ZWISCHEN GROSSMACHTSINTERESSEN UND ÖLREICHTUM ZERQUETSCHT
Aus Anlaß eines Jennifer Lopez-Konzerts in Jerewan, das kräftig von den armenischen Behörden subventioniert wird, nimmt sich die Komsomolskaja Prawda die neuere Politik Armeniens vor und erinnert daran, daß der Status und die Versorgung der Flüchtlinge aus Berg-Karabach nach wie vor prekär ist.
Das mehrheitlich armenische Bergkarabach wurde 1921 als autonomes Gebiet der aserbaidschanischen Sowjetrepublik angegliedert. Seither ist es offiziell Teil Aserbaidschans, was auch nach 1990 völkerrechtlich eindeutig war.
Im Zuge der Auflösung der Sowjetinion kam es in Armenien und Aserbaidschan zu Pogromen gegen die jeweils andere Minderheit. Die Armee des inzwischen unabhängigen Armeniens führte zwei Kriege gegen Aserbaidschan und annektierte Bergkarabach, wobei es zu großen Vertreibungen aus den zwischen Armenien und Bergkarabach gelegenen Ortschaften und u.a. zur völligen Zerstörung der Stadt Agdam kam.
Zwei Präsidenten (und auch Premierminister) Armeniens, Robert Kotscharjan (Präsident von 1992-2008) und Sersch Sargsjan (Präsident von 2008-2018), stammten aus Bergkarabach und erreichten durch Lobbyismus, daß international eine Zeitlang Gras über die Sache wuchs, unter anderem auf Druck der USA.
Im Gegenzug wurde die US-Botschaft in Jerewan zu einer beachtlichen Festung am Ufer des Jerewan-Sees aufgebaut, die bei einer etwaigen Intervention durchaus als Stützpunkt dienen könnte.
Das öl- und bevölkerungsreichere Aserbaidschan eroberte Bergkarabach mit kräftiger türkischer Unterstützung 2020-2023 in zwei Wellen zurück, was zu einem Exodus der verbliebenen armenischen Bewohner der Region führte.
Nach Angaben der armenischen Regierung wurden anläßlich dieses Exodus’ bis Oktober 2023 mehr als 100.000 Personen als Flüchtlinge registriert.
Die Regierung von Nikol Paschinjan (seit 2018), der keine familiären Bande zu Bergkarabach hat, steht dieser Problematik relativ unberührt gegenüber. Er und sein gegenwärtiges Team bemühen sich um gute Beziehungen zu Aserbaidschan, der Türkei und vor allem den USA und der NATO.
Als nächstes ist die Regierung angeblich bereit, Aserbaidschan den Sangesur-Korridor unter NATO-Bewachung zu überlassen. Damit würde weiteres Territorium des ohnehin nicht sehr großen Armeniens praktisch aufgegeben, die NATO offiziell nach Armenien geholt und Armenien vom Iran abgeschnitten.
Rußland, über diese Entwicklungen naturgemäß nicht erfreut, unterhält eine Basis in Gjumri, deren Belegschaft derzeit angeblich verstärkt wird.
Gegen diese Politik regt sich Widerstand in der armenischen – traditionell rußlandfreundlichen – Bevölkerung und bei der Armenischen Apostolischen Kirche. Verschiedene Vertreter derselben und deren Sympathisanten wurden in der jüngeren Vergangenheit unter der Anklage der Vorbereitung eines Putsches verhaftet, darunter auch der mit Rußland eng verbundene Unternehmer Samvel Karapetjan, der mit russischer Unterstützung der Koordinator der Hilfe für die Berg-Karabach-Flüchtlinge war.
Die KP kommentiert spöttisch die Aussage des Jerewaner Vizebürgermeisters Pambuktschjan, daß die Organisation und Subventionierung des Lopez-Konzerts aufgrund der ausländischen Besuche Einnahmen in die Staatskasse spülen werde: Zu dem Konzert von Jennifer Lopez, deren beste Zeit sowieso vorbei ist, kommen aus dem Ausland vermutlich nur Mitglieder der armenischen Diaspora.
Und Lopez wird sicher nicht ihre Einnahmen wie der armenischstämmige Charles Aznavour dem armenischen Volk spenden.
Apropos Diaspora: Ein guter Teil der Einkünfte Armeniens bestand aus Überweisungen der vermögenden Armenier Syriens, die seit gut 13 Jahren versiegt sind.
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Damit es bei so vielen unerfreulichen Nachrichten auch etwas zum Lachen gibt, hier Details aus der Auseinandersetzung von Paschinjan und dem Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche, Garegin II.:
„Der armenische Premierminister Nikol Paschinjan beschuldigte am 29. Mai 2025 den Katholikos aller Armenier, Garegin II., der Verletzung seines Zölibatsgelübdes.
Damals äußerte er während einer Regierungssitzung seine Unzufriedenheit mit dem Zustand der armenischen Kirchen, nannte sie »überladen« und verglich sie mit »Rumpelkammern«.
Am 9. Juni veröffentlichte Paschinjan einen Beitrag auf Facebook, in dem er Garegin II. direkt der Verletzung seines Zölibatsgelübdes beschuldigte. Er erklärte, der Katholikos habe ein Kind und versprach, gegebenenfalls Beweise vorzulegen. Er betonte, dass Garegin II. gemäß dem kanonischen Recht der Armenischen Apostolischen Kirche nicht zum Katholikos gewählt hätte werden dürfen und den Amtssitz des Patriarchen verlassen müsse.
Daraufhin verurteilte der Oberste Kirchenrat der Armenischen Apostolischen Kirche Paschinjans Vorgehen und nannte es eine »beschämende antikirchliche Kampagne«, die den zivilen Frieden und die Einheit in Armenien bedrohe. Der Rat erklärte außerdem, der Premierminister verstoße gegen das verfassungsmäßige Prinzip der Trennung von Kirche und Staat.
Inmitten dieses Konflikts initiierte Paschinjan die Einrichtung einer Koordinierungsgruppe zur Absetzung Garegins II. und zur Wahl eines neuen Katholikos, dessen Verhalten vor der Wahl überprüft werden sollte. Er schlug außerdem vor, das Verfahren zur Wahl des Kirchenoberhaupts zu ändern, damit der Staat bei den Wahlen eine entscheidende Stimme hätte und die Kandidaten auf ihre »Ethik« geprüft würden.“ (russische Wikipedia, Garegin II.)
