SÄBELRASSELN GEGEN RUSSLAND ALS AUSWEIS DER LINIENTREUE
Wenn man die ganzen Posts der letzten Zeit zusammenfaßt, so stellt sich heraus, daß sie etwas deutschlandlastig sind.
Dort bringen sich die Grünen mit Kriegstreiberei in Stellung, um nach dem Kanzlerposten zu greifen und auszunützen, daß die klassischen Parteien keinen perspektivenreichen Kandidaten haben.
Die ehemalige Friedenspartei …
Die EU krankt weiterhin an dem Dilemma, ein zerstrittener Haufen mit Weltmachtambitionen zu sein, der nur durch Festhalten am Rockzipfel der USA und Hetze gegen Rußland so etwas wie Einigkeit hinkriegt. (Lawrow hat kürzlich angemerkt: Bald wird auch entlarvt werden, daß es die Russen waren, die Franz Ferdinand 1914 abgemurkst haben …)
Die Türkei hat sich militärisch zwar gestärkt, ökonomisch aber übernommen. Was dabei herauskommt, wird man erst sehen.
Die USA scheinen noch nach einer neuen Strategie zu suchen, nachdem weder Einmarschieren noch Farbrevolutionen noch Sanktionen die gewünschten Erfolge zu bringen scheinen.
Antikapitalismus/Die Marktwirtschaft und ihre Unkosten/Ideologie/Imperialismus/Krieg/Linke/Recht und Gewalt
Damit die Anmerkungen und Links von NN zur Eskalation in Nahost im Mai 2021 nicht in dem Wust von sonstigen Texten verschwinden, verlinke ich sie noch einmal in diesen Thread hinein
http://NestorMachno.blogsport.de/2020/12/30/imperialismus-heute-fortsetzung-30-12/#comment-42896
sowie –
https://de.gegenstandpunkt.com/dossier/raketen-auf-jerusalem-gaza
Neoprene/Walgesang hatte 2006 auf seinem Blog bereits auf diesbezügliche innerlinke kontroverse Debatten hingewiesen …
http://Neoprene.blogsport.de/2006/09/17/pro_komm-zu-bremer-jl-gruppe-zu-deren-nahost-thesen/
Das Fehlen einer palästinensischen Linken und das angebliche “Versagen von Diplomatie” (die Autoren wollen sich unter Diplomatie lieber was Schöneres vorstellen…) beklagen unter anderem …
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1152024.israel-und-palaestina-es-ist-die-besatzung-stupid.html
https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/gaza-krieg-nr-4
https://www.jungewelt.de/artikel/402398.kolonialkonflikt-kein-frieden-f%C3%BCr-gaza.html
Zu letzterem gab es in der jw bereits den dazu passenden Leserbrief, als Linker “müssse” man einfach sogenannte “antikoloniale Kämpfe” unterstützen – selbst wenn Linke bei diesen Kämpfen gar keine Rolle spielen würden… https://www.jungewelt.de/artikel/402330.pal%C3%A4stina-blutige-konfrontation.html#Comments
Bomben gegen Presse
Israelische Luftwaffe zerstört Medienhochhaus in Gaza. Italienische Hafenarbeiter blockieren Waffentransport für Tel Aviv
Von Nick Brauns
Die israelische Luftwaffe hat am Sonnabend ein Hochhaus in der palästinensischen Enklave Gaza bombardiert, in dem eine Reihe von ausländischen Fernsehsendern und Presseagenturen ihren Sitz hatten. Nachdem ein Militärsprecher den Angriff telefonisch gegenüber dem Besitzer des 12stöckigen Al-Jalaa-Turms in Gaza-Stadt angekündigt hatte, blieb Journalisten und Bewohnern weniger als eine Stunde, um sich in Sicherheit zu bringen, ehe drei Raketen das Gebäude zum Einsturz brachten.
Ziel dieses Kriegsverbrechens sei es, »die Medien zum Schweigen zu bringen und das unsägliche Gemetzel und Leiden der Menschen in Gaza zu verbergen«, erklärte Mostefa Souag, der stellvertretende Generaldirektor des katarischen Fernsehsenders Al-Dschasira, dessen Studio sich in dem Hochhaus befunden hatte. »Aufgrund der heutigen Ereignisse wird die Welt weniger darüber erfahren, was in Gaza geschieht«, befürchtete der Präsident von Associated Press (AP), Gary Pruitt. Die Presseagentur mit Hauptsitz in New York hatte seit 15 Jahren ihre Büros im Al-Jalaa-Turm und lieferte vom Dach des Gebäudes Liveaufnahmen von Luftangriffen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rechtfertigte die Bombardierung des Hochhauses in einer Fernsehansprache mit der Behauptung, der Militärgeheimdienst der in Gaza herrschenden islamistischen Hamas habe von dort operiert. Für die Anwesenheit der Hamas gebe es keinerlei Hinweise, widersprach Pruitt dieser Darstellung. Die Agentur habe das überprüft, um ihre Journalisten keinem Risiko auszusetzen. In der vergangenen Woche hatte die israelische Armee bereits ein anderes Hochhaus zerstört, in dem sich zahlreiche Büros in- und ausländischer Medien befanden. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich »zutiefst beunruhigt« und mahnte, dass jeder willkürliche Angriff auf zivile- und Medienstrukturen gegen das Völkerrecht verstoße.
Bombardiert wurde auch das Haus des als Spitzenfunktionär der Hamas bezeichneten Jahja Sinwar im Süden von Gaza. Der Politiker dürfte sich zu dem Zeitpunkt allerdings an einem anderen Ort aufgehalten haben. Zuvor hatte die israelische Militärführung der Hamas-Spitze mit gezielter Tötung gedroht. Bei einem Luftangriff auf das Flüchtlingslager Schati im Westen von Gaza wurde in der Nacht zum Sonntag eine zehnköpfige Familie, darunter acht Kinder, getötet. Die Zahl der bei israelischen Angriffen Getöteten stieg damit nach Angaben palästinensischer Gesundheitsbehörden bis Sonntag abend auf 145 Personen. Mindestens zehn Palästinenser wurden nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmonds seit Freitag in der besetzten Westbank erschossen und Tausende verwundet, als israelische Soldaten das Feuer auf Demonstranten eröffneten. Ein 50jähriger Mann in einem Vorort von Tel Aviv wurde am Sonnabend das zehnte Todesopfer des seit Montag andauernden Raketenbeschusses der Hamas auf Israel, der größtenteils vom Abwehrsystem »Eisenkuppel« abgefangen wird.
Anlässlich des Jahrestages der Nakba (arabisch für »Katastrophe«) – der Vertreibung Hunderttausender Araber durch zionistische Milizen nach Staatsgründung Israels 1948 – kam es am Sonnabend weltweit zu Solidaritätsdemonstrationen mit den Palästinensern. Praktische Solidarität zeigten Hafenarbeiter im italienischen Livorno. Die in der Basisgewerkschaft USB organisierten Docker weigerten sich, ein Frachtschiff zu beladen, weil es Waffen nach Israel liefern sollte.
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Neuer Eiserner Vorhang
Russland und der Westen
Von Reinhard Lauterbach
Objektiv war damit zu rechnen gewesen. Nachdem die westliche Seite entschieden hatte, eine windige und zweifelhafte Geschichte zum Skandal aufzublasen, wäre es naiv zu erwarten, Russland würde das einstecken wie eine letztlich verdiente Ohrfeige. Die am Freitag abend erfolgte Einstufung von Tschechien und den USA als »unfreundliche ausländische Staaten« durch das Moskauer Außenministerium ist daher nur logisch.
Zur Erinnerung: Die Explosionen in einem tschechischen Munitionslager im Oktober und Dezember 2014, das einer privaten Waffenhandelsfirma gehörte und in dem nicht gerade vorbildliche Ordnung herrschte, führte die tschechische Regierung – mit Rückendeckung der USA und Großbritanniens – auf Machenschaften russischer Agenten zurück; angeblich dieselben Personen, die vier Jahre später unter denselben Tarnidentitäten den Giftanschlag auf Sergej Skripal verübt haben sollen, deren Anwesenheit bei der zweiten Explosion aber nicht einmal behauptet wurde. Es steht also mehr als nur ein Fragezeichen hinter der Story, auf die Tschechien mit der Ausweisung von 20 russischen Diplomaten mit einem Ausrufezeichen reagierte.
Russland blieb Prag nichts schuldig: Es hat erstens eine identische Anzahl tschechischer Diplomaten ausgewiesen – was angesichts des unterschiedlichen Umfangs der Botschaften schon in sich eine Verschärfung bedeutet: 20 Leute entsprachen zehn Prozent der Beschäftigten der russischen Botschaft in Prag, aber 80 Prozent der tschechischen in Moskau. Jetzt setzt Russland an bei den sogenannten Ortskräften. Von denen darf die tschechische Botschaft in Moskau noch 19 beschäftigen, die US-Botschaft gar keine mehr. Das ist für diese ziemlich ärgerlich. Denn »Ortskräfte« – also Bürger der Gastländer im Dienste der Botschaften – machen nach Schätzungen zwischen 50 und 75 Prozent der alltäglichen Arbeit: vom Auswerten der Presse und kleineren Dolmetscherarbeiten bis zum Anbahnen von Kontakten und dem Organisieren von Inlandsreisen. Wer jemals Zeit in den Telefonwarteschleifen russischer Institutionen verbracht hat, kann das Ausmaß ihres Beitrags zum laufenden Betrieb ermessen.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, sich schmunzelnd vorzustellen, dass seine Exzellenz der Botschafter seine Flugtickets selber buchen muss. Es geht um die Rolle von Botschaften im diplomatischen Alltag. Einmischung in innere Angelegenheiten ist ihr Tagesgeschäft, dazu gibt es sie. Bis zu einem gewissen Grad ist das wechselseitig toleriert. Russland definiert diese Grenze gerade herunter. Es nimmt die Feindschaft ernst, die ihm vom Westen erklärt wird. So weit, so schlecht, aber auch so vorhersehbar. Vor einigen Wochen hatte RT DE über die Kündigung seiner deutschen Bankverbindung berichtet; jetzt haben russische Banken der Moskauer Niederlassung des US-Senders Radio Liberty die Konten gekündigt. In kleinen Schritten wächst ein neuer Eiserner Vorhang.
a href=”https://www.jungewelt.de/artikel/402577.krieg-in-gaza-mit-voller-wucht-gegen-gaza.html”>Mit »voller Wucht« gegen Gaza
Israel setzt Angriffe fort. Vermittler suchen Lösungen für Ende der Gewalt
Tel Aviv eskaliert weiter den Konflikt mit den Palästinensern. Am Montag tötete die israelische Armee einen ranghohen Militärkommandeur der Palästinenserorganisation »Islamischer Dschihad«. Der Angriff galt den Angaben der Armee zufolge Hasem Abu Harbid, Leiter des nördlichen Kommandos der Organisation. Er sei für mehrere Anschläge auf israelische Zivilisten und Soldaten sowie für Raketenangriffe auf Israel verantwortlich. Laut mehreren Medienberichten wurden bei einem anderen Luftangriff Israels auf ein Auto in Gaza drei Palästinenser getötet.
Eine Besserung der Lage ist nicht in Sicht. Denn: »Unsere Kampagne gegen die Terrororganisationen wird mit voller Wucht fortgesetzt«, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag. Die Armee habe bislang mehr als 1.500 Ziele im Gazastreifen attackiert. Der Einsatz »werde noch einige Zeit dauern«. Von palästinensischer Seite hieß es, es seien die bisher schwersten Luftangriffe in dem dicht besiedelten Küstengebiet gewesen.
Im Ringen um die Beendigung der Gewalt haben die Sondergesandten des sogenannten Nahostquartetts, bestehend aus Russland, den USA, den Vereinten Nationen und der EU, am Sonntag miteinander telefoniert. Bei dem Gespräch sei es um mögliche Schritte der Vermittler gegangen, um auf eine schnellstmögliche Deeskalation der Lage hinzuwirken, teilte das russische Außenministerium am Montag in Moskau mit. Ziel müsse zudem eine Waffenruhe und der Schutz der Bevölkerung sein. Russland betonte, es müssten so schnell wie möglich Perspektiven für eine politische Lösung des Konflikts geschaffen werden. Israelis und Palästinenser müssten zurück an den Verhandlungstisch. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor unkontrollierbaren Folgen des Konflikts für den gesamten Nahen Osten.
Im Gazastreifen wurden nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums innerhalb der vergangenen sieben Tage mindestens 200 Menschen getötet. Allein in der Nacht auf Sonntag kamen demnach bei Angriffen der israelischen Armee auf Häuser in dem Küstengebiet 42 Palästinenser ums Leben. In Israel wurden Rettungskräften zufolge durch den Raketenbeschuss der Hamas bislang zehn Menschen getötet. (AFP/dpa/jW)
Uniformierung
Medien und Politik zu Antisemitismus
Von Arnold Schölzel
Wer Gotteshäuser angreift oder pauschal Nationen verunglimpft, ist Depp und Straftäter in einem – und wird als solcher ziemlich überall auf der Welt dem Staatsanwalt überstellt. Wer in der Bundesrepublik Synagogen attackiert, ist wie in Halle 2019 in der Regel »biodeutscher« Faschist, der sich auf ein tief gestaffeltes geistiges Hinterland beziehen kann. Bei Polizei und Justiz heißt er »Einzeltäter«.
Antisemitismus hat in diesem Land eine furchtbare Tradition. Die spielte allerdings in der alten und neuen BRD so lange keine Rolle, bis der letzte KZ-Baumeister wie Bundespräsident a. D. Heinrich Lübke 1972 oder der Ex»vertriebenen«minister und Anführer einer ukrainischen Judenmörderbande Theodor Oberländer 1998 nicht in einem Gefängnisbett gestorben waren. Seither, glaubt man Bürgermedien und herrschender Politik, steht die Bundesrepublik in einem ständigen Abwehrkampf gegen Antisemiten. Die sind angeblich kollektiv links oder muslimisch und ihr Erkennungszeichen ist: Sie unterstützen nicht die Kriege Israels.
Gegen sie haben Bundesregierung und Staatsmedien zwei Barrieren errichtet: Erstens die Erklärung, dass die Sicherung des »Existenzrechts« Israels Teil der deutschen Staatsräson sei – ausgesprochen von Angela Merkel 2008. Seither hat sich herausgestellt: Es ging nicht um das Existenzrecht der einzigen Atommacht im Nahen Osten, sondern darum, jeden ihrer Feldzüge vor allem durch Rüstungslieferungen zu fördern. Zweitens: Der flankierende Beschluss des Bundestages darüber, was Antisemitismus ist, vor genau zwei Jahren am 17. Mai 2019.
Beides hatte keinen besonderen Erfolg. Die Aktionen der Hightecharmee mit ihren enormen Todeszahlen unter Zivilisten lösen hierzulande wenig Hurrageschrei aus, obwohl der Bedarf an lautstarkem »Patriotismus« steigt, etwa beim Aufmarsch gegen Russland – eine Art Palästina mit Atomwaffen, um die Formel eines alten US-Haudegens abzuwandeln. Die 2019er Definition von Antisemitismus hat sich eher lächerlich gemacht als durchgesetzt. Die Absicht, Kritik an der Politik Israels als antisemitisch zu denunzieren, ist ihr Inhalt. Das Ergebnis ist eine Art ideologischer Stellungskrieg: Die »Antisemitismus«-Definierer haben in Ämtern und Großmedien das Sagen, können verbieten und hetzen, Linke und Muslime scheinen argumentativ in der Vorhand.
Das soll sich nun ändern. Die »innere Front«, wie Welt-Chefkommentator Jacques Schuster schrieb, soll beseitigt werden – durch Abschiebungen und härtere Strafen, vor allem aber durch Bekämpfung dessen, was Cem Özdemir »migrantischen Antisemitismus« nennt. Und was mit Volksverhetzung selbstverständlich nichts zu tun hat. Die Lage verlangt offenbar mehr Uniformierung von oben. Über die Illusion, Propaganda könne die inneren Konflikte tünchen oder gar kitten, kommen die Frontbegradiger nicht hinaus.
Neue Machtansprüche
USA wollen aus Mittlerem Osten abziehen und sich auf Pazifikregion konzentrieren. Interessen sollen vorher gesichert werden
Von Karin Leukefeld
Die Vereinigten Staaten wollen aus dem Mittleren Osten abziehen. Schwerpunkt des globalen Macht- und Kontrollanspruchs der »Weltmacht Nummer 1« soll künftig die Pazifikregion sein, wo die USA sich China entgegenstellen und Russland einkreisen wollen. Die einst blühende Region des »Fruchtbaren Halbmonds« bleibt verwüstet, zerstört und verarmt zurück. Die Neuordnung des durch Krisen und Kriege seit 100 Jahren destabilisierten Mittleren Ostens gestaltet sich chaotisch.
Um die Kontrolle der geostrategisch wichtigen Region nicht aus der Hand zu geben, sollen die regionalen und europäischen Partner der USA Polizei- und Armeeaufgaben übernehmen. Die NATO-Präsenz im Irak wurde aufgestockt, Wirtschaftssanktionen werden fortgesetzt, humanitäre Hilfe soll verhindern, dass der Exodus aus der Region Richtung Europa außer Kontrolle gerät. Streit um das östliche Mittelmeer und die Kontrolle reicher Gasvorkommen dort ist zwischen der Türkei und den EU-Staaten bereits entbrannt. Die EU soll und will in enger Partnerschaft mit der NATO und gemeinsam mit Israel eigene und US-Interessen sichern. Israel, das aktuell die Früchte des Zorns über die mehr als 70 Jahre andauernde Besatzung, Zerstörung und Entrechtung Palästinas einfährt, wird wegen westlicher »Staatsräson« geschützt.
Der Prozess der Neuordnung der Region birgt Überraschungen. Unklar ist, ob die von den USA forcierte »Normalisierung« der Beziehungen zwischen Israel und einer Handvoll arabischer Staaten Bestand haben wird. Aktiver arbeiten arabische Länder daran, die schwierige Beziehung mit Syrien in Ordnung zu bringen. Noch 2011 hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Katar und Saudi-Arabien zusammen mit den USA, Europa und der Türkei Syrien den Krieg erklärt und einen »Regimewechsel« in Aussicht gestellt. Sie wollten den »schiitischen Halbmond« brechen, vor dem der jordanische König Abdullah II. in einem Interview mit der britischen BBC bereits 2004 gewarnt hatte.
Gemeint war die Ausweitung des iranischen Einflusses, wie es der damalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak 2006 in einem Interview mit dem saudischen Sender Al-Arabija präzisierte. Die Schiiten im Irak und im Mittleren Osten seien »loyaler gegenüber dem Iran« als »gegenüber den Ländern, in denen sie leben«, so Mubarak. Zehn Jahre später, auf der Höhe des Syrien-Krieges, warnte der Oberkommandierende der jordanischen Streitkräfte, Generalleutnant Mahmud Freihat, in einem Interview mit BBC Arabic vor einem »iranischen Gürtel«, der den Iran und Libanon über den Irak und Syrien verbinden könne. Um einen Zugang Teherans zum Mittelmeer zu verhindern, sollte dessen enger Verbündeter Syrien in die Knie gezwungen werden.
Die arabischen Golfstaaten wählten – wie die Türkei und Israel, wie Europa und die USA – Gruppen der syrischen Opposition, die sie unterstützten. Je erfolgreicher diese militärisch waren, desto mehr Geld und Waffen und logistische Unterstützung gab es. Der ehemalige Außenminister und Ministerpräsident Katars Scheich Dschabir Al Thani sprach offen darüber in einem Interview, das er 2017 dem katarischen Fernsehen gab.
Das Ziel wurde nicht erreicht, die Allianz gegen Syrien zerstritt sich und zerfiel. Der Iran, inzwischen nicht mehr nur Verbündeter Syriens, sondern auch Russlands, weitete dagegen seinen Einfluss aus, suchte aber gleichzeitig immer das Gespräch mit Saudi-Arabien. Der Irak bot an, zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln. Für den Iran war General Kassem Soleimani damit beauftragt, Botschaften aus Teheran über Bagdad an Riad zu übermitteln und Botschaften aus Saudi-Arabien nach Teheran zurückzubringen. Anfang 2020 wurde Soleimani mit seinen Begleitern bei einer solchen Mission am Flughafen von Bagdad durch einen US-Drohnenangriff getötet. Doch die Gespräche zwischen beiden Staaten – zumindest zwischen dem selbst im Königshaus angefochtenen saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und Iran – konnten nicht gestoppt werden. Im April 2021 trafen sich in Bagdad erstmals direkt Delegationen aus dem Iran und Saudi-Arabien.
Nach Berichten der libanesischen Tageszeitung Al-Akhbar soll die saudische Seite dabei dem Iran weitreichende Zusagen gemacht haben. Man habe nicht wie andere arabische Staaten vor, die Beziehungen mit Israel zu normalisieren, hieß es. Die Saudis forderten demnach ein Ende des Beschusses saudischer Infrastruktur durch Raketen und Drohnen der Ansarollah (»Huthis«) aus dem Jemen. Im Gegenzug werde Riad auf die jemenitische Regierung – die von Saudi-Arabien und zahlreichen westliche Staaten unterstützt wird – einwirken.
Al-Akhbar vermutete, dass die USA bin Salman an die kurze Leine nehmen würden. Dieser wiederum versuche, seinen regionalen Spielraum als zukünftiger saudischer König zu erweitern. Gespräche mit Iran zu beginnen sei für den Kronprinz »die billigste und machbarste Option«, so die libanesische Zeitung. Washington könne davon profitieren. Die Biden-Regierung will zu dem von den USA unter Präsident Donald Trump im Mai 2018 aufgekündigten Atomabkommen JCPOA zurückkehren. Das und eine iranisch-saudische Annäherung könnte Ruhe in die Region des Mittleren Ostens bringen. Die USA könnten dann ihre militärische Präsenz weiter nach Osten in die Pazifikregion verlagern.
Hintergrund: Teheran und Riad im Gespräch
Der Iran hat Gespräche mit Saudi-Arabien offiziell bestätigt. Zuvor hatte der irakische Präsident Barham Salih erklärt, »mehr als einmal« habe Bagdad beide Staaten zu Gesprächen empfangen. Der Sprecher des iranischen Außenministeriums Said Khatibzadeh sagte Anfang Mai vor Journalisten in Teheran, man konzentriere sich auf regionale und bilaterale Themen. Teheran hoffe, die Spannungen zwischen beiden Ländern und in der Region reduzieren und neue Beziehungen aufbauen zu können. Das sei keine »neue Politik« Teherans. Hatten an dem Treffen am 9. April noch der saudische Geheimdienstchef Khalid bin Ali Al-Humaidan und Said Iravani, stellvertretender Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates des Iran, teilgenommen, sollen bei einem weiteren Treffen im Mai voraussichtlich Botschafter beider Länder zusammenkommen.
Beobachter der Region sehen die Gespräche zwischen Riad und Teheran im direkten Zusammenhang mit den Gesprächen über die Zukunft des Abkommens über das iranische Atomprogramm JCPOA. Die US-Regierung, die versucht, gesichtswahrend wieder in das Abkommen einzusteigen, nimmt an den Gesprächen in Wien indirekt teil. Israel ist gegen die Gespräche und will – wie auch europäische US-Partner und namentlich nicht bekannte arabische Golfstaaten –, dass mindestens die Frage des iranischen Raketenprogramms zusätzlich in das Abkommen aufgenommen werden soll. Der Iran weist das zurück und beharrt auf der Rücknahme aller Wirtschaftssanktionen, die von den USA nach ihrem Ausstieg aus dem JCPOA-Abkommen verhängt worden waren.
US-Außenminister Antony Blinken begrüßte gegenüber der Financial Times die saudisch-iranischen Gespräche. Reden sei normalerweise besser als nicht reden, die Frage sei aber, ob es zu etwas führen werde. Im Juni stehen im Iran Präsidentschaftswahlen an. Sollte bei den Wiener Verhandlungen ein Durchbruch gelingen und sollten die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden, könnte das die Kräfte im Iran stärken, die trotz viel Kritik an Gesprächen und Verhandlungen mit den USA festhalten wollen.
Im iranischen Fernsehsender Press TV sagte der emeritierte US-Professor Beau Grosscup, dass vermutlich die Entwicklung im Jemen-Krieg den arabischen Golfstaaten deutlich gemacht habe, dass sie im Falle eines Krieges mit dem Iran auf sich selbst gestellt seien. Um einen neuen und noch größeren Konflikt in der Region zu vermeiden, sei eine Annäherung zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran unabdingbar. (kl)
Antirussischer Stammtisch
Exoligarch Michail Chodorkowski warnt EU vor Einmischung Moskaus
Von Reinhard Lauterbach
Otto von Bismarck hat einmal gesagt, es gebe zwei Dinge, über die die Öffentlichkeit lieber nicht genau Bescheid wissen solle: die Herstellung von Würsten und die von Gesetzen. Einen kleinen Einblick in die Brüsseler Wurstküche bot die Sitzung des »Sonderausschusses zur Einflussnahme aus dem Ausland auf alle demokratischen Prozesse in der Europäischen Union, einschließlich Desinformation« am vergangenen Montag. Einziger Tagesordnungspunkt war die »Anhörung« des russischen Exoligarchen Michail Chodorkowski.
Sitzungsleiter war der französische Abgeordete Raphaël Glucksmann, Sohn des »Philosophen« André Glucksmann – einem der geistigen Väter der antisowjetischen Wende großer Teile der westeuropäischen Linken in den siebziger und achtziger Jahren – und dem Erbe seines Vaters als enger Mitarbeiter des zeitweiligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili verbunden. Er führte ins Thema ein mit dem Hinweis, es habe neulich im EU-Parlament (EP) eine IT-Panne gegeben. Noch wisse man nichts Genaues, aber natürlich liege es nahe, über eine russische Verantwortung für den Hack nachzudenken. Ihm folgte der litauische Abgeordnete Andrius Kubilius, der die Notwendigkeit betonte, »den Korruptionsexport des Kreml zu stoppen, bevor wir den Einmischungen des Kreml auch in dessen eigenem Land entgegentreten«. Schließlich sei »klar, dass die Zukunft Russlands eine andere sein wird, die Frage ist nur, ab wann«. Von Anfang an ist also deutlich: Die Entrüstung der Abgeordneten über »Einmischungen in demokratische Prozesse« ist ziemlich vorgetäuscht.
Anschließend ein kurzes Statement des polnischen Abgeordneten Ryszard Czarnecki (PiS). Der Mann ist klar kein Fall von »kremlgesteuerter Korruption«, das kann er selbst. Gerade hat er der EP-Kasse 100.000 Euro betrügerisch abgerechnete Reisekostenerstattungen zurückzahlen müssen. Das Auto, mit dem er angeblich gefahren war, war bereits vor elf Jahren verschrottet und abgemeldet worden. »Kriminelle Machenschaften des Kreml« seien Tatsache, sagte Czarnecki, und äußerte die Hoffnung auf neue Enthüllungen aus dem Munde des Stargasts.
Der enttäuschte: Chodorkowski lieferte im wesentlichen eine Presseschau von wirklichen oder angeblichen Aktivitäten russischer Geheimdienste in den vergangenen 15 Jahren: vom Tod Alexander Litwinenkos in London 2006 bis zum kürzlich hochgekochten Skandal um die Explosion in einem tschechischen Munitionslager, bei der nicht einmal alle tschechischen Geheimdienste sicher sind, eine russische Spur vorliegen zu haben.
