Landwirtschaft heute

BAUERNPROTESTE

Seit Wochen gehen bzw. besser gesagt fahren die Bauern auf die Straße und protestieren.

Gegen was eigentlich?

Die Berichterstattung über die Ursachen und Ziele der Landwirte, die immerhin für die Lebensmittel in Europa sorgen, ist sehr uninformativ und tendenziös. Vor irgendwelchen möglichen Folgen wird gewarnt – womöglich von rechts mißtbraucht und manipuliert, oh weh, oh weh! –, bezüglich der Ursachen gibt es eine Art Wasserscheu.
Es ist, als hätten die Reporter und Analysten die Befürchtung, bei Fragen nach dem Grund der Unzufriedenheit des Landvolks auf unangenehme Wahrheiten bezüglich Marktwirtschaft, Energiefragen und EU-Außenpolitik zu stoßen.

Straßenblockade in Spanien

1. Landwirtschaft heute

Unter dem Druck der EU-Agrarpolitik und des Lebensmittelhandels haben sich die Landwirte in der EU genötigt gesehen, entweder kräftig zu mechanisieren und zu investieren, oder ihren Beruf an den Nagel zu hängen und sich auf dem freien Arbeitsmarkt um andere Erwerbsmöglichkeiten umzuschauen.

„Weniger Arbeitskräfte leisten immer mehr
Insgesamt sind in Deutschland knapp 1 Million Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt – etwa 2 Prozent aller Erwerbstätigen. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sah das noch ganz anders aus. Damals beschäftigte die Landwirtschaft noch rund 38 Prozent der Erwerbstätigen. Seither ist im landwirtschaftlichen Sektor viel passiert. Traktoren, Mähdrescher und andere Maschinen, Hilfsmittel wie Dünger und ⁠Pestizide⁠, aber auch die zunehmende Spezialisierung der Betriebe machten immer mehr Personal entbehrlich.
Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich mit dem landwirtschaftlichen Strukturwandel, das heißt der Konzentration der landwirtschaftlichen Tätigkeit auf immer weniger und größere Betriebe, die Zahl der Arbeitskräfte halbiert.“
(Umweltbundesamt Deutschland, 2020)

Die französische Landwirtschaft hat in den letzten Jahren eine Zeit schwerer Störungen durchlaufen, was sich in den starken Ausschlägen der Durchschnittseinkommenskurve landwirtschaftlicher Betriebe widerspiegelt. Aber auch über diese jüngste Instabilität hinaus ist festzustellen, dass das landwirtschaftliche Einkommen mittelfristig (seit 1998) einem Abwärtstrend folgt.“
(Französische Landwirtschaft 2012)

Noch einige Zahlen aus Polen, wo es bereits vorher zu Protesten aufgrund von Getreideimporten gekommen war:

„1996 waren 59% oder za.18,5 Millionen ha der Gesamtfläche Polens von 31,1 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche. (…) Von der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Polen ist 76% Ackerland, während der entsprechende Wert in den alten EU-Ländern nur 56% ist. (…) Die durchschnittliche Betriebsgröße in Polen liegt auf 8 ha. (zum Vergleich liegt der EU-Durchschnitt von 18,7 ha).“
(Dänische Website von 1996)

„Etwa 13 Prozent der erwerbstätigen Polen arbeiten in der Landwirtschaft (Deutschland etwa 3 Prozent). (…) Die Regierung schätzt, dass die polnische Agrarwirtschaft ohne Probleme um 40 Prozent gesteigert werden kann. (…) Dafür stehen erhebliche Fördermittel zur Verfügung. (…) Polen könnte bis zum Jahr 2025 zu einem der größten Lebensmittelproduzenten in Europa aufsteigen, schätzen Experten.“
Landwirtschaftliches Wochenblatt, 2016)

Innerhalb von 20 Jahren hat sich die Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft in Polen also halbiert, in Deutschland ist sie auf ein Drittel geschrumpft.
Die polnischen Regierungen waren sich offenbar aller Differenzen zum Trotz darin einig, in den Agrarsektor investieren zu wollen.

Was heißt hier „Modernisierung“?