„Wer hat beim Abkommen zwischen Aserbaidschan und Armenien gewonnen und wer hat verloren? Paschinjan gab den Sangesur-Korridor her, verbunden mit Souveränitätsgarantien“
Diese rätselhafte Aussage über die Souveränität wird sich im Laufe des Artikels erhellen.
„Für die Übergabe des Sangesur-Korridors erhielt Armenien keinerlei Gegenleistung
Am Freitagabend unterzeichneten der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew und der armenische Premierminister Nikol Paschinjan in Anwesenheit von Präsident Trump in Washington eine Absichtserklärung zum Abschluss eines Friedensvertrags.
Genauer gesagt inszenierte Trump im Weißen Haus eine Show und gab sich erneut als Friedensstifter.
»Armenien und Aserbaidschan verpflichten sich, alle Feindseligkeiten dauerhaft einzustellen, den Handel zu öffnen und die territoriale Integrität des jeweils anderen zu respektieren. Sie haben 35 Jahre lang gekämpft, aber jetzt sind sie Freunde – und werden es bleiben«, sagte Trump und verpflichtete damit Alijew und Paschinjan, »Freunde zu sein«, und fügte hinzu, damit niemand Zweifel aufkommen ließ. »Wenn es ein Problem gibt, rufen Sie mich an.«
Das in Washington unterzeichnete Dokument hat nicht nur in diesen Ländern große öffentliche Aufmerksamkeit erregt, da es die Lage im gesamten Südkaukasus radikal verändert. Viele stellen sich sofort eine Reihe von Fragen, deren Beantwortung hilfreich wäre.
Warum in Washington?
Das ist die einfachste Frage.
Nach einer Reihe von Misserfolgen braucht der US-Präsident einen durchschlagenden Sieg, insbesondere im Bereich der Friedenssicherung. Er kann einen weiteren »gestoppten Krieg« auf seine Rechnung schreiben. Zudem werden die USA durch die Stationierung ihrer Sicherheitskräfte direkt im Südkaukasus präsent sein.
Darüber hinaus fühlen sich Alijew und Paschinjan zweifellos geschmeichelt, dass der Garant ihrer Vereinbarung eine Person sein wird, die laut Alijew »das Amt Nr. 1 der Welt« innehat.“
Wenn Alijew schmeichelt, ist das einfach: Schmeichheln kostet nichts und er hat ja in der Tat nur gewonnen.
Anders schaut es aus mit Paschinjan. Er durfte zwar auch nach Washington kommen, aber nur, um dort den Hampelmann darzustellen.
„Warum kein richtiger Friedesvertrag, sondern lediglich eine Erklärung?
Diese lediglich provisorische Erklärung entspricht der Forderung des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, der sich Nikol Paschinjan demütig unterworfen hat.
Alijew fordert eine Änderung der armenischen Verfassung, in der Arzach (Bergkarabach) erwähnt wird. Die aserbaidschanische Seite betrachtet dies als unbegründete Gebietsansprüche Eriwans gegenüber Baku, die besonders unangemessen sind, nachdem Paschinjan Karabach vollständig an Aserbaidschan abgetreten hat. Es besteht kein Zweifel, dass Eriwan auch diesem Ultimatum bald nachkommen wird.
Wer gewinnt bei diesem Vertrag, und was genau gewinnt er?
Im Ergebnis gibt es vier Gewinner: Aserbaidschan, die Türkei, die USA und die NATO.
Was die USA bekommen
Die USA erhielten für bis zu 99 Jahre die operative Leitung und volle Kontrolle über den sogenannten »Zangezur-Korridor« – eine etwas mehr als 40 km lange Straße im Süden der armenischen Region Sjunik, die das Gebiet von »Zentral«-Aserbaidschan mit der autonomen Region von Nachitschewan“ (einer Art Außenterritorium von Aserbaidschan) „verbindet. Auf Vorschlag der armenischen Seite erhielt die Straße übrigens den neuen Namen TRIPP („Trump Route for International Peace and Prosperity“).“
!!!
„»Ich habe nicht darum gebeten, aber es ist mir eine große Ehre, dass die Route meinen Namen tragen wird«, gab Trump ohne die geringste Verlegenheit seine Zustimmung zur Umbenennung der Straße zu seinen Ehren.
Zusätzlich zu den Einnahmen aus der Nutzung dieser Route (und die USA erhalten 40 % aller Einnahmen) wird Washington mindestens 1000 Mitarbeiter (privater?) amerikanischer Sicherheitsdienste zur Bewachung und Kontrolle der Straße einsetzen. Berichten zufolge werden diese nicht nur mit Kleinwaffen, sondern auch mit leicht gepanzerten Fahrzeugen bewaffnet sein.
Was Aserbaidschan erhielt
Aserbaidschan erhielt die ungehinderte Bewegung jeglicher Fracht in beide Richtungen durch armenisches Gebiet entlang der TRIPP-Straße. Armenien wird nicht in der Lage sein, solche Transporte zu kontrollieren oder auch nur Informationen über die Art der Fracht zu erhalten. Armenische Grenz- und Zollbeamte wurden arbeitslos. Darüber hinaus hoben die USA ihre zuvor verhängten Beschränkungen der militärischen Zusammenarbeit mit Aserbaidschan auf und beabsichtigen, Baku in naher Zukunft einfach mit ihren Waffen zu überfluten.
Darüber hinaus forderten die Außenminister Aserbaidschans und Armeniens nach der Unterzeichnung der »Erklärung« gemeinsam die Auflösung der Minsk-Gruppe der OSZE, der einzigen Struktur, die sich in den internationalen Beziehungen mit Bergkarabach befasst. Bergkarabach ist nun vollständig von der internationalen Agenda verschwunden, und alles, was dort geschieht, wird ausschließlich eine interne Angelegenheit Aserbaidschans sein.“
Das heißt, daß die gesamten armenischen Kirchen und sonstigen Kulturdenkmäler auf diesem Gebiet zum Abschuß freigegeben sind, ungeachtet ihres kulturellen Wertes.