Chodorkowski mahnte die Abgeordneten zur Vorsicht im Umgang mit dem Material, das er vortragen werde. Es sei von Mitgliedern eines von ihm finanzierten »Recherchekollektivs« – so heißen heute Privatgeheimdienste – namens »Dossier« zusammengestellt worden, und die Ergebnisse seien nicht gerichtsverwertbar. Um die Informationsgeber zu schützen, werde der Bericht auch einzig den Abgeordneten passwortgeschützt zugestellt, nicht aber der europäischen Öffentlichkeit, die angeblich aufgerüttelt werden soll.
Er räumte denn auch selbst ein, dass der Großteil der Aktivitäten, die er als »russische Einmischung« klassifiziert, unter gutnachbarlichen Bedingungen völlig normal sei: Etwa, wenn der ehemalige Chef der russischen Eisenbahn in Berlin eine Stiftung namens »Dialog der Zivilisationen« gründe und diese Konferenzen veranstalten lasse. Da aber die Beziehungen nicht gutnachbarlich seien, könne man Russland diese Aktivitäten nicht durchgehen lassen. Der Zirkel ist offenkundig: Die Feindseligkeit der EU gegenüber Russland wird mit dessen angeblichen Einmischungen begründet, aber Einmischungen werden daraus nur, weil die Beziehungen schlecht sind.
In der Fragerunde präzisierte Chodorkowski das Ziel seines Auftritts: das europäische Politpersonal dafür zu »sensibilisieren«, dass Kontakte zu offiziellen Vertretern Russlands für EU-Vertreter schnell toxisch werden und Karrieren behindern könnten. Es geht um die Etablierung einer Vorabverdächtigung. Wer mit Russen anders als im Modus der Konfrontation redet, soll stigmatisiert werden. Zur strategischen Hauptfrage einiger Abgeordneter, wie lange die Russen Wladimir Putin seine »Propaganda« noch abnehmen würden, muss Chodorkowski allerdings passen: Das wisse er auch nicht.
“Judentum, Zionismus und Israel sind verschiedene Kategorien”…
… – und das erläutert im Interview Moshe Zuckermann über die Ursachen der Eskalation in Nahost, die israelische Innenpolitik und die Antisemitismusdebatte
https://www.heise.de/tp/features/Judentum-Zionismus-und-Israel-sind-verschiedene-Kategorien-6048958.html
Neues Protokoll zum Jour Fixe vom 10.05.2021
„Anti“- gegen „Rassisten“ – Der unrassistische Klassenstaat und seine verfeindeten Moralisten (GS 1-21)
II. Anti- und Rassisten: Gläubige Anhänger der Lebenslügen des demokratischen Rechtsstaats (Fortsetzung der Debatte)
(…) Antirassismus in den USA geht mit der allergrößten Selbstverständlichkeit davon aus, dass eine Person dadurch definiert ist, dass sie einer bestimmten Community oder einer bestimmten Rasse angehört, schwarz, weiß, irisch oder Latino. Auf Grundlage der Existenz dieser verschiedenen Kollektive wird die Forderung erhoben: Angehörige der verschiedenen Kollektive sollen die gleichen Rechte und Chancen haben, und dürfen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Kollektiv in der Konkurrenz nicht benachteiligt werden. Der Standpunkt der harmonischen Gemeinschaft existiert in den USA also im positiven Bezug auf die unterschiedlichen Communities. Für die und deren Mitglieder wird Gleichbehandlung und Gleichberechtigung angemahnt. Alle sollen gleichermaßen darin zusammenwirken, die Gemeinschaft voranzubringen und jenseits aller Unterschiede friedlich zu koexistieren. (…)
Die Realität der Verfassung ist dagegen: Wenn der Staat, ob hier oder in Amerika, unter Berufung auf seine Verfassung die Leute als Gleiche, Freie und mit Menschenwürde ausgestattete Figuren behandelt, dann schafft er genau damit die unschönen Zustände, mit denen die Leute unzufrieden sind. Der Übergang, den die Antirassisten machen, liegt darin, dass sie die Prinzipien des Staates gar nicht darauf überprüfen, welcher Politik sie dienen, sondern sie als hehre Maximen für gut befinden. Dann ist Gleichheit identisch mit Nichtdiskriminierung und die Welt ist in Ordnung. Umgekehrt: Wenn in der Welt etwas nicht für in Ordnung befunden wird, wird dies fälschlich darauf zurückgeführt, dass das Ideal der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung noch nicht ganz verwirklicht ist. Weil Diskriminierung zu ihrem schönen Bild der harmonischen Gemeinschaft nicht passt, klagen Antirassisten ein, dass keinem negativ eine Besonderheit zugerechnet wird.
Die Klagen der Antirassisten beziehen sich auf die Lebenslüge des Staats, dass es seine Aufgabe wäre, sich um das Wohl der Gemeinschaft zu kümmern. (…)
Mit dem Ideal, der Staat müsste sich eigentlich um das Wohl der Leute, das Gute, Schöne und Wahre kümmern, überhöhen Antirassisten die Realität. Was bei ihnen aber gar nicht vorkommt, ist, wie er die Leute tatsächlich behandelt und was er damit bewirkt. Antirassisten kommen nie auf den Punkt, worum es im Staat wirklich geht und wonach er die Leute tatsächlich sortiert. (…) Der Vorwurf ist nicht, dass Antirassisten keine Kapitalismuskritik üben, sondern welche: ‚Ausblenden‘ verweist darauf, dass Antirassisten die Verhältnisse gar nicht objektiv zur Kenntnis nehmen; deren politische oder politökonomische Bestimmungen sind nicht ihr Gegenstand. Was sie vorrangig an den Verhältnissen auszusetzen haben, ist im Text benannt als „das falsche Bewusstsein von dem Privileg, ein weißer Eingeborener zu sein“. (…)
Der Artikel stellt klar: Die Kritik heißt nicht, wie kann man nur mit so einem bornierten Standpunkt auf die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft blicken. Sie heißt: Dieser Idealismus verhimmelt die Konkurrenzgesellschaft angesichts ihrer Realität, die Antirassisten so idealistisch in den Blick nehmen.
In Punkt III.2. wird das Beispiel Personalbüro explizit zum Gegenstand gemacht. Da kann man nochmal diskutieren, wie sich Antirassisten auf die Konkurrenz und die dort stattfindende Diskriminierung beziehen. (…)
—
2. (…) Grundlage des Standpunkts des Hardcore-Nationalismus ist die Stellung des Bürgers, die Anforderungen an sich als Selbstverständlichkeit zu nehmen und gleichzeitig seine gewohnten notwendigen Einstellungen zum Zurechtkommen zu überhöhen und zur Identität und Tugend von sich selbst zu erklären. Die Idee, einem besonderen Menschenschlag anzugehören, ist nicht einfach eine Spinnerei, sondern hat seine Basis im allgemeinen Patriotismus, den die Leute selbst pflegen. Diese allgemeine Stellung wird hier radikal. (…)
Das, was als Tugenden, die einen Deutschen auszeichnen, also als Nationalcharakter besprochen wird, ist nichts anderes als die gewohnheitsmäßige Anpassung an Verhältnisse, die übrigens nicht nur Rechte als ihre Wurzeln bezeichnen. Die Verhältnisse, in denen man lebt, werden gedeutet als das, was einen selbst ausmacht, was einem entspricht. Dazu kommt der rassistische Schritt, der das zur Natureigenschaft zu erklärt. Das Deutschsein ist dann keine Frage des Bewusstseins mehr, sondern eine Frage der Natur, der man nicht auskommt. Der deutsche Staat darf das nicht ruinieren, indem er die deutsche Natur daran hindert, sich auszuleben. Dieser Standpunkt der Besonderheit der Deutschen wird ständig in irgendeiner Weise bebildert. Auch das Argument der Wurzeln ist ein Bild für Unausweichlichkeit, aber keine Begründung. (…)
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II. Freiheit fürs Volk oder Gleichheit für die Menschen: Überzeugungsarbeit für die richtige Gesinnung
1.
Rassisten beziehen sich bei ihrer Überzeugungsarbeit (…)
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Beim nächsten Mal, am 7. Juni 2021, weiter im Artikel „Anti-“ gegen „Rassisten“ (GS 1-21), das nachfolgende Thema wird wie immer auf der Website des GegenStandpunkt-Verlags bekanntgegeben. Vorgeschlagen wurde der Artikel „Klimaschutzprogramm 2030“ (GS 1-21).
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf210510-Anti-Rassisten-2.pdf
https://de.gegenstandpunkt.com/jfp/jf-protokolle
https://de.gegenstandpunkt.com/publikationen/zeitschrift/gegenstandpunkt-1-21
vgl. auch https://www.jungewelt.de/artikel/399999.aus-der-b%C3%BCrgerlichen-gesellschaft-geglaubte-lebensl%C3%BCge.html?sstr=Wentzke
Kehrtwende in Riad
Saudischer Kronprinz schlägt überraschend versöhnliche Töne gegenüber Teheran an
Karin Leukefeld
Ende April überraschte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, als er in einem Interview mit dem Middle East Broadcasting Center versöhnliche Töne gegenüber dem Iran anschlug. Noch 2018 hatte er in einem Interview mit dem US-Sender CBS über den religiösen Führer im Iran, Ajatollah Ali Khamenei, gesagt, dieser sei »Hitler sehr ähnlich«. Nun machte der Kronprinz deutlich, dass er »gute Beziehungen« mit dem Iran anstrebe. Kurz zuvor hatten sich Delegationen beider Länder in Bagdad, der Hauptstadt des Iraks, getroffen. Auch Damaskus wurde ein Besuch abgestattet und die Öffnung der saudischen Botschaft angekündigt.
In dem 90minütigen Interview ging es offiziell um die »Vision 2030«, mit der der Thronfolger 2016 seine Zukunftsplanung für das Königreich skizziert hatte. In dem Jahr hatte Riad den schiitischen Prediger Nimr Al-Nimr hinrichten lassen. Die saudische Botschaft in Teheran ging in Flammen auf, beide Länder zogen ihre Botschafter zurück.
Saudi-Arabien zog an der Spitze einer Militärkoalition gegen die Ansarollah (»Huthis«) in den Jemen-Krieg. Im November 2017 wurde der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri auf »Einladung« des Kronprinzen in Riad festgehalten und gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären. Ein Jahr später, im Oktober 2018, folgte der Mord an dem Journalisten Dschamal Chaschukdschi (englische Umschrift: Jamal Khashoggi) im saudischen Konsulat in Istanbul. Westliche Partner gingen auf Distanz zu bin Salman. Auch innerhalb des saudischen Königshauses kam es zu Konflikten um den Kronprinzen, der Kritiker entmachten oder in einem Luxushotel einsperren ließ, bis diese ihre Steuerschuld beglichen hatten.
US-Präsident Joseph Biden stoppte Anfang 2021 die US-Unterstützung für den Jemen-Krieg. International isoliert und national durch Verluste in diesem Konflikt in die Enge getrieben, scheint für den Kronprinzen die Annäherung an den Iran ein politisch kluger Schachzug zu sein. Iran sei ein Nachbarland, bei dem er auf »gute und besondere Beziehungen« setze, sagte er im Interview mit dem Middle East Broadcasting Center. Der Iran solle wirtschaftlich wachsen, um »die Region und die Welt zu Wohlstand zu führen«. Riad arbeite »mit regionalen und internationalen Partnern« daran, wie »das schlechte Benehmen« Teherans überwunden werden könne. Konkret sprach der Kronprinz das Atomprogramm des Iran und die iranische Unterstützung für »Stellvertreter« an, das heißt bewaffnete Gruppen in der Region. Die Ansarollah im Jemen forderte er zu Verhandlungen auf.
Mit seinem »strategischen Partner« USA stimme Saudi-Arabien »90 Prozent« überein, sagte bin Salman im Interview. Man akzeptiere es aber nicht, wenn Druck auf die inneren Angelegenheiten des Königreichs ausgeübt werde.
Die USA wollen sich zurückziehen aus dem Nahe Osten und an EU und Israel und andere übergeben?
Immerhin, eine gewaltige Entscheidung der US-Regierung. Wenns wahr ist.
Damit wird eine sehr drastische Kehrtwende vollzogen.
Die USA sagen damit, ihre Interessen in der Region sind gering, warum sollen sie für andere die Kartoffeln aus dem Feuer holen.
Ungefähr das Gegenteil dessen, was Hillary Clinton als Außenministerin anstrebte.
Kein Ende der Eiszeit
Bidens Absage an Sanktionen
Von Jörg Kronauer
Leitet Washington im Streit um Nord Stream 2 einen Kurswechsel ein? Das US-Nachrichtenportal Axios jedenfalls meldet, die Regierung von Joseph Biden habe beschlossen, gegen die Betreiberfirma der Erdgasleitung und ihren deutschen Chef nun doch keine Sanktionen verhängen zu wollen. Der Grund: Der US-Präsident lehne die Pipeline zwar weiterhin strikt ab, berichtet Axios, seine Berater seien aber zu der Auffassung gelangt, sie lasse sich allenfalls noch mit Sanktionen verhindern, die deutsche Manager und Unternehmen träfen. Dies aber werde die Beziehungen zur Bundesrepublik ernsthaft schädigen, was wiederum in der aktuellen Weltlage nicht im US-Interesse sei. Nun wird man abwarten müssen, ob die Regierung sich mit der Entscheidung gegen den US-Kongress behaupten kann, wo Republikaner schon jetzt wutentbrannt dagegen Sturm laufen.
Bliebe es – nach all den bisherigen Sanktionen und den durch sie verursachten Schäden – dabei, dass Biden nun, wie angekündigt, mit finsterer Miene Strafmaßnahmen gegen einige weitere russische Schiffe verhängt, die Pipeline aber mit Ach und Krach fertiggebaut werden kann, dann hätte Berlin im machtpolitischen Ringen mit Washington tatsächlich einen Erfolg erzielt. Den bräuchte es dringend, denn bisher hat die Bundesregierung, die stolz »strategische Autonomie« der EU postuliert und auf Augenhöhe mit den USA Weltpolitik treiben will, regelmäßig Niederlagen kassiert. Die Ankündigung, das deutsche Iran-Geschäft gegen die Trumpschen Sanktionen zu verteidigen? Sie ist ergebnislos verpufft. Die Forderung, Washington müsse die Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der EU aufheben? Die Zölle sind bis heute in Kraft. Auch in der China-Politik geben die Vereinigten Staaten den Ton an. Für den Berliner Anspruch, als eine von den USA unabhängige Weltmacht operieren zu können, fehlt bislang jeder echte Machtbeweis.
Ob nun aber auch Russland über die Fertigstellung der Pipeline hinaus auf Erleichterungen hoffen kann, mag man bezweifeln. Zwar sollte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch abend erstmals mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zusammentreffen – wie es heißt, um eine weitere unkontrollierte Eskalation der Spannungen zu verhindern. Tatsächlich hat Moskaus Gegenwehr Washington zuletzt punktuell Unannehmlichkeiten, etwa in bezug auf das Botschaftspersonal, eingebrockt. Dass es zu einem ernsthaften US-Kurswechsel kommt, dagegen spricht einiges. Zum Beispiel beginnt der Westen aktuell neben Ostsee und Schwarzem Meer eine dritte große Manöverfront gegen Russland zu eröffnen – in der Arktis. Dort will Norwegen im kommenden Jahr gemeinsam mit den NATO-Verbündeten die größte Kriegsübung im Polarmeer seit dem Ende des Kalten Kriegs abhalten – mit rund 40.000 Soldaten, kaum 600 Kilometer von Stützpunkten der russischen Nordflotte entfernt. Gespräche hin, Pipeline her: Entspannung ginge anders.
Die Militarisierung der Arktis (20.05.2021)
Die NATO-Staaten bauen ihre Manöver und ihre Militärstützpunkte in der Arktis aus – gegen Russland. Auch die Bundeswehr ist beteiligt.
BERLIN/REYKJAVÍK/OSLO (Eigener Bericht) – Wachsende militärische Spannungen in der Arktis überschatten das heutige Ministertreffen des Arktischen Rats. Die Arktis ist in den vergangenen Jahren immer stärker zum Schauplatz globaler Rivalitäten geworden: Das Abschmelzen des Polareises vereinfacht den Zugriff auf Rohstofflagerstätten und lässt neue Seehandelsrouten frei werden; das verschärft die dortige Staatenkonkurrenz. Darüber hinaus verliert die russische Nordküste zunehmend den bisherigen Schutz durch Eis und extreme Kälte und wird angreifbar; Moskau sieht sich genötigt, sie stärker als bislang zu verteidigen, und hat in seinen arktischen Gebieten neue Militärstützpunkte errichtet. Während Berliner Regierungsberater einräumen, Moskau gehe dabei “prinzipiell defensiv” vor, heißt es bei der NATO, Russland sei heute eine “Bedrohung” für die gesamte Region. Mit aktiver Mithilfe Berlins wie auch der Bundeswehr forciert das Kriegsbündnis die Militarisierung des Polarmeers; das NATO-Mitglied Norwegen kündigt für 2022 das größte Manöver in der Arktis seit dem Ende des Kalten Kriegs an.
Arktische Rivalitäten
Die Arktis rückt seit Jahren immer stärker ins Visier auch der deutschen Außenpolitik, weil der Klimawandel die Polarkappen abschmelzen lässt und das Polarmeer zunehmend für die Schifffahrt öffnet. Damit wird es nicht nur einfacher, arktische Rohstoffe abzubauen: Der U.S. Geological Survey schätzt, dass beispielsweise 30 Prozent der noch nicht erkundeten Erdgas- und 13 Prozent der noch nicht erkundeten Erdölvorräte nördlich des Polarkreises lagern. Es werden zudem neue Routen für den Seehandel frei; bekanntestes Beispiel ist die Nordostpassage nörlich des russischen Festlandes, die Europa und Ostasien verbindet und kürzer als die Route durch den Suezkanal und den Indischen Ozean ist. Ist das arktische Eis einmal so weit abgeschmolzen, dass sie gut befahren werden kann, könnte sie sich zur echten Alternative zu den südlichen Seewegen entwickeln – ein Umstand, auf den zuletzt hingewiesen wurde, als der Containerfrachter “Ever Given” im März den Suezkanal blockierte.[1] Entsprechend der zunehmenden ökonomischen Bedeutung der Arktis publizieren immer mehr Staaten eigene Arktisstrategien – Deutschland, Frankreich und Kanada im Jahr 2019, Schweden, Norwegen und Polen im Jahr 2020. Dabei werden in wachsendem Maß militärische Überlegungen angestellt.[2]
“Prinzipiell defensiv ausgerichtet”
Besondere Aufmerksamkeit wird in der westlichen Debatte seit geraumer Zeit der russischen Arktisstrategie gewidmet, die im Oktober 2020 in Kraft getreten ist. “Russlands strategische Ziele in der Region”, heißt es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sind “prinzipiell defensiv ausgerichtet”.[3] Im Kern geht es darum, die russische Arktis, unter deren Boden sich etwa ein Großteil der russischen Erdgasvorräte befindet, infrastrukturell auszubauen – um die Wirtschaft zu fördern, nicht zuletzt auch, um den Bevölkerungsschwund zu stoppen. Hinzu kommt, dass der Klimawandel Russlands Nordküste, die bisher durch Eis und extreme Kälte tendenziell vor Angriffen geschützt war, freilegt: “Russland erhält gewissermaßen neue Außengrenzen, die es vor einem potentiellen Aggressor zu schützen gilt”, heißt es bei der SWP.[4] Moskau habe deshalb “viele der seit 1990 geschlossenen Stützpunkte aus Sowjetzeiten … reaktiviert und neue Basen errichtet”, so etwa Tiefwasserhäfen, Flugplätze sowie Radar- und Seenotrettungsstationen. Russland zeige “ein defensives Verständnis der Arktis”, sei allerdings für den Konfliktfall “auf eine rasche Eskalation vorbereitet, die zur Verteidigung” auch “offensive Operationen … umfassen kann”.
“Die Dominanz zurückgewinnen”
Genährt werden die russischen Sorgen um die Verwundbarkeit der russischen Nordküste nicht zuletzt durch militärische Aktivitäten der Vereinigten Staaten, die inzwischen sogar mehrere Arktisstrategien vorgelegt haben – eigene Strategiepapiere etwa des Pentagon, der Marine, der Luftwaffe, ein gemeinsames Papier von Navy und Marine Corps sowie ein Papier des Heeres. Hinzu kommen spürbar verstärkte US-Kriegsübungen in der Arktis; so kreuzte im Oktober 2018 erstmals seit dem Ende der Sowjetunion ein US-Flugzeugträger mit seinen Begleitschiffen, die Harry S. Truman Carrier Strike Group, in arktischen Gewässern – und zwar im Europäischen Nordmeer, einem potenziellen Ausgangspunkt für Angriffe auf Russland von Norden her.[5] Seit dieser Übungsfahrt haben die US-Streitkräfte ihre Manöver im Hohen Norden ausgeweitet. Sie dürfen zudem – das sieht ein am 16. April geschlossenes Abkommen mit Norwegen vor – auf insgesamt vier norwegischen Militärstützpunkten eigene Einrichtungen aufbauen, darunter eine Marine- sowie eine Luftwaffenbasis im äußersten Norden des Landes.[6] Die Arktisstrategie des US-Heeres wiederum, die am 19. Januar 2021 verabschiedet wurde, ist unter dem Motto “Die Dominanz in der Arktis zurückgewinnen” veröffentlicht worden.[7]
“Die entscheidende Rolle”
Vor dem heutigen Treffen des Arktischen Rats [8] in Reykjavík hat sich die Diskussion um die Militarisierung der Polarregion zugespitzt. Am Montag hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow im Hinblick auf westliche Beschwerden über russische Militäraktivitäten in der Arktis erklärt, diese seien nötig, um Russlands “arktische Küste zu sichern”: “Das ist unser Territorium”, man werde es schützen; “offensiv” gehe im Polarmeer hingegen die NATO vor.[9] Lawrow drang zum wiederholten Mal darauf, zwecks Reduzierung der Spannungen direkte Gespräche zwischen den Generalstabschefs der Mitglieder des Arktischen Rats wieder aufzunehmen. Bei der NATO heißt es hingegen, Russlands militärische Maßnahmen zum Schutz seiner Nordgrenze seien eine “Bedrohung” für die Region; das westliche Kriegsbündnis werde sich dagegen positionieren. Das genauere Vorgehen werde man auf dem NATO-Gipfel am 14. Juni in Brüssel besprechen.[10] Ebenfalls am Montag hatte Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei einem Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Kopenhagen erklärt, man wolle durchsetzen, “dass das dänische Königreich, die Vereinigten Staaten und die Nato die entscheidende Rolle in der Arktis spielen – und nicht andere”.[11]
600 Kilometer bis zur russischen Nordflotte
Die westlichen Dominanzansprüche werden durch zunehmende militärische Aktivitäten bekräftigt, an denen sich auch die Bundeswehr aktiv beteiligt – schon seit Jahren (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Zuletzt nahm die deutsche Marine an einem Flugkörperschießen vor der Insel Andøya im äußersten Norden Norwegens teil; die Kriegsübung, für die ein Seegebiet in der Größe der russischen Halbinsel Kola gesperrt wurde, fand vom 7. bis zum 9. Mai statt und damit am Jahrestag des Sieges über Nazideutschland, der in Russland ein bedeutender Feiertag ist.[13] Im kommenden Jahr wird Norwegen mit “Cold Response 2022” das größte Manöver in der Arktis seit dem Ende des Kalten Kriegs abhalten – mit rund 40.000 Soldaten. Es soll in der Region Ofoten stattfinden – dort, wo die norwegischen Streitkräfte regelmäßig mit Truppen anderer Staaten trainieren, neben der Bundeswehr zum Beispiel mit Einheiten aus Großbritannien sowie den USA, und wo die Vereinigten Staaten Einrichtungen auf norwegischen Militärstützpunkten etablieren dürfen. Die Bundeswehr nahm im März 2020 bereits an “Cold Response 2020” teil – dies trotz der damals beginnenden Covid-19-Pandemie. Das Übungsgebiet für das Manöver “Cold Response 2022”, an dem die Bundeswehr mutmaßlich ebenfalls teilnehmen wird, ist 600 Kilometer von der Halbinsel Kola entfernt, wo Russlands Nordflotte mit ihren Atom-U-Booten stationiert ist.[14]
Nicht zum Lachen
Ukraine: Nach zwei Jahren im Amt drängt Präsident Selenskij das Land in Richtung Autoritarismus. Repressionen gegen politische Konkurrenz
Von Reinhard Lauterbach
Der Vertrauensvorschuss war enorm, als der frühere Komiker und Schauspieler Wolodimir Selenskij vor zwei Jahren ins ukrainische Präsidentenamt gewählt wurde. 73 Prozent der Abstimmenden erteilten ihm das Mandat. Von diesem Vorschuss ist aktuell nur noch ein kleiner Teil übrig: Selenskij hat Zustimmungswerte im 20-Prozent-Bereich.
Das ist kein Zufall. Bisher hat der Präsident nichts von dem eingelöst, wofür er gewählt wurde. Weder hat er den Konflikt im Donbass beendet – im Gegenteil, der ist heute näher am Wiederaufflammen als jemals seit 2015. Noch hat er die Lebensbedingungen der Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung verbessert: Immer neue Erhöhungen von Strom- und Gastarifen, Mieten und Verkehrstarifen führen dazu, dass die Menschen weiter verarmen. Auch die angekündigte Bekämpfung der Korruption war folgenlos, die einen Schmiergeldempfänger wurden durch andere, der Präsidialadministration genehmere, ersetzt.
Das sorgt inzwischen schon für deutliches Stirnrunzeln bei denen, von denen die staatliche Existenz und das wirtschaftliche Überleben der Ukraine heute abhängen: den westlichen Geldgebern. Als US-Außenminister Antony Blinken Anfang Mai Kiew besuchte, schob er den Bekenntnissen zur »territorialen Integrität« der Ukraine alsbald einen längeren Vortrag über die Notwendigkeit hinterher, »Reformen« vorzunehmen, auch wenn sie schmerzlich seien. Die flammenden Erklärungen Selenskijs und etlicher Minister und Spitzenbeamter, dass die Ukraine heute »an vorderster Front« gegen die »russische Aggression« stehe und deshalb eine bedingungslosere Unterstützung verdiene, verhallten ohne erkennbares Echo.
Das einzige, was Selenskij als Erfolg bilanzieren könnte, ist seine Bekämpfung der Oligarchie – genauer gesagt, einiger missliebiger Oligarchen. Das Parlament verabschiedete im vergangenen Jahr ein Gesetz, das – unter Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot – die Chancen von Igor Kolomojskijs Klagen gegen seine Enteignung als Chef der größten Bank des Landes zunichte machte. Das erfolgte nach heftigem Druck der westlichen Geldgeber. Als das ukrainische Verfassungsgericht im vergangenen Oktober eine Reihe von Bestimmungen der Antikorruptionsgesetzgebung aufhob, versuchte Selenskij zunächst, das Gericht durch Präsidialerlass aufzulösen, obwohl ihm dazu die Kompetenz fehlte. Als das nicht einmal in seiner eigenen Partei auf Rückhalt stieß, entließ er den Präsidenten des Gerichts, Alexander Tupizkij, und ließ ein Strafverfahren gegen ihn wegen angeblicher Beeinflussung von Zeugen anstrengen. Als Argument diente ihm, dass Tupizkij unter dem vorherigen Präsidenten Wiktor Janukowitsch ernannt worden sei und deshalb illegal amtiere.
