Pressespiegel El País, 1.7.: Wem gehören die Frauen Afghanistans?

„DIE UNO HÄLT EIN GIPFELTREFFEN ZUR ZUKUNFT AFGHANISTANS OHNE DIE ANWESENHEIT AFGHANISCHER FRAUEN AB

Lokale und internationale Verbände werfen der UNO vor, den von den Taliban gestellten Bedingungen für die erstmalige Teilnahme an diesem Forum nachgegeben zu haben.

Für den Islam ist das Leben ein Geschenk Gottes, das nur er nehmen kann. Wer Selbstmord begeht, dem droht die ewige Hölle.
Für Arzo, eine 15-jährigen Afghanin, muss diese Hölle besser gewesen sein, als im Afghanistan der Taliban zu leben. Diese Jugendliche, deren Geschichte von CNN dokumentiert wurde, nahm im Jahr 2023 Autobatteriesäure zu sich. Sie hat überlebt, muß nun aber mit einer Magensonde ernährt werden.
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen greifen immer mehr afghanische Frauen, die in ihren Häusern eingesperrt und schrecklichen Misshandlungen ausgesetzt sind, zu Rattengiften, Reinigungsmitteln, Düngemitteln oder einem Seil, um sich zu erhängen, um den Fundamentalisten zu entgehen.“

Irgendwie klingen diese Horror-Stories seltsam. Wenn sie eingesperrt sind, wer mißhandelt sie? Um welche Art von „Mißhandlung“ geht es hier?
Überprüfbar ist das alles nicht.
Sicher ist die Situation der afghanischen Frauen nicht beneidenswert, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Erzählungen dramatisiert werden, um sich mit Berufung auf internationale Rechte Einfluß in Afghanistan zu sichern.

Für die Machthaber Afghanistans präsentiert sich damit die weibliche Bevölkerung als eine Art 5. Kolonne, mittels derer die früheren Besatzungsmächte unter dem Mantel der Menschenrechte zurückkehren wollen.

„In Afghanistan gibt es keine Statistiken über Selbstmord, aber ein aktueller Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Afghanistan, Richard Bennett, warnte vor dem Ausmaß der Selbstmordgedanken unter afghanischen Frauen und bezeichnete ihre Tortur als »Geschlechterapartheid«.

Dieselbe Organisation, die UNO, die dieses Dokument veröffentlicht hat, hat für diesen Sonntag und diesen Montag in Doha (Katar) den dritten Gipfel zum Thema Afghanistan einberufen. Die Taliban sind eingeladen. Die Afghaninnen nicht. Die Verletzungen ihrer Menschenrechte stehen nicht auf der Tagesordnung.

Dies ist das erste Mal, dass die Taliban an einem Treffen des sogenannten Doha-Prozesses teilnehmen. Im Februar, als das zweite Gipfeltreffen stattfand, waren sie bereits eingeladen worden, lehnten jedoch die Teilnahme ab, weil die UNO sich weigerte, Forderungen zu erfüllen, die ihr eigener Generalsekretär António Guterres als »inakzeptabel« bezeichnete.
Die Radikalen“ (so bezeichnet die Autorin des Artikels die Taliban) „bekräftigten auch seither, dass die Rechte ihrer »Schwestern« – wie sie die afghanischen Frauen nennen – eine »interne« Angelegenheit seien und dass sie die einzigen Gesprächspartner der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan zu sein haben.“

Eine klare Aussage.
Die UNO war letztlich genötigt, die Bedingungen der Taliban anzunehmen, um diesen Staat überhaupt einmal an den Verhandlungstisch zu bekommen.
Immerhin sind die Taliban inzwischen seit fast 3 Jahren an der Macht, ohne von irgendeinem anderen Staat als Regierung anerkannt worden zu sein.

Das ist vor allem für die UNO ein untragbarer Zustand. Es ist einfach absurd und unglaubwürdig, Konferenzen über Afghanistan abzuhalten ohne die dortigen Machthaber. Die Beschlüsse solcher Konferenzen sind logischerweise Makulatur, nichts wert.
Die UNO ist also die erste Organisation, die den Taliban eine Art internationale Anerkennung verleiht.

Man muß aber dabei bedenken, daß das Thema „Frauenrechte“ usw. den Taliban gegenüber in Anschlag gebracht wird, bei den Saudis und verschiedenen anderen Golfstaaten jedoch kein Thema ist. Dort „respektiert“ man als freier Wertewesten die „lokalen Traditionen“. Auch in verschiedenen anderen Teilen der Welt wird hier keineswegs so genau nachgeschaut, wie es denn dort mit den Frauen und ihrer gesellschaftlichen Repräsentation aussieht.