Darüber hinaus ist das gesamte Eigentum der ehemaligen armenischen Bewohner Armeniens sozusagen nichtig und gehört jetzt ausschließlich Aserbaidschan, ohne irgendeine Entschädigung.
Was die Türkei bekam
Die Türkei, für die Aserbaidschan innerhalb der Organisation Türkischer Staaten (OTG) sozusagen ein »jüngerer Bruder« ist, Ankara jedoch auch ohne die OTG seit langem eine »ältere Schwester« Bakus, wenn nicht gar eine »Mutter« ist, erhält dank TRIPP direkten Zugang zum Kaspischen Meer und damit zu anderen OTG-Ländern (Kasachstan und Turkmenistan) in Zentralasien. Die Türkei hat die logistische Möglichkeit, einen Militärstützpunkt in Aserbaidschan zu errichten oder einzurichten.
Was die NATO gewonnen hat
Dementsprechend gewinnt auch die NATO, denn ein Militärstützpunkt eines NATO-Landes ist unter bestimmten Bedingungen gewissermaßen auch ein Stützpunkt des Bündnisses – eine neue Hochburg an der gemeinsamen antirussischen Front. Die Türkei hat auch gewonnen, als sogenannte »Drittpartei“, die im Rahmen des TRIPP-Programms die gleichen Bedingungen wie Aserbaidschan erhält. So kann türkische Fracht durchaus aserbaidschanisch werden. Zumindest für die Dauer des Transits.“
Das bedarf einer näheren Analyse.
Gemeint ist offenbar, daß
1. die Türkei beliebige Fracht nach Aserbaidschan liefern kann, ohne Zollkontrolle und auch ohne internationale Beschränkungen. Das betrifft sowohl Waffen als auch zivile Güter. Aserbaidschan wird somit zu einer Zollfreizone der Türkei.
Es heißt aber auch
2. daß Aserbaischan beliebige Güter in die Türkei und nach dem EU-Türkei-Zollfreiabkommen in die EU liefern kann.
„Aber es gibt auch Verlierer.
Wer hat was verloren?
Zunächst einmal hat Armenien verloren.
Das bereits erwähnte TRIPP entzieht Armenien faktisch einen Teil seines Territoriums seiner Gerichtsbarkeit. Dieser Teil stellte bisher zudem die Kommunikation mit den Grenzregionen des Iran sicher, der gegenüber Armenien neutral und freundlich gesinnt ist.“
Mit dieser etwas rätselhaften Formulierung ist gesagt, daß Armenien vom Iran abgeschnitten ist – oder doch nicht.
Der Sangesur-Korridor trennt armenisches Territorium vom Haupt-Armenien, das natürlich von Armenien zugänglich sein muß.
Armenien muß also, um sein eigenes, südlich dieses Korridors gelegenes Territorium zu erreichen, durch diesen durch US-Firmen, aber möglicherweise auch durch türkische und aserbaidschanische Truppen kontrollierten Korridor durch.
Erstens wird dadurch die Gegend südlich des Korridors zu einer Art Enklave, zweitens ist dadurch die Verbindung Armeniens zum Iran bedroht und geschwächt.
„Von Eriwans neutralen Nachbarn ist nur noch Georgien übrig. Alle anderen können getrost als feindliches Gebiet eingestuft werden, unabhängig von den unterzeichneten Erklärungen.
Armenien gewährte beispiellose Bedingungen für den Transport aserbaidschanischer Fracht durch sein Territorium, erhielt dafür jedoch nichts, weder Zugeständnisse noch Transportvorteile, beispielsweise für die Logistik in den Iran oder nach Russland. Darüber hinaus stellte Armenien seine Landtransportwege mit dem Iran faktisch unter die Kontrolle einer amerikanischen PMC. Und fast alle Experten sind der Ansicht, dass die Geschichte damit noch nicht zu Ende war und Armenien nicht nur Demütigungen, sondern auch weitere Gebietsverluste hinnehmen muss.
Darüber hinaus hat Paschinjan mit der Suspendierung der OVKS-Mitgliedschaft Armeniens und den aktuellen Maßnahmen Washingtons seinem Land jegliche Garantien für Souveränität und Unabhängigkeit entzogen. Wie Pavel Danilin, Leiter des Zentrums für politische Analyse und Mitglied der Moskauer Gesellschaftskammer, feststellte, wendet sich Eriwan im Wesentlichen von Russland ab und übergibt sein Schicksal der Türkei und Aserbaidschan.
Auch der Iran hat durch die Entscheidung der armenischen Behörden verloren. Die Aufrüstung Aserbaidschans mit amerikanischen Waffen und die Entstehung eines türkischen Militärstützpunkts in Aserbaidschan erhöhen die militärische Gefahr für den Iran. Zudem träumen in Baku immer mehr Menschen von der Befreiung »Ost-Aserbaidschans«, also großer Gebiete des heutigen Iran.
Und Rußland?!
Nach Ansicht einiger Experten hat Russland durch diese Entwicklung verloren. Es ist schwer zu bestreiten, dass Moskaus Einfluss in der Region nach dieser »Versöhnung« zwischen Baku und Eriwan tatsächlich abnehmen wird. Ebenso wenig ist die Aussicht auf einen mittelfristigen Abzug der 102. russischen Militärbasis aus Gjumri zu bestreiten. Die beispiellose russophobe und antirussische Kampagne in den regierungsnahen Medien Armeniens lässt keinen Zweifel an ihrem ultimativen Ziel – dem vollständigen Rückzug Russlands aus Armenien.
Man kann nicht armenischer sein als die Armenier selbst, wie man so schön sagt. Und sie haben sich offenbar mit diesem Szenario abgefunden, in dem Armenien wie Chagrinleder schrumpfen wird, bis es von der Weltkarte verschwindet. Der derzeitige Premierminister Nikol Paschinjan führt Armenien jedenfalls genau in dieses Szenario. Zwar hat er selbst offenbar nicht vor, in Armenien zu bleiben, sondern beabsichtigt, den Rest seines Lebens außerhalb des Landes zu verbringen, das er zu seinem eigenen Wohl zerstört, irgendwo im sonnigen Kalifornien oder Miami.
