Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 8.6.: Ständiger Lernprozeß auf dem ukrainischen Testgelände – Teil 2

ÜBERRASCHUNGEN DURCH DIE RUSSISCHE RÜSTUNGSINDUSTRIE

1. Die „schlaue“ Zarenbombe (Gleitbombe)

Unsere Bomben mit dem sogenannten Steuer-Modul für Planung und Korrektur (UMPC) sind zu einem echten »Hit« dieses Krieges geworden, einem System, das leicht als »Superwaffe« eingestuft werden kann – einfach, billig, tödliche Kraft und Genauigkeit. Aber das war nicht immer so.

Im April 2022 lag ich zusammen mit Wostok-Piloten im Korridor des Gebäudes Nr. 20 am Rande von Azowstal. Ich lag da und betete. Bei jedem Bombeneinschlag bog sich die Korridorwand und bewegte sich in Wellen. Ich sagte mir: »Liebe Piloten, bloß nicht das Ziel verpassen!« Die Bomben landeten in etwa 300 Metern Entfernung und damit wurde versucht, die Mitglieder des Azov-Regiments in der benachbarten Werkshalle auszuschalten. Die Bomben fielen im »freien Fall« und die Azovler hatten genug »Stinger« (tragbare Flugabwehrraketensysteme). Daher konnte man die Piloten verstehen – sie warfen die Bomben aus genügend Entfernung ab, um die von den »Stinger«-Raketen beherrschte Zone zu vermeiden. …

Als Folge des Angriffs auf Azowstal wurden die bereits 2003 entwickelten Bombenplanungs- und -regulierungsmodule aus den Schubladen geholt und wiederbelebt. Es stellte sich heraus, daß dieses Modul kostengünstig ist und in wenigen Stunden auf jeder stumpfen Gusseisenbombe mit einem Gewicht von 165 bis 1500 Kilogramm installiert werden kann.
Nun trennt sich die »klügere« Bombe zehn Kilometer vom Ziel entfernt vom Flugzeug und zielt dann eigenständig auf dieses Ziel, mit einer Genauigkeit bis zu einigen Metern. Der erste Auftritt dieses  »intelligentem Gusseisens« war die Eroberung des Werks Avdejevskij Koksochim, wo Luftaufklärungsflugzeuge mit Hubschraubern in Verbindung mit der »großen Luftfahrtwaffe« arbeiteten und in wenigen Wochen alle Widerstandseinheiten des Werks außer Gefecht setzten. Meine Freunde aus der Zielgenauigkeits-Abteilung kletterten dann in der Anlage herum, um die Ergebnisse ihrer Arbeit festzuhalten. Diese Daten sind geheim, aber die zufriedenen Gesichter der Burschen sprachen für sich.“

Die Gleitbomben bzw. selbstgesteuerten Bomben sind also das Mittel, um die Flugzeuge außerhalb der Reichweite der schultergestützten Flugabwehrraketen zu halten, die seit ihren ersten Auftritten in Afghanistan in den 80-er Jahren zu einem fixen Bestandteil der Flugabwehr weltweit geworden sind. (Auch Rußland stellt solche Geräte her und sie wurden auch im Donbass 2014 ff. erfolgreich gegen ukrainische Flugzeuge eingesetzt.)

„2. Plötzliche »Wirbelwinde«

Im Juni 2023 setzten die ukrainischen Streitkräfte auf einem schmalen Frontabschnitt erstmals in großem Umfang NATO-Panzerfahrzeuge ein. Der Plan bestand darin, die Front zu durchbrechen, Reserven in den Durchbruch zu bringen und, wie das Kommando der Streitkräfte der Ukraine und ihre Berater aus dem Westen träumten, »die Moskowiter in das Azowsche Meer zu werfen«. Die Überraschung für sie war der Panzerabwehrflugzeugkomplex »Vichr« (Wirbelwind), der bis zu diesem – richtigen –Moment für niemanden von besonderem Interesse war. Unser militärisch-industrieller Komplex transportiert den »Wirbelwind« seit den 90er Jahren zu Waffenausstellungsräumen auf der ganzen Welt, aber es gab keine Käuferlinie dafür. Obwohl es etwas zu sehen gab – ein Laserleitsystem, Überschallgeschwindigkeit, eine Reichweite von 12 Kilometern, durchdringender homogener Stahl 1,2 Meter – Munition, die den dynamischen Schutz von Panzern, »Grill-Gitter« und Bildschirme, überwinden kann.“