Auch gegenüber ukrainischen Medien verschärfte der Präsident zuletzt seine Angriffe. Im Februar ließ er auf Antrag des ukrainischen Sicherheitsrates drei Fernsehsender schließen, die mit der größten Oppositionspartei des Landes, der »Oppositionsplattform – Für das Leben«, sympathisierten. Den Kovorsitzenden dieser Partei, den Oligarchen Wiktor Medwedtschuk, ließ die Generalstaatsanwaltschaft vor einigen Tagen in Hausarrest stecken. Sie wirft ihm Landesverrat und die Verschleuderung nationaler Ressourcen vor. Der erste Vorwurf bezieht sich darauf, dass Medwedtschuk über enge Kontakte zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin verfügt, der der Taufpate seiner Tochter ist. Der zweite beruht darauf, dass eine Medwedtschuk gehörende Firma auf der Krim nach deren Eingliederung in die Russische Föderation Vermögenswerte einer Ölbohrplattform vor der Küste der Halbinsel an die russischen Behörden übertragen habe. Was sie anderes hätte tun können, ließ die Anklage offen. Wie die Financial Times vor einigen Tagen schrieb, wurden Medwedtschuks Kontakte nach Moskau selbst unter Präsident Petro Poroschenko gelegentlich für diskrete Gespräche mit Russland etwa über den Austausch von Gefangenen genutzt und der Politiker deshalb in Ruhe gelassen.
Beraubt das Vorgehen gegen Medwedtschuk die »Oppositionsplattform« einer wichtigen Finanzierungsquelle, so attackiert Selenskij inzwischen auch einen einstigen Bündnispartner, den Kiewer Bürgermeister und Exboxer Witali Klitschko. In dessen Stadtverwaltung fanden vergangene Woche großangelegte Razzien statt, die zu elf Anklagen gegen Führungskräfte wegen mutmaßlicher Korruption führten. Am Dienstag durchsuchte die Polizei dann eine Wohnung in dem Haus, in dem auch Klitschko wohnt. Ukrainische Medien vermuten, er solle dadurch davon abgeschreckt werden, bei der nächsten Präsidentschaftswahl anzutreten.
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Auf Linie
Deutscher Auslandssender weist seine Mitarbeiter zum richtigen Sprachgebrauch in bezug auf Nahostkonflikt an
Von Nick Brauns
Am vergangenen Sonnabend meldete das RBB-Programm »Radio eins« in den Morgennachrichten, dass »mehrere antisemitische Demonstrationen« durch Berlin ziehen würden. Gemeint waren weder ein für diesen Tag angekündigter Autokonvoi der AfD noch Aktionen der verschwörungsideologischen »Querdenker«, sondern palästinensische Proteste anlässlich der israelischen Luftangriffe auf Gaza. Offenbar hatte sich hier ein Nachrichtenredakteur von seinen rassistischen Vorurteilen mitreißen lassen, denn Stunden später sprach der Sender korrekt von »palästinensischen Demonstrationen«, wenn auch mit dem Hinweis, es würden antisemitische Vorfälle befürchtet.
Zurückrudern musste in der vergangenen Woche auch der öffentlich-rechtliche Auslandssender Deutsche Welle (DW) – aber in die andere Richtung. Am Dienstag war dort in einem Liveinterview der bekannte palästinensisch-amerikanische Journalist Ali Abunimah in der Sendung »The Day« zu Wort gekommen. Zwei Tage später entschuldigte sich der Sender für das Gespräch mit dem Mitbegründer des seit 20 Jahren existierenden Portals The Electronic Intifada und entfernte die Aufzeichnung mit der Begründung, dass Abunimahs »Äußerungen antisemitisch sind und terroristische Akte rechtfertigen sollten«. Der Journalist hatte von »Israels Regime von Apartheid, Besatzung und Siedlerkolonialismus« gesprochen und deutsche Militärhilfe für den zionistischen Staat kritisiert.
Ob interne Richtlinien der DW-Chefredaktion zur Berichterstattung über »Israel und die palästinensischen Gebiete«, die am Sonntag über Twitter an die Öffentlichkeit gelangten, zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Abunimah schon vorlagen oder erst in Reaktion darauf verfasst wurden, ist nicht bekannt. In dem englischsprachigen Papier werden die Grenzen des Sagbaren bezüglich des Nahostkonflikts für DW-Mitarbeiter festgelegt: »Wir verweisen niemals auf eine israelische ›Apartheid‹ oder ein ›Apartheidsregime‹ in Israel. Wir vermeiden es auch, von ›Kolonialismus‹ oder ›Kolonialisten‹ zu sprechen«, lautet eine Anweisung.
Damit fällt die DW selbst hinter die Einschätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zurück. Denn die keineswegs besonders fortschrittlich eingestellte HRW mit Sitz in New York hatte im April 2021 die israelische Politik gegenüber den Palästinensern offen als »Apartheid« bezeichnet und dabei die Definition durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zugrunde gelegt.
Während sich die DW unter Berufung auf die besondere deutsche Verantwortung infolge des Holocaust zum Existenzrecht Israels als Staat bekennt, darf im Falle der Palästinenser noch nicht einmal deren Land »Palästina« heißen. Dieser Begriff solle von DW-Journalisten nur in bezug auf Aktivitäten der Autonomiebehörde oder in internationalen Gremien verwendet werden. Das Territorium müsse dagegen entweder als Westbank und Gaza oder »palästinensische Gebiete« bezeichnet werden.
Da die Hamas als Terrororganisation eingestuft sei, »beziehen wir uns nicht auf Hamas-Mitglieder als Aktivisten«, betont die Chefredaktion, die keine solchen Hemmungen bezüglich syrischer »Aktivisten« hatte, die mit der Hamas Weltanschauung und Methoden teilen, aber aus Sicht des deutschen Auslandsfunks gegen den richtigen Gegner kämpfen.
Während die Framing-Vorgaben der DW nur durch ein Leak an die Öffentlichkeit gelangten, macht der Springer-Verlag keinen Hehl aus seinem bedingungslosen Rückhalt für Israel. So heißt es im verpflichtenden Verlagsstatut neben einem Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft und zum transatlantischen Bündnis: »Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel.« Welcher Teil des jüdischen Volkes unterstützenswert erscheint, bestimmen dabei offensichtlich die Journalisten von Welt und Bild. Denn antizionistische Juden und jüdische Friedensaktivisten, die sich hinter die Israel-Boykottkampagne BDS stellen, sehen sich in den Springer-Blättern ebenso pauschal wie palästinensische Demonstranten mit dem Antisemitismusvorwurf belegt.
Nur eine Geste
USA verzichten auf neue Sanktionen gegen Betreibergesellschaft von Nord Stream 2. Aber die alten bleiben in Kraft
Von Reinhard Lauterbach
Die USA werden vorläufig keine neuen Sanktionen gegen die Betreiber der im Bau befindlichen Gaspipeline Nord Stream 2 verhängen. Das geht aus einem Bericht hervor, den US-Außenminister Antony Blinken den beiden Häusern des Kongresses zugeleitet hat. Blinken begründete die Entscheidung von Präsident Joseph Biden mit der »nationalen Sicherheit«: die Fortführung des unter Donald Trump begonnenen Sanktionskurses sei geeignet, die Beziehungen der USA zu den europäischen Alliierten, insbesondere der Bundesrepublik, zu belasten. Das US-Außenministerium betonte gleichzeitig, es sei weiter bestrebt, mit »allen verfügbaren Mitteln« die Fertigstellung der Pipeline zu verhindern. Inneramerikanische Kritiker im Kongress warfen auf die Entscheidung hin Präsident Biden vor, »Putin ein Geschenk« gemacht zu haben. In Moskau wurden die Berichte vorsichtig als »Schritt zur Normalisierung« begrüßt.
Konkret betrifft der Sanktionsverzicht der USA die im schweizerischen Zug ansässige Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG und deren Vorstandsvorsitzenden Matthias Warnig. Sanktionen der USA gegen vier russische Rohrverlegeschiffe bleiben aber ausdrücklich in Kraft; diese Schiffe sind in der Ostsee beim Bau von Nord Stream 2 und im Schwarzen Meer bei der Verlegung der russisch-türkischen Gasleitung »Turk Stream« im Einsatz. Auch frühere Sanktionen gegen Firmen, die das Ostseeprojekt versichern oder zertifizieren sollen, wurden nicht aufgehoben.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) äußerte sich erleichtert über die Entscheidung der USA. Das gebe die Chance, die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu verbessern. Der Streit um den Bau der Pipeline sei das einzige schwerwiegende Problem, das die Beziehungen zwischen Berlin und Washington ernsthaft belastet habe, sagte Maas. Skeptischer äußerte sich der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, Klaus Ernst (Linke). Die russische Agentur RIA zitierte ihn mit der Aussage, wenn die USA wirklich einlenkten, wäre dies eine »vernünftige Entscheidung« und würde zeigen, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich wieder respektvoll mit ihren souveränen Alliierten umgehen wollten.
Wie es jetzt mit der Pipeline weitergeht, ist unklar. Zum Baufortschritt gibt es unterschiedliche Angaben. RIA zitierte den deutschen Generalkonsul in Jekaterinburg, Matthias Kruse, mit der Aussage, es seien noch etwa 80 Kilometer in dänischen und 28 Kilometer in deutschen Gewässern zu verlegen. Andere Quellen nennen längere Abschnitte. Wenn die Angaben Kruses stimmen, würde das bedeuten, dass seit der Wiederaufnahme der Bauarbeiten Anfang Mai etwa die Hälfte der ausstehenden Strecke verlegt worden wäre. Beim russischen Gaskonzern Gasprom hieß es, die Leitung könne »noch 2021« fertiggestellt werden.
Die vollständige Verlegung der Röhren ist aber nur ein Aspekt des Baus. Bevor die Leitung in Betrieb genommen werden kann, muss sie zertifiziert werden. Die bisher damit beauftragte norwegische Gesellschaft »Norske Veritas« hatte sich unter dem Druck der US-Sanktionsdrohungen Anfang 2021 aus der Beteiligung an dem Projekt zurückgezogen. Wer diese Aufgabe jetzt übernehmen könnte, ist gleichfalls unklar.
Offen ist auch der politische Umgang mit dem Projekt nach der Bundestagswahl. Bisher hat insbesondere die SPD Nord Stream 2 unterstützt; sollten nach der Bundestagswahl die Grünen im Kabinett sitzen, ist größerer politischer Widerstand zu erwarten. Die Grünen sind gegen das Projekt sowohl aus Gründen des Klimaschutzes als auch, weil es Russland zu zusätzlichen Einnahmen verhelfen würde.
Innerhalb der Union ist zuletzt die Forderung lautgeworden, die Genehmigung zur Inbetriebnahme von Nord Stream 2 an politische Bedingungen zu knüpfen. Eine lautet, Russland zu nötigen, den 2024 auslaufenden Gastransitvertrag durch die Ukraine nochmals zu verlängern; eine andere besteht in der Drohung, die Leitung zu sperren, falls Russland sich gegenüber der Ukraine »aggressiv« verhalte. Mit letzterer Drohung dürfte indes nicht Ernst gemacht werden. Denn sobald sich Abnehmer in Deutschland und Westeuropa auf Gaslieferungen eingestellt haben, könnte dies sonst zu Versorgungsproblemen führen, für die keine Bundesregierung gerne die Verantwortung übernehmen würde.
Will eigentlich wer diese Pipeline noch bauen? – frage ich mich.
Presseschau zu Nordstream 2
Ende Dezember waren laut Gazprom 94 Prozent der Pipeline fertig gebaut. Ende Januar sowie Anfang Februar hatte das Verlegeschiff Fortuna Montagetätigkeiten in dänischen Gewässern vorgenommen. Laut dem Pipeline-Betreiber waren Anfang Februar 2021 noch etwa 120 Kilometer Pipeline in dänischen und rund 28 Kilometer in deutschen Gewässern zu verlegen. Die Verlegetätigkeiten im Februar mussten aufgrund einer Kaltfront zwischenzeitlich ruhen. Anfang April 2021 beschwerte sich der russische Bauleiter über riskante Manöver der polnischen Marine nahe der Bauarbeiten. Weitere Zahlen hat NN oben genannt.
Anfang Januar 2021 wurde durch den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit der Mehrheit von SPD, CDU und Linkspartei die Gründung der Stiftung Klima- und Umweltschutz beschlossen. Des Weiteren soll sie nach Medienberichten den Weiterbau der Pipeline ermöglichen. Es wird vermutet, dass mit dem Vermögen der Stiftung beispielsweise Baugeräte gekauft werden sollen, wenn Bauunternehmen sich aus Angst vor US-amerikanischen Sanktionen nicht (mehr) am Bau beteiligen wollen. Stiftungsvorstand ist der ehemalige mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsident.
Die Anschluss-Transportleitungen über Land zum Anschluss an die Pipeline wurden im April 2021 fertig gestellt. “Auf rund 485 Kilometer wird die Gas-Pipeline verlegt, davon rund 100 Kilometer in Mecklenburg-Vorpommern rund 275 Kilometer in Brandenburg und rund 110 Kilometer in Sachsen. Das russische Gas wird über die Ostsee-Pipeline Nordstream im vorpommerschen Lubmin bei Greifswald angeliefert. (…) Eigentlich war die Europäische Gas-Anbindungsleitung (Eugal) dazu gedacht, russisches Erdgas von Lubmin aus in den Süden zu transportieren. Durch die Sanktionen und den internationalen Streit um den Weiterbau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ist der Nachschub weiterhin unsicher. Die Eugal-Trasse selbst wäre dann jetzt aber einsatzbereit.”
https://www.nordkurier.de/anklam/zweiter-strang-der-eugal-leitung-fertiggestellt-0443020404.html
– Als Industrieprojekt der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat das Projekt im ansonsten deindustrialisierten Norden (die Kapazitäten der ehemaligen DDR-Häfen sind weitgehend inzwischen im prosperierenden Hamburg gelandet….) seine Nützlichkeit gehabt.
Ansonsten ist das Projekt nach wie vor Teil des generellen Energiemixes der dt. Regierung, die auch andernorts allerlei unklare Baustellen kennt (Stromtrassenausbau von Norden nach Süden, Windkraftanlagen etcpp).
Die Pipeline-Betreiber werden versuchen, auch den Rest des Baus vor den Bundestagswahlen fertig zu stellen – was auch weiterhin leicht durch Seemanöver angrenzender NATO-Mächte (Polen, Balten) zu behindern sein wird…
Leserbriefschreiber Istvan Hidy kommentiert in der jw, dass Biden wegen der Konfrontation mit China eine Art Verständigung mit Russland suchen würde:
“Biden drängt auf einen Gipfel mit Putin, so berichtete der Spiegel am 4. Mai 2021. Die USA und Russland belegten sich zuletzt gegenseitig mit Sanktionen. Um die Lage zu deeskalieren, will US-Präsident Biden im Juni seinen russischen Amtskollegen Putin treffen. Russland bedeutet wirtschaftlich keine besondere Gefahr für die USA, jedoch militärisch ist hier für letztere nichts zu holen. Die USA sind an ihre Grenze gestoßen und haben höchstwahrscheinlich auch bewusst registriert, dass es Unsinn ist, weltweit gegen die Chinesen und Russen gleichzeitig vorzugehen. Ich erwarte, dass in der Russland-Politik eine radikale Änderung bevorsteht. Und wenn durch Nord Stream 2 Gas fließt, ist das mehr als nur eine Geste.”
https://www.jungewelt.de/artikel/402816.gaspipeline-nur-eine-geste.html
Dass die Trump-Regierung den Punkt deswegen wichtig gefunden habe, um im Gegenzug Frackinggas an die BRD verkaufen zu können, – auch das ist ein Teil des geostrategischen deutschen Energiemixes, der in der Öffentlichkeit als “Klimaproblematik” verhandelt wird.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/gas-von-nord-stream-2-und-fracking-aus-den-usa-was-ist-klimaschaedlicher-a-757f6369-44f3-42db-a9ac-07bb7abd0cd1
Raus aus der Defensive
Notiz zu Marxismus und Verfassungsfeindlichkeit
Von Felix Bartels
Seit 2004 beobachtet der deutsche Inlandsgeheimdienst die marxistische Tageszeitung junge Welt. Seither wird das Blatt in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz als einzige Tageszeitung mit einem eigenen Eintrag bedacht. Auf die nachteiligen, nicht zuletzt wettbewerbsrechtlichen Folgen dieser regelmäßigen Nennung haben Redaktion und Verlag in einem offenen Brief an die Fraktionen des Bundestages hingewiesen und sie um eine Stellungnahme gebeten. Die Fraktion Die Linke hat daraufhin mit Datum vom 29. März eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die zuständige Behörde, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, antwortete am 5. Mai in Person des Parlamentarischen Staatssekretärs Günter Krings. Die erteilten Antworten lassen ein sehr spezielles Verständnis von Meinungs-, Presse- und Gewerbefreiheit erkennen.
Diese Zeitung hat in der Folge umfassend über die Angelegenheit berichtet. Das warf auch grundsätzliche Fragen auf, etwa zum Verhältnis von Marxismus und Verfassungsfeindlichkeit beziehungsweise: Wie halten es Marxisten in diesem Land mit dem Grundgesetz? Zum Jahrestag der am 23. Mai 1949 erlassenen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland diskutieren dazu an dieser Stelle Felix Bartels und Martin Kutscha. (jW)
Eine Tageszeitung, die es mit dem Marxismus und seinen politischen Zielen hält, wird von einem Staat, dessen Einrichtung diesen Zielen unvermeidlich im Weg steht, als feindlich eingestuft. Das Amt für Verfassungsschutz observiert. Die Zeitung protestiert. Ich verstehe das. Sie hat die Pflicht, auch morgen noch da zu sein und sich also gegen wirtschaftliche und politische Schädigung zu schützen. Und natürlich bleibt sie eine Zeitung, eine Einrichtung also, die vermittels Worten kämpft. Doch was bedeutet das denn eigentlich, Verfassungsfeindlichkeit?
Vielleicht ist es ein Fehler, aber ich bringe nicht fertig, einem politischen Feind zu verübeln, dass er nach Maßgabe seiner Zwecke handelt. Ich verüble ihm die Zwecke selbst. Doch dass er sie klar erkennt und befolgt, hat Ordnung. Ich möchte einfach nicht darüber jammern, dass er mich bekämpft. Ich täte an seiner Stelle dasselbe. Unsere Feindschaft ist objektiv. Das macht einen Grund zu kämpfen, nicht zu klagen. Ich lege so viel Gewicht auf diese Nuance, weil ich sie in der Berichterstattung der jungen Welt etwas vermisst habe.
Sicher kann man das Kalkül zerpflücken, dessen das Bundesministerium sich zur Rechtfertigung seiner Einstufung bedient. Das ist auf den Thema-Seiten auch ausführlich passiert (»Doppelte Standards«, jW vom 8. Mai 2021), etwa in der trefflichen Bemerkung der Autoren, dass nach Auffassung der Behörde die Feststellung, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, die Menschenwürde verletzt, die Tatsache, dass wir darin leben, aber nicht.
Sinnvoll in solchen Lagen auch: das Ausnutzen doppelter Standards. Man zeigt, dass die Ideale, die der politische Gegner sich selbst aus Gründen der Distinktion und Propaganda zuschreibt, ungefähr so haltbar sind wie ein Joghurt in der Sonne. Stefan Huth weist darauf hin, dass dieselbe Regierung, die die junge Welt an der Ausübung ihrer Tätigkeit hindert, im Fall von China, Russland und Kuba »großzügig Kritik und gute Ratschläge« erteilt, wie das mit der Pressefreiheit so zu handhaben sei (»Der Staat gegen junge Welt«, jW vom 8. Mai 2021). Jener liberale Spielraum, den Länder wie die Bundesrepublik sich leisten, ist keine genuine oder idealtypische Eigenschaft der Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise, sondern lediglich der wenigen Staaten, die auf deren Sonnenseite liegen. Der Hinweis, dass die kategorischen Imperative der bürgerlichen Gesellschaft gar keine sind, erweist sich als wichtig, weil man hierzulande auf diesen Idealen die Überzeugung sittlicher Überlegenheit gegen Autokratien und andere Staatsformen aufbaut.
Gleichwohl bleibt mir das alles zu sehr mit der Wand im Rücken gesprochen. Wir leben nicht mehr in den Neunzigern. Zbigniew Brzezinski hat sein großes Schachspiel verloren, Francis Fukuyamas Ende der Geschichte ist zu Ende. Man muss raus aus der Defensive. Erst recht vor dem Hintergrund, dass es in der Linken letzthin schwer in Mode kam, auch ein wenig Opfer zu sein. Opfer sein aber macht noch kein sittliches Zeugnis, mithin keine Leistung.
Ich finde es seltsam, den Vorwurf zu lesen, das Ministerium stelle mit seiner Auskunft »den Marxismus pauschal und so eindeutig unter Generalverdacht (…), wie das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht vorgekommen ist« (»Doppelte Standards«, jW vom 8. Mai 2021). Wer Marx sagt, sagt Kommunismus, wer Kommunismus sagt, muss Sozialismus sagen.
Vergesellschaftung der Produktion also, Volkseigentum, das nie anders denn in Form des Staatseigentums realisiert werden kann. Sozialismus ist ohne Bodenreform und umfassende Enteignung der gegenwärtig besitzenden Klasse nicht denkbar. Diese Akte müssen in einer Verfassung verankert werden. In welcher Form auch immer eine Beseitigung des Kapitalismus passieren wird, sie ist ohne eine gründliche Überarbeitung der Verfassung nicht möglich. So hätte zum Beispiel der Artikel 15 des Grundgesetzes die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln nicht lediglich zu erlauben (wie gegenwärtig), sondern ausdrücklich vorzuschreiben.
Und auch über die rahmengebenden Artikel 14 und 15 hinaus machte eine sozialistische Gesellschaft den Umbau der Verfassung nötig. Dass die Wohnung unverletzlich ist (Art. 13), muss auch bedeuten, dass sie dem Bewohner nicht genommen werden und keiner anderen Privatperson gehören darf. Ehe und Familie (Art. 6) müssen getrennt behandelt und definiert werden. Bei den Eigenschaften, nach denen kein Mensch bevorzugt oder benachteiligt werden soll (Art. 3), müsste neben Rasse, Religion, Geschlecht usf. auch finanzielles Vermögen stehen. Und diese Art Umbau des Grundgesetzes würde sich zwangsläufig auch auf alle anderen Gesetzestexte sowie den Bau und die Abläufe des Staates auswirken.
Hier ist nicht der Ort, das im einzelnen zu diskutieren, auch wenn sich damit ein Meer von offenen Fragen auftut. Für heute will es mir bloß darum gehen: Marxisten sind zwangsläufig Gegner des bestehenden Grundgesetzes. Nicht jedes einzelnen seiner Artikel, nicht einmal von deren Mehrzahl. Aber das Grundgesetz muss erweitert werden um Elemente, die den sozialistischen Systemcharakter bestimmen bzw. absichern. Es muss befreit werden von alten Elementen, die den Neuerungen widersprechen und den Charakter der kapitalistischen Formation tragen. Und manches muss einfach auf den kulturellen Stand unserer Zeit gebracht werden.
Der politische Betrieb der Bundesrepublik profitiert davon, im Ausdruck »Verfassungsfeinde« den Unterschied zwischen dem Abbau von Grundrechten und ihrem Ausbau zu verwischen. Jede Abweichung vom gegebenen Stand gilt ihm gleich. Marxistische Organe oder Personen, die sich dem Anwurf der Verfassungsfeindlichkeit ausgesetzt sehen, scheinen mir besser beraten, diese Differenz in den Abweichungen herauszustellen, als damit, den Vorwurf, man wolle die Verfassung ändern, zurückzuweisen.
Verfassungsschutz von unten
Das Erringen von Regeln des Verfassungsrechts ist ein Problem des Klassenkampfs. Eine Replik auf Felix Bartels. Von Martin Kutscha
Von Martin Kutscha
»Marxisten sind zwangsläufig Gegner des bestehenden Grundgesetzes«, behauptet Felix Bartels. Er befindet sich damit im Einklang mit Vertretern des Verfassungsschutzes sowie den Anhängern des rechten Parteienspektrums, die dasselbe schon immer behauptet haben – wenn auch ansonsten die politischen Positionen des Autors durchaus konträr sein dürften. Die Behauptung einer Unvereinbarkeit marxistischer Auffassungen mit der deutschen Verfassung ignoriert indessen sowohl deren Inhalt als auch ihre Entstehungsgeschichte: Zwar wurde das Grundgesetz auf Weisung der Militärgouverneure der westlichen Besatzungszonen Deutschlands geschaffen, und nie wurde es einem Volksentscheid unterworfen. Auch könnte es durchaus eine Modernisierung zum Beispiel durch die Aufnahme sogenannter sozialer Grundrechte (Recht auf Arbeit, auf Wohnraum etc.) vertragen. Gleichwohl spiegelt sich in seinen Normen ein Kompromiss zwischen entgegengesetzten Klasseninteressen wider, womit das Grundgesetz inzwischen weit links von der heutigen »Realverfassung« der gesellschaftlichen Machtverhältnisse steht.