Armenien hat nur noch eine Chance, seinen Kurs umzukehren und sich selbst zu retten: die Parlamentswahlen 2026. Es ist unwahrscheinlich, dass Paschinjan bis dahin Zeit haben wird, ein Referendum über eine Verfassungsänderung abzuhalten und damit einen vollwertigen Friedensvertrag mit Aserbaidschan unter dem Diktat der Türkei, der USA und Großbritanniens abzuschließen. Doch all dies wird von den Armeniern selbst abhängen, davon, ob sie sich zur Rettung ihres Heimatlandes mobilisieren können.“ (…)
(KP, 9.8.)
Dieser Artikel weist darauf hin, daß Armenien sich von der ganzen Angelegenheit eine bessere Anbindung an den Weltmarkt erhofft, weil es derzeit ziemlich isoliert ist.
Der Zangezur-Korridor ist Teil von Bahn- und Straßenprojekten, für die Armenien von sich aus gar kein Geld hätte und deshalb auf die gut gefüllte Ölkasse Aserbaidschans schielt.
Von aserbaidschanischer Seite ist das Teil einer bereits seit Jahren laufenden Infrastruktur-Offensive, mit der sich Aserbaischan zu einem Transit-Land für Handelsströme aller Art machen will.
Hier noch mehr Details:
The Zangezur Corridor: A Key Trade Link in the South Caucasus
https://www.geopoliticalmonitor.com/the-zangezur-corridor-a-key-trade-link-in-the-south-caucasus/
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Auch der Iran hat eingelenkt:
„Iranian president: Iran’s demands in Zangezur Corridor have been met
President Masoud Pezeshkian has said Iran’s demands in the Zangezur Corridor agreed upon by neighboring Azerbaijan and Armenia, have been met, rejecting media hype over the issue.
Tehran – ISNA – Speaking to journalists after chairing his cabinet meeting on Sunday afternoon, President Pezeshkian responded to a question about the recently signed agreement between Armenia and Azerbaijani leaders on Zangezur corridor in the White House, saying his foreign minister, Abbas Araghchi had recently given him a report on the matter.
„Of course, this corridor is not what has been exaggerated about in the news,“ the president said, adding that „the demands of the Islamic Republic of Iran have been met.“
„The framework of preserving territorial integrity, establishing a connection with Europe, and not cutting off it with the north, which was meant by the Islamic Republic, have been witnessed in this issue.“
„The only matter of concern is that an Armenian company and an American company want to build this road,“ he added.“
(ISNA, 11.8.)
Gute Transportwege können allerdings nicht nur für Reis und Nudeln, sondern auch für Waffenlieferungen und militärische Interventionen genutzt werden …
„Die armenisch-russischen Beziehungen
Armenien hat sich in sehr kurzer Zeit, im Laufe von nur sechs Jahren, vom einzigen wirklichen Verbündeten Russlands im Südkaukasus zu einem Land entwickelt, das den Kreml als Bedrohung wahrnimmt. Moskau und Jerewan sind zwar weiterhin durch ein ganzes Paket von Verträgen miteinander verbunden, die in sehr vielen Bereichen die Zusammenarbeit regeln – doch das ist jetzt alles Geschichte. Noch entschließt sich keine der Seiten zu einer formalen Revision der Beziehungen, allerdings ist klar: So wie früher wird es nicht mehr sein. Blickt man zurück, kommt man nur schwerlich zu dem Schluss, dass der Ministerpräsident Armeniens Nikol Paschinjan eine systematische Abwendung von Russland vorangetrieben hat.“
Oh nein, der Schluß ist recht naheliegend.
„Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass Moskau in naher Zukunft versuchen wird, ihn abzusetzen oder zumindest teilweise den eigenen Einfluss zurückzugewinnen.“
Komisch.
Wenn Rußland dort nicht Einfluß verloren hat, so bräuchte es ihn nicht zurückgewinnen.
„Die persönliche Chemie stimmt
Über die gesamte postsowjetische Geschichte Armeniens hinweg galt dessen Bündnistreue zu Russland als etwas existenziell Wichtiges, das keinem Zweifel unterliegt. In der ersten Phase des Karabach-Konfliktes ab 1988 hatte sich die Führung der UdSSR im Großen und Ganzen auf die Seite Aserbaidschans gestellt. Beispiel dafür ist die sogenannte Operation Ring (ru.: Kolzo), die im Frühjahr 1991 von Moskau geleitet und von Einheiten der sowjetischen Armee und Elitekämpfern des aserbaidschanischen Innenministeriums gemeinsam durchgeführt wurde. In der Folge wurden Tausende Armenier aus den Bezirken Schaumian und Geranboi vertrieben.
Nach der Auflösung der Sowjetunion fanden Moskau und Jerewan gleichwohl schnell eine gemeinsame Sprache. Mehr noch: Armenien war neben Tadschikistan eines der beiden Länder im postsowjetischen Raum, dessen Außengrenzen von russischen Grenztruppen gesichert wurden. Im Falle Tadschikistans ergab sich das durch die Bedrohungen aus Afghanistan. Bei Armenien spielten jeweils die Probleme mit dem Iran und der Türkei eine wichtige Rolle (die Grenze zu Georgien wurde von den Armeniern selbst geschützt, an der zu Aserbaidschan standen keine Grenztruppen, sondern Armeeeinheiten).
Während die russischen Einheiten bereits 2005 von der afghanisch-tadschikischen Grenze abgezogen wurden, ist russisches Militär seit 1992 bis heute in Armenien präsent. Neben dem Grenzschutz sind in Armenien auch rund 3.500 Angehörige der russischen Streitkräfte stationiert. In den Jahren der Unabhängigkeit hatte Armenien keinerlei Anstrengungen unternommen, die russische Militärbasis zu schließen oder auf den Einsatz der russischen Grenztruppen zu verzichten (eine Ausnahme ist der Flughafen Jerewan: Hier wurden die russischen Grenzschützer am 1. August 2024 abgezogen).
Zum Vergleich: Der Abzug der russischen Truppen aus Georgien begann 2005 und wurde 2007 abgeschlossen. Aserbaidschan schloss die russische Radarstation in Gabala (aserb.: Qəbələ) 2012. Warum Armenien eine solche Loyalität an den Tag legte, liegt auf der Hand: Jerewan zählte darauf, dass ein militärischer Schutzschild Russlands helfen würde, eine aserbaidschanische Revanche für die Niederlage im ersten Karabach-Krieg abzuwehren.“
Warum eigentlich?