„Lokale Organisationen wie die Unabhängige Koalition afghanischer Frauenprotestbewegungen und andere internationale Organisationen wie Human Rights Watch (HRW) und der Malala-Stiftung (gegründet von der Aktivistin Malala Jusefzai) sind der Ansicht, dass das, was im Februar inakzeptabel war, jetzt akzeptabel zu sein scheint. Angesichts dieses Präzedenzfalls glauben diese Gruppen, dass der Ausschluss der afghanischen Frauen vom dritten Doha-Treffen darauf zurückzuführen ist, dass sich die UNO letztendlich den Bedingungen der Taliban für die Teilnahme am Gipfel gebeugt hat.“

Das ist ja wohl so.
Warum müssen da verschiedene Organisationen angeführt werden, die das auch „glauben“?

„Sogar der Sprecher Zabihullah Mujahid, der ihre Delegation in Doha leitet, bestätigte diesen Samstag in einer Pressekonferenz, dass bei dieser Gelegenheit die Forderungen der Gruppe“ (die Autorin des Artikels legt eine gewisse Zurückhaltung, den Begriff „Taliban“ zu verwenden, an den Tag) „für Doha III »akzeptiert« worden seien.
Das Büro des Sprechers des UN-Generalsekretärs hat auf die Fragen dieser Zeitung nach dem Grund für diese Änderung nicht geantwortet.

Bevor die Taliban 2021 die Macht übernahmen, wollte Arzo Ärztin werden. Am 21. Juni, eine Woche nach 1.000 Tagen des von den Radikalen verhängten Studienverbots für alle afghanischen Mädchen über 12 Jahren, bestätigte die oberste UN-Beamtin in Afghanistan, Roza Otunbajeva, Leiterin der Hilfsmission der UNO in Afghanistan (UNAMA) den Ausschluss von Frauen von dem Treffen mit dem Zusatz, dass diese einen Tag später konsultiert würden.“

In welcher Form, fragt man sich? Wer wäre der/die offizielle Vertreter/in der Frauen Afghanistans?

„Diese Ankündigung veranlasste zahlreiche afghanische Organisationen dazu, in sozialen Netzwerken eine Kampagne zu starten, in der sie die UNO aufforderten, diese Entscheidung rückgängig zu machen.“

»Die wichtigen Treffen sind für den 30. Juni und 1. Juli angesetzt, und für Tag 2 sind Frauen eingeladen“

– man sieht, auch die Taliban haben nachgegeben, aber das darf man ja nicht offen sagen!

„ein bewusster Akt der Nachlässigkeit [über die Rechte] afghanischer Frauen und ihren wichtigen Beitrag zur Zukunft Afghanistans. Die UN sollten die Taliban für ihre Verbrechen an Frauen und Mädchen zur Verantwortung ziehen, nicht umgekehrt«, kritisiert Sahar Fetrat, Frauenrechtsforscherin bei Human Rights Watch (HRW), in einer E-Mail.“

Der streitbaren Frau von HRW, die immerhin im Exil sitzt, wäre eine weitere Ächtung des Taliban-Regimes recht, auch wenn davon niemand in Afghanistan etwas hat. Aber sie könnte weiter volles Rohr gegen die Taliban zu Felde ziehen.
Die UNO und die zuständige Frau aus Kirgistan nehmen jedoch eine pragmatischere Haltung ein, und haben zumindest die Teilnahme afghanischer Exil-Frauen-Organisationen erreicht.
Hier gibt es offenbar eine richtige Rivalität zwischen Hardlinern und Pragmatikerinnen:

„Fetrat betont, daß laut Otunbajeva: »niemand den UNO Bedingungen für das Doha-Treffen diktiert hat.« Es sei jedoch »offensichtlich, dass die Beteiligung von Frauen und ihre Rechte von dem Treffen und seiner Tagesordnung ausgeschlossen wurden, um die Taliban an den Tisch zu bringen.«“

Stimmt nicht ganz, siehe Tag 2.

„In seiner Pressekonferenz präzisierte der Taliban-Sprecher, dass sich die Agenda von Doha III »auf Wirtschaftsfragen und Anti-Drogen-Bemühungen« konzentrieren werde. Der UN-Vertreter in Afghanistan hatte genau jene Themen angesprochen, bei denen, wie die HRW-Forscherin“ („Forscherin“ ist Frau Fetrat nun wirklich nicht) „tadelt, »Privatunternehmen, Banken und der Kampf gegen Drogen Vorrang haben und bei denen Frauen nicht anwesend sein werden, um ihre Meinung zu äußern«.“

Es geht offensichtlich darum, die afghanische Ökonomie wieder etwas voranzubringen, um eine gewisse Ernährungssicherheit in dem Land herzustellen. Für Frauenrechtsaktivistinnen eine Nebensache.