Wenn das System auf internationalen Waffenausstellungen vorgestellt wurde, also kein Geheimnis war, so haben offenbar die militärischen Geheimdienste der NATO fest geschlafen. Denn wo kann man sich besser – und völlig legal und ohne Risiko – über die Waffen des Gegners informieren?
Aber offenbar setzt man weiter auf Westentaschen-James-Bonds, die irgendwo unter riskanten Bedingungen Aufnahmen von neuen Waffensystemen machen, oder auf Informanten, die irgendwelche Baupläne von Wunderwaffen übermitteln.
Oder man lehnt sich satt zurück und sagt: Aufgemotzter Sowjet-Schrott, funktioniert sowieso nicht!

„Und es kam der Sommer 2023. Sobald die feindlichen Panzergruppen zum Durchbruch vorrückten, starteten unsere K-52-Hubschrauber mit »Wirbelwind«-Raketen und trafen Ziele. Laut dem General, der die 58. Armee befehligte, »zerstörten zwei Hubschrauber gleichzeitig fünf bis sieben gepanzerte Fahrzeuge des Feindes.«
Wie mein Kamerad aus derselben Armee, ein Scharfschütze mit dem Spitznamen »Moskau«, der die Offensive der ukrainischen Streitkräfte in der Nähe von Rabotino abwehrte, bestätigte: »Die Hubschrauberpiloten haben sich sehr gut gegen die Panzerfahrzeuge bewährt.« Das ist ein sparsames Lob, aber wer die zurückhaltende Art von »Moskau« kennt, weiß, daß das sozusagen stehenden Ovationen gleichkommt.

Laut dem Entwickler von »Wirbelwind«, einem Vertreter des Kalaschnikow-Konzerns,“

– bürgt für Qualität –

„»wiesen die Raketen eine Wahrscheinlichkeit auf, ein Ziel zu treffen, die nahe bei 1 liegt – 0,9.« In die zivile Sprache übersetzt: Ein abgeschossener »Wirbelwind« ist ein zerstörter »Leopard« oder was auch immer die westlichen Verbündeten der Bandera-Fans sonst noch lieferten.“

Der Koeffizient drückt also die Treffsicherheit aus – pro abgeschossener Munition ein zerstörtes Zielobjekt.

„Die Auslandsbestellungen für »Wirbelwind« haben übrigens bereits begonnen. Die Welt beobachtet den Fortschritt der Militäroperation in der Ukraine mit einem Notizblock in der Hand und notiert, welche Waffen die Feuertaufe bestehen und wer eine Schlappe erleidet.“

Der Ukraine-Krieg ist also eine Werbung bzw. Anti-Werbung für die ganzen modernen Waffensysteme.

„3. Operation »Lancet«

Die »Lancet« (Lanzette)-Angriffsdrohne wurde bereits 2019 erstmals der Öffentlichkeit gezeigt, ein Jahr später in Dienst gestellt und 2021 bereits gegen Militante im syrischen Idlib eingesetzt.“

Syrien mußte eben auch schon als Waffen-Testgelände herhalten.

„Der Motor der »Lancet« ist elektrisch, die Geschwindigkeit erreicht 300 km/h. Der Hauptunterschied zu ihren westlichen Gegenstücken besteht jedoch darin, daß unsere »Lancet« keine Satellitennavigation benötigen. Die Lancet kann bis zu 30 Minuten in der Luft manövrieren und so der Luftverteidigung ausweichen. Das Verlassen des betroffenen Gebiets und die Rückkehr ist ein wichtiger Unterschied zu Raketen. Die »Lanzetten« werden von einem tragbaren Katapult oder vielleicht sogar von der Ladefläche eines Lastwagens aus abgefeuert. Die »Lancet« funktioniert nach einem hochexplosiven Fragmentierungsprinzip – wenn es auf ein gepanzertes Fahrzeug prallt, kommt es zu einem kumulativen Effekt – die Panzerung wird durchgebrannt.“

Die Sprengkraft der »Lancet« übersteigt diejenige herkömmlicher Drohnen-Sprengladungen, weil sie ein Gasgemisch beinhaltet.