Ist Rußland verantwortlich für Armeniens kriegerische Abenteuer?
„Es gibt weitere Faktoren, die das russische Bündnis mit Jerewan einzigartig machen. Armenien ist das einzige Land in der Region, das der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) beigetreten ist. Im Oktober 2000, gleich nach dem Machtantritt Wladimir Putins, unterzeichneten die beiden Staaten eine Erklärung über Bündniszusammenarbeit. Armenien stand damals unter der Führung von Robert Kotscharjan, dem Begründer der Karabach-Bewegung, die für die Unabhängigkeit des Gebietes von Aserbaidschan kämpfte. Beide beschrieben ihr Verhältnis als freundschaftlich.
»Wir haben uns nie angelogen.“
Gemeint ist wohl: „einander“.
Weil über den „russischen Schutzschild“ hat sich Kotscharjan durchaus etwas vorgemacht.
Dieses Verhältnis war sehr aufrichtig, offen und direkt. Er und ich waren immer der Auffassung, dass man Probleme direkt ansprechen muss, um sie zu lösen und eine Einigung zu erreichen. Spannungen sollten nicht in die Öffentlichkeit getragen werden; auch wenn es immer Spannungen geben kann. Wenn man es in die Öffentlichkeit trägt, muss man dieser dann beweisen, wer Recht hat, und wer nicht. Und das erschwert die Suche nach realen Kompromissen«, erzählte Kotscharjan 2018 über seine Beziehungen zu Putin. »Ungefähr im zweiten Jahr der Zusammenarbeit habe ich gespürt, dass die Chemie zwischen uns irgendwie stimmt«.
In jenen Jahren unter Kotscharjan entstand dann auch das propagandistische Klischee »Armenien ist Russlands Vorposten im Kaukasus«.
»Krym-Konsens«
2008 wurde Robert Kotscharjan von Sersh Sargsjan abgelöst, seinem Mitstreiter aus dem ersten Karabach-Krieg. Sargsjan war Verteidigungsminister der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach (auch: Republik Arzach) und später dann Armeniens. Bemerkenswert ist, dass der Machtwechsel alles andere als reibungslos verlief: Lewon Ter-Petrosjan, der Präsidentschaftskandidat der Opposition, erkannte die Wahlergebnisse nicht an und rief seine Anhänger zu Demonstrationen auf. Die Proteste wurden von Einheiten der Armee niedergeschlagen. 8 Protestierende und 2 Soldaten kamen ums Leben. Und Nikol Paschinjan, ein junger Politiker und wichtiger Mitstreiter von Ter-Petrosjan, landete im Gefängnis.
Die Annäherung zwischen Moskau und Jerewan ging unterdessen weiter. Nach der Annexion der Krym war Sargsjan fast der einzige ausländische Staatsführer, der Putin wenigstens mit Worten unterstützte. »Die Gesprächspartner befassten sich mit der Situation, die sich nach dem Referendum auf der Krym ergeben hat, und konstatierten, dass dies ein weiteres Beispiel für die Umsetzung des Rechts der Völker darstellt, durch freie Willensbekundung ihre Selbstbestimmung zu verwirklichen«, erklärte der Pressedienst des armenischen Staatsführers anlässlich eines Telefongesprächs Putins mit Sargsjan am 19. März 2014.
Es versteht sich, dass Sargsjan mit dieser Erklärung eigene Vorteile suchte: Wenn im Namen einer »historischen Gerechtigkeit« die Grenzen der Ukraine verschoben werden können, kann man das Gleiche mit Aserbaidschan tun, also Bergkarabach offiziell aus dem Land herauslösen. Zuvor, 2007 war man in Jerewan wegen des »Präzedenzfalls Kosovo« (der die russische Diplomatie so sehr empörte) begeistert gewesen. Armenien hatte die Republik Bergkarabach allerdings nie offiziell anerkannt: Das diente einem diplomatischen Spiel, das es ermöglichte, das Verhandlungsformat jahrelang beizubehalten.
Gleichzeitig arbeitete Russland intensiv an der Errichtung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), und Armenien war eines der fünf Länder, die ihr beitraten. Zudem war Russland der wichtigste Waffenlieferant Armeniens (der Anteil an den Lieferungen lag 2010 bis 2020 bei 94 Prozent); Moskau versuchte, nach Möglichkeit ein armenisches Kräftegleichgewicht zu Aserbaidschan aufrechtzuerhalten.
Nachdem Aserbaidschan 2016 erstmals versucht hatte, den eingefrorenen Karabach-Konflikt zu eskalieren, war es Moskau, das der armenischen Armee wieder auf die Beine half.“
Eine eigenartike Formulierung.
Das Agieren Rußlands ist jedenfalls nicht mit Unterstützung Armeniens zum Erhalt Karabachs zu verwechseln.
Rußland vermittelte einen Waffenstillstand und verwies Armenien darauf, mit Aserbaidschan zu verhandeln.
„Der Verteidigungshaushalt Aserbaidschans war allerdings ungleich größer. Und Baku hatte Möglichkeiten, andere Lieferanten zu finden. Diese Rolle übernahmen Israel und die Türkei.“
Auch sehr eigenartig formuliert. Aserbaidschan hat Öl und Geld, was Armenien nicht hat. Und welche „anderen Lieferanten“? Aserbaidschan konnte mit seinen Mitteln auf der ganzen Welt einkaufen und tat es auch.
„Jemand, der nicht ernstgenommen wurde
Im Frühjahr 2018 startete Sersh Sargsjan ein Manöver, um auch nach Ablauf zweier Amtszeiten an der Macht bleiben zu können: Er ließ die Verfassung so umschreiben, dass Armenien aus einer präsidentiellen zu einer parlamentarischen Republik wurde. Die Regierungskoalition machte ihn umgehend zum Ministerpräsidenten mit den entsprechenden Machtbefugnissen. Doch der scheinbar raffinierte Plan schlug fehl. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung war so groß, dass Armenien von Protesten noch nie dagewesenen Ausmaßes erfasst wurde.
Der Oppositionsabgeordnete Nikol Paschinjan, der mit einem Rucksack auf dem Rücken zunächst Anführer der Proteste war und später Ministerpräsident wurde, war in Moskau weitgehend unbekannt.