„Otunbayeva versuchte, die Kontroverse herunterzuspielen, indem sie argumentierte, dass wir über den Drogenhandel in Afghanistan sprechen angesichts der Tatsache, »daß 30 % der Süchtigen Frauen sind«“.

Eine ziemlich wenig untermauerte Zahl. Um das Ausmaß der Sucht in Afghanistan – bei Männern und Frauen – festzustellen, müßte man doch zunächst einmal normale Beziehungen einrichten, um überhaupt Untersuchungen anstellen zu können.

„Sie verteidigte auch die Bedeutung eines »direkten Dialogs mit den Taliban«, um ihnen sagen zu können, dass »Frauen an diesem Tisch sitzen sollten [Doha III]«. Diese Diskussionen über Afghaninnen, aber ohne Afghaninnen, sind einer der Gründe, warum diese Expertin“ (welche? handelt es sich vielleicht wieder um Frau Ferhat? Nur die HRW-Dame ist „Expertin“, während die kirgisische UNO-Angestellte eben nur eine Beamte ist …) „glaubt, dass die UN »den Doha-Prozess patriarchalisch verwaltet«.
Sie fügt hinzu: »Afghanische Frauen mögen es nicht, wenn die UNO mit ihren Unterdrückern Geschäfte machen und sie von wichtigen Entscheidungen über ihr eigenes Land ausschließen.«“

Die Dame aus Afghanistan maßt sich an, für alle Afghaninnen zu sprechen, obwohl sie eigentlich niemand dazu ermächtigt hat.

„Im November hatte die UNO Fortschritte bei der Anerkennung der Taliban-Exekutive von einer Verbesserung der Situation der Frauen abhängig gemacht. Berichterstatter Bennett empfiehlt in seinem Bericht, die Straflosigkeit der derzeitigen Machthaber des Landes zu beenden.“

Wieder einmarschieren, oder was?
An wen richtet sich diese Aufforderung eigentlich?

„Am Kreuzweg

Der Doha-Prozess war eine Initiative des UN-Generalsekretärs, um eine internationale Strategie zum Umgang mit Fundamentalisten festzulegen.“

Guterres sieht den Zustand als unhaltbar an, in dem die Taliban überall ausgeschlossen werden, und versucht einen Dialog zu etablieren.
Er erkennt damit an, was der Rest der Welt nicht und nicht zur Kenntnis nehmen will: Daß die Taliban gekommen sind, um zu bleiben.
Der einzige Weg zur Einflußnahme auf dieses Land ist also der Dialog auf gleicher Augenhöhe. Die Taliban sind nämlich eine Regierung, die sehr eifersüchtig auf ihre Souveränität pocht – im Unterschied zu den anderen afghanischen Regierungen der letzten Jahrzehnte, die sich alle an irgendwelchen ausländischen Mächte anschmiegten und vor allem in Kabul breitmachten.

„Die erste Sitzung fand am 1. und 2. Mai 2023 statt, an der die Sondergesandten für Afghanistan aus der Staaten der Region teilnahmen;

Alle Nachbarstaaten Afghanistans haben also eigene Diplomaten, die nur für die Afghanistan-Beziehungen zuständig sind, eine Art Botschafter also, aber im Inland, die möglicherweise im Falle einer Anerkennung der Taliban als Auslandsvertreter eingesetzt würden. Sie stehen also Gewehr bei Fuß zur Anerkennung der Taliban –

„internationale Geberstaaten und -organisationen;“

– Afghanistan hängt bis heute an der Hungerhilfe der UNO –

USA, Rußland und die EU.“

Sieh da, wen eine Afganistan-Konferenz alles an einen Tisch bringt. Rußland unterhält bis heute einen Botschafter in Kabul, auch wenn es die Taliban noch nicht offiziell anerkannt hat. Ähnlich hält es China.
Der Westen gerät also durch seine bisherige Afghanistan-Politik in Gefahr, dort völlig ausgegrenzt zu werden. Um so lauter und schriller werden die Beschwerden der Frauenrechts-Organisationen, mittels derer sie dort den Fuß in die Tür kriegen wollen.

„Zuvor hatten 2019 in Doha Friedensgespräche mit den Taliban stattgefunden, bei denen das Friedensabkommen unterzeichnet wurde, mit dem internationale Truppen aus dem Land abzogen, was die Rückkehr der Fundamentalisten an die Macht beschleunigte. Seitdem steht die UNO vor dem Dilemma, kohärent zu sein und alle Beziehungen zu den Taliban abzubrechen, was ihrer Meinung nach zu einem Veto gegen die Arbeit internationaler Organisationen führen könnte, auf deren Hilfe mehr als die Hälfte der Afghanen angewiesen ist – am meisten gefährdet, Frauen und Kinder – oder versuchen, eine gewalttätige, frauenfeindliche Gruppe zu legitimieren, die die Menschenrechte mit Füßen tritt, in der Hoffnung, dass sie sich mit der Zeit mäßigen wird.“

Die Autorin des Artikels hält dies, wie ihre Wortwahl beweist, für völlig ausgeschlossen und würde lieber wieder einmarschieren. Oder die Frauen Afghanistans bewaffnen und zum Bürgerkrieg aufrufen.
Das mag jetzt polemisch klingen, aber was wären denn die Alternativen zum Dialog mit den Taliban? Doch nur deren Sturz, so oder so.