„Westliche Experten waren alarmiert, als sich der Einsatz der »Lancet« in der Ukraine ausbreitete, und widmeten ihm Hunderte von Artikeln: ein wichtiges Zeichen dafür, daß die »Lancet« ein Erfolg war.
Im Herbst 2023 schrieben US-Analysten bei der Analyse des Scheiterns der ukrainischen Offensive: ,Die »Lanzetten« zerstörten etwa 200 Einheiten der Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte, und die Zahl der beschädigten Fahrzeuge kann nicht gezählt werden. 15% aller Ziele sind ukrainische Luftverteidigungssysteme, was Russland Luftüberlegenheit verschaffte.‘
Doch den eigentlichen Schock im Westen löste der Abschuß eines ukrainischen MIG-29-Jägers durch die »Lancet« im September 2023 aus. Der Westen hatte nicht mit einer solchen Überraschung gerechnet, so Gott will, nicht mit der letzten.

4. Schrecken vom Himmel – russische Marschflugkörper

Sie können jeden Moment einschlagen, und glaubt nicht, daß ein Betonbunker Sie vor ihnen schützen wird. Dieser Krieg zeigte die Leistungsfähigkeit unserer Raketen. Die ersten, die auftraten, waren die geflügelten »Kalibr«, die bereits im Nahen Osten getestet wurden.“

Testgelände Syrien …

„Ich erinnere mich, wie überrascht viele damals von der Tatsache waren, daß diese Raketen vom Kaspischen Meer aus auf entfernte Ziele in Syrien abgefeuert wurden. »Kalibr« hat eine Reichweite von über 2000 Kilometern. Es gibt die Meinung, daß sie viel länger ist, diese Zahl wird jedoch nicht bekannt gegeben.

Derzeit macht »Kaliber« diejenigen Flugplätze der ukrainischen Streitkräfte platt, die auf den Empfang von NATO-F-16-Kampfflugzeugen vorbereitet wurden. Auch wenn sie sich in Rumänien oder Polen aufhalten sind, bietet dies keinen Schutz vor »Kalibr«.

Und selbst Beton hilft nicht gegen das Hyperschall-Raketensystem »Kinzhal« (Dolch). Das Debüt der »Dolche« an im Ukraine-Krieg fand am 18. März 2022 statt – ein unterirdisches Flugzeugmunitionsdepot wurde in der Region Iwano-Frankiwsk zerstört. Es wurde während der UdSSR zur Lagerung von Atomwaffen gebaut und galt als eines der bestgesicherten (der UdSSR). Laut »The American Conservative« ,konnte Russland Waffen herstellen, die dem amerikanischen Arsenal überlegen sind, was ein »katastrophales Versagen« des Westens darstellt.‘
Die »Dolche« arbeiten sich weiterhin an feindlichen Unterständen ab, und wenn sie müde werden, kommt »Zirkon« zum Einsatz – ein Gerät ähnlicher Bauart.

Ein weiterer »Hit der der Ukraine-Operation« sind die Langstrecken-Marschflugkörper »X-22«, sie wurden bereits in der UdSSR als Anti-Schiffs-Raketen entwickelt. Doch die ukrainische Flotte ist längst Geschichte, deshalb werden mehrmals pro Woche Raketen gegen Bodenziele eingesetzt. Ihre Spezialität ist die Geschwindigkeit. Die X-22 erreicht eine Geschwindigkeit von 3.600 km/h und kann im Prinzip nicht von der heutigen Luftverteidigung des Feindes abgefangen werden.

5. Eine Art Nachwort: Wir lernen, auf echte und wirksame Weise zu gewinnen

Neben den Lancets haben wir noch die »Geranien« (eine russische Variante der iranischen Shahed-Drohnen, für die Ablenkung von Abwehrsystemen)), »Orlans« (Seeadler, selbstgesteuerte Drohnen für schwer zugängliche Objekte), »Tachyonen« (hypothetische Teilchen der Quantentheorie, superschnelle Drohnen), »Eleronen« (Beobachtungsdrohnen »Querruder«) und »Vorposten«(aus der US-Drohne »Searcher“ weiterentwickelte, lasergesteuerte Drohne) – mit einem Wort, eine ganze Brut von Drohnen.
Und die von Bastler-Amateuren geborenen »Volks«-Drohnen »Upyr« (Vampir) werden bereits in Serie produziert.