Wolfgang Abendroth, der unvergessene sozialistische Politik- und Rechtswissenschaftler, hat als Zeitzeuge die politischen Entstehungsbedingungen in den Jahren 1948/49 anschaulich beschrieben: Im Parlamentarischen Rat, der den Text des Grundgesetzes formulierte, standen sich »Anhänger und Gegner der überkommenen und der sozialistischen sozialökonomischen Ordnung gegenüber, wobei die ersteren parteipolitisch auf FDP, DP (Deutsche Partei) und einen Teil der CDU und der CSU, die letzteren auf KPD, SPD, Zentrum und einen anderen Teil der CDU und CSU sich stützen konnten. Es war offenkundig undenkbar, den Streit voll auszutragen, wenn mit überzeugender Mehrheit ein als provisorische Ordnung gedachtes Grundgesetz verabschiedet werden sollte.«¹
Nur so sind die Verpflichtung auf die Sozialstaatlichkeit anstelle einer Gewährleistung der »freien Marktwirtschaft«, die deutliche Relativierung des Eigentumsschutzes in Artikel 14 und die Sozialisierungsermächtigung des Artikel 15 erklärbar. Damit ist das Grundgesetz offen für unterschiedliche Gestaltungen der Wirtschafts- und Eigentumsordnung in Deutschland. Es erlaubt die kapitalistische Produktionsweise, aber ebenso – entgegen der Behauptung von Felix Bartels – deren demokratische Umwandlung in Richtung einer solidarischen Gemeinwirtschaft. Entsprechende Vorstellungen waren bei der Schaffung des Grundgesetzes kurz nach der Befreiung vom faschistischen Terrorregime weitverbreitet. Das belegen parteipolitische Deklarationen wie zum Beispiel das »Ahlener Programm« der nordrhein-westfälischen CDU vom 3. Februar 1947, das mit dem bemerkenswerten Satz begann: »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.« Inhalt und Ziel der notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung »kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein«.²
Gleichwohl wetteifern rechte Politiker, »Verfassungsschützer« und Wirtschaftsvertreter darum, jedwede Forderung nach Eingriffen in die Eigentumsordnung, einer höheren Besteuerung der Reichen oder jetzt der Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in Berlin als »extremistisch« oder als »verfassungsfeindlich« zu brandmarken. Dabei finden sich beide Begriffe weder im Grundgesetz noch beispielsweise im Bundesverfassungsschutzgesetz. Eine unrühmliche Rolle spielten sie bereits in der Berufsverbotepraxis der siebziger Jahre. Schon damals dienten solche Abstempelungen als Vehikel, das legale politische Engagement in linken Organisationen unter ein Sonderrecht zu stellen. Das gilt, kritisierte der frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde richtig, »hinsichtlich einer generellen Bewertung dieser Zugehörigkeit als ›verfassungsfeindlich‹ wie auch hinsichtlich einer systematischen und organisierten Beobachtung und Ausforschung«.³
Selbst die Partei der Grünen, heute wahrlich staatstragend und einem aggressiven NATO-Kurs verhaftet, wurde in ihren ersten Jahren der »Verfassungsfeindlichkeit« geziehen. Aber auch heute noch sind die Begründungen für einen solchen Vorwurf mitunter an Einfalt kaum zu überbieten. So heißt es etwa in der Antwort des Bundesministeriums des Innern vom 5. Mai auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke zur Beurteilung der jW als »verfassungsfeindlich« unter anderem: »Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ›bloßen Objekt‹ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln. (…) Die Menschenwürde ist egalitär.«
Nach diesem Maßstab dürfte es erst recht gegen die Menschenwürde verstoßen, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung von seinem zumeist ererbten Reichtum ein unbeschwertes und luxuriöses Leben führen kann, während der weitaus größere Teil der Menschen gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu immer schlechteren Bedingungen verkaufen zu müssen (»Working poor«). Werden sie damit etwa nicht zu einem »bloßen Objekt« der höchst ungleichen ökonomischen Verhältnisse herabgewürdigt? Um hier noch einmal den Exverfassungsrichter Böckenförde zu zitieren: Im System der globalisierten Marktwirtschaft erscheint der einzelne Mensch »statt als Freiheitssubjekt lediglich als Funktionsträger, nach Bedarf und Anforderung auswechselbares Werkzeug. (…) Der Wert und die Verwendbarkeit der Menschen ist an ihre Nützlichkeit, ihren Beitrag zu Produktivität, Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit gebunden; als Humankapital müssen sie billig, flexibel, ständig auf der Höhe der Zeit und rezyklierbar sein, als Person kommen sie nicht ins Blickfeld.«⁴ Ob die eifrig verfassungschützenden Beamten im Bundesinnenministerium den ehemaligen Richter und praktizierenden Katholiken Böckenförde wegen solcher Äußerungen wohl auch als »Verfassungsfeind« abstempeln würden?
Sicher, die Vereinnahmung des Grundgesetzes durch die Protagonisten der neoliberalen Regierungspolitik und die Verdammung marxistischer Positionen als »verfassungsfeindlich« ließe sich als zwangsläufiger Ausdruck von Klassenherrschaft unwidersprochen hinnehmen, wie es Felix Bartels in seinem Beitrag nahelegt. Auf das Grundgesetz zu pfeifen und sich als verwegener Verfassungsoutlaw in Szene zu setzen, mag sich subjektiv gut anfühlen. Politisch klug ist ein solcher Verzicht auf die Auseinandersetzung (auch) um Rechtsfragen freilich nicht – er verkennt die Auswirkungen, die hoheitliche Verrufserklärungen in der Gesellschaft haben. Viele Menschen fürchten, in den Ruch der Konsensschuld oder Kontaktschuld mit den amtlich zu »Verfassungsfeinden« abgestempelten Personen, Gruppierungen oder Medien zu geraten. Damit verengt sich das Spektrum »legitimer« Meinungen, die Ideologie des Neoliberalismus kann um so unangefochtener herrschen, und die Diskussion über Alternativen zur herrschenden Politik wird abgewürgt. Die Stigmatisierung einer Zeitung und ihrer politischen Grundorientierung als »verfassungsfeindlich« beeinträchtigt darüber hinaus die Pressefreiheit, indem sie gravierende Wettbewerbsnachteile gegenüber staatsloyalen Medien bewirkt, was von den Urhebern vermutlich auch beabsichtigt ist.
Was folgt daraus? Für eine Linke, die in die Offensive kommen will, bleibt auch der Kampf um Verfassungspositionen und gegen eine Vereinnahmung des Grundgesetzes durch die Regierenden unverzichtbar. Recht ist eben nicht nur ein Herrschaftsinstrument, sondern auch »ein Maß für die Macht«, wie Hermann Klenner treffend bemerkt.⁵ Das gilt insbesondere für Verfassungen, die ja gerade der Staatsgewalt Schranken setzen sollen. Um auch noch einmal Wolfgang Abendroth zu zitieren: »Vom Standpunkt der jeweils unterdrückten Klasse aus ist das Erlangen von Rechtsregeln, hier Verfassungsrechtsregeln, die zu ihren Gunsten nutzbar sind, ein Problem des Klassenkampfes und nichts anderes, und das Weiterführen, das Austragen dieser Rechtsregeln führt diesen Kampf weiter.«⁶ Dies übersieht Felix Bartels, wenn er »einem politischen Feind« (womit er offenbar pauschal den gesamten Staatsapparat meint) nicht verübeln mag, »dass er nach Maßgabe seiner Zwecke handelt«. Doch, genau darum geht es: Wenn die Staatsgewalt bei der Verfolgung ihrer klassenpolitischen Ziele über die Stränge schlägt, die ihr die Verfassung angelegt hat, sind Protest und Gegenwehr, ist aktiver Verfassungsschutz »von unten« geboten.
Die russische Presse spottet über das Theater um Nordstream 2 …
https://www.heise.de/tp/features/Nord-Stream-2-Russen-diagnostizieren-politische-Schizophrenie-6052468.html?seite=all
Die bisher antieuropäisch auftretende Rechte Europas ändert anscheinend ihre Einstellung gegenüber Brüssel. Dass die europäische Rechte nun allerdings zum Garanten des deutschen Europa-Projektes geworden sei, wie es die Überschrift ankündigt, ist eine haltlose Übertreibung dessen, dass gerade in Krisenzeiten die Abhängigkeiten der Länder vom Kredit anscheinend die Haltung zum Euro bei der europäischen Rechten geändert hat – mit Ausnahme der deutschen AFD, die gegen einen solchen Trend ihre eigene rechtsradikale Agenda verstärkt. (Die befürchten ja auch eher, dass Deutschland die Schulden von ganz Europa serviert bekäme – und verknüpfen damit nix Positives.)
Ob solche derzeitigen Momentaufnahmen Stabilität bekommen, wird sich vor allem in Italien und Frankreich erweisen. Nationale europäische Rechte an der Staatsmacht, dann noch innerhalb von Regierungskoalitionen, betreiben gelegentlich eine andere Agenda, als in ihren Wahlkämpfen als kämpferische Oppositionsparteien vorher angekündigt.
(Interessant auch die Position der Ostländer, die im Heise-Artikel nun so gar nicht thematisiert wird. Auch dass es insgesamt und vor allem erst einmal um den Kredit geht, kommt bei TP eher als eine Art Nebenthema vor.)
https://www.heise.de/tp/features/So-wird-die-Rechte-zum-Garanten-fuer-die-EU-6052436.html
Also, was ich euren Beiträgen entnehme, ist North Stream II inzwischen zu einer Macke des strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern geworden.
Man darf ja auch nicht die Änderung der Positionen der gesamten Akteure vergessen.
Rußland ist weitgehend desillusioniert von der EU und hält zwar seine Verträge ein, aber hat keine besonderen Ausbaupläne für die Zukunft.
Als Energielieferant wendet es sich eher nach Asien.
Es ist ihm also inzwischen ziemlich wurscht, ob aus der Pipeline etwas wird.
Die USA müssen schauen, daß sie mit dem Fracking nicht einen Finanzabsturz erleiden, da auf dieser Art von Energiegewinnung bereits gewaltige Spekulationstürme errichtet worden sind. Zweitens, wenn Bidens Ankündigung des weitgehenden Rückzugs aus Nahost wahr wird, so heißt das, daß sich die USA energiepolitisch auf Selbstversorgung bzw. Lateinamerika zurückziehen und gar nicht mehr groß auf Export neugierig sind.
Schließlich, wenn von den USA gegenüber Rußland die Feindseligkeiten zurückgefahren werden, so heißt das, daß sich die EU jetzt an dieser Front stark machen kann und muß, weil sonst kommt ja überhaupt keine politische Einheit mehr zustande. 😀
Ich sehe schon Polen und die Ukraine allein gegen North Stream II in Brüssel protestieren, während Mecklenburg-Vorpommern sich mit viel Elan auf die Menschenrechte und den Klimaschutz berufen wird, um ihr Projekt durchzukriegen.
Stille im Luftraum über Belarus
Nach erzwungener Zwischenlandung und Festnahme eines Journalisten meiden Airlines Belarus. EU erlässt Sanktionen. Freilassung des Bloggers gefordert.
Lukaschenkos Ryanair-Coup erinnert an Snowden-Vorfall von 2013
Die belorussische Regierung hat eine RyanAir-Maschine in Minsk zur Landung gezwungen – womöglich nur, um einen oppositionellen Blogger zu verhaften. Russland verweist auf Parallelen.
Doppelstandards am europäischen Himmel
EU und Nato erbost über Zwangslandung von Zivilmaschine in Minsk. Bei ähnlichem Vorfall 2013 schwiegen sie. Damals waren Bündnispartner verantwortlich.
Piraterie gerade nicht
Belarus hat Recht auf nationalen Luftraum geltend gemacht: Zur Landung der Ryanair-Maschine in Minsk
Von Reinhard Lauterbach
Wer sich noch an die Zeiten vor 1989 erinnert, der weiß, dass jenen, die aus Westberlin in Richtung BRD reisen und es nicht mit den DDR-Behörden zu tun bekommen wollten, der Luftweg offenstand. Drei Luftkorridore in Richtung Hamburg, Hannover und Frankfurt am Main verbanden die damals unter Besatzungsregime stehende Stadt mit dem Bundesgebiet. Aber: Die Existenz dieser Korridore beruhte auf den Sonderrechten der Alliierten, nicht auf dem allgemeinen Recht der internationalen Luftfahrt.
Was am Sonntag am Himmel über Belarus passiert ist, ist hiermit eben nicht zu vergleichen. Es gibt keinen exterritorialen Luftkorridor zwischen »einem EU-Land und einem anderen«, wie es EU-Ratspräsident Charles Michel darstellte, um die Aktion der belarussischen Behörden zu skandalisieren. Es herrscht das weltweit anerkannte Prinzip der Aufteilung des Luftraums in nationale Tortenstücke, die den Grenzen der darunterliegenden Staaten entsprechen. Die Benutzung fremder Lufträume für Transitflüge muss politisch ausgehandelt werden und ist gebührenpflichtig.
Insofern war die Nötigung der Ryanair-Maschine zur Landung in Minsk eines gerade nicht: Piraterie. Belarus hat sein Recht auf seinen nationalen Luftraum geltend gemacht, wenn auch in grenzwertiger Weise, weil der Flug als solcher Belarus nicht schädigte und wahrscheinlich vorher Dutzende Male genauso stattgefunden hat, ohne dass es Beanstandungen gab. Der Anlass für die Aktion war durchsichtig: des an Bord befindlichen oppositionellen Internetaktivisten Roman Protasewitsch habhaft zu werden. Das Mittel, Bombendrohungen zu inszenieren, ist in Osteuropa gängige Taktik der Behörden, um unerwünschte Veranstaltungen zu verhindern; andererseits versah Belarus seine Drohung mit einem Nachdruck, der einer simplen Bombendrohung eigentlich unangemessen war: durch das Aufsteigen eines Kampfflugzeugs mit voller Bewaffnung. Dass der Pilot angesichts dieser Situation auf den Versuch verzichtete, in Richtung des knapp vorausliegenden litauischen Luftraums »durchzubrechen«, entspricht seiner Verantwortung für die Passagiere an Bord und war nur vernünftig. Ob die belarussische »MiG–29« wirklich geschossen hätte, ist eine andere Frage: Wäre ein Protasewitsch Alexander Lukaschenko einen Skandal wert gewesen, der an den Abschuss der koreanischen Boeing über dem Ochotskischen Meer 1983 erinnert hätte? Zum Glück ist die Probe aufs Exempel nicht fällig geworden.
Wahrscheinlich ist, dass hier ein Spiel der Geheimdienste vorlag. Protasewitschs Telegram-Kanal Nexta hat sich in der Phase der Straßendemonstrationen gegen Lukaschenko als »kollektiver Organisator« der Proteste betätigt. Der Vater des jetzt Festgesetzten ist Redakteur des vom polnischen Außenministerium in »demokratiefördernder« Absicht betriebenen Fernsehsenders Belsat.
Vor allem aber war die Aktion mit der Ryanair-Maschine das Spiegelbild einer geplanten Zwangslandung eines anderen Flugzeugs in Kiew im vergangenen Sommer. An Bord der Maschine auf dem Weg von Minsk nach Istanbul sollen 30 Angehörige einer russischen Söldnertruppe gewesen sein, die Kiew medienwirksam vor Gericht stellen wollte. Die vom ukrainischen Geheimdienst und der CIA eingefädelte Operation wurde damals kurz vor dem Start abgebrochen; angeblich war sie zuvor von einem hochrangigen Mitwisser in Kiew an Moskau verraten worden. Ein entsprechendes Dossier der britischen Geheimdienstaußenstelle alias Rechercheplattform »Bellingcat« liegt nach Medienberichten seit Monaten vor, wird aber mit Rücksicht auf mögliche politische Konsequenzen in der Ukraine zurückgehalten.
Die Geheimdienste in Minsk und Moskau haben mit ihrer Aktion vom Sonntag bewiesen, dass sie im Unterschied zu den ukrainischen Kollegen dichthalten und im EU-Ausland nach wie vor operationsfähig sind – jemand muss ja Protasewitsch junior in Griechenland überwacht und vermutlich sehr kurzfristig den Hinweis gegeben haben, in welcher Maschine er saß. Das geht an die Adresse derer, die glauben, durch die Ausweisung russischer Diplomaten die Tätigkeit dieser Dienste behindern zu können. Wenn sich andere Lukaschenko-Gegner im Westen jetzt dreimal überlegen, wie weit sie in ihrem Engagement gehen, ist das nicht unbeabsichtigt. Was der ganze Ablauf freilich über den Rückhalt des belarussischen Präsidenten in der eigenen Gesellschaft aussagt – ob er über die Geheimdienste hinausgeht –, ist eine Frage, die sich insbesondere auch dessen russische Partner stellen müssen. Es sei denn, es ist ihnen schon egal.
Quod licet Iovi… (25.05.2021)
EU verhängt neue Sanktionen gegen Belarus. Ein vergleichbarer Übergriff auf die zivile Luftfahrt seitens mehrerer EU- bzw. NATO-Staaten blieb 2013 folgenlos.
BERLIN/MINSK (Eigener Bericht) – Die EU verhängt in Reaktion auf die erzwungene Zwischenlandung eines Ryanair-Fluges in Minsk sowie die Festnahme eines belarussischen Exiloppositionellen neue Sanktionen gegen Belarus. So sollen etwa belarussische Airlines den Luftraum der EU nicht mehr durchqueren dürfen; auch neue Wirtschaftssanktionen stehen bevor. Die Reaktionen stehen in krassem Gegensatz zu den Reaktionen auf einen Vorfall im Juli 2013. Damals hatten mehrere EU-Staaten das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales mit der plötzlichen Sperrung ihres Luftraums zu einer Zwischenlandung in Wien gezwungen, wo die Maschine unter Bruch internationaler Normen kontrolliert wurde. Grund war, dass die Vereinigten Staaten den Whistleblower Edward Snowden an Bord vermuteten und ihn nach der erzwungenen Zwischenlandung festnehmen wollten. Das Ansinnen scheiterte nur, weil Snowden in Russland geblieben war. Proteste Berlins und der EU blieben aus. Die aktuellen Reaktionen erklären sich auch daraus, dass das Minsker Vorgehen die gesamte vom Westen protegierte belarussische Exilopposition in Verunsicherung stürzt.
“Staatliche Luftpiraterie”
Bereits am Sonntag, unmittelbar nach der erzwungenen Zwischenlandung des Ryanair-Flugs in Minsk und der Festnahme des mitgereisten belarussischen Oppositionellen Roman Protasewitsch, hatten Politiker in Berlin und der EU sowie in den USA das belarussische Vorgehen aufs Schärfste verurteilt. Es sei “absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen”, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.[1] Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz wurde mit der Äußerung zitiert, die EU werde “Konsequenzen ziehen müssen gegen den weißrussischen Diktator Lukaschenko und sein Regime”. Außenminister Heiko Maas kündigte ebenfalls schon am Sonntag “deutliche Konsequenzen von Seiten der Europäischen Union” an.[2] Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellte die erzwungene Landung “einer staatlichen Entführung eines Passagierflugzeugs” gleich, während die litauischen Behörden Ermittlungen wegen Flugzeugentführung ankündigten und das griechische Außenministerium “staatliche Luftpiraterie” anprangerte.[3] US-Außenminister Antony Blinken kündigte eine enge Abstimmung mit den US-Verbündeten in Europa an und verlangte zudem eine “internationale Untersuchung”.
Zur Zwischenlandung gezwungen
Der Vorfall ist keineswegs präzedenzlos. Vergleichbares war in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2013 mit dem Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales geschehen, der sich auf dem Rückflug von einer Konferenz in Moskau befand. In der russischen Hauptstadt war kurz zuvor der Whistleblower Edward Snowden eingetroffen, dessen die Vereinigten Staaten um fast jeden Preis habhaft zu werden suchten. In Geheimdienstkreisen zirkulierten – unzutreffende – Gerüchte, Morales könne Snowden an Bord seiner Maschine genommen haben, um ihm in Bolivien Asyl zu gewähren. Nachdem das bolivianische Präsidentenflugzeug in Moskau abgehoben war, sperrten – offenkundig auf Druck aus Washington – die NATO-Mitglieder Frankreich, Italien, Spanien und Portugal in einer Blitzaktion ihren Luftraum für den Flug. Morales musste notgedrungen einen Zwischenhalt in Wien einlegen. Dort kam es zu einer Kontrolle des Flugzeugs, die schließlich den Nachweis erbrachte, dass Snowden nicht an Bord war.[4] Erst danach durfte der bolivianische Präsident seine Heimreise fortsetzen. Hätte sich der US-Whistleblower in der Maschine befunden, wäre er nach menschlichem Ermessen ebenso festgenommen worden wie jetzt der belarussische Oppositionelle Roman Protasewitsch.
“Rechtlich einwandfrei”
Der damalige Vorfall belegt nicht nur die prinzipielle Bereitschaft der westlichen Staaten, ihrerseits fremde Flugzeuge zum Landen zu nötigen, um Oppositionelle festnehmen zu können. Erschwerend kam noch hinzu, dass es sich bei Morales’ Maschine um ein Präsidentenflugzeug handelte, das laut internationalen Normen diplomatische Immunität genießt.[5] Nach harten Auseinandersetzungen gelang es, die Kontrolle des Jets in Wien als “freiwillige Nachschau” zu deklarieren, um einen noch größeren diplomatischen Skandal zu vermeiden.[6] Von einem Akt der “Piraterie” war damals mit Blick auf die involvierten Staaten – sämtlich Mitglieder von NATO und/oder EU – im Westen nicht die Rede. Die Regierungen Frankreichs, Italiens, Spaniens und Portugals gaben wenig später zu Protokoll, sie “bedauerten” den Vorfall; bei bolivianischen Stellen gingen lediglich folgenlose Bitten um Entschuldigung ein. In Kommentaren hieß es zurückhaltend, “die Jagd” auf Snowden treibe “seltsame Blüten” [7]; kritisiert wurde allenfalls, der Übergriff sei “taktlos, undiplomatisch, peinlich” [8]. Zitiert wurden Völkerrechtler mit der Äußerung, die plötzliche Sperrung ihres Luftraums für Morales’ Flugzeug, die die Landung in Wien erzwang und die Kontrolle ermöglichte, sei “rechtlich … einwandfrei”; dieselbe Position vertrete, so hieß es, auch die EU-Kommission.[9] Sanktionen standen nie zur Debatte.
Die Hauptstadt der Exilopposition
Im Unterschied zu damals fallen die Reaktionen in Berlin nicht nur deshalb so scharf aus, weil diesmal nicht westliche Staaten, sondern Belarus die Zwischenlandung des Flugzeugs erzwungen hat, sondern auch, weil der Übergriff die vom Westen protegierte belarussische Exilopposition hart trifft. Der am Sonntag in Minsk festgenommene Roman Protasewitsch hat sich als Mitherausgeber des Telegram-Kanals Nexta, einem der zentrlaen Agitationsorgane der belarussischen Opposition, einen Namen gemacht. Protasewitsch befand sich auf der Rückreise aus Griechenland, wo er einen Aufenthalt von Oppositionsanführerin Swetlana Tichanowskaja begleitete; diese hatte dort auf Einladung des Athener Außenministeriums ein von Spitzenpolitikern besuchtes Wirtschaftsforum (“Delphi Forum”) besucht. Vilnius, das Ziel des Ryanair-Fluges, ist nicht nur Tichanowskajas gegenwärtiger Aufenthaltsort, sondern auch “eine Art Hauptstadt der belarussischen Dissidenten”, heißt es bei deren Unterstützern; Litauen “orchestriere” zudem die politischen Aktivitäten der belarussischen Exilopposition.[10] Über Vilnius fördern auch bundesdeutsche Stellen die Proteste gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko; von dort aus hält die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung enge Kontakte zu “Partnern in Belarus”.[11] Nach Protasewitschs Festnahme macht sich in Vilnius nun allerdings Verunsicherung breit.[12]
Neue Sanktionen
Die EU und ihre Mitgliedstaaten erhöhen nun den Druck auf Belarus massiv. Am gestrigen Montag hatten zunächst mehrere Airlines aus EU-Ländern angekündigt, den belarussischen Luftraum künftig zu meiden, darunter die Lufthansa und die niederländische KLM. Die britische Regierung schloss sich an und gab bekannt, britische Fluggesellschaften sollten in Zukunft den belarussischen Luftraum ebenfalls nicht mehr durchqueren. Dazu forderten die EU-Staats- und Regierungschefs gestern Abend dann alle Fluggesellschaften aus der Union auf. Darüber hinaus sollen belarussische Airlines Flughäfen in der EU nicht mehr nutzen und auch den Luftraum der EU-Mitgliedstaaten nicht mehr durchqueren dürfen. Damit ist ihnen jeder direkte Flug in Richtung Westen verwehrt. Es kommen neue Sanktionen gegen Personen und Unternehmen hinzu; zudem legt die EU geplante Investitionen in Belarus auf Eis.[13] Genauere Angaben zu den neu geplanten “gezielten Wirtschaftssanktionen” liegen noch nicht vor.
Habeck im Pech
Grüner für Waffenlieferung an Ukraine
Von Arnold Schölzel
Robert Habeck wurde nicht Kanzlerkandidat der Grünen und hat seitdem kein Glück. Er räumt Peinlichkeiten Frau Baerbocks wie neulich bei »Maybrit Illner« weg: Kurzstreckenflüge verbieten? Habeck: Der klimawirksame Gewinn sei nicht sehr hoch, es gehe um den »Symbolwert, was getan werden könnte, ohne dass es wirklich weh tut«. Am Montag jettete er kurzstreckenmäßig nach Kiew – mit Vertretern dieses oder jenes deutschen Großmediums im Tross. Nach einem Gespräch mit Präsident Wolodimir Selenskij verkündete er, die ukrainischen Wünsche nach deutschen Waffen seien »berechtigt« – selbstverständlich nur zur Verteidigung. Zur Begründung führte Habeck ein ungegendertes »Man« an, das der Ukraine Rüstungslieferungen »schwer verwehren« könne. Das klang fast nach Merkelschem »alternativlos«: Da können die Grünen trotz »Pazifismus, aus dem wir kommen«, einfach nicht nein sagen. Der Defensive soll auch die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine dienen, jedenfalls soll sie nach Habecks Meinung »nicht vom Tisch genommen werden«. Sprach’s und fuhr an die »Front« (DLF). Um dem Feind von 2014 in die Pupille zu schauen, d. h. dem durch westliche Medien 2014 entdeckten Volksstamm der Prorussen. Oder gar leibhaftigen Russen. Greuelpropaganda hatte der Deutsche auch im Gepäck: Russische Scharfschützen schießen nach seiner Erzählung nicht mehr einfach so in die Gegend, sondern durch die Sehschlitze von Bunkern der ukrainischen Armee. Die »wehrt« sich seit sieben Jahren mit Artilleriebeschuss dichtbesiedelter Wohngebiete der Prorussen.
Vier Wochen vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion gehört sich Habecks Geste für einen aus Schleswig-Holstein einfach. Dort war am 8. Mai 1945 noch lange nicht Schluss. Zehntausende Wehrmachtsoldaten hielten sich unter britischer Betreuung wochenlang für den nächsten Krieg gegen den Bolschewismus zur Verfügung. Was ist dagegen ein Opa Frau Baerbocks, der im Winter 1945 an der Oder die Rote Armee aufhielt?
Habecks Lieferversprechen schafft die Voraussetzungen, dass die Tradition gewahrt bleibt, obwohl die Bolschewisten nicht mehr regieren. Laut faz.net geht es Kiew u. a. um Sprengköpfe für Antischiffsraketen, Flugabwehrkanonen sowie unbemannte Mini-U-Boote. Und, wenn es nach dem Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik geht, auch um Atomwaffen. Defensive eben.
Wenige Stunden nach Verbreitung der grünen Waffenangebote, bestätigten Moskau und Washington ein Treffen zwischen Wladimir Putin und Joseph Biden. Es soll, anders als bei Habeck, um Stabilität und Frieden gehen – eine Gefahr für Kiew und die deutschen Grünen. Nun hat Habeck auch noch Pech.
Eiskaltes Vorrücken
Aufmarsch an Russlands Grenze: NATO-Staaten drängen verstärkt in die Arktis, eine Schlüsselrolle spielt Norwegen
Von Jörg Kronauer
Die Zeit der Manöverrekorde ist angebrochen. Im vergangenen Jahr war »Defender Europe 20« als größte Kriegsübung in Europa seit dem Ende des Kalten Kriegs angekündigt worden: An dem US-geführten Großmanöver wären insgesamt rund 38.000 Soldaten beteiligt gewesen, hätte nicht die Covid- 19-Pandemie den vorzeitigen Abbruch erzwungen. Aktuell nehmen rund 28.000 Militärs an »Defender-Europe 21« teil, dem ersten US-Großmanöver, in das alle Staaten Südosteuropas außer Serbien involviert sind. Für nächstes Jahr wiederum kündigt Norwegen das größte Manöver in der Arktis seit Beginn der 1990er Jahre an: »Cold Response 2022« soll bis zu 40.000 Soldaten im polaren Eis zusammenführen. Dabei haben die Rekordmanöver der westlichen Staaten vor allem eines gemeinsam: Sie richten sich unverhohlen gegen Russland – auch im Polarmeer.
