frieden und Stabilität in der Region bedrohe.
Auch wies der Sprecher die US-amerikanische Forderung an Beijing zurück, seinen militärischen, wirtschaftlichen und diplomatischen »Druck« auf Taiwan einzustellen. Zhao unterstrich die chinesische Position, dass die Insel ein untrennbarer Teil der Volksrepublik sei. Die chinesische Regierung sei entschieden gegen Bestrebungen für eine Unabhängigkeit oder eine Einmischung externer Kräfte. Beijing sei durchaus zum Dialog bereit, allerdings nur auf der Grundlage des »Ein-China-Prinzips«. Der Außenamtssprecher forderte die USA auf, nicht »die falschen Signale« an Taiwans Unabhängigkeitskräfte zu senden, um nicht den Beziehungen zwischen China und den USA zu schaden.
Den Einsatz der »USS Theodore Roosevelt« im Südchinesischen Meer begründete die US-Marine damit, dass die Flugzeugträgergruppe für die »Freiheit der Navigation« in dem Seegebiet eintreten wolle, durch das zwei Drittel des Welthandels transportiert werden. Konteradmiral Doug Verissimo von der US-Marine wurde am Sonntag mit den Worten zitiert, es sei »großartig, wieder im Südchinesischen Meer zu sein, Routineoperationen zu unternehmen, die Freiheit der Meere zu fördern und Verbündete und Partner zu bestärken«. Die USA haben in der Vergangenheit bereits wiederholt Kriegsschiffe in die Region entsandt.
Am Sonnabend waren acht chinesische Bomber und vier Kampfflugzeuge der chinesischen Volksbefreiungsarmee durch ein von Taiwan als »Identifikationszone zur Luftverteidigung« (ADIZ) bezeichnetes Gebiet geflogen. Laut einer Stellungnahme der Streitkräfte der Insel vom Sonnabend sollte so die Luftabwehr getestet werden. (dpa/AFP/jW)
Wahnsinn Kapitalismus
USA: Säbelrasseln gegen China
Von Sebastian Carlens
Die US-Bourgeoisie hat die historische Anomalie des Trumpschen Interregnums für beendet erklärt und schickt sich an, zum sogenannten Normalbetrieb zurückzukehren. Der unterscheidet sich in nichts vom Stil des ehemaligen US-Präsidenten: Aufrüstung, Säbelgerassel und Machtpolitik werden weiterhin den Globus gefährlicher machen. Es hat keine fünf Tage im Amt gebraucht, bis Joseph Biden deutlich macht, dass Trumps Aggressionshaltung gegenüber China auch die seine ist.
Chinas Außenamtssprecher Zhao Lijian kritisierte am Montag die Entsendung eines US-Flugzeugträgers ins Südchinesische Meer. Dieser maritime Aufmarsch geschieht unter Verweis auf Taiwan; die USA verlangen von der Volksrepublik faktisch, ihre völkerrechtlichen Ansprüche auf die Insel fallenzulassen. Zhao betonte, dass Taiwan untrennbarer Teil seines Landes sei. Dies wird formal selbst von den USA akzeptiert und bildet die Basis für die diplomatischen Beziehungen beider Länder seit den 1970er Jahren. Das US-amerikanische Vorgehen ist der Versuch, Beijing bis zum Abbruch derselben zu provozieren. Die USA sind dabei, eine parallele Realität zu schaffen, in der das bevölkerungsreichste Land der Welt nicht mehr vorkommt – wie im Kalten Krieg bis 1971, als offiziell die winzige Insel Taiwan im UN-Sicherheitsrat das riesige China vertrat.
Das halbe Jahrhundert sino-US-amerikanischen Friedens ist vorbei. Dass Obama, Trump und nun auch Biden eine deutlich aggressivere Politik gegenüber China eingeschlagen haben als ihre Amtsvorgänger, hängt mit dessen Aufstieg zusammen, nicht mit einer parteipolitischen Färbung. Das Wall Street Journal berichtete am Montag, dass China laut UN-Zahlen die USA als wichtigsten Standort für ausländische Direktinvestitionen abgelöst habe. Während der Westen in der Coronapandemie ins Taumeln geraten ist, hat China die Krise bemerkenswert gelöst.
In den bürgerlichen Blättern auch hier – parallele Wirklichkeiten. Dort wird das kläglich gescheiterte westliche Vorgehen zum hehren Kampf der Werte des »Liberalismus« und der »Demokratie« mit denen einer »Diktatur« aufgeblasen. Man könnte es prosaischer fassen: Im Modell des Westens, nämlich dem der in Kauf genommenen »Durchseuchung« (und des bangen Hoffens auf die Impfung), lässt man Menschen sterben. Im zweiten Modell, dem chinesischen, wird das Virus eingedämmt, sobald es sich zeigt. Mit härteren, aber kürzeren Maßnahmen. Und, wie in Wuhan 2020, bei vollem Lohnausgleich und mit dem Ziel, so viele Leben wie möglich zu retten. Es ist tatsächlich eine Systemfrage.
Aus Sicht der Herrschenden besteht die ständige Gefahr, dass sich die Menschen dieser Alternativen bewusst werden und das Wahnsinnssystem Kapitalismus dahin befördern könnten, wohin es längst gehört: in den Sondermüll der Geschichte. Nur deshalb, damit diese Fragen niemals gestellt werden, gibt es so etwas wie Trump und Konsorten.
Das und die weiteren Überlegungen laufen darauf hinaus, zusammen mit den USA neue Regeln und Normen durchzusetzen und dann China darauf zu verpflichten.
Man kann die Unbescheidenheit nicht weiter treiben, um mit Nietzsche zu sprechen.
Was wäre, wenn Taiwan als eigenständiger Staat von den USA anerkannt würde? Ich nehme an, das ist es, worauf es die taiwanesische Präsidentin anzulegen scheint.
Was könnte China als Reaktion dagegen halten?
Krieg?
Blockade?
Was würde es für die Beziehungen China-EU bedeuten, wenn sich die EU diesem Schritt anschließen würde, wie bei dem Guaidó-Kasperltheater?
Umkämpfte Region
Wirtschaftsgipfel mit Ländern Mittel- und Osteuropas von China organisiert. USA üben Druck auf Teilnehmer aus
Von Reinhard Lauterbach
Der Machtkampf zwischen China und den USA spielt sich inzwischen auch in Osteuropa ab. Dies wurde deutlich bei einem am Dienstag online veranstalteten Wirtschaftsgipfel der Initiative »17+1« (auch China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel genannt, jW). Insbesondere die eng an die USA gebundenen baltischen Staaten senkten das protokollarische Niveau bei ihrer Teilnahme demonstrativ ab: Estland und Lettland entsandten statt ihrer Staatschefs nur die Außenminister, Litauen gar nur den Verkehrsminister.
In seiner Eingangsrede warb Chinas Staatspräsident Xi Jinping dafür, die Zusammenarbeit »auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und ohne politische Nebenbedingungen« aufzubauen. Alle beteiligten Staaten sollten ungeachtet ihrer jeweiligen Größe gleichberechtigte Partner dieser Kooperationen sein. Er kündigte an, China wolle seine Agrarimporte aus den Ländern Osteuropas in den nächsten fünf Jahren um 50 Prozent erhöhen. Insgesamt will China in diesem Zeitraum Waren für rund 140 Milliarden Euro aus der Region importieren.
Xis Fokus auf Agrarimporte speist sich aus dem Umstand, dass Ackerland in der Volksrepublik wegen der Geographie des Landes tendenziell knapp ist, weil dieselben Regionen sowohl landwirtschaftlich ertragreich als auch geeignet für Industrieansiedlungen sind. Chinesische Investoren versuchen seit längerem zum Beispiel in Polen, Flächen für die Produktion von Viehfutter zu pachten oder riesige Geflügelfarmen aufzubauen – nicht immer zur Freude der Anwohner der Projekte, die solche Pläne als »Landgrabbing« wahrnehmen und manchmal Bürgerinitiativen gegen solche Vorhaben gründen. Kurz vor dem Gipfel hatte China mit Polen und der Slowakei noch Verträge über Agrarlieferungen abgeschlossen. Polens Staatspräsident Andrzej Duda verlangte bei der Konferenz mit Xi, sein Land stärker als Quelle auch nichtlandwirtschaftlicher Importe zu berücksichtigen – und nicht nur als Absatzmarkt und Transitstation für chinesische Waren auf dem Weg nach Westeuropa.
Der große Trumpf von Xi in den Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten ist seine Bereitschaft, kurzfristig größere Mengen des chinesischen Coronaimpfstoffs zu liefern. Am 16. Januar traf zum Beispiel ein Flugzeug mit einer Million Dosen in Belgrad ein. Serbien hat insbesondere mit Hilfe von Vakzinen aus China und Russland die Immunisierungskampagne begonnen und steht mit einer Impfquote von acht Prozent in Europa auf Platz drei. Auch Ungarn hat inzwischen nationale Notfallzulassungen für den russischen und den chinesischen Impfstoff erteilt – weil die EU »zu langsam liefere«, wie Ministerpräsident Viktor Orban laut Süddeutsche Zeitung (Dienstagausgabe) sagte.
Im Vorfeld des Gipfels gab es, wie die Süddeutsche Zeitung aus EU-Kreisen erfahren hat, offenbar erheblichen Druck von der US-Seite auf die Länder Osteuropas, ihre Zusammenarbeit mit China einzustellen oder wenigstens zurückzufahren. Tatsächlich musste China in letzter Zeit in der Region eine Reihe wirtschaftlicher Rückschläge hinnehmen: So wurde laut FAZ (Montagausgabe) in den letzten Monaten »vom Baltikum bis Bulgarien« die Firma Huawei von der Beteiligung am Bau der 5G-Mobilfunknetze ausgeschlossen; in Tschechien und Rumänien kamen chinesische Bewerbungen für den Bau neuer Atomkraftwerke aus »Sicherheitsgründen« nicht zum Zuge; in Kroatien wurde die Ausschreibung für einen neuen Hafen an der Adria annulliert, weil ein chinesischer Bieter kurz davor stand, sie zu gewinnen.
Es sind dabei nicht nur die USA, die die in den letzten Jahren enger gewordenen Beziehungen zwischen China und einigen Staaten Osteuropas misstrauisch beäugen. Auch die EU nimmt das wachsende chinesische Engagement in einer Region, die Brüssel als eigenen »Hinterhof« betrachtet, mit Sorge wahr. Das Problem ist, dass sie in der Sache nicht viel dagegen unternehmen will oder kann. Eine Anfang dieses Monats veröffentlichte Studie des Thinktank »European Council on Foreign Relations« nennt die vielfältigen Kontakte Chinas in den Staaten des Westbalkans (gemeint ist das ehemalige Jugoslawien) eine »Herausforderung« für die EU. China nutze die »geopolitische Ambivalenz« der EU-Haltung gegenüber diesen Staaten aus – insbesondere die finanziell begründete Zurückhaltung, weitere Länder der Region in die Union aufzunehmen. Das zementiere den Entwicklungsrückstand der Länder und biete der Volksrepublik Chancen, sich selbst als Kooperationspartner zu etablieren.
Machtkämpfe um Ost- und Südosteuropa (10.02.2021)
Beijing baut mit der Lieferung von Impfstoffen seine Stellung in Ost- und Südosteuropa aus – zum Unwillen Berlins.
BELGRAD/BEIJING/BERLIN (Eigener Bericht) – Mit Blick auf das Impfdesaster der EU bietet China nach Serbien und Ungarn nun auch weiteren Staaten Ost- und Südosteuropas Covid-19-Impfstoffe an. Dies ist ein Ergebnis des gestrigen “17+1”-Gipfels, zu dem per Videokonferenz Vertreter von 17 ost- und südosteuropäischen Ländern mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping zusammentrafen. Im “17+1”-Format baut Beijing seit mittlerweile fast neun Jahren seine Beziehungen in die Region aus; im vergangenen Jahr stieg der Handel mit den beteiligten Staaten trotz der Coronakrise um 8,4 Prozent auf ein Volumen von über 103 Milliarden US-Dollar, und auch die chinesischen Investitionen dort nahmen erneut zu – dies, obwohl Brüssel, aber auch Washington massiven Druck ausüben, die Kooperation mit China zumindest einzuschränken. Wie es in einer aktuellen Untersuchung des European Council on Foreign Relations (ECFR) heißt, ist die Volksrepublik in den Nicht-EU-Staaten Südosteuropas, darunter Serbien, inzwischen “der bedeutendste Drittstaat geworden”. Dabei kämpft Berlin in der Region auch gegen US-amerikanische Einflussarbeit an.
17+1
Die “17+1”-Kooperation mit China hat den an ihr beteiligten zwölf EU- und fünf Nicht-EU-Staaten Ost- und Südosteuropas, seit das Format im Jahr 2012 gestartet wurde, einige ökonomische Vorteile gebracht. So ist das Handelsvolumen zwischen ihnen und der Volksrepublik seitdem um durchschnittlich acht Prozent pro Jahr gestiegen. Im vergangenen Jahr nahm der bilaterale Handel trotz der Coronakrise, die die Wirtschaft sonst einbrechen ließ, um 8,4 Prozent auf ein Volumen von 103,45 Milliarden US-Dollar zu. Zu den chinesischen Direktinvestitionen in der Region liegen unterschiedliche Angaben vor; laut dem Berliner Think-Tank Merics (Mercator Institute for China Studies) beliefen sie sich allein in den zwölf an “17+1” beteiligten EU-Staaten in der Zeit von 2010 bis 2019 auf 8,6 Milliarden Euro.[1] Hinzu kommen Projektfinanzierungen und Kredite ebenfalls in Milliardenhöhe. Bedeutende chinesische Investitionen wurden unter anderem in Griechenland und in Ungarn getätigt. In Griechenland ist der Hafen von Piräus, seit die China Ocean Shipping Company (COSCO) ihn übernahm, unter den europäischen Containerhäfen von Rang 17 auf Rang 4 aufgestiegen; er ist damit nun der größte europäische Containerhafen am Mittelmeer.[2] In Ungarn arbeiten Unternehmen aus China insbesondere am dortigen Teilstück der Schnellzugstrecke aus Budapest nach Belgrad.
“Bedeutendster Drittstaat”
Besonders eng kooperieren mit China im Rahmen von “17+1” einige der fünf Nicht-EU-Staaten Südosteuropas (Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien). Serbien etwa ist zu einem Standort bedeutender chinesischer Investitionen geworden; so hat die Hesteel Group, einer der größten Stahlkocher überhaupt, im Jahr 2016 das traditionsreiche Stahlwerk in Smederevo übernommen, eines von Serbiens größten Unternehmen. Das Stahlwerk, zuvor im Besitz von U.S. Steel, war in eine Krise geraten, hatte hohe Verluste eingefahren und war daraufhin von dem US-Konzern abgestoßen worden. Schon Anfang 2019 hieß es in Berichten, Hesteel habe das Werk nicht nur aus der Krise geholt, sondern dafür gesorgt, dass es dabei sei, der profitabelste Stahlkocher Europas zu werden.[3] Freilich ist Hesteel in Smederevo nicht unumstritten: Seit einiger Zeit protestieren Anwohner gegen Umweltschäden, die durch das Stahlwerk entstehen. Die Proteste werden zur Zeit von dem Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer und seiner Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC) genutzt, um Stimmung gegen Beijing zu machen.[4] Die Volksrepublik baut ihren Einfluss in Serbien und den angrenzenden Nicht-EU-Staaten dennoch aus; kürzlich kam eine Untersuchung des European Council on Foreign Relations (ECFR) zu dem Schluss, Beijing sei dort “der bedeutendste Drittstaat geworden”.[5]
Druck aus Brüssel und Washington
Dabei sehen sich vor allem die EU-Staaten unter den “17+1” massivem Druck aus Brüssel, aber auch aus Washington ausgesetzt, ihre Zusammenarbeit mit Beijing zurückzufahren und zumindest ihr eigenständiges Kooperationsformat aufzugeben. Aus Berlin und Brüssel heißt es immer wieder, die EU dürfe sich nicht spalten lassen – ein Argument, das von den “17+1” mit dem Hinweis zurückgewiesen wird, die mächtigen Staaten Westeuropas, vor allem Deutschland, kooperierten ihrerseits eigenständig mit China; so äußerte etwa der frühere polnische Außenminister Radosław Sikorski vor kurzem: “Die Westeuropäer haben ihre schon lange bestehenden Handelsbeziehungen mit China, und sie lassen uns Mitteleuropäer nicht an diesen Beziehungen teilhaben”.[6] Solle das “17+1”-Format eingestellt werden, dann müsse auch “der Rest der EU” seine Alleingänge beenden. Dies träfe vor allem Deutschland. Darüber hinaus richtet sich Druck aus Brüssel und Washington immer wieder gegen einzelne chinesische Projekte in Ost- und Südosteuropa. So musste kürzlich Kroatien die Ausschreibung für den einzigen Tiefwasserhafen des Landes annullieren, weil chinesische Firmen gute Aussichten auf den Zuschlag hatten. In Rumänien wiederum entschied die Regierung, Unternehmen aus der Volksrepublik vom Bau von Straßen und von Zugverbindungen auszuschließen.[7] Eine chinesische Beteiligung am Bau eines Tunnels aus Helsinki in Estlands Hauptstadt Tallinn wird erbittert bekämpft.[8]
Die Drei-Meere-Initiative
Im Einflusskampf um Ost- und Südosteuropa sind die großen westlichen Mächte freilich auch untereinander gespalten. Berlin betrachtet die Region als sein exklusives Einflussgebiet, sucht die gesamte EU – bislang wenig erfolgreich – zu einem auch außenpolitisch geschlossenen Block zu formieren und seinen vorrangigen Einfluss auf die fünf Nicht-EU-Staaten Südosteuropas zu bewahren. Washington wiederum hat in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Osten und im Südosten der EU über die “Drei-Meere-Initiative” zu stärken versucht – auf Kosten Deutschlands. Die Initiative geht auf einen Anstoß aus Washington in der Amtszeit der Obama-Administration zurück; sie ist im Jahr 2015 von Polens Präsident Andrzej Duda und der damaligen Präsidentin Kroatiens, Kolinda Grabar-Kitarović, lanciert und auf einem Gipfeltreffen am 25./26. August 2016 im kroatischen Dubrovnik förmlich gegründet worden (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Ziel ist unter anderem, die beteiligten Länder untereinander besser mit Infrastruktur zu verbinden. Wie die chinesischen “17+1”-Kooperationsbestrebungen basiert auch die “Drei-Meere-Initiative” darauf, dass der Osten und der Südosten Europas in den vergangenen 30 Jahren von den reichen Ländern im Westen des Kontinents, vor allem von Deutschland, auf ihre ökonomischen Interessen ausgerichtet, ansonsten aber weitgehend vernachlässigt wurde. Das bietet äußeren Mächten die Chance, sich über ökonomische Kooperation Einfluss in der Region zu sichern.
China als Impfstofflieferant
Nicht anders verhält es sich aktuell im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie. Bereits im Frühjahr 2020 hatte die EU mit einem Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung die fünf Nicht-EU-Staaten Südosteuropas faktisch von Unterstützung abgeschnitten. Zumindest partiell eingesprungen war daraufhin China, das Serbien mit entsprechenden Hilfsgütern versorgte. Berlin und Brüssel hatten darauf mit dem Vorwurf reagiert, Beijing betreibe “Maskendiplomatie”.[10] Ähnlich verläuft die Entwicklung erneut bei den Covid-19-Impfstoffen. Die EU hatte zwar großspurig angekündigt, alle Welt mit Vakzinen versorgen zu wollen; tatsächlich ist sie jetzt aber nicht einmal in der Lage, ihren eigenen Mitgliedstaaten die notwendigen Impfdosen zu verschaffen.[11] Bereits zum zweiten Mal kommt China Serbien zu Hilfe: Es hat dem Land inzwischen eine Million Impfdosen geliefert; Serbien konnte damit inzwischen acht Impfungen pro hundert Einwohner durchführen und liegt nach Großbritannien (18,86 Impfungen pro hundert Einwohner) und Malta (8,89) auf Platz drei in Europa (Deutschland: 3,91 Impfungen pro hundert Einwohner). Kürzlich hat mit Ungarn ein erster EU-Staat Vakzine in China bestellt und erwartet noch diesen Monat die ersten von fünf Millionen Dosen, die genügen, um rund ein Viertel seiner Bevölkerung zu immunisieren. Auf dem gestrigen “17+1”-Gipfel hat Chinas Präsident Xi Jinping weitere Lieferungen in Aussicht gestellt.[12]
Schlechte Karten für Lauscher
Eine neue Ära für das Internet: In China werden abhörsichere Quantencodes bereits per Glasfaser und Satellit über große Distanzen verschickt. Nun zieht Europa nach und will ebenfalls seine kritische Infrastruktur besser schützen.
China verbietet Sender BBC World News
Beijing. Der internationale Dienst der britischen BBC, der Sender BBC World News, ist wegen »gesetzeswidriger Inhalte« in China verboten worden. Der Sender habe gegen die Richtlinien für die Berichterstattung im Land verstoßen, gab die chinesische Rundfunkregulierungsbehörde am Donnerstag bekannt. Die Behörde erlaubt BBC World News demnach nicht mehr, weiterhin auf dem chinesischen Festland zu senden »und akzeptiert den neuen jährlichen Antrag auf Ausstrahlung nicht«. In einer Erklärung von Chinas Staatlicher Film-, TV- und Radioverwaltung hieß es, die Berichte von BBC World News über China verstießen »in ernster Weise« gegen Übertragungsrichtlinien. Unter anderem sei der Grundsatz verletzt worden, »dass Nachrichten wahrheitsgetreu und fair sein sollten« und dass sie den »nationalen Interessen« Chinas nicht schaden dürften.
Die britische Regierung reagierte mit Kritik. »Die chinesische Entscheidung, BBC World News in Festland-China zu verbieten, bedeutet eine inakzeptable Einschränkung der Pressefreiheit«, sagte Außenminister Dominic Raab nach einer Mitteilung vom Donnerstag abend.
Zuletzt war dem chinesischen Nachrichtensender CGTN die Sendeerlaubnis für das Vereinigte Königreich entzogen worden. Die BBC in China war bereits als mögliches Ziel für Sanktionen von chinesischer Seite genannt worden. (AFP/dpa/jW)
Biden ruft bei Xi an
Erstes Telefonat zwischen den Staatschefs der VR China und USA
Chinas Staatschef Xi Jinping ist am Donnerstag morgen Beijinger Zeit von seinem US-Amtskollegen Joseph Biden angerufen worden. Es war das erste Gespräch zwischen den beiden Präsidenten. Sie wünschten sich zum chinesischen Neujahrsfest alles Gute und hatten im Anschluss einen Austausch über die Beziehungen zwischen ihren Ländern und wichtige internationale und regionale Themen. Das berichtete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.
Xi wies darauf hin, dass die Wiederherstellung und die Verbesserung des chinesisch-US-amerikanischen Verhältnisses die wichtigste Entwicklung in den internationalen Beziehungen im vergangenen halben Jahrhundert gewesen sei. Trotz verschiedener Wendungen habe sich das Verhältnis im großen und ganzen weiterentwickelt und dem chinesischen und US-amerikanischen Volk enorme Vorteile gebracht sowie zu weltweitem Frieden, Stabilität und Wohlstand beigetragen.
Biden erklärte laut Xinhua, die USA und China müssten Konflikte vermeiden, bei Themen wie dem Klimawandel könnten sie zusammenarbeiten, fügte er hinzu. Washington sei bereit, einen »offenen und konstruktiven Dialog« mit Beijing »im Geiste des gegenseitigen Respekts« zu führen.
Biden führte allerdings auch die aggressive Haltung der Vorgängerregierung unter Präsident Donald Trump fort. Nach Angaben des Weißen Hauses unterstrich er in dem Gespräch seine »grundlegenden Sorgen über Beijings zwangsweise und unfaire wirtschaftliche Praktiken, die Repression in Hongkong, Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und zunehmend herausfordernde Aktionen in der Region, einschließlich gegenüber Taiwan«. Xi musste Biden erklären, dass es sich bei Hongkong, Taiwan und Xinjiang um innere Angelegenheiten Chinas handelt. Es gehe um seine Souveränität und territoriale Integrität. »Die USA sollten Chinas Kerninteressen respektieren und vorsichtig handeln.«
Bereits am Mittwoch hatte der US-Präsident in einer Rede im Pentagon erklärt: »China stellt uns vor wachsende Herausforderungen, denen wir begegnen müssen, um im Indopazifikraum und weltweit den Frieden zu bewahren und unsere Interessen zu verteidigen.« Das US-Verteidigungsministerium werde seine China-Strategie überprüfen. Es gehe darum, den »Wettbewerb« mit der Volksrepublik zu gewinnen. (Xinhua/dpa/jW)
Für den Wohlstand
Vorabdruck. Wie hält China es mit Markt- und Planwirtschaft? Zur hybriden Ökonomie in der Volksrepublik
Von Uwe Behrens
Am 17. Februar erscheint im Verlag Edition Ost das Buch »Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen« von Uwe Behrens. Der Logistikexperte hat selbst jahrelang in China gearbeitet. Wir veröffentlichen daraus vorab leicht gekürzt ein Kapitel über seine Eindrücke und Einschätzungen zum Verhältnis von Plan- und Marktwirtschaft in der Volksrepublik und der Eigentumsfrage. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck. (jW)
Dengs Reformen
Fünf Eigentumsformen
Welches System?
Ausgleich der Konflikte
Uwe Behrens: Feindbild China. Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen. Verlag Edition Ost, Berlin 2021, 220 Seiten, 15 Euro. Zu beziehen unter https://www.eulenspiegel.com/
Uwe Behrens ist promovierter Transportökonom, arbeitete im DDR-Verkehrswesen und von 1990 bis 2017 für
Logistikunternehmen in China.
Ende des Sanktionsregimes gefordert
China geht auf US-Regierung zu und bleibt wichtigster deutscher Handelspartner
Die Regierung der Volksrepublik China hat die USA zu einer Neuausrichtung ihrer Politik und einem Ende bestehender Strafzölle und Sanktionen aufgerufen. Man hoffe, dass die USA »so bald wie möglich« ihre Politik anpassen und »unangemessene Zölle auf chinesische Waren aufgeben« werden, sagte Außenminister Wang Yi am Montag in einer Rede in der Hauptstadt Beijing. Die je nach Berechnungsweise größte bzw. zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bleibt zudem wichtigster Handelspartner Deutschlands.
Seit die US-Regierung unter Donald Trump einen Handelskrieg gegen den Konkurrenten vom Zaun gebrochen hatte, sind die Beziehungen der beiden Wirtschaftsmächte schlecht. Zwar hatten sie sich im Januar 2020 darauf geeinigt, ein vorläufiges Handelsabkommen zu unterzeichnen. Zuvor verhängte Zölle blieben dennoch weitestgehend in Kraft. China musste sich zudem verpflichten, seine Einfuhren aus den USA deutlich zu erhöhen. Auch Joseph Biden ließ in seinen ersten Wochen im Präsidentenamt keine Kursänderung erkennen. In seinem ersten Telefonat mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor zwei Wochen waren die Gegensätze offen aufeinandergeprallt.
Beijing fordert indes erneut Partnerschaft, aber keine Unterwerfung unter irgendein US-Diktat: »Wir sind bereit für eine offene Kommunikation mit der US-Seite«, betonte der Außenminister, forderte Washington aber auch dazu auf, Chinas Kerninteressen zu respektieren und die Kommunistische Partei sowie das politische System Chinas nicht mehr zu verunglimpfen.
Für die BRD bleibt die Kooperation mit der Volksrepublik eine wirtschaftliche Existenzfrage – besonders durch den Einbruch der hiesigen Konjunktur in der Coronakrise. Wie das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mitteilte, wuchs der Umsatz im Außenhandel mit China trotz der Pandemie um drei Prozent. Insgesamt wurden nach vorläufigen Ergebnissen Waren im Wert von 212,1 Milliarden Euro zwischen beiden Staaten gehandelt. Auf den Rängen zwei und drei der wichtigsten Handelspartner folgten 2020 die Niederlande und die USA. (dpa/AFP/jW)
Chinas Gegenspieler (II) (25.02.2021)
Deutsche Think-Tanks dringen auf engere Kooperation mit Indien – auch militärisch. Stoßrichtung: gegen China.
BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) – Deutschland und die EU sollen ihre Zusammenarbeit mit Indien intensivieren. Darauf dringen einflussreiche deutsche Think-Tanks im Vorfeld des nächsten EU-Indien-Gipfels am 8. Mai. Hintergrund ist der Machtkampf des Westens gegen China, in dem sich auch New Delhi gegen Beijing positioniert: Es begreift sich als großen asiatischen Gegenspieler der Volksrepublik. Zuletzt führten Grenzkonflikte zwischen den beiden Ländern zu militärischen Scharmützeln im Himalaya mit Todesopfern auf beiden Seiten. Indien kann sich bei seinem Vorgehen gegen China auf eine immer intensivere Militärkooperation mit den USA stützen. Die einflussreiche Bertelsmann Stiftung rät nun auch Berlin und der EU zu einer engeren Militär- und Rüstungszusammenarbeit mit New Delhi. Unterdessen erheben Menschenrechtsorganisationen schwere Vorwürfe gegen die indische Regierung – aufgrund ihres brutalen Vorgehens gegen die aktuellen Bauernproteste, aber etwa auch gegen Oppositionelle in Kashmir. Dort nutzen die Repressionskräfte Sturmgewehre der US-Schwesterfirma der deutschen Waffenschmiede Sig Sauer.
Grenzkonflikte
Optionen zum Ausbau der Kooperation Deutschlands und der EU mit Indien untersucht aktuell unter anderem die einflussreiche Stiftung des Bertelsmann-Konzerns in einer zu Jahresbeginn gestarteten Serie knapper politischer Analysen – dies genau zu einer Zeit, zu der New Delhi sich überaus aggressiv gegen Beijing positioniert. Hatte die indische Regierung noch Ende 2019 beschlossen, den von Washington massiv attackierten chinesischen Konzern Huawei an ihren 5G-Tests zu beteiligen, so hat sie vergangenes Jahr ihren Kurs dramatisch verschärft und eine ganze Reihe zum Teil öffentlichkeitswirksame Schritte gegen China unternommen. So hat sie etwa eine dreistellige Zahl chinesischer Apps verboten – darunter höchst populäre -, zudem inmitten einer Boykottkampagne Importe aus der Volksrepublik mit Zollschikanen behindert und ihre gegen die Volksrepublik gerichtete Militärkooperation mit Japan, Australien und den USA im Rahmen des “Quad”-Pakts (“Quadrilateral Security Dialogue”) intensiviert. Im Juni 2020 und im Januar 2021 kam es an der umstrittenen indisch-chinesischen Grenze im Himalaya zu Scharmützeln zwischen Truppen beider Länder; dabei kamen im Juni 2020 20 indische und fünf chinesische Soldaten zu Tode. Trotz aller Bemühungen, den Konflikt zumindest zu dämpfen, dauern die Spannungen bis heute an.[1]
Washingtons Indo-Pazifik-Strategie
Mit Blick auf China hat Indien mittlerweile seine Militär- und Rüstungskooperation mit den Vereinigten Staaten verstärkt. Die USA bemühen sich in Ansätzen seit den 1990er Jahren, verstärkt seit der Präsidentschaft von George W. Bush, Indien zu Chinas großem asiatischen Gegenspieler aufzubauen.[2] Ein erster folgenreicher Schritt war die Unterzeichnung eines Abkommens zur Militärkooperation im Jahr 2005. Die Trump-Administration hat die Zusammenarbeit mit den indischen Streitkräften konsequent ausgebaut: Man müsse dafür sorgen, dass “ein starkes indisches Militär” künftig in der Lage sei, “mit den Vereinigten Staaten und unseren Partnern in der Region wirkungsvoll zu kooperieren”, hieß es in Washingtons “Indo-Pazifik-Strategie” aus dem Jahr 2018.[3] Insbesondere werde man Indien im Grenzkonflikt mit China unterstützen. Seit 2018 führen beide Seiten jährlich sogenannte 2+2-Treffen durch, zu denen die jeweiligen Minister für Äußeres und für Verteidigung zu gemeinsamen Gesprächen zusammenkommen. Beim jüngsten 2+2-Treffen einigten Washington und New Delhi sich auf ein Militärabkommen, das Indien Zugriff auf allerlei Satellitendaten gewährt, die für militärische Operationen – etwa für die Zielerfassung – benötigt werden.[4] Freilich bewahrt sich New Delhi eine gewisse Eigenständigkeit und will beispielsweise das Luftabwehrsystem S-400 seines langjährigen Rüstungslieferanten Russland kaufen.
“Arenen der Zusammenarbeit”
Berlin ist – wie Washington – ebenfalls seit rund zwei Jahrzehnten bemüht, seine Beziehungen zu New Delhi zu intensivieren, hat dabei allerdings noch keinen Durchbruch erzielt. Der Bestand der deutschen Direktinvestitionen in Indien erreicht lediglich ein Fünftel des Investitionsbestandes in China; das Volumen des deutsch-indischen Handels liegt deutlich unter demjenigen etwa des deutschen Handels mit dem viel kleineren Südkorea. Der Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien, das Berlin und Brüssel zwecks Ausweitung ihrer Exporte seit fast eineinhalb Jahrzehnten anstreben, ist nicht in Sicht; beim European Council on Foreign Relations (ECFR) hieß es im Oktober resigniert, man solle nicht mehr auf ein Abkommen orientieren und stattdessen die pragmatische Zusammenarbeit suchen.[5] Die Bertelsmann Stiftung schätzt die Situation in ihrer aktuellen Publikationsserie (“Arenen der Zusammenarbeit”) ähnlich ein.[6] Auf der Suche nach weiteren Kooperationsfeldern hat sie zuletzt die Zusammenarbeit auf dem Gesundheitssektor analysiert, die beide Seiten jüngst im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie zu intensivieren versucht haben; doch auch diesbezüglich äußert sie sich skeptisch: Indien, das über eine recht erfolgreiche Pharmaindustrie verfügt, wolle deren “Marktmacht … weiter ausbauen”, urteilt die Stiftung; dies sei der EU, die “zu große Abhängigkeiten” fürchte, nicht recht.[7]
Rüstung und Militär
Chancen sieht die Stiftung hingegen bei der Militär- und Rüstungskooperation. “Angesichts seiner wirtschaftlichen und militärischen Unterlegenheit gegenüber China” wolle Indien “seine Rüstungszusammenarbeit mit europäischen Partnern massiv ausbauen”, heißt es in einer aktuellen Bertelsmann-Analyse; entsprechende Wünsche werde es künftig wohl “verstärkt” auch “an die deutsche Politik herantragen”.[8] Die Stiftung weist dabei auch darauf hin, dass New Delhi seinen Militärhaushalt seit dem Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi im Jahr 2014 um 40 Prozent gesteigert hat – so umfassend wie kaum ein anderes Land; inzwischen verfügt es über den drittgrößten Streitkräfteetat weltweit. Hinzu kommt, dass Berlin und New Delhi, auf dem deutsch-indischen Abkommen zur Militärkooperation vom 12. Februar 2019 aufbauend, im Rahmen der 5. Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen am 1. November 2019 beschlossen haben, “die bilaterale Verteidigungszusammenarbeit als strategische Partner weiter zu vertiefen”. Geplant sind eine Ausweitung der deutschen Rüstungsexporte, die sich zuletzt um rund 100 Millionen Euro pro Jahr bewegten, sowie ein “regelmäßige[r] Dialog” zwischen den Verteidigungsministern beider Länder.[9] Auch die EU will die Militärzusammenarbeit intensivieren; im Mittelpunkt steht dabei laut Beschluss des EU-Indien-Gipfels vom 15. Juli 2020 eine engere Marinekooperation im Indischen Ozean.[10]
Blutige Repression
Dem Streben nach einem Ausbau der Zusammenarbeit mit Indien steht nicht im Weg, dass Menschenrechtsorganisationen zunehmend Kritik an der hindunationalistischen Regierung von Premierminister Narendra Modi üben. Zuletzt hat die Festnahme der 22-jährigen Klimaaktivistin Disha Ravi unter dem Vorwurf angeblichen “Hochverrats” weltweit für Aufsehen gesorgt.[11] Darüber hinaus stößt das brutale Vorgehen der indischen Repressionskräfte gegen die bereits seit Monaten andauernden Massenproteste indischer Landwirte international auf wachsende Kritik. Schon seit Jahren weisen Beobachter zudem darauf hin, dass Modis Regierung ein Klima schürt, das teils pogromartige Gewalt von Hindus an indischen Muslimen bis hin zu Morden mit sich bringt.[12] Amnesty International hatte nach deutlichen Worten zum Vorgehen der Regierung die Arbeit in Indien im September 2020 aussetzen müssen: Die Behörden hatten die Konten der Menschenrechtsorganisation gesperrt.[13] Besonders schwere Vorwürfe werden seit Jahrzehnten wegen der blutigen Repression in Kashmir erhoben, wo etwa laut einem UN-Bericht allein 2018 mindestens 160 Zivilisten durch Übergriffe von Polizei und Militär ums Leben kamen.[14] Die Modi-Regierung, die Kashmirs Autonomie am 5. August 2019 aufgehoben und das Gebiet strikt abgeriegelt hat, geht dort weiterhin mit Gewalt gegen Oppositionelle und Menschenrechtler vor. Beklagt werden unter anderem zahlreiche willkürliche Festnahmen sowie Folter.[15]
Sig Sauer-Sturmgewehre
Für ihr Vorgehen in Kashmir können die indischen Repressionskräfte Sturmgewehre aus der Produktion von Sig Sauer USA nutzen, der US-amerikanischen Schwesterfirma der gleichnamigen Waffenschmiede aus Eckernförde bei Kiel, die zum Jahreswechsel die Produktion in Deutschland eingestellt hat. Im Herbst 2019 trafen Berichten zufolge die ersten 10.000 von insgesamt 73.000 Sturmgewehren des Modells Sig 716 bei der indischen Armee in Kashmir ein.[16] Im Herbst 2020 wurde berichtet, man erwarte eine weitere Sturmgewehr-Lieferung von Sig Sauer USA; diese sei allerdings für die Truppen an der Himalaya-Grenze zu China bestimmt.[17]
Indien kann China als Handelspartner oder Standort auf keinen Fall ersetzen – weder, was die Infrastruktur, als auch, was die Ausbildung und Disziplin der Arbeitskräfte betrifft, und auch nicht in Sachen Rechtssicherheit.