Es gibt weiterhin das einzigartige Flammenwerfersystem »Solnzepek« [Sonnenschein (!)], das den Feind schockt, aber es wird noch modifiziert, um es noch besser und mit größerer Reichweite zu machen.“

Hierbei handelt es sich um Raketen, die als Salve abgeschossen werden und beim Aufprall Feuer entfachen.

Die Hubschrauber KA-52 und Mi-28 sind nicht nur an sich schön, sondern auch dank ihrer »Wirbelwinde« und »Produkte 305« (eine Rakete mit Lenksystem) auch sehr effizient. Sie werden fortwährend weiterentwickelt – auf den durchschlagenden Erfolgen des Sommers 2023 ruhen wir uns nicht aus.

Der wichtigste Schluß aus alledem: Unsere Verteidigungsindustrie hat sich nicht auf die vorhandenen Muster beschränkt und an ihnen um jeden Preis festgehalten. Nein, die Entwicklung ist weiter im Gange und wird ständig im Krieg getestet.

Schließlich, wir beschönigen nichts und sagen auch nicht, dass überall alles hervorragend ist. Es gibt Bereiche, in denen wir immer noch »durchhängen« und hinter dem NATO-Niveau zurückbleiben.
Jeder an der Front (und sogar im Hinterland) kennt auch die Schwächen – dank Kommunikation und elektronischer Kriegsführung. Sobald wir um diese Schwächen wissen, müssen wir sie korrigieren, das war schon immer so.
Und dann wird Russland durch die Aktion Ukraine die stärkste, hochmoderne und gut bewaffnete Armee schaffen.“

Man merkt aus diesen recht überzeugten Ausführungen des Kriegskorrespondenten, daß Rußland derzeit kein brennendes Interesse an der Beendigung dieses Krieges hat.

Alle Schäden und Toten, die in der Ukraine und auf russischem Territorium anfallen, werden als Kollateralschäden verbucht, die dem erklärten Ziel dienen, die Überlegenheit Rußlands gegenüber der NATO zu demonstrieren: Europa, den USA und der ganzen Welt.

Ein wesentliches Element dieses Krieges sind auch die Kosten geworden, mit denen die ganzen Waffen hergestellt werden.

Rußland stellt seine Waffen unter staatlicher Regie her. Hier gibt es keine Geschäftskalkulationen. Das Militär sagt: Wir brauchen das und das! und es wird produziert, mit eigenen Komponenten. Alles, was Rußland nicht selber herstellen kann, bezieht es über seine Verbündeten: den Iran, Nordkorea, China, oder es besorgt es sich auf dem freien Rüstungs-Weltmarkt.

Die sowjetische Rüstungsindustrie wurde auch in den finsteren Jelzin-Zeiten nie privatisiert, sie unterliegt keinerlei Geschäftskalkulationen.

Die westliche Rüstungsindustrie hingegen ist marktwirtschaftlich organisiert. Jede Drohne, jeder Panzer muß so bezahlt werden, daß der westliche Rüstungskonzern damit ein Geschäft macht.
Das kostet die westlichen Budgets Unsummen. Dazu kommt, daß die Ukraine kein Geld hat. Alles, was sie erhält, ist ein Geschenk.

Viele Lieferungen an die Ukraine, vor allem aus den USA, sind durch Kredite abgesichert. Polen hat riesige Kredite in Südkorea aufgenommen, um sich aufzurüsten, nachdem es bereits im Jahr 2022 den größten Teil seiner größtenteils aus der sowjetischen Zeit stammenden Rüstungsgüter in die Ukraine verschenkt hat.
Damals nahm Polen – genauso wie andere europäische Staaten und auch die USA – an, daß Rußland unter dem Druck des Krieges und der Sanktionen in die Knie gehen und aufgeben würde – und daß sich diese waffenmäßige Entblößung sozusagen in einer Art Siegesdividende „auszahlen“ würde.

Nichts davon ist eingetreten.