„Nur Nicaragua hat diplomatische Beziehungen zur Taliban-Regierung aufgenommen. China hat dies in der Praxis getan, indem es seinen Botschafter in Peking aufgenommen hat.“

Auch Chinas Botschaft in Kabul ist mit diplomatischem Personal besetzt, wenngleich nicht mit einem offiziellen Botschafter, und wenngleich es auch keine offizielle Anerkennung der Regierung ausgesprochen hat.
Aber de facto haben sowohl Rußland als auch China die taliban anerkannt und kooperieren mit ihnen, was sowohl die UNO als auch die westliche Wertegemeinschaft unter Zugzwang setzt.
Nicaragua hat auch keine offizielle Anerkennung ausgesprochen, ist aber der erste Staat des amerikanischen Kontinents, der hier in Sachen diplomatische Beziehungen vorprescht.

„Mit der UN-Einladung nach Doha III weist Laila Bassim von der Unabhängigen Koalition afghanischer Frauenprotestbewegungen per WhatsApp aus Kabul darauf hin, dass diese Einladung »sie“ (d.h., die Taliban) „reinwäscht und die Länder in der Region ermutigt werden, sie anzuerkennen«“.

Damit hat sie zweifellos recht, aber die Alternativen wären eben, alles zu lassen, wie es ist und zuzulassen, daß die Feinde des Freien Westens sich des Landes völlig bemächtigen.

„Die Aussicht auf Mäßigung sei bei diesen ehemaligen Guerillas eine Illusion, sagt Bassim, eine 24-jähriger Aktivistin, der die Taliban mit dem Tode drohen. Sie erklärt, dass Fundamentalisten eine »ideologische« Gruppe seien, die »nicht an Verhandlungen glaubt und nur ihr eigenes Gesetz akzeptiert«.“

Es ist in der Tat etwas unbescheiden und auch weltfremd, zu glauben, die Taliban würden sich fremde Gesetze aufnötigen lassen.

„Sahar Halaimzai, Direktorin der Afghanistan-Initiative der Malala-Stiftung, stimmt dem zu. »Wir dürfen nicht zulassen, dass (die Taliban) ihre Zusammenarbeit als Druckmittel nutzen, um Debatten über ihre extremen (Menschenrechts-)Verstöße zum Schweigen zu bringen. Und er weist darauf hin, dass sie keineswegs gemäßigt seien, sondern »ihre unterdrückerischen und brutalen Dekrete« gegen afghanische Frauen verdoppelt hätten. Im März kündigten sie die Wiedereinführung der öffentlichen Auspeitschung und Steinigung von Frauen wegen Ehebruchs an.“

Man sieht, wie sich das westliche Lager spaltet in die Gemäßigten, die sich mit den Taliban ins Benehmen setzen wollen, und die Frauenrechts-Fundamentalist(inn)en, die weiterhin auf Konfrontation gehen wollen.
Auf Seiten der Taliban ruft natürlich diese zweite Abteilung wieder den nationalen Stolz hervor, sich als Wahrer der Tradition zu sehen und von keiner ausländischen Macht etwas dreinreden zu lassen.

4 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 1.7.: Wem gehören die Frauen Afghanistans?

  1. „Streit um Afghanistan (I)

    Deutschland kritisiert UN-Verhandlungen mit den Taliban, die eine Besserung der Notlage in Afghanistan zum Ziel haben; dort hungern Millionen. Berlin fordert Frauenrechte ein – und plant Abschiebungen an den Hindukusch.

    Deutschland und andere westliche Staaten kritisieren ein am Sonntag beginnendes Treffen der UNO und mehrerer Afghanistan-Beauftragter mit den Taliban. Hintergrund des Treffens ist die desaströse humanitäre Notlage in Afghanistan, die durch die internationale Isolation der Taliban zusätzlich verschärft wird. Nach Angaben der UNO hungert zur Zeit ein Drittel der afghanischen Bevölkerung, rund 14,2 Millionen Menschen; mehr als 850.000 Kinder unter fünf Jahren müssen wegen akuter schwerer Unterernährung behandelt werden. Ursache ist neben dem jahrzehntelangen Krieg im Land, dass es die westlichen Mächte in ihrer 20 Jahre währenden Besatzungszeit versäumt haben, die afghanische Wirtschaft wirksam zu stärken. Die von ihnen kreierte Besatzungsökonomie ist nach ihrem Abzug sofort kollabiert. Milliardenguthaben der afghanischen Zentralbank werden im Westen trotz der humanitären Katastrophe am Hindukusch unverändert blockiert. Die Vereinten Nationen plädieren nun für eine gewisse praktische Kooperation mit den Taliban – zur Besserung der extremen Notlage. Berlin spricht sich dagegen aus, plant jedoch die Abschiebung von Straftätern an den Hindukusch. Als Vorbild gilt Schweden. (…)“

    (German Foreign Policy, 28.6.)