Noch dazu mit einem Regierungschef, der in eine Abteilung mit Bolsonaro und Duterte gehört.
Nationaler Volkskongress will China technologisch unabhängiger machen
Neuer Fünfjahresplan ist auch eine Reaktion auf US-Sanktionen
Aus eigener Kraft
Nationaler Volkskongress in China: Beijing reagiert auf US-Wirtschaftskrieg und stärkt Nachfrage und Innovation im Inland
Von Jörg Kronauer
Mehr Konsum, mehr Innovation und ein starkes Wirtschaftswachstum: Das hat der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang am Freitag zum Auftakt der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses versprochen. Anders als im vergangenen Jahr, in dem die Jahrestagung wegen der Covid-19-Pandemie verschoben werden musste, konnten die knapp 3.000 Abgeordneten diesmal wieder zum gewohnten Zeitpunkt zusammenkommen – ein Ausdruck des erfolgreichen Kampfs gegen die Seuche, die große Teile der Welt, insbesondere den transatlantischen Westen, noch heute fest im Griff hat. Im Mittelpunkt der Debatte werden der neue Fünfjahresplan für die Zeit von 2021 bis 2025 sowie die Wirtschaftsziele der Volksrepublik stehen. Zu Beginn legte Li den Arbeitsbericht der Regierung vor und kündigte erste Vorhaben für die Zukunft an.
Im Kern reagiert die Volksrepublik mit ihren Vorhaben, soweit sie bislang bekannt bzw. bestätigt wurden, auf den Versuch der Vereinigten Staaten, sie mit einem erbittert geführten Wirtschaftskrieg in die Knie zu zwingen. Die immer weiter verschärften US-Sanktionen haben gezeigt, dass sich China nicht darauf verlassen kann, wichtige Waren – prominentestes Beispiel sind Halbleiter – aus dem Ausland zu erhalten: Wenn Washington will, schneidet es Beijing ohne mit der Wimper zu zucken sogar von unverzichtbaren Lieferungen ab. Gleichzeitig zögern die USA nicht, chinesische Exporte mit Strafzöllen ernsthaft zu schädigen: Der Plan, auf Arbeitsteilung mit dem Westen zu setzen, ist am US-Wirtschaftskrieg gescheitert. Die Volksrepublik hat keine andere Wahl, als sich auf die eigene Kraft zu verlassen und vom Westen möglichst unabhängig zu werden.
Entsprechend muss sie zum einen die technologischen Lücken so weit wie möglich schließen. In ihrem Arbeitsbericht, den Ministerpräsident Li am Freitag präsentierte, kündigt die Regierung an, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung künftig um mehr als sieben Prozent im Jahr zu erhöhen. Zu den Technologiefeldern, die schwerpunktmäßig gefördert werden sollen, gehören insbesondere Halbleiter, daneben aber etwa auch künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing und klinische Medizin. Der Ausbau der 5G-Netze, Grundlage für die ausgedehnte Nutzung von KI, soll energisch vorangetrieben werden. Der Fünfjahresplan sieht demnach vor, dass bis 2025 schon 56 Prozent der Mobilfunkkunden 5G nutzen. Beim jüngsten Mobilfunkstandard ist China dem Westen bereits voraus, nun wird es auch auf weiteren Technologiefeldern durch den US-Wirtschaftskrieg zum Überholen gezwungen. Die Chancen, dass das gelingt, stehen nicht schlecht: Nach Angaben der UNO war China 2020 im zweiten Jahr in Folge das Land, das global die meisten Patente anmeldete.
Zum anderen lässt sich größere Unabhängigkeit von westlichen Aggressionen nur erreichen, wenn es der Volksrepublik gelingt, ihre bisherige Abhängigkeit vom Export zu reduzieren und die immer noch rasant wachsende Wirtschaftsleistung durch stärkeren Verbrauch im Inland aufzufangen. Li kündigte daher am Freitag an, die Regierung werde in den kommenden fünf Jahren »den Konsum ausweiten« und dazu die Einkommen steigern. Laut dem Nationalen Statistikbüro verfügen derzeit mehr als 400 Millionen Chinesen über ein Mittelschichteinkommen. Beijing will das mittlere Jahreseinkommen, das aktuell bei rund 10.800 US-Dollar liegt, bis 2035 verdoppeln. Das wird den Konsum ebenso in die Höhe treiben, wie es schon jetzt die Beseitigung der Armut tut. Dass China aktuell das Ende der absoluten Armut im Land feiern kann, ist zunächst ein gewaltiger Fortschritt für die Menschen, natürlich profitiert aber auch die Wirtschaft davon. Auch in diesem Fall trifft zu, was sich schon im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie zeigte: Die Wirtschaft kann nur wirklich florieren, wenn das menschliche Leben gedeiht.
Um seine Strategie begrifflich zu fassen, nutzt Beijing die Formel »zwei Kreisläufe« bzw. »Dual Circulation«. Die Konzentration auf Konsum und Innovation im eigenen Land firmiert dabei als »innerer Kreislauf«, der in Zukunft eindeutig Vorrang genießen soll. Der »äußere Kreislauf«, also die Außenwirtschaft, soll demgegenüber zurückstehen. Das ruft bei auswärtigen Unternehmen Sorgen hervor, man könne abgedrängt werden. »Die europäische Wirtschaft will partizipieren«, erklärte der Präsident der European Chamber of Commerce in China, Jörg Wuttke, am Freitag: »China steht für 30 Prozent des globalen Wachstums, da muss man schon in dem Markt sein.« Man frage sich nun: »Dürfen wir mitspielen oder nicht?« Die Frage stellt sich aktuell um so drängender, als die Volksrepublik, während der Westen noch von der Pandemie erschüttert wird, längst wieder auf Wachstumskurs ist und in diesem Jahr laut Prognosen des IWF mit einem Wachstum von 8,1 Prozent rechnen kann. Li nannte am Freitag bescheiden sechs Prozent als offizielles Ziel – das ist Musik in den Ohren deutscher Unternehmer.
Zu der Frage, wie sich die Umbrüche in der chinesischen Wirtschaft auf deutsche Unternehmen auswirken werden, hat sich Ende Februar Ex-Siemens-Chef Josef Käser im Handelsblatt geäußert. Er rechnet damit, dass Beijings Umorientierung hin zum Binnenmarkt eine »größere Lokalisierung der Produktion deutscher Firmen in China«, also den Aufbau neuer Standorte in der Volksrepublik zur Folge haben wird. Das sei für große Konzerne kein Problem, für mittlere und kleinere Unternehmen aber schon. Deren Chinageschäft könne mittel- bis langfristig durchaus leiden. Hinzu komme, dass sich »Gewichte verschieben«, wenn »Exportländer wie Deutschland (…) in eine Lokalisierung auf wichtigen Auslandsmärkten gedrängt werden«, warnte Käser. Siemens etwa erziele »nur noch rund zehn Prozent des Umsatzes« in der BRD, habe aber noch gut ein Drittel seiner Angestellten dort. Was es heißt, sollten der Konzern – und womöglich auch andere – sich in Zukunft veranlasst sehen, ihre Produktion noch stärker nach China zu verlagern, das kann man sich ausmalen.
Hintergrund: Hongkong
China wird sich »entschlossen« vor jeglicher Einmischung auswärtiger Kräfte in die inneren Angelegenheiten Hongkongs »schützen und von ihr abschrecken«: Das kündigte Ministerpräsident Li Keqiang am Freitag in seiner Rede vor dem Nationalen Volkskongress an. Hintergrund sind die anhaltenden Bestrebungen der westlichen Mächte, Spannungen in der einstigen britischen Kolonie zu nutzen, um in der Volksrepublik innere Unruhen zu schüren und ihren Aufstieg zu bremsen. Einen Höhepunkt hatten diese Bestrebungen vor bald zwei Jahren erreicht, als Demonstranten in Hongkong – unter dem Beifall des Westens – das Parlament der Metropole stürmten, es verwüsteten und im Plenarsaal eine britische Kolonialflagge aufhängten. Aus heutiger Sicht ähnelt der Vorfall stark dem Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar; auch unter den Demonstranten in Hongkong waren Anhänger der Politik des damaligen US-Präsidenten Donald Trump stark vertreten.
China wird nun, wie Li gestern bekräftigte, nicht nur ganz allgemein die »nationale Sicherheit« in Hongkong durchsetzen, sondern insbesondere auch das Wahlrecht ändern. Damit soll sich der Nationale Volkskongress in den kommenden Tagen befassen. Schon am Donnerstag hatte der stellvertretende Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses, Wang Chen, geäußert, weil sich »ausländische Kräfte« in Hongkong einmischten, dürften in der Sonderverwaltungszone künftig nur noch »Patrioten regieren«.
Welche Maßnahmen das sicherstellen sollen, ist noch nicht ganz klar, deutlich ist aber, dass zumindest jene Aktivisten der »Demokratiebewegung«, die allzu eng mit dem Westen kooperieren, keinerlei Chancen mehr haben werden, sich in Hongkongs Entscheidungsgremien wählen zu lassen und dort Einfluss auszuüben. Die westlichen Einmischungsbestrebungen sind damit faktisch gescheitert. Konkret ausbaden müssen das die Aktivisten vor Ort. (jk)
Eine bemerkenswerte Fortsetzung der von der EU angeleierten Konkurrenz der Kapitale, Buhlen um Investoren und dem Lob der freien, also nicht durch Vorschriften und Steuern eingeschränkten Marktwirtschaft: Die Produktion wird ins Ausland verlagert und bereichert dort fremde Gewalten.
Zu Hause bleibt eine zusehends arbeitslose Bevölkerung, die mit Mindestsicherung und Hartz IV-ähnlichen Maßnahmen durchgefüttert und über gehorsame Medien verblödet wird, alles finanziert über Schulden.
Irgendwie scheint dieses Modell nicht sehr nachhaltig zu sein.
Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (II) (09.03.2021)
China kritisiert wachsende “Instabilität” im Südchinesischen Meer wegen wachsender westlicher Marinepräsenz. Deutschland entsendet ebenfalls ein Kriegsschiff.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Warnungen aus Beijing begleiten die Ankündigung Berlins, ein deutsches Kriegsschiff ins Südchinesische Meer zu entsenden. Vergangene Woche hatte das Bundesverteidigungsministerium bestätigt, im August werde die Fregatte Bayern in den Indischen und den Pazifischen Ozean aufbrechen und dabei neben allerlei Übungen auch das Südchinesische Meer durchqueren. Die Ankündigung erfolgte, nachdem zwei US-Flugzeugträger samt ihren Kampfgruppen Manöver in dem Gewässer abgehalten und mehrere weitere Marinen, vor allem diejenigen Frankreichs und Großbritanniens, dortige Patrouillenfahrten noch für 2021 angekündigt hatten. Chinas Außenminister Wang Yi konstatierte am Wochenende, offensichtlich wünschten “einige westliche Länder Instabilität in der Region”. Während die Bundesregierung – aus Sorge um deutsche Wirtschaftsinteressen – noch gewisse Rücksichten zu nehmen vorgibt, heißt es in einem aktuellen Papier aus dem Verteidigungsministerium, womöglich noch mehr als Russland entwickle sich China zur “Bedrohung” für deutsche Interessen – auch militärisch.
“Neue Bedrohungen”
Das Bundesverteidigungsministerium warnt vor “neuen Bedrohungen” durch Russland, vor allem aber durch China. Dies geht aus einem internen Planungspapier des Ministeriums hervor, über das die Zeitung “Welt am Sonntag” an diesem Wochenende berichtet hat. Während Moskau, wie das Ministerium urteilt, die “Destabilisierung und Schwächung der Nato als Handlungsmaxime” verfolge, strebe Beijing besonders die “Absicherung der wirtschaftlichen Entwicklung” sowie die “Gestaltung internationaler Ordnung entlang eigener Interessen” an – und dabei “überflügelt”es Russland “zunehmend im Rahmen weltweiter Einflussnahme”, heißt es in dem Papier.[1] Die Volksrepublik verfüge unter anderem über zwei Millionen Soldaten, 1.600 Jagdflugzeuge und die “weltweit größten konventionellen Raketenpotenziale”, darunter auch Hyperschallwaffen; darüber hinaus besitze sie “ein umfangreiches Portfolio an bewaffneten Drohnen”. Die chinesischen Streitkräfte hätten außerdem “ein umfängliches Portfolio an weltraumgestützten Aufklärungs- und Wirkfähigkeiten” in ihrem Besitz, mit dem sie erfolgreiche Weltraumoperationen gegen andere Staaten durchführen könnten. Nicht zuletzt baue Beijing inzwischen auch seine nuklearen Kapazitäten aus, heißt es in dem Papier; es entwickle sich zur “Bedrohung”.
Die Fahrt der Fregatte Bayern
Die Grundzüge des Papiers werden zu dem Zeitpunkt bekannt, zu dem die Bundesrepublik sich in größerem Umfang an den Bestrebungen der transatlantischen Mächte zu beteiligen beginnt, sich auch militärisch stärker als bisher gegen China in Stellung zu bringen. War das Vorhaben, eine deutsche Fregatte in die Asien-Pazifik-Region zu entsenden [2], im vergangenen Jahr noch an der Covid-19-Pandemie gescheitert, so soll es dieses Jahr endgültig realisiert werden. Dazu ist die Entsendung der Fregatte Bayern vorgesehen. Das Kriegsschiff soll Anfang August ins Mittelmeer aufbrechen, dort zunächst die NATO-Operation Sea Guardian unterstützen, anschließend durch den Suezkanal zur EU-Operation Atalanta am Horn von Afrika vorstoßen und nach der Teilnahme an dem Einsatz gegen Piraten den Indischen Ozean durchqueren.[3] Nach einer Fahrt durch die Straße von Malakka zwischen Malaysia, Singapur und Indonesien soll sie Australien erreichen, bevor sie sich vor der koreanischen Halbinsel an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea beteiligt; zudem wird von einem Abstecher nach Japan berichtet.[4] Anschließend ist die Rückreise geplant, die durch das Südchinesische Meer führen wird – vor dem Hintergrund der zunehmenden Konflikte in dem Gewässer die vielleicht heikelste Phase der Fahrt.
Das Südchinesische Meer
Mit der Durchquerung des Südchinesischen Meeres beteiligt sich die deutsche Marine an einer deutlichen Ausweitung der Patrouillen der westlichen Mächte in einem Gewässer, das erhebliche Bedeutung für China besitzt. Dies liegt nicht nur daran, dass große Teile des Welthandels über das Südchinesische Meer abgewickelt werden; Experten schätzen den Wert der dort transportierten Waren auf rund vier Billionen US-Dollar pro Jahr. Schwer wiegt aber vor allem, dass China durch fremde Kriegsschiffe vor der eigenen Küste leicht angegriffen werden kann; eine Tatsache, die in China historische Erinnerungen wachruft: Die westlichen Kolonialmächte konnten im 19. Jahrhundert das chinesische Reich auch deswegen unterwerfen, weil dieses nicht in der Lage war, Angriffe ihrer Kriegsschiffe vom Südchinesischen Meer her erfolgreich abzuwehren. Derlei nie wieder geschehen zu lassen gehört zu den zentralen Zielen des chinesischen Militärs.[5]
Manöver mit Flugzeugträgern
Entsprechend schwer wiegt die Neuauflage der Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts, die die westlichen Mächte in wachsendem Maß praktizieren – unter dem Vorwand, nur die Freiheit der Seefahrt garantieren zu wollen. Zuletzt hielten zum Beispiel zwei US-Flugzeugträger samt ihren begleitenden Kampfgruppen Anfang Februar ein Manöver im Südchinesischen Meer ab – eine blanke Machtdemonstration, stellt man in Rechnung, dass derlei Übungen ohne weiteres auch in weniger sensiblen Seegebieten durchgeführt werden könnten. Ebenfalls Anfang Februar teilte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly mit, das Atom-U-Boot Émeraude und ein Unterstützungsschiff der französischen Marine hätten nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im Indischen und im Pazifischen Ozean sowie nach gemeinsamen Kriegsübungen mit den Seestreitkräften der USA und Japans ihrerseits das Südchinesische Meer durchquert: Dies sei ein “schlagender Beweis für die Fähigkeit der französischen Marine, in großer Entfernung und über einen langen Zeitraum zu operieren”.[6]
Der Wunsch nach Instabilität
Mitte Februar wiederum brachen der französische Hubschrauberträger Tonnerre und die Fregatte Surcouf in der Marinebasis Toulon mit Kurs auf den Indischen und den Pazifischen Ozean auf; die Schiffe werden auf dem Weg zu und von gemeinsamen Manövern mit den Marinen der USA und Japans zweimal das Südchinesische Meer kreuzen.[7] In einem nächsten Schritt wird der neue britische Flugzeugträger Queen Elizabeth im Mai ablegen, um unter anderem Kriegsübungen mit den japanischen Streitkräften durchzuführen; die Vereinigten Staaten und die Niederlande sind mit Begleitschiffen bzw. Kampfjets beteiligt.[8] Beobachter gehen davon aus, dass auch die Queen Elizabeth das Südchinesische Meer durchqueren wird. Die Regierung Australiens hat inzwischen angekündigt, die Marine ihres Landes werde ebenfalls an ihrer Praxis festhalten, regelmäßig im Südchinesischen Meer Kriegsübungen durchzuführen.[9] Am Sonntag hielt Chinas Außenminister Wang Yi mit Blick auf die westliche Kanonenbootpolitik fest, alle Welt habe in den vergangenen Jahren “klar sehen können, dass die Faktoren für Instabilität und die Sicherheitsrisiken im Südchinesischen Meer hautpsächlich von außerhalb der Region kommen”; offenkundig wünschten “die USA und einige andere westliche Länder Instabilität in der Region”.[10]
Widersprüchliche Interessen
Bei seiner Beteiligung an dem Flottenaufmarsch des Westens vor Chinas Küsten legt Berlin Wert auf die Feststellung, die Fregatte Bayern werde – anders als insbesondere US-Kriegsschiffe – nicht in die Zwölf-Meilen-Zonen der zahlreichen kleinen Inseln und Atolle im Südchinesischen Meer eindringen, die China für sich beansprucht. Beijing reklamiert für militärische Durchfahrten durch die Zwölf-Meilen-Zonen eine Genehmigungspflicht, die Washington routinemäßig demonstrativ ignoriert. Wie berichtet wird, strebt die Bundesregierung zudem einen Hafenbesuch der Fregatte Bayern in China an, um die gewollte Provokation, die die westliche Kanonenbootpolitik für die Volksrepublik darstellt, ein wenig abzufedern.[11] Ursache ist, dass eine ernsthafte Beschädigung der Beziehungen zu Beijing für die deutsche Wirtschaft fatal wäre. Zur Bedeutung des deutschen Chinageschäfts hat sich Ende Februar in exemplarischer Weise Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser geäußert. Die Volksrepublik könne es sich “sehr wohl leisten, notfalls auf den deutschen Markt zu verzichten”, urteilte Kaeser: “Umgekehrt ist das nicht der Fall. Hier gibt es sehr sensible und kritische Abhängigkeiten.”[12] Diese hemmen – jedenfalls heute – die deutsche Gewaltbereitschaft gegen China noch etwas. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
Zu den dem Imperialismus eigenen Kriegen, Manövern und der Rüstungsindustrie ist wieder einmal auf das hinzuweisen, was Marx über den Krieg allgemein äußert: Der sei vom Standpunkt des konkreten Reichtums ungefähr das Gleiche, als ob ein Teil des nationalen Reichtums ins Meer geworfen würde.
(Wenn wer das Zitat findet, bitte hierher, ich habs auf die Schnelle nicht gefunden.)
Bedrohtes Monopol
Macht des Westens schwindet
Von Jörg Kronauer
Im Machtkampf des Westens gegen China zeichnen sich die nächsten Turbulenzen ab. Gerade erst hat die Volksrepublik neue Erfolge vermelden können: Während der Nationale Volkskongress in Beijing seine Jahrestagung abhält, haben die Zollbehörden am Sonntag bekanntgegeben, dass die chinesischen Exporte in den ersten zwei Monaten 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 60,6 Prozent in die Höhe geschnellt sind. Zwar führt die Zahl, die prompt auch in Deutschland Schlagzeilen machte, isoliert betrachtet in die Irre: Die Vergleichsmonate waren genau diejenigen, in denen die chinesische Wirtschaft Anfang 2020 wegen der Pandemie teilweise zum Stillstand kam. Trotz dieser Einschränkung übertraf das Wachstum der Exporte wie auch der Importe alle Vorhersagen der politischen Auguren. Nicht nur China, auch andere profitieren davon: Während etwa die deutschen Ausfuhren in die meisten Länder 2020 schwer einbrachen, blieben sie in die Volksrepublik in der Jahressumme stabil und nehmen inzwischen wieder deutlich zu. China ist längst zum Rettungsanker für viele deutsche Unternehmen geworden.
Nur: Wirtschaftliche Stärke ist letztlich die Grundlage für politische und auch militärische Macht. China übertreffe Russland »zunehmend im Rahmen weltweiter Einflussnahme«, heißt es in einem internen Papier des Bundesverteidigungsministeriums, das am Sonntag in Auszügen bekannt wurde. Dabei habe Beijing vor allem die »Absicherung der wirtschaftlichen Entwicklung und Gestaltung internationaler Ordnung entlang eigener Interessen« im Blick. Nun, das ist nichts anderes als das, was im gegenwärtigen Weltsystem ausnahmslos alle Staaten anstreben, sofern sie ausreichend Machtpotential haben. Doch Chinas schnell wachsender Einfluss, der sich auch in den neuen Exporterfolgen zeigt, bedroht das westliche Gewaltmonopol. Man darf sicher sein, dass der Westen versuchen wird, dies mit aller Kraft zu verhindern.
Und in der Tat: Gerade erst hat Frankreich ein Kriegsschiff im Südchinesischen Meer patrouillieren lassen und gemeinsame Manöver mit Indien, Australien und Japan angekündigt; gerade erst ist bestätigt worden, dass die deutsche Fregatte »Bayern« im Sommer gleichfalls im Südchinesischen Meer kreuzen wird. Da kündigt Australiens Premierminister Scott Morrison auch noch an, dass in Kürze ein erstes Gipfeltreffen des gegen China gerichteten »Quad«-Pakts stattfinden könnte, in dem die USA sich mit Japan, Australien und Indien zusammengetan haben. Mit Blick auf diese und andere Turbulenzen hat Chinas Außenminister Wang Yi die USA am Sonntag zu Zurückhaltung aufgefordert und mit Blick auf die immer offenere US-Kooperation mit Taiwan klargestellt, dass es für Beijing »rote Linien« gibt – etwa das Ein-China-Prinzip. Rote Linien kann man überschreiten; allerdings löst man damit wissentlich eine unkontrollierbare Konflikteskalation aus.
China gut gewappnet
Abschluss des Volkskongresses in Beijing: Mehr Geld für Forschung und Entwicklung, weniger Spielräume für westliche Einmischung
Von Jörg Kronauer
Mit den erwarteten Weichenstellungen zum Schutz der Volksrepublik gegen die zunehmenden Aggressionen des Westens ist am Donnerstag die Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses zu Ende gegangen. China wird, so sieht es der neue Fünfjahresplan vor, den Konsum im eigenen Land stärken und seine technologische Unabhängigkeit steigern, etwa durch die Aufstockung des Haushalts für Forschung und Entwicklung um über sieben Prozent pro Jahr. Damit soll das Land sich gegen US-Strafzölle und -Sanktionen immunisieren. Als Wachstumsziel wurden »mehr als sechs Prozent« vorgegeben – eine zurückhaltende Entscheidung, stellt man in Rechnung, dass die meisten Ökonomen der Volksrepublik ein Wachstum von mehr als acht Prozent vorhersagen. Die vorsichtige Festlegung hält Spielräume offen für den Fall, dass es bei der ökonomischen Kursanpassung, durch sich negativ auswirkende Entwicklungen in der Covid-19-Pandemie oder durch neue westliche Zwangsmaßnahmen zu Schwierigkeiten kommt.
Darüber hinaus fällte der Volkskongress Beschlüsse zur Stärkung des inneren Zusammenhalts Chinas und der Abwehrfähigkeiten gegen äußere Angriffe. Beides gehört, wie der Vizevorsitzende der Zentralen Militärkommission, General Xu Qiliang, auf der Jahrestagung konstatierte, aus Sicht Beijings zusammen: »Innerer Zusammenhalt« sowie starke militärische Fähigkeiten seien notwendig, urteilte Xu, um sich für den Großkonflikt mit den USA zu wappnen. Ersteres bezieht sich vor allem auf Hongkong, für das der Volkskongress ein rigideres Wahlrecht auf den Weg brachte, um Einfallstore für westliche Einmischung zu schließen. Dieser zuletzt stark ausgeweiteten Einmischung ist es geschuldet, dass Beijing die Spielräume der Opposition nun spürbar verengt. Letzteres bezieht sich darauf, dass Chinas Militärhaushalt um 6,8 Prozent steigt. Staatspräsident Xi Jinping hatte vor dem Volkskongress gefordert, Chinas »nationale Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen« zu verteidigen. Der Anteil des Streitkräfteetats an Chinas boomender Wirtschaftsleistung verharrt trotz seiner Steigerung bei geringen 1,9 Prozent.
Während Ministerpräsident Li Keqiang am Freitag auf einer Pressekonferenz urteilte, China und die USA hätten »ausgiebige gemeinsame Interessen«, und anbot, man könne »auf vielen Feldern miteinander kooperieren«, waren aus Washington konfrontative Signale zu vernehmen. Außenminister Antony Blinken stellte vergangene Woche in einer Grundsatzrede fest, China sei »das einzige Land mit der wirtschaftlichen, diplomatischen, militärischen und technologischen Macht«, das derzeitige Weltsystem ernsthaft herauszufordern. »All die Regeln, Werte und Beziehungen, die die Welt auf die Art und Weise funktionieren lassen, wie wir es wollen«, charakterisierte Blinken das »internationale System«. Admiral Philip Davidson, Kommandeur des U. S. Indo-Pacific Command, sagte am Dienstag vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, er mache sich Sorgen, China könne die Vereinigten Staaten als globale Führungsmacht ablösen – und zwar nicht erst, wie oft zu hören sei, »um 2050«, sondern deutlich früher.
Blinken und Joseph Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan werden Mitte kommender Woche in Anchorage (US-Bundesstaat Alaska) mit Chinas Außenminister Wang Yi und dem ranghöchsten Außenpolitiker der KP Chinas, Yang Jiechi, zu Gesprächen zusammentreffen. Es soll darum gehen, trotz bzw. wegen der gefährlich steigenden Konfrontation mögliche Kooperationsfelder zu finden.
Russland und China vereinbaren Mondstation
Moskau. Russland und China haben nach Angaben der Moskauer Raumfahrtbehörde ein Memorandum über den Aufbau einer internationalen wissenschaftlichen Mondstation unterzeichnet. Demnach vereinbarten Roskosmos und die chinesische Raumfahrtadministration eine Zusammenarbeit bei der Errichtung der Mondstation sowie einen offenen Zugang zu dem Projekt für andere Länder und internationale Partner. Das teilte Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin am Dienstag nach einer Videokonferenz mit seinem chinesischen Kollegen Zhang Kejian in Moskau mit. (dpa/jW)
Das asiatische Jahrhundert (10.03.2021)
Deutsche Unternehmen sind immer stärker vom Chinageschäft abhängig und bauen ihre Aktivitäten in China trotz US-Wirtschaftskrieg aus.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Deutsche Unternehmen sind immer stärker auf das Chinageschäft angewiesen und verlagern in wachsendem Maße Aktivitäten in die Volksrepublik. Dies geht aus aktuellen Wirtschaftsdaten und einer neuen Umfrage unter deutschen Firmen hervor. So ist China nicht nur eins von sehr wenigen Ländern, in die deutsche Firmen 2020 genauso viel exportieren konnten wie im Jahr zuvor; es ist auch die einzige große Volkswirtschaft, in die deutsche Firmen in diesem Januar bereits wieder mehr ausführten als im Vorjahresmonat. Dass die Exporte in die Volksrepublik die deutsche Wirtschaft maßgeblich stützen, ist auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil pandemiebedingt der deutsche Inlandskonsum unverändert lahmt. Schon fünf Dax-Konzerne, so etwa VW, Daimler, Infineon, erzielen ihren größten Umsatzanteil in China, mehr als auf dem deutschen Heimatmarkt. Gegen die Risiken des US-Wirtschaftskriegs sichern sich deutsche Firmen mit Chinageschäft zunehmend ab, indem sie immer mehr Aktivitäten in die Volksrepublik verlagern. Bemühungen, sie zum Rückzug aus China zu veranlassen, sind gescheitert.
“Glücksfall China”
Ein aktuelles Schlaglicht auf die Bedeutung Chinas für die deutsche Industrie werfen die gestern veröffentlichten Angaben zum deutschen Außenhandel für Anfang 2021. Bereits 2020 war die Volksrepublik fast das einzige Land gewesen, das trotz der Coronakrise genauso viel deutsche Exporte abgenommen hatte wie im Vorjahr und das seine Ausfuhren in die Bundesrepublik sogar deutlich hatte steigern können. China baute damit seinen Vorsprung als größter Handelspartner Deutschlands aus und rückte zum zweitgrößten Abnehmer deutscher Exporte auf – vor Frankreich und knapp hinter den USA. Auch das relative Exportplus im Januar geht laut den Angaben des Statistischen Bundesamts vor allem auf das Konto der Volksrepublik. So stiegen die Exporte im Januar um 1,4 Prozent gegenüber dem Vormonat Dezember – immerhin eine Aufwärtsbewegung, wenngleich sie mit einem Wert von 98,1 Milliarden Euro immer noch rund 8,0 Prozent unter dem Vorkrisenwert vom Januar 2020 blieben. Die einzige große Volkswirtschaft, in die deutsche Unternehmen im Januar mehr exportieren konnten als im Vorjahresmonat, war China, das gut 3,1 Prozent mehr deutsche Waren kaufte als im Januar 2020; ansonsten lagen die deutschen Exporte deutlich unter dem Vorjahreswert – um 6,0 Prozent im Fall der EU, um 6,2 Prozent bei den USA. Chinas rasante Erholung, konstatiert ein Experte von der Wirtschaftsberatungsgesellschaft EY, sei ein “Glücksfall gerade für die deutschen Unternehmen”.[1]
Absatzmarkt und Forschungsstandort
Unverändert wächst auch der Anteil des Chinageschäfts an den Gesamtaktivitäten deutscher Unternehmen. Dies gilt vor allem für die Kfz-Konzerne, die längst nicht mehr nur ihre Fabriken in der Volksrepublik ausbauen, sondern auch Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in das Land verlagern; so hat Volkswagen im Dezember ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für E-Mobilität in der Metropole Hefei eröffnet und will die Provinz Anhui, deren Hauptstadt Hefei ist, von nun an als “E-Mobilitäts-Hub” nutzen.[2] VW ist einer von fünf Dax-Konzernen, für die China inzwischen zum größten Einzelmarkt aufgestiegen ist, noch vor dem Heimatmarkt; VW erzielt dort 41 Prozent seines Gesamtumsatzes, BMW 32 Prozent, Daimler 29 Prozent. Daimler verdankt die Tatsache, dass der Konzern im vergangenen Jahr trotz der Coronakrise einen Gewinn von rund vier Milliarden Euro verbuchen konnte, vor allem der Steigerung seines Absatzes in China um rund zwölf Prozent.[3] Neben der Kfz- ist auch die Halbleiterbranche auf die Volksrepublik angewiesen; Infineon etwa erzielt in China 39 Prozent seines Konzernumsatzes, in Deutschland nur noch elf Prozent.[4] Bei Siltronic beläuft sich der chinesische Umsatzanteil auf 27 Prozent, bei Aixtron gar auf 59 Prozent. Aber etwa auch Adidas (22 Prozent) und Puma (16 Prozent), die Bayer-Abspaltung Covestro (19 Prozent), Knorr Bremse (17 Prozent), Siemens und Merck (je 14 Prozent) könnten ihren Bestand ohne Chinageschäft nicht ansatzweise behaupten.