Die westlichen Waffenarsenale sind geleert, der Israel-Krieg gegen eine wehrlose Gaza-Bevölkerung hat weitere Waffenarsenale geleert. Das alles kostet einen Haufen Geld und gefährdet die Kreditwürdigkeit des Euro – vor allem, wenn die Ukraine den Krieg verliert, was absehbar ist.

3 Gedanken zu “Pressespiegel Komsomolskaja Pravda, 8.6.: Ständiger Lernprozeß auf dem ukrainischen Testgelände – Teil 2

  1. Nach einem abgewehrten Angriff
    Ukrainische Brigade zeigt russischen »Motorradfriedhof«

    In den vergangenen Monaten häufen sich an der Front die Angriffe russischer Sturmtruppen auf Motorrädern. Ein Experte bezeichnet die Vorstöße als »Glücksspiel«. Die Folgen eines misslungenen Motorrad-Angriffs zeigt nun eine ukrainische Einheit.

    Die 58. motorisierte Brigade der ukrainischen Streitkräfte hat auf Facebook einen zusammengeschnittenen Videoclip veröffentlicht, der die Folgen eines gescheiterten russischen Angriffs zeigen soll. Zu sehen sind in dem gut zweiminütigen Clip ukrainische Artillerie- und Drohnenangriffe auf russische Infanterie sowie etwa ein Dutzend zerstörte oder zurückgelassene Motorräder. Das proukrainische Portal Defence-Blog schreibt angesichts der Aufnahmen von einem »Motorradfriedhof«.

    Wo und wann genau die Aufnahmen entstanden, ist unklar. Westlichen Militärbeobachtern zufolge kämpft die 58. Brigade im Raum der Ortschaft Urozhaine in der Region Donezk. Das Dorf wurde im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 befreit. Seit Mitte Juli steht es wieder unter russischer Kontrolle.

    Die Sichtungen russischer Sturmtruppen auf Motorrädern hatten sich in den letzten Monaten gehäuft. »Russland setzt die Motorräder ein, um seine taktischen Möglichkeiten zu erweitern«, sagt ntv-Korrespondent Rainer Munz. Die Angriffe würden oft nach einem bestimmten Schema ablaufen. »Erst werden mit Gleitbomben die Stellungen der ukrainischen Armee angegriffen, dann kommen die russischen Soldaten auf den schnellen Geländemotorrädern.« Aufgrund der hohen Geschwindigkeit seien die Zweiräder auch besser vor Kamikazedrohnen geschützt, so Munz.

    Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer erinnert die Einsatzmethode an die sowjetischen Motorradaufklärungsregimenter im II. Weltkrieg. Zunächst würde eine Gruppe gepanzerter Fahrzeuge das ukrainische Abwehrfeuer auf sich ziehen. Dann würden die Motorradsoldaten zum Zuge kommen. »Diese Motorräder bilden quasi einen Schleier, der über die ukrainischen Stellungen gelegt wird. Dadurch erkennen die Russen, wo ein Durchbruch möglich ist«, sagte Reisner Ende Juli im Gespräch mit ntv.de. »Dieses Vorgehen hat es den Russen ermöglicht, in den letzten Monaten von einem Grüngürtel zum nächsten und von einer Ortschaft zur nächsten zu gelangen.«

    Ein Analyst von Oryx, einem Portal, das Verluste im Krieg anhand von Bildern und Videos zählt, schrieb zu den Motorradsoldaten bereits im April auf der Plattform X: »Es ist ein normales Kalkül, den Schutz für die Geschwindigkeit zu opfern, wenn dies als notwendig erachtet wird, zum Beispiel durch Aufklärungs- oder Spezialeinsatztruppen. Aber es ist ein Glücksspiel.«“

    (ntv, 5.8.)

  2. Neue Kriegsformen, die sich hier entwickeln:

    „Sicherheitskräfte sprachen über den Anstieg von Luftkämpfen zwischen Drohnen in Tschasov Jar

    TASS: In Tschasov Jar werden zunehmend Luftkämpfe zwischen Drohnen aufgezeichnet

    Russische Drohnenpiloten beteiligten sich häufiger an Luftkämpfen mit Drohnen der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Tschasov Jar, berichtet TASS unter Berufung auf einen Vertreter der Sicherheitskräfte. Es wird berichtet, daß FPV-Drohnenbetreiber zunehmend feindliche Drohnen direkt in der Luft zerstören.
    Gleichzeitig verbreiten Drohnen-Einheiten solche Taktiken. Nach Angaben des Gesprächspartners der Agentur haben erfahrene Drohnenpiloten bereits damit begonnen, Lufthinterhalte zu errichten und feindlichen Drohnen in der Luft aufzulauern.“

    (MK, 23.8.)