Noch weniger wusste man über sein Team, das aus ehemaligen demokratischen Aktivisten und Mitarbeitern von NGOs bestand. Armen Grigorjan etwa, der heute Sekretär des Sicherheitsrates ist, hatte zuvor bei Transparency International gearbeitet. Und der Parlamentspräsident und spätere Außenminister Ararat Mirsojan war Koordinator bei der International Foundation for Electoral Systems (IFES) und arbeitete beim Nederlands Institute for Multiparty Democracy (NIMD).
Als Oppositionspolitiker hatte Paschinjan den Beitritt Armeniens zur EAWU und allgemein den russischen Einfluss kritisiert. Lange bevor die russische Propaganda auf Paschinjan aufmerksam wurde, hatte der junge Politiker dazu aufgerufen, Dmitri Kisseljow, dem Fernsehmoderator und Generaldirektor der Medienholding RT (ehem. Russia Today), die Einreise nach Armenien zu verbieten. Anlass waren dessen scharfe Worte von einem »Verschwinden« der russischen Sprache in Armenien gewesen (was nicht stimmte, da die meisten Armenier fließend Russisch sprechen) und von einer angeblichen Gefahr westlichen Einflusses.“
Es ist kaum anzunehmen, daß Kisseljow das wußte und der FSB nicht.
Das ganze Konstrukt des „unbekannten“ Paschinjan hinkt stark.
„Es überrascht nicht, dass die russische Propaganda, sobald sie sich mit der Biografie Paschinjans vertraut gemacht hatte, sehr aufmerksam wurde und ein militantes Klischee entwarf: »Armenien existiert allein dank der russischen Präsenz, wenn es sich distanzieren möchte – umso schlimmer für das Land«.
Sobald er jedoch Ministerpräsident war, schaltete Paschinjan auf eine kremlfreundliche Rhetorik um. Sein erster Besuch in Russland erfolgte am 14. Mai 2018, nur eine Woche nach seiner Ernennung. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass es sich um den EAWU-Gipfel in Sotschi handelte, auf dem Paschinjan die jüngste Parade zum Tag des Sieges lobte und dem russischen Präsidenten für die Nichteinmischung in die Samtene Revolution 2018 in Armenien dankte.“
Die russische Führung hatte die Nase voll von Sargsjan und ließ ihn daher fallen.
„Als er Anfang 2019 ein weiteres Mal zu Besuch war, erklärte er seine veränderte Haltung zur EAWU auf recht interessante Weise: »Wenn wir damals [vor seinem Machtantritt – dek.] die Entscheidung für einen Beitritt für falsch hielten, bedeutet das nicht, dass man zur Korrektur dieses Fehlers direkt entgegengesetzte Schritte unternehmen muss«, sagte Paschinjan. »Als der ehemalige US-Präsident Barack Obama die Entscheidung von George Bush über den Einmarsch in den Irak für falsch befand, traf er eine genau entgegengesetzte Entscheidung.“
Gemeint ist der Abzug aus dem Irak.
„Und wir bekamen damit den Islamischen Staat.«“
Eine interessante und auch interessierte Betrachtung zur Entstehung des IS.
„Beim Thema Demokratie betonte Paschinjan ein ums andere Mal, dass das keine geopolitische (prowestliche), sondern eine wertebezogene Wahl sei. »Russland ist als europäische Kraft in unsere Region gekommen«, sagte er einmal in einem Interview für den Kommersant, wobei er sich beharrlich weigerte, eine Wahl zwischen West und Ost (also Moskau) zu treffen. Ein deutliches Kompliment an Putin war die Entsendung eines begrenzten Kontingents armenischer Soldaten nach Syrien – als Minenräumer.
Es gab allerdings auch negative Momente, die zwar aus weltpolitischer Sicht nicht allzu wichtig waren, für Wladimir Putin und seine Silowiki aber hochsensible Aspekte berührten. Da wären beispielsweise die Versuche, Robert Kotscharjan und Juri Chatschaturow, den Armeekommandeur, der unmittelbar für die Niederschlagung der Demonstration 2008 verantwortlich war, strafrechtlich zu belangen. Kotscharjan stand wie erwähnt Putin nahe, und Chatschaturow war zu dem Zeitpunkt Generalsekretär der OVKS. Keiner der beiden wurde letztlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, allerdings vor allem deshalb nicht, weil Moskau sich sehr gereizt zeigte. Es wurde ein heimlich mitgeschnittenes Gespräch armenischer Silowiki ins Internet geleakt, die klar darauf verweisen, dass »die Russen außer sich sind«.
In Erwartung von Veränderungen
Als Paschinjan an die Macht kam, hatte Armenien bereits 24 Jahre Verhandlungen über eine Beilegung des Karabach-Konfliktes geführt. Seit 1992 trafen sich Vertreter Armeniens und Aserbaidschans regelmäßig in der sogenannten Minsk-Gruppe der OSZE unter Vorsitz Frankreichs, Russlands und der USA – ohne greifbare Erfolge hervorzubringen.“
„Minsk“ stand nie unter einem guten Stern …
„Aserbaidschan forderte die Rückführung von 7 Landkreisen, die im Umkreis der ehemaligen [sowjetischen – dek] Autonomen Oblast Bergkarabach liegen: Erst dann könne der Status der Region erörtert werden. Diese Landkreise waren zwischen 1992 und 1994 erobert worden, um eine Verbindung zu Armenien herzustellen und die aserbaidschanische Artillerie auf Abstand zu halten. Rund 500.000 Aserbaidschaner, die dort lebten, wurden vertrieben. Die armenische Gesellschaft war mit einer Rückgabe kategorisch nicht einverstanden. Schließlich wäre die Republik Bergkarabach dadurch praktisch isoliert gewesen.
Russland war mit dieser Lage der Dinge durchaus zufrieden. Der Konflikt machte es Moskau möglich, die beiden Länder zu manipulieren. Und es schien, als würde diese Methode stets funktionieren. Das erstarkte Aserbaidschan war dagegen; es plante wohl seit längerem eine militärische Lösung, wahrscheinlich noch vor dem Machtantritt Paschinjans.“
Begreiflich.