Neuinvestitionen in der Volksrepublik
Neben den Wirtschaftsdaten zeigt eine aktuelle Umfrage, dass die vergangenes Jahr gestarteten Bemühungen, den Fokus deutscher Unternehmen von China weg und auf andere Länder vor allem Südost- und Südasiens zu lenken, bislang gescheitert sind. Vor allem in der ersten Jahreshälfte 2020 hatten Politik und Medien unter Verweis darauf, dass die pandemiebedingte zeitweise Stilllegung von Fabriken in China die Lieferketten auch deutscher Unternehmen heftig erschüttert hatte, immer wieder gefordert, deutsche Firmen sollten ihre Standorte in andere Staaten verlegen, etwa nach Vietnam oder Indien; unter der Parole “Diversifizierung von Lieferketten” taucht der Gedanke auch in den “Indo-Pazifik-Leitlinien” der Bundesregierung auf.[5] Nun haben manche Unternehmen zwar in der Tat Fabriken verlagert, etwa in Länder des südostasiatischen Festlands; Ursache dieser bereits seit Jahren festzustellenden Tendenz ist allerdings, dass die Löhne in China steigen. Eine Umfrage, die die Deutsche Handelskammer in China und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG unter mehr als 500 deutschen Unternehmen in der Volksrepublik durchgeführt haben, zeigt nun aber, dass 96 Prozent von ihnen nicht die Absicht haben, China zu verlassen; 72 Prozent planen sogar neue Investitionen in dem Land. Dabei gehen 77 Prozent fest davon aus, dass ihr Geschäft im Jahr 2021 in China besser laufen wird als auf anderen Märkten; 72 Prozent erwarten steigende Umsätze, 56 Prozent höhere Gewinne.[6]
Wirtschaftskrieg und “dual circulation”
Dabei bestätigt die Umfrage eine deutliche Tendenz zur Lokalisierung der Geschäftsaktivitäten in China – nicht nur zur Gründung neuer Standorte in der Volksrepublik, sondern auch zur Ansiedlung von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten (43 Prozent der Unternehmen) und zur Beschaffung vor Ort (34 Prozent). Hintergrund ist zunächst der US-Wirtschaftskrieg gegen China, der es auch den dort tätigen deutschen Firmen angeraten erscheinen lässt, sich von Zulieferungen aus dem Ausland unabhängig zu machen.[7] Diese Tendenz wird nun verstärkt durch Weichenstellungen des neuen Fünfjahresplans (2021 bis 2025), der in diesen Tagen vom Nationalen Volkskongress verabschiedet werden soll. Unter der Parole “dual circulation” (“zwei Kreisläufe”) geht es darum, zum Schutz vor US-Embargos und -Sanktionen die Abhängigkeit vom Ausland möglichst rasch zu verringern, dazu zum einen die Entwicklung modernster Technologien – insbesondere Halbleiter – im Inland voranzutreiben und zum anderen den innerchinesischen Konsum zu stärken, um Schäden beim Export durch weitere Strafzölle auszugleichen. Um von der geplanten Stärkung des “inneren Kreislaufs” profitieren zu können und von einer etwaigen Schwächung des “äußeren Kreislaufs” (Ex- und Import) nicht betroffen zu sein, setzen deutsche Firmen ebenfalls auf Lokalisierung.
“Sensible Abhängigkeiten”
Als Gefahr für Geschäft und Profit deutscher Unternehmen in China gilt inzwischen zwar nicht mehr nur der US-Wirtschaftskrieg, sondern auch das rasante technologische Aufholen chinesischer Firmen, die sich zu einer immer schärferen Konkurrenz entwickeln: “Unternehmen, die in China Geschäfte machen”, warnt etwa Jürgen Matthes, Konjunkturexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), “müssen sich fragen, ob und welche Geschäfte sie dort in fünf oder zehn Jahren machen können, wenn China seine Selbstversorgung erhöht, technologisch aufgeholt hat und die ausländischen Unternehmen in wichtigen Bereichen nicht mehr braucht”.[8] “Strategie der deutschen Unternehmen mit Chinageschäft” müsse es in Zukunft sein, “auch ohne China nicht zusammenzubrechen”. In Wirtschaftskreisen wird bezweifelt, dass dies möglich ist – schließlich ist die Volksrepublik längst auf Kurs, die Vereinigten Staaten 2028 oder 2029 als Land mit der größten Wirtschaftsleistung weltweit abzulösen und auch dann noch in hohem Tempo weiterzuwachsen. China könne es sich “sehr wohl leisten, notfalls auf den deutschen Markt zu verzichten”, äußerte kürzlich Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser: “Umgekehrt ist das nicht der Fall. Hier gibt es sehr sensible und kritische Abhängigkeiten.”[9] Kaeser urteilt lapidar: “Das 21. Jahrhundert ist das asiatische Jahrhundert, und damit müssen wir umgehen.”
Zweite Front
Bundesmarine im Südchinesischen Meer
Von Jörg Kronauer
Hat er »Kampfbereitschaft« gesagt? Da kreuzen seit Jahr und Tag US-Kriegsschiffe vor der chinesischen Küste, zuletzt in steigender Frequenz. Da schicken immer mehr westliche Staaten Zerstörer, Atom-U-Boote zu Patrouillen ins Südchinesische Meer, jüngst Frankreich, bald Großbritannien, das einen Flugzeugträger in das Gewässer entsenden will. Da halten die USA dort inzwischen Kriegsübungen mit Flugzeugträgerkampfgruppen im Doppelpack ab, planen die Stationierung von Mittelstreckenraketen auf der »ersten Inselkette« östlich und südöstlich Chinas, während US-Militärstrategen öffentlich darüber spekulieren, ob es zehn oder vielleicht eher 15 Jahre dauern werde, bis man Krieg gegen die Volksrepublik führe – und da fordert Staatspräsident Xi Jinping, um »nationale Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen« des Landes zu verteidigen, müsse man notfalls »Kampfbereitschaft« demonstrieren? »Irritierend martialisch«, befand am Freitag Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerin für – na? Für den Streichelzoo?
Getreu der Maxime, dass man sich im Westen aufgeklärt-humanistisch gibt und Militarismus in schönen Reden verdammt, bevor man die Waffen sprechen lässt, verband die Militärministerin ihre geheuchelte Empörung über Xi mit der Bestätigung, Anfang August werde die Fregatte »Bayern« in Richtung Südchinesisches Meer entsandt: Deutschland beteiligt sich am Aufmarsch der westlichen Flotten vor der chinesischen Küste – wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Kaiserliche Marine im Südchinesischen Meer kreuzte. Der Unterschied: Damals befand sich China im Abstieg, wurde von den Kolonialmächten, darunter das Deutsche Reich, immer weiter in den Abgrund getrieben. Heute ist es der Westen, der schwächer wird, dessen herrschende Kreise die Volksrepublik niederhalten müssen, wollen sie die Herren der Welt bleiben, zu denen sie einst auch mit ihren Siegen über das zuvor mächtige China wurden. Gelingt das nicht per Wirtschaftskrieg, dann bliebe nur physische Gewalt.
Risikofrei ist der Versuch, Deutschlands Wohlstand vor den chinesischen Küsten zu verteidigen, freilich nicht. Spitzenkonzerne der Auto-, der Halbleiter- und anderer Branchen erzielen inzwischen ein Drittel ihres Umsatzes oder mehr in China. Das bremst die martialische Kanonenbootpolitik, was Berlin anbelangt, noch ein wenig. Die Fregatte »Bayern« wird bestimmte, in den USA populäre Provokationen – Durchfahrten durch Zwölfmeilenzonen umstrittener Inseln –, wohl unterlassen. Das ändert nichts daran: Deutschland beginnt mit dem Aufbau einer zweiten östlichen Front.
US-Admiral warnt vor realer Möglichkeit eines Atomkriegs mit Russland und China
Es bestehe die reale Möglichkeit, dass eine regionale Krise mit Russland oder China schnell zu einem Konflikt mit Atomwaffen eskaliere, sagte der Leiter der STRATCOM. Er forderte die US-Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die USA ihren “militärischen Vorsprung beibehalten”.
RusStrat: China bietet Russland offizielles Militärbündnis an
Nachdem sich die “strategische Partnerschaft” zwischen Peking und Moskau viele Jahre bewährte, wäre ein Militärbündnis die logische Fortsetzung der immer enger gewordenen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kooperation und Abstimmungen zwischen den beiden Ländern. Laut dem Moskauer Institut für internationale Strategien gibt es jetzt ein solches Angebot Chinas.
Atemberaubend
Von Arnold Schölzel
Vor einer Woche noch sah es für die freie Welt, gemessen an Zeitungstexten, schlecht aus. Am 6. März greift z. B. der Tagesspiegel eine Meldung auf, wonach »in China Einreisende einen Analabstrich über sich ergehen lassen« müssen. In Stuhlproben sei das Coronavirus länger nachweisbar. Ein Regierungsmitglied Japans habe bereits »psychische Schmerzen« bei Untersuchten diagnostiziert, und auch das US-Außenministerium habe »protestiert, weil US-Diplomaten sich ebenfalls zugunsten der Gesundheit chinesischer Bürger vornüberbeugen mussten«. Der Tagesspiegel sieht in der erzwungenen Verrenkung »Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen Pekings auf internationaler Bühne«. Noch viel deutlicher werde »das Großmachtstreben allerdings« bei der Tagung des Volkskongresses. Titel des Artikels: »Über Macht, Aufrüstung und Repression: Mit welchen Mitteln China seinen Einfluss noch weiter ausweiten will«. Offenbar mit weltweit erzwungenen Stuhlproben.
Und mit Waffen. Auf Seite eins derselben Tagesspiegel-Ausgabe kommentiert also Christoph von Marschall, »diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion«, die »Militärmacht China«. Er hat herausgefunden, bisher hätten »Wachstum und die Chance, davon zu profitieren«, den »Exportchampion Deutschland« fasziniert, neu sei, dass »man sich hierzulande auch für Chinas Rüstung interessiert«. Was er mit »neu« meint, schreibt er nicht. Immerhin sind Sondergesetze, die chinesische Einkäufe deutscher Produzenten verhindern sollen, schon einige Jahre alt. Von der deutschen Fregatte, die demnächst vor China kreuzen soll, nicht zu reden. Von Marschall meint, China nehme »immer weniger Rücksicht auf internationale Regeln und Verträge oder die Interessen anderer«, und fragt, ob sich der Frieden retten lasse. Antwort: »Ihre Hoffnungen richten Chinas Nachbarn auf Europa.« Erwartet werde »eine gemeinsame Strategie Europas und der USA, um China durch Druck und militärische Präsenz einzudämmen«. Anders gesagt: Schickt nicht ein deutsches Kanonenboot, sondern viele. Das ist bei weitem nicht so klar wie weiland Kaiser Wilhelm II. 1900 in seiner »Hunnenrede« und führt auch nicht gerade aus den Depressionen, die Stuhlproben verursachen.
Aber für Umschwung ist gesorgt. So veröffentlicht der in Hamburg lehrende Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar in seiner Welt-Kolumne am Mittwoch den Leitsatz für eingebildete ideologische Hegemonie: »In autoritären Systemen wird per Zwang regiert, in Marktwirtschaften per Überzeugung.« Da sehen jede deutsche Klitsche oder Amazon überzeugend gut und die Volksrepublik alt aus.
Am Freitag folgt – so schnell geht Weltgeschichte – die triumphale Bestätigung der Straubhaar-Parole: Dem FAZ-Kommentator Klaus-Dieter Frankenberger »verschlägt« schon »die schiere Zahl« von 1,9 Billionen US-Dollar (1,6 Billionen Euro) im »Konjunkturpaket« des neuen US-Präsidenten »den Atem«. Denn die Krise hat nichts mit Kapitalismus, sondern allein mit einem Virus zu tun. Aber nun: »An der Pandemiefront« entspanne sich die Lage, »die Wachstumsaussichten werden immer rosiger«. Die USA könnten »die andere, die staatskapitalistische Lokomotive der Weltwirtschaft« überholen, »und zwar in einem Augenblick, in dem der Systemkonflikt immer schärfer wird«. Offenbar war die zweite Rettung der Weltwirtschaft durch China innerhalb eines Jahrzehnts derart demütigend, dass beim ersten konjunkturellen Lichtblick Euphorie und Großmachtphantasien die publizistischen Fachkräfte überwältigen – bis zur nächsten Krise. Für Konfliktverschärfung sorgen NATO, EU und Zeitungsleute bis dahin unentwegt. Mal verunsichert wegen Großmachtstrebens durch Stuhlproben, mal des Atems beraubt wegen der zukünftigen eigenen Erfolge und wegen militärischer Präsenz.
Ergänzend zur Konzeption der “Seidenstraße” baut China eine ähnliche “Medikamentenstraße” auf, durch die es Lämder der armen Welt und vor allem des globalen Südens mit Medikamenten und Impfstoffen an sich zu binden sucht. Das wurde gerade in der Sendung “Operation Impfstoff” auf PHOENIX dargelegt. (Cuba probiert m. W. ähnliches, vor allem in einigen lateinamerikanischen Staaten.)
https://programm.ard.de/?sendung=287254140498295&first=1
Die Türkei, Belarus, Serbien u.a. impfen ebenfalls bereits mit chinesischem Impfstoff:
https://www.wiwo.de/politik/ausland/chinesischer-corona-impfstoff-chinas-impfstoff-ist-beliebter-als-vielleicht-vermutet/26875768.html
China will bis Ende dieses oder Mitte nächsten Jahres 70 bis 80 Prozent seiner Bevölkerung gegen das Coronavirus impfen und so die sogenannte Herdenimmunität erreichen. Der Leiter des Zentrums für Krankheitskontrolle, Gao Fu, sagte im staatlichen Fernsehsender CGTN, für die Impfung von 900 Millionen bis einer Milliarde Menschen stünden derzeit vier Vakzine zur Verfügung. „Wir hoffen, dass China beim Erreichen der Herdenimmunität führend in der Welt sein kann“, sagte er. Bis Ende Februar wurden in China 52,5 Millionen Menschen geimpft. Die Impfkampagne lief bisher langsamer als in mehreren anderen Ländern wie den USA.
China hat bisher schätzungsweise zehnmal mehr Impfstoffe ins Ausland geliefert, als im eigenen Land angewendet.
Newsblog DLF, 13.03.21
https://www.deutschlandfunk.de/newsblog-zum-coronavirus-die-entwicklungen-vom-12-und-13.2852.de.html?dram:article_id=494057
Dass eine strikte Corona-Bekämpfung im Inland weltwirtschaftliche kapitalistische Perspektiven für China im Ausland eröffnet hat, das zeigt also der letzte Satz …
Die Signale aus China sollen sich so lesen lassen:
China braucht keinen Game-Changer durch das Impfen – wie der Rest der Welt. Denn, so erläutert es Michael Krätke im Freitag, die Sprachregel soll lauten:
“… China hat Corona gemeistert und die Pandemie besiegt. Impfstoffe aus eigener Forschung und Produktion gibt es reichlich, auch wenn es noch dauern wird, bis 1,4 Milliarden Menschen vollends immunisiert sind. Man liefert seine Vakzine großzügig in Entwicklungsländer, auch in EU-Staaten. Impfstoff-Diplomatie, die auf dem Balkan wie in Afrika wirkt.
Alles, was westliche Medien bewegt, Hongkong und Xinjiang etwa, beschäftigt die Chinesen nur am Rande. Für den Volkskongress wie das einheimische Publikum ist anderes wichtig, der neue Fünfjahrplan (2021 – 2025) zuerst. Anders als häufig suggeriert, ist der Volkskongress kein Treffen der Claqueure, gehen doch der Tagung in Peking über Wochen zahllose Meetings im ganzen Land voraus. Es gibt in der Volksrepublik durchaus eine kritische Öffentlichkeit. Auch ist das Land weit weniger zentralisiert, als man in Europa glaubt. Zum Volkskongress wollen mächtige und eigensinnige Provinzfürsten beachtet sein, die wiederum auf Großunternehmen, Metropolen und Berufsverbände in ihrem Sprengel Rücksicht nehmen…. (Forts.):
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ziel-weltspitze
(Lese-Empfehlung meinerseits, schon deswegen, weil der Artikel vom gängigen China-Bild abweicht.)
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Führend bei Zukunfts-Technologien sein zu wollen – das ist zumindestens im Bereich der Elektro-Mobilität anscheinend bereits gelungen:
“Aufgrund der üppigen Subventionen wurden in der Bundesrepublik 2020 rund 395.000 Elektroautos und Hybride zugelassen, wodurch die USA – wo ähnliche Förderungen im vergangenen Jahr ausliefen – bei den Neuzulassungen in diesem Segment überholt wurden. In den Vereinigten Staaten kamen rund 322.000 neue Elektrofahrzeuge auf die Straßen. Indessen ist China mit weitem Abstand führend beim Ausbau der Elektromobilität. Rund 1,25 Millionen Neuzulassungen von Stromern und Hybriden wurden im vergangenen Jahr in der Volksrepublik verzeichnet, was nur von der gesamten EU überboten werden konnte, wo 1,37 Millionen E-Fahrzeuge erworben wurden.”
https://www.heise.de/tp/features/Mogelpackung-Elektromobilitaet-5987309.html?seite=all
Technologisch führend sein zu wollen – das heißt ja auch, technische Standards setzen zu können, und weitere zukünftige Entwicklungen wiederum von denen abhängig machen zu können.
So will China durch Technik und durch seine Seidenstraßen/Medikamenten-Beziehungen eher etwas unterschwellig weltpolitischer Souverän, Regelsetzer und Normierungsinstanz werden – und das eher jenseits von Krieg und -Diplomatie, Militärentwicklungen, “Friedenskonferenzen”, G 20-Treffen, UNO-Sicherheitsrat o.ä., wo China nämlich insgesamt eher selten aus eigenem Antrieb in Erscheinung tritt.
Dazu passt – umgekehrt umgekehrt – der von NN gepostete Aufmarsch der Westmächte, inkl. BRD
http://nestormachno.blogsport.de/2020/02/18/die-entwicklung-chinas-zur-weltmacht/#comment-42214
… und noch ein erstmal letzter Literaurtipp.
Der letzte Teil des China-Artikels von 2006 hat als Unterthema:
“China setzt sich gegen das amerikanische Unterordnungsgebot zur Wehr”:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/china-will-weltmacht-werden#section5
Incl. auch einer nach wie vor aktuellen Feindschaftserklärung der USA:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/china-will-weltmacht-werden#fn9
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Stephan Kaufmann hatte bereits 2018 einen weiteren Grund für die US-Feindschaft ausgemacht:
“(…) Auf dem Weltschuldenmarkt ist eine neue Macht aufgetreten: China. Wenn sich Schwellenländer Millionen Dollar leihen wollten, mussten sie früher an die internationalen – und das heißt: amerikanischen – Finanzmärkte gehen. Heute gibt es eine Alternative. „Viele afrikanische und nahöstliche Staaten sind stark bei China verschuldet“, so US-Ökonomin Reinhart. Hier herrschten „undurchsichtige Verhältnisse“.
Internationale Beobachter fragten sich, ob China einigen Ländern bereits Schulden erlassen habe. Niemand weiß es. Klar ist aber: Chinesische Gläubiger sind weniger unerbittlich als die globalen Märkte. „Einen chinesischen Gläubiger zu haben, bedeutet ein anderes Risiko-Profil“, so Nigel Pridmore von der Kanzlei Ashurst in Hongkong, „die agieren nicht wie westliche Vermögensverwalter.“
So untergräbt Peking die Kreditmacht des Westens.”
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/china-kriegt-euch-alle
Und, wie nicht nur an den vorlauten und gescheiterten Bemühungen der Europäer ersichtlich, eine eigene Handelsplattform mit Iran gegen den Dollar auf die Beine stellen zu wollen, oder beim Wirtschaftskrieg der USA gegen Cuba, bestehen die USA unbedingt gegen alle Welt auf der Gültigkeit der Einzigartigkeit ihrer Dollarmacht und der Unterordnung der ganzen Welt unter die globale Geldmacht der USA.
Washington hetzt weiter
US-Minister zu Gesprächen in Südkorea. Biden nennt Putin »Mörder«
Washington verschärft weiter sein aggressives Vorgehen gegen China, Nordkorea und Russland. US-Außenminister Antony Blinken und Pentagon-Chef Lloyd Austin haben am Mittwoch mit Kritik an Beijing und Pjöngjang und mit »Sicherheitsgarantien« für Südkorea ihre Reise in Ostasien fortgesetzt. Angesichts der »beispiellosen Herausforderungen« durch China und Nordkorea sei die Allianz mit Südkorea noch niemals so wichtig gewesen wie jetzt, sagte Austin in Seoul. Blinken warf Beijing »aggressives Verhalten« im Umgang mit Hongkong, Taiwan und Tibet vor. Nordkorea beschuldigte er der »systematischen Menschenrechtsverletzung an der eigenen Bevölkerung«.
Austin und Blinken versuchen auf ihrer ersten internationalen Reise als Minister den Druck auf Japan und Südkorea zu erhöhen, auf Washingtons außenpolitischen Konfrontationskurs einzuschwenken. Er sei gekommen, um die Entschlossenheit der USA zu bekräftigen, »Südkorea zu verteidigen«, sagte Austin beim Treffen mit seinem Amtskollegen Suh Wook. Auch Blinken betonte bei einem Treffen mit Außenminister Chung Eui Yong, dass die Allianz der beiden Länder »unangreifbar« sei. An diesem Donnerstag kommen die Außen- und Verteidigungsminister beider Staaten zu einer Viererrunde zusammen.
Unterdessen hat US-Präsident Joseph Biden seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin als »Mörder« bezeichnet. In einem am Mittwoch ausgestrahlten Interview des Senders ABC antwortete er auf die Frage, ob er denke, dass Putin ein »Mörder« sei: »Das tue ich.« Zudem drohte er Russlands Präsidenten »Konsequenzen« wegen einer angeblichen Einmischung Moskaus in die US-Wahl im vergangenen November an.
Derweil sind bei einem mutmaßlich rassistischen Anschlag am Dienstag (Ortszeit) in drei verschiedenen Massagesalons im südlichen US-Bundesstaat Georgia acht Menschen innerhalb kurzer Zeit erschossen worden. Die Zeitung Atlanta Journal-Constitution berichtete, bei sechs der Toten handele es sich um asiatischstämmige Frauen. Gut drei Stunden nach den Vorfällen in und um die Hauptstadt Atlanta nahm die Polizei einen 21jährigen Weißen fest, der verdächtigt wird, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein. (AFP/dpa/jW)
Gemeinsam gegen China (18.03.2021)
EU beschließt Sanktionen gegen Beijing – und beteiligt sich damit an der verstärkten US-Offensive gegen die Volksrepublik.
BERLIN/WASHINGTON/BEIJING (Eigener Bericht) – Die EU schließt sich der Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten gegen China an und verhängt erstmals seit 1989 Zwangsmaßnahmen gegen die Volksrepublik. Der gestern gefällte Beschluss sieht Einreisesperren und das Einfrieren des Vermögens von vier chinesischen Regierungsvertretern und einer chinesischen Institution vor; am kommenden Montag soll er von den EU-Außenministern in aller Form abgenickt werden. Zugleich treten neue US-Sanktionen in Kraft; die Biden-Administration hat gestern Zwangsmaßnahmen gegen 24 hochrangige chinesische Amtsträger verhängt. Noch ist unklar, ob und wie Beijing darauf reagiert; zuletzt hatte es mit Gegensanktionen einigen Spitzenpolitikern der Trump-Administration den Wechsel auf lukrative Posten in der Privatwirtschaft erschwert. Die neue transatlantische Sanktionswelle ist Teil einer Offensive, die von den USA à la Trump forciert wird und neben neuen Wirtschaftssanktionen auch weiter steigenden politischen sowie militärischen Druck umfasst. Die Bundesregierung beteiligt sich mit der Entsendung einer Fregatte ins Südchinesische Meer.
EU-Sanktionen
Die EU schließt sich der US-Sanktionspolitik gegen China an und verhängt zum ersten Mal seit mehr als drei Jahrzehnten neue Zwangsmaßnahmen gegen Beijing. Darauf haben sich die EU-Botschafter aller 27 Mitgliedstaaten gestern geeinigt. Den förmlichen Beschluss werden die Außenminister am Montag fällen.[1] Betroffen sind demnach vier chinesische Regierungsvertreter und eine noch nicht näher benannte Institution. Sofern sie Vermögen in der EU haben, wird es eingefroren; zudem dürfen sie künftig weder in die EU einreisen noch Geschäfte mit EU-Bürgern machen.[2] Begründet wird das mit ihrer Beteiligung an angeblichen Menschenrechtsverletzungen im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang, der nordwestlichsten Region der Volksrepublik. Beijing streitet die Vorwürfe ab. Juristische Basis ist das neue Sanktionsgesetz, das die EU Ende 2020 verabschiedet hat (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Offiziell dient es vor allem der Bestrafung schwerer Menschenrechtsverletzungen. Seine praktische Nutzung – gegenüber verbündeten Staaten wird es weder bei exzessiver Polizeigewalt noch bei Drohnenmorden oder anderen Verbrechen angewandt – zeigt jedoch, dass seine eigentliche Aufgabe darin besteht, als Mittel im Machtkampf gegen staatliche und nichtstaatliche Gegner zu dienen.
US-Sanktionen
Währenddessen haben die Vereinigten Staaten am gestrigen Mittwoch ebenfalls neue Sanktionen gegen China verhängt. Bereits im vergangenen Jahr hatte Washington – neben diversen Sanktionen gegen chinesische Unternehmen – in mehreren Wellen Zwangsmaßnahmen gegen hochrangige Funktionäre aus der Volksrepublik in Kraft gesetzt, darunter Einreisesperren sowie das Einfrieren von Vermögenswerten. Zur öffentlichen Legitimation hatte die Trump-Administration gleichfalls menschenrechtliche Vorwände vorgetragen. Gestern teilte die Biden-Administration mit, sie werde 24 chinesische Amtsträger mit Finanzsanktionen belegen, darunter sämtliche 14 stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Hatte Washington sie bereits im Dezember mit Einreisesperren und anderen Restriktionen belegt [4], so werden nun sämtliche Finanzinstitute weltweit mit Strafen bedroht, sollten sie Geschäfte mit den betroffenen chinesischen Amtsträgern tätigen [5]. Es handelt sich zum wiederholten Male um extraterritoriale Sanktionen, die souveräne Rechte fremder Staaten brechen und damit völkerrechtswidrig sind. Die Zwangsmaßnahmen wurden dieses Mal als Antwort auf Chinas Vorgehen in Hongkong legitimiert; sie stellen damit zudem eine Einmischung in innere Angelegenheiten der Volksrepublik dar.
“Wir werden nicht nachgeben”
Ob und, wenn ja, wie Beijing reagieren wird, ist noch unklar. Chinas EU-Botschafter Zhang Ming hatte bereits am Dienstag vor Sanktionen gewarnt: “Wenn einige auf Konfrontation bestehen – wir werden nicht nachgeben”, kündigte Zhang an und forderte die Union auf, es sich “zweimal zu überlegen”, ob sie den Konflikt tatsächlich noch weiter verschärfen wolle.[6] Beijing hatte zuletzt am 20. Januar Gegenmaßnahmen ergriffen und Sanktionen gegen 28 führende Mitarbeiter der scheidenden Trump-Administration verhängt, darunter Ex-Außenminister Mike Pompeo, Trumps Ex-Handelsberater Peter Navarro, den Nationalen Sicherheitsberater Robert O’Brien sowie dessen Stellvertreter Matthew Pottinger. Sie wurden nicht nur mit einer Einreisesperre belegt; ihnen ist zudem künftig jegliches Chinageschäft untersagt. Letzteres gilt zudem für sämtliche Unternehmen und Institutionen, die in irgendeiner Form mit ihnen verbunden sind.[7] Das ist deshalb relevant, weil US-Regierungsmitarbeiter nach ihrem Ausscheiden üblicherweise gutbezahlte Tätigkeiten in Denkfabriken oder der Privatwirtschaft annehmen; dies könne jetzt für die sanktionierten Politiker schwieriger werden, weil zahlreiche US-Unternehmen ihr Chinageschäft nicht gefährden wollten, wird eine Expertin des Center for Strategic and International Studies (CSIS) zitiert.[8]
Der asiatisch-pazifische Anti-China-Pakt
Die neuen Sanktionen sind Teil einer neuen Offensive gegen China, die von den USA forciert und von den Mächten Westeuropas zumindest teilweise mitgetragen wird. Die Biden-Administration hält nicht nur an Trumps Sanktionspolitik gegen Huawei und zahlreiche weitere chinesische High-Tech-Konzerne fest; sie dehnt sie sogar weiter aus: Vergangene Woche wurde etwa mit Hytera ein Unternehmen auf eine Sanktionsliste gesetzt, dessen Technologie unter anderem von Polizei und Rettungsdiensten der Niederlande, von diversen Verkehrsbetrieben in Deutschland und von der Bundeswehr genutzt wird. Die Folgen der US-Listung für die EU sind unklar.[9] Darüber hinaus setzt die Biden-Administration die unter Trump gestarteten Bestrebungen fort, mit dem “Quad” (“Quadrilateral Security Dialogue”) ein hart antichinesisches Bündnis in der Asien-Pazifik-Region zu schmieden. Vergangenen Freitag kamen die Staats- und Regierungschefs der vier beteiligten Staaten online zum ersten Quad-Gipfeltreffen zusammen. Beschlossen wurde unter anderem, eine Milliarde Impfdosen des US-Vakzins von Johnson & Johnson in Indien zu produzieren und sie gemeinsam bis Ende 2022 in der Asien-Pazifik-Region zu verteilen, erklärtermaßen, um China als Vakzinlieferant das Wasser abzugraben.[10] Weitere gemeinsame Maßnahmen sollen folgen.
Die Pacific Deterrence Initiative
Auch militärisch knüpft die Biden-Administration an den von Trump forcierten Aufmarsch der US-Streitkräfte im “Indo-Pazifik” [11] an. Die Trump-Administration hat unter anderem die Patrouillen von US-Kriegsschiffen im Südchinesischen Meer ausgeweitet; in den Jahren 2019 und 2020 fuhren US-Marineschiffe dort jeweils zehnmal in die Zwölf-Meilen-Zonen vor von China beanspruchten Inseln ein, doppelt so oft wie im Jahr 2014. Zudem durchquerten US-Kriegsschiffe die Taiwan-Straße 13 Mal – die höchste Zahl in den vergangenen 14 Jahren.[12] Anfang März wurde bekannt, dass der Kommandeur des U.S. Indo-Pacific Command, Admiral Philip Davidson, dem US-Kongress einen 27,3 Milliarden US-Dollar teuren Plan vorgelegt hat, dessen Erstellung noch unter Trump begonnen wurde und der nun unter Biden energische Schritte zur Militarisierung des Pazifik vorsieht. Eines der darin enthaltenen Programme (“Pacific Deterrence Initiative”) ist dem zentralen US-Programm für den Aufmarsch gegen Russland nachempfunden (“European Deterrence Initiative”).[13] Geplant ist unter anderem die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf der sogenannten Ersten Inselkette von Japan über Taiwan und die Philippinen bis nach Borneo.[14]
Wer auf wen verzichten kann
Die Bundesregierung beteiligt sich an dem militärischen Aufmarsch gegen China vor allem mit der Entsendung der Fregatte Bayern nach Ostasien, wo sie auch das Südchinesische Meer durchqueren soll.[15] Hemmend wirkt sich freilich aus, dass die deutsche Wirtschaft – forciert durch die Coronakrise – stärker denn je auf das Chinageschäft angewiesen ist und ihre Aktivitäten in der Volksrepublik immer weiter ausweitet. Die Volksrepublik könne es sich “sehr wohl leisten, notfalls auf den deutschen Markt zu verzichten”, urteilte vor kurzem der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser: “Umgekehrt ist das nicht der Fall.”[16]
Globaler Führungskampf in der Elektroautobranche (12.03.2021)
Beobachter sehen Deutschland auf dem Weg zur Marktführerschaft bei E-Pkw. Experten warnen vor Selbsttäuschung und verweisen auf chinesische Konkurrenz.
BERLIN (Eigener Bericht) – Beobachter sehen die Bundesrepublik auf dem Weg zum Marktführer in der strategischen Zukunftsbranche Elektromobilität. Deutschland sei dabei, zum “klar dominierenden Standort” in der Batteriezellenproduktion zu werden, einem Kernbereich der Branche, der für rund 40 Prozent der Wertschöpfung bei E-Autos stehe, heißt es in einer aktuellen Studie. Zudem holten die Bundesrepublik und deutsche Konzerne sowohl bei der Neuzulassung als auch bei der Produktion von Elektroautos und Plug-In-Hybriden rasch auf. Insbesondere Volkswagen nähere sich inzwischen der Nummer eins der Branche, dem US-Konzern Tesla, an. Gleichzeitig weisen Experten allerdings darauf hin, dass die Aufholjagd der Bundesrepublik in hohem Maß auf der Nutzung von Plug-In-Hybriden beruht, während beim eigentlichen Branchenkern – bei reinen E-Pkw – nach wie vor ein klarer Rückstand besteht: Die vermeintliche Marktführerschaft könnte sich als verhängnisvoller Selbstbetrug entpuppen. Branchenkreise warnen insbesondere vor rasanten technologischen Fortschritten der chinesischen Konkurrenz.
“Gigafactories” für Europa
Beobachter sehen die Bundesrepublik auf dem Weg zu einem Marktführer bei der Elektromobilität. Demnach werde Deutschland zum “mit Abstand” wichtigsten Zentrum der Batteriezellenproduktion in Europa aufsteigen, heißt es unter Verweis auf jüngst publizierte Wirtschaftsstudien.[1] Die aufwendig und energieintensiv zu produzierenden Batterien für Elektroautos stellten eine “Schlüsselkomponente” auf dem rasch expandierenden Markt dar; auf sie entfielen rund “40 Prozent der gesamten Wertschöpfung” bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen. Bislang seien Unternehmen in Europa “fast vollständig auf Lieferungen aus asiatischen Batteriezellenfabriken angewiesen”; dies solle sich aber “schneller als bislang angenommen ändern”: Noch in diesem Jahr werde Europa über ausreichende heimische Produktionskapazitäten verfügen, “um seinen Bedarf zu decken”. Die EU pumpt derzeit Milliarden in den neuen Industriesektor, um seinen Rückstand bei der Batterieherstellung aufzuholen. Demnach ist bis 2030 der Aufbau von rund 22 großen Fertigungsstätten für Fahrzeugakkumulatoren (“Gigafactories”) geplant; von rund 100.000 neuen Arbeitsplätzen ist die Rede.
“Klar dominierender Standort”
Der Aufbau von Fertigungskapazitäten in der Akkuherstellung werde die bevorstehenden Arbeitsplatzverluste in der Fertigung von Verbrennungsmotoren “zumindest teilweise wettmachen”, urteilen die Autoren einer Studie des Brüsseler Klimaschutzverbands Transport & Environment (T&E).[2] Die Kapazitäten des neuen Industriezweiges sollen sich demnach binnen einer halben Dekade nahezu verzehnfachen – von 49 Gigawattstunden im Jahr 2020 auf 460 Gigawattstunden 2025. Rund die Hälfte dieser Kapazitäten werde in der Bundesrepublik entstehen, sodass die größte Volkswirtschaft der EU auch in der Batteriezellenfertigung “der klar dominierende Standort” sein werde, heißt es – dies vor “Polen, Ungarn, Norwegen, Schweden und Frankreich”. Neben der Tesla-Fabrik in Brandenburg planen Volkswagen und Northvolt eine Produktionsstätte bei Salzgitter, Opel eine weitere in Kaiserslautern. Überdies bauen die chinesischen Konzerne CATL und SVOLT in Thüringen und im Saarland Akkumulatorenwerke auf, um von dort aus den europäischen Markt zu beliefern.
Vor der Aufholjagd?
Auch jüngste Zahlen zur Zulassung von Elektroautos und von sogenannten Plug-in-Hybridfahrzeugen, die mit Verbrennungs- und Elektromotoren ausgestattet sind, scheinen auf den ersten Blick eine rasche Aufholjagd der Bundesrepublik auf diesem Zukunftsmarkt zu bestätigen. Demnach hat Deutschland im vergangenen Jahr bei den Zulassungen für Strom- und Hybridfahrzeuge erstmals die USA überholt: Käufer seien mit “Prämien von bis zu 9.000 Euro” gelockt worden, heißt es in Wirtschaftsmedien.[3] Konkret seien aufgrund dieser Subventionen im Jahr 2020 in der Bundesrepublik die Neuzulassungen von Elektroautos und Plug-in-Hybriden um 264 Prozent auf 395.000 Fahrzeuge in die Höhe geschnellt, während die USA nur 322.000 Neuzulassungen verzeichnet hätten. Den zweitgrößten Markt für E-Pkw in der EU bildete demnach Frankreich, wo 2020 immerhin 195.000 dieser Fahrzeuge abgesetzt werden konnten. Den mit weitem Abstand größten nationalen Markt für Elektroautos bildet allerdings China: Dort konnten im vergangenen Jahr sogar 1,25 Millionen Neuzulassungen registriert werden. Nur die EU zusammengenommen wies im vergangenen Jahr mit 1,37 Millionen Neuzulassungen ein höheres Wachstum in der Elektromobilität als die Volksrepublik auf.