  3. … und hier das Ganze von der anderen Seite:

    „Nachtschatten: Welcher Gefahr Drohnenpiloten in der Ukraine ausgesetzt sind

    Der technische und logistische Aufwand für den Start einer einzigen Aufklärungsdrohne ist enorm

    Es ist mitten in der Nacht, irgendwo in der Gegend um Tschassiw Jar in der Region Donezk. Ein kleiner Trupp der 23. mechanisierten Brigade der ukrainischen Streitkräfte wartet auf den Sonnenuntergang – und auf seinen Einsatz.

    Die Einheit "Klare Augen" (Ясні Очі) ist Teil der Aufklärungskompanie der Brigade. Ihr Auftrag in dieser Nacht lautet, die russischen Positionen mit einer Drohne zu erkunden, Informationen zu sammeln und unversehrt wieder abzurücken. Mit ihnen reist diesmal ein Gast: Der Journalist David Kirichenko ist als sogenannter Embedded Journalist mit dabei. Sein Bericht zeigt nicht nur die Gefahren, denen sich die Einheit aussetzt, sondern auch, wie viel technologischer Aufwand betrieben wird, um eine einzige Drohne in die Luft zu bringen.

    Wettlauf gegen russische Drohnen

    Die Truppe, gezeigt werden vier Soldaten, wartet auf den Einbruch der Dunkelheit. Sich tagsüber in dem Transportfahrzeug zu bewegen wäre viel zu gefährlich, denn in Frontnähe wäre der Kleintransporter ein leichtes Ziel für russische First-Person-View-Drohnen. Die Ukrainer sind in diesem Feld im technologischen Vorteil: Laut den Soldaten tun sich die russischen Streitkräfte schwer, an Drohnen mit passabler Nachtsichtfähigkeit zu kommen. Deshalb bewegt man sich besser in der Nacht.

    Trotzdem ist zur Sicherheit ein Störgerät mit an Bord. Diese Jammer sollen die Funkfrequenzen der Drohnen stören, sind aber ein Glücksspiel: Mit ihnen kann nur ein gewisses Spektrum gestört werden, funkt die Drohne auf einer anderen Frequenz, findet sie ihr Ziel ungehindert. Das ist auch der Grund, warum die oft belächelten russischen Schildkrötenpanzer meist mit ganzen Reihen dieser Geräte ausgestattet sind. Mit zweifelhaftem Erfolg, zumal die Ukraine Drohnen entwickelt hat, die trotz Jammings ihr Ziel finden können.

    An der Position angekommen, gilt es, zuerst in der Dunkelheit die Technik auszuladen und möglichst schnell in einen getarnten Unterstand zu bringen. Zuvor müssen die Soldaten aber den Himmel auf russische Drohnen überprüfen, in dieser Phase wäre die Einheit ein leichtes Ziel.

    Starlink an der Front

    Wichtiges Teil des Equipments ist eine mit grünen aufgesprühten Farbflecken und einem Tarnnetz einigermaßen vor russischen Drohnen verborgene Starlink-Antenne. Das Satelliteninternet hat sich in der Ukraine schon in der Vergangenheit mehrfach als enorm wertvoll erwiesen. 42.000 Empfangsgeräte sollen bei der ukrainischen Armee, aber auch bei Hilfsorganisationen und in Krankenhäusern im Einsatz sein.

    Aber auch auf russischer Seite wird die Technologie von Space X eingesetzt. Wie die Russen an die Empfangsgeräte kommen, ist nicht ganz klar. Einige dürften sie von den ukrainischen Streitkräften erbeutet haben, wieder andere dürften wohl über arabische Länder nach Russland geschmuggelt worden sein. Firmenchef Elon Musk bestreitet jedenfalls vehement, je Starlink-Antennen nach Russland geliefert zu haben. Vor kurzem sei es dem Pentagon gelungen, den Dienst für russische Streitkräfte zu blockieren, wie der Kyiv Independent schreibt.“

    Es ist jedoch Rußland auch schon punktuell – bei dem Angriff auf Woltschansk und Umgebung – gelungen, Starlink auf der ukrainischen Seite zu blockieren.