Kollateralschaden
Dass die Großmächterivalität in zunehmendem Maß die Arktis erfasst, ist – wenn man so will – ein Kollateralschaden des Klimawandels. Der fällt in der nördlichen Polarregion erheblich krasser aus als anderswo: Eine kürzlich vorgelegte Untersuchung des Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP) belegt, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur in der Arktis von 1971 bis 2019 um 3,1 Grad Celsius gestiegen ist, dreimal soviel wie im globalen Mittelwert. Dass der Rückgang des polaren Eises neue Seewege öffnet und den Zugriff auf neue Rohstofflager möglich macht, verschärft die Konkurrenz. Damit gewinnen alte, bis heute nicht gelöste Differenzen, wie weit die Hoheitsgewässer der einzelnen Anrainer in das Polarmeer hineinreichen, neue Bedeutung. Nicht zuletzt verschafft die Eisschmelze auch Streitkräften neue Spielräume und erweitert ihre Handlungsoptionen. So kommt es, dass nicht nur immer mehr Staaten eigene Arktisstrategien entwickeln und publizieren – Deutschland und Frankreich im Jahr 2019, Norwegen und Schweden 2020 –, sondern dass inzwischen auch Militärs einschlägige Strategiepapiere vorlegen.
Vorreiter sind dabei die Vereinigten Staaten. Zwar beschuldigt Washington regelmäßig Moskau, die Arktis offensiv zu militarisieren; doch handelt es sich bei den US-Vorwürfen, die mit der Realität nicht wirklich korrespondieren, wohl vor allem um den Versuch, das eigene, durchaus aggressive Vorgehen in der Polarregion zu legitimieren. Jeweils eigene Arktisstrategien haben inzwischen nicht nur das Pentagon, sondern auch einzelne US-Teilstreitkräfte – Marine, Luftwaffe, Marine Corps, Heer – vorgelegt. Das am 19. Januar verabschiedete Strategiepapier der US-Army trägt den programmatischen Titel: »Die Dominanz in der Arktis zurückgewinnen«. Dazu passt, dass die US-Streitkräfte ihre Kriegsübungen sowie ihre sonstigen Aktivitäten im und am Nordmeer deutlich ausgeweitet haben. Bereits im Oktober 2018 erregte es die Aufmerksamkeit von Experten weltweit, dass erstmals seit dem Ende des Kalten Kriegs ein US-Flugzeugträger mit den üblichen Begleitschiffen in arktischen Gewässern manövrierte – und das nicht etwa vor Alaska, sondern im Europäischen Nordmeer, von wo aus Angriffe auf Russland gestartet werden könnten. Zudem haben die USA am 16. April 2021 ein Abkommen mit Norwegen geschlossen, das ihnen die Errichtung eigener Anlagen auf vier norwegischen Militärstützpunkten erlaubt – darunter eine Marine- und eine Luftwaffenbasis in der norwegischen Arktis.
Offensive Operationen
Nicht nur Washington, auch die Bundesrepublik kooperiert militärisch immer enger mit Norwegen. Man müsse sich künftig »intensiver mit der Region befassen«, hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Sommer 2020 in einer online durchgeführten Konferenz am Joint Warfare Centre der NATO im norwegischen Stavanger erklärt. In der Einrichtung, die von Jan Christian Kaack geführt wird, einem Konteradmiral der deutschen Marine, sind ungefähr 40 deutsche Soldaten stationiert. Die Bundeswehr weitet längst ihre gemeinsamen Manöver mit den norwegischen Streitkräften aus. Anfang 2019 etwa probten deutsche Gebirgsjäger im norwegischen Norden den »Winterkampf«. Im März 2020 nahmen deutsche Soldaten an »Cold Response 2020« teil, einem Manöver mit rund 15.000 Soldaten aus neun Staaten, bei dem – auch dies im Norden Norwegens – nicht nur defensive, sondern auch offensive Operationen trainiert wurden.
Im kommenden Jahr dann »Cold Response 2022«, es soll in der Region Ofoten ganz im Norden des Landes stattfinden, dort, wo norwegische Truppen immer häufiger mit Einheiten anderer NATO-Staaten trainieren. Die Region ist, so berichten regionale Medien unter Berufung auf hochrangige Militärs, für die Vorbereitung des Westens auf einen etwaigen Krieg gegen Russland »von zentraler strategischer Bedeutung«: Sie ist kaum 600 Kilometer Luftlinie von der Halbinsel Kola entfernt, wo die russische Marine ihre Nordflotte mit ihren Atom-U-Booten unterhält.
Die nächsten Schritte werden voraussichtlich am 14. Juni diskutiert: Dann wird sich der NATO-Gipfel in Brüssel ausführlich mit dem künftigen Vorgehen des Kriegsbündnisses in der Arktis befassen.
Hintergrund: Arktischer Rat
Russland hat turnusgemäß am Donnerstag vergangener Woche (20. Mai) für zwei Jahre den Vorsitz im Arktischen Rat übernommen. Das 1996 gegründete Gremium hat zum Ziel, die friedliche Kooperation in der Polarregion zu fördern. In ihm sind acht Anrainerstaaten – Russland, Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark (via Grönland), Island, Kanada und die USA (via Alaska) – sowie Vertreter indigener Bevölkerungsgruppen vertreten. 13 weitere Staaten haben Beobachterstatus, darunter die Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Japan, Indien und China. In den vergangenen beiden Jahren hatte Island den Vorsitz inne und ihn genutzt, um Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel sowie Vorhaben gegen die Meeresverschmutzung durch Müll und Plastik voranzubringen. Gebremst wurde es dabei – wie so vieles außer der Zuspitzung der globalen Machtkämpfe – durch die Covid-19-Pandemie.
Russland will seinen Vorsitz nutzen, um die Kooperation so weit wie möglich auszubauen; schließlich ist der Arktische Rat eines von nicht allzu vielen Gremien weltweit, dessen Aktivitäten noch nicht vom neuen Kalten Krieg lahmgelegt sind. Er sei »überzeugt, dass sich die Arktis nur durch Zusammenarbeit weiterentwickeln kann«, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei der Stabsübergabe in der vergangenen Woche in Reykjavik: »Die Arktis ist ein Gebiet des Friedens, der Stabilität und der konstruktiven Kooperation.« Um der Äußerung Inhalt zu verleihen, will Moskau die Zusammenarbeit auf dem Feld der Arktiswissenschaft ausbauen.
Immerhin ist es dem Arktischen Rat am Donnerstag gelungen, nicht nur eine Abschlusserklärung abzugeben – 2019 war das an Donald Trump gescheitert –, sondern sich auch auf eine gemeinsame Strategie für das kommende Jahrzehnt zu einigen. Die Strategie sieht gemeinsame Maßnahmen zum Schutz von Klima und Umwelt sowie Schritte zur Stärkung des Arktischen Rats vor. (jk)
Blinken in Jerusalem
USA sichern Gaza »Hilfe beim Wiederaufbau« zu und Israel Unterstützung für Raketenabwehr
Nach der Waffenruhe im Gaza-Krieg haben die USA »Hilfe beim Wiederaufbau« des zerstörten Gazastreifens zugesichert. Die Vereinigten Staaten würden einen »erheblichen Beitrag« leisten und sich auch international um Unterstützung bemühen, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Jerusalem. Er betonte allerdings, neben der Verbesserung der humanitären Lage müsse sichergestellt werden, dass die in Gaza herrschende Hamas nicht von der Hilfe profitiere. Blinken kündigte zudem weitere US-Unterstützung für Israels Raketenabwehr »Iron Dome« (Eisenkuppel) an.
Zur Iran-Frage sagte Blinken, man berate sich mit Blick auf die Verhandlungen in Wien und eine mögliche Rückkehr zum Atomabkommen mit Teheran eng mit Israel. Der Iran müsse daran gehindert werden, »die Region zu destabilisieren«. Netanjahu sagte dazu: »Wir hoffen, dass die USA nicht zu dem Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren.« Ein solcher Schritt würde es Teheran erlauben, »mit internationaler Billigung über ein Arsenal von Atomwaffen zu verfügen«, erklärte er.
Blinken wollte sich am Dienstag nachmittag mit dem Präsidenten Palästinas, Mahmud Abbas, in Ramallah treffen. Informationen dazu wurden nach jW-Redaktionsschluss erwartet. Blinken ist noch bis Donnerstag in der Region. Auf dem Programm des US-Außenministers stehen Gespräche mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi und Jordaniens König Abdullah II. Ziel seiner Reise ist es nach offiziellen Angaben, die seit Freitag geltende Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas zu festigen. Es ist Blinkens erster Besuch als Außenminister im Nahen Osten.
Unterdessen hat sich die EU noch einmal hinter die Zweistaatenlösung im Nahen Osten gestellt. »Die EU wird weiter mit internationalen Partnern zusammenarbeiten, um wieder einen politischen Prozess in Gang zu setzen«, heißt es einer in der Nacht zum Dienstag beim EU-Gipfel verabschiedeten Erklärung der Staats- und Regierungschefs. (dpa/jW)
Eine Kuh vom Eis
Trotz Einigung zwischen Teheran und Atomenergiebehörde in Wien: Gespräche über Aufhebung der US-Sanktionen gegen Iran bleiben schwierig
Von Knut Mellenthin
Die Wiener Gespräche über die Rückkehr der USA zum JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) wurden am Dienstag wieder aufgenommen. Damit ist die fünfte Runde der Verhandlungen gestartet, die am 6. April begonnen haben.
Am Montag war mit einer Einigung zwischen dem Iran und der Internationalen Behörde für Atomenergie (IAEA), einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, ein Hindernis für den Fortgang der Gespräche aus dem Weg geräumt worden. Beide Seiten teilten am Montag mit, dass eine Sonderregelung für die Praktizierung des »Additional Protocol« (Zusatzprotokoll) zum Atomwaffensperrvertrag um einen Monat, bis zum 24. Juni, verlängert worden sei. Mehrtägige, offenbar schwierige Verhandlungen waren diesem Schritt vorausgegangen. Das Europatrio Frankreich, Deutschland und Großbritannien hatte am vorigen Mittwoch den Erfolg der Wiener Gespräche von einer solchen Einigung Irans mit der IAEA abhängig gemacht. Wörtlich: »Eine Vereinbarung ist ohne eine solche nicht realisierbar.«
Übergangsregelung
Zum besseren Verständnis des Problems: Der 1968 unterzeichnete Atomwaffensperrvertrag (Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT) unterscheidet zwischen Ländern, die zu diesem Zeitpunkt Nuklearwaffen besaßen, und denen, die keine hatten und den dauerhaften Verzicht auf solche versprechen mussten. Zur Gewährleistung der Überwachung dieses Verzichts gibt es zwei Abkommen, in denen die Kontrollen durch die IAEA geregelt sind: Ein »Safeguard Agreement« ist für alle Unterzeichner des NPT, die keine Atomwaffen besitzen, verbindlich. Darüber hinausgehende Kontrollen können Bestandteil eines freiwilligen »Additional Protocol« sein. Von mehr als 191 Unterzeichnern des NPT haben 136 rechtskräftige Zusatzprotokolle abgeschlossen.
Iran hat eine solche Vereinbarung im Rahmen des Wiener Abkommens von 2015 unterzeichnet, die zwar praktisch angewendet, aber bisher nicht vom Parlament ratifiziert wurde. Ein Gesetz, das vom Parlament am 30. November 2020 beschlossen wurde, verpflichtete die Regierung unter anderem dazu, sich vom 23. Februar an nicht mehr an das Zusatzprotokoll zu halten. Zwei Tage vor Ablauf des Datums einigte sich die IAEA mit der iranischen Atombehörde (AEOI) auf eine Übergangsregelung für drei Monate. Diese Abmachung wurde jetzt um einen weiteren Monat verlängert.
In der Hauptsache geht es dabei um die 24 Stunden laufenden Kameras, die die IAEA in einigen Gebäuden des iranischen Atomprogramms installiert hat. Aufgrund der Einigung laufen diese Kameras weiter, aber die UN-Behörde soll die Aufnahmen erst sehen dürfen, wenn die Wiener Gespräche über die Rückkehr der USA zum JCPOA erfolgreich abgeschlossen sind. Bisher stand die Drohung im Raum, Iran werde die Videos nach drei Monaten löschen.
Rohani zuversichtlich
Seit Beginn der Wiener Gespräche gibt sich Präsident Hassan Rohani demonstrativ zuversichtlich, dass die neue US-Regierung unter Joseph Biden »keine andere Wahl« als die baldige Aufhebung »aller« Sanktionen habe. Inzwischen behauptet Rohani sogar, die USA hätten sich dazu »ausdrücklich bereit erklärt«. Am vorigen Donnerstag versicherte er, es sei schon ein Abkommen formuliert, mit dem sich Washington zur Aufhebung aller »Hauptsanktionen« gegen den iranischen Ölexport und gegen das iranische Bankensystem verpflichten würden. Es seien nur noch einige technische Details zu besprechen, und die heute begonnene fünfte Verhandlungsrunde werde die letzte sein.
Fakt ist jedoch: Über die Position der Biden-Administration zu diesen Fragen ist nichts bekannt. Die Aufhebung »aller« Sanktionen wurde niemals versprochen. Im Gegenteil: Alle Äußerungen und Indizien sprechen dafür, dass Biden viele Sanktionen beibehalten will, um Teheran zu politischen Zugeständnissen zu zwingen.
Syrien wählt
Drei Kandidaten im Rennen um Präsidentenamt. Al-Assad wohl vor vierter Amtszeit. BRD verbietet Stimmabgabe
Von Karin Leukefeld
Diesen Mittwoch finden in Syrien die Präsidentschaftswahlen statt. Das Land ist von zehn Jahren Krieg und einer schweren Wirtschaftskrise gezeichnet, dennoch halten die Syrer an ihrem verfassungsgemäßen Recht zu wählen fest.
Die Amtszeit des Präsidenten beträgt sieben Jahre. Die Verfassung von 2012 sieht maximal zwei Amtszeiten vor. Diese Regel wurde allerdings bei den Präsidentschaftswahlen 2014 außer Kraft gesetzt, als der amtierende Präsident Baschar Al-Assad zum dritten Mal gewählt wurde. Nun steht er vermutlich vor seiner vierten Amtszeit.
Von 51 Bewerbern, darunter erstmals auch Frauen, hatten sich schließlich drei Kandidaten für die Wahl durchgesetzt. Neben Al-Assad, der von der Baath-Partei nominiert wurde, bewirbt sich der Politiker Abdullah Sallum Abdullah von der linksgerichteten Nasseristischen Partei Syriens. Al-Sallum stammt aus Aleppo, strebt die Einheit Syriens im Sozialismus an und ist Herausgeber einer Zeitung.
Der dritte Kandidat ist Mahmud Ahmed Marei von der oppositionellen Demokratischen Arabischen Sozialistischen Union (DASU). Diese hatte sich mit zwölf anderen Parteien 2011 zum Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCC) zusammengeschlossen, einer zunächst sehr einflussreichen Dachorganisation der (nicht bewaffneten) syrischen Opposition. Der Jurist Marei gilt Beobachtern als glaubwürdige Alternative zum festgefügten politischen System in Syrien. Als politischer Gefangener war Marei sechs Jahre inhaftiert. Nun ist er Vorsitzender der Syrischen Arabischen Organisation für Menschenrechte und gehört der Delegation der innersyrischen Opposition an, die in Genf an den Verhandlungen des Verfassungskomitees unter dem Dach der Vereinten Nationen teilnimmt. Im Zentrum seiner Kampagne stehen die Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen und nach der Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit mit einer wirklichen Vertretung der Opposition«.
Von der EU und den USA, von Teilen der syrischen Opposition im Ausland und von den syrischen Kurden werden die Wahlen kritisiert. Die USA, Großbritannien und Frankreich erklärten im UN-Sicherheitsrat wiederholt, die Abstimmung und deren Ergebnis nicht anerkennen zu wollen, da sie nicht unter internationaler Beobachtung und entsprechend der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 stattfände. Dieser Ansicht schloss sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ausdrücklich an.
Der kurdisch geführte »Syrische Demokratische Rat« erklärte am Montag in Kamischli, man habe nichts mit den Wahlen zu tun, die »die Bedeutung der UN-Resolution 2254« verletze. Wahlen in Syrien könnten nur »in Übereinstimmung mit internationalen Entscheidungen« stattfinden, hieß es in der Erklärung.
Der Chef der Nationalen Koalition oppositioneller und revolutionärer Kräfte in Syrien, Nasser Al-Hariri, bezeichnete die Abstimmung als »Putsch gegen den politischen Prozess« in Syrien. Die einzigen akzeptablen Wahlen in Syrien seien solche, »an denen der Kriegsverbrecher Baschar Al-Assad nicht teilnimmt«, schrieb Al-Hariri vergangene Woche in einem offenen Brief.
Die im Ausland lebenden Syrer hatten bereits am 20. Mai die Möglichkeit, in syrischen Botschaften oder Konsulaten weltweit zu wählen. 40 Länder, darunter auch Oman, Sudan, Ägypten, Algerien und die Vereinigten Arabischen Emirate, genehmigten die Wahlen. Im Libanon strömten Tausende zur syrischen Botschaft in Beirut. Deutschland gehörte neben den USA und der Türkei zu einer kleinen Gruppe von Staaten, die die Abstimmung nicht genehmigte. Man sei nach dem Völkerrecht dazu nicht verpflichtet, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.
Der in Berlin lebende Syrer und angehende Volljurist Manaf Hassan bezeichnete die Gründe für das Verbot als offensichtlich. »Wenn Syrer in Massen nach Berlin pilgern, um zu wählen, würde die trügerische Berichterstattung wie ein Kartenhaus zusammenfallen«, sagte er am Dienstag gegenüber junge Welt. »Frankreich, Schweiz, Österreich, Schweden, Spanien und viele, viele weitere Länder haben die Wahlen zugelassen. Deutschland aber hat die komplette Straße vor der syrischen Botschaft in Berlin sperren lassen.«
Was kann man dieser Affäre um den zur Landung gezwungenen Ryanair-Flug alles entnehmen?
Die Akteure:
Erstens Lukaschenko, der offenbar die Politik der EU, in Litauen sozusagen eine Schattenregierung für Belarus aufzubauen, nicht schätzt.
Vermutlich will er etwaigen Versuchen, so etwas wie einen Guaidó für Belarus aufzubauen, von Vorrnherein jede Grundlage entziehen.
Man beachte den Wechsel in seiner Politik: Zunächst warf er alle Oppositionellen hinaus.
Jetzt, wo diese im Ausland lebende Opposition mit heftiger EU-Unterstützung gegen ihn Stimmung macht, ist ihm das aber eindeutig zuviel.
Der Blogger scheint einem Anti-Lukaschenko-Familienunternehmen anzugehören, auch das dürfte ihn ins Visier des weißrussischen Geheimdienstes gebracht haben.
Die Aktion hat also zwei Adressaten: Die EU und die weißrussische Opposition.
Diese ist vor allem in den Nachbarstaaten Polen und Litauen aktiv, reist in Sachen Regime-Change aber auch in der ganzen EU herum, wie der gestoppte Flug deutlich gemacht hat.
Polen und Litauen machen sich zu Speerspitzen und Frontstaaten der gegen Weißrußland und Rußland gerichteten EU-Politik und treiben die noch voran. Damit verschaffen sie sich Gewicht in der EU und positionieren sich auch als treue US-Verbündete.
Die EU selber war ja, man erinnere sich, bei Weißrußland wesentlich zurückhaltender als seinerzeit beim ukrainischen Maidan, was auch mit der Stellung Rußlands zu Weißrußland zu tun hat.
Es waren auch auf die Schnelle keine Oppositionspolitiker zur Hand, deren Einsetzung sie hätte fordern können.
Offenbar ist aber inzwischen die Lage so, daß von verschiedenen Seiten daran gearbeitet wird, eine Schattenregierung für Weißrußland aufzubauen, die man dann, ähnlich wie in Venezuela, verwenden könnte, um Sanktionen zu rechtfertigen und weißrussische Vermögenswerte im Ausland zu konfiszieren.
Tichanowskaja und Protasewitsch waren auf einem Wirtschaftsforum in Athen. Da wurden offenbar Pläne für die Einführung der Marktwirtschaft in Weißrußland geschmiedet. Griechenland bietet sich also als Helfer für den angestrebten Regime-Change in Weißrußland an, und wenn es auch nur als Gastgeber für solche Events ist.
Den beiden und anderen ist es offenbar angenehm, auf der Payroll diverser EU-Institutionen durch die Lande zu reisen und als künftige EU-Statthalter in Belarus hofiert zu werden.
Schließlich die Schutzmacht Weißrußlands, Rußland, sieht die Aktion einerseits als lästige Kaprize von Lukaschenko, der die ohnehin nicht guten Beziehungen zum Westen noch weiter verschärft. Andererseits ist auf diesem Gebiet schon so viel Porzellan zerschlagen worden, daß das auch schon wurscht ist.
Die angestrebte Einschüchterung der weißrussischen Opposition dürfte der russischen Führung aber recht sein, die in letzter Zeit selbst dazu übergegangen ist, in außenpolitischer Hinsicht Klartext zu reden.
Die Aktion war eine Demonstration der Souveränität Weißrußlands und ein Schuß vor den Bug von Regime-Changern. Verrückt oder unüberlegt war sie sicher nicht.
Auch daß die Maschine kurz vor Verlassen des weißrussischen Luftraums abgefangen wurde, zeigt der NATO, daß Weißrußland Grenzverletzungen nicht dulden wird.
Wieder einmal eine Rückerinnerung an das iranische Atomprogramm und wie es entstand.
Es geht auf den Schah zurück und war zunächst Teil des von den USA angeleierten Programms „Atome für den Frieden“, der den Verbündeten der USA Atomtechnologie zur friedlichen Nutzung der Kernenergie anbot, während sie gleichzeitig auf die kriegerische Nutzung verzichten sollten.
Die Mullahs erbten dieses Programm nach 1979 und gaben es angesichts der geballten Feindschaftserklärung der USA und des Iran-Irak-Krieges nicht auf. Und so ist es bis heute geblieben.
Es stellt aber eine ziemliche ökonomische Belastung für den Iran dar, also wirklich glücklich ist die iranische Regierung nicht mit der Situation. Man muß bedenken, daß nicht nur die Anlagen gebaut, betrieben und gewartet und das entsprechende Personal ausgebildet werden muß. Hinzu kommen Sicherheitsausgaben, Personenschutz, die Reparatur der Stuxnet-Schäden und anderes mehr.
Man läßt zwar die Zentrifugen laufen und zeigt Flagge, auch in Erinnerung an Ghaddafi, der sich wehrlos machte, weil er dachte, er hätte ja ohnehin keine Feinde mehr. Aber ein Programm auf Teufel-komm-raus, wir brauchen die Bombe! – wie die SU nach 45 – ist das nicht.
Dazu kommen die inneriranischen Führungsstreite, auf welche Macht und welches System man setzen sollte, und da gibt es viele Leute, die gerne mit dem Westen Geschäfte machen würden. Für diese Richtung steht Rohani.
Heuchler und Auswerter
Belarus, der Westen und Russland
Von Reinhard Lauterbach
Im Nachlauf zu der erzwungenen Landung des Ryanair-Fliegers in Minsk am Sonntag folgt die westliche Rhetorik im wesentlichen zwei Linien. Die eine ist die der wohlfeilen Empörung über einen »Akt der staatlichen Luftpiraterie« und dergleichen. Diese Empörung verschweigt, dass der Westen im Zweifelsfall auch nicht anders vorgeht. Die Zahl der Entführungen Verdächtigter durch die CIA auf ausländischem Territorium mit nachfolgender Folter wird allein für die Jahre 2001 bis 2005 auf etwa 3.000 geschätzt. Einer davon war deutscher Staatsbürger und hieß Khaled El-Masri. Auch vor gewählten Staatsoberhäuptern schrecken die westlichen Dienste im Zweifelsfall nicht zurück, wie ein Fall im Sommer 2013 zeigte: Damals wurde das bolivianische Regierungsflugzeug mit Präsident Evo Morales an Bord in Wien durchsucht, weil westliche Geheimdienste den damals gerade in Moskau gestrandeten Whistleblower Edward Snowden an Bord vermuteten. Die Reaktionen auf den Vorfall in Belarus zeigen insoweit das übliche: Der Westen nimmt sich das Recht zur »Ersatzvornahme« immer, wenn er es zu brauchen glaubt, und die schärfsten Kritiker der Elche sind in Wahrheit selber welche.
Die andere Abteilung westlicher Argumentation könnte man als die Auswertung des Skandals bezeichnen. Je lauter nach Sanktionen gegen Minsk gerufen wird, desto deutlicher wird: Faktisch ist da nicht viel zu machen. Der Handel der EU mit Belarus hält sich unterhalb einer Milliarde Euro Umsatz – da ist nicht mehr zu entziehen als die Überfluggebühren europäischer Fluggesellschaften. Kreditgarantien für ein Siemens-Geschäft mit Kraftwerksturbinen zu stoppen, schädigt unmittelbar den deutschen Lieferanten, während Belarus die Maschinen im Zweifelsfall auch woanders beschaffen könnte. China ist ohnehin schon zweitgrößter Handelspartner des Landes nach Russland. Und in Gegenrichtung ist Belarus ein bedeutender Lieferant von Kali als Rohstoff für Kunstdünger. So rächt sich alles: Hätte die Treuhand nicht seinerzeit Bischofferode geschlossen, könnte sich die BRD heute den Verzicht auf Lieferungen aus Belarus besser leisten.
Also wird mit viel Spekulation versucht, wenigstens ein bisschen geopolitischen Honig aus der Geschichte zu saugen und eine russische (Mit-)Verantwortung für die Zwangslandung zu behaupten. Dabei ist eines sehr deutlich: Moskau brauchte diese Aktion nicht. Alexander Lukaschenko dagegen hat sich mit der Festsetzung des Oppositionellen Raman Pratassewitsch aus kurzfristigen innenpolitischen Beweggründen ins eigene Knie geschossen. Für seine Schaukelpolitik zwischen Moskau und Brüssel hat er am Sonntag selbst die Grundlage zerstört. Und damit sein zentrales Argument entwertet, stärkerem russischen »Integrationsdruck« zu widerstehen: Er könne auch anders. Seit Sonntag kann er nicht mehr. Wenn es einen Nutznießer der westlichen Belarus-Sanktionen gibt, dann sitzt er in Moskau. Ein Bravo der EU-Diplomatie.
Russland: Drei deutsche Organisationen unerwünscht
Moskau. Russland hat drei Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in der Bundesrepublik als unerwünscht eingestuft und ihnen damit faktisch ein Betätigungsverbot erteilt. Betroffen seien das »Zentrum für Liberale Moderne«, der Verein »Deutsch-Russischer Austausch« sowie das »Forum Russischsprachiger Europäer«, meldete die Agentur Tass am Mittwoch unter Berufung auf die Generalstaatsanwaltschaft.
Die Ermittler stellten demnach fest, dass die Tätigkeit dieser Vereine eine Gefahr für die Verfassungsordnung und die Sicherheit Russlands darstelle. Die Entscheidung sei dem Justizministerium übergeben worden, das die Liste der unerwünschten Organisationen führe. Alle drei Organisationen haben ihren Sitz in Berlin. (dpa/jW)
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Nachschlag: Kriegsminister Habeck?