Volkswagen vs. Tesla
Eine ähnliche Aufholjagd lässt sich bei den Produzenten von Hybriden und Elektroautos feststellen, wobei der US-Hersteller Tesla seine Führungsposition knapp halten konnte. Insbesondere Volkswagen zieht nach und treibt den US-Elektroautokonzern vor sich her: Tesla hat 2020 rund 500.000 Elektrofahrzeuge absetzen können, doch kommt Volkswagen inzwischen bereits auf 422.000 Hybrid- und Elektroautos.[4] Bei BMW lag der letztjährige Absatz in dieser Fahrzeuggruppe bei 193.000 Fahrzeugen, bei Daimler waren es 163.000. Chinesische Elektroautohersteller belegen inzwischen allerdings bereits die Ränge drei und fünf – knapp hinter Tesla und VW. Dass es sich bei der Bundesrepublik um einen Spätstarter in die Elektromobilität handelt, dessen dominante Autoindustrie jahrzehntelang die Klimapolitik sabotierte [5], machen Angaben zur Gesamtzahl der Elektrofahrzeuge deutlich: Sie ist in China mit rund fünf Millionen Fahrzeugen mit weitem Abstand am höchsten; in den USA sind immerhin 1,77 Millionen E-Autos unterwegs, während es in der Bundesrepublik bei einem Rekordwert von 48,25 Millionen zugelassenen Pkw nur 570.000 E-Autos und Hybride waren.[6]
Chinesische Konkurrenz
Überschattet wird die deutsche Debatte über Elektromobilität von einer ausgeprägten Angst vor der chinesischen Konkurrenz, die sich weitaus früher auf dem Elektroantrieb konzentriert hat. Für die deutschen Autobauer gehe es bei der “Wende” zum E-Auto “ums Ganze”, warnen Brancheninsider und machen neben Tesla vor allem chinesische Konzerne als Hauptkonkurrenten aus.[7] Der chinesische Staat, heißt es, fördere viele innovative Unternehmen, die auf den Finanzmärkten gigantische Finanzspritzen erhielten und schon längst in Europa präsent seien – etwa bei Volvo. In deutschen Wirtschaftsmedien werden überdies Befürchtungen vor einer gezielten Exportförderung für chinesische Elektroautos genährt.[8] Demnach wolle Beijing im Rahmen eines 15-Jahre-Plans nicht nur die Herstellung von Autos mit neuartigen Antrieben fördern, sondern auch deren Vermarktung im Ausland – etwa durch Unterstützung “der Entwicklung von Marketing-Plänen zur Eroberung ausländischer Märkte”. Die rasch voranschreitende Entwicklung neuer Elektrofahrzeuge in der Volksrepublik, die neuartige Batterien mit großer Reichweite aufweisen, wird in deutschen Leitmedien aufmerksam verfolgt.[9]
Selbstbetrug der Autoindustrie
Hintergrund ist der weiterhin vorhandene technologische Rückstand deutscher Hersteller gegenüber der US-amerikanischen und der chinesischen Konkurrenz. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Studien haben klargestellt, dass der schöne Schein einer Aufholjagd der deutschen Kfz-Branche bei den Elektroantrieben trügt. Demnach produzieren Deutschlands Autobauer vorwiegend technologisch etablierte Hybridfahrzeuge, die einen Verbrennungsmotor und eine kleine, konventionelle Batterie aufweisen. BMW etwa bietet nur ein einziges reines Elektrofahrzeug an, den i3, während die zehn Hybridfahrzeuge im Angebot des Konzerns vor allem dazu dienten, “die CO2-Flottengrenzwerte der EU einzuhalten”, heißt es.[10] Während weltweit der Trend hin zu reinen Elektrofahrzeugen gehe, würden dieses Jahr “mindestens die Hälfte der produzierten deutschen Elektrofahrzeuge Plug-in-Hybride sein”, warnt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Demnach sei es “irreführend”, die Bundesrepublik auf der Basis ihrer Plug-in-Hybride zu einem “Elektroland” zu erklären: In China etwa stünden Hybridfahrzeuge nur noch für 20 Prozent der Neuzulassungen bei Elektroautos. Deutsche Autobauer hingegen sperren sich immer noch gegen ein baldiges Ende des Verbrennungsmotors, wie es auf europäischer Ebene inzwischen von mehreren Ländern gefordert wird.[11] Während Ford, Volvo und Jaguar Land Rover angekündigt haben, den Verbrennungsmotor schon bald auszumustern, erklärte Daimler-Vorstandschef Ola Källenius, ihn nicht “vorzeitig” aufgeben zu wollen, da sich mit dem “Verbrenner … weiter viel Geld verdienen” lasse.[12]
Ein klimapolitischer Holzweg
Dabei gelten gerade die Plug-in-Hybride, auf die Deutschlands technologisch zurückbleibende Autoindustrie setzt, als besonders klimaschädlich. Medienberichte bezeichnen diese Autos, die häufig als Firmenwagen zum Einsatz kommen, als “ökologisches Feigenblatt”.[13] Laut Studien wiesen sie anstatt der versprochenen zwei Liter einen durchschnittlichen Verbrauch von sechs Litern pro hundert Kilometer auf, heißt es. Hintergrund sei, dass die Fahrer der Hybrid-Firmenwagen, die aus steuerlichen Gründen angeschafft würden, kaum das langwierige Stromladen nutzten und stattdessen überwiegend Benzin tankten. Überdies verzeichnen Elektroautos generell einen viel höheren Energieverbauch in der Herstellung – dies vor allem wegen der aufwendigen Batterieproduktion, weshalb sie erst nach längerer Betriebsdauer weniger klimaschädlich sind als Benzin- oder Dieselfahrzeuge. Mit dem derzeit üblichen Strommix aufgeladen, weisen laut Untersuchungen selbst reine Stromfahrzeuge erst nach 63.000 zurückgelegten Kilometern einen geringeren CO2-Gesamtverbrauch auf als Autos mit Benzinmotoren. Bei Dieselfahrzeugen ist dies sogar erst ab 80.000 Kilometern der Fall.[14]
@Leser
Das von dir bzw. Kaufmann behandelte Thema von China als Kreditgeber stellt keine besonders neuen Erscheinung dar. Aber es ist interessant, wie die Entwicklung dahin verlaufen ist.
Vor 6einhalb Jahren wurde die Neue Entwicklungsbank in Schanghai gegründet. Das geschah im Rahmen der BRICS-Initiative.
Erinnert sich noch wer an die BRICS?
Das war eine gemeinsame Initiative von Brasilien, Rußland, Indien, China und Südamerika, die im Grunde ein eigenes Währungssystem außerhalb des bisherigen aufstellen wollten, mit einer eigenen Bank für ENtwicklungskredite.
Das alles ein paar Monate nach dem Maidan-Zoff und der Annexion der Krim.
Natürlich schrillten bei den angestammten Imperialisten die Alarmglocken, weil da ging es ums Eingemachte.
Es gelang dann, durch die Absetzung Rousseffs erst Brasilien aus diesem Bündnis herauszubrechen, und auch Indien wurde mit Erfolg umgarnt. Zu Südafrika habe ich wenig Infos.
Aber China blieb übrig mit der Bank und verband sie mit der ein Jahr früher ausgerufenen Seidenstraßen-Initiative und einer weltweiten Handelskredit-Offensive.
Vor allem das Beispiel Argentiniens, das ohne chinesischen Kredit nicht existieren kann, und die bescheidenen Ergebnisse der dortigen Zusammenarbeit zwischen Macri, dem IWF und der westlichen Finanzwelt haben als Beschleuniger gewirkt und treiben mehr und mehr Staaten und Regierungen in die Arme Chinas.
Eiszeit in Alaska
Heftige Attacken gegen Beijing: Chinesisch-US-amerikanisches Treffen in Anchorage mit diplomatischem Eklat
Von Jörg Kronauer
Derbe Wortgefechte haben die am Freitag zu Ende gegangenen ersten direkten Gespräche zwischen der Biden-Administration und der chinesischen Regierung dominiert. Die USA werden die Beziehungen zu Beijing »konkurrenzorientiert« gestalten, »wo es angebracht ist, kooperativ, wo es möglich ist, und feindselig, wo es nötig ist«: Mit dieser Drohung eröffnete US-Außenminister Antony Blinken am Donnerstag (Ortszeit) das Treffen in Anchorage (US-Bundesstaat Alaska) mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi und dem Chefaußenpolitiker der KP Chinas, Yang Jiechi. In einem für Diplomaten unüblich aggressiven Ton attackierte Blinken die Volksrepublik wegen ihres Vorgehens in Hongkong, Xinjiang und Tibet, wegen ihrer Politik im Südchinesischen Meer sowie wegen angeblicher Cyberangriffe auf US-Ziele. Beijing bedrohe »die regelbasierte Ordnung«, die die »globale Stabilität« sichere, behauptete Blinken, der von Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jacob Sullivan begleitet wurde.
Ebenfalls unüblich offen parierten Wang und Yang Blinkens Generalangriff. Die USA sollten »ihre alte schlechte Gewohnheit hegemonialen Verhaltens ablegen« und ihre überbordende Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten beenden, forderte Wang. Yang drang darauf, Washington solle seine »Kalte-Krieg-Mentalität« gegenüber Beijing ablegen und zu einer konstruktiven Politik übergehen. Alle Seiten müssten ihre eigenen »Angelegenheiten jeweils gut führen«, äußerte der KP-Außenpolitiker und verwies explizit auf Rassismus sowie Polizeigewalt in den USA. Setze die Biden-Administration ihre Einmischungspolitik fort, müsse die Volksrepublik »harte Maßnahmen« ergreifen. Auch sollten die Vereinigten Staaten endlich aufhören, »ihre Version der Demokratie« weltweit zu oktroyieren: »Die USA repräsentieren nicht die Meinung der globalen Öffentlichkeit, auch die westliche Welt tut das nicht«, warnte Yang.
Washington hatte dem Treffen eine Reihe neuer Attacken vorausgeschickt, die einen konstruktiven Dialog, wie ihn Beijing – jedenfalls laut offiziellen Äußerungen – erhofft hatte, faktisch unmöglich machten. Die Biden-Administration bereitet nicht nur neue weitreichende Restriktionen für das China-Geschäft von US-Hightechunternehmen vor. Sie hat inzwischen auch erste Sanktionen à la Trump gegen chinesische Konzerne eingeleitet. Unmittelbar vor dem Treffen in Anchorage hatte Washington zudem extraterritorial wirksame Finanzsanktionen gegen 24 chinesische Amtsträger verhängt, darunter sämtliche 14 stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Bidens Sprecherin Jennifer Psaki hatte die US-Obstruktionspolitik mit der Aussage verteidigt, man wolle mit Beijing »aus einer Position der Stärke heraus« verhandeln.
Indem sie in Anchorage ihre Aggressionsbereitschaft offen zur Schau gestellt hat, setzt die Biden-Administration die China-Politik der Vorgängerregierung unverändert fort. Der einzige bislang erkennbare Unterschied besteht darin, dass sie stärkere Anstrengungen unternimmt, verbündete Staaten in ihre Attacken gegen China einzubinden: Blinken und Sullivan kamen nach Anchorage auf der Rückreise aus Japan und Südkorea, wo sie sich ebenfalls äußerst aggressiv gegen die Volksrepublik positioniert hatten. An den Verhandlungen dort hatte sich auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin beteiligt, der anschließend nach Indien weiterreiste, wo er am Freitag zu Gesprächen über den Ausbau der bilateralen Militärkooperation eingetroffen ist.
Weltgericht EU
Westen verhängt Sanktionen gegen China. Brüssel wendet eigenen »Menschenrechtsmechanismus« global an
Von Arnold Schölzel
In einer konzertierten Aktion verhängten die USA, Großbritannien, Kanada und die EU am Montag Sanktionen gegen China – im Fall der EU die ersten seit 1989. Anlass ist das, was Washington als »Völkermord an den Uiguren« bezeichnet, China aber als Kampf gegen Terrorgruppen und als Bildungskampagne. In Brüssel beriefen sich die 27 EU-Außenminister am Montag auf das »Global Human Rights Sanctions Regime«, das sich der Staatenbund nach dem Vorbild des »Global Magnitsky Act« der USA im Dezember 2020 selbst gegeben hatte. In deutschen Medien wird der damit verbundene völkerrechtswidrige Anspruch auf weltweites Abstrafen selten erwähnt, sie übersetzen das »Regime« mit »Menschenrechtsmechanismus«. Die EU-Schlächter von Belgrad 1999, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien schöpfen in alter Kolonialmanier Recht: Es ist immer das, was sie tun.
Am Montag warfen die 27 EU-Außenminister diesen »Mechanismus« an und beschlossen formal – geeinigt hatte man sich bereits am vergangenen Mittwoch –, aus ihm für China sowie die Demokratische Volksrepublik Korea, Russland, die eigene Kolonie Libyen, Eritrea, Südsudan und Myanmar Strafmaßnahmen herzuleiten. Die Türkei kam nicht auf die Tagesordnung, weil – so Außenminister Heiko Maas (SPD) beim Treffen in Brüssel – es dort »Licht und Schatten« gebe.
Kein Licht sahen die 27 Menschenrechtskämpfer in den anderen genannten Staaten. Beweise wurden im EU-Amtsblatt, wo noch am Montag die Namen der Sanktionierten – in China vier regionale Partei- und Staatsfunktionäre – aufgelistet wurden, nicht erbracht. Man schloss von Funktionen in Xinjiang auf Verantwortlichkeit für konkrete Taten. Das Muster wurde von der BRD-Justiz entwickelt: Wer nie einen NS-Justizhenker verurteilt hatte, ließ nach 1990 keinen DDR-Repräsentanten ungeschoren. Erfunden wurden Kapitalverbrechen durch Unterlassen – damals nur für DDR-Bürger. Eine Fortentwicklung des Faustrechts durch den Generalbundesanwalt einige Jahre später besagte: Gerhard Schröder, Joseph Fischer etc. können nicht angeklagt werden, weil nur die Vorbereitung eines Angriffskriegs wie 1999 auf Jugoslawien, nicht aber das Führen eines solchen strafbar sei. Nun ist die nächste Stufe erreicht.
Die erste Antwort aus Beijing war in der Sache humoristisch, im Ton scharf. China verhängte Strafmaßnahmen gegen unbedeutende zehn EU-Politiker und andere Personen sowie gegen vier Institutionen. Darunter waren die deutschen EU-Abgeordneten Reinhard Bütikofer (Grüne) und Michael Gahler (CDU), der rechtsgewirkte Ethnologe Adrian Zenz, der sich »von Gott geleitet« fühlt und ein Buch über biblische Endzeit verfasst hat, sowie das Mercator-Institut für China-Studien (Merics) in Berlin. Das Außenministerium Chinas erklärte: Man dränge die EU aufzuhören, »andere über Menschenrechte zu belehren und sich in deren innere Angelegenheiten einzumischen«. Die EU-Sanktionen basierten »auf nichts anderem als Lügen und Desinformationen, verzerren und missachten Fakten«.
Eine indirekte Antwort war zudem der Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow. Er kam am Montag zu zweitägigen Gesprächen nach China. Außenamtssprecherin Hua Chunying erklärte in Beijing, China und Russland seien »enge Partner«, die auf verschiedenen Ebenen Austausch pflegten. Die Entwicklung der Beziehungen ziele nicht auf Drittstaaten: »Wir verhalten uns nicht wie andere Länder, die sich gegen andere zusammenrotten.«
Bündnis der Vernunft
China-Russland-Spitzengespräche
Von Jörg Kronauer
Druck schweißt zusammen: In den zweitägigen Gesprächen, zu denen sich Chinas Außenminister Wang Yi und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am Montag im südchinesischen Guilin eingefunden haben, steht ein weiterer Ausbau der ohnehin schon engen Kooperation zwischen Beijing und Moskau auf dem Programm. Da verstärken die westlichen Mächte ihre Manöver nahe der russischen Grenze und im Südchinesischen Meer; da schließt sich die EU dem jüngsten US-Sanktionshagel gegen Russland und China an, und der transatlantische Pakt verstärkt die Attacken auf beide, indem er besinnungslos aus allen Propagandarohren feuert: Zeit für die Angegriffenen, sich zur Verteidigung zusammenzutun, sollte man meinen. Und tatsächlich: Wang und Lawrow seien dabei, die »strategische Koordination« zu intensivieren, war anlässlich ihres Treffens offiziell zu hören.
Entsteht da ein festes Bündnis, vielleicht gar ein geschlossener antiwestlicher Block? Nun, man tut wohl gut daran, bei aller bilateralen Kooperation die tiefsitzenden Interessengegensätze zwischen Moskau und Beijing nicht aus dem Blick zu verlieren, die bislang ein allzu enges Zusammengehen hemmten. Aus russischer Sicht ist China ökonomisch übermächtig, würde ein extensives Bündnis klar dominieren. Aus chinesischer Sicht wiederum ist Russlands Außenpolitik, die sich immer wieder auf das Militär stützt, gegenüber dem Westen zuweilen ein wenig provokativ. Beijing greift in aller Regel nicht militärisch, sondern ökonomisch ein, um den globalen Konflikten so wenig Futter wie möglich zu geben. Moskau lebt nicht unerheblich von Rüstungsexporten, und weil es im Westen keine Abnehmer hat, beliefert es auch Chinas nichtwestliche Rivalen: Indien zum Beispiel wird sich in künftigen Konflikten mit der Volksrepublik wohl auf das hocheffiziente russische Raketenabwehrsystem S-400 stützen können. China wiederum gefährdet zum Beispiel in Zentralasien mit seiner Wirtschaftsmacht Russlands traditionellen Einfluss.
Trotz solch gewichtiger Differenzen – und es gibt mehr – haben Moskau und Beijing es bislang geschafft, ein Vernunftbündnis zu schließen und zu bewahren. Auf ihre »strategische Partnerschaft« in den 1990er Jahren folgte 2001 ihr »Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit«. Im selben Jahr gehörten beide zu den Gründungsmitgliedern der »Shanghai Cooperation Organisation«, einem Zusammenschluss, der auch eine militärische Komponente hat. Beide kooperieren im BRICS-Bündnis sowie informell im UN-Sicherheitsrat, und sie haben ihre strategischen Absprachen – trotz aller Differenzen – in dem Maß intensiviert, in dem der Druck des Westens auf sie stieg. Die nächste Stufe ist nun wohl erreicht: Das Außenministerium in Beijing jedenfalls kündigte ebenjene »verstärkte Koordination« der beiden Staaten »in internationalen Angelegenheiten« an – zur Abwehr westlicher Aggression.
Wobei bei der Belieferung Indiens mit Waffen auch daran erinnert sei, daß die beiden Staaten vor nicht allzulanger Zeit im gemeinsamen BRICS-Boot gesessen sind und ihre Rivalität ein Stück weit zurückgeschraubt hatten.
Erst seit Modi 2014 Premierminister ist, bringt sich Indien wieder verstärkt gegen China in Stellung.
EU-Außenminister verhängen nun auch Sanktionen gegen China
Peking reagiert umgehend mit Gegensanktionen.
Mit gleicher Münze (23.03.2021)
China reagiert auf EU-Sanktionen mit Gegensanktionen und stimmt sich mit Russland über Schritte gegen westliche Zwangsmaßnahmen ab.
BEIJING/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – China reagiert auf die gestern verhängten EU-Sanktionen gegen chinesische Amtsträger und setzt erstmals umfassende Gegensanktionen gegen Politiker und Institutionen aus der EU in Kraft. Die EU müsse aufhören, sich in innere Angelegenheiten fremder Staaten einzumischen, und “die heuchlerische Praxis ihrer doppelten Standards beenden”, fordert Beijing mit Blick darauf, dass Brüssel tatsächliche oder angebliche Menschenrechtsverletzungen in gegnerischen Staaten anprangert, sie bei Verbündeten aber umstandslos toleriert. Von Chinas Gegensanktionen betroffen ist unter anderem ein Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, der eine internationale Parlamentarierallianz zur Orchestrierung von Kampagnen gegen China initiiert hat. Beijings Gegensanktionen vorausgegangen sind ungewohnt offene chinesische Gegenwehr gegen Verbalattacken des US-Außenministers sowie erste Restriktionen gegen den US-Konzern Tesla – nach Art der US-Sanktionen gegen Huawei. Ein gemeinsames Vorgehen gegen die westlichen Zwangsmaßnahmen haben gestern die Außenminister Chinas und Russlands angekündigt.
Gewohntes Hegemonialverhalten
Unerwartet offen hatte sich die chinesische Seite bereits Ende vergangener Woche auf dem Treffen zur Wehr gesetzt, zu dem US-Außenminister Antony Blinken seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi nach Anchorage (US-Bundesstaat Alaska) eingeladen hatte. Washington hatte unmittelbar vor der Zusammenkunft extraterritorial wirksame Finanzsanktionen gegen 24 Amsträger aus der Volksrepublik bekanntgegeben, darunter alle 14 stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses. Blinken eröffnete die Gespräche in Anchorage dann offiziell mit wüsten Attacken gegen die Volksrepublik, der er vorwarf, die “regelbasierte Ordnung” der Welt zu stören und damit die “globale Stabilität” zu gefährden. Wang protestierte und forderte, die Vereinigten Staaten sollten “ihre alte Gewohnheit hegemonialen Verhaltens” einstellen und nicht mehr “absichtsvoll in Chinas innere Angelegenheiten intervenieren”.[1] Yang Jiechi, ranghöchster Außenpolitiker der Kommunistischen Partei Chinas, erklärte, er denke nicht, dass “die Mehrheit der Länder auf der Welt … die Meinung der USA für die internationale öffentliche Meinung halten”: Sie “erkennen es nicht an, dass die Regeln, die von einer kleinen Gruppe Menschen gemacht werden, als Fundament für die internationale Ordnung dienen”.[2]
Wie gegen Huawei
Hatten die scharfen Reaktionen von Wang und Yang, die in Anchorage erstmals öffentlich die globale US-Hegemonie ganz grundlegend in Frage stellten, Blinken – so schildern es Beobachter – sichtlich überrascht [3], so scheint Washington auch mit ökonomischen Gegenmaßnahmen nicht gerechnet zu haben, die Beijing nun erstmals gegen einen großen US-Konzern eingeleitet hat – gegen den E-Auto-Hersteller Tesla. Wie berichtet wird, befürchten chinesische Regierungsstellen, die mit zahlreichen Kameras, Sensoren und Radar ausgestatteten Tesla-Fahrzeuge könnten genutzt werden, um die Volksrepublik auszuspionieren; genährt wird der Verdacht dadurch, dass Tesla Kameradaten systematisch abgreift und sie auf seinen Firmenservern speichert. Beijing schränkt aufgrund seines Spionageverdachts nun die Nutzung von Tesla-Fahrzeugen durch Mitarbeiter sicherheitsrelevanter Unternehmen, durch Regierungsangestellte und durch Militärangehörige ein.[4] Die Parallele zum Vorgehen Washingtons gegen Huawei ist unübersehbar, wobei selbst US-Medien konstatieren, die chinesischen Maßnahmen reichten – noch – längst nicht an diejenigen der US-Administration heran. Für Tesla sind die Restriktionen, deren Reichweite nicht absehbar ist, dennoch ein gravierendes Problem: China ist für E-Autos der weltweit mit großem Abstand bedeutendste Markt.[5]
Doppelte Standards
Unerwartet scharf hat Beijing nun auch auf Sanktionen reagiert, die die EU-Außenminister am gestrigen Montag offiziell beschlossen. Grundlage war das Sanktionsgesetz, das die EU Ende 2020 verabschiedet hat und mit dem sie es sich anmaßt, weltweit tatsächliche oder angebliche schwere Menschenrechtsverletzungen mit Zwangsmaßnahmen zu ahnden. Faktisch trifft das Gesetz, mit dem sich die Union zu einer Art Weltjustiz aufschwingt [6], lediglich Personen und Organisationen aus Ländern, mit denen die EU im Streit liegt oder an denen sie ein Exempel statuieren zu können meint. Selbst schwerste Verbrechen wie das Führen völkerrechtswidriger Angriffskriege (1999 gegen Jugoslawien, 2003 gegen Irak) oder die weltweite Verschleppung von Verdächtigen und die Folter an ihnen (“Anti-Terror-Krieg” ab 2001) bleiben dagegen straflos, wenn sie von westlichen Staaten und ihren Beamten begangen werden. Am Montag beschlossen die EU-Außenminister in aller Form Sanktionen etwa gegen das “Xinjiang Produktions- und Aufbaukorps”, dem die EU vorwirft, Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Beijing weist den Vorwurf zurück. Sanktioniert wurden zudem vier Amtsträger aus China: Sie werden mit einer Software zur Überwachung von Muslimen in Xinjiang in Verbindung gebracht.[7] Softwaregestützte Überwachung von Muslimen war im westlichen “Anti-Terror-Krieg” von Anfang an gang und gäbe.
“Belehrungen beenden”
Bereits nach nur wenigen Stunden hat das chinesische Außenministerium gestern Gegensanktionen verhängt. Die EU müsse aufhören, “andere über Menschenrechte zu belehren und sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen”, heißt es bei dem Ministerium zur Begründung: Sie müsse “die heuchlerische Praxis ihrer doppelten Standards beenden” – sonst behalte China sich “weitere Reaktionen” vor.[8] Beijing sanktioniert – ein Novum gegenüber der EU – vier Institutionen sowie zehn Personen, darunter sechs Europaabgeordnete. Einer von ihnen ist Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen), außenpolitischer Koordinator der Grünen-Fraktion im Europaparlament, einer der Hauptinitiatoren der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die – unter Mitwirkung von Hardlinern vom ultrarechten Flügel der US-Republikaner sowie unterstützt von einem langjährigen CIA-Mitarbeiter – Kampagnen gegen die Volksrepublik orchestriert (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Mit Sanktionen belegt werden zudem das Politische und Sicherheitspolitische Komitee des Europäischen Rats, das die Zwangsmaßnahmen gegen China vorbereitet hat, und das Mercator Institute for China Studies (Merics), ein Polit-Think-Tank in Berlin. Die Betroffenen dürfen nicht mehr in die Volksrepublik einreisen; ihnen und Unternehmen, die mit ihnen verbunden sind, sind Geschäfte mit China untersagt.[10]
“Koloniale Methoden”
Während das Außenministerium in Beijing gestern die Sanktionen gegen die EU bekanntgab, empfing Außenminister Wang in der südchinesischen Stadt Guilin seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Lawrow hatte erst kürzlich – gleichfalls ungewohnt offen – gegenüber dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell die Sanktionspolitik der Union scharf kritisiert und ihre Zwangsmaßnahmen als “Methoden und Werkzeuge aus der kolonialen Vergangenheit” attackiert.[11] Wang und Lawrow besprachen gestern insbesondere Optionen, sich gegen westliche Finanzsanktionen zur Wehr zu setzen. Man könne sehen, “dass die Sanktionsbestrebungen unserer Gegner, insbesondere der USA, weiter zunehmen”, hatte zuvor Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, konstatiert: Nicht einmal ein Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem SWIFT sei mehr auszuschließen; Washington sei “unberechenbar”.[12] Es gelte jetzt, Vorkehrungen zu treffen. Moskau und Beijing wollten deshalb “auf Abrechnungen in nationalen Währungen und in Weltwährungen umsteigen, die alternativ zum Dollar sind”, sagte Lawrow; Systeme, die vom Westen kontrolliert würden, wolle man perspektivisch nicht mehr verwenden. Kommt es dazu, dann stünde auf lange Sicht die Finanzgrundlage der globalen westlichen Hegemonie in Frage.
Chinesisch-iranische Beziehungen vertieft
Beijing und Teheran unterzeichnen auf 25 Jahre angelegtes Kooperationsabkommen
China und der Iran wollen künftig enger zusammenarbeiten. Am Sonnabend haben der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif und sein chinesischer Amtskollege Wang Yi in Teheran ein auf 25 Jahre angelegtes Abkommen über die »politische, strategische und wirtschaftliche« Kooperation beider Länder unterzeichnet. Teheran sei der Ansicht, dass das Abkommen »sehr effektiv zur Vertiefung der chinesisch-iranischen Beziehungen« beitragen könne, sagte der iranische Außenamtssprecher Said Khatibzadeh.
Der Sprecher erinnerte an den Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Teheran vor fünf Jahren, bei dem der Grundstein für die umfassende Kooperationsvereinbarung gelegt worden sei. Xi und sein iranischer Kollege Hassan Rohani hatten damals eine Stärkung der bilateralen Beziehungen ihrer Länder beschlossen und unter anderem eine vertiefte Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehr, Häfen, Energie, Industrie und Dienstleistungen vereinbart. Der Iran steckt unter anderem wegen der 2018 von den USA verhängten Sanktionen in einer akuten Wirtschaftskrise. Auch der neue US-Präsident Joseph Biden will die Strafmaßnahmen kurzfristig nicht aufheben. Teheran sucht daher die enge Bindung an China und Russland.
Für Beijing ist das Abkommen mit Teheran Teil seiner Initiative »One Belt, One Road«, die an die historischen Handelsrouten der Seidenstraße anknüpft. China ist bereits jetzt der wichtigste Handelspartner des Iran. Bevor die USA 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump einseitig aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran ausstiegen und neue Sanktionen gegen das Land verhängten, war China auch offiziell der weltweit größte Abnehmer iranischen Öls.
Wangs Besuch in Teheran erfolgte wenige Tage nach einem Treffen mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow im chinesischen Guilin. Wie China ist auch Russland Vertragspartner des internationalen Atomabkommens mit Teheran. Beide Länder hatten den US-Austritt aus der Vereinbarung sowie die neuen Sanktionen gegen den Iran verurteilt. (AFP/dpa/jW)
Strategischer Schritt
Kooperationsabkommen China-Iran
Von Jörg Kronauer
Es hat das Potential, die Kräfteverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten spürbar zu verschieben: das auf 25 Jahre angelegte Kooperationsabkommen, das der chinesische Außenminister Wang Yi und sein iranischer Amtskollege Mohammad Dschawad Sarif am Sonnabend in Teheran unterzeichnet haben. Es sieht eine dichte Zusammenarbeit zwischen den zwei Staaten auf zahlreichen wichtigen Feldern vor – beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und der Telekommunikation, im Finanzwesen und in der Informationstechnologie etwa. Die Volksrepublik wird immense Summen – wie es heißt, bis zu 400 Milliarden US-Dollar – in Iran investieren und damit in einem Land, das ein tragendes Teilstück ihrer Neuen Seidenstraße werden kann. Umgekehrt bekommt Beijing von Teheran vergünstigtes Öl. Ob es stimmt, dass auch gemeinsame Manöver vorgesehen sind, ist noch unklar. Wirklich neu wäre das allerdings nicht: Bereits Ende 2019 übten die Marinen Irans, Chinas und Russlands gemeinsam die Abwehr von Piraten sowie Rettungsmaßnahmen auf hoher See.
Dabei sichert das Abkommen der Volksrepublik nicht nur langfristig Einfluss am Persischen Golf, in einer Region also, die bekanntlich seit Jahrzehnten von den Vereinigten Staaten dominiert wird. Es hat darüber hinaus das Potential, die US-Dominanz schon kurzfristig zu schwächen – denn es ignoriert demonstrativ die Sanktionen, die auch die Biden-Administration weiterhin aufrechterhält, um Teheran zu möglichst weitreichenden politischen Zugeständnissen zu zwingen. Ohnehin hat China Anfang des Jahres begonnen, iranisches Öl in rasch zunehmenden Mengen zu importieren – ein Beleg dafür, dass Beijing und Teheran Mittel und Wege gefunden haben, die US-Sanktionen zumindest punktuell auszuhebeln. Der wachsende Ölhandel und das 25-Jahre-Abkommen eröffnen Teheran ökonomische Perspektiven, die den US-Sanktionsdruck zumindest ein wenig lindern. Washington wird möglicherweise überlegen müssen, wie lange es seine Rückkehr zum Atomabkommen noch von iranischen Zugeständnissen abhängig machen kann.
Chinas Außenminister Wang hat über den Nukleardeal vor zehn Tagen in Anchorage mit seinem US-Amtskollegen Antony Blinken, kurz darauf in Guilin mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow diskutiert. Jetzt hat er in Teheran Hebel angesetzt, die helfen können, ihn rasch wieder in Kraft zu setzen: Gelingt dies, dann hätte Beijing einen echten Erfolg erzielt. Ob Washington das zulassen wird, mag man freilich bezweifeln. Nimmt es seine Iran-Sanktionen nicht bald zurück, dann wird China beweisen müssen, ob es zur Verstetigung seiner Erdöleinfuhren aus Iran und zur Realisierung des neuen Kooperationsabkommens die Zwangsmaßnahmen wirklich in größerem Maßstab aushebeln kann. US-Sanktionen erfolgreich abzuschmettern – das hatten Wang und Lawrow kürzlich in Guilin zu ihrem Ziel erklärt. Eine erste Nagelprobe könnte beim Iran-Handel bevorstehen. Gelänge sie, wäre dies ein schwerer Schlag für die US-Dominanz. Zur Erinnerung: Berlin und die EU scheiterten daran.
China und Iran: Die “Grundlage einer neuen Weltordnung”
Reaktionen auf das strategische Abkommen vom Wochenende. Die US-Politik der Isolation Irans funktioniert nicht wie von Washington gewünscht
Irans Wende nach Osten (30.03.2021)
China sichert sich mit Ölkäufen und einem Kooperationsabkommen langfristig Einfluss in Iran. Berlin und Brüssel scheitern an US-Sanktionen.
BERLIN/TEHERAN/BEIJING (Eigener Bericht) – Berlin und die EU stehen vor dem dauerhaften Verlust politischen Einflusses und nennenswerter Geschäfte in Iran. Das zeichnet sich als Ergebnis neuer Vereinbarungen zwischen Iran und China auf der einen sowie der anhaltenden US-Blockade gegenüber Teheran auf der anderen Seite ab. Der Volksrepublik ist es nicht nur gelungen, ihre Öleinfuhren aus Iran trotz der US-Sanktionen zumindest in gewissem Umfang weiterzuführen und sie seit Jahresbeginn sogar deutlich zu steigern; sie hat zudem am Wochenende ein umfassendes Kooperationsabkommen mit Teheran geschlossen, das immense Investitionen vorsieht und Chinas Wirtschaftseinfluss in Iran langfristig dominant werden lassen kann. Die Bundesrepublik ist mit ihrem Versuch, die US-Sanktionen zugunsten des deutschen Iran-Geschäfts auszuhebeln, hingegen gescheitert und hat keinerlei Aussichten, ihre traditionell hochprofitablen Wirtschaftsaktivitäten in dem Land wieder in Gang zu bringen. Experten beklagen, dass die Biden-Administration sogar humanitär erforderliche Importe von Lebensmitteln und Covid-19-Impfstoffen blockiert.