Man liest und hört das auch seit einigen Jahrzehnten: Möglichst viel Vieh auf relativ wenig Raum, Agrarchemie noch und nöcher, aber vor allem, was zu den derzeitigen Protesten führt: energieintensive Bewirtschaftung. Mähdrescher und Silage-Verpackungen, Traktoren verschiedener Größe und Einsatzfähigkeit, automatisierte Fütterungs- und Melkmaschinen, eine elaborierte Transportlogistik, usw. usf.
Der Ersatz von Mensch durch Maschine ist mit hohem Energiebedarf verbunden.

Dazu kommt noch, daß im Agrarsektor nach wie vor der Familienbetrieb vorherrscht. Diese Unternehmen praktizieren daher eine Art von Arbeitsregime, in der bezüglich Arbeitszeit, Beanspruchung und Einkommen große Elastizität herrscht.
Die folgende Statistik zeigt, wie sehr der Anteil der Familienmitglieder in den letzten 30 Jahren angestiegen ist, während derjenige der Saisonarbeiter stark zurückgegangen ist.

Auf der anderen Seite sehen sich die Landwirte mit einem Agrarmarkt konfrontiert, wo die Großhändler – wenige Firmen kontrollieren einen Großteil des EU-Agrarmarktes, wie sich bei den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre herausgestellt hat – und Handelsketten ständig die Aufkaufpreise drücken wollen und aufgrund ihrer Monopolstellung den Produzenten keine Chance lassen.

Wollen Landwirte auf die Bioschiene umsteigen, wo der Preisdruck geringer ist, so müßten sie viele ihrer Investitionen der letzten Jahre abschreiben, was wegen dafür aufgelaufener Schulden schwer möglich ist, und versuchen, mit Qualität statt Quantität über die Runden zu kommen, was auch gründlich schiefgehen kann, falls Wetter und Klima ihnen bei ihren Berechnungen einen Strich durch die Rechnung machen.

Das war alles schon vor der Pandemie so. Dann kamen noch Schwierigkeiten mit den sogenannten „Erntehelfern“, schlecht bezahlten und untergebrachten Halb-Sklaven aus Osteuropa, mit deren Hilfe sich die Agrarbetriebe in mehreren westeuropäischen Staaten über Wasser gehalten hatten.

Und jetzt die

2. Inflation

In der EU war die Inflationsrate im Dezember 3,4 %, in den einzelnen Mitgliedsstaaten liegt sie laut statista.com zwischen 0,4% (Dänemark) und 7,6 % (Tschechien).
In den Medien wird freudig verkündet, daß das ja ein Fortschritt sei gegenüber den mehr als 10% Inflation im Vorjahr.
Die darin enthaltene weniger frohe Botschaft ist die, daß die Preise seit ca. 2 Jahren in einem fort steigen und damit jeder Mensch für seine Lebensnotwendigkeiten mehr und mehr ablegen muß.
Und zwar ist die derzeitige Inflation dadurch bedingt, daß die Energiepreise seit geraumer Zeit hoch sind und sich das auf alle Güter niederschlägt.

Für die Bauern heißt das einerseits, daß ihre ganzen Kosten steigen, sie dieses aber nicht in dem Maße an die Käufer ihrer Produkte weitergeben können, die ihre gesteigerten Kosten auch nur annähernd decken würde.

Der Lebensmittelhandel kann und will nämlich die Aufkaufpreise nicht erhöhen, weil er die wieder nicht an die Kunden weitergeben kann, dann würde der Endkunde sie nämlich nicht mehr kaufen.

Sodaß die Bauern nur eine Möglichkeit sehen: Der Staat muß einspringen und sie subventionieren, damit sie weiter produzieren können.

Dieses Begehr trifft auf ein Budget, daß für Ukraine-Hilfen und Rüstungsausgaben schon sehr strapaziert wurde, und eine stagnierende bzw. schrumpfende Wirtschaft.