„Die Samtene Revolution in Armenien machte Baku Mut. Man hoffte dort, dass der Machtantritt einer neuen Generation armenischer Politiker es ermöglicht, die Haltung zur Vergangenheit zu revidieren und die armenische Gesellschaft zu Zugeständnissen zu zwingen. »Die Regierung Armeniens ist in Aserbaidschan früher als eine Gruppe von Verbrechern bezeichnet worden. Jetzt sagen die Menschen auf den Straßen Jerewans das Gleiche«, schrieben die Medien in Baku hämisch.“
Paschinjan stammt im Unterschied zu Kotscharjan und Sargsjan nicht aus Berg-Karabach.
Der Karabach-Konflikt war ihm daher teilweise fremd.
D„as war allerdings ein Irrtum: Dass die Bevölkerung in Armenien die damalige Regierung hasste, weil sie korrupt und Moskau gegenüber servil war sowie autoritäre Anwandlungen zeigte, bedeutete keineswegs, dass die Menschen in der Karabach-Frage zu Zugeständnissen bereit waren.
Erwartung vs. Berechnung
In Jerewan hielt sich die irrationale Erwartung, dass der Status eines Moskauer Verbündeten es vor einem richtigen Krieg bewahren würde. Das stellte sich als verfehlt heraus. Aserbaidschan begann den zweiten Karabach-Krieg im September 2020 aufgrund einer klaren Kalkulation: Die ganze Welt war mit der Bekämpfung des Coronavirus beschäftigt, und in den USA standen Präsidentschaftswahlen an.
Nach Beginn der aserbaidschanischen Offensive rief Nikol Paschinjan immer wieder Putin an, damit dieser auf Baku Einfluss nimmt. Moskau organisierte sogar ein Außenministertreffen der verfeindeten Länder. Doch ein für den 10. Oktober vereinbarter Waffenstillstand wurde nicht eingehalten. Nach einem weiteren Monat schwerer Kämpfe endete der Krieg durch die Unterzeichnung eines trilateralen Abkommens zwischen Armenien, Aserbaidschan und Russland. Vor allem aber aufgrund der Einnahme von Schuscha (aserb.: Şuşa), dessen Eroberung das wichtigste Ziel Aserbaidschans war.
Aus Jerewan gab es daraufhin Vorwürfe an Moskau, weil die Russen Armenien bei der Verteidigung im Stich gelassen hatten. Allerdings war Russland dazu weder durch Verträge noch völkerrechtlich verpflichtet: Die umstrittenen Gebiete lagen außerhalb des armenischen Staatsgebietes und auch nicht im Zuständigkeitsbereich der OVKS.
Armenienfreundliche Haltung
Nach der Niederlage im Krieg kam es im Frühjahr und Sommer 2021 in Jerewan zu heftigen Demonstrationen, und die Regierung Paschinjan hing am seidenen Faden. Moskau unternahm jedoch nichts, um Paschinjan gegen einen loyaleren Partner einzutauschen. »Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass die Umfragewerte für Paschinjan stark gesunken sind; gleichwohl sind sie höher als die irgendeines anderen armenischen Politikers«, berichteten russische Diplomaten dem Verfasser im Vertrauen.“
Sie hatten offenbar auch niemanden zur Hand.
„Es gab aber einen weiteren Grund, an Paschinjan festzuhalten: Er hatte das trilaterale Abkommen zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan über die Einstellung der Kampfhandlungen unterzeichnet. Sein Rücktritt hätte die Legitimität des Dokuments in Frage gestellt.
Bemerkenswert ist auch, dass das Vorgehen des Kreml in jener Zeit eher den Interessen Armeniens, und nicht Aserbaidschans zugutekam. Nach dem zweiten Karabach-Krieg waren 2.000 russische Soldaten als sogenannte Friedenstruppen in Karabach stationiert worden. Es war in Moskaus Interesse, sie dort so lang wie möglich zu lassen. Daher trat die russische Seite eher für eine »armenienfreundliche Variante« eines zukünftigen Friedensvertrages ein, durch den der Status Karabachs unbestimmt bliebe. In diesem Fall würde eine endgültige Lösung der Frage zukünftigen Generationen überlassen.
Scheitern der Beziehungen
Der tatsächliche Anlass für Bruch zwischen Moskau und Jerewan war weniger die Karabach-Frage als die ausbleibende Reaktion aus Moskau auf das Vorgehen Aserbaidschans an der international anerkannten Grenze zu Armenien. Hier war Baku 2021 und 2022 mit einer „Präzisierung“ der Grenze beschäftigt. Dabei wurden neue Stellungen mitunter Hunderte Meter in armenisches Territorium hinein verlegt.
Die drastischsten Fälle ereigneten sich im Mai 2021 am Schwarzen See [arm.: Sewlitsch; aserb.: Qaragöl] und im September 2022 in der Gegend von Dshermuk. Dort lieferten sich die beiden Seiten mehrere Tage lang schwere Gefechte mit hunderten Gefallenen. Die Ereignisse wurden von Russland und der OVKS im Grunde ignoriert. Als Argument diente hier, dass es ja nicht zu einem größeren Einmarsch gekommen sei, sondern nur zu einem »Zwischenfall an der Grenze«, bei dem diese zwar verletzt worden sein könnte, doch nur unwesentlich. Die armenische Öffentlichkeit war schockiert. Sie hatte, wenn schon kein unmittelbares Eingreifen Moskaus, so doch wenigstens eine verbale Verurteilung Bakus erwartet.
Es war diese Enttäuschung durch einen früheren Verbündeten, die die armenische Regierung dazu bewegte, neue Alliierte zu suchen, während sie gleichzeitig sehr schmerzhafte Zugeständnisse machen musste. Der Wendepunkt war das Gipfeltreffen der Europäischen politischen Gemeinschaft in Prag im Oktober 2022, auf dem Paschinjan erstmals die territoriale Integrität Aserbaidschans anerkannte und eine Monitoring-Mission der EU an die Grenze einlud.
Die letzte Phase der Zerrüttung setzte mit dem Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine ein. Moskau warf sämtliche Ressourcen in sein Vorgehen gegen die Ukraine und geriet dadurch in eine Abhängigkeit von jenen Nachbarn, die es für die Umsetzung der Ziele seiner sogenannten militärischen Spezialoperation als wichtig erachtet hatte. Südlich des Kaukasus waren das die Türkei (über die ein beträchtlicher Teil der russischen grauen Im- und Exporte erfolgt) und Aserbaidschan, durch das Russland eine Festlandsverbindung nach Iran erlangen will (und zukünftig womöglich zu dessen Häfen am Indischen Ozean).