    „In der Nähe von Tschassiw Jar montieren Soldaten mit Stirnlampen eilig die Antennen für die Drohne und starten den Generator, denn all die Technik muss irgendwie mit Strom versorgt werden.“

    Das macht allerdings auch Lärm und verrät die Position, sofern es dafür irgendwelche Spürgeräte auf der russischen Seite gibt.

    „Danach warten sie in ihrem Unterstand auf die Bestätigung, dass die Luft im wörtlichen Sinn rein ist. Erst wenn sichergestellt ist, dass keine russischen Drohnen über dem Gebiet kreisen, können die »Klaren Augen« ihre eigene Drohne starten. Würden die russischen Streitkräfte die Einheit beim Start ihrer Drohne beobachten, käme sie sofort unter Artilleriefeuer.

    Einsatz der Vector-Drohne

    Kommt grünes Licht, wird die Drohne ausgepackt und zusammengebaut.“

    Irgendwie klingt das alles schwerfällig. Warum wird die Drohne erst vor Ort zusammengebaut, wenn der Generator läuft?

    „Es handelt sich um eine Vector aus deutscher Fertigung. Dieses Modell gilt als eine der leistungsfähigsten Aufklärungsdrohnen. Optisch erinnert das Gerät an ein Modellflugzeug, durch drei Rotoren an den Tragflächen und am Heck ist die Vector aber auch ein Senkrechtstarter und kann so auch in beengtem Gelände abheben.

    Die Drohne kann in wenigen Minuten ohne Werkzeug zusammengebaut werden. Kernstück ist eine KI-gestützte Kamera, die selbstständig Zielobjekte erkennen und verfolgen kann. Die Technologie dahinter stammt von dem bekannten Tech-Unternehmen Nvidia. Ein Jetson-Orin-Modul steuert die autonomen Systeme. Diese kommen vor allem in der Robotik zum Einsatz. Durch die KI-Systeme ist die Drohne laut Hersteller Quantum Systems aus Bayern auch gegen GPS-Störungen immun. Sollte die Navigation ausfallen, findet die Drohne autonom ihren Weg.“

    Sieh da, sieh da, wie sich die deutsche Drohnenproduktion inzwischen entwickelt hat.
    Natürlich mit einem idealen Testgelände …

    „Bis zu drei Stunden lang kann der Vogel in der Luft bleiben, bevor der Akku getauscht werden muss. Die Reichweite des Videofeeds beträgt unter Idealbedingungen 35 Kilometer. Diese herrschen im Ukrainekrieg natürlich nicht, aber dennoch schwören die Soldaten auf die Vector. Es sei das beste Marketing für dieses Produkt, dass sie an der Front eingesetzt werden kann, zitiert Kirichenko die Soldaten in seinem Thread auf X, vormals Twitter.“

    Marketing?
    Wofür wurde die Drohne eigentlich sonst konzipiert, wenn nicht für den Einsatz an der Front?
    Um Getreidefelder zu beaufsichtigen, braucht sie keine GPS-Störsicherheit.

    „Die heutige Mission lautet: russische Stellungen in der blutig umkämpften und nun von Russland eroberten Stadt Bachmut auskundschaften. Ein Soldat namens Oleksandr startet die Drohne. Er sagt, er ist stolz auf die Aufklärungsarbeit, die sie leisten. Oleksandr ist eigentlich Apotheker.

    Gamer als Drohnenpiloten gefragt

    Gesteuert wird die Drohne mit einem handelsüblichen Xbox-Controller, der per Kabel mit einem Gaming-Laptop verbunden ist. Damit sie konzentriert und wach bleiben, setzen die Mitglieder der Aufklärungseinheit auf Energydrinks. Bis zu vier große Dosen kippt jeder Soldat in dieser Nacht in sich hinein.