Er hat sich darauf versteift: Grünen-Kochef Robert Habeck hält trotz heftiger Kritik – sogar aus den eigenen Reihen – an seiner Forderung nach Waffenlieferungen an die Ukraine fest. Denn: Die Ukraine kämpft nicht nur »für ihre Freiheit«, sondern »verteidigt auch die Sicherheit Europas«, erklärte er im Interview mit dem DLF. Der Transatlantiker Habeck befürchtet nämlich: Wenn die Ukraine »fällt«, »dann ist das eine Einladungen an Russland, andere Konflikte ebenfalls eskalieren zu lassen«. Dass die Grünen eine »pazifistische Tradition« hätten, sei »gut« – aber so ein Besuch an der »Front« in der Ostukraine ist eben einfach »beeindruckend«. Die ukrainischen Kräfte seien dort russischen Scharfschützen ausgesetzt, »und dann zu sagen, wir machen das alles mit diplomatischen Dingen, mit diplomatischen Gesprächen, ist natürlich richtig, aber trotzdem sollte man Nachtsichtgeräte, Aufklärungsgeräte, Kampfmittelbeseitigung, Medivacs doch zur Verfügung stellen«. Fazit: Habeck hat das Zeug zum Kriegsminister. (rsch)
Zuckerbrot und Peitsche (27.05.2021)
Bündnis 90/Die Grünen: Klimaschutz ist “historische Chance” für den Standort Deutschland. General a.D.: Grünen-Außenpolitik senkt die “Einsatzschwelle” für Militärinterventionen.
BERLIN (Eigener Bericht) – Mit der Forderung nach einer gegen Russland gerichteten Aufrüstung der Ukraine und mit Förderangeboten an wichtige Branchen der deutschen Industrie bereiten sich Bündnis 90/Die Grünen auf den Wahlkampf ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vor. Man könne der Ukraine die Lieferung angeblich defensiver Waffen nicht verwehren, erklärt Grünen-Parteichef Robert Habeck. Zugleich fordert die Partei eine enge Kooperation mit der Biden-Administration und macht das Bekenntnis zur NATO-Mitgliedschaft zur Vorbedingung für künftige Koalitionsgespräche. Während Wirtschaftskreise mit Warnungen vor einem angeblich “dirigistischen Staatsverständnis” bei den Grünen den Druck auf die Partei erhöhen, stellt diese den Klimaschutz, für den sie sich einsetzen will, als “historische Chance” für die deutsche Industrie dar, die letzten Endes die Konkurrenzfähigkeit des “Wirtschaftsstandorts Deutschland” steigern werde. Ein ehemaliger Bundeswehrgeneral warnt, die außen- und militärpolitischen Konzeptionen der Grünen senkten die “Einsatzschwelle” für künftige Militärinterventionen deutlich ab.
“Verbote, Quoten, Technologievorgaben”
Bündnis 90/Die Grünen gelten aufgrund ihrer hohen Umfragewerte, die sie mitunter vor der CDU sehen, als eine wahrscheinliche künftige Regierungspartei nach der Bundestagswahl im September. Der Popularitätsschub veranlasst inzwischen Industrieverbände wie auch wirtschaftsnahe Institute und Medien, sogar die Option einer grün geführten Bundesregierung zu diskutieren – und die Parteiführung durch Kritik wie auch durch Forderungen unter Druck zu setzen. In konservativen Leitmeiden heißt es etwa unter Bezugnahme auf Äußerungen des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), im Wahlprogramm der Ökopartei herrsche noch ein “prinzipielles Misstrauen” gegenüber “Marktkräften” vor.[1] Der Industrieverband warnt demnach vor einer “grünen Planwirtschaft” infolge des ökologischen Umbaus der Gesellschaft, mit dem die Klimakrise bekämpft werden soll. Eine “Vielzahl von Verboten, Quoten und Technologievorgaben” im Parteiprogramm der Grünen würden vom BDI als “Bausteine einer anderen Gesellschaftsordnung” bezeichnet – und als Hinweis auf ein “ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis”. Der Lobbyverband bemängelt demnach konkret die Forderungen nach höheren CO2-Preisen sowie nach Klimaverträglichkeitsprüfungen für Unternehmen. Wirtschaftsnahe Forschungsinstitute kritisieren unter anderem die Forderungen nach einem schnelleren Ausstieg aus der Kohleverstromung (2030 statt 2038), nach einem Ende des Verbrennungsmotors ab 2030, nach einem höheren CO2-Preis von 60 Euro je Tonne bis 2023 und nach der intendierten Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990.[2] Auf Kritik stoßen ebenfalls Programmpunkte, die einen höheren Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde, die Gleichstellung von Zeitarbeitern, ein Recht auf Homeoffice oder eine Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen in Aussicht stellen (“Hartz IV hat sich im Grundsatz bewährt”). Auf Zuspruch trifft hingegen die angekündigte Innovationsförderung der Wirtschaft im Rahmen des “Green New Deal”.
“Abschied von der sozialen Marktwirtschaft”
Ökonomen warnen zuweilen, die Grünen würden, an die Regierung gelangt, faktisch einen “Abschied von der sozialen Marktwirtschaft” einleiten.[3] Beklagt wird die geplante Förderung des Öffentlichen Personennahverkehrs, die zu einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 führen soll, wie auch der vorgeschlagene Umbau der “Verkehrsinfrastruktur zugunsten von Schiene und Fahrrad”. Dies gehe, heißt es, “zu Lasten des Autos” und des Flugverkehrs. Moniert wird überdies, dass der von den Grünen forcierte “komplette Umstieg auf Elektrofahrzeuge” die Entwicklung alternativer “Antriebsstoffe für den Verbrennungsmotor” ignoriert. Weiter heißt es, die Partei strebe zunehmend danach, die deutsche Wirtschaftspolitik insgesamt umzuformen.[4] Dabei solle “viel Geld in den Umbau des Standorts Deutschland” investiert werden – finanziert durch eine Vermögenssteuer und durch eine Abschaffung der Schuldenbremse. (Tatsächlich sprachen sich Spitzenvertreter von Bündnis 90/Die Grünen dafür aus, die Schuldenbremse durch eine “Investitionsregel” zu ergänzen, um die Modernisierung der Infrastruktur finanzieren zu können.[5]) Dies gefalle allerdings, heißt es schließlich, “nur einem Teil der Unternehmen”. In der Wirtschaft herrsche zudem Skepsis bezüglich der Innovationsförderung des Staates vor, da dieser “in der Vergangenheit immer wieder falsch” gelegen habe. Es stelle sich die Frage, wer über die Verwendung der Milliardenbeträge bestimmen und entscheiden solle, “welche Innovation besonders förderungswürdig ist”.
Zahm, umgänglich, freundlich
Die Parteiführung von Bündnis 90/Die Grünen hingegen stellt den Klimaschutz als “historische Chance” für die deutsche Wirtschaft dar, bei deren Realisierung die Konkurrenzfähigkeit des “Wirtschaftsstandorts Deutschland” sogar noch gesteigert werde.[6] Die deutsche Industrie habe jetzt die Chance, sich “im Bereich Energie, Mobilität und Infrastruktur zu den globalen Spielern der Zukunft zu entwickeln”, hatte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schon im Jahr 2019 im Gespräch mit Wirtschaftsvertretern erklärt. Dieses Narrativ trifft in Teilen der deutschen Wirtschaft inzwischen auf Zustimmung. Die bei den alten, fossilen Industrien auf Widerstand stoßende strategische Zielsetzung der Grünen, der Klimakrise mit einem kapitalistischen Modernisierungsschub in Umweltbranchen zu begegnen, schlägt sich folglich in einer immer engeren Verflechtung zwischen der “Ökopartei” und unternehmensnahen Lobbyverbänden nieder.[7] Der Weg zur Macht in Berlin führe “über diese Lobbys”, in denen Parteimitglieder inzwischen “wichtige Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Politik” besetzten und dadurch “die Startbedingungen für eine Regierungsbeteiligung” verbesserten, heißt es. Der “Wille zum Gestalten” sei in der Partei prägend; die Grünen seien “zahmer, umgänglicher, freundlicher” geworden. Ehemalige Grünen-Funktionäre arbeiteten längst bei Daimler oder dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Selbst das “Verhältnis zur Chemie- oder Stahlindustrie”, das noch vor wenigen Jahren von “gegenseitiger Abneigung” geprägt war, sei nun “konstruktiv”. Vertreter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) gaben zu verstehen, die Verfilzung zwischen “grüner” Politik und Wirtschaft schaffe im Falle einer Regierungsbeteiligung der Partei “klare Vorteile für die Unternehmen”. Es sei sehr hilfreich, “Interessenvertreter zu haben”, die “hohe Glaubwürdigkeit” in Fragen der Ökologie und des Klimaschutzes besäßen, aber “auch Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge” hätten.
Globaler Machtfaktor EU
In der Außenpolitik setzen die Grünen zum einen klar auf den Ausbau der EU zu einem unabhängigen Machtfaktor im Zentrum des kapitalistischen Weltsystems. Spitzenvertreterinnen der Partei betonen, die EU müsse “viel selbstbewusster auftreten” – vor allem bei der “Verteidigung des freien und fairen Wettbewerbs”.[8] Dabei soll zum anderen eine Wiederannäherung an die USA unter der Biden-Administration gesucht werden; dies geht mit einem aggressiveren Konfrontationskurs gegenüber den “eurasischen” Großmächten Russland und China einher. Die Ökopartei spricht sich klar gegen die deutsch-russische Erdgaspipeline Nord Stream 2 aus, die auch von der Biden-Administration abgelehnt wird.[9] Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen bewertet Bidens Amtsantritt zudem als Chance für eine neue “transatlantische Klimapolitik”.[10] Die Option auf einen “Neubeginn” mit Washington wird von der Parteiführung allerdings an die Forderung nach “mehr strategischer Souveränität” für die EU gekoppelt.[11] Dabei machen Bündnis 90/Die Grünen inzwischen selbst vor einem Plädoyer für die “nukleare Teilhabe” nicht halt, wie eine Initiative der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung Anfang 2021 zeigte.[12]
“Lastenteilung innerhalb der NATO”
Neben der Klimapolitik sehen die Grünen Kooperationspotenzial mit der Biden-Administration bei der Digitalisierung und beim Kampf gegen US-Internetmonopole, bei der Förderung von “Demokratie und Rechtsstaatlichkeit”, in der Außen- und Militärpolitik sowie bei Handelsfragen. Die Rede ist etwa von einer mit den USA abgestimmten “Strategie im Umgang mit China”; die Partei kritisiert das Investitionsabkommen zwischen der EU und der Volksrepublik, das von der gegenwärtigen Bundesregierung “im Hauruck-Verfahren durchgedrückt” worden sei.[13] Weil der “sicherheitspolitische Fokus der USA” künftig auf Ostasien statt auf Europa liegen werde, müsse die EU nun ihrerseits “außen- und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen”. Dies gelte insbesondere für ihre östliche und südöstliche Nachbarschaft, wo “Russland, die Türkei oder China ihren Einfluss” ausbauten. In diesem Zusammenhang soll der östlichen Peripherie der EU im Rahmen des Programms “Eastern Partnership Security Compact” größere geostrategische Bedeutung beigemessen werden. Hier sind wiederum Interessensüberschneidungen mit Washington gegeben. Man könne mit den USA über eine “strategische Neuaufstellung” und ein “neues, breiteres Konzept der Lastenteilung innerhalb der NATO” diskutieren, heißt es. Außenpolitiker der Grünen sehen zudem in der Frage der Reform der Welthandelsorganisation (WTO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Kooperationspotenzial zwischen Berlin und Washington – wie auch bei der “Rettung” des Iran-Atomabkommens.[14]
Rüsten gegen Russland
Die Zustimmung zur NATO-Mitgliedschaft wurde von den Grünen inzwischen – neben dem Erhalt des “industriellen Kerns dieser Republik” – zur Vorbedingung für etwaige Koalitionsgespräche mit der Linkspartei erklärt.[15] Konkret läuft diese geostrategische Festlegung auf eine schärfere Konfrontation mit Russland hinaus, wie es aktuelle Vorstöße der Grünen-Parteiführung belegen.[16] Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck erklärt, man könne sich vorstellen, der Ukraine Waffen zu liefern. Seit dem Umsturz im Jahr 2014, der von nationalistischen und faschistischen Kräften durchgeführt und vom Westen tatkräftig flankiert wurde [17], verfolgt das Land einen scharf antirussischen Kurs, der aufgrund des “eingefrorenen” Bürgerkriegs im russisch orientierten Osten des Landes schnell in einen heißen Waffengang eskalieren kann. Man könne der Ukraine “sogenannte Defensivwaffen” schwer verwehren, behauptete Habeck jetzt nach Konsultationen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in Kiew. Nur bei der Frage nach einer eventuellen NATO-Mitgliedschaft müsse das Bürgerkriegsland sich noch ein wenig in “Geduld” üben.
Niedrige politische Einsatzschwelle
Ein General der Bundeswehr a.D. urteilt unterdessen, die außen- und militärpolitischen Pläne der Grünen seien nur mit erhöhten Finanzaufwendungen für die Bundeswehr, also mit einer Aufstockung des Militäretats, zu stemmen.[18] Durch die Forderung nach einer Abschaffung des Vetorechts im Weltsicherheitsrat und durch die Befürwortung globaler Interventionen zur “Verteidigung der Menschenrechte” senke die ehemalige Friedenspartei die “politische Einsatzschwelle von Streitkräften bei internationalen Einsätzen” deutlich ab, warnt Erich Vad, einst militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Militärische Interventionen würden dadurch wahrscheinlicher – nicht zuletzt, weil auch der Schutz von Flüchtlingen “zur Legitimation weltweiter militärischer Einsätze herhalten” müsse. Im Grünen-Programm fänden sich zwar noch Forderungen nach einer verschärften Rüstungsexportkontrolle sowie nach einer Ächtung “autonomer tödlicher Waffensysteme”. Die entscheidenden Weichen stellten jedoch die Forderungen nach einer “Modernisierung der Bundeswehr” und nach einer “strategischen Neuausrichtung der Nato”.
Kolonialisten verlieren Kontrolle
Jüngster Putsch in Mali ist Folge der Militarisierung der Sahelstaaten. Differenzen zwischen Berlin und Paris
Von Jörg Kronauer
Mit scharfer Kritik und der Forderung nach verstärkter Einflussnahme in Mali reagieren Berlin und Paris auf den erneuten Putsch in dem westafrikanischen Land. Die Festnahme des Präsidenten und des Ministerpräsidenten der Übergangsregierung am Montag durch das Militär sei »ein desaströses Zeichen«, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, forderte, die Mächte Europas müssten in Mali künftig »mit mehr Energie« Einfluss nehmen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte den Putsch »inakzeptabel« und stellte »gezielte Sanktionen« in Aussicht. Für den gestrigen Mittwoch wurde eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zur Entwicklung in Mali angekündigt.
Tatsächlich stellt der jüngste Putsch, auf den Berlin und Paris mit Empörung reagieren, vor allem Frankreich und Deutschland ein verheerendes Zeugnis aus. Beide Staaten spielen jeweils führende Rollen in dem seit mittlerweile acht Jahren andauernden internationalen Militäreinsatz in Mali. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat zuletzt zu Monatsbeginn virtuell Gespräche mit dem Leitungspersonal der deutschen Einsatzkontingente in Bamako und in Gao geführt. Zuletzt ist eine Erweiterung des Drohneneinsatzes der Bundeswehr beschlossen worden. Der Bundestag hat erst vergangene Woche das Einsatzmandat der deutschen Streitkräfte verlängert, während Paris den Aufbau eines zusätzlichen Ausbildungseinsatzes vorantreibt.
Dabei verfehlt die stetige Militarisierung der Konflikte in Mali und im Sahel schon seit Jahren ihr offizielles Ziel. Die oft dschihadistisch geprägten Aufstände haben sich längst vom Norden in das Zentrum des Landes sowie in die Nachbarstaaten ausgeweitet. Hinzu kommt, dass die im Rahmen des EU-Ausbildungseinsatzes EUTM Mali trainierten Soldaten immer wieder gravierende Menschenrechtsverletzungen begehen. Erst zu Monatsbeginn berichtete »Human Rights Watch«, die malischen Streitkräfte hätten im Rahmen sogenannter Antiterroroperationen mindestens 34 Dorfbewohner umgebracht und mindestens 16 weitere verschwinden lassen. Nicht zuletzt hat sich die langjährige malische Regierung unter Expräsident Ibrahim Boubacar Keïta, die eng mit Paris, Berlin und der EU kooperierte, als überaus korrupt erwiesen. Damit hat sie im vergangenen Jahr Massenproteste provoziert und einen ersten Putsch junger Offiziere ausgelöst. Der aktuelle zweite Putsch binnen nur neun Monaten unter den Augen auch der Bundeswehr ist letztlich die Folge davon.
Dabei täuscht die aktuelle deutsch-französische Einigkeit in der Verurteilung des jüngsten Putschs lediglich über die zunehmenden Differenzen zwischen Berlin und Paris hinweg, zu denen das offenkundige Scheitern des Militäreinsatzes in Mali führt. Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) monierte kürzlich, Paris lasse sich in Mali vom »Narrativ der Terrorbekämpfung« leiten und presche militärisch vor, was sich als kontraproduktiv erweise. Derlei Vorwürfe sind in Berlin immer häufiger zu hören. Zwar beruht der Militäreinsatz der europäischen Mächte in Mali auf einer Arbeitsteilung, die Frankreich vorrangig die Kampf-, Deutschland hingegen stärker die Ausbildungskomponente zuweist. Dies bietet der Bundesrepublik jedoch die Chance, im Hinblick auf das Scheitern des Militäreinsatzes die Verantwortung auf Frankreich abzuwälzen.
Riegel vorgeschoben
Russische Staatsduma verbietet Anführern, Mitgliedern und Unterstützern »extremistischer Organisationen« Kandidatur bei Wahlen
Von Reinhard Lauterbach
Russland versucht, der weiteren Tätigkeit der Organisation des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Die Staatsduma verabschiedete am Mittwoch in dritter und entscheidender Lesung ein »Gesetz zur Änderung einiger Vorschriften des Wahlrechts«. 45 Abgeordnete der Kommunistischen Partei (KPRF) und der sozialdemokratischen Partei »Gerechtes Russland« hatten angekündigt, mit Nein zu stimmen. Wie das tatsächliche Stimmenverhältnis aussah, wurde zunächst nicht mitgeteilt.
Das Gesetz besteht im wesentlichen aus einem einzigen längeren Paragraphen. Darin wird Anführern »extremistischer oder terroristischer Organisationen« für die Dauer von fünf Jahren ab der Gerichtsentscheidung über die Einstufung der betreffenden Organisation als extremistisch bzw. terroristisch verboten, bei Wahlen aller Ebenen zu kandidieren. Das bedeutet in der Praxis: bei der nächsten und der übernächsten Dumawahl. Für einfache Mitglieder, Sponsoren und Unterstützer beträgt die Sperrfrist drei Jahre.
Der Begriff der Unterstützung ist dabei ausgesprochen weit gefasst und setzt eine umfassende Überwachung der Gesellschaft voraus. Als »Beteiligter« an einer extremistischen Organisation kann jeder eingestuft werden, der ihr allgemein oder für bestimmte Vorhaben Geld gespendet oder sich auch nur »im Internet oder offline« positiv über ihre Ziele geäußert hat. Abgeordnete der beiden linken Oppositionsparteien hatten auf den rechtsstaatswidrigen Charakter der in dem neuen Gesetz enthaltenen Rückwirkungsklausel hingewiesen: Danach gilt das Verbot zu kandidieren für jeden, der in den letzten drei Jahren bevor die Organisation für extremistisch erklärt wurde mit ihr zusammengearbeitet hat – also auch zu einem Zeitpunkt, als das neuerdings drohende gerichtliche Verbot von Nawalnys Antikorruptionsstiftung noch nicht im Raum stand. Juristisch fragwürdig ist zudem, dass bei sogenannten einfachen Mitgliedern und Unterstützern per Gerichtsbeschluss festgestellt werden muss, dass sie welche sind, bei Anführern dagegen nicht. Wer hier entscheidet, wird im Text nicht präzisiert. Das schafft de facto unterschiedliche Rechtsstellungen beider Gruppen und ermöglicht in der Praxis unkontrollierte Entscheidungen der Exekutive.
Die Initiatoren des neuen Gesetzes, eine Gruppe von acht Abgeordneten der Regierungspartei »Einiges Russland«, hatten bei der Einbringung Anfang Mai argumentiert, das Wahlsystem Russlands müsse vor ausländischer Einmischung geschützt werden. Ursprünglich sollte das nur für die im September anstehende Wahl zur Staatsduma gelten; im Verlauf der parlamentarischen Behandlung der Vorlage wurde ihre Geltung auf sämtliche Wahlämter bis hinunter zu dem des Gemeinderats ausgedehnt.
Die Verabschiedung eines Gesetzes mit derartig wenig rechtsstaatlichen Bestimmungen macht deutlich, dass es auf seiten der Regierungspartei offenbar ernsthafte Befürchtungen gibt, sie könnte bei den Duma-Wahlen ihre bisherige Mehrheit verlieren. Erstaunlich ist das nicht. Das »Einige Russland« verdankte seine Dominanz neben der Nutzung »administrativer Ressourcen«, also dessen, was man auf deutsch den Missbrauch des Amtsbonus nennt, einem impliziten Sozialkontrakt: soziale Stabilität gegen politische Zustimmung. Dieses Arrangement wird im achten Jahr zurückgehender Realeinkommen der Bevölkerung offenbar brüchig, auch wenn Nawalny nach wie vor außerhalb der Moskau-Petersburger Blase keine große Popularität genießt. Aber ein Nawalny ist austauschbar; sein Aufruf zum »schlauen Wählen« – je nach den örtlichen Verhältnissen für den aussichtsreichsten Kandidaten außerhalb der »Partei der Macht« stimmen –, könnte ihn als Strategie durchaus überdauern.
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Tatortreinigerin des Tages: Annalena Baerbock
Von Arnold Schölzel
In sogenannten Talkshows wischen die Grünen-Vorsitzenden zur Zeit ihren rhetorischen Unfällen und Untaten gegenseitig hinterher. Am Mittwoch abend war Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei »Maischberger« dran. Robert Habeck hatte am selben Tag von der ukrainischen »Front« gegen Russland aus in einem DLF-Interview seine Forderung nach Defensivwaffen für die Ukraine erneuert. Das sorgte sogar bei Grünen für Gegrummel. Habecks Begründung: Das Land kämpfe »nicht nur für sich selbst«, sondern verteidige auch »die Sicherheit Europas«. Wem das bekannt vorkommt: 1985 hatte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger US-Senatoren, die gegen einen gemeinsamen Besuch von US-Präsident Ronald Reagan und Bundeskanzler Helmut Kohl an SS-Gräbern in der Eifel waren, empört geschrieben, er habe am letzten Kriegstag mit seinem Bataillon »die Stadt Marklissa in Schlesien gegen die Angriffe der Roten Armee verteidigt«, das heißt schon 1945 »Europa« an der Seite der US-Army geschützt. Habeck 2021 ist ungefähr Dregger 1985. Ukrainische Faschisten jeweils inbegriffen.
Was tun, Frau Baerbock? Routiniert einen Wisch-und-weg-Wortschwall drüberkippen. Startsatz: »Hat er so nicht gesagt.« Es gehe Habeck um die OSZE-Mission in der Ostukraine, die ihre Arbeit nicht machen könne, um Minenräumung und »Luftabwehr«. Selbst Springers neuerdings Grünen-freundliche Welt stellte verblüfft fest: Der Kovorsitzende hatte die OSZE im DLF überhaupt nicht erwähnt. Ihm war die Verteidigung »Europas« gegen Putin wichtiger, womit er lediglich seiner Kanzlerkandidatin folgte. Die hatte Ende April in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Richtlinie ausgegeben, es sei jetzt »das wichtigste, den Druck auf Russland zu erhöhen«. Demnächst wollen die Grünen dem Vernehmen nach einen Alfred-Dregger-Gedächtnispreis stiften.
Die Amis und der Neonazi
Belarus: Festgenommener Blogger hat im faschistischen Bataillon »Asow« in der Ukraine gekämpft und ist im State Department empfangen worden
Von Reinhard Lauterbach
Der festgenommene belarussische Oppositionsaktivist Raman Pratassewitsch hat eine weit rechtere Vergangenheit, als es westliche Medien bisher dargestellt haben. Der Chef des belarussischen Geheimdienstes KGB, Iwan Tertel, sagte am Mittwoch vor dem Parlament des Landes, Pratassewitsch habe 2014/15 im ukrainischen Neonazibataillon (inzwischen: Regiment) »Asow« im Donbass gekämpft. Das erfülle die Tatbestände des Terrorismus und des Söldnertums.
Der Einsatz von Pratassewitsch bei »Asow« wird auch von ukrainischer Seite nicht mehr bestritten. Andrej Bilezkij, früherer Chef der Einheit, sagte gegenüber dem ukrainischen Dienst der BBC, »Raman« habe »in unseren Reihen gegen die Okkupation der Ukraine gekämpft« – als Journalist – »mit den Waffen des Wortes«.
An dieser Stelle kommt der US-amerikanische Aspekt der Vergangenheit von Pratassewitsch ins Bild. Er hat selbst behauptet, sich im Donbass als Videojournalist für Radio Liberty betätigt zu haben, dem in Prag ansässigen US-Propagandasender. Russische und oppositionelle ukrainische Medien veröffentlichen darüber hinaus Hinweise darauf, dass Pratassewitsch im »Pressedienst« des Asow-Bataillons tätig gewesen sein dürfte. Darunter ist eine Ausgabe der »Hauszeitschrift« des Bataillons, Schwarze Sonne. Auf einer Titelseite aus dem Jahr 2015 ist ein junger Mann in Kampfmontur zu sehen – Pratassewitsch zumindest sehr ähnlich. Das Blättchen steckt voller faschistischer Bekenntnisartikel und homofeindlicher Propaganda. Obwohl der US-Kongress schon 2015 jede direkte US-Unterstützung des Asow-Bataillons wegen dessen faschistischer Orientierung verboten hatte, gelangte Pratassewitsch in den Genuss von US-Stipendien zur »Talentförderung«; dabei wurde er, wie Selfies von ihm zeigen, 2018 sogar im US-Außenministerium empfangen.
In sozialen Netzwerken fanden russische Journalisten zudem Selbstporträts mit einem schweren Maschinengewehr oder wie Pratassewitsch gemeinsam mit anderen Kämpfern von »Asow« in Reih und Glied steht. Außerdem veröffentlichte das nationalistische belarussische Portal Nascha Niwa 2015 ein Interview mit einem in den Reihen von »Asow« kämpfenden Belarussen, das mit einem Photo illustriert ist, das bis auf das verpixelte Gesicht mit einem der Selfies von Pratassewitsch identisch ist. Darin erklärt der Interviewte, er sei 2014 auf eigene Initiative in die Ukraine gegangen, um »gegen die russischen Horden« zu kämpfen.
Hinweise gibt es auch darauf, dass Pratassewitsch der »Jungen Front«, der Jugendorganisation der »Volksfront«, angehört hat. Diese vertritt einen antirussischen belarussischen Nationalismus, vertrieb auch Broschüren, die die belarussischen Kollaborateure mit den Nazibesatzern glorifizierten. Öffentliche Auftritte der »Jungen Front« zeigen das typische Design faschistischer Aufmärsche. Schon seit Mitte der 90er Jahre, als der Gründer der »Volksfront«, Sjanon Pasnjak, angesichts drohender Verfolgung in Belarus dorthin auswich, haben die USA als Rückzugsraum gedient und die »Volksfront« politisch am Leben gehalten.