Daraufhin ging Baku zu einer Salamitaktik über: Zunächst wurde der Latschin-Korridor durch eine Gruppe vorgeblicher „Umweltaktivisten“ blockiert. Hinter der Aktion stand offensichtlich die Regierung in Baku. Im nächsten Schritt errichtete Aserbaidschan dort einen Grenzübergang, um im September 2023 schließlich das ganze Gebiet gewaltsam unter seine Kontrolle zu bringen.
Ein weiteres Opfer der militärischen Spezialoperation
Gemäß dem trilateralen Abkommen von 2020 sollte der Latschin-Korridor dauerhaft unter der Kontrolle russischer Friedentruppen bleiben. Moskau hatte es jedoch nicht eilig, dieses Recht durchzusetzen. Ein Einsatz von Gewalt gegen Bürger oder gar Soldaten Aserbaidschans durch russische Soldaten kam nicht in Frage: Das Abkommen sah das nicht vor, und eine Verletzung des Abkommens hätte die Beziehungen zu Baku ruiniert, das inzwischen ein sehr viel wichtigerer Partner war als Jerewan. Die Wut und Verzweiflung, die es daraufhin in Armenien gab, ist nachvollziehbar.
Der Krieg in der Ukraine führte zudem dazu, dass Moskau aufhörte, seinen Verpflichtungen bei den Waffenlieferungen nachzukommen. Armenien erhielt nicht einmal jene Chargen, die bereits bezahlt waren. Daraufhin setzte Armenien seine Mitgliedschaft in der OVKS bis auf Weiteres aus und revidierte seine Bündnisbeziehungen zu Moskau.
Somit sind die armenisch-russischen Beziehungen zu einem weiteren Opfer der imperialen Ambitionen Moskaus geworden. Der negative Trend im Dialog zwischen Russland und Armenien wurde allerdings erst nach dem Beginn des vollumfänglichen Angriffskrieges gegen die Ukraine 2022 eindeutig erkennbar.
Bis dahin hatte Moskau die Beziehungen zu Paschinjan offenbar als eine Art Experiment betrachtet: Schaffen wir es, einen Politiker mit einem prowestlichen Protest-Background umzudrehen? Zu einem glücklicheren historischen Augenblick hätte die Rechnung aufgehen können. Aber in dieser Zeit, in der sich Paschinjan wiederfand, hätten sich die Dinge nur schwerlich anders entwickeln können: Aserbaidschan hätte wohl in jedem Fall Krieg geführt, und Russland hätte wohl in jedem Fall auf diese Weise darauf reagiert, indem es nämlich die Erwartungen Jerewans ins Leere laufen lässt. Im Ergebnis währte die ewige Freundschaft zwischen Armenien und Russland bis zu dem Moment, da Moskau glaubte, geopolitische Entscheidungen treffen zu müssen.
Paschinjan steht für Moskau jetzt wohl in einer Reihe mit dem ehemaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky und der Präsidenten der Republik Moldau, Maia Sandu.
Seitdem sich auch Aserbaidschan zunehmend von Moskau abwendet, wird die Lage für den Kreml noch komplizierter: Bislang hatte es Moskau mit einer vielfach kolportierten Absetzung Paschinjans offenbar nicht eilig. Mit dem Verlust der Vormachtstellung im Südkaukasus stellt sich für den Kreml jedoch wohl vermehrt die Frage, wie er seine imperialen Ambitionen in der »Zone privilegierter Interessen« untermauern kann.
Mit dieser Aufgabe ist Sergej Kirijenko betraut, ein erfahrener Kremlbeamter, der sich intensiv mit der politischen Umgestaltung der von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine beschäftigt und auch die Verantwortung für Abchasien trägt.
Derweil fordern westliche Politiker, die historische Gelegenheit zu nutzen, um eine Emanzipation Armeniens aus dem Orbit Moskaus zu fördern. »Ein großer Teil der armenischen Bevölkerung will sich noch weiter von Russland entfernen. Und wir schaffen die Bedingungen dafür, dass dies Wirklichkeit wird«, sagte James O’Brian, der Referatsleiter Europa und Eurasien des US-amerikanischen Außenministeriums, Ende Juli 2024 bei einer Anhörung im Senat. Im Juni 2025 erschienen die Meldungen, dass das neue Trump-Kabinett an einer friedlichen Lösung zwischen Armenien und Aserbaidschan interessiert ist, im Austausch für zukünftige Vorteile für amerikanische Unternehmen.
Das Thema der europäischen Integration ist ein wichtiger Teil der Erzählungen der armenischen Behörden, und je näher die Parlamentswahlen rücken, desto mehr wird darüber gesprochen. Es ist jedoch schwierig, in diesem Zusammenhang realistische und gleichzeitig wählermotivierende Versprechen zu machen. Erwähnungen von »bedeutenden Fortschritten in der Partnerschaft zwischen Armenien und der EU auf der Grundlage eines Bekenntnisses zu gemeinsamen Werten« werden den Politikern kaum Unterstützung bringen, und echte Veränderungen (z. B. Visaliberalisierung) werden in absehbarer Zeit wohl kaum erreicht werden.
Dennoch halten Jerewan und Brüssel regelmäßige Treffen des Partnerschaftsausschusses Armenien-EU ab, bei denen sie die Verteilung der 270 Millionen Euro erörtern, die im Rahmen des „Programms für Nachhaltigkeit und Wachstum“ für 2024-2027 bereitgestellt werden. Obwohl es sich nicht um die größte Summe handelt, hilft sie der armenischen Regierung, die Kosten für Dinge wie die Unterbringung von Flüchtlingen aus Karabach oder Reformen zu tragen.“
(Dekoder, 14.9.)
https://de.wikipedia.org/wiki/Dekoder.org
Alle Beteiligten dieses Dramas waren in Tianjin – Putin, Paschinjan, Alijew und Erdogan.
Man merkt, daß auch Paschinjan seine Erwartungen an den Westen inzwischen niedriger steckt.