    Gamer sind mittlerweile bei den Armeen auf beiden Seiten gefragte Leute, ihnen wird nachgesagt, die Steuerung der Fluggeräte durch jahrelanges Training am Controller schneller zu beherrschen. Eine Studie der Universität Liverpool aus dem Jahr 2017 bescheinigt Fans von Videospielen sogar Vorteile gegenüber zivilen Piloten. Die Studie legt nahe, dass erfahrene Gamer in stressigen Situationen beinahe ähnlich abgebrüht reagieren wie Piloten von Kampfjets. Auch Panzerbesatzungen sollen schon von Wissen aus Videospielen profitiert haben.

    Reuters zitiert einen 25-jährigen Drohnenpiloten so: »Jedes Mal, wenn ich die Brille aufsetze und den Joystick in die Hand nehme, denke ich an meine Mutter, die mir gesagt hat, dass diese Videospiele nicht gut für mich sind«, sagt er mit einem Lächeln. »Nun, wenn das nicht nützlich ist, was ist es dann?«“

    Eine schöne Widerlegung der mütterlichen Sorgen, daß ihr Sohn für den Kriegsdienst gut vorbereitet ist.

    „Schrecksekunde

    Zurück nach Tschassiw Jar: Kirichenko beschreibt, wie plötzlich russische Drohnen über dem Gebiet kreisen. Eine nahe Artillerieeinheit der ukrainischen Armee hat deren Aufmerksamkeit erregt. Dann taucht plötzlich auch ein ukrainischer Panzer neben der Stellung der Drohneneinheit auf und beginnt, auf russische Positionen zu feuern. Die Besatzung weiß anscheinend nicht, dass in unmittelbarer Nähe eine Gruppe der Aufklärung eine Drohne steuert.“

    Spricht nicht für die Koordination in der ukrainischen Armee.

    „»Einmal saßen wir wie erstarrt da und sahen einander an, während eine russische Drohne direkt über uns schwirrte. Aber wir waren gut abgedeckt, sodass unsere Wärmesignatur nicht zu sehen war, solange wir uns nicht bewegten.“

    Aha.
    Die Unterstände schützen auf diese Art vor Nacherkennung durch Wärmekameras.

    Aber ich fragte mich, ob wir irgendwann trotzdem in die Luft fliegen würden«, schreibt Kirichenko.

    Über Bachmut sammeln die Soldaten Informationen über russische Truppenbewegungen. Die Drohne erkennt dabei Truppentransporter der russischen Armee. Außerdem setzen die Angreifer eine große Zahl an Motorrädern ein, um schnell die Position wechseln zu können, auch diese bleiben den Augen der Drohne nicht verborgen.

    Viermal wird Oleksandr in dieser Nacht den Unterstand verlassen, die Drohne aufsammeln und mit neuen Akkus bestücken, bevor sie wieder abhebt. Kurz vor Morgengrauen noch einmal Nervenkitzel: Sobald der Transporter ankommt, muss die ganze Technik wieder eingeladen werden, und die Truppe ist dabei noch einmal besonders verwundbar. Doch diesmal geht alles gut aus.“

    (Standard, 23.8.)

    Die Ukraine ist ein ideales Testgelände für die Drohnenentwicklung – vermutlich nicht nur Deutschlands, sondern auch anderer EU-Staaten.

    Spätestens seit dem Aserbaidschan-Armenien-Krieg 2020 war klar, daß die Kriege der Zukunft vor allem mit diesen Geräten geführt werden würden.
    Damals hatten die Türkei und Israel bei der Drohnenproduktion die Nase vorne, inzwischen dürften sie von vielen anderen Staaten überholt worden sein.
    Aus Rußland wurden vor dem Krieg angeblich gezielt Drohnenproduzenten mit Steuerfreiheit und Subventionen in die Ukraine abgeworben.
    Aber inzwischen hat Rußland das zu Kriegsbeginn existierende Defizit ausgeglichen.

    Dazu kommen Fortschritte bei der elektronischen Kriegsführung. Das Stören feindlicher Drohnenfrequenzen oder Raketen-Signale ist zu einer wichtigen Komponente bei Abwehr und Angriff geworden.

    Es ist beiden Seiten – Rußland und der NATO – sehr recht, in der Ukraine ihre Waffensysteme in direkter Konfrontation weiterentwickeln zu können.
    Damit wird sozusagen die Aufforderung des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Resnikow wahr, die Ukraine doch ruhig als Testgelände zu betrachten.

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