Durchbruch beim Ölexport
Fortschritte im Einflusskampf im Mittleren Osten hat China bereits seit Jahresbeginn erzielen können – im Streit um Öllieferungen aus Iran. Während Washington diese immer noch möglichst vollständig zu unterbinden sucht, um Teheran zu Zugeständnissen im Konflikt um eine Rückkehr zum Atomabkommen zu zwingen, ist es Beijing nicht nur gelungen, seit Anfang 2020 insgesamt 17,8 Millionen Tonnen Öl aus Iran zu importieren, im Durchschnitt rund 306.000 Barrel pro Tag. Die Lieferungen konnten zudem seit Januar 2021 beträchtlich gesteigert werden; im März werde nun möglicherweise ein Durchschnitt von gut 918.000 Barrel pro Tag erreicht, sagen Experten voraus. Die US-Sanktionen können das offensichtlich nicht mehr verhindern. Man habe “gewisse Probleme mit den Geldüberweisungen” gehabt, erläutert Irans Vizepräsient Eshaq Jahangiri: Das habe dazu geführt, dass man “gewisse Pläne” habe entwickeln müssen, “Methoden, um die Einkünfte aus dem Ölexport ins Land zu bringen”. Dabei habe man “kürzlich einen Durchbruch” erzielt.[1] Details sind nicht bekannt. Branchenkreise berichten allerdings, dass mittlerweile auch indische Unternehmen Interesse an einer Wiederaufnahme von Ölkäufen in Iran bekundet haben. Offiziell heißt es in Indien freilich, man gehe von einem baldigen Ende der US-Sanktionen aus.
“Die westliche Karte”
Hinzu kommt nun noch das am Samstag unterzeichnete Abkommen, das für den Zeitraum von 25 Jahren eine umfassende Kooperation zwischen Iran und China vorsieht – wie es heißt, “politisch, strategisch und wirtschaftlich”. Chinas Präsident Xi Jinping hatte schon 2016 bei einem Besuch in Teheran eine Vereinbarung über eine langfristige Zusammenarbeit beider Länder vorgeschlagen; Irans Staatsspitze hatte damals allerdings recht verhalten reagiert: Der wirtschaftliche Einfluss der Volksrepublik war ohnehin schon stark – und im Vorjahr hatte die Einigung auf den Nukleardeal eine engere Handels- und Investitionskooperation mit den westlichen Staaten möglich erscheinen lassen; unmittelbar vor seinen Gesprächen mit Xi hatte Irans Präsident Hassan Rohani auf einer Europareise Geschäfte unter anderem mit Total und Airbus angebahnt.[2] Auch Unternehmen aus Deutschland gaben sich damals in Teheran die Klinke in die Hand.[3] Eine Wende brachte erst die Trump’sche Sanktionspolitik, der auch das Iran-Geschäft europäischer Konzerne zum Opfer fiel. “Zu lange” habe man “alles auf die westliche Karte gesetzt”, erklärt ein iranischer Ökonom; nun ziehe man die Konsequenzen daraus und orientiere sich “nach Osten”.[4] Ergebnis ist das aktuelle Kooperationsabkommen.
25 Jahre, 400 Milliarden
Die darin vorgesehene Zusammenarbeit bezieht sich zunächst vor allem auf die Ökonomie. Details sind kaum bekannt. Entwürfe, die vergangenes Jahr durchgestochen wurden [5] und mit dem nun unterzeichneten Abkommen weitgehend identisch sein sollen, sahen für die kommenden 25 Jahre chinesische Investitionen in Iran in Höhe von insgesamt 400 Milliarden US-Dollar vor. Geplant ist demnach der Ausbau von Verkehrsinfrastruktur wie Eisenbahnen und Häfen; dies passt dazu, dass Iran als ein Teil von Chinas Neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) fungiert. Geplant haben beide Seiten zudem eine enge Kooperation beim Ausbau von Telekommunikation und Informationstechnologie. Im Gegenzug erhält die Volksrepublik langfristig Öllieferungen – dies zu vergünstigten Konditionen. Unklar ist, ob das neue Abkommen auch eine intensivere militärische Zusammenarbeit umfasst, etwa gemeinsame Manöver. Allerdings wäre das nicht neu; bereits Ende 2019 hielten die Seestreitkräfte Irans, Chinas und Russlands gemeinsame Übungen im Golf von Oman sowie im nördlichen Indischen Ozean ab. Konkret wurden dabei Operationen gegen Piraten sowie Rettungsmaßnahmen geprobt.[6] An einem Mitte Februar abgehaltenen iranisch-russischen Manöver hat sich China allerdings – entgegen ursprünglich anderslautenden Berichten – nicht beteiligt.
Der Westen unter Druck
Für die westlichen Mächte sind Chinas Vorstöße mit erheblichen Rückschlägen verbunden. Dies trifft bereits auf die schnelle Ausweitung der iranischen Öllieferungen in die Volksrepublik zu: Sie schwächt den US-Sanktionsdruck und damit die Chancen der Biden-Administration, Teheran zu politischen Zugeständnissen zwingen zu können. Kürzlich stellte ein Regierungsmitarbeiter in Washington fest, Beijings Ölkäufe hätten für Iran “die Notwendigkeit, über die Ölsanktionen zu verhandeln, verringert”.[7] Ähnliches gilt auch für das neue Kooperationsabkommen: Sofern es Beijing gelingt, Handel und Investitionen trotz weiterbestehender US-Sanktionen im gewünschten Umfang auszuweiten, erhielte es in Teheran mutmaßlich eine ökonomisch dominante Stellung; für Unternehmen aus der EU, nicht zuletzt aus Deutschland, die unmittelbar nach Abschluss des Atomabkommens noch auf Milliardengeschäfte gehofft hatten, bliebe nur eine marginale Position. Berlin ist es trotz jahrelanger Bestrebungen nicht gelungen, geeignete Instrumente zu entwickeln, um die extraterritorialen US-Sanktionen auszuhebeln.[8] Genau dies haben kürzlich Russland und China nun jedoch zum gemeinsamen Ziel erklärt (german-foreign-policy.com berichtete [9]). In Iran steht Beijing womöglich die erste Nagelprobe bevor.
“Ein gefährlicher Präzedenzfall”
Experten in der EU fordern mit Blick auf den sich abzeichnenden langfristigen Einflussverlust in Iran, Washington solle sich endlich bewegen und zum Atomabkommen mit Teheran zurückkehren; nur so könne man hoffen, eine gewisse “iranische Unabhängigkeit” gegenüber Beijing zu sichern, urteilt etwa der langjährige französische Diplomat Michel Duclos.[10] Duclos wie auch eine aktuelle Analyse aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR) weisen darauf hin, dass die Biden-Administration bislang nicht einmal bereit ist, Teheran Zugang zu wenigstens einem geringen Teil seiner Auslandsguthaben zu gewähren; dies wäre nötig, um humanitär erforderliche Einfuhren von Lebensmitteln und medizinischen Produkten inklusive Covid-19-Impfstoffen zu bezahlen. Iran hat bisher rund zwei Millionen Impfdosen aus China, Russland und Indien erhalten; allerdings kamen die indischen Lieferungen zuletzt wegen der US-Sanktionen zum Erliegen.[11] US-Außenminister Antony Blinken habe kürzlich bestätigt, Washington werde selbst humanitäre Lieferungen lediglich dann per Freigabe iranischer Auslandsguthaben ermöglichen, wenn Teheran die Bestimmungen des Atomabkommens in vollem Umfang erfülle, hält die ECFR-Analyse fest: Dass die Biden-Administration sogar die humanitäre Versorgung der Bevölkerung von politischen Bedingungen abhängig mache – praktisch nimmt sie damit die Bevölkerung zur Geisel -, sei “ein gefährlicher Präzedenzfall”.[12] Dem müsse die EU entschlossen entgegentreten. Dazu sind allerdings bislang weder Berlin noch Brüssel bereit.
Der Preis des Schulterschlusses (01.04.2021)
Berliner Politikberater fordern “Schulterschluss” mit den USA gegen China. In Washington spielen Experten Kriegsszenarien gegen die Volksrepublik durch.
BERLIN/WASHINGTON/BEIJING (Eigener Bericht) – Die chinesische Gegenwehr gegen die jüngsten EU-Sanktionen treibt die Debatte um weitere Strafmaßnahmen und einen etwaigen engen Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten voran. So wird etwa eine Abkehr von dem kürzlich vereinbarten Investitionsabkommen mit der Volksrepublik diskutiert. Das Abkommen war nach erheblichen Anstrengungen vor allem Berlins zustandegekommen; es trägt der Tatsache Rechnung, dass zentrale deutsche Konzerne existenziell auf das Chinageschäft angewiesen sind: Volkswagen und Infineon etwa erzielen rund zwei Fünftel ihres Umsatzes in der Volksrepublik. Jetzt fordern transatlantisch orientierte Politikberater, Deutschland müsse “aufwachen” und sich gegen “Chinas ökonomische Macht” positionieren; ein einflussreicher Kommentator fordert den “Schulterschluss” mit Washington und spekuliert über die Positionierung Berlins im Falle eines US-amerikanisch-chinesischen Kriegs. Einen solchen Krieg ziehen US-Experten schon seit Jahren in Betracht – sind aktuell aber nicht mehr sicher, ob die Vereinigten Staaten ihn gewinnen würden.
Chinas Gegenwehr
Die deutsche Debatte über den Umgang mit China hat durch die jüngsten chinesischen Reaktionen auf die westliche Sanktionspolitik neuen Auftrieb erhalten. Beijing hatte nach der Verhängung von EU-Sanktionen gegen chinesische Amtsträger seinerseits Zwangsmaßnahmen gegen Politiker, Wissenschaftler und Institutionen aus der EU in Kraft gesetzt. Zudem wurde bekannt, dass künftig Mitarbeiter sicherheitsrelevanter Unternehmen und staatlicher Stellen sowie Militärangehörige keine E-Autos des US-Herstellers Tesla mehr kaufen dürfen, da diese zu Spionagezwecken genutzt werden könnten.[1] Dies hat zumindest einigen deutschen Konzernen ihre Verwundbarkeit durch Konflikte mit der Volksrepublik erneut vor Augen geführt: Volkswagen etwa erzielt 41 Prozent seines Gesamtumsatzes in China, Infineon 39 Prozent, Daimler 29 Prozent; selbst Adidas gibt an, 22 Prozent seiner Erlöse in der Volksrepublik zu erwirtschaften.[2] Entsprechende Sorgen sind durch die aktuellen chinesischen Boykottaufrufe gegen einige westliche Bekleidungsunternehmen, da diese ihrerseits Baumwolle aus Xinjiang boykottieren, nicht geringer geworden. Dabei nimmt Chinas ökonomisches Gewicht, nicht zuletzt bedingt durch die Coronakrise, unverändert zu.
Das asiatische Jahrhundert
Die Bundesregierung setzt bislang darauf, politische Konfrontation gegenüber Beijing mit einer engen wirtschaftlichen Kooperation zu verbinden; so hat sie Ende 2020 in der EU die Einigung auf das Investitionsabkommen mit China durchgesetzt.[3] Zustimmend hat Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser kürzlich geäußert, die Volksrepublik könne es sich “sehr wohl leisten, notfalls auf den deutschen Markt zu verzichten”: “Umgekehrt ist das nicht der Fall.”[4] Kaeser konstatierte lapidar: “Das 21. Jahrhundert ist das asiatische Jahrhundert, und damit müssen wir umgehen.” Tatsächlich wird nicht nur China vermutlich schon 2028 oder 2029 eine – in US-Dollarwerten – größere Wirtschaftsleistung als die Vereinigten Staaten erzielen und so zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt aufsteigen. Asien insgesamt wächst schneller als der Rest der Welt und wird laut Schätzungen der Asian Development Bank (ADB) spätestens 2050 über die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung erarbeiten – ein Anteil, der freilich seinem Anteil an der Weltbevölkerung entspricht. Nicht nur Berlin, auch London orientiert daher gezielt auf den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Asien – auch zu China; das geht etwa aus dem kürzlich publizierten Strategiepapier “Global Britain in a competitive age” hervor (german-foreign-policy.com berichtete [5]).
“Nicht auf zwei Hochzeiten tanzen”
Vor allem transatlantisch orientierte Kreise kritisieren dies – und fühlen sich dadurch, dass Beijing sich aufgrund seiner Wirtschaftskraft inzwischen Gegenmaßnahmen gegen westliche Sanktionen leisten kann, noch bestärkt. Deutschland habe sich “zu lange” durch “Chinas ökonomische Macht” einschüchtern lassen, heißt es etwa in einem aktuellen Beitrag aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP); es müsse endlich “aufwachen” und sich schärfer gegen Beijing positionieren.[6] Forderungen werden laut, das Europaparlament dürfe das Investitionsabkommen zwischen der EU und China nicht ratifizieren; der Vorsitzende des Handelsausschusses des Parlaments, Bernd Lange (SPD), erklärt zu den chinesischen Gegensanktionen, die Tatsache, dass auch Europaparlamentarier betroffen seien, “kann nur nach hinten losgehen”.[7] Einflussreiche Kommentatoren plädieren mit Blick auf den eskalierenden Konflikt zwischen den USA und China für “einen Schulterschluss mit Amerika”: “Man kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.”[8] Freilich werde der “Schulterschluss” mit den USA “einen Preis haben”; denkbar seien “ein neuer Handelskrieg” oder eine “militärische[…] Auseinandersetzung wegen Taiwan oder im Südchinesischen Meer”: “Stünde Deutschland […] in diesen Fällen auch an der Seite Amerikas?”
“War with China”
Die Einschätzung, es könne zu einer “militärischen Auseinandersetzung” mit China kommen, ist nicht aus der Luft gegriffen. Bereits vor fünf Jahren publizierte die US-amerikanische Rand Corporation eine umfangreiche Studie, die unter dem Titel “War with China” (“Krieg mit China”) konkrete Kriegsszenarien durchdiskutierte. Die Autoren prognostizierten, ein solcher Krieg lasse sich auf konventionelle Waffen beschränken, und er werde sich, weil die Volksrepublik nur wenig konventionelle Waffen besitze, die die Vereinigten Staaten erreichen könnten, auf Ostasien begrenzen lassen; China werde schwer getroffen, die USA hingegen kaum.[9] Allerdings sei eine zuverlässige Prognose, ob der Krieg rasch beendet werden könne oder lange dauere und höchstes Eskalationsniveau erreiche, nicht möglich. Klar sei lediglich, dass die Volksrepublik aktuell aufrüste, um auf einen etwaigen Angriff seitens der Vereinigten Staaten vorbereitet zu sein; daher gelte: Je später ein US-amerikanisch-chinesischer Krieg komme, desto schmerzhafter werde er voraussichtlich für die USA sein.
Kriegssimulationen
Experten der Rand Corporation spielen mögliche Szenarien einer militärischen Konfrontation mit China seit geraumer Zeit in Kriegssimulationen durch – und sie kommen inzwischen zum Ergebnis, ein Sieg der Vereinigten Staaten sei nicht mehr garantiert. So heißt es etwa, gegen F-35-Jets könne die Volksrepublik an sich zwar nicht viel ausrichten; sie sei aber mit ihren Mittelstreckenraketen in der Lage, Landebahnen der Flugzeuge auf US-Militärstützpunkten sowie US-Flugzeugträger zu zerstören. Zudem besitze sie die Fähigkeit, US-Satelliten abzuschießen und damit der militärischen Kommunikation der Vereinigten Staaten schwerste Schäden zuzufügen. Möglicherweise sei der Zeitpunkt erreicht, zu dem man Beijing militärisch nicht mehr niederringen könne [10] – jedenfalls nicht ohne gewaltige Rüstungsmaßnahmen in der Asien-Pazifik-Region. Genau solche Maßnahmen leitet nun aber die Biden-Administration ein. So will das Pentagon rund 27 Milliarden US-Dollar aufwenden [11], um US-Stützpunkte im Pazifik mit ausgefeilter Raketenabwehr zu schützen und seinerseits Mittelstreckenraketen nahe China zu stationieren, nach Möglichkeit auf der sogenannten ersten Inselkette, die von Japan über Taiwan bis zu den Philippinen reicht. Dies soll dazu beitragen, einen Krieg gegen China für den Westen vermeintlich gewinn- und damit führbar zu machen.
Roter Teppich für Suga
Japans Premier erster Gast in Washington. Ziel ist Einbindung als Partner in Anti-China-Strategie
Von Igor Kusar, Tokio
An diesem Freitag wird Japans Premierminister Yoshihide Suga zu seinem ersten Staatsbesuch bei Präsident Joseph Biden in den USA erwartet. Gipfeltreffen der Repräsentanten beider Länder werden im Inselstaat stets mit viel Aufmerksamkeit verfolgt. Nicht nur sind die US-Amerikaner Japans wichtigste Schutzmacht und strategischer Partner, ein gutes persönliches Verhältnis zwischen den beiden Regierungschefs gilt im Inselreich auch als Garant für eine stabile bilaterale Beziehung. Sugas Vorgänger Shinzo Abe war einer der wenigen ausländischen Politiker, die einen guten Umgang mit Donald Trump pflegten. Dies hat ihm in Japan viele Pluspunkte und den Ruf eines weltgewandten »Chefdiplomaten« eingebracht. Ganz anders sieht es beim wortkargen, hölzernen Suga aus: Das internationale Parkett gilt als eine seiner großen Schwächen. Deshalb wird es ihm – Überraschungen nicht ausgeschlossen – auch schwer gelingen, durch den USA-Besuch seine zuletzt schlechten Umfragewerte zu verbessern.
Zwar stimmen für Suga im Moment die Rahmenbedingungen des Besuchs: Er wird der erste ausländische Regierungschef werden, der Biden persönlich trifft. Doch bereits hier liegen erste Stolpersteine, denn der US-Präsident hat Japan nicht ohne Hintergedanken den Vorzug gegeben. Die verbalen Attacken gegen China waren in den vergangenen Wochen das große Thema der US-Politik. Beim Treffen wird Biden sicherlich betonen, wie wichtig die Rolle Japans für die USA ist bei ihrer Positionierung gegen Chinas zunehmende Stärke und für ihre Einkreisungspolitik, an der auch Australien, Indien oder die Philippinen Anteil haben. Besonders brisant für die US-Administration sind die Spannungen in der Straße von Taiwan, wo die USA ihre Aktivitäten als »Schutzmacht« der chinesischen Insel ausweiten und Beijing mit verstärkter Militärpräsenz kontert. Japan könnte dort wegen seiner geographischen Nähe eine Schlüsselposition zukommen.
Doch Tokio ist auf eine tragende Rolle im Anti-China-Lager nicht vorbereitet. Die Liberaldemokraten (Sugas Regierungspartei) und die japanische Wirtschaft sind in der China-Frage gespalten. Suga, der sich während seiner gut halbjährigen Amtszeit kaum einmal zu Strategiefragen geäußert hat, scheint keine eindeutige Position einzunehmen. Dementsprechend konnte sich Japan – im Gegensatz zu den anderen G-7-Staaten – auch zu keinen Sanktionen gegen China wegen dessen angeblicher Unterdrückung der Uiguren-Minderheit durchringen. Der Inselstaat vermeidet es in der Regel, sich in Menschenrechtsfragen anderer Länder einzumischen. Und Tokio hat in den letzten Jahren der Abe-Administration die Kooperation mit Beijing betont und sich nie gegen das Ein-China-Prinzip gestellt. Allerdings haben in letzter Zeit Streitigkeiten um die Senkaku-Inseln, die China als Diaoyu-Inseln beansprucht, die Beziehungen belastet.
Natürlich wird Japan beim Säbelrasseln Washingtons gegen China verbal mitmachen, wie es der Inselstaat bereits bei den sogenannten Zwei-plus-zwei-Gesprächen der Außen- und Verteidigungsminister Mitte März in Tokio demonstriert hat. Und nicht nur die hiesigen Falken sind froh, dass Japan in die China-Strategie der USA eingebunden worden ist und nicht links liegen gelassen wurde, wie es unter Barack Obama und dessen G-2-Politik der Fall war. Doch die Frage bleibt, wie weit Tokio bereit ist, die China-Politik der USA mitzutragen.
Anfang April warnte der chinesische Außenminister Wang Yi seinen japanischen Amtskollegen Toshimitsu Motegi in einem Telefonat, sich an der Seite Washingtons gegen China zu stellen und hatte zu Vernunft geraten. Aufmerksam verfolgt werden wird deshalb die Schlusserklärung des US-japanischen Gipfels, insbesondere der Wortlaut zu den Themen Uiguren und Taiwan.
Nuklearwaffen inklusive
USA und Japan schmieden Pakt gegen China. Tokio ungewohnt konfrontativ, beim Handel überwiegen aber eigene Interessen
Von Jörg Kronauer
US-Präsident Joseph Biden und Japans Premierminister Yoshihide Suga haben ihr erstes Treffen am Freitag (Ortszeit) in Washington zu einem demonstrativen Schulterschluss gegen die Volksrepublik China genutzt. Beide Seiten hätten ihre »eiserne Unterstützung für die US-amerikanisch-japanische Allianz bestätigt«, teilte Biden nach der Zusammenkunft mit: Die USA und Japan würden gegen »die Herausforderungen durch China« gemeinsam vorgehen, etwa in den Auseinandersetzungen um zahllose Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer und im Kampf um den »freien und offenen Indopazifik«. Dabei fiel auf, dass sich Suga nicht nur darauf einließ, in einer gemeinsamen Erklärung mit Biden »ernste Sorgen« bezüglich der »Menschenrechtslage in Hongkong und Xinjiang« zu äußern, sondern dass er auch ausdrücklich vor »Gewalt oder Zwang« durch die Volksrepublik warnte. Für Japan, dessen Wirtschaft sehr eng mit derjenigen Chinas verflochten ist und das von chinesischen Reaktionen hart getroffen würde, handelt es sich dabei um ungewohnt offene Attacken.
Neu war auch, dass Biden und Suga ausdrücklich »die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße« betonten. Zuletzt hatten dies ein US-Präsident und ein japanischer Premierminister im Jahr 1969 getan; seit Beginn der Annäherung zwischen Washington und Beijing zu Beginn der 1970er Jahre hatten die USA und Japan die Ein-China-Politik anerkannt und dementsprechend wörtliche Bezüge zu Taiwan, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine Kolonie Japans gewesen war, in gemeinsamen Erklärungen unterlassen. Im Gegenzug bekräftigte Biden die US-Bereitschaft, Tokio militärisch beizustehen; dies beziehe sich auch auf den Konflikt mit Beijing um Inseln im Ostchinesischen Meer, die in China Diaoyu, in Japan Senkaku heißen und die von beiden Staaten beansprucht werden. Biden zufolge schließt der US-Beistand »die gesamte Bandbreite« militärischer Fähigkeiten ein – »Nuklearwaffen inklusive«.
Auch auf wirtschaftlich-technologischer Ebene wollen Washington und Tokio ihren Machtkampf gegen die Volksrepublik verschärfen. Biden teilte mit, er habe sich mit Suga geeinigt, auf Feldern wie 5G, Künstliche Intelligenz und Quantencomputern sowie bei der Herstellung von Halbleitern enger zusammenzuarbeiten. Um die »digitale Wettbewerbsfähigkeit« zu stärken, wollen die USA 2,5 Milliarden, Japan zwei Milliarden US-Dollar bereitstellen. Dies soll helfen, den Durchbruch Chinas zur weltweit führenden Hightech-Macht zu verhindern, wie es im Falle Huaweis bei 5G bereits gelungen ist. Keinen Erfolg hatte Suga aber bei dem Bestreben, Biden zur Annäherung an das pazifische Freihandelsbündnis CPTPP zu bewegen. Das Nachfolgeabkommen zu dem transpazifischen Freihandelsbündnis TPP hatte die Obama-Administration angebahnt, die Trump-Regierung dann allerdings verlassen. In Handelsfragen in der Asien-Pazifik-Region hat damit China dank des regionalen RCEP-Abkommens weiterhin die Nase vorn.
Scharfer Protest kam am Sonnabend aus der Botschaft Chinas in Washington. Beijing wende sich »entschlossen« gegen die Äußerungen Bidens und Sugas, hieß es in einer Erklärung: Diese gingen weit über die übliche Kooperation zwischen zwei Staaten hinaus, schädigten Interessen Dritter und seien geeignet, die Region »zu spalten«. Dies gefährde letztlich den Frieden und die Stabilität in ganz Asien und in der Pazifikregion.
China und Iran:
Es waren mehrere Schwierigkeiten zu überwinden.
Vermutlich benötigt der Iran dringend Devisen, sodaß Barter-Geschäfte, wie China sie mit Argentinien und anderen Staaten geschlossen hat, nicht in Frage kommen – also Waren gegen Öl.
China hat genug Devisen, aber wie sie in den Iran überweisen? Das geht nur entweder per Bargeldtransport, oder über einen Vermittler.
Ich vermute die Mithilfe einer Regierung der mittelasiatischen Staaten, bei denen China wegen der Bauarbeiten zur Neuen Seidenstraße sowieso omnipräsent ist.
Das hat doch noch nie funktioniert, den Iran zu „politischen Zugeständnissen“ zu zwingen – solche Sprüche, daß Sanktionen andere Regierungen gefügig machen würden, werden wie ein Matra dahergebetet, obwohl es offensichtlich ist, daß sie falsch sind.
Kurs auf Krieg
Washington bindet Tokio als Hauptverbündeten in Asien eng an sich. Auch Biden-Administration setzt gegen China auf Japan
Von Jörg Kronauer
Das Bündnis mit Japan sei für die Vereinigten Staaten »der Grundstein für Frieden, Stabilität und Freiheit in der Indopazifik-Region«, so das US-Außenministerium. Nun ist das mit Frieden, Stabilität und Freiheit, sobald die US-Außenpolitik entschlossen in Aktion tritt, oft so eine Sache. Daran, dass Tokio Washingtons Hauptverbündeter in Asien ist, kann aber kein Zweifel bestehen.
Ähnlich wie die Bundesrepublik haben die Vereinigten Staaten das besiegte Japan nach dem Zweiten Weltkrieg eng an sich gebunden. Das Land war bis zum Aufstieg Chinas die dominante Wirtschaftsmacht der Region und ist immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Und wenngleich Tokio bis heute laut seiner Verfassung offiziell keine Armee unterhalten darf, sondern nur sogenannte Selbstverteidigungsstreitkräfte: Japan leistet sich den achtgrößten Rüstungshaushalt weltweit. Mit einem Volumen von 51,5 Milliarden US-Dollar (42 Milliarden Euro) 2021 liegt er mit dem deutschen Militäretat fast gleichauf.
Entgegen der Verfassung
Japans herrschende »Eliten« sind außerdem seit Jahren bemüht, die Fesseln abzuschütteln, die ihnen die Verfassung mit ihrem offiziellen Kriegsverzicht bis heute auferlegt – theoretisch: Denn in der Praxis hat Tokio längst Wege gefunden, sich in der einen oder anderen Form an Auslandseinsätzen seiner Verbündeten zu beteiligen, und sei es auch nur mit der Entsendung von Tankschiffen. 2015 stimmte das japanische Parlament einer »Neuinterpretation« der Verfassung zu. Seitdem dürfen die »Selbstverteidigungsstreitkräfte« auch »kollektive Selbstverteidigung« im Ausland praktizieren – und was darunter zu verstehen ist, lässt sich ebenfalls dehnbar interpretieren. 2018 stellte Tokio mit seiner neuen Amphibious Rapid Deployment Brigade erstmals seit 1945 eine Einheit in Dienst, die speziell dafür ausgebildet ist, an fremden Küsten an Land zu gehen. Und ganz davon abgesehen: Japan ist das Land, in dem die größten US-Truppenkontingente außerhalb der Vereinigten Staaten stationiert sind – rund 55.000 US-Militärs.
Kein Wunder, dass die Administration von Joseph Biden Japan auch zum Eckpfeiler ihrer Operationen gegen China zu machen sucht. Das Land war das Ziel der ersten Auslandsreise, die US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Mitte März gemeinsam unternahmen. Japans Premierminister Yoshihide Suga war vergangenen Freitag der erste ausländische Regierungschef, den US-Präsident Biden nach seinem Amtsantritt persönlich empfing.
Dabei stach zweierlei heraus: Bidens Bekräftigung, Washington werde Tokio im Konflikt mit Beijing um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln mit allen militärischen Mitteln beistehen, »Nuklearwaffen inklusive«; darüber hinaus der Hinweis auf die angebliche Sorge um »Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße«. Der Konflikt zwischen den USA und China um Taiwan, mit dem Washington in jüngster Zeit unter Bruch der seit den 1970er Jahren offiziell anerkannten Ein-China-Politik immer offener kooperiert, gewinnt zusehends an Schärfe – auch militärisch. Die USA beziehen dabei in ihre strategischen Planungen auch Japan ein.
Konfliktpunkt Taiwan
Was geschehen soll, wenn es tatsächlich zu einem Krieg um Taiwan kommen sollte, darüber haben sich US-Verteidigungsminister Austin und sein japanischer Amtskollege Nobuo Kishi Mitte März ausgetauscht: Sie hätten bekräftigt, man werde dann eng kooperieren, hieß es anschließend in japanischen Medienberichten; es gelte schon jetzt, Optionen dafür zu entwickeln. Tokio könne sich vor allem um den Schutz von US-Kriegsschiffen und Kampfjets bemühen, hieß es. Auch Beistand logistischer Art sei gefragt.
Die US-amerikanische RAND Corporation hat bereits im Dezember eine Analyse publiziert, die unter dem Titel »Japans mögliche Beiträge bei einem Zwischenfall im Ostchinesischen Meer« Tokios Aufgaben in einem möglichen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik durchdekliniert. Jeffrey Hornung, ein RAND-Experte, ließ sich jetzt in der Japan Times mit dem Hinweis zitieren, Tokio werde um »tieferes öffentliches Verständnis« für eine japanische Teilnahme an einem möglichen Waffengang werben müssen: Schließlich werde es schon allein wegen der US-Militärstützpunkte auf seinem Territorium zum militärischen Angriffsziel werden; mit »massenhaften Todesfällen« sei zu rechnen.
Militärisch bereitet sich Japan schon seit Jahren auf entsprechende Szenarien vor. Seit 1997 führen japanische Truppen gemeinsam mit den in im Land stationierten US-Einheiten gemeinsame Manöver unter dem Namen »Keen Sword« durch, bei denen die Fähigkeit zu schnellem gemeinsamem Handeln im Mittelpunkt steht. Zuletzt haben die japanischen See- und Luftstreitkräfte intensiv den Schutz von US-Kriegsschiffen und Kampfjets geprobt; die Zahl entsprechender »Missionen« ist dem japanischen Verteidigungsministerium zufolge von 14 im Jahr 2019 auf 25 im Jahr 2020 aufgestockt worden.
Darüber hinaus hat Japan bereits 2007 erste gemeinsame Manöver mit den USA und Indien durchgeführt, seit 2015 werden diese unter dem Namen »Malabar« regelmäßig abgehalten. »Malabar 2020« fand im November 2020 sogar als Großmanöver des Quad (Quadrilateral Security Dialogue) statt, eines informellen Zusammenschlusses der USA mit Japan, Australien und Indien. Anfang April beteiligten sich die Quad-Staaten, darunter Japan, schließlich an dem von Frankreich organisierten Marinemanöver »La Pérouse« im Golf von Bengalen. Das Bündnis zwischen den USA und Japan gewinnt auch militärisch eine tragende Funktion.
Hintergrund: Streit um sechs Quadratkilometer
Klein, aber heftig umstritten: Auf gerade einmal sechs Quadratkilometer bringen es die fünf Inselchen und die drei Felsbrocken, die 170 Kilometer nordöstlich von Taiwan, 330 Kilometer vor der ostchinesischen Küste und 410 Kilometer westlich der japanischen Ryukyu-Inseln aus dem Ostchinesischen Meer ragen. Diaoyu-Inseln heißen sie auf chinesisch, Senkaku-Inseln auf japanisch. Bewohnt sind sie nicht. Beansprucht werden sie allerdings von Japan, der Volksrepublik und Taiwan.
Beijing und Taipeh leiten ihre Ansprüche historisch her. Die Diaoyu-Inseln finden sich bereits auf chinesischen Landkarten aus der Zeit der Ming-Dynastie (1368–1644). Berichte aus dem 16. Jahrhundert lassen sich so verstehen, dass sie damals zu China gehörten. Unstrittig ist, dass Tokio sie nach dem – gewonnenen – Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg (1894–1895) okkupierte, zusammen mit Taiwan, das es zu einer Kolonie degradierte. Nach dem – verlorenen – Zweiten Weltkrieg musste es Taiwan an China zurückgeben, weigerte sich jedoch, das auch mit den Diaoyu-/Senkaku-Inseln zu tun: Die seien, bevor Japan sie 1895 in Beschlag genommen habe, unbewohntes Niemandsland (»terra nullius«) gewesen, hieß es zur Begründung; Tokio sei deshalb befugt gewesen, sie sich rechtsgültig anzueignen.
Entscheidend war, dass die USA, die die Diaoyu-/Senkaku-Inseln nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch kontrollierten, sich auf Japans Seite schlugen und die sechs Quadratkilometer 1972 offiziell Tokio übergaben. Gegen die bereits 1971 gefällte Entscheidung darüber war es schon in jenem Jahr zu ersten Protesten gekommen: Einige taiwanische Aktivisten, darunter der spätere taiwanische Präsident Ma Ying-jeou, hissten Taiwans Flagge auf den Inseln. Seitdem tobt der Streit, und seit den 1990er Jahren mischt auch die Volksrepublik immer tatkräftiger mit. Klar ist nur eines: Der Westen lehnt Beijings Ansprüche ab, wo es nur geht. Daher bezieht er auch im Streit um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln lauthals für Japan Position. (jk)
Manöver in Ostasien (20.04.2021)
Deutschland weitet Militärkooperation mit Japan aus. Strategen schlagen Aufbau einer ständigen europäischen Marinepräsenz im Indischen Ozean vor.
BERLIN/TOKIO (Eigener Bericht) – Deutschland weitet seine Geheimdienst-, Rüstungs- und Militärkooperation mit Japan aus und plant gemeinsame Manöver sowie gemeinsame Operationen zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Nordkorea. Dies ist das Ergebnis von Treffen und von Gesprächen, die die Regierungen in Berlin und in Tokio in den vergangenen Wochen führten. So stand bei einem “Zwei-plus-zwei-Gespräch” der Außen- und Verteidigungsminister der beiden Länder der Aufbau einer “vereinigten Front” gegen Beijing im Mittelpunkt; eine wichtige Funktion kommt dabei einer Asienfahrt der deutschen Fregatte Bayern zu, die im August beginnen soll. Der Ausbau der Kooperation mit Japan erfolgt gleichzeitig mit einer Stärkung der japanisch-US-amerikanischen Zusammenarbeit, die nicht zuletzt Planungen für den Fall eines Krieges um Taiwan beinhaltet. Strategen plädieren darüber hinaus für eine intensivere Kooperation mit dem transpazifischen Viererpakt “Quad”, mit dessen Mitgliedstaaten Frankreich Anfang April ein erstes gemeinsames Marinemanöver abhielt. Eine ständige europäische Marinepräsenz im Indischen Ozean ist im Gespräch.
Verschmelzung von Außen- und Militärpolitik
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen mehrere Schritte zur Intensivierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Japan unternommen. Am 22. März unterzeichneten beide Länder ein bilaterales Geheimschutzabkommen, das nicht nur die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste beider Länder, sondern auch die Realisierung gemeinsamer Rüstungsprojekte und Militäreinsätze erleichtern soll.[1] Am 13. April kamen zum ersten Mal die Außen- und Verteidigungsminister Deutschlands und Japans zu einem sogenannten Zwei-plus-zwei-Gespräch zusammen, pandemiebedingt freilich nur online; derartige Konsultationen sind künftig regelmäßig geplant. Sie beschränken sich nicht auf die deutsch-japanischen Beziehungen: Zwei-plus-zwei-Gespräche führten Mitte März US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin mit ihren Amtskollegen in Tokio; zuvor hatten sich – freilich online – die Außen- und Verteidigungsminister Japans und Großbritanniens im Zwei-plus-zwei-Rahmen ausgetauscht. Die wachsende Vorliebe für das Format zeigt, dass im Westen sowie bei dessen Verbündeten eine zunehmende Verschmelzung der Außen- mit der Militärpolitik zu beobachten ist.