Prowestliche russische und ukrainische Medien versuchen, die jetzt bekanntgewordenen Informationen mit dem Hinweis zu entkräften, sie bewiesen nichts zu den jetzt gegen Pratassewitsch erhobenen Vorwürfen. Konkret vielleicht nicht. Aber sie lassen eine Spur erkennen: vom belarussischen Nationalismus, dessen Förderung durch die USA und zu den jüngsten Protesten gegen Alexander Lukaschenko.
Erinnert in die Geschichte, wo der neuen Kiewer Führung offenbar eine ihrer Altlasten zuviel geworden war:
https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-nationalisten-fuehrer-musytschko-getoetet-a-960614.html
In der Sanktionsspirale (31.05.2021)
Berlin und Brüssel planen harte Wirtschaftssanktionen gegen Belarus. Außenminister Maas fordert Ausschluss des Landes vom Zahlungssystem SWIFT.
BERLIN/BRÜSSEL/MINSK (Eigener Bericht) – Mit einer Erörterung verschiedener drastischer Wirtschaftssanktionen leiten Berlin und die EU die nächste Runde im Kampf um den Sturz des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko ein. Man solle nicht nur Strafmaßnahmen gegen belarussische Konzerne in Betracht ziehen, sondern auch, das Land vom internationalen Zahlungssystem SWIFT auszuschließen, fordert Außenminister Heiko Maas. Ein Ausschluss von SWIFT könnte – wie einst in Iran – auch in Belarus zu einem “massiven Einbruch” der Wirtschaft führen, urteilen Experten. Freilich warnen Beobachter, Sanktionen könnten durchaus auch der eigenen Seite Schaden zufügen; als Beispiel gilt ein etwaiger Boykott gegen Belaruskali, der den Landwirten in der EU gravierende Probleme bereiten könnte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wird mit der Aussage zitiert, der Westen werde womöglich “ein wenig Opfer” bringen müssen. Mit den bevorstehenden Sanktionen gehen die mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Versuche Berlins, Brüssels und Washingtons, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, in die nächste Runde.
Zuckerbrot und Peitsche
Mit den neuen Sanktionen, auf die sich die EU in der vergangenen Woche im Grundsatz geeinigt hat und die nun konkretisiert werden sollen, gehen die Bemühungen Berlins, der EU und der USA, den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zu stürzen, in ihre nächste, bislang wohl aggressivste Runde. Begonnen haben sie bereits Ende der 1990er Jahre – unter anderem mit Bemühungen des ehemaligen BND-Präsidenten Hans-Georg Wieck, seinen Posten als Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk (1998 bis 2001) zu nutzen, um die recht schwache und zersplitterte belarussische Opposition zu organisieren und zu stärken.[1] Im Laufe der Jahre wechselten sich dabei Umsturzversuche mit Bestrebungen ab, die belarussische Staatsspitze eng in westliche Strukturen einzubinden, um sie Stück für Stück aus dem Bündnis mit Russland zu lösen; so gelang es nach einem Besuch von US-Außenminister Mike Pompeo am 1. Februar 2020 etwa, ein gemeinsames Manöver belarussischer und britischer Soldaten durchzuführen – eine erste enge Militärkooperation mit einer bedeutenden NATO-Macht.[2] Die Arbeit an der direkten Einbindung Belarus’ in westliche Bündnisstrukturen endete vorläufig im August 2020 – mit den Protesten im Umfeld der damaligen Präsidentenwahl.[3]
Unterstützung für die Exilopposition
Die westlichen Mächte nahmen die relativ breit getragenen Proteste zum Anlass, erneut den Sturz von Präsident Lukaschenko ins Zentrum ihrer Bestrebungen zu stellen. Dabei werden unmittelbare Maßnahmen zur Förderung der belarussischen Opposition über die Nachbarstaaten abgewickelt – über Polen und über Litauen. Die polnische Regierung hat der belarussischen Exilopposition ein Gebäude in einem Warschauer Diplomatenviertel zur Verfügung gestellt und fördert einen TV- wie einen Radiosender (Belsat, Radio Racja), die aus Polen senden und in Belarus zu empfangen sind. Aus Warschau wird der Telegram-Kanal Nexta betrieben, ein zentrales Medium zur Organisierung der belarussischen Opposition. In Vilnius wiederum, der “Hauptstadt” der Exilopposition, in der etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) ihr “Auslandsbüro Belarus” unterhält, residiert derzeit Swetlana Tichanowskaja, die sich zur Siegerin der jüngsten Präsidentenwahl vom August 2020 erklärt hat. Der am 23. Mai bei der erzwungenen Zwischenlandung des Ryanair-Fluges in Minsk festgenommene Aktivist Roman Protassewitsch hatte im vergangenen Jahr eine Zeitlang für Nexta in Warschau gearbeitet, bevor er nach Vilnius wechselte. Zuvor hatte er in den Jahren 2014/15 im faschistischen “Bataillon Asow” in der Ostukraine gekämpft.[4]
Sanktionswellen
Zusätzlich zur Unterstützung der belarussischen Exilopposition hat die EU im vergangenen Jahr begonnen, die Regierung in Minsk systematisch mit Sanktionen zu attackieren. Bereits seit Jahren in Kraft und weiterhin gültig sind ein Waffenembargo sowie das Verbot, Güter zu liefern, die zu innerer Repression genutzt werden können. Im Oktober, November und Dezember vergangenen Jahres hat die EU in drei Wellen Strafmaßnahmen gegen Einzelpersonen und Unternehmen verhängt, denen vorgeworfen wird, entweder Verantwortung für Repression gegen die Opposition zu tragen oder Präsident Lukaschenko und seine Regierung zu unterstützen. Die Sanktionsliste umfasst alles in allem 88 Personen – darunter Präsident Lukaschenko selbst und sein Sohn Wiktor Lukaschenko, der als Nationaler Sicherheitsberater amtiert – sowie sieben Unternehmen, darunter der Rüstungshändler Beltechexport. Gegen die Betroffenen wurden Einreisesperren in die EU in Kraft gesetzt; zudem wurde ihr Vermögen in der EU eingefroren. EU-Bürgern ist es nicht mehr erlaubt, mit ihnen Geschäfte zu machen. Eine vierte Sanktionswelle gegen Belarus ist bereits seit geraumer Zeit in Vorbereitung – ein Beleg dafür, dass die Debatte um die Zwangslandung des Ryanair-Flugzeugs nicht der Auslöser der neuen Sanktionen ist, sondern ihrer Legitimation dient.
“Belarus wirklich treffen”
Dabei haben die EU-Staats- und Regierungschefs am 24. Mai nicht nur neue Sanktionen gegen Personen, sondern zudem ein Überflug- und Landeverbot für belarussische Flugzeuge sowie vor allem “gezielte Wirtschaftssanktionen” beschlossen, die noch genauer bestimmt werden müssen. Modell sind Strafmaßnahmen, die die Vereinigten Staaten schon am 19. April verhängt haben und die ein Verbot jeglichen Geschäfts mit neun belarussischen Unternehmen vorsehen, darunter der Reifenhersteller Belshina, der Düngemittelhersteller Grodno Azot und Belneftekhim.[5] Der Staatskonzern Belneftekhim betreibt Pipelines, Raffinerien sowie Chemiefabriken; laut Berichten stellt er ein Drittel der belarussischen Industrieprodukte her.[6] Seit Tagen überschlagen sich deutsche Medien mit Vorschlägen, welche Sanktionen “Belarus wirklich treffen” könnten.[7] So heißt es etwa, man könne Strafmaßnahmen gegen das Staatsunternehmen Belaruskali verhängen – einen der größten Kaliproduzenten weltweit, der allein rund 20 Prozent des globalen Bedarfs an Kalidüngemitteln decke und für das Land “lebenswichtig” sei.[8] Brüssel dürfe sich “nicht mit kleinen Sanktionsschritten zufrieden geben”, verlangt Außenminister Heiko Maas und spricht von einer “großen und langen Sanktionsspirale”.[9]
“Ein wenig Opfer”
Experten warnen in zweierlei Hinsicht. Zum einen heißt es, die Erfahrung mit Sanktionen lehre, dass das betroffene Land sich einfach andere Absatzmärkte suchen könne; Belaruskali etwa werde wohl in der Lage sein, neue Kunden für seinen Kalidünger zu finden. Auch könne sich Belarus – unter Druck stehend – genötigt sehen, sich noch enger als bisher an Moskau zu binden: “Schärfere EU-Sanktionen könnten die ohnehin schon große Abhängigkeit des Landes von Russland noch weiter verstärken”, wird Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, zitiert.[10] Zum anderen aber sei mit Schäden auf der eigenen Seite zu rechnen. Es sei etwa denkbar, dass Strafmaßnahmen gegen Belaruskali den Weltmarktpreis für Kalidünger in die Höhe trieben; darunter würden dann auch Landwirte in der EU leiden. Sollte Minsk gar zu Gegensanktionen greifen – so etwa auf dem Erdöl- oder dem Erdgassektor -, dann drohe eventuell ein “Sanktionskrieg”, der auch Berlin und Brüssel Verluste bringen werde.[11] Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn wird diesbezüglich mit der Vorhersage zitiert: “Das kostet auch ein wenig Opfer von der westlichen Seite.” Das müsse man freilich akzeptieren; nachzugeben “wäre falsch”.[12]
Ausschluss von SWIFT
Um Minsk in die Knie zu zwingen, schlägt Außenminister Maas nicht nur vor, die Ausgabe sowie den Handel in Euro notierter belarussischer Staatsanleihen zu untersagen. Maas spricht sich zudem dafür aus, Belarus unter Umständen vom Zahlungssystem SWIFT auszuschließen und es dadurch von internationalen Zahlungen abzuschneiden.[13] Im Falle Irans hatte diese Maßnahme zu schweren Schäden geführt und die Wirtschaft des Landes dramatisch einbrechen lassen. Allerdings dürfte auch ein Ausschluss von SWIFT Belarus noch enger an Russland binden – dies nicht zuletzt, weil Moskau und Beijing ohnehin daran arbeiten, eine Alternative zu SWIFT zu schaffen, um den westlichen Sanktionsdrohungen dauerhaft zu entkommen (german-foreign-policy.com berichtete [14]). Gelingt dies, dann besäße auch Minsk gegen Berlins Finanzaggressionen einen gewissen Schutz.
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Dänischer Geheimdienstskandal: NSA beim Ausspionieren von Merkel & Co. geholfen
Mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des Geheimdienstskandals in Dänemark kommt etwas mehr Licht in die Angelegenheit. Der Skandal weitet sich aus.
Russland gewährt Belarus Kredit
Putin trifft Lukaschenko. EU und USA wollen weitere Sanktionen
Russland unterstützt Belarus mit einem weiteren Großkredit. Der russische Präsident Wladimir Putin sicherte seinem belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko bis Ende Juni 500 Millionen US-Dollar (410 Millionen Euro) Kredit zu.
Kremlsprecher Dmitri Peskow betonte nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax, dass es sich um die zweite Tranche eines Kredits handle, der bereits früher beschlossen worden sei. Zu Beginn des Treffens am Freitag in Sotschi hatten beide Politiker die engen bilateralen Beziehungen ihrer Länder hervorgehoben. Im Rahmen der Russisch-Belarussischen Union kooperieren Moskau und Minsk im Wirtschafts- und Verteidigungsbereich.
Zuvor hatten sowohl die EU als auch die USA Sanktionen beschlossen, um Belarus für die erzwungene Landung eines Passagierflugzeuges in Minsk zu bestrafen. Nach der Landung war es zu einer Festnahme gekommen. Der Westen fordert die Freilassung des Bloggers Raman Pratassewitsch, Belarus erhebt hingegen Terrorvorwürfe – Pratassewitsch hatte gemeinsam mit ukrainischen Neonazis im Bürgerkrieg des Nachbarlandes gekämpft und war später im US State Department in Washington empfangen worden (jW berichtete). Der 26jährige sitzt in Haft, ebenso wie seine Freundin, die Russin Sofia Sapega.
An diesem Montag wollen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron über ein weiteres europäisches Sanktionspaket gegen die ehemalige Sowjetrepublik sprechen. Zuvor schon hatten die USA Strafmaßnahmen gegen neun belarussische Staatsbetriebe verkündet. Das Weiße Haus gab bekannt, in Absprache mit der EU und weiteren Partnern gezielte Sanktionen gegen »Schlüsselfiguren des Regimes« vorzubereiten. Washington arbeite an einer Liste wichtiger Vertreter der Regierung Lukaschenko, teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jennifer Psaki, am Freitag mit. Darum dürfte es nach Angaben aus dem Élysée-Palast auch in der Onlineschalte von Merkel und Macron gehen. Das US-Außenministerium sprach zudem eine Reisewarnung für Belarus aus. Die EU stellte Belarus zudem ein drei Milliarden Euro starkes Unterstützungspaket in Aussicht, das nur unter der Bedingung zum Tragen kommen soll, dass Präsident Lukaschenko gestürzt wird. (AFP/dpa/jW)
Er kandidiert
Steinmeier will Präsident bleiben
Von Jörg Kronauer
Frank-Walter Steinmeier strebt, das hat er Ende vergangener Woche bestätigt, eine zweite Amtszeit als Bundespräsident an. Zwar ist es bis zur Wahl des Staatsoberhaupts im Februar noch eine Weile hin; dennoch hat die Debatte über »Steinmeier II« nun begonnen. Von der Union über die Grünen bis zur Linkspartei geben sich viele dafür prinzipiell offen.
Eines könnte man ihm zugute halten: Er zählt nicht zu denjenigen, die am lautesten, am aggressivsten für verschärfte Attacken gegen die Rivalen der deutschen Herrschaftseliten trommeln, gegen Russland, gegen China. Unlängst hat er gewarnt, man müsse es sich genau überlegen, ob man wirklich mit einem Baustopp für Nord Stream 2 die deutsch-russischen Energiebeziehungen und damit »fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa« abbrechen wolle, und er hat in diesem Kontext ausdrücklich an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion erinnert. Dass er damit fast allein stand, während andere für Waffenlieferungen an die Ukraine trommeln, ist freilich weniger eine Aussage über Steinmeier als vielmehr eine über die geschichtsvergessene, hemmungslose Aggressionsbereitschaft in der heutigen BRD.
Steinmeier selbst hat allerdings in seinen langen Amtsjahren erst als Staatssekretär, dann als Chef des Kanzleramts und schließlich als Außenminister immer wieder bewiesen, dass auch er, wenn’s wirklich ernst wird, alle Hemmungen fallenlässt. Nicht nur, dass er als Außenminister die Umsturzpolitik in der Ukraine mit forcierte: Sein PR-trächtiger Empfang des Führers der faschistischen Partei Swoboda am 20. Februar 2014 in der deutschen Botschaft in Kiew hat dazu beigetragen, die ukrainischen Anhänger des NS-Kollaborateurs Bandera politisch hoffähig zu machen. Den Krieg gegen Jugoslawien, die Abspaltung des Kosovo unter offenem Bruch des Völkerrechts und die Inthronisierung der Mafiabosse von der UCK in Pristina hat er nicht weniger entschlossen vorangetrieben: Wenn es darauf ankam, spielten historische Bedenken keine Rolle.
Als Kanzleramtschef hat Steinmeier zudem nicht nur die Agenda 2010 und Hartz IV durchgesetzt, was viele in Armut stürzte, es der Bundesrepublik aber erlaubte, Rivalen wie etwa Frankreich niederzukonkurrieren und ihre Dominanz in der EU zu zementieren. Er war zudem in der Berliner Machtzentrale letztinstanzlich zuständig für den BND; stetiger Teilnehmer an den »Sicherheitsrunden« im Kanzleramt; ab dem 11. September 2001 eng in die Kollaboration der Bundesregierung mit den USA bei der Verschleppung und Folter von Terrorverdächtigen durch die CIA involviert. Der Schweizer Liberale Dick Marty hat als Sonderermittler des Europarats beklagt, gerade die Bundesregierung verhindere systematisch jegliche Aufklärung der Staatsverbrechen. Steinmeiers Aufstieg ins Präsidentenamt hat das nicht gebremst, und in der selbsternannten Hauptstadt der Menschenrechte spielt es keinerlei Rolle bei der Debatte über seine Kandidatur.
Das ist dreist, grotesk, und größenwahnsinnig.
Erstens werden damit Oppositionelle zu Gewalt und gesetzwidrigem Handeln aufgefordert und dafür eine Belohnung in Aussicht gestellt. Es ist eine Art Kopfgeld, wo ein Regierungsoberhaupt wie ein Verbrecher behandelt und sich Jurisdiktion über fremdes Territorium angemaßt wird.
Angesichts dessen, daß jetzt schon Warnungen laut werden, Rußland könnte sich Belarus einverleiben, ist die Sache jedenfalls größenwahnsinnig. Jede Opposition und Söldnertruppe, die sich an einem Umsturz versucht, würde sofort weggeblasen.
Oder will die EU mit aller Gewalt einen Kriegsgrund schaffen, um wieder Richtung Moskau marschieren zu können?
Was ist eigentlich in der Welt der imperialistischen Auseinandersetzungen nicht “dreist”?? Ist es “größenwahnsinnig”? Ich denke nicht, denn was hat den die EU schon in der Hand, um einen weiteren “Pufferzonen-Staat” in ihren Einflußbereich einzugemeinden? Gegen Rußland einen Krieg führen will die EU schon deshalb im Augenblick nicht, weil sie es ja auch gar nicht könnte. Also setzt sie weiterhin auf die Macht ihres Geldes. So haben die imperialischen Staaten doch schon seit Jahrzehnten rund um den Globus gearbeitet. mal mit mehr mal mit weniger Erfolg.
Oppositionelle zu Gewalt und in ihren Staaten gesetzwidrigen Aktionen aufzurufen, ist doch die Standardmünze der EU-Außenpolitik. Das war (und ist?) bei Venezuela z.B. doch schon genauso.
Seit Jahren gibt es den Streit unter den Osteuropapolitikern der EU, wie man sich Belarus krallen kann und verhindert, daß dieser Staat an Rußland fällt. Jetzt kommen eben wieder mal Lockrufe an eine hoffentlich käufliche Opposition. Ob die Opposition rein militärisch überhaupt zur Zeit was zu bieten hat oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis, es sieht jedenfalls eher so aus, als ob Lukaschenkos Leute wieder relativ fest im Sattel sitzen. Vielleicht sind ja auch von denen einige zu einem Umsturz zu bewegen, wenn man ihnen nur ordentlich was verspricht?
Um wieder gegen Rußland marschieren zu lassen fehlt der EU meiner Meinung nach weniger ein Kriegsgrund als die Fähigkeit, einen eventuellen selber angezettelten Krieg gewinnen zu können. Genauer an dem Selbstbewußtsein, schon jetzt siegen zu können (egal ob das stimmt oder nicht).
Als die Unruhen in Belarus angefangen haben, hat Moskau einmal einen Haufen Geheimdienstler und andere Sicherheits-Apparat-Mitglieder (Polizei und Militär) hingeschickt, um den weißrussischen Behörden unter die Arme zu greifen.
Weißrußland hat selber auch einen ziemlich stark besetzten Sicherheitsapparat, also die Opposition ist dort völlig chancenlos, was Gewaltfragen angeht.
Natürlich sind die weißrussischen Behörden auch imstande, Waffenschmuggel aus dem Ausland zu unterbinden.
Das Winken mit dem Scheckheft geht daher ins Leere. Geld wird zwar über die in Litauen und Polen sitzenden Rübergemachten ausgeleert, aber es dürfte inzwischen schon schwierig sein, es überhaupt nach Weißrußland selbst gelangen zu lassen.
EU-Politiker schwelgen offensichtlich noch in nostalgischen Erinnerungen an die Jelzin-Zeit, als sich mit Devisen dort drüber sehr viel machen ließ, aber die sind längst vorbei.
Symbolischer Tropfen
Belarus: Lukaschenko hat von Gipfel mit Putin praktisch nichts nach Hause gebracht. EU befürchtet wachsenden »Integrationsdruck« aus Moskau
Von Reinhard Lauterbach
Die Bilder vom vergangenen Wochenende zeigten Harmonie: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin an Bord der russischen Staatsyacht im Schwarzen Meer, Lukaschenko beim Bad im Meer – bei kühlen 16 Grad Wassertemperatur –, ein zeremonielles Abendessen unter Beteiligung von Lukaschenkos jüngstem Sohn Nikolai. Aber faktisch machten diese Bilder auch die enorme Asymmetrie zwischen beiden Ländern klar: wer die Yacht hat, und wer nicht; und genau so dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin, der ein Gespür für die Symbolik der Macht hat, die Inszenierung auch gewollt haben.
Denn in der Sache brachte Lukaschenko nichts Substantielles nach Hause. Die 500 Millionen US-Dollar (409 Millionen Euro), die die belarussischen Medien als Ertrag des zweitägigen Gipfels mit Putin in Sotschi vermeldeten, sind kein frisches Geld, sondern die zweite Hälfte eine bereits im vergangenen Dezember vereinbarten russischen Milliardenkredits. Das Geld wird im übrigen zum größten Teil für die Umschuldung alter Verbindlichkeiten von Belarus gegenüber russischen Gläubigern nach Russland zurückfließen. Der Kredit ist so eher eine Absicherung des russischen Finanzsektors gegen das Insolvenzrisiko des Schuldners an der Westgrenze.
Und dieses Risiko eines Staatsbankrotts in Minsk wird immer realer: Das Defizit des belarussischen Staatshaushaltes beträgt rund 30 Prozent, die laufende Unterstützung aus dem russischen Budget wird auf mindestens zwei bis drei Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt, und der Bedarf in Minsk wird kurz- und mittelfristig steigen, die Einnahmeausfälle infolge der Sanktionen werden größer. Die staatliche Fluggesellschaft Belavia kündigte beispielsweise aufgrund der Flugverbote im Luftraum der EU und des Entzugs der Landerechte bereits Massenentlassungen an.
Angesichts dieser Situation ist das, was Russland zusätzlich angeboten hat, ein symbolischer Tropfen auf dem heißen Stein: Landerechte für Belavia in diversen russischen Provinzstädten. Denn Landerechte sind nicht dasselbe wie ein echter Bedarf an solchen Flügen etwa zwischen Nowosibirsk oder Rostow und Minsk. Diesen Bedarf würde es vielleicht geben, wenn Belavia wie bisher als Ferienfluglinie für russische Urlauber dienen könnte. Aber dieses Geschäftsmodell funktioniert zumindest nur noch sehr eingeschränkt. Den russischen Vorschlag, Direktflüge von Minsk auf die Krim aufzunehmen, wies dagegen die belarussische Seite zurück.
Um so aufmerksamer wird in Moskau – wie auch in Brüssel – auf das geschaut, was mit der seit Jahren beschworenen »Integration« von Russland und Belarus passieren wird. Die Moskauer Zeitung Kommersant meldete am Wochenende, noch im Juni solle das über Jahre »fast fertige« Grundsatzdokument unterzeichnet werden. Das wurde aber schon oft angekündigt. Die polnische Zeitung Rzeczpospolita spekulierte am Montag über die mögliche Übernahme belarussischer Staatsbetriebe durch russische Konzerne – ein Zugeständnis, gegen das sich Lukaschenko seit Jahren wehrt. Verlöre aber ein Unternehmen wie Belaruskali, das 25 Prozent des europäischen Bedarfs an Düngemitteln abdeckt, infolge neuer Sanktionen seinen Marktanteil in der EU, könnte ein Notverkauf an russische Interessenten die einzig verbleibende Option sein.
Wie die polnische Zeitung am Dienstag nachschob, befürchtet die EU, dass Russland die ökonomischen Schwierigkeiten von Belarus ausnutzen werde, um das Land noch stärker an sich zu binden oder es gar zu »schlucken«. Auf dem letzten EU-Gipfel in Lissabon vergangene Woche habe der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Staats- und Regierungschefs auf einer Geheimsitzung ein entsprechendes Szenario vorgestellt. Wie die spanische Zeitung El Pais, auf die die Rzeczpospolita sich beruft, recherchiert haben will, soll die Mehrheit der Gipfelteilnehmer der Einschätzung zugestimmt haben, dass Lukaschenko Russland auf Gedeih oder Verderb ausgeliefert sei. Uneins seien die EU-Führer aber über die Konsequenzen gewesen: Moskau ein Angebot zu machen, wenn es dafür Belarus wenigstens als selbständigen Staat bestehen lasse – oder umgekehrt die nächste Sanktionsrunde gleich gegen beide Länder einzuläuten.
Die schiefe Achse Berlin-Paris (01.06.2021)
Merkels letzter Deutsch-Französischer Ministerrat täuscht Harmonie vor. Dabei hat Merkel die Vormacht Berlins gegenüber Paris sukzessive ausgebaut.
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Mit demonstrativen Harmoniebekundungen ist am gestrigen Montag der jüngste Deutsch-Französische Ministerrat zu Ende gegangen. Er wolle sich für das “Engagement”, die “Tatkraft” sowie die “Geduld” von Bundeskanzlerin Angela Merkel bedanken, erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Blick darauf, dass der Ministerrat der letzte mit Merkels Beteiligung war. Die Kanzlerin sagte, sie empfinde es als eine “Bereicherung, wenn wir zu gemeinsamen Lösungen kommen”. Die Harmoniebekundungen täuschen darüber hinweg, dass es Merkel seit ihrem Amtsantritt Ende 2005 gelungen ist, die Vormacht Berlins gegenüber Paris systematisch auszubauen – von der Durchsetzung der deutschen Austeritätspolitik in der Eurokrise gegen erbitterten französischen Widerstand bis zur erfolgreichen Abwehr von Macrons Forderungen zur finanzpolitischen Ausgestaltung der Eurozone. Aktuelle Auseinandersetzungen gelten dem Krieg in Mali, wo sich eine Niederlage der Mächte Europas abzeichnet, und dem Bau des neuen Kampfjets der sechsten Generation (FCAS), der wegen heftiger interner Rivalitäten kürzlich fast vor dem Scheitern stand.
Ökonomisch dominant
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am gestrigen Montag an ihrem letzten Deutsch-Französischen Ministerrat teilnahm, hat es vermocht, die Vormacht Berlins gegenüber Paris seit ihrem Amtsantritt am 22. November 2005 stets weiter auszubauen. Dazu trug zunächst etwa bei, dass es ihr gelang, die von Frankreichs damaligem Präsidenten Nicolas Sarkozy im Jahr 2008 initiierte “Union für den Mittelmeerraum” (“Union pour la Méditerranée”) weitgehend aufzuweichen.[1] Damit scheiterte das Ziel, mit Hilfe der traditionellen Einflussgebiete Frankreichs in Nordafrika und Nahost ein Gegengewicht zur Osterweiterung der EU zu schaffen, von der vor allem Deutschland profitierte. Größte Bedeutung hatte zwei Jahre später, dass es Merkel im Vorgehen gegen die Eurokrise gelang, der EU gegen erbitterten Widerstand Frankreichs Berlins Austeritätspolitik aufzuzwingen.[2] Das erleichterte es der Bundesrepublik, den ökonomischen Vorsprung gegenüber dem Nachbarland immer weiter auszubauen. Lag die deutsche Wirtschaftsleistung im Jahr 2010 um rund 28,4 Prozent über der französischen, so war der Abstand im Jahr 2019, unmittelbar vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, bereits auf 42,2 Prozent gestiegen. In der Coronakrise fällt Frankreich noch weiter hinter Deutschland zurück.