    „Streit um Afghanistan (II)

    Berlin diskutiert über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Afghanistan – im Einflusskampf gegen Russland und China. Afghanischer Warlord bittet den Westen um Hilfe für seinen Guerillakrieg gegen die Taliban.

    In Berlin werden Forderungen nach einem Kurswechsel in der Afghanistan-Politik und der erneuten Entsendung von Diplomaten nach Kabul laut. Hintergrund ist, dass immer mehr Staaten beginnen, in gewissem Umfang mit den dort herrschenden Taliban zusammenzuarbeiten. Russland und China tun dies bereits seit geraumer Zeit; Moskau hat Taliban-Vertreter mehrfach zum St. Petersburg International Economic Forum eingeladen, während Beijing umfangreiche Rohstoffprojekte in Afghanistan plant und zu Jahresbeginn einen Taliban-Botschafter akkreditiert hat. Inzwischen lässt auch Indien ein gewisses Interesse an einer Zusammenarbeit erkennen; Saudi-Arabien plant eine Botschaft in Kabul zu eröffnen. Hintergrund sind neben Sicherheits- auch geostrategische Interessen. Berlin fürchtet nun, zu spät zu kommen. Gleichzeitig bieten sich altbekannte afghanische Warlords dem Westen für einen Guerillakrieg gegen die Taliban an. So äußerte am Wochenende der Milizenführer Ahmad Massoud, dessen National Resistance Front (NRF) einen Guerillakrieg gegen die Taliban führt, seinen Kämpfern fehle es an „Ressourcen und Unterstützung“, wie sie die Ukraine erhalte. Die Taliban seien besiegbar. (…)“

    (German Foreign Policy, 2.7.)

  2. „Die Taliban zerstörten alle Katapulte für den Drogentransport über die Grenze

    (…) Mitglieder der Taliban-Bewegung zerstörten in Afghanistan alle Katapulte für den Drogentransport über die Grenze. Darüber äußerte sich der russische Botschafter im Land, Dmitrij Zhirnow.

    Der Diplomat erklärte, dass sich diese Katapulte in den Grenzgebieten zu Iran und Pakistan befänden. Mithilfe dieser an Galgen erinnernden Strukturen »schmuggelten Drogenhändler Drogen über die Grenze zu ihren Komplizen«.

    Schirnow erklärte auch, dass bei einem solchen Katapult zwischen den Querstangen eine Gummischlinge gespannt sei, die eine Art Symbol für Afghanistan sei, das »„in eine globale Heroinfabrik« verwandelt worden sei.

    »Mehrere Schmuggler legten die Ladung in die Schlinge und liefen etwa zehn Meter den Hügel hinunter, um sie sie von dort aus fest zu anzuziehen. Die Ladung flog weit.
    Diese Geräte sind jetzt Geschichte. Die Taliban haben sie gefunden und zerstört«, zitierte TASS den Botschafter.

    Erinnern wir uns daran, dass die Taliban nach ihrer Machtübernahme erklärten, dass Afghanistan die Drogenproduktion einstellen werde. Sie kündigten ihre Absicht an, »dieses Übel auszurotten«, und das Land in eine »drogenfreie Heimat« zu verwandeln.“

    (KP, 20.7.)

  3. Ein Propaganda-Artikel zur Beschimpfung der Taliban und zur Beschönigung der Ohnmacht des Westens, der dort mit der Implementierung des westlichen Wertesystems krachend gescheitert ist:

    „Die Taliban festigen ihre Macht in Afghanistan und begeben sich auf die Suche nach internationaler Legitimität …

    Bei den kürzlich beendeten Olympischen Spielen in Paris veranstaltete die Afghanin Manizha Talash einen ungewöhnlichen Protestakt. Bei ihrem Breakdance trug die Vertreterin des Flüchtlingsteams einen Umhang mit der Aufschrift: »Befreit die afghanischen Frauen.« Talash wurde disqualifiziert, doch ihre Geste ging um die Welt aufgrund der persönlichen Geschichte, die ihren Protest befeuerte: Die junge Frau floh 2021 aus Afghanistan, nachdem die Taliban nach dem Abzug der US-Truppen die Kontrolle über das Land übernommen hatten.