Vereinigte Front gegen Beijing
Als Erläuterung für die Abhaltung der Zwei-plus-zwei-Gespräche verwies Außenminister Heiko Maas auf den globalen Machtanspruch Berlins: Um “die Welt weiterhin aktiv mitzugestalten”, müssten “Deutschland und Europa” sich “gerade auch in Asien stärker engagieren”, denn dort fänden “in diesem Jahrhundert wichtige globale Weichenstellungen statt”.[2] Genauere Angaben über den Inhalt der Gespräche wurden in Tokio bekannt. Demnach konzentrierten sich die vier Minister vor allem auf Bemühungen, “eine vereinigte Front” zu etablieren, um “den territorialen Ambitionen Beijings entgegenzutreten”.[3] Gemeint sind die Konflikte um Inseln im Süd- und im Ostchinesischen Meer und der Konflikt um Taiwan, die einseitig der Volksrepublik angelastet werden. Jun Okumura, ein Experte des Meiji Institute for Global Affairs in Japans Hauptstadt, urteilt, Tokio sei an “jeglichem neuen Bündnis” interessiert, “das hilft, China entgegenzutreten”. Angelpunkt für die japanischen Eliten ist dabei ihre Allianz mit den USA, deren aktuelle Ziele bei den Zwei-plus-zwei-Gesprächen mit Blinken und Austin Mitte März besprochen wurden. Dabei wurden insbesondere etwaige militärische Beiträge Japans im Falle eines Krieges um Taiwan diskutiert.[4]
Gemeinsame Manöver und Operationen
Auch bei den japanisch-deutschen Zwei-plus-zwei-Gesprächen standen militärische Vorhaben auf dem Programm, vor allem der bevorstehende Besuch der deutschen Fregatte Bayern, die im August mit Kurs auf Asien aufbrechen und nach mehreren Zwischenstationen in Japan eintreffen wird. Wie die Tageszeitung Mainichi Shimbun berichtet, wünscht Tokio für die Zeit des Aufenthalts der Fregatte gemeinsame Manöver mit den japanischen Streitkräften.[5] Darüber hinaus sind, wie das deutsche Verteidigungsministerium bestätigt, gemeinsame deutsch-japanische Operationen zur Überwachung des UN-Waffenembargos gegen Nordkorea geplant. Neben militärischen Vorhaben thematisierten beide Seiten bei den Zwei-plus-zwei-Gesprächen auch die Absicht, in Zukunft in der Rüstung enger zu kooperieren. Japan bezieht sein Kriegsgerät zur Zeit vorwiegend aus den USA. Eine engere Militärkooperation mit Japan streben neben Deutschland auch Großbritannien und Frankreich an. London wird im Mai seinen neuen Flugzeugträger “Queen Elizabeth” nach Ostasien entsenden; am Zielpunkt der Reise, in Japan, sind gemeinsame Manöver mit den japanischen und den US-amerikanischen Streitkräften geplant.[6]
Der transpazifische Viererpakt
Frankreich wiederum hat vom 5. bis zum 7. April im Golf von Bengalen das Marinemanöver “La Pérouse” durchgeführt, an dem auch die japanischen Streitkräfte beteiligt waren. “La Pérouse”, benannt nach einem französischen Marineoffizier, der im Jahr 1788 auf einer Erkundungsfahrt im Pazifik verschwand, wurde erstmals 2019 abgehalten; involviert waren damals Kriegsschiffe nicht nur Japans, sondern auch Australiens und der Vereinigten Staaten. Diesmal nahm zusätzlich auch die indische Marine teil; damit übten erstmals alle vier Staaten des “Quad” (Quadrilateral Security Dialogue), eines informellen Bündnisses der USA, Japans, Australiens und Indiens, unter der militärischen Führung Frankreichs.[7] Die vier Quad-Staaten wiederum hatten im November 2020 bereits ein gemeinsames Manöver (“Malabar 2020”) abgehalten, ebenfalls im Golf von Bengalen; Ausrichter war Indien.[8] Hochrangige US-Militärs fordern, gemeinsame Manöver der Quad-Mitglieder zu verstetigen und sie mittelfristig weiter auszubauen; zudem könne man schon in drei bis vier Jahren etwa eine gemeinsame Institution gründen (“Quad Center of Excellence”), deren Aufgabe es sei, gemeinsame strategische Doktrinen zu entwickeln.[9]
Ständige Marinepräsenz im Indischen Ozean
Wenngleich noch unklar ist, ob sich die Quad-Militärkooperation tatsächlich in einem solchen Maß intensivieren lässt, dringen seit geraumer Zeit Experten in der EU auf engere Zusammenarbeit auch der Staaten Europas mit dem Quad.[10] Zuletzt hat sich in diesem Sinn Ende vergangener Woche der European Council on Foreign Relations (ECFR) zu Wort gemeldet. Wie es in einer Analyse des Think-Tanks heißt, könne der transpazifische Viererpakt der EU “als Andockstelle” für eine Ausweitung ihrer Aktivitäten in der Region dienen; die Union und ihre Mitgliedstaaten sollten ihn unbedingt “in ihre strategische Annäherung an den Indo-Pazifik einbeziehen”. Das gelte nicht nur, aber auch für militärische Aktivitäten. Wollten “die Europäer” den Einfluss ihrer militärischen Ressourcen in der Region maximieren, sollten sie sie außerdem gezielt strategisch einsetzen. So sei etwa möglich, sich untereinander so abzustimmen, dass eine ständige europäische Marinepräsenz im Indischen Ozean gewährleistet sei; dazu sollten Deutschland, die Niederlande, Spanien und Portugal die Ressourcen ihrer Seestreitkräfte mit denjenigen Frankreichs koordinieren, das schon jetzt eine Marinepräsenz in der Indo-Pazifik-Region unterhalte.[11] Damit könne man dem Einfluss Chinas entschlossen entgegentreten.
Na, da wächst ja zusammen, was zusammen gehört.
Historische Rückerinnerung:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dreim%C3%A4chtepakt
Grüne Klimapolitik
US-Präsident lädt zu Umweltgipfel. Und Kanzerkandidatin Baerbock? Wünscht sich transatlantisches Klimabündnis gegen China
Von Jörg Kronauer
Überschattet von den aktuellen globalen Machtkämpfen hat am Donnerstag der von US-Präsident Joseph Biden ausgerichtete Onlineklimagipfel begonnen. Rund 40 Staats- und Regierungschefs beraten bis Freitag über Maßnahmen zum Klimaschutz. Ihre Teilnahme angekündigt haben unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin. Das Treffen soll auf die UN-Klimakonferenz im November vorbereiten. Biden kündigte zu Beginn des Treffens eine Reduktion der CO2-Emissionen der USA bis 2030 um rund die Hälfte gegenüber dem Ausstoß im Jahr 2005 an. Dies entspricht einer Verringerung um rund 43 Prozent gegenüber 1990. Auch die EU hat bekräftigt, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken zu wollen.
Hinter den Plänen zur CO2-Emissionsverringerung steckt allerdings weitaus mehr als die Sorge um das Weltklima. Das wird nicht nur dadurch bestätigt, dass der aktuelle Klimagipfel ausdrücklich den wirtschaftlichen Nutzen stärkerer Klimaschutzmaßnahmen herausstreichen soll. Die Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock, machte am Donnerstag im Interview mit dem Deutschlandfunk klar, wohin für sie die Reise geht: ein Bündnis mit den USA in der globalen Konkurrenz um Weltmarktanteile bei klimafreundlichen Technologien schmieden – und die Konfrontation mit China.
Mehr europäisches »Engagement in der Verteidigungspolitik« hatte sie bereits zuvor wiederholt gefordert – und Investitionen bei der Bundeswehr, »damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren«. Durch die milliardenschweren neuen Programme der Biden-Administration zur Förderung etwa der Nutzung von erneuerbaren Energiequellen und Elektromobilität, so die Kanzlerkandidatin am Donnerstag, könnten »mit einer transatlantischen Klimapartnerschaft wirklich Pflöcke für die Zukunft« eingeschlagen werden. Dabei gehe es laut Baerbock nicht nur um »Klimaschutz« und »Industrieinnovationen«, sondern auch um »den Wettbewerb der Systeme« zwischen dem Westen und China.
Das Ziel der Grünen-Kanzlerkandidatin: »Unseren Industriestandort Europa in die Zukunft zu führen«. Der Hintergrund: Wegen der ökonomischen Schäden der Erderwärmung hat ein Wettlauf um den Aufbau einer klimafreundlichen Wirtschaft schon längst begonnen. »Unsere Industrie« stehe »im absoluten Wettbewerb«, erklärte Baerbock gegenüber dem Deutschlandfunk: »Es geht jetzt darum, wer produziert zum Beispiel als erstes klimaneutralen Stahl. Wenn wir da nicht vorne mit dabeisind, dann tun es andere.«
Mit ihrem Versuch, die Klimapolitik als neues Instrument im Machtkampf des absteigenden Westens gegen China zu nutzen, geht sie freilich ein Risiko ein: Zum einen ist unklar, ob Biden sich etwa gegen die US-Erdöl- und -Frackinglobby durchsetzen kann. Zum anderen ist ungewiss, ob nach der nächsten US-Wahl nicht wieder ein Gegner des Pariser Klimaschutzabkommens in Washington an die Macht kommt.
Unabhängig davon zahlt sich Baerbocks Sorge um die Industrie bereits jetzt aus: Unter rund 1.500 Führungskräften aus Wirtschaft und Behörden, die die Wirtschaftswoche befragte, ist sie die beliebteste Kandidatin für die Nachfolge von Merkel. Mit 26,5 Prozent lag sie deutlich vor FDP-Chef Christian Lindner (16,2 Prozent) und Unionskandidat Armin Laschet (14,3 Prozent). SPD-Kandidat Olaf Scholz folgte abgeschlagen mit 10,5 Prozent.
Boomerang gegen China
Australien kündigt Wirtschaftsabkommen im Rahmen der Neuen Seidenstraße. Exportwirtschaft des Landes leidet unter Restriktionen
Von Jörg Kronauer
Australien leistet sich die nächste Attacke gegen China: Am Mittwoch hat die Rechtsregierung in Canberra zwei Abkommen außer Kraft gesetzt, die der südöstliche Bundesstaat Victoria im Rahmen der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) in den Jahren 2018 und 2019 mit Beijing geschlossen hatte. Die beiden Vereinbarungen seien »nicht konsistent mit Australiens Außenpolitik«, teilte Außenministerin Marise Payne zur Erläuterung mit; sie würden deshalb annulliert. Seitdem schlagen, wie zu erwarten, die Wellen hoch. Chinas Botschaft in Canberra bekundete ihr »großes Missfallen und entschlossenen Widerspruch«. Gegenmaßnahmen werden nicht ausgeschlossen. Auch innerhalb Australiens heizt der Schritt bestehende Spannungen an.
Seinen aggressiven Konfrontationskurs gegen Beijing, den die aktuelle Maßnahme fortsetzt, hatte Canberra bereits vor Jahren eingeleitet. Schon im Juni 2018 etwa verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Abwehr »auswärtigen Einflusses«, das Befürworter einer Zusammenarbeit mit China stark unter Druck setzt. Nebenbei bemerkt, wurde das Gesetz auch schon genutzt, um eine Durchsuchung der öffentlich-rechtlichen Australian Broadcasting Corporation (ABC) zu rechtfertigen, als sie schwere Kriegsverbrechen australischer Militärs in Afghanistan untersuchte. Australien war im August 2018 der erste Staat, der Huawei vom Aufbau seiner 5G-Netze ausschloss, und es nimmt auch sonst an vorderster Front an jeder US-Aggression gegen die Volksrepublik teil. Das hat ihm in der Region den Ruf eingebracht, als »Hilfssheriff« der Vereinigten Staaten zu dienen. Als im April 2020 Premierminister Scott Morrison, wegen seiner politischen Nähe zum vorigen US-Präsidenten zuweilen als »australischer Trump« etikettiert, verlangte, China müsse nicht nur ausländische Ermittler ins Land lassen, um die Ursprünge der Covid-19-Pandemie zu erkunden, sondern ihnen auch die Kompetenzen von UN-Waffeninspekteuren erteilen, war für Beijing endgültig das Maß voll.
Seit Mai 2020 setzt sich die Volksrepublik auf wirtschaftlicher Ebene zur Wehr – mit Strafzöllen und mit faktischen Einfuhrboykotten. Nach und nach hat sie den Import von Kohle, Gerste, Wein, Fleisch, Baumwolle und weiteren Gütern aus Australien reduziert oder ganz untersagt. Das wiegt schwer: Im Jahr 2019, kurz vor Beginn der chinesischen Gegenmaßnahmen, hatte Australien 40 Prozent seiner Exporte nach China geliefert. Im März 2021 zogen Regierungsbeamte in Canberra vor Australiens Senat Bilanz – und es zeigte sich: Beijings Maßnahmen greifen. Zwar war das australisch-chinesische Handelsvolumen im zweiten Halbjahr 2020 gegenüber dem zweiten Halbjahr 2019 lediglich um zwei Prozent gesunken. Das lag jedoch daran, dass China noch große Mengen Eisenerz aus Australien bezog; der Weltmarktpreis dafür steigt seit Mitte 2020 stark an. Rechnet man den preislich aufgeblähten Eisenerzanteil heraus, dann zeigt sich: Die Ausfuhr australischer Unternehmen in die Volksrepublik war im Durchschnitt um 40 Prozent kollabiert.
Das schmerzt natürlich – um so mehr, als es längst nicht in allen Fällen gelungen ist, neue Kunden zu gewinnen. Zwar kaufen nun Japan und Indien australische Kohle: Wenn’s gegen China geht, tut man dort, was man kann. Man kann aber nicht alles, und so sind Australiens Kohleexporte insgesamt trotzdem um acht Prozent eingebrochen. Über 40 australische Frachtschiffe stecken zum Teil bereits seit Monaten vor der chinesischen Küste fest – in der verzweifelten Hoffnung, Beijing werde ihre Kohle vielleicht doch noch abnehmen. Gerste habe man weitgehend andernorts losschlagen können, erfuhr Australiens Senat im März, Wein – ein wichtiges Exportgut – jedoch nicht; die Branche leide. Hinzu kommt: Die Coronakrise hat Australiens Ausfuhren in den Rest der Welt um 22 Prozent zurückgehen lassen. Die Chance, die Krisenschäden durch steigende Verkäufe in die schon längst wieder boomende Volksrepublik zu minimieren – deutsche Unternehmen etwa tun das –, sie ist der australischen Wirtschaft verwehrt.
Und nun? Während Australiens Handelsminister Dan Tehan händeringend neue Absatzmärkte sucht und dazu gerade auf Europareise ist, dreht Premierminister Morrison die Eskalationsschraube mit der Annullierung der zwei Seidenstraßen-Abkommen des Bundesstaates Victoria weiter. Dass sie überhaupt zustande gekommen waren, lag daran, dass in Victoria die Australian Labour Party regiert, die einen etwas weniger scharfen Kurs gegen China fährt. »China ist der stärkste Wachstumsmarkt für Victorias Export«, ist auf einer Außenhandelswebsite von Victorias Regierung zu lesen, die sich entsprechend energisch gegen die Aufhebung ihrer Vereinbarungen mit Beijing gewehrt hat. Teile der australischen Wirtschaft opponieren ebenfalls nach Kräften gegen den Eskalationskurs der Regierung in Canberra: Der inneraustralische Machtkampf um die Chinapolitik ist womöglich noch nicht ausgekämpft.
Raumfahrt: China und Russland wollen gemeinsam Mondstation aufbauen
Peking und Moskau wollen eine oder sogar mehrere Raumstationen am beziehungsweise beim Mond aufbauen. Sie sind nicht die ersten.
Deutsch-chinesische Annäherung
Konsulationen: BRD fordert erleichterten Markzugang für hiesige Unternehmen
Die Bundesrepublik und ihr größter Handelspartner, die Volksrepublik China, wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die beim Klimaschutz und im Gesundheitsbereich vertiefen. Bei den erstmals online organisierten deutsch-chinesischen Regierungsberatungen rief Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Beijing am Mittwoch zur Kooperation bei der Eindämmung der Coronapandemie sowie zum Dialog über die Impfstoffproduktion und die Zulassung von Impfstoffen des jeweils anderen Staates. Die Konsultationen sind die sechste Auflage der seit 2011 alle zwei Jahre in dieser Form stattfindenden Gespräche Deutschlands mit China, in deren Rahmen auch die Mitglieder der Kabinette gemeinsam beraten.
Chinas Ministerpräsident Li Keqiang sagte, solange beide Seiten die jeweiligen »Kerninteressen respektieren« und »auf der Basis der Gleichbehandlung und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« kommunizierten, könnten sie günstige Bedingungen für eine weitere reibungslose Entwicklung der Kooperation schaffen. Als große Wirtschaftsnationen und einflussreiche Länder unterstützten China und Deutschland den Multilateralismus sowie den freien Handel.
Die deutsche Seite forderte am Mittwoch von der Volksrepublik mehr »Marktöffnung«. Merkel sprach das Investitionsabkommen zwischen China und der Europäischen Union (EU) an. Dies könne auch ein Grundstein für transparente Wirtschaftsbeziehungen, gegenseitigen Marktzugang und Reziprozität sein. Auf einem Wirtschaftsforum am Rande der Regierungskonsultationen sagte der Vizeminister der Entwicklungs- und Reformkommission, Hu Yuping, am Mittwoch in Peking, mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan bis 2025 wolle es China ausländischen Unternehmen leichter machen, in der Volksrepublik zu investieren. Auch solle der Import ausgeweitet werden.
Ende 2020 hatten sich China und die EU auf ein Investitionsabkommen geeinigt. Es soll den Zugang hiesiger Unternehmen zum chinesischen Markt erleichtern. Noch ist das Abkommen nicht fertig ausgehandelt. Es muss auch vom Europaparlament gebilligt werden. (dpa/jW)
Machtkampf und Profit (28.04.2021)
Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen: Die heute bevorstehenden Gespräche sollen das deutsche Chinageschäft trotz steigender Spannungen sichern.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Bessere Chancen für deutsche Unternehmen in China strebt die Bundesregierung bei den heutigen deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen an. Die Gespräche, die dieses Jahr pandemiebedingt online abgehalten werden, sollten “konkrete Schritte bei Themen” erreichen, die “für beide Seiten wichtig” seien, erklärt ein Regierungssprecher vorab – insbesondere “bei den Wirtschaftsbeziehungen”. Die Volksrepublik hat ihre Stellung als größter Handelspartner der Bundesrepublik im Pandemiejahr 2020 ausgebaut und gewinnt nicht nur als perspektivisch größter Absatzmarkt weltweit, sondern auch als Standort für Forschung und Entwicklung an Bedeutung: Weil Beijing etwa Milliardensummen in seine Wasserstoffindustrie investiert, hat zum Beispiel Bosch einschlägige Entwicklungsarbeiten nach China verlegt und profitiert von den chinesischen Subventionen. Geschäftsgefährdend ist, dass Berlin politisch und militärisch den Druck auf Beijing erhöht – um es am weiteren Aufstieg zu hindern. Um die Rettung des Chinageschäfts trotz steigender Spannungen geht es in den heutigen Gesprächen.
Die Bedeutung des Chinahandels
Auf den weiteren Ausbau der Wirtschaftskooperation mit China dringt unverändert die deutsche Industrie. Dies liegt zum einen in der Coronakrise begründet. Die Volksrepublik, die die Pandemie erfolgreich bekämpft und recht rasch überwunden hat, ist die einzige unter den wirklich großen Volkswirtschaften, die im vergangenen Jahr ein Wachstum erzielen konnte – plus 2,3 Prozent – und die ihr Handelsvolumen mit Deutschland 2020 steigerte; sie hat dabei ihren Vorsprung vor den Vereinigten Staaten vergrößert: Während der deutsche Chinahandel 212 Milliarden Euro erreichte, fiel der Handel mit den USA auf 171,5 Milliarden Euro. Kürzlich vermeldete Beijing für das erste Quartal 2021 ein Wachstum von 18,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal, und wenngleich es sich dabei um den Anstieg im Vergleich zu Chinas schlimmster Krisenphase 2020 handelt: Die chinesische Wirtschaft wird erneut womöglich schneller wachsen als vermutet; der IWF hat seine Jahresprognose kürzlich von 8,1 Prozent auf 8,4 Prozent angehoben. Das bringe “positive Effekte” für deutsche Unternehmen mit sich, weil mit steigenden Ausfuhren in die Volksrepublik Einbrüche beim Export in weiterhin krisenerschütterte Länder aufgefangen werden könnten, urteilt Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI).[1]
Die Bedeutung des Standorts Volksrepublik
Hinzu kommt nicht nur, dass China sich zum bedeutendsten Absatzmarkt weltweit entwickelt: Das Land wird voraussichtlich 2028 oder 2029 die Vereinigten Staaten als größte Volkswirtschaft der Welt – gemessen in US-Dollarwerten [2] – ablösen; mit seiner Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen verfügt es zudem über mehr potenzielle Kunden als jedes andere Land der Welt, nicht zuletzt, weil Beijings erfolgreiche Armutsbekämpfung, anders als etwa in Indien, die kaufkräftigen Mittelschichten wachsen lässt. Vor allem aber locken herausragende Chancen für Forschung und Entwicklung von High-Tech-Produkten deutsche Konzerne in die Volksrepublik. Ein aktuelles Beispiel bietet Bosch. Der Kfz-Zulieferer sucht sich eine führende Position auf dem Weltmarkt für Brennstoffzellenantriebe zu erkämpfen und arbeitet dazu mit dem Nutzfahrzeughersteller Qingling Motors aus Chongqing zusammen. Das ist deshalb besonders günstig, weil Beijing die nötige Wasserstoffinfrastruktur, etwa ein Netz von Wasserstofftankstellen, mit höchstem Tempo ausbaut und zudem Fördergelder im Wert von rund 13 Milliarden Euro für Wasserstoff- und Brennstoffzellenprojekte zur Verfügung stellt. So lukrative Voraussetzungen findet Bosch nirgends sonst, schon gar nicht in der EU, und will davon profitieren, nicht zuletzt von den Subventionen.[3]
Die Strategie der “zwei Kreisläufe”
Dabei drängt die Zeit. Beijing hat mit seinem neuen Fünfjahresplan die Strategie der “zwei Kreisläufe” (“dual circulation”) initiiert; demnach soll der “innere Wirtschaftskreislauf” gegenüber dem “äußeren Wirtschaftskreislauf” gestärkt werden: Einerseits geht es darum, den Inlandskonsum auszuweiten, um von Exporten unabhängiger und damit gegenüber westlichen Strafzöllen immun zu werden; andererseits wird die Entwicklung vor allem von High-Tech-Produkten forciert, um durch westliche Sanktionen und Embargos nicht mehr angreifbar zu sein. Das bietet Unternehmen, die von chinesischen Produktionsstätten aus chinesische Kunden beliefern, ebenso Chancen wie Unternehmen, die in China Forschung und Entwicklung durchführen; ein Beispiel für beides bietet Bosch. Günstige Aussichten rechnen sich deutsche Unternehmen insbesondere im Bereich der Umwelttechnologien aus: Firmen aus der EU hätten auf diesem Feld gute Chancen, weil sie bereits an die “strikten Umweltstandards” ihres Heimatmarkts gewohnt seien, hielt kürzlich die European Union Chamber of Commerce in China fest.[4] Beijing habe sich im neuen Investitionsabkommen mit der EU verpflichtet, mit Brüssel im Kampf gegen den Klimawandel zu kooperieren; EU-Unternehmen seien aktuell in der chinesischen Branche “bestens positioniert”.
“Steile Lernkurve”
Gelingt es deutschen Unternehmen nicht, sich in China weiter zu verankern, das auf lange Sicht dabei ist, zum Zentrum der Weltwirtschaft zu werden [5], dann drohen ihnen neue Gefahren selbst auf ihren Heimatmärkten. Dies zeichnet sich zur Zeit – nach ersten chinesischen Erfolgen etwa bei Smartphones und Computern – exemplarisch auf dem Zukunftsfeld der Elektromobilität ab. Die Volksrepublik ist längst zum größten nationalen Markt für E-Autos geworden; chinesische Firmen beginnen inzwischen mit der Expansion – und sie nehmen dabei insbesondere den europäischen Markt ins Visier, der mittlerweile rasch zu wachsen beginnt. Scheiterten chinesische Kfz-Produzenten vor Jahren noch bei ihren ersten Versuchen, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in der EU zu vermarkten, so gelten chinesische E-Auto-Hersteller heute als erheblich besser vorbereitet; deutsche Autokonzerne müssten “aufpassen, nicht überfahren zu werden”, warnte der Branchenspezialist Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM), schon zu Jahresbeginn.[6] “Die Lernkurve der Chinesen ist enorm steil”, wird ein Spitzenmanager eines deutschen Kfz-Konzerns zitiert.[7] Gelingt den chinesischen Unternehmen der Markteinstieg, sind erbitterte Kämpfe um Marktanteile in Deutschland und de EU vorprogrammiert.
“Für beide Seiten wichtig”
Gefahren drohen der deutschen Wirtschaft vor allem auch durch die politischen Konfrontationen, die Berlin und Brüssel seit geraumer Zeit verschärfen, um Chinas Aufstieg zu bremsen oder sogar gänzlich zu stoppen. Beijing hat auf die kürzlich verhängten EU-Sanktionen ungewohnt scharf reagiert und damit klargestellt, dass weitere Attacken drastische Konsequenzen haben können.[8] Die Bundesregierung wiederum plant unverändert, mit der Fregatte Bayern ein Kriegsschiff nach Ostasien zu entsenden, von wo aus es nach gemeinsamen Operationen mit Japans Streitkräften schließlich durch das Südchinesische Meer nach Europa zurückkehren soll (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Das Vorhaben geht mit ähnlichen Aktivitäten der französischen sowie der britischen Marine einher und ist geeignet, die politischen Spannungen mit Beijing weiter eskalieren zu lassen. Trotz der politisch-militärischen Aggressionen potenziellen Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden – darauf zielen aus Berliner Perspektive die heutigen deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen. Die Bundesregierung hoffe dabei, trotz aller “Meinungsverschiedenheiten” auch “konkrete Fortschritte bei Themen” zu erzielen, die “für beide Seiten wichtig” seien – “Umwelt, Klima, Wirtschaftsbeziehungen” -, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag mit.[10]
Front gegen Beijing
Treffen der G-7-Staaten: Außenminister beraten in London zu VR China
Die Außenminister der G-7-Staaten haben bei ihrem Treffen in London über
den Umgang mit der Volksrepublik China beraten. Bei ihren Gesprächen in der britischen Hauptstadt suchten die Minister am Dienstag nach einer gemeinsamen Haltung gegenüber Beijing. Zudem soll der G-7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im britischen Cornwall vom 11. bis 13. Juni vorbereitet werden.
Zum Auftakt ihrer dreitägigen Beratungen am Montag hatten die G- 7-Minister bei einem Arbeitsessen über die Konflikte mit dem Iran und der Demokratischen Volksrepublik Korea beraten. Am Dienstag stand dann China im Zentrum. Der Westen hat Angst vor dem zunehmenden wirtschaftlichen und militärischen Einfluss Beijings.
Es gehe den »G 7« nicht darum, China »in Schach oder klein zu halten«, sagte US-Außenminister Antony Blinken dazu bereits am Montag. »Wir versuchen, die internationale regelbasierte Ordnung aufrechtzuerhalten, in die unsere Länder in so vielen Jahrzehnten soviel investiert haben, was nicht nur unseren eigenen Bürgern, sondern den Menschen auf der ganzen Welt zugute kam – und übrigens auch China.«
Der britische Außenminister Dominic Raab rief die Regierung in Beijing dazu auf, ihre »Verpflichtungen« in bezug auf die Sonderverwaltungszone Hongkong einzuhalten. Zugleich müsse nach »konstruktiven Wegen« gesucht werden, um mit China zusammenzuarbeiten, etwa im Kampf gegen den Klimawandel.
Seit dem Beginn der Pandemie hatten die Außen- und Entwicklungsminister der »G 7« nur virtuelle Konferenzen abgehalten, es war das erste persönliche Ministertreffen seit zwei Jahren. Der Gruppe der »sieben führenden Industrienationen« gehören die USA, Kanada, die BRD, Frankreich, Großbritannien, Italien und Japan an. Zu den Gesprächen in London sind auch Südkorea, Australien, Indien, Südafrika und Brunei, als Vertreter des ASEAN-Verbandes, eingeladen. Die britische Präsidentschaft wolle die »G 7« so noch mehr zu einem »zentralen Forum der großen Demokratien« machen, hieß es. Aus Beijing gab es bis jW-Redaktionsschluss kein Statement zu den Äußerungen auf dem Treffen. (AFP/jW)
Gewaltige Worte
G-7-Außenministertreffen
Von Jörg Kronauer
Drei Dinge standen bereits fest, bevor die G-7-Außenminister am Dienstag zu ihrem ersten persönlichen Treffen seit mehr als zwei Jahren zusammenkamen. Erstens: Die Biden-Administration hat zwar die meisten Ziele der Trumpschen Außen- und Militärpolitik übernommen; sie bemüht sich aber emsig, ihre Verbündeten an ihre Seite zu zwingen, und deshalb traf US-Außenminister Antony Blinken bereits am Montag mit wehenden Fahnen zu allerlei Vorabgesprächen in London ein. Zweitens: Die »G 7« suchen Ernst zu machen mit ihrer Absicht, im großen Machtkampf gegen China möglichst viele Staaten Asiens und der Pazifikregion an sich zu binden; dazu lud der britische G-7-Vorsitz – mit seinen diversen asiatisch-pazifischen Exkolonien geradezu prädestiniert – Vertreter Indiens, Australiens, Südkoreas, Südafrikas und des südostasiatischen ASEAN-Bündnisses als Gäste zum aktuellen Außenministertreffen ein.
Drittens hat der deutsche Außenminister Heiko Maas bereits am Montag vor seiner Abreise nach London betont: Die »G 7« wollen ihren Machtkampf gegen China und Russland als Kampf »liberaler Demokratien« gegen »autoritäre Staaten« verkaufen, in dem es angeblich um die Durchsetzung einer »regelbasierten Ordnung« geht. Nun können Staaten, die ohne Zustimmung der Vereinten Nationen Jugoslawien, den Irak und Libyen überfallen haben und andauernd fremde Regierungen zu stürzen versuchen, sich wohl kaum auf das geltende Völkerrecht berufen. Die »Regel«, auf der die »Ordnung« nach ihrem Willen beruhen soll, kann also nur heißen, dass die alten Kolonialmächte und nicht einst von ihnen unterworfene Staaten wie China den Gang der Dinge zu bestimmen haben. Apropos »liberale Demokratien«: Indien war mit seinem hindu-nationalistischen Außenminister, ASEAN mit dem Außenminister des Sultanats Brunei vertreten, das zur Zeit den ASEAN-Vorsitz innehat. Brunei ist eine absolute Monarchie, Wahlen sind dort unbekannt.
Nun muss man Maas in einer Sache recht geben: »Mit Bekenntnissen allein«, erklärte er vor seiner Abreise nach London, sei der Machtkampf gegen China und Russland »nicht zu gewinnen«. Und es stimmt natürlich: Letztlich gewinnt man ihn mit wirtschaftlichem, politischem und militärischem Potential. Keine Frage: Die »G 7« bringen gewaltiges, furchteinflößendes Gewicht auf die Waage. Allerdings läuft auch für sie nicht alles rund. Was immer ihre Außenminister am Mittwoch, wortgewaltig wie gewohnt, im Anschluss an ihr Treffen verkünden werden: Zeichen des Abstiegs sind unübersehbar. Der Westen hat den 20jährigen Krieg in Afghanistan verloren. Der Plan, mit Hilfe indischer Impfstoffhersteller China als Vakzinlieferanten ärmerer Länder auszustechen, ist an der mörderischen Eskalation der Pandemie in Indien und dem auf sie folgenden Impfstoffexportstopp krachend gescheitert. Die unangefochtene Dominanz, die sie noch in den 1990er und den 2000er Jahren besaßen, haben die »G 7« heute nicht mehr.
Abkommen mit China: EU stoppt Fortgang der Ratifizierung
Brüssel. Die EU setzt ihre Bemühungen zur Ratifizierung des Investitionsabkommens mit China vorläufig aus. Grund dafür seien die jüngsten »diplomatischen Zerwürfnisse« mit Beijing, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP in Brüssel. Angesichts gegenseitiger Sanktionen sei das Umfeld »für eine Ratifizierung des Abkommens derzeit nicht günstig«.
Nach mehrjährigen Verhandlungen hatten sich die EU und China am 30. Dezember 2020 im Grundsatz auf das Investitionsabkommen geeinigt. Das Abkommen soll Unternehmen beider Seiten stabile Rahmenbedingungen für Handel und Investitionen im jeweils anderen Markt garantieren.
In den vergangenen Monaten sind die EU und ihre Mitgliedstaaten in zunehmendem Maße auf den Konfrontationskurs der USA gegen China eingeschwenkt. Unter anderem wurden Sanktionen gegen chinesische Funktionäre erlassen, die Beijing dann erwidert hatte. (AFP/jW)
“Ein Signal an China” (05.05.2021)
EU will Freihandelsgespräche mit Indien neu starten. Schwache westliche Covid-19-Hilfe führt in Indien zu Kritik an der Westorientierung der Hindunationalisten.
BERLIN/NEW DELHI (Eigener Bericht) – Trotz der mörderischen Eskalation der Covid-19-Pandemie in Indien verweigert die EU weiterhin die Aussetzung von Impfstoffpatenten und dringt stattdessen auf ein Freihandelsabkommen mit dem Land. Die Wiederaufname entsprechender Verhandlungen soll auf dem EU-Indien-Gipfel am Samstag beschlossen werden. Ziel ist es, Indien als Geschäftsalternative zu China zu positionieren. Die Forderungen der EU umfassen traditionell die Deregulierung des Agrarsektors, gegen die indische Bauern zur Zeit in Massen protestieren. Deutsche Wirtschaftsvertreter warnen davor, allzu stark auf das Indiengeschäft zu setzen: Schon in der Vergangenheit scheiterten Bemühungen, es auszuweiten, an Indiens schwerfälliger Bürokratie und seiner schlechten Infrastruktur; auch hätten Maßnahmen der Regierung immer wieder die Interessen auswärtiger Investoren missachtet, heißt es beim BDI. Mit Blick auf die dürftige Unterstützung des Westens im Kampf gegen die Pandemie nehmen innerhalb der indischen Eliten Stimmen zu, die die Abkehr von der US-Orientierung der regierenden Hindunationalisten sowie eine Rückkehr zur Blockfreiheit fordern.