Fortsetzung: Wie diese Bauernproteste besprochen werden

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Weiterführende Artikel:

Zum Thema Landwirtschaft:
Suitbert Cechura: Die Fleischindustrie – 2020

Zum Thema Inflation:
Inflation droht!“ – 2012
Der Schrei nach Inflation“ – 2015
Serie Daten und Statistiken, Teil 4“ – 2021

Ein Gedanke zu “Landwirtschaft heute

  1. Rußland – wichtigste Quelle für Kunstdünger in der EU:

    „Auf in die Abhängigkeit: Europa kauft in rauhen Mengen russische Düngemittel
    Brüssel kritisiert Produkte aus der Russischen Föderation, erhöht aber gleichzeitig die Importe deutlich

    »Europa wird immer abhängiger von russischen Düngemitteln, wie es zuvor bei Gas der Fall war«, berichtete die Financial Times und berief sich dabei auf die Worte eines der größten Düngemittelproduzenten für Nutzpflanzen, des Geschäftsführers von Yara International, Svein Tore Holseter.
    Eurostat veröffentlichte Daten, denen zufolge die EU im Juni letzten Jahres doppelt so viel Düngemittel aus der Russischen Föderation importierte wie im Jahr 2022. Damit liegen die russischen Düngemittelimporte auf Rekordniveau und machen ein Drittel der Gesamtimporte aus.

    Für das Pflanzenwachstum sind Stickstoffdünger erforderlich – Ammoniak und Harnstoff, die mithilfe von Erdgas hergestellt werden. Daher seien »Düngemittel das neue Gas geworden«, schreibt die FT.

    Bereits vor Februar 2022 führte die EU eine grenzüberschreitende CO2-Abgabe ein, während russische Unternehmen aufgrund niedrigerer Produktionskosten einen Wettbewerbsvorteil haben. Die Weigerung, russisches Pipelinegas zu beziehen, kostete die EU viel Geld, besonders betroffen war und ist die Chemieindustrie.
    Im Jahr 2022 wurden aufgrund des rasanten Anstiegs der Gaspreise bis zu 70 % der Stickstoffkapazität stillgelegt, die Produktionskosten stiegen sprunghaft an und Dutzende Anlagen stellten den Betrieb ein. Mittlerweile sind russische Produkte aufgrund des Zugangs zu günstigeren Treibstoffen und Energie billiger als europäische. (…)

    Im Jahr 2023 haben sich die Einkäufe Deutschlands im Vergleich zu 2022 fast verdoppelt und im Vergleich zu 2021 mehr als versiebenfacht.
    Frankreich steigerte das Volumen im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel und verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahr.

    Insgesamt kaufte die EU im Februar dieses Jahres 521,3 Tausend Tonnen russische Düngemittel im Wert von 167 Millionen Euro, das sind 16 % mehr als im Januar. In diesem Jahr steigerte vor allem Belgien seinen Umsatz und steigerte die Importe fast um das Fünffache, Rumänien und Bulgarien um mehr als das Doppelte und Deutschland um das 1,8-fache.
    Damit bleibt Russland mit einem Anteil von 24 % am Gesamtvolumen an erster Stelle beim Import von Stickstoffdüngern in die EU. Weitere wichtige EU-Lieferanten sind Algerien, Ägypten und die USA.

    Die EU ist mit der aktuellen Situation unzufrieden und geht davon aus, dass früher eine Energieabhängigkeit von der Russischen Föderation bestand und nun die gleiche Abhängigkeit von Düngemitteln besteht. Darüber hinaus wurden auch Umweltbedenken hinsichtlich des CO2-Fußabdrucks russischer Düngemittel geäußert.

    Die baltischen Länder und Finnland sind am stärksten von russischen Lieferungen abhängig, aber auch Staaten mit entwickelter Landwirtschaft – die Niederlande, Deutschland und Frankreich – sind derzeit darauf angewiesen. (…)“

    (Izvestija, 13.5.)

    Den EU-Führungskräften ist das nicht recht, aber sie haben kaum eine Handhabe, vor allem angesichts der Bauernproteste.

    Man fragt sich übrigens, wie diese Importe bezahlt werden?
    Durch den Ausschluß Rußlands vom SWIFT-System geht das nur über Zwischenhändler, was den Preis zusätzlich erhöht.

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