    An diesem Donnerstag jährt sich die Eroberung der Hauptstadt Kabul zum dritten Mal. Seitdem haben die Fundamentalisten, die das Land regieren, ihre Macht ohne echten politischen oder militärischen Widerstand gefestigt. Sie sind offen für den Dialog mit dem Ziel, Legitimität durch Anerkennung zu erlangen. Die internationale Gemeinschaft fördert die Annäherung, um eine kriegerische Eskalation zu verhindern.“

    Dieser Satz ist ebenso dumm wie dreist.
    Die Taliban haben militärisch gewonnen und es gibt keinen Staat der Welt, der noch einmal gegen Afghanistan Krieg führen will. Weder die USA, noch ein EU-Staat, und schon gar nicht irgendein anderer Staat.
    Dennoch schreibt dieser Journalist das so hin, als würde irgendjemand den Taliban die Pistole an den Kopf halten und ihnen aber noch eine Hand entgegenstrecken.
    Der Gedanke ist für ihn unerträglich, daß diese langbärtigen Fundamentalisten nicht zur Räson gebracht werden können.

    „Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht leben afghanische Frauen unter brutaler Unterdrückung: Sie können sich nicht frei bewegen und haben keinen Zugang zu zahlreichen Arbeitsplätzen (sie können nicht Richterin, Stellvertreterin, Journalistin usw. sein).“

    Dazu muß man allerdings sagen, daß es diese Berufe in Afghanistan auch für Männer nicht gibt.
    Die ganze westliche Gerichtsbarkeit wurde zwar unter der Besatzung eingeführt und es gab auch eine juristische Ausbildung, aber diese Institutionen wurden außerhalb Kabuls nicht in Anspruch genommen, weil dort nach ganz anderen Gesetzen und Gesichtspunkten Recht gesprochen wird – eine Art Mischung aus Scharia und Paschtunwali.
    Diese Art der Rechtssprechung duldet auch keine Frauen, weil bestimmte Stammes-Hierarchien und religiöse Ämter den Frauen in der islamischen Welt von jeher verschlossen sind.
    Von Journalismus halten die Taliban sowieso nichts, das fällt unter die Abteilung „westliches Teufelszeug“, und ansonsten ist die politische Macht so geregelt, daß Stellvertreter für irgendwelche Ämter auch nur aus dem „inner circle“ der Taliban kommen können.

    Sie dürfen auch keinen Sport treiben, keine Parks besuchen oder zum Friseur gehen. Mädchen ihrerseits dürfen nicht über die Grundschule hinaus lernen.
    Die UN warnten bereits im vergangenen Jahr, dass Frauen in Afghanistan unter einer Situation leiden, die man als »Geschlechterapartheid« bezeichnen könnte.

    Alle befragten Experten sind sich einig über die enormen Schwierigkeiten, die ein Versuch eines Sturzes der Fundamentalisten mit sich bringen würde, über den die westlichen Außenministerien derzeit nicht nachdenken.“

    Allein die Idee, solches anzudenken, kommt nur, weil so Damen wie die oben erwähnte Breakdancerin offenbar nichts lieber hätten als einen neuerlichen Einmarsch.

    „»Die Normalisierung der Beziehungen zu den Taliban bedeutet nicht, daß die Regierung sie anerkennt (nur Nicaragua und China haben diplomatische Beziehungen mit dem Islamischen Emirat aufgenommen), aber sie zeigt, dass die Staaten erkannt haben, dass es keine andere Wahl gibt, als mit ihnen zu reden, weil es keine alternative Macht gibt, die die Kontrolle übernehmen könnte«, sagt Javid Ahmad, Experte beim Think Tank Atlantic Council, am Telefon.“

    Man merkt an diesem blöden Geschwätz, daß es den westlichen Experten sehr unangenehm ist, ihre eigene Ohnmacht gegenüber diesen langbärtigen Fundamentalisten eingestehen zu müssen.

    „Der Experte erklärt, dass die Taliban im Gegensatz zu bewaffneten Gruppen wie den Huthis im Jemen zum Dialog bereit seien und ausländische NGOs operieren ließen, weshalb mehrere Länder den Kontakt zu den De-facto-Machthabern aufrechterhalten.“

    In jedem 2. Satz wird betont, daß die Taliban ja gar nicht legitim sind, aber leider, leider alternativlos!

    „Bereits im September 2021 erklärte die EU, daß sie sich »mit der neuen Regierung Afghanistans arrangieren« müsse, was nicht bedeutete, diese anzuerkennen, sondern vielmehr eine »operative Geschäftsbeziehung« einzugehen, wie es Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für auswärtige Angelegenheiten, ausdrückte.