Auf der Suche nach Alternativen
Die EU will auf ihrem Gipfeltreffen mit Indien an diesem Samstag ihre Zusammenarbeit mit dem südasiatischen Land intensivieren. Brüssel wolle damit “klar ein Signal an China senden”, dass die Union “andere strategische Partner in Asien” suche, wird Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zitiert.[1] So soll unter anderem über Möglichkeiten zu einer intensiveren außen- und militärpolitischen Kooperation beider Seiten beraten werden – dies zu einer Zeit, zu der Indien am Aufbau eines neuen Pakts (“Quadrilateral Security Dialogue”, “Quad”) mit den USA gegen die Volksrepublik beteiligt ist (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Außenminister Heiko Maas hat angekündigt, eine “Konnektivitätspartnerschaft” mit New Delhi initiieren zu wollen, “die indische und europäische Digitalwirtschaften noch enger vernetzt”.[3] Besonderen Wert legt die Union allerdings darauf, die Freihandelsgespräche mit Indien wieder in Gang zu bringen. Solche Gespräche hatten beide Seiten bereits im Jahr 2007 gestartet, sie jedoch 2013 ergebnislos beendet. Indien liegt in der Außenwirtschaft der EU deutlich hinter China zurück: 13,8 Prozent des EU-Warenhandels werden mit der Volksrepublik abgewickelt, nur 1,9 Prozent mit Indien.[4]
Bauernproteste in Indien
Die Wiederaufnahme der Freihandelsgespräche wird zu einer Zeit angestrebt, zu der in Indien Massenproteste gegen gesetzliche Neuregelungen stattfinden, die ihrerseits zentralen Forderungen der EU entsprechen. New Delhi hat im vergangenen Jahr Gesetze verabschiedet, die bislang geschützte Märkte für landwirtschaftliche Produkte schnell aufbrechen; so wird unter anderem der Mindestpreis für diverse Agrargüter abgeschafft.[5] Dies trifft zahllose Kleinbauern schwer: Sie sind von den Mindestpreisen existenziell abhängig und fürchten aus gutem Grund, dass in Zukunft große Konzerne die Agrarpreise drücken; das würde viele von ihnen in die Verelendung treiben. Seit Monaten protestieren Bauern dagegen – und sehen sich harter Repression der indischen Behörden ausgesetzt. Dass am 13. Februar die 22-jährige Klimaaktivistin Disha Ravi unter dem Vorwurf des “Hochverrats” festgenommen wurde, weil sie die Bauernproteste unterstützt habe, hat international Aufsehen erregt; Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern seit Monaten ein Ende der brutalen Repression.[6] Beobachter weisen darauf hin, dass Brüssel seit je für ein Freihandelsabkommen eine Deregulierung des indischen Agrarmarkts verlangt, also faktisch New Delhi beim Vorgehen gegen die Bauern den Rücken stärkt.[7]
“Immer wieder Ernüchterung”
Regierungsberater und Wirtschaftsvertreter warnen ihrerseits davor, Indien zur Alternative für das boomende Chinageschäft aufbauen zu wollen. Zum einen kommt New Delhi bei der Entwicklung seiner eigenen Industrie nicht recht voran; wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) feststellt, ist es bislang nicht gelungen, “wie angestrebt den Anteil des verarbeitenden Sektors am Bruttoinlandsprodukt auf 25 Prozent zu steigern, um Indien global wettbewerbsfähig zu machen”. Der Anteil fiel stattdessen zuletzt von 15,1 Prozent (2014) auf 14,8 Prozent (2018).[8] Deutsche Unternehmer klagen darüber hinaus seit je über eine äußerst schwerfällige Bürokratie sowie über schlechte Infrastruktur; beide gelten als Ursachen dafür, dass das deutsche Indiengeschäft trotz starker politischer Unterstützung in den vergangenen beiden Jahrzehnten kaum wuchs. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDI, weist schließlich darauf hin, dass die indische Regierung immer wieder Importzölle erhöht, neue Normen erlässt oder sonstige Maßnahmen trifft, die auswärtige Investoren belasten; so habe sie “vor fünf Jahren die bilateralen Investitionsschutzabkommen mit 50 Ländern gekündigt”, ohne dafür Ersatz zu schaffen. “Die Hoffnung auf den Zukunftsmarkt Indien”, warnt Niedermark, hat sich “immer wieder in Gegenwartsernüchterung verkehrt”.[9]
Ein Tropfen auf den heißen Stein
Während die EU auf Freihandel dringt, wird Indien von der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie in beispiellosem Ausmaß verwüstet. Am gestrigen Dienstag wurden 3.449 Todesopfer und 357.229 Neuinfektionen offiziell registriert; die tatsächliche Zahl liegt jedoch nachweislich deutlich höher – wie Journalisten aus den Diskrepanzen zwischen Meldedaten und Recherchen in Krematorien schließen, mancherorts womöglich sogar um den Faktor zehn. Krankenhäuser beklagen tödlichen Mangel an Sauerstoff; auch die Impfkampagne stockt: nicht zuletzt, weil die Biden-Administration einen Exportstopp für Vorprodukte zur Impfstoffherstellung verhängt hat, zum Schaden indischer Vakzinfabriken. Indien dringt seit vergangenem Jahr darauf, die Patente auf Covid-19-Impfstoffe zumindest zeitweise auszusetzen, um die globale Impfstoffproduktion maximal steigern zu können, scheitert damit aber nicht zuletzt an Berlin und der EU, die um die Profite ihrer Pharmakonzerne fürchten (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Trotz des aktuellen Massensterbens stellt die EU mit betont großmütigem Gestus Indien keine Patente, sondern lediglich Sauerstoffanlagen, Beatmungsgeräte sowie Medikamente in begrenztem Umfang zur Verfügung – für das riesige Land mit seinen 1,35 Milliarden Einwohnern allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Kritik an der Westorientierung
Dabei zeichnen sich in Indien aktuell Kräfteverschiebungen ab, die Auswirkungen auf die Bereitschaft des Landes haben könnten, sich mit dem Westen zu verbünden. Die Orientierung auf einen Pakt mit den Vereinigten Staaten wurde in den vergangenen Jahren maßgeblich durch die hindunationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi vorangetrieben. Modi gerät wegen des kompletten Versagens seiner Regierung im Kampf gegen die Pandemie massiv unter Druck; Rücktrittsforderungen werden laut, und bei den soeben abgeschlossenen Wahlen im wichtigen Bundesstaat West Bengal konnte seine Partei BJP (Bharatiya Janata Parti, Indische Volkspartei) trotz gewaltiger Anstrengungen nicht die vorhergesagte Mehrheit gewinnen – nach einem Wahlkampf, der mit Blick auf Modis antidemokratische Politik von Kritikern als “Schlacht um die indische Demokratie” bezeichnet worden war.[11] Zugleich werden, weil die USA im Kampf gegen die Pandemie zu spät zu Hilfe kamen, mit ihrem Exportstopp die indische Impfstoffproduktion lähmten und wie die EU jegliche Freigabe der Vakzinpatente unterbinden, in den indischen Eliten Stimmen lauter, die darauf dringen, von der jüngsten Annäherung an den Westen wieder zur traditionellen Blockfreiheit überzugehen: Ziel ist demnach, wie Aparna Pande, eine Expertin am Washingtoner Hudson Institute, erläutert, “strategische Autonomie”.[12]
Na ja, da ist bei dem Verfasser ein wenig der Wunsch der Vater des Gedankens, daß Indien zur „Blockfreiheit zurückkehren“ könnte.
Die heutige Weltlage gestattet keine Blockfreiheit, und das wissen Indiens Eliten auch. Entweder man unterwirft sich dem Westen, oder man sucht sein Glück an der Seite Rußlands und Chinas – letzteres dürfte für die indischen Eliten keine Option sein.
Bestenfalls läßt sich eine Schaukelpolitik betreiben, die ist aber nicht mit der seinerzeitigen Blockfreiheit zu verwechseln, die ja auch ein loses Staatenbündnis war.
Man erinnere sich, vor ein paar Jahren waren die BRICS in aller Munde. Inzwischen ist davon nur RC übrig geblieben, die anderen haben dieses Bündnis verlassen.
Gemeinsam gegen China (06.05.2021)
G7-Außenministertreffen in London: neue Schritte gegen China, scharfe Verbalattacken gegen Russland, nichts Konkretes im Kampf gegen die Pandemie.
LONDON (Eigener Bericht) – Mit der Ankündigung neuer Schritte im globalen Einflusskampf gegen China ist am gestrigen Mittwoch das G7-Außenministertreffen in London beendet worden. Die Minister, die zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren wieder persönlich zusammenkamen, stellten unter anderem in Aussicht, ärmeren Ländern Afrikas oder Südosteuropas, mit denen die Volksrepublik kooperiert, neue “Angebote zur Zusammenarbeit” zu machen. Dies zielt darauf ab, den chinesischen Einfluss etwa in Serbien zurückzudrängen. Darüber hinaus wurden als Gäste zu dem Londoner Treffen mit Indien und Australien zwei Rivalen Chinas eingeladen; mit Südkorea und Brunei als Vertreter des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN waren zudem ein Land und eine Ländergruppe zugegen, die die G7 beim Vorgehen gegen Beijing fest an ihre Seite zu binden suchen. Ankündigungen, ärmeren Ländern beim Kampf gegen die Covid-19-Pandemie zu helfen, blieben unkonkret; einer Freigabe der Impfstoffpatente widersetzen sich die G7 weiterhin. Auf ihrem Treffen bezogen die G7 zudem in scharfer Form gegen Russland Position.
“Die Ordnung verteidigen”
Schwerpunkt des gestern zu Ende gegangenen Treffens der G7-Außenminister waren engere Absprachen für ein gemeinsames Vorgehen gegen China. Bereits vorab hatte US-Außenminister Antony Blinken erklärt, es gehe darum, das aktuelle Weltsystem – es ist noch überwiegend von den westlichen Mächte geprägt – “aufrechtzuerhalten”; sollte ein Staat wie etwa China dieses System in Frage stellen – Blinken umschrieb es als “auf internationalen Regeln basierende Ordnung” -, dann “werden wir aufstehen und die Ordnung verteidigen”.[1] Blinkens deutscher Amtskollege Heiko Maas plädierte dafür, zur Verteidigung der “regelbasierten Ordnung” noch umfassender als bisher das Thema “Menschenrechte” zu nutzen: “Fragen der Menschenrechte und der Freiheitsrechte müssen größeren Raum bekommen, wenn es um China geht”. Mit Blick auf die G7 erklärte Maas, man könne “Anliegen wie Menschenrechte oder Pressefreiheit gegenüber einem Land wie China viel stärker machen …, wenn wir das gemeinsam tun”. In der gestrigen Abschlusserklärung der G7-Außenminister heißt es entsprechend, man rufe die Volksrepublik auf, “Menschenrechte und grundlegende Freiheiten zu achten”; dies gelte insbesondere für die Autonomen Regionen Xinjiang und Tibet sowie für die Sonderverwaltungszone Hongkong.[2]
Verbündete gegen China
Um im Machtkampf gegen China Verbündete enger an sich zu binden, fand das Londoner Treffen der G7-Außenminister in erweitertem Format statt. Angereist waren Delegationen aus Indien, Australien und Südkorea; Vertreter dieser drei Staaten sind außerdem zum G7-Gipfel vom 11. bis zum 13. Juni in Cornwall eingeladen. Damit waren in London alle vier Mitglieder des “Quad”-Formats (“Quadrilateral Security Dialogue”) präsent (USA, Japan, Australien, Indien), das sich in der Asien-Pazifik-Region systematisch gegen China in Stellung bringt, gemeinsame militärische Manöver inklusive.[3] Die Überschneidung erleichtert es, die Politik des Quad mit derjenigen der G7 zu verzahnen. Am Treffen der G7-Außenminister nahmen zudem Vertreter Südafrikas sowie Brunei Darussalams teil. Brunei hat derzeit den Vorsitz in dem südostasiatischen Staatenbund ASEAN inne und war in dieser Funktion in die britische Hauptstadt eingeladen worden. An einer engeren Zusammenarbeit mit ASEAN sind die G7 besonders interessiert, weil China in allen Mitgliedstaaten des Bündnisses wirtschaftlich starken Einfluss hat und ASEAN sich nicht zuletzt deshalb nach Kräften weigert, sich im Machtkampf des Westens gegen Beijing auf die Seite der Staaten Europas und Nordamerikas zu schlagen.[4]
“Angebote zur Zusammenarbeit”
Zu den Vorhaben, auf die sich die G7-Außenminister in London einigten, gehört es, in Zukunft stärkere Tätigkeiten als bisher in den ärmeren Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Südosteuropas zu entfalten. In vielen dieser Länder, die jahre-, teils jahrzehntelang vom Westen vernachlässigt wurden, hat China in den vergangenen Jahren spürbar an Einfluss gewonnen. Als Beispiele können diverse Länder Afrikas dienen, in denen die Volksrepublik beispielsweise den Auf- und Ausbau der Infrastruktur unterstützt [5], oder auch Staaten wie Serbien, wo chinesische Konzerne etwa die Bahnstrecke aus Belgrad nach Budapest ausbauen und in die Industrie investieren [6]. “Wir wollen uns viel intensiver damit auseinandersetzen”, sagte Maas, “inwieweit China seine wirtschaftliche Macht nutzt, um seinen geostrategischen Einfluss überall auf der Welt auszudehnen”: “Dem wollen wir etwas entgegensetzen.” So wolle man Ländern, in denen die Volksrepublik zuletzt größeren Einfluss gewonnen habe, “Angebote zur Zusammenarbeit” machen.[7] Was dies konkret bedeuten soll, blieb offen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren diverse Einflussinitiativen etwa in Afrika oder auch in Südosteuropa gestartet (german-foreign-policy.com berichtete [8]), freilich ohne dabei nennenswerte Fortschritte zu erzielen.
Keine Patentfreigabe
Darüber hinaus kündigten die G7-Außenminister an, den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie stärker zu unterstützen. Dazu wollen die G7-Staaten enger mit Impfstoffproduzenten kooperieren. Konkrete Zusagen, wie die globale Vakzinherstellung ausgeweitet werden soll, um vor allem auch ärmeren Staaten die dringend nötigen Impfkampagnen zu ermöglichen, blieben jedoch aus; insbesondere weigerten sich die G7-Minister – darunter Heiko Maas – erneut, die Impfstoffpatente zumindest für die Dauer der Pandemie freizugeben. Schätzungen zufolge werden aktuell nicht einmal 50 Prozent aller weltweit verfügbaren Kapazitäten für die Impfstoffherstellung genutzt, da die Vakzine patentgeschützt bleiben, um einigen wenigen Pharmakonzernen, darunter BioNTech und Pfizer [9], hohe Profite zu ermöglichen. Bis vor kurzem hatte Indien, wo mehrere große Impfstoffhersteller angesiedelt sind, Vakzindosen in großer Zahl an ärmere Länder verkauft – mit dem erklärten Ziel, dort dem ebenfalls Impfstoffe liefernden China das Wasser abzugraben. Dafür hatte es auch die Unterstützung des Quad-Bündnisses erhalten. Da Indien aber nun selbst in der zweiten Welle der Pandemie versinkt, hat New Delhi Impfstoffexporte untersagt; die bislang von Indien belieferten Länder erhalten nun, sofern China und Russland nicht einspringen, keinen Nachschub mehr.
“Negativ, bösartig, heimtückisch”
Nicht zuletzt haben die G7-Außenminister scharf gegen Moskau Position bezogen. Sie seien “zutiefst besorgt”, das “negative Muster von Russlands unverantwortlichem und destabilisierendem Verhalten” könne andauern, heißt es in der Abschlusserklärung; kritisiert werden neben russischen Truppenbewegungen auf russischem Territorium nicht näher präzisierte “bösartige Aktivitäten”, die darauf zielten, “die demokratischen Systeme anderer Länder zu unterminieren”, darüber hinaus “heimtückische Cyberaktivitäten und der Gebrauch von Desinformation”.[10] Die G7 würden ihre “kollektiven Fähigkeiten und diejenigen unserer Partner stärken, um dem russischen Verhalten, das die regelbasierte internationale Ordnung bedroht, entgegenzutreten und es abzuschrecken”. Zudem wenden sich die G7-Außenminister in einer separaten Erklärung explizit gegen “Desinformation”, “Wahleinmischung” und die “Beeinträchtigung grundlegender Freiheiten und Menschenrechte”.[11] Die Erklärung ist erkennbar auf Russland gemünzt und lässt sich als Grundlage für künftige Aggressionen gegen Moskau nutzen.
Die Welt wartet nicht
EU stoppt Investitionsabkommen mit China
Von Jörg Kronauer
Wer einen Warnschuss abgeben will, tut gut daran, nicht auf das eigene Knie zu zielen. Ob die EU-Kommission sich über derlei praktische Nichtigkeiten im klaren ist, ist freilich ungewiss: Stolz hat Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis am Dienstag bekanntgegeben, dass Brüssel die Ratifizierung des Investitionsabkommens zwischen der Union und China vorläufig auf Eis gelegt hat. Der Grund: Beijing hat sich gegen EU-Sanktionen zur Wehr gesetzt, hat Gegensanktionen verhängt, betroffen sind auch zwei EU-Abgeordnete und ein Ausschuss des EU-Parlaments. Das freilich lassen sich die selbstgefühlten Herren der Welt nicht bieten: Wehren sich die Chinesen, sollen sie doch sehen, wo sie bleiben – dann setzt die EU das Investitionsabkommen mit ihnen eben nicht in Kraft. Man selbst lebt ja auch ohne den Vertrag im Überfluss.
Das Problem ist nur: Das Investitionsabkommen nützt der EU wohl mehr als der Volksrepublik. Beijing stellt seine Wirtschaft auf die Strategie der zwei Kreisläufe um: Es will den »inneren Kreislauf«, die Binnenwirtschaft, stärker fördern. Wer in China künftig Gewinne machen will, ist gut beraten, weniger auf den Export dorthin als vielmehr auf Investitionen in dem Land zu setzen. Letzteres empfiehlt sich ohnehin immer mehr, da die chinesische Wirtschaft in puncto Innovation die europäische Konkurrenz teilweise abzuhängen beginnt. Ein Beispiel zeigt Bosch: Der deutsche Konzern treibt die Entwicklung von Brennstoffzellenantrieben in China voran, weil das einschlägige Innovationsumfeld dort günstiger ist und zudem satte Subventionen locken. Das Investitionsabkommen öffnet für derlei Vorhaben neue Türen. Hält man sie geschlossen, dann ergreifen andere die verlockenden Chancen. Auch wenn die EU es noch nicht so recht realisiert – die Welt wartet nicht mehr auf sie. Sie kann auch verlieren.
Nebenbei: Der Ärger mit den Sanktionen geht darauf zurück, dass die EU sich berufen fühlt, die Volksrepublik in Sachen Menschenrechte zu belehren und zu bestrafen. Zu Wochenbeginn wies Human Rights Watch einmal mehr auf die sich verfinsternde Menschenrechtslage in Indien hin, nicht zuletzt darauf, dass die in Neu-Delhi regierenden Hindu-Nationalisten Muslime systematisch diskriminieren. Dazu lag, teilte Human Rights Watch peinlich berührt mit, dem EU-Parlament bereits Anfang 2020 ein Resolutionsentwurf vor, den die Menschenrechts-Oberlehrer aber diskret in ihren Schubladen verschwinden ließen. Warum? Kurz vor dem EU-Indien-Gipfel an diesem Sonnabend fordert das Parlament fast einmütig eine engere Kooperation mit Indien, um das Land zur Investitionsalternative aufzubauen: Es wird, anders als China, auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, die westlichen Weltenherrscher vom Thron zu stoßen. Da legt sich auch das Parlament der Heuchler kein Menschenrechts-Ei ins Nest, das dem Kampf gegen die heranwachsende Supermacht China nur schaden könnte.
Anmaßung und Plattitüden
Antichinesische Front, kolonialer Anspruch und keine Selbstreflexion: Zur Bilanz des G-7-Gipfels in London
Von Jörg Kronauer
Mit erbitterten Verbalattacken auf China und Russland ist das erste persönliche Treffen der G-7-Außenminister seit mehr als zwei Jahren am Mittwoch in London zu Ende gegangen. Es hatte zum einen das Ziel, nach Jahren Trumpscher Alleingänge ein geschlossenes Auftreten des Westens in den zentralen Fragen der internationalen Politik zu demonstrieren und damit den Schulterschluss gegen Moskau und Beijing zu zelebrieren. Zum anderen ging es bei dem Treffen darum, weitere Staaten einzubinden, um den Aufbau einer schlagkräftigen antichinesischen Front voranzutreiben. Neben dem künftigen Vorgehen gegen Beijing und Moskau sprachen die G-7-Außenminister vor allem auch über den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie.
Gegen Russland wurden in der länglichen Abschlusserklärung die üblichen Vorwürfe vorgebracht. So hieß es etwa, Moskau solle aufhören, Truppen zu Manövern nahe seiner Grenze zur Ukraine zusammenzuziehen. Außerdem habe es Cyberangriffe, Desinformation sowie jede Einmischung in Wahlen in fremden Ländern zu beenden. Auch gegen China fanden sich vor allem altbekannte Anschuldigungen. Die Volksrepublik solle »Menschenrechte und grundlegende Freiheiten achten«, hieß es unter ausdrücklichem Bezug auf die Autonomen Gebiete Xinjiang und Tibet und auf die Sonderverwaltungszone Hongkong. »Einseitige Handlungen« im Süd- und im Ostchinesischen Meer sowie in der Taiwanstraße, hieß es zudem, müssten unterbleiben. Mit letzteren war freilich nicht die stetige Anmaßung der westlichen Mächte gemeint, in den genannten Gewässern unilateral als Weltpolizist aufzutreten. Die G-7-Außenminister forderten auch, Taiwan solle in die WHO-Foren aufgenommen werden. Das verstößt gegen die bislang anerkannte Ein-China-Politik.
Was praktische Maßnahmen anbelangt, blieben die Außenminister, relativ unkonkret. So wolle man beispielsweise größere Aktivitäten in Afrika, Lateinamerika und Südosteuropa entfalten, hieß es im Hinblick darauf, dass China mit vielen Staaten dort eng kooperiert und seine Stellung erheblich stärken konnte: Man wolle der Volksrepublik »etwas entgegensetzen« und denjenigen Ländern, in denen Beijing größeren Einfluss habe gewinnen können, neue »Angebote zur Zusammenarbeit« unterbreiten, kündigte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) an.
Nun hat es in den vergangenen Jahren nicht an gönnerhaften Ankündigungen vor allem mit Blick auf Afrika gemangelt, umgesetzt wurde freilich nicht viel. Wenig mehr denn warme Worte gab es auch im Kampf gegen die Pandemie. In der zentralen Frage, wie die Impfstoffproduktion ausgeweitet werden könne, beschränkten sich die G-7-Außenminister auf die Mitteilung, man werde künftig enger mit den Herstellern der Vakzine zusammenarbeiten. Eine wenigstens zeitweise Aussetzung der Impfstoffpatente wurde abgelehnt.
Dass die Vereinigten Staaten unmittelbar nach dem Ende des Londoner Treffens davon abrückten und sich in einer Kehrtwende für eine begrenzte Freigabe der Patente aussprachen, ist ein dringend notwendiger Schritt und – unbeschadet der Frage nach den Motiven – hocherfreulich. Es zeigt aber zugleich, dass der demonstrative Schulterschluss der »G 7« nicht so eng ist, wie er aussehen soll. Das war bereits zuvor in zweifacher Hinsicht deutlich geworden. Zum einen hatte Maas nach einem bilateralen Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Antony Blinken mitgeteilt, man habe im Streit um die Erdgaspipeline Nord Stream 2 die »uns wechselseitig bekannten Positionen noch einmal ausgetauscht«. Von einer Einigung könne aber keine Rede sein. Zum anderen hatte, während Maas in London verhandelte, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin bekräftigt, eine engere transatlantische Kooperation bedeute, was den Umgang mit China betreffe, »nicht automatisch die Übereinstimmung von Interessen«: Zu einer Abkehr etwa von der Wirtschaftskooperation sei die Bundesregierung nicht bereit.
Jenseits der drei großen Themenschwerpunkte befassten sich die G-7-Außenminister mit so gut wie allen Krisen, Konflikten und Kriegen, die gegenwärtig den Globus erschüttern – ein Ausdruck ihres Anspruchs, die alten Kolonialmächte müssten in der Weltpolitik auch in Zukunft den Ton angeben. Sie gaben sich »schwer besorgt« über die Lage in Nordkorea, verurteilten den Putsch in Myanmar »aufs schärfste«, forderten »eine nachhaltige, inklusive politische Lösung« für Afghanistan, begrüßten die oberflächlichen Fortschritte bei der Beendigung des Kriegs in Libyen, verurteilten selbstverständlich auch »das Assad-Regime und seine Unterstützer«, bestätigten ihr Bestreben, Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern, wünschten sich »Stabilität, Souveränität und Pluralismus« für den Irak und verbreiteten allerlei Plattitüden über diverse Staaten und Regionen Afrikas. Eine kurze Selbstreflexion darüber, was die G-7-Staaten zu den teilweise desaströsen Verhältnissen in vielen der erwähnten Länder beigetragen haben, hätte einen größeren Erkenntnisgewinn gebracht.
Hintergrund: Desinformation und Russland
Nicht, dass irgend jemand von den G-7-Außenministern freundliche Worte über Russland erwartet hätte. Die Formulierungen, die sie in die Abschlusserklärung zu ihrem Londoner Treffen gepackt haben, sind dennoch bemerkenswert. Russland legt nach Auffassung der »G 7« ein »negatives Muster unverantwortlichen und destabilisierenden Verhaltens« an den Tag. Es bedrohe, heißt es in der Erklärung, nicht nur »die regelbasierte internationale Ordnung« – eine interessante Äußerung, stellt man in Rechnung, dass sie von Staaten kommt, die mit ihren völkerrechtswidrigen Kriegen gegen Jugoslawien, den Irak und Libyen unermessliche Katastrophen ausgelöst haben. Die »G 7« sind zudem überzeugt, man müsse Russland »bösartige« Aktivitäten ankreiden, die »die demokratischen Systeme anderer Länder untergraben« und außerdem Moskaus »heimtückische« Cybertätigkeit beklagen. Natürlich gehen NSA, MI6 und BND nicht »heimtückisch« vor: Von ihnen weiß man ja, dass sie auch wirklich alles ausspionieren, sogar eng verbündete Regierungen.
Vor allem gegen Russland gerichtet sind die Ankündigungen der G-7-Minister, entschlossen gegen »Desinformation«, gegen »Wahleinmischung« und gegen »Beeinträchtigung von grundlegenden Freiheiten und Menschenrechten« vorzugehen. Dazu haben sie denn auch einige konkrete Schritte in Aussicht gestellt. So soll künftig jährlich ein Bericht über »Bedrohungen unserer Demokratien« vorgelegt werden, um dafür »Bewusstsein zu fördern«. Zudem sollen »analytische Kapazitäten entwickelt und geschärft«, der »Informationsaustausch ausgeweitet« werden. Zur Abwehr angeblicher oder tatsächlicher Einmischung wollen die G-7-Staaten die Zusammenarbeit nicht nur mit der NATO, sondern auch mit der Wirtschaft, der Wissenschaft und der »Zivilgesellschaft« intensivieren. (jk)
Mit dem Investitionsabkommen ist es genauso wie mit North Stream II: Es ist eben widersprüchlich, wenn die EU den “Einfluß” von X oder Y “zurückdrängen”, aber gleichzeitig mit X und Y Geschäfte machen will.
Jetzt gibts kein Investitionsabkommen, aber was heißt das für die EU – muß wieder Produktion ins Heimatland des Kapitals zurückgeholte werden, oder erschwert China den Marktzugang oder andere wichtige Momente des Handels EU-China, läßt also Exporte “einbrechen”?
Vereint gegen China
EU und Indien beschließen »Konnektivitätspartnerschaft«, um Einfluss Beijings einzudämmen
Von Jörg Kronauer
Die EU und Indien wollen im Machtkampf gegen China auch wirtschaftlich enger kooperieren und haben dazu auf ihrem Gipfeltreffen am Sonnabend neben der Wiederaufnahme von Gesprächen über ein Freihandelsabkommen auch eine neue »Konnektivitätspartnerschaft« beschlossen. Ziel ist es, Handel und Investitionen zwischen beiden Seiten zu stärken, um Alternativen zum China-Geschäft zu entwickeln, und chinesische Einflussgewinne im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative (»Neue Seidenstraße«) einzudämmen. »Zwischen der EU und Indien gibt es enge Beziehungen, aber auch viel unausgeschöpftes Potential«, lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Ende des Gipfels, der wegen der dramatischen Eskalation der Pandemie in Indien lediglich online abgehalten werden konnte.
Während die Wiederaufnahme der Freihandelsgespräche, die erstmals 2007 gestartet, 2013 aber ergebnislos abgebrochen worden waren, in der Außendarstellung als großer Erfolg gepriesen wird, herrscht in Wirtschaftskreisen Skepsis. Der Warenhandel der EU mit Indien erreichte 2020 ein Volumen von rund 65 Milliarden Euro – ein Neuntel des Handels mit China (586 Milliarden Euro). Auch die Direktinvestitionen lagen mit einem Volumen von 75,8 Milliarden Euro (2019) erheblich unter denjenigen in China (198,7 Milliarden Euro). Dafür gibt es Gründe: Deutsche Unternehmer klagen seit je über die Rahmenbedingungen in Indien, die nicht wirklich geschäftsförderlich sind – von maroder Infrastruktur über die schlecht funktionierende Bürokratie bis hin zu plötzlichen politischen Kurswechseln, Zollerhöhungen und ähnlichem.
Zwar könnte ein Freihandelsabkommen laut EU-Prognosen alleine der Bundesrepublik ein Wirtschaftswachstum von bis zu 2,2 Milliarden Euro pro Jahr einbringen. Doch dafür muss es erst einmal zustande kommen. Die Vorläufergespräche scheiterten 2013 unter anderem daran, dass Neu-Delhi seinen Agrarsektor nicht umfassend öffnen wollte, während Brüssel bei der Öffnung des EU-Arbeitsmarkts und in der Pharmabranche mauerte: Indien ist insbesondere in der Herstellung von Generika stark, was Konflikte mit europäischen Pharmariesen vorprogrammiert. Dass Berlin schon am Tag der Einigung auf neue Freihandelsgespräche mit einer klaren Absage an eine Aussetzung von Covid-19-Impfstoffpatenten vorpreschte, wie Neu-Delhi sie fordert, macht die Verhandlungen nicht einfacher, die ohnehin dadurch überschattet werden, dass Indien auch unter der Regierung des Hindu-Nationalisten Narendra Modi tendentiell protektionistischen Konzepten zuneigt.
Entsprechend zurückhaltende Reaktionen gab es am Wochenende aus der Wirtschaft: »Indien statt China? Ein schwieriger Hoffnungsträger!« warnte am Samstag etwa die Wirtschaftswoche. Politiker und Bürokraten in Brüssel setzen darauf, dass Modi wegen der erneuten Eskalation der Pandemie gewaltig unter Druck steht und sich den Wünschen ausländischer Investoren womöglich nicht mehr verweigern kann. Allerdings steigt der Druck auch innerhalb Indiens: Die bereits seit Monaten anhaltenden Bauernproteste lassen nicht vermuten, dass die indischen Landwirte sich den Forderungen der EU umstandslos beugen wollen.
Auch die »Konnektivitätsinitiative« besteht zunächst vor allem aus hehren Ankündigungen. Die EU und Indien wollen die Verkehrs-, Energie- und Dateninfrastruktur gemeinsam ausbauen, dies weniger in Indien selbst als vielmehr in dessen südasiatischen Nachbarstaaten, nach Möglichkeit auch in einigen Ländern Afrikas – um China auszubooten. Beispiel Bangladesch: Dort wird zur Zeit eine mehr als sechs Kilometer lange Brücke über den Padma gebaut, einen riesigen Mündungsarm des Ganges. Pläne für das Bauwerk, das langsame Fähren ersetzen und die Entwicklung des Landes fördern soll, reichen bis in die Zeit der Staatsgründung 1971 zurück. Als sich der Westen aus der Finanzierung des Projekts zurückzog und Dhaka damit fallenließ, stieg China ein; kommendes Jahr soll die Padma Bridge eingeweiht werden. Um Beijings Einflussgewinn wettzumachen, der mit der Hilfe beim Bau der Brücke verbunden ist, will Neu-Delhi jetzt Eisenbahnvorhaben fördern. Das wären womöglich Gelegenheiten für die neue Kooperation zwischen Indien und der EU.
In fremden Gewässern
Strategische Sicherung der Handelsrouten: BRD schickt Kriegsschiff ins Südchinesische Meer. Luftwaffe soll folgen
Von Jörg Kronauer
Wird die Sicherheit der BRD in Zukunft nicht mehr am Hindukusch, dafür aber im Südchinesischen Meer verteidigt? Den Eindruck konnte gewinnen, wer die Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zu Wochenbeginn auf der »12. Nationalen Maritimen Konferenz« zur Kenntnis nahm. Als Exportnation, die ihre Ausfuhren zu einem Drittel über das Meer abwickelt, habe die Bundesrepublik ein tief verankertes Interesse an »sicheren und freien Seewegen«, erklärte die deutsche Verteidigungsministerin. Die »freie Schiffahrt« jedoch werde immer wieder bedroht. Sie müsse deshalb geschützt werden – in der Ostsee, im Nordatlantik, im Schwarzen Meer und sogar, das fügte Kramp-Karrenbauer hinzu, »in Fernost«. Ist es nicht so, dass der überwiegende Teil des deutschen China-Handels das Südchinesische Meer durchquert? Muss Berlin dort also nicht ein »Zeichen für freie Handelswege« setzen? Eben. Also wird im August die Fregatte »Bayern« schnurstracks nach Ostasien entsandt, bestätigte die Ministerin.
»Hafenbesuch« im Pazifik
Die gewaltigen Meere Asiens, der Indische und der Pazifische Ozean, rücken in wachsendem Maß ins Visier deutscher Marinestrategen. Hatten sie seit 2014 bei ihren Planungen zunächst besonders den Machtkampf gegen Russland im Blick, so nehmen sie sich jetzt auch eine Beteiligung am Machtkampf gegen China vor. Die Bundesregierung werde ihre außen- und militärpolitischen Aktivitäten »im indopazifischen Raum in der gesamten Bandbreite« ausweiten, »einschließlich des maritimen Bereichs«, heißt es in den »Leitlinien zum Indopazifik«, die die Regierung Anfang September 2020 verabschiedet hat: Dort gebe es »eine Reihe regionaler sicherheitspolitischer Risiken und Bedrohungen«, darunter »ungelöste Territorialfragen« – gemeint sind die Konflikte um die zahllosen Inseln, Riffe und Atolle im Südchinesischen Meer –, vor allem aber auch sich verschärfende »Gegensätze zwischen China und den USA«. All dies mache eine deutsche Präsenz erforderlich. Geplant seien etwa »Hafenbesuche« der deutschen Marine im Indopazifik »und die Teilnahme an Übungen sowie weitere Formen maritimer Präsenz im indopazifischen Raum«.
Die bevorstehende sechsmonatige Ostasienfahrt der Fregatte »Bayern«, die Kramp-Karrenbauer auf der Nationalen Maritimen Konferenz nun erneut bestätigte, setzt die Ankündigungen erstmals um – und sie entfacht schon jetzt Debatten. Das Kriegsschiff wird laut aktuellem Planungsstand nach einer Beteiligung an der NATO-Operation »Sea Guardian« im Mittelmeer und an der EU-Operation »Atalanta« am Horn von Afrika durch den Indischen Ozean nach Australien, anschließend weiter bis Japan fahren. Dort sind gemeinsame Übungen sowie eine Beteiligung an der Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea geplant. Anschließend soll die Fregatte das Südchinesische Meer durchqueren: ein Symbol, dass die BRD in den zunehmenden Streitigkeiten zwischen den USA und China fest an der Seite seines transatlantischen Verbündeten steht. Anfang Mai monierte nun der Londoner Thinktank Chatham House, Berlin gehe dabei nicht konfrontativ genug vor. Wusste man schon, dass die »Bayern« nicht in die Zwölf-Meilen-Zone um von China beanspruchte Inseln eindringen soll – US-Kriegsschiffe tun dies regelmäßig –, so teilte Chatham House jetzt mit, sie werde vor der Fahrt durch das Südchinesische Meer einen Hafenaufenthalt in Shanghai einlegen – eine Geste, die Beijing versöhnlich stimmen soll, sehr zum Ärger so mancher Strategen.