    Ebenso haben die USA in diesen drei Jahren einen konstanten Geldfluss in das Land aufrechterhalten: mehr als 2 Milliarden Dollar (rund 1,8 Milliarden Euro) an humanitärer Hilfe, Gelder, die größtenteils die afghanische Wirtschaft unterstützen.“

    Sie haben ja auch das Gold und sonstige Vermögenswerte Afghanistans beschlagnahmt, vor dem Hintergrund kann man leicht großzügig sein.
    Die Hoffnung des Westens war offenbar, daß die Taliban früher oder später vor der „internationalen Staatengemeinschaft“ zu Kreuze kriechen und deren Bedingungen im Ausgleich für Wirtschaftshilfe annehmen würde, – aber die denken nicht daran.
    China und Rußland, die nicht so hohe Standards haben, arbeiten eng mit den afghanischen Behörden zusammen und beteiligen sich an Reparatur und Wiederaufbau – und das setzt die westliche Wertegemeinschaft unter Zugzwang.

    In dem Artikel kommt noch ein weiterer Schub dummes Blabla, warum niemand wieder einmarschieren will.

    „Auch die Alternative (zum Einmarsch) überzeugt nicht: Die Unterstützung bewaffneter Widerstandsbewegungen … könnte zu einem Bürgerkrieg führen. (…)“

    Diese „Alternative“ benützen die westlichen Staaten gerne, aber es gibt einfach niemanden, den man bewaffnen und unterstützen könnte.
    Die Taliban haben da reinen Tisch gemacht und störrische Tadschiken- und Usbeken-Häuptlinge hinauskomplimentiert mit der Drohung, sonst wäre die Rübe ab. Auch der Islamische Staat-Khorasan wurde restlos entfernt, auch wenn westliche Medien ihn noch dort verorten wollen.

    „Die Zusammenarbeit …  berührt auch einen wesentlichen Punkt: den Kampf gegen den Terrorismus. Nachbarn wie der Iran, Pakistan oder Russland sowie die USA und die EU begrüßen die Tatsache, daß es Taliban sind, die es mit dem zentralasiatischen Ableger des Islamischen Staates, bekannt als ISIS-K, mit einer bedeutenden Präsenz in Afghanistan, zu tun haben.“

    Die Ausdrucksweise „zu tun haben“,, sich ihm gegenübersehen“ leugnet die Tatsache, daß die Taliban den IS-K erfolgreich bekämpft haben. Wo er heute Unterschlupf findet und Basen betreibt, ist unklar – aber es ist sehr bequem, ihn in Afghanistan zu verorten, um nicht allzu genau nachschauen zu müssen.

    „Diese Gruppe hat mehr Aufmerksamkeit erlangt und ihre Operationen im Ausland sind wirkungsvoller geworden, aber bis die Bedrohung den Westen erreicht, ist ein Eingreifen dieser Staaten unwahrscheinlich“, sagt Ahmad.“

    Ein „Eingreifen“ macht ja nur Sinn, wenn man den IS-K erstens vernichten will – wer will das im Westen? – und man zweitens weiß, wo er sich befindet.

    „IS-K übernahm die Verantwortung für den Anschlag auf ein Konzerthaus in Moskau im vergangenen März und den Anschlag in der iranischen Stadt Kerman im Januar, bei dem mehr als 80 Menschen ums Leben kamen. »Die Terroristen handeln wie damals die Taliban: Sie wollen das Sicherheitsgefühl untergraben und die Kontrolle der Zentralregierung lockern«, fügt er hinzu.“

    Die Taliban haben nie Anschläge im Iran oder in Rußland verübt. Ihre Anschläge galten stets den Besatzungsmächten Afghanistans und deren Kollaborateuren.
    Es ist ziemlich hinterhältig, die Taliban hier mit dem IS-K gleichzusetzen, – sofern es diese Organisation überhaupt noch gibt und sie nicht ein Deckname für andere Aktionen ist …

    Unter der Hand wird hier die These von der Präsenz des IS-K in Afghanistan verbreitet, ohne irgendeinen Beweis.

    „Die befragten Experten zeichnen mehrere Szenarien für die Zukunft Afghanistans: Einerseits ist es möglich, dass die weniger extremistischen Fraktionen der Taliban einen Führungswechsel erreichen, der mit der Notwendigkeit einer Anpassung zum Überleben des islamischen Regimes und für internationale Legitimität begründet wird.“

    Seltsam.
    Erstens sitzen die Taliban zum Ärger des Verfassers fest im Sattel und 2. haben sie es mit der internationalen Anerkennung nicht eilig. Es geht ja ohne auch, wie man sieht.