»Einsatzverband« geplant
Sorgen ganz anderer Art macht sich wiederum die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Berliner Denkfabrik konstatierte kürzlich, die deutsche Marine sei durch »ihre aktuellen Aufträge«, also die Beteiligung an den Operationen von NATO und EU im Mittelmeer sowie am Horn von Afrika und an den ständigen Einsatzverbänden der NATO, bereits derart gefordert, »dass sie neue nur übernehmen kann, wenn die bestehenden reduziert werden« – andernfalls drohe Überdehnung. Als Ausweg schlug die SWP die »Einrichtung eines ständigen maritimen Einsatzverbandes für den indopazifischen Raum« gemeinsam mit verbündeten Staaten vor: So könne »die potentielle Überdehnung nationaler militärischer Ressourcen minimiert werden«. Die »operative Führung und Planungsarbeit dieses Einsatzverbandes« könne zudem »in einem neuen, ortsfesten und regional ansässigen Hauptquartier erfolgen«. Dazu könne man womöglich mit Indien, Indonesien oder Singapur enger kooperieren.
Was auch immer aus dem Vorschlag wird: Die SWP berichtete darüber hinaus, zusätzlich zur deutschen Marine werde künftig »auch die Luftwaffe im indopazifischen Raum Flagge zeigen«. Sie solle bereits im kommenden Jahr daran gehen, »Tank- und Kampfflugzeuge im Rahmen von Langstreckenverlegungen nach Australien zu entsenden«. Dies diene »nicht allein dem Training der Langstreckenverlegung«. Vielmehr sei es »zu verstehen als Zeichen der Präsenz in der Region, der Abschreckung gegenüber Störern der stabilen Ordnung im Indopazifik und schließlich der Bereitschaft, schlagkräftige Mittel der Luftwaffe einzusetzen«. Der Aufmarsch der Bundeswehr am Pazifik gewinnt an Fahrt.
Kampf um Meerengen
Die Kontrolle von Wasserstraßen dient der antichinesischen Politik des Westens
Von Jörg Kronauer
Kein Indopazifik ohne den Suezkanal: Diese Schlussfolgerung zog nach der Havarie des Containerschiffs »Ever Given« in dem Wasserweg zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer Mohammed Soliman, ein Experte am Washingtoner Thinktank Middle East Institute (MEI). Die »Ever Given« hatte den Suezkanal Ende März fast eine Woche lang blockiert und damit gewaltige wirtschaftliche Schäden verursacht. Zwölf Prozent des Welthandels, zehn Prozent der globalen Erdöl- und acht Prozent der globalen Flüssiggastransporte werden normalerweise durch den Kanal transportiert. Experten beziffern den Wert der Waren, die täglich die Großstadt Suez an seinem südlichen Ende passieren, auf durchschnittlich 9,6 Milliarden US-Dollar (7,9 Milliarden Euro). Stecken sie fest, hat das gravierende Folgen: Sensible Lieferketten funktionieren nicht mehr; in den Zielhäfen treffen keine Container ein, die nach ihrer Leerung neu beladen werden könnten. Die Schäden sind groß.
Die Havarie der »Ever Given« hat ein grelles Schlaglicht auf die Bedeutung geworfen, die Kanäle und Meeresengen, sogenannte Chokepoints (Engpässe), für den Welthandel besitzen. Ob es sich um die Straße von Hormus zwischen dem Persischen Golf und dem Indischen Ozean, die Straße von Malakka zwischen dem Indischen Ozean und dem Südchinesischen Meer oder den Panamakanal zwischen dem Atlantik und dem Pazifik handelt: Der globale Warentransport kommt an ihnen praktisch nicht vorbei. Was, wenn – das gab Mitte April Andrey Kortunov, Direktor der Denkfabrik Russian International Affairs Council (RIAC), zu bedenken – Terroristen einen oder vielleicht sogar mehrere dieser Chokepoints mit koordinierten Anschlägen lahmlegten? Es wäre ein verheerender Schlag für die Weltwirtschaft, stellte Kortunov illusionslos fest. Strategen diskutieren seitdem verstärkt, wie mit der krassen Störungsanfälligkeit der so wichtigen Chokepoints umzugehen ist. Denn schließlich können nicht nur Terroristen, sondern auch Staaten sie problemlos lahmlegen.
Hinzu kommt etwas, das speziell den Suezkanal angeht: Er ist, daran hat MEI-Experte Soliman erinnert, »ein geostrategischer Eckpfeiler für die US-Militärstrategie im Mittelmeer, im Roten Meer und im Persischen Golf«. Schließlich ermöglicht er es US-Kriegsschiffen, schnellstmöglich aus dem Mittelmeer in eins der anderen nah- und mittelöstlichen Gewässer zu wechseln. Die US Navy hat bei der Passage sogar Priorität. Und nicht nur das: Mit der wachsenden Bedeutung des »Indopazifik« in der westlichen Militärstrategie wird auch der Suezkanal noch wichtiger, als er es schon ist: Schließlich sind europäische Kriegsschiffe, brechen sie in Richtung Asien auf, schlicht auf ihn angewiesen, um die zeitraubende Umrundung Afrikas zu vermeiden. Verlöre der Westen die Kontrolle über Suez, dann würde dies letzten Endes seine Position »in der Großmächtekonkurrenz mit China und Russland untergraben«, konstatierte Soliman: »Die Einbindung des Kanals in die Indopazifikstrategien der westlichen Mächte« sei deshalb fraglos »eine Notwendigkeit«.
Soliman hatte Anlass, dies zu betonen. Die ägyptischen Generale haben nach ihrem Putsch im Juli 2013 einen Kurswechsel vollzogen. Während sich ihr Verhältnis zu den USA erkennbar eingetrübt hat, bauen sie ihre Beziehungen zu Russland und China aus. Russland war von 2015 bis 2019 Ägyptens zweitgrößter Rüstungslieferant – nach Frankreich, vor den USA –, während China große Wirtschaftsprojekte in Ägypten unterstützt. Eines davon ist die Suez Economic and Trade Cooperation Zone (SETC), die als ein wichtiges Projekt der Neuen Seidenstraße gefördert worden ist. Soliman plädiert dafür, die westlichen Mächte sollten ihre Kooperation mit den Generalen in Kairo umgehend wieder intensivieren, »Ägypten umwerben und es in ihre Vision des Indopazifik integrieren«. Andernfalls drohten auf lange Sicht ernste strategische Probleme.
Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (III) (17.05.2021)
FDP fordert für die Ostasienfahrt der Fregatte Bayern provokative Aktionen. Berichten zufolge stehen Kampfjetverlegungen nach Australien bevor.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – In Berlin werden Forderungen nach militärischen Provokationen bei der bevorstehenden Ostasienfahrt der Fregatte Bayern und nach dem Aufbau eines “ständigen maritimen Einsatzverbandes für den indopazifischen Raum” laut. Es könne nicht angehen, dass sich das Kriegsschiff bei der geplanten Durchquerung des Südchinesischen Meeres “brav auf internationalen Handelsrouten” bewege, heißt es bei der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP); die Fregatte solle zumindest in die Zwölf-Meilen-Zone um von China beanspruchte Inseln eindringen oder die Taiwanstraße passieren. Beides würde die Spannungen mit Beijing deutlich erhöhen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnt zudem vor einer “Überdehnung” der deutschen Marine und schlägt die Gründung eines Indo-Pazifik-Einsatzverbandes vor – mit Frankreich, Großbritannien und Staaten der Asien-Pazifik-Region. Wie die SWP berichtet, sind darüber hinaus ab 2022 “Langstreckenverlegungen” deutscher Kampfjets nach Australien geplant, um die “Bereitschaft” zu demonstrieren, “schlagkräftige Mittel der Luftwaffe einzusetzen”.
Die Überdehnung der deutschen Marine
Die bevorstehende Entsendung der Fregatte Bayern in die Asien-Pazifik-Region ist die erste seit rund 16 Jahren. Im Jahr 2002 hatte die deutsche Marine die Fregatten Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz auf eine mehrmonatige Übungsfahrt nach Asien geschickt; die beiden Kriegsschiffe trafen damals nicht nur in Indien, Südkorea, Japan und den Philippinen ein, sondern auch in der chinesischen Hafenstadt Qingdao, ehedem Hauptstadt des “Deutschen Schutzgebiets Kiautschou”. Anfang 2005 steuerte der Einsatzversorger Berlin Indonesien an, um nach dem verheerenden Tsunami vom 26. Dezember 2004 Unterstützung zu leisten. Seitdem wurden zwar, wie es in einer aktuellen Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Berlin heißt, wiederholt “Anläufe” unternommen, um erneut in Ostasien Präsenz zu zeigen; das scheiterte aber: “Ihre aktuellen Aufträge”, heißt es mit Blick auf die deutsche Beteiligung an den Seeoperationen von NATO und EU, “fordern die Marine bereits derart, dass sie neue nur übernehmen kann, wenn die bestehenden reduziert werden”.[1] Schließlich verfügten die Seestreitkräfte nur “über eine begrenzte Zahl von Einheiten”, die aufgrund ihrer “Einsatzreichweite”, ihrer “Durchhaltefähigkeit auf Hoher See” und ihrer logistischen “Unabhängigkeit” für eine Entsendung geeignet seien.
Die Fregatte Bayern auf Asien-Pazifik-Fahrt
Trotz einer drohenden “Überdehnung” [2] der Marine ist Berlin bestrebt, den jüngsten Anlauf in diesem Jahr zum Erfolg zu führen, nachdem eine bereits für 2020 geplante Asienfahrt der Fregatte Hamburg [3] pandemiebedingt hatte abgesagt werden müssen. Die Fregatte Bayern, die längst tief in den Vorbereitungen steckt, soll im August mit rund 200 Soldaten aufbrechen; sie wird gut ein halbes Jahr unterwegs sein. Wie es heißt, sind im Indischen sowie im Pazifischen Ozean “etwa ein Dutzend Hafenbesuche geplant” – in Indien, Australien, Japan und Südkorea sowie in vier Staaten des südostasiatischen Bündnisses ASEAN (Singapur, Indonesien, Vietnam, Kambodscha).[4] Darüber hinaus wird ein Hafenbesuch der Fregatte in Shanghai angekündigt – als eine Geste der Kooperationsbereitschaft mit der Volksrepublik. Anschließend soll das deutsche Kriegsschiff das Südchinesische Meer durchqueren, auf dem Weg dorthin allerdings nicht die Taiwanstraße passieren. Im Südchinesischen Meer wiederum wird die Fregatte das provozierende Eindringen in die Zwölfmeilenzone rings um von Beijing beanspruchte Inseln vermeiden, bevor sie durch den Indischen Ozean, den Suezkanal und das Mittelmeer in ihren deutschen Heimathafen zurückkehrt.
Mit dem Grundgesetz kaum vereinbar
Die Entscheidung, auf die Durchfahrt durch die Taiwanstraße und durch die Zwölfmeilenzone um von China beanspruchte Inseln zu verzichten, wird nun von der FDP und von ihrer Parteistiftung (Friedrich-Naumann-Stiftung, FNSt) scharf kritisiert. US-Kriegsschiffe kreuzen regelmäßig in Zwölfmeilenzonen im Südchinesischen Meer, um Beijings Ansprüche aggressiv herauszufordern; offiziell heißt es dazu, man setze sich für die “freie Seefahrt” (Freedom of Navigation Operations, FONOPS) ein. Wie die Naumann-Stiftung berichtet, hatte Washington in Berlin bereits im Jahr 2019 ausdrücklich deutsche FONOPS im Südchinesischen Meer eingefordert; dazu ist die Bundesregierung aber offenkundig nicht bereit. Die Naumann-Stiftung wirft Berlin deshalb einen “Schmusekurs” gegenüber Beijing vor – verärgert, dass sich das deutsche Kriegsschiff lediglich “brav auf internationalen Handelsrouten bewegen” soll.[5] “Das reicht nicht aus”, wird Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, zitiert. Freilich sei “fraglich”, heißt es bei der FNSt, ob es “mit dem Grundgesetz vereinbar” sei, “auf der anderen Seite der Erde durch umstrittene Seegebiete zu fahren”. Empfehlenswert sei deshalb für künftige Asienfahrten ein offizielles Einsatzmandat des Bundestags.
Ein ständiger Indo-Pazifik-Einsatzverband
Die SWP schlägt darüber hinaus – auch mit Blick auf die drohende “Überdehnung” der deutschen Marine – eine Kooperation mit anderen europäischen Mächten oder mit Ländern der Region vor. So bestehe eine Option darin, sich mit Frankreich und Großbritannien abzustimmen, die beide über Militärstützpunkte in der Asien-Pazifik-Region verfügten – so etwa auf Neukaledonien (Frankreich) oder auf den Pitcairn-Inseln (Vereinigtes Königreich). Auch Kooperationen mit den asiatisch-pazifischen Ländern des Quad-Pakts (Japan, Australien, Indien) oder des ASEAN-Bündnisses seien denkbar. “Vorstellbar wäre die Einrichtung eines ständigen maritimen Einsatzverbandes für den indopazifischen Raum”, heißt es bei der SWP: Dessen Einheiten könnten “zum Lagebildaufbau beitragen” und “Aufgaben längs ihrer Route übernehmen”, aber auch Ausbildungsmaßnahmen oder “gemeinsame Manöver” durchführen.[6] “Die operative Führung und Planungsarbeit” lasse sich “in einem neuen, ortsfesten und regional ansässigen Hauptquartier” organisieren – gegebenenfalls mit den Quad-Staaten als “notwendige[m] militärische[m] Kern”. Weiter urteilt die SWP, “als regionale Heimat der Stabsstruktur” ließen sich möglicherweise auch Singapur oder Indonesien einbinden.
“Zum Luftwaffeneinsatz bereit”
Nicht zuletzt berichtet die SWP, dass sich die Berliner Pläne für eine militärische Präsenz in der Asien-Pazifik-Region nicht auf die Seestreitkräfte beschränken. “Analog zur Marine”, teilt der deutsche Think-Tank mit, “soll auch die Luftwaffe im indopazifischen Raum Flagge zeigen”.[7] Diese werde schon kommendes Jahr beginnen, “Tank- und Kampfflugzeuge im Rahmen von Langstreckenverlegungen nach Australien zu entsenden”. Dies diene “nicht allein dem Training” derartiger Verlegemaßnahmen, sondern sei auch “zu verstehen als Zeichen der Präsenz in der Region, der Abschreckung gegenüber Störern der stabilen Ordnung im Indo-Pazifik” sowie “der Bereitschaft, schlagkräftige Mittel der Luftwaffe einzusetzen”. Als “Störer” der internationalen “Ordnung” gelten dabei nicht die westlichen Mächte, die mit ihrer Kanonenbootpolitik in den Gewässern rings um China in zunehmendem Maße gezielte Provokationen durchführen, sondern vielmehr die Volksrepublik.
“Fregatten sind nach heutigem Verständnis die kleinsten Kriegsschiffe, die noch selbstständige Operationen durchführen können. Vor allem dienen Fregatten dazu, mit ihrer oft spezialisierten Kampfkraft anderen Kriegsschiffen ergänzend beizustehen.” (Wikipedia, Fregatte)
Mit so einem 200-Mann-Schinakl will Deutschland China provozieren und dann noch einen chinesischen Hafen anlaufen?!
Ich bieg mich vor Lachen. 😀
Eine Fregatte ist in der Tat nur eine symbolische Drohung. Aber der nigelnagelneue Flugzeugträger, den jetzt GB auch dahin schickt, ist schon eine andere Hausnummer. Natürlich immer noch kläglich im Vergleich zu den USA, die bekanntlich gleich mehrere davon haben.
Die diversen aktuellen Feindschaftserklärungen des Westens gegenüber China werden bei Heise/TP von Renate Dillmann erläutert: “Der Feind in Asien”
https://www.heise.de/tp/features/Der-Feind-in-Asien-6052304.html?seite=all
Vgl. auch Informationen zur Neufassung ihres China-Buches bei Neoprene/Walgesang
http://Neoprene.blogsport.de/2021/05/19/neuauflage-des-china-buches-von-renate-dillmann/#comment-130284
@Neoprene
Aber der nigelnagelneue Flugzeugträger GBs gehört nicht mehr zur EU!
Brexit, Brexit!
Also bleiben die Fregatten ziemlich symbolisch im Unterschied zu dem Kriegsgerät, was andere NATO-Partner dort auffahren lassen.
“Also bleiben die Fregatten ziemlich symbolisch”
Genau das wollte ich ja mit meinem Hinweis auf den Flugzeugträger zum Ausdruck bringen. Diese Fregatte, wie all die anderen mehr oder weniger symbolischen Geschichten der letzten Jahre in dieser Gegend, die die deutsche Regirerung durch Maas und Kramp-Karrenbauer da losgetreten haben oder denen sie beigetreten sind, zeigen sowohl das unerschütterliche Vorhaben China in seine (also unsere Schranken) zu verweisen, lange bevor die BRD oder selbst die europäischen NATO-Staaten überhaupt die militärischen Mittel haben (geschweige den den gemeinsamen politischen Willen), sich ernsthaft mit der VR China anzulegen. Und wie man an der Entwicklung der Queen-Elizabeth-Klasse sehen kann, dauert es schon mal 25 Jahre, um da tatsächlich auftrumpfen zu können. (Wobei es ja mittlerweile unter den Miltärs ernsthaften Streit gibt, ob Flugzeugträger wirklich noch das Mittel der Wahl sind, um andere Staaten erfolgreich militärisch anzugehen.)
Dieser unerschütterliche Willen, China zu beschränken, wird aber bei der gut gerüsteten chinesischen Führung eher ein Lächeln hervorrufen. So auf die Art, sind sie nicht herzig, die Kleinen?
Man fragt sich daher, wer eigentlich der Adressat dieser kleinformatigen feindseligen Gesten ist?
Die NATO-Partner, bei denen man sich mit solcher Symbolik vor substantiellerer Beteiligung drücken will?
Die eigene Bevölkerung, die auf die Konfrontation eingeschworen werden soll?
Die EU-Mitglieder, vor denen man sich mit den paar Schinakln als Führernation profilieren will?
Die Einschätzung als nur symbolisch halte ich nicht für ganz richtig bzw. erklärungsbedürftig.
Sinnvoll ist das ganze natürlich nur, wenn man die Nato als Hintergrundmacht mitdenkt. Alleine wäre so ein Kriegsschiff ohne Stützpunkt in der Hemisphäre natürlich ein Akt von Größenwahn. Deshalb sollte man diesen Vergleich auch streichen.
Wenn die deutsche Marine sich in der Nähe von China blicken lässt, ist das doch die Auskunft, dass Deutschland als Führungsmacht Europas fest an der Seite der Nato steht und zwar nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Das Heißt Deutschland stellt sich an die Seite der USA. Das ist erstens ein Signal der Loyalität gegenüber den USA und andererseits ein Bescheid an China, dass Deutschland sich als Teil der Nato sieht und von China auch so gesehen werden soll.
“Man fragt sich daher, wer eigentlich der Adressat dieser kleinformatigen feindseligen Gesten ist?” Gute Frage.
“Die NATO-Partner, bei denen man sich mit solcher Symbolik vor substantiellerer Beteiligung drücken will?” Drücken ist vielleicht etwas zu viel. Den USA gefallen wollen sie aber schon und sie wollen zeigen, dass sie mit den Zielen der USA übereinstimmen und so vielleicht ein gutes Klima zu schaffen, wenn es um deutsche finanzielle Beteiligung geht. Man darf nicht vergessen. Deutschland will ja mehr Verantwortung und sie sind auch bereit höhere Lasten zu tragen, aber nicht ausschließlich als Zahlmeister, sondern es soll sich auch in einer Vergrößerung deutscher bzw. europäischer Macht niederschlagen.
“Die eigene Bevölkerung, die auf die Konfrontation eingeschworen werden soll?” Als Nebeneffekt vielleicht. Als Haupteffekt ist es einfach zu teuer.
“Die EU-Mitglieder, vor denen man sich mit den paar Schinakln als Führernation profilieren will?” Na klar. Immer. Bloß wen beeindruckt das? Frankreich wohl nicht und GB ist draußen.
“Wenn die deutsche Marine sich in der Nähe von China blicken lässt, ist das doch die Auskunft, dass Deutschland als Führungsmacht Europas fest an der Seite der Nato steht und zwar nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Das heißt Deutschland stellt sich an die Seite der USA.”
Ja und Nein. Bzw. nicht alle deutschen Außenpolitiker gleichermaßen. Denn die BRD hat schließlich das Problem, daß China demnächst der wichtigste Handelspartner sein wird, noch vor den USA. Da wollen nicht alle, vor allem nicht jetzt schon ein massives Aufdrehen der Feindseligkeiten. Das wird von den uverbrüchlichen US-Fans scharf kritisiert, weil es für die weltpolitisch halt immer noch schwache BRD nur als “verläßlicher Partner” an der Seite der USA weitergehen kann.
Es ist also immer ein Gemisch aus eigenützig ernstgemeinter China-Feindseligkeit, nicht mehr ganz so ernstgemeinter unverbrüchlicher Treue zur USA, wo man hofft, wenigstens bei den anderen NATO-Staaten mehr Einvernehmlichkeit hinzukriegen (wie denn?? Mit Johnsons GB, die ganz offensichtlich noch unverbrüchlichere US-Freunde sein wollen oder mit Frankreich, das fast in jeder Außenpolitik-Frage ganz eigene ehrgeizige nationale Ziele hat?)
Daß solche Aktionen in erster Linie als Bekräftigung der eh schon laufenden Anti-China-Propaganda dienen sollen, halte ich auch für nebensächlich. Sowas geht nun wirklich auch ohne solch blöde Fregatteneinsätze.
Beeindrucken kann die deutsche Linie also entweder die USA, dann braucht es aber erheblich mehr militärischen Aufwand, oder eben niemand. Die VR China ganz offensichtlich schon mal nicht.
“Denn die BRD hat schließlich das Problem, daß China demnächst der wichtigste Handelspartner sein wird, noch vor den USA.”
Und aus Russland fließt Gas, aber trotzdem ist Russland der Feind. Es ist der BRD doch regelmäßig ziemlich egal, mit wem sie handelt, wenn es um die Definition des Feindes geht. Die Feindschaft lässt sie sich durch Handel und Wandel nicht ausreden.
“Da wollen nicht alle, vor allem nicht jetzt schon ein massives Aufdrehen der Feindseligkeiten.” Es sind ja auch nicht alle, sondern diejenigen, die die Schiffe dorthin schicken und ein Schiff in der Zwölfmeilenzone ist auch nicht massives Aufdrehen der Feindseligkeiten.
“Beeindrucken kann die deutsche Linie also entweder die USA, dann braucht es aber erheblich mehr militärischen Aufwand, oder eben niemand.” Kann doch sein, dass das nur ein Anfang oder ein Teil der Beeindruckungsaktion war.
“Die VR China ganz offensichtlich schon mal nicht.” Natürlich schlottert China nicht vor Angst, aber dass die BRD Position bezieht und zum Lager der Nato und des Westens gezählt werden will, das kommt dort schon an. Bei Bündnissen ist es ja so, dass ein Staat der die Seiten wechselt nicht nur das ehemalige Bündnis schwächt, sondern gleichzeitig das Lager in das er wechselt stärker macht. Also wirkt es sich doppelt auf das Kräfteverhältnis aus. Nicht dass die BRD das Lager wechseln will. Aber sie sagt eben, dass das auch nicht passieren wird.
Kehrer, du tust so, als ob Feindschaftserklärungen sozusagen immer rausposaunt werden, weil alle anderen Staaten schließlich auch Konkurrenten sind, die man nur als Feinde behandeln kann. Nein, so sehen das Imperialisten offensichtlich nicht, mit manchen Konkurrenten gehen sie unverbrüchliche Bündnisse ein (bis es doch kracht), andere sind zu unwichtig, als daß sie ein größeres Faß aufmachen und einige sind die schlimmen Finger, die man am liebsten fertig machen möchte und es ja ab und an auch tut, wenn der Staat das tatsächlich kann.
Und, ja, es stimmt, daß Handel und Wandel Feindschaft nicht ausschließen sondern deren handfeste Basis sind. Aber offensichtlich geht die BRD mit GB anders um als mit der VR China. Welche imperialistischen Kalküle da einfließen, weiß ich natürlich nicht, ich bin ja kein Joscha Schmierer.
“ein Schiff in der Zwölfmeilenzone ist auch nicht massives Aufdrehen der Feindseligkeiten”. Massiv sicherlich noch nicht, aber ein merkliches Steigern der Feindseligkeiten. Und wenn die chinesische Marine solchen Grenzbrechern entgegen treten sollte, würde es eben doch “massiver” werden. Diese Fregatten-Fahrt ist eben militärisch gesehen nicht nur rein symbolisch, bzw. eben nur so lange, wie China nicht militärisch reagiert.
Im Augenblick ist natürlich, von uns schon gar nicht, abzusehen, welche Entwicklung die “Beeindruckungsaktionen” gegenüber der VR China nehmen werden, wie werden die NATO-Staaten weiter machen und wie wird die VR China darauf reagieren?
Die VR China ist mit Sicherheit nicht so blauäugig, daß sie jetzt überrascht wäre, daß die BRD vermehrt betont, daß sie zur NATO und zum Westen gehört. Ja wohin denn sonst? Wenn die BRD tatsächlich das Lager wechseln wollte, wäre das so gut wie ein Grund, daß ihr die USA die Freundschaft kündigen und den Krieg erklären wie schon gegenüber der VR China. Dazu müßten die noch nicht mal gleich zu schießen anfangen.
So habe ich das mit der Symbolik auch gemeint.
Die 2 Schifferln drücken den Willen Deutschlands aus, mit den USA gegen China Stellung zu beziehen.
Die USA verlangen derzeit offenbar nicht mehr als solche Gesten.
“Kehrer, du tust so, als ob Feindschaftserklärungen sozusagen immer rausposaunt werden, weil alle anderen Staaten schließlich auch Konkurrenten sind,” Wo tue ich so? Meine Absicht war das nicht.
“Aber offensichtlich geht die BRD mit GB anders um als mit der VR China.” Da gibt es Gründe. GB ist z.B. in der Nato und hat den gleichen Feind. Andererseits sind beim Impfen z.B. handfeste Gegensätze zutage getreten.
“Diese Fregatten-Fahrt ist eben militärisch gesehen nicht nur rein symbolisch, bzw. eben nur so lange, wie China nicht militärisch reagiert.” Ja, das sehe ich auch so.
“Im Augenblick ist natürlich, von uns schon gar nicht, abzusehen, welche Entwicklung die „Beeindruckungsaktionen“ gegenüber der VR China nehmen werden,” Als möglichen Anfang einer Beeindruckungsaktion war das gegenüber den USA gedacht, wie ich oben schrieb. Für China ist das bloß die Auskunft, dass die BRD und Europa klar dem Westen zuzuordnen ist.
“Ja wohin denn sonst?” Trump hat die Nato ja zumindest in Frage gestellt, und als Reaktion darauf gab es Überlegungen zu mehr europäischer Selbstständigkeit in Gewaltfragen zu kommen. Zudem versucht China Einfluss in Europa zu nehmen z.B. im Balkan, in Griechenland, mit dem Seidenstraßenprojekt.
Es ist eine Klarstellung die Nestor gut formuliert hat: “Die 2 Schifferln drücken den Willen Deutschlands aus, mit den USA gegen China Stellung zu beziehen.”
Ja, “Trump hat die Nato ja zumindest in Frage gestellt, und als Reaktion darauf gab es Überlegungen zu mehr europäischer Selbstständigkeit in Gewaltfragen zu kommen.”
Aber bekanntlich wurde da auf beiden Seiten nichts draus. Insbesondere der Traum deutscher oder französischer Unabhängigkeitskämpfer der USA/NATO, was ins Gewicht fallendes Eigenes an Militärmacht entgegenzusetzen, ist bekanntlich Traum geblieben. Es kracht bei allen Projekten, die gemeinsame europäische (oder wenigstens französisch-deutsche Aufrüstung erfolgreich hochzuziehen. Ob aus dem zentralen Projekt des FCAS, dem neuen europäischen Kampfflugzeug, noch was wird, kann z.B. stark bezweifelt werden.
Was die USA seit Jahren an Deutschland ärgert, ist doch gerade, daß die BRD zwar treppauf treppab ihren “Willen” bekundet, mit den USA gegen China Stellung zu beziehen, dann aber nicht Substantielles kommt.
Bei dieser Gelegenheit erinnere ich an dieses gescheiterte Projekt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Westeurop%C3%A4ische_Union
“Insbesondere der Traum deutscher oder französischer Unabhängigkeitskämpfer der USA/NATO, was ins Gewicht fallendes Eigenes an Militärmacht entgegenzusetzen, ist bekanntlich Traum geblieben.” Aber wieso ist die Frage? Nicht nur, weil die Frage der Führung ungeklärt ist, sondern auch weil noch die Hoffnung (bevorzugt bei den Transatlantikern) bestand, dass es nach Trump wieder eine gemeinsame oder gemeinsamere Bündnispolitik geben wird. Die ist nämlich nicht nur billiger, sondern wegen des amerikanischen Beitrags auch schlagkräftiger. Ich brauche ja nicht zu erklären, dass die amerikanischen Militärausgaben gigantisch sind. Nicht dass ein gemeinsamer europäischer Militärhaushalt ohne die USA ebenfalls einiges auf die Beine stellen könnte, das auch China Respekt abnötigen würde. Aber die Nato hat dann doch eine ganz andere Wucht.
“dann aber nicht Substantielles kommt.” Was ist denn substantiell? Es geht doch nur um Geld. Und es ist ja nicht so, dass Deutschland sich raushält und kein Geld überweist. “Substantiell” ist also die us-amerikanische Sicht.
@Kehrer
Also gerade beim Militär geht es nicht nur um Geld, sondern um das Eingemachte der Souveränität.
Das Problem bei der EU war die längste Zeit das, daß man nicht wußte, wer der Feind ist.
Dieses Problem hat sich inzwischen gelöst und mit dem Aufmarsch gegen Rußland wird die sehr brüchige Einigkeit irgendwie aufrechterhalten.
Wie der Hund aufs Chappy stürzen sich die EU-Politiker auf jeden Anlaß, wie den derzeitigen Weißrußland-Zwischenfall, um die Kriegstrommel zu schlagen.
Warum ist eigentlich Rußland der Feind? Wirtschaftlich ist das Land ja kein ernsthafter Konkurrent, militärisch funkt es der EU zwar manchmal, siehe Syrien, dazwischen, aber die “Eroberung” Osteuropas ging doch bisher ganz erfolgreich vonstatten, wobei zwar eher die USA als Deutschland und Frankreich profitiert haben. Was sind also die Ziele, die mit dem Schlagen der Kriegstrommel aber der weitgehenden Abrüstung von der Fähigkeit zur echten Kriegsführung gegen Rußland erreicht werden sollen?
Ja, warum gibt es das NATO-Bündnis?
https://www.argudiss.de/sites/default/files/doku/ankuendigung%28pdf%29/nato_hb_0509_gl.pdf
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltmarkt-weltmacht#section15
Zum Vergleich sei angeführt, was Renate Dillmann an der Feindschaft zu China herausgearbeitet hat:
“(…) Die ehemals sozialistische Volksrepublik hat erreicht, was die Vereinigten Staaten den entkolonialisierten Ländern der 3. Welt nach 1945 so generös versprochen hatten: sich zu entwickeln, selbst reich und mächtig zu werden, auf Augenhöhe zu den etablierten Nutznießern dieser Welt aufzuschließen.
Und eben das halten vor allem die USA nicht aus – denn das haben sie weder vorhergesehen noch gewollt, als sie Chinas Öffnungspolitik 1978 so freudig begrüßt haben. Das zeigt rückwärts noch einmal, wie die damals kursierende Vorstellung von den “Entwicklungsländern” nicht gemeint war: Das einzige Land, das “es geschafft hat” und jetzt sogar zum Mond fliegt, wird jedenfalls nicht gerade mit Beifall begrüßt und gilt auch nicht als Modell für andere.
Das macht gleichzeitig unmissverständlich deutlich, welchen Anspruch die USA an “ihre” Welt haben: Sie verlangen für sich den Nutzen aus der Ordnung, die sie der Welt nach 1945 gegeben haben. (…)
Die Sowjetunion hat 1990 abgedankt und die Freiheit des Geschäftemachens gilt seither wirklich überall, die USA sind die unbestrittene und alleinige Weltmacht.
Allerdings ist ihnen in der Folgezeit innerhalb ihrer schönen Weltordnung mit China dann dieser unangenehme Konkurrent entstanden, der ihnen ökonomisch den Nutzen aus “ihrem” Weltgeschäft streitig macht und politisch souverän genug ist, um sich nicht unterzuordnen. So hat sich für die USA ein Widerspruch ganz besonderer Art herausgebildet, denn die Volkswirtschaften dieser beiden Kontrahenten sind gewissermaßen symbiotisch miteinander verflochten:
Die USA brauchen China für das Wachstum ihrer Unternehmen – und sie leiden an dieser Abhängigkeit und den Konsequenzen, die das für ihren Standort hat. Sie brauchen Chinas Weltmarkterfolge und den chinesischen Staat, der damit ihre Staatsschulden kauft, mit denen sie die Kriege der letzten Jahre finanziert haben – und finden genau das gleichzeitig unerträglich.
Sie profitieren sogar von den Aufbauleistungen, die China den ärmeren (und vom Westen nach 1990 Ländern in Asien, Afrika und Südamerika zukommen lässt (zurzeit zum Beispiel mit seinen Impfstoffen) – und wollen genau das nicht haben, weil es ihre unangefochtene Stellung als Weltmacht untergräbt.
[Zu einem der ersten Biden-Dekrete gehört z.B., dass US-Behörden gegen China auf den Standpunkt “Buy American” verpflichtet werden. U.a das offenbart, …]
(…) dass den USA ihr bisheriges Konkurrenzmittel abhandenkommt. Bisher waren sie die Macht, die auf Freiheit im Welthandel und dem Abbau aller (Zoll- )Schranken beharrt hat – weil sie als kapitalistisch produktivste Ökonomie auf diese Art und Weise überall in der Welt Geschäft machen oder finanzieren konnte, damit also sicher den meisten Profit erzielte.
Bisher waren sie die Macht, die allen anderen Staaten modernste Technik verkaufen konnte – nun nötigen oder bestechen sie andere Nationen, nicht bei China zu kaufen. Die Vereinigten Staaten sind dabei in der Lage, einiges für diese Politik in die Waagschale zu werfen: Die Drohung mit ökonomischen Nachteilen ist für jedes Land dieser Welt eine heikle Frage angesichts dessen, was seine Kapitale und Banken in den USA erwirtschaften bzw. angesichts dessen, was ein eventueller Ausschluss vom internationalen Finanzmarkt bedeuten kann, auch wenn man gar nicht unmittelbar mit oder in den USA handelt.
Mit dieser Politik untergraben die amerikanischen Politiker allerdings die Prinzipien der Weltordnung, die sie selbst nach Weltkrieg II eingerichtet haben: Souveräne Staaten, die in freier kapitalistischer Konkurrenz nach ihrem Vorteil streben. Für dieses Prinzip steht inzwischen der chinesische Präsident Xi Jingping ein – ein deutlicher Ausdruck dessen, welche Nation im Augenblick den Nutzen aus dieser von den USA geschaffenen Weltordnung zieht…
Die US-amerikanischen Versuche, Chinas weiteren Aufstieg mit ökonomischen Gegenmitteln zu verhindern, haben bisher keinen durchschlagenden Erfolg gezeigt – kein Wunder also, dass der Übergang zu härteren Mitteln ansteht.
[Bei Renate Dillmann kann man dafür hier anschließend diverse Beispiele nachlesen.]
(…) Gegen alles Geschwätz von “Chimerica” und einem globalisierten Welthandel “