    „Andererseits können die Taliban so weitermachen, wie sie die letzten drei Jahre regiert haben, ohne ihre religiösen Überzeugungen auf Kosten der Frauenrechte opfern zu müssen.“

    So ist es.
    Und das stört den Verfasser gewaltig.

    „Der andere Weg besteht darin, dass die afghanische Gesellschaft … nach Jahren der Repression, vor allem aber aufgrund einer sich verschlechternden Wirtschaftslage, die Geduld verliert.“

    Die meisten Mitglieder der afghanischen Gesellschaft, auch viele Frauen, ziehen die „Unterdrückung“ dem Krieg, der dort seit 40 Jahren an der Tagesordnung stand, bei weitem vor.

    „Nach Angaben der Weltbank ist die Hälfte der mehr als 40 Millionen Afghanen von Armut betroffen.“

    Das war aber vorher auch schon so. Afghanistan hängt seit Jahren bzw. Jahrzehnten an der UNO-Hungerhilfe.
    Hier wird das Bild eines prosperierenden Afghanistan entworfen, das die Taliban ruiniert hätten und das ist eine fette Lüge.
    Unter der US-Bestzung wurde nach Kabul viel Geld injiziert, das jetzt fehlt.
    Aber die Taliban und ihre Unterstützer arbeiten daran, einmal eine gewisse Ernährungssicherheit herzustellen, Getreide statt Mohn anzubauen und eine rudimentäre Lebensmittelindustrie zu entwickelt – alles Dinge, die vor 40 oder mehr Jahren da waren und das Land halbwegs ernährt hatten.

    „Wenn es zu einem Aufstand kommt, dann nicht wegen der Belästigung von Frauen,“

    – weiter oben war es „Unterdrückung“, jetzt ist es „Belästigung“ –

    „sondern wegen der Arbeitslosigkeit. Armut und die Unfähigkeit, die eigene Familie zu ernähren, gelten als schlimmer als die Bedrohung durch die Taliban oder den IS. »Wenn das Regime nicht für Ihr Volk sorgen kann, wird die Gesellschaft alles tun, um es von der Macht zu befreien«, meint Ahmad“

    vom Atlantic Council.
    Nach dieser Logik hätte es ja in dessen Heimatland, den USA, schon jede Menge Aufstände geben müssen …

    „Diese derzeit noch zurückgehaltene Reaktion der Bevölkerung“

    von der uns der Verfasser überzeugen will – die Taliban stehen kurz vor dem Sturz! –

    „würde die Frauen in führende Position bringen, bekräftigt (die kanadische Frauenrechtlerin) Narain: »Die demokratische Bewegung wird von afghanischen Frauen angeführt. Sie haben keine Angst und werden irgendwann trotz der persönlichen Kosten auf die Straße gehen. Sie kämpfen und unsere Aufgabe ist es, ihnen zuzuhören.«“

    (El País, 15.8.)

    Für Leute vom Schlage dieses Journalisten bleibt also soweit alles beim Alten: Die Frauen – die Untergrundarmee Afghanistans, mit deren Hilfe der demokratische Westen die Taliban stürzen wird.

    Die Taliban wiederum sagen: Solange sich der weibliche Teil unserer Gesellschaft zur 5. Kolonne der Demokratie machen will, kriegen die Frauenzimmer Betätigungsverbot in Politik und Gesellschaft.

  4. Deutschland schiebt 28 Afghanen nach Kabul ab.

    Wie das?

    „Der Spiegel versichert, dass die Operation dank der Vermittlung Katars durchgeführt werden konnte.
    Am Freitag um 6:56 Uhr startete ein Charterflugzeug der Qatar Airways von Leipzig in Richtung Kabul, der afghanischen Hauptstadt. In der Boeing 787 befanden sich 28 afghanische Kriminelle, die zuvor unter großer Geheimhaltung aus mehreren Bundesländern nach Leipzig überstellt worden waren.
    Laut offiziellen Quellen, die in der Veröffentlichung zitiert werden, erhielt jeder Abgeschobene vor dem Einsteigen in das Flugzeug tausend Euro in die Hand. Außerdem flog ein Arzt mit.

    Diese erste Abschiebung afghanischer Staatsbürger wurde seit zwei Monaten vorbereitet.“

    Hat also nichts mit dem Attentat in Solingen zu tun, aber wirkt gut.

    „Die Bundesregierung verhandelte nicht direkt mit der Regierung von Kabul, mit der sie seit der Machtübernahme der Taliban keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhält, sondern bat das Emirat Katar um »diskrete Unterstützung« für die Abschiebung der Kriminellen nach Afghanistan, versichert der Spiegel.“

    (El País, 30.8.)

    Es fragt sich, was Katar den Taliban geboten hat, bzw. was Deutschland ihnen über Katar versprochen hat: Anerkennung gegen Schubabkommen?

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