Unerfüllte Forderungen
Zahlreiche Niederlagen im Machtkampf gegen Deutschland hat auch Frankreichs gegenwärtiger Präsident Emmanuel Macron einstecken müssen. Macron hatte sich schon vor seinem Wahlsieg zu einer intensiven Kooperation mit Berlin bekannt (“Ich will viel mehr Europa, und ich will es mit Deutschland. Ich vertraue Deutschland” [3]), hatte dann aber in einer Rede an der Sorbonne am 26. September 2017 einige Gegenleistungen eingefordert. Dazu zählten neben einer offensiveren EU-Politik in der Mittelmeerregion insbesondere die Einführung eines Haushalts für die Eurozone und die Schaffung des Postens eines EU-Finanzministers. Letztere beide Forderungen zielten darauf ab, die Ungleichgewichte im EU-Währungsgebiet, die durch die Berliner Austeritätspolitik wuchsen, zumindest ein Stück weit auszugleichen. Macron stieß damit bei Merkel ebenso auf Granit wie mit der Forderung, bis Anfang der 2020er Jahre in der EU “eine gemeinsame Eingreiftruppe, einen gemeinsamen Wehretat und eine gemeinsame Militärdoktrin” zu verabschieden.[4] Dies war für Paris insbesondere mit Blick auf Militärinterventionen in Frankreichs Einflussgebiet in Afrika – der Françafrique – von erheblicher Bedeutung. Umgesetzt wurde davon freilich auf EU-Ebene nichts.
“Überrascht, irritiert”
Dass Paris daraufhin begonnen hat, sich national für seine Interessen einzusetzen, wird in Berlin weithin mit Kritik bedacht und als Grund für gegenwärtige Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland benannt. So hat Macron im Bemühen um schnell einsatzbereite EU-Truppen die “Europäische Interventionsinitiative” (“Initiative européenne d’intervention”) geschaffen [5], in der die Bundesrepublik freilich zugunsten ihres viel langsamer wirkenden PESCO-Projekts [6] eher bremst. Macron hat scharfe Kritik an der NATO geübt (“hirntot”) und dringt auf eine deutlich rascher zu erreichende “strategische Autonomie” der EU. Darüber hinaus hat er versucht, mit einer engeren Kooperation mit Moskau ein Gegengewicht gegen Berlin aufzubauen, und – anders als die Bundesregierung – im Machtkampf zwischen Athen und Ankara entschlossen Partei für das EU-Mitglied Griechenland ergriffen.[7] Es handle sich um “Entscheidungen”, urteilt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), “die Berlin überrascht, mitunter sogar irritiert haben”: “Mal war Deutschland dem Vernehmen nach nicht informiert, mal konnte kein Kompromiss gefunden werden, weil Frankreichs Vorgehen der deutschen Politik entgegenlief”. Zuweilen, heißt es weiter, habe Paris womöglich “bewusst einen disruptiven Weg gewählt”.[8]
“Auf verlorenem Posten”
Neue deutsch-französische Spannungen zeichnen sich inzwischen auch bezüglich des Krieges in Mali ab. Dort gingen Berlin und Paris von Anfang an arbeitsteilig vor: Während Frankreich die Kampfeinsätze übernahm (Opération Serval, später Opération Barkhane), kümmerte sich Berlin zum einen im UN-Rahmen um die Stabilisierung des Landes (MINUSMA), zum anderen im EU-Rahmen um das Training malischer Soldaten (EUTM Mali). Beide scheitern inzwischen – Paris, weil es mit den Kampfeinsätzen nicht gelingt, die jihadistischen Milizen im Sahel zu zerschlagen; Berlin wiederum, weil die malischen Streitkräfte ungeachtet der Trainingsprogramme Massaker begehen und putschen (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Die “Terrorbekämpfung”, wie sie in Mali praktiziert werde, sei eine “Sackgasse”, heißt es etwa bei der SWP: Es setze sich die Einsicht durch, dass man “im Sahel auf verlorenem Posten” stehe.[10] Paris wird als “schwieriger Partner” kritisiert. Öffentlich wird das sich klar abzeichnende Scheitern in zunehmendem Maß Frankreich in die Schuhe geschoben. Berlin habe, heißt es, “Paris die Federführung überlassen” – ein Fehler: “Es reicht nicht mehr, Solidarität mit Frankreich zu zeigen.” Deutschland müsse jetzt erläutern, “welche Strategie es in Mali verfolgen will und was es anders machen würde”.[11]
Streit um den Kampfjet
Heftigen Streit hat es zuletzt auch um das bedeutendste Rüstungsvorhaben der kommenden Jahre gegeben: um Entwicklung und Bau eines Kampfjets der sechsten Generation. Das Flugzeug soll im Verbund mit Kampfdrohnen und Drohnenschwärmen fliegen und mit diesen, unter Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI), über Satelliten vernetzt sein. Der Gesamtverbund wird Future Combat Air System (FCAS) genannt; er soll um das Jahr 2040 herum einsatzbereit sein und nach einigen Schätzungen bis zu 300 Milliarden Euro kosten. Das Vorhaben ist bereits kurz nach Macrons Amtsantritt im Sommer 2017 gestartet worden; getragen wird es maßgeblich von den Konzernen Dassault (Frankreich) und Airbus (mit Schwerpunkt in Deutschland). Zwischen diesen ist der Streit um Anteile an Entwicklung und Bau, aber auch um Patentrechte zu Jahresbeginn stark eskaliert – nicht zuletzt, weil mit der Einbindung Spaniens in das Projekt die profitablen Anteile von Dassault und Airbus schrumpften. Dassault hat einen Ausstieg aus dem Gemeinschaftsvorhaben und einen Alleingang beim Bau des FCAS in Betracht gezogen; obwohl der Konzern laut Auffassung von Experten die Fähigkeit dazu hätte (german-foreign-policy.com berichtete [12]), ist es der deutschen Seite letztlich gelungen, ihn davon abzubringen: Am 17. Mai wurde schließlich ein Durchbruch zugunsten der Fortsetzung des Projekts bekanntgegeben. Ob er von Dauer sein wird, gilt allerdings als immer noch nicht garantiert.
Teure Muskelspiele
NATO vor Gipfeltreffen: Haushalt des Kriegsbündnisses und nationale Rüstungsetats sollen weiter aufgestockt werden
Von Jörg Kronauer
Die Bundesregierung will »den politischen Muskel der NATO weiter stärken«. Dies teilte Außenminister Heiko Maas (SPD) vor den separaten Treffen der Außen- und der Verteidigungsminister des Bündnisses am Dienstag mit. Maas erklärte – gemünzt auf die Konflikte mit Russland und China –, »die autokratische Herausforderung« werde »im nächsten Jahrzehnt eher noch größer werden«. Darauf müsse sich die NATO vorbereiten. Vorschläge dazu, die Generalsekretär Jens Stoltenberg zu seinem Programms »NATO 2030« vorgelegt hat, wurden am Dienstag von den Ministern der Mitgliedstaaten diskutiert. Entscheidungen sollen auf dem NATO-Gipfel am 14. Juni in Brüssel gefällt werden. Erwogen wird beispielsweise, politische Treffen wie auch derartige Absprachen innerhalb des Militärbündnisses auszuweiten, um zu größerer Geschlossenheit zu gelangen. Auch eine Aufstockung des NATO-Haushalts ist im Gespräch. Sie sei »ganz wichtig«, um »unsere Fähigkeit, gemeinsam zu handeln«, zu stärken, äußerte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Dienstag.
Nähere Hinweise auf die geplante Stärkung der NATO gab vor den Ministertreffen auch Generalsekretär Jens Stoltenberg. Neben dem Bemühen um größere politische Geschlossenheit sei vorgesehen, den Verteidigungsansatz des Bündnisses »zu verbreitern«, teilte er mit. Man wolle der »Resilienz« – der Widerstandsfähigkeit der eigenen Gesellschaften im Fall eines Konflikts – mehr Aufmerksamkeit schenken als zuvor. Dies beziehe sich auch auf die Infrastruktur, die Lieferketten und die Kommunikation. Der Generalsekretär forderte eine Aufstockung nicht nur des NATO-Haushalts, sondern auch der nationalen Rüstungsetats: »Wir müssen mehr ausgeben.« Dabei sei es nötig, die verfügbaren Mittel stärker als bisher zu bündeln, um die Schlagkraft zu »vervielfältigen«. Zusätzlich gelte es, »unsere Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern zu vertiefen und neue zu schließen«. Dazu zählten auch umfassendere Trainings- und Aufrüstungsmaßnahmen für NATO-Partnerstaaten. Das Bündnis hat dabei vor allem Länder aus Asien und der Pazifikregion im Blick, die in den Machtkampf gegen China eingebunden werden sollen. Um allen Vorhaben einen gemeinsamen Rahmen zu geben, plant Stoltenberg, der NATO ein neues »Strategisches Konzept« zu verpassen. Das aktuell gültige Strategiedokument stammt aus dem Jahr 2010.
Neben der Debatte um die Zukunft der NATO, die auf dem Gipfel in konkrete Beschlüsse münden soll, standen am Dienstag auch die leidigen Mühen des militärischen Alltags auf der Tagesordnung der Außen- und der Verteidigungsminister. Dieser verläuft nicht so erfolgreich, wie ein Militärbündnis es sich wünschen müsste, das sich auf die Eskalation der Großmachtkonflikte mit Russland und mit China vorbereitet. So hatten die Minister darüber zu beraten, wie man nach der Niederlage in Afghanistan und nach dem bereits eingeleiteten Abzug vom Hindukusch die Streitkräfte der Regierung in Kabul in Zukunft unterstützen kann; denkbar sind Finanzhilfen oder auch Trainings für afghanische Militärs außerhalb des Landes sowie »Beratung«.
Der NATO-Gipfel (14. Juni) folgt dem G-7-Gipfel (11. bis 13. Juni in Großbritannien); anschließend sind ein EU-USA-Gipfel (15. Juni) sowie ein Treffen zwischen US-Präsident Joseph Biden und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin (16. Juni in Genf) geplant. Von den Zusammenkünften werden wichtige Weichenstellungen erwartet.
Das erscheint mir, gelinde gesagt, eine sehr eurozentristische Sichtweise zu sein.
Was heißt hier „ungeachtet“? Offenbar sind doch gerade die „Trainingsprogramme“ Grund für die Unzufriedenheit.
Was wird denn dort „trainiert“? Wie man die eigene Bevölkerung drangsalisiert, um mögliche Islamisten zu jagen.
Die Europäer werden dort sowohl vom Staatsapparat als auch von der Bevölkerung als eine Besatzungsmacht angesehen, die eine korrupte Elite an der Macht hält und Jagd auf Oppositionelle macht.
Mali ist, soweit ich dem Internet entnehme, ein islamisches Land. Das kommt dort nicht gut an, wenn europäische Truppen und deren einheimische Kollaborateure sich anmaßen, islamische Praktiken in gute und böse zu unterteilen.
Deswegen, um das alles abzustellen, wurde jetzt die handgefütterte europageile Regierung weggeputscht, unter dem Beifall der Bevölkerung.
Es ist eine ähnliche Lage wie in Afghanistan, und seinerzeit in Somalia, aus dem sich ja westliche Truppen schon lange zurückgezogen haben.
Das ist aber nicht das Verdienst der deutschen Politik, sondern von Entwicklungen, die Frankreich selbst, übrigens gegen deutsche Interessen gerichtet, verursacht hat: Der Sturz Ghaddafis, der sich der Mittelmeerunion Sarkozys verweigerte, weil er ganz andere politische Ambitionen für Afrika hatte, hat die französischen „Einflussgebiete“ erst so richtig kippen lassen. Der IS und andere fundamentalistische Gruppen konnte sich in Libyen festsetzen und von dort über Nordafrika und die Sahel ausbreiten, weswegen der Einsatz in Mali erst notwendig wurde.
Es ist nicht schlau, das dem Einfluß Deutschlands zuzuschreiben. Damit werden erstens die imperialistischen Ambitionen der EU-Staaten und die sich daraus ergebenden nationalen Widersprüche falsch dargestellt und Deutschland eine diplomatische Allmacht unterstellt, die es nicht hat.
Ich sehe darin eine Tendenz von Foreign Policy, Deutschlands Hegemonialstreben für das Scheitern der EU verantwortlich zu machen, obwohl es doch erst so richtig virulent geworden ist, als sich die hochfliegenden Pläne der EU pulverisiert haben. Da schien das Pochen auf Führung ein probates Mittel, um Einheit herzustellen.
Hier werden also, aus einer gewissen EU-Parteilichkeit heraus, Ursache und Wirkung vertauscht.
Die Eisbrecher (02.06.2021)
Ukrainischer Präsident fordert nach Vorstoß des Grünen-Parteichefs deutsche Waffenlieferungen. Bundeswehr-Dozent warnt vor Kriegseskalation.
BERLIN/KIEW (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung erteilt der Forderung nach der Lieferung von Waffen an die Ukraine vorerst eine offizielle Absage. Er sei davon “überzeugt, dass der Konflikt nur auf politischem Wege gelöst werden kann”, erklärte Außenminister Heiko Maas am gestrigen Dienstag: “Das sollte allen Beteiligten klar sein. Waffenlieferungen helfen dabei nicht.” Zuvor hatte – anknüpfend an das Plädoyer von Grünen-Parteichef Robert Habeck, etwa gepanzerte Fahrzeuge oder Geräte für den Drohnenkrieg nach Kiew zu liefern – der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij in einer führenden deutschen Tageszeitung für den Export deutscher Sturmgewehre und deutscher Patrouillenbooten geworben. Der ukrainische Botschafter in Berlin hatte im April gedroht, Kiew könne bei ausbleibender Unterstützung “über einen nuklearen Status” nachdenken. Andere EU- und NATO-Staaten beliefern die Ukraine längst mit Kriegsgerät. Auch in Deutschland nimmt der Druck im außenpolitischen Establishment inzwischen zu; dabei betätigen sich Politiker von Bündnis 90/Die Grünen als Eisbrecher in der Öffentlichkeit.
Krieg “wegen Auschwitz”
Führende Politiker von Bündnis 90/Die Grünen hatten sich bereits Anfang 2015 für die Lieferung von Waffen an die Ukraine ausgesprochen – dies, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Forderung mehrfach explizit zurückgewiesen hatte. “Deutschland wird die Ukraine mit Waffen nicht unterstützen”, hatte Merkel etwa am 2. Februar bekräftigt: “Ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Konflikt militärisch nicht gelöst werden kann.”[1] Widerspruch kam damals vor allem von Marieluise Beck, zu jener Zeit Grünen-Bundestagsabgeordnete, die etwaige Waffenlieferungen ausdrücklich mit den deutschen Aggressionsverbrechen im Zweiten Weltkrieg zu legitimieren suchte – ähnlich dem früheren grünen Außenminister Josef Fischer, der den völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien im Jahr 1999 unter Rückgriff auf die Parole “Nie wieder Auschwitz” rechtfertigt hatte. Beck äußerte am 9. Februar 2015 mit Blick auf die militärische Gegenwehr der vom NS-Reich überfallenen Staaten und der USA, Deutschland trage “schuld daran, dass die Welt lernen musste, sich verteidigen zu können und sich verteidigen zu dürfen”; deshalb solle man der Ukraine Waffen nicht verweigern. Beck ergänzte dies noch um den Aufruf, “Empathie für die Opfer” zu zeigen.[2]
Gerät für den Drohnenkrieg
Auch diesmal preschen Grünen-Politiker vor. Nach seiner ersten Äußerung, man dürfe der Ukraine “sogenannte Defensivwaffen” nicht verweigern” [3], hat Grünen-Parteichef Robert Habeck noch vergangene Woche nachgelegt und seine Forderung präzisiert. Demnach sollen zum Beispiel Nachtsichtgeräte und “Aufklärungsmittel” geliefert werden; beides ist auch für Angriffsoperationen unverzichtbar.[4] Habeck sympathisiert zudem mit der Lieferung gepanzerter Fahrzeuge, die er nur “zum Verletztentransport von der Front zurück” genutzt sehen will; freilich werden gepanzerte Fahrzeuge auch für Offensiven benötigt und sind selbst bei einer Beschränkung auf Transporte von Verletzten Teil üblicher Angriffsoperationen. Der Grünen-Parteichef plädiert zudem dafür, Gerät zum Kampf gegen Drohnen bereitzustellen, räumt allerdings selbst ein, dieses könne auch für Attacken auf den Gegner (“nach vorne schießen”) genutzt werden.[5] Habeck ordnet die geforderte Lieferung von Kriegsgerät offen als Teil des westlichen Machtkampfs gegen Russland ein: “Die Ukraine verteidigt auch die Sicherheit Europas”. Sogar einen NATO-Beitritt der Ukraine schließt er nicht aus: Lediglich “im Moment” könne man “das nicht machen”; “da muss die Ukraine geduldig sein”.
“Über nuklearen Status nachdenken”
Habeck und die Grünen betätigen sich mit ihren Forderungen faktisch als Eisbrecher für die Regierung der Ukraine, die immer energischer deutsche Waffenlieferungen fordert – und damit zunehmend in deutschen Leitmedien durchdringt. Bereits Mitte April behauptete der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, in einem Deutschlandfunk-Interview, “der Kreml” trachte danach, “die Ukraine als Staat und Volk auszulöschen”. Kiew benötige deshalb “nicht nur … Solidaritätsbekundungen”, sondern “modernste Waffensysteme”, auch aus Deutschland. Sonst sei die Ukraine womöglich gezwungen, “über einen nuklearen Status … nachzudenken”.[6] Am gestrigen Dienstag hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachgelegt. Selenskij wünscht sich demnach aus Deutschland “Sturmgewehre, Funkausrüstung – viele Dinge”, nach Möglichkeit gepanzerte Militärfahrzeuge – und er hat Kriegsschiffe im Visier. “Deutschland hat großartige Schiffe”, erklärt der ukrainische Präsident: “Schnellboote, Raketen-Schnellboote, Patrouillenboote.”[7] Die Ukraine benötige dringend in großem Umfang “letale Waffen” – und zwar auch aus der Bundesrepublik.
Raketen, Patrouillenboote, Drohnen
Dabei wird die Ukraine längst mit Kriegsgerät aus diversen EU- und NATO-Staaten beliefert. So hat sie etwa im Jahr 2018 50 gebrauchte Schützenpanzer BMP-1 sowie 40 gleichfalls gebrauchte Selbstfahrlafetten aus Tschechien erhalten.[8] Großwaffensysteme im Millionenwert haben laut Angaben des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI etwa auch Polen, Großbritannien sowie Frankreich geliefert. Die hauptsächliche Unterstützung kommt aus den USA. Diese lieferten den ukrainischen Streitkräften im Jahr 2018 210 Panzerabwehrraketen des Typs Javelin; im Jahr 2019 nahmen sie eine Bestellung von 150 weiteren Javelin-Raketen entgegen. Zuvor hatten sie Kiew zwei gebrauchte Patrouillenboote und 30 gebrauchte Panzerfahrzeuge überlassen und 24 Drohnen des Typs AeroVironment RQ-11B Raven an das ukrainische Militär ausgehändigt.[9] Anfang März sagte das Pentagon die Lieferung weiteren Kriegsgeräts im Wert von 125 Millionen US-Dollar zu, darunter zwei Patrouillenboote sowie “Fähigkeiten, um die Tödlichkeit” ukrainischer Truppen zu erhöhen.[10] Weitere Waffenlieferungen werden in Betracht gezogen. Nicht zuletzt erhält die Ukraine Drohnen des Typs Bayraktar TB2 aus der Türkei; der Typ spielte im Herbst eine herausragende Rolle in Aserbaidschans Krieg gegen Armenien.[11]
Deutschlands Mittlerrolle
Die Bundesregierung ist bislang noch nicht zu Waffenlieferungen an die Ukraine bereit. Er sei “überzeugt”, der Konflikt in der Ostukraine könne “nur auf politischem Wege gelöst werden”, teilte Außenminister Heiko Maas gestern mit: “Waffenlieferungen helfen dabei nicht.” Ein Motiv dafür nannte am Montag Gabriela Heinrich, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion: Berlin verlöre mit Waffenlieferungen seine einflussreiche “Mittlerrolle im Rahmen des Normandie-Formats”.[12] Allerdings nimmt der Druck aus dem außenpolitischen Establishment zu, in der Ostukraine zu neuen, aggressiveren Mitteln zu greifen, um endlich Fortschritte im Einflusskampf gegen Russland zu erzielen. Erst kürzlich hieß es bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die EU könne “eine entmilitarisierte Zone zwischen der Ukraine und Russland” fordern – mit dem Ziel, “beide Seiten zu entwaffnen”.[13] Bereits im vergangenen Jahr hieß es aus dem Zentrum liberale Moderne (LibMod), einer Denkfabrik einst einflussreicher Grünen-Politiker, die EU solle die “militärische und rüstungsindustrielle Kooperation” mit den Staaten ihrer “Östlichen Partnerschaft” – Georgien, Moldawien, Ukraine – intensivieren: Sie könne Mittel zur Beschaffung von Rüstungsgerät aus europäischer Produktion bereitstellen und, insbesondere in der Ukraine, einheimische Waffenschmieden unterstützen.[14]
“Der Krieg würde eskalieren”
Wozu die Umsetzung dieser Forderungen führen kann, für die sich nun erneut Grünen-Politiker als Eisbrecher betätigen, hat vor wenigen Tagen Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Münchener Universität der Bundeswehr, beschrieben: “Die Gefahr ist eben, dass diese Waffen dorch für offensive Operationen eingesetzt werden”, “was dann sicherlich eine massivere russische Antwort bedeuten würde”: “Der Krieg in der Ostukraine würde also nochmals eskalieren. Diese Gefahr ist durchaus existent.”[15]
Zum “Atomstreit” mit dem Iran gibt es zwei neue Aufsätze von Björn Hendrig
https://www.heise.de/tp/features/USA-gegen-Iran-Keine-Atomwaffen-fuer-den-Stoerenfried-6059274.html?seite=all
https://www.heise.de/tp/features/Atommaechte-gegen-neue-Atombomben-aber-fuer-eigene-Massenvernichtungswaffen-6059276.html?seite=all
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Übersicht der NZZ
https://www.nzz.ch/international/iran-und-der-atomstreit-das-wichtigste-im-ueberblick-ld.1384375
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vgl https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/trumps-amerika-gegen-iran
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/american-leadership-fall-iran
Einmal ein Link zu einem alten Artikel zum Iran von 1978:
http://www.msz1974-80.net/Schahraden.html
Rohani scheint von einem gewissen Zweckoptimismus erfüllt zu sein. Er hat immer auf den Westen, vor allem die EU, gesetzt, gegenüber Leuten wie z.B. Achmedinadschad, der lieber auf die eigenen Kräfte bauen und eine Art Klientelwesen aufrechterhalten wollte.
Aber im Grunde wäre natürlich jeder froh, wenn man mit dem Westen zu einem Ausgleich kommen könnte und sich auch die ewigen Angriffe Israels ersparen könnte.
Ich glaube jedoch nicht, daß das zustandekommen wird. Eher werden die Iraner ewig hingehalten und weiter mit Angriffen konfrontiert werden.
Ein ganz interessanter Artikel aus dem Tagesspiegel von 2019:
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/fuenf-milliarden-aus-russland-der-haushalt-des-irans-ist-eine-kampfansage-an-die-usa/25312276.html
Die Hoffnung zu Trumps Abgang hat sich ja erfüllt …
PS: Der Hinweis in dem Telepolis-Artikel, daß die bisherige Sanktionspolitik zumindest bis vor einiger Zeit, ich vermute, vor 2014 – von China und Rußland mitgetragen wurde, ist wichtig.
Der Umstand, daß im Sicherheitsrat jetzt keine Iran-Sanktionen mehr durchzubringen sein werden, könnte natürlich die USA zu einer weicheren Linie veranlassen.
Ein zentrales Projekt für ein militärisch eigenständigeres Europa sollte ja das Luftkampfsystem FCAS als Nachfolger von Eurofighter und Rafale sein. Jetzt wurde mal wieder bekannt, daß es bei diesem Projekt hinter den Kulissen kräftig knirscht:
“Deutschland, Spanien und Frankreich wollen den neuen europäischen Kampfjet gemeinsam in die Luft bringen. Intern heißt es bei der Bundeswehr: ein von Paris dominiertes Projekt, das die beiden anderen bezahlen sollen. Zudem gebe es kaum “innovative Technologieansätze”.”
https://www.n-tv.de/politik/Bundeswehr-Kampfjet-Deal-nicht-zeichnungsreif-article22598142.html
Aber, wie diese komische EU eben so beinander ist, wird es natürlich auch keine nationalen gleichwertigen Systeme geben, weswegen sich die EU-Staaten im Rahmen der NATO wieder als Markt für US-Jets bewähren werden.
(Russische werden sie wohl nicht kaufen. Aber Rußland hat dadurch Abnehmer woanders, weil von der EU nix kommt.)
Das FCAS ist ein schönes Beispiel dafür, daß es “ein” Europa, das mit einer Stimme spricht, bisher gar nicht gibt:
“Das Konzept des FCAS entstand im Rahmen des ETAP European Technology Acquisition Programme das 2001 als Kooperation von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Spanien gestartet wurde.” Da waren also noch alle großen Staaten besammen, vom Rest nur Schweden. “Spätestens mit der Vorstellung des Projekts Tempest durch die Royal Air Force zur Eröffnung der Farnborough Air Show am 16. Juli 2018 hatten sich entsprechende Bestrebungen jedoch erübrigt.” GB hat sich aus dem gemeinsamen Rüstungsprojket also schon viel früher verabschiedet als aus der EU. “Belgien will sich mit 369 Millionen Euro am Programm beteiligen.” Sonst offensichtlich nach all den Jahren niemand. “Am 14. Februar 2019 trat Spanien dem Programm bei” also nach fast zwanzig Jahren. Schiere europäische Begeisterung eben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Future_Combat_Air_System
Es wird komplizierter
Neue Sicherheitsdoktrin Russlands reagiert auf Bedrohung der inneren Stabilität
Von Reinhard Lauterbach
Russland hat Umrisse seiner neuen »nationalen Sicherheitsdoktrin« veröffentlicht. Die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta brachte am Montag ein ausführliches Interview mit dem für die Erstellung des Dokuments verantwortlichen Sekretär des Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew. Die derzeit gültige Version der Sicherheitsdoktrin ist 2015 in Kraft getreten. Dass nun eine neue Fassung erstellt worden ist, beschrieb Patruschew als Routinevorgang, der in regelmäßigen Abständen vorgeschrieben sei. Das habe etwa ein Jahr gedauert, die Unterzeichnung durch Präsident Wladimir Putin steht noch aus.
In der Analyse wird festgestellt, dass die internationale Situation komplizierter werde, sowie dass verschiedene Mechanismen der Rüstungskontrolle und der internationalen Vertrauensbildung vom Westen außer Kraft gesetzt worden seien. Die wichtigste Veränderung scheint aber die wahrgenommene Bedrohung der inneren Stabilität Russlands zu sein. Nach den Worten Patruschews nähmen die Versuche »unfreundlich gesinnter Staaten« zu, »die russische Staatlichkeit, die innere Einheit und das Verteidigungspotential Russlands zu schwächen«. Dazu trügen neben diplomatischem und wirtschaftlichem Druck auch Versuche bei, die soziale und politische Situation im Lande zu destabilisieren, Protestbewegungen zu »inspirieren und zu radikalisieren« sowie »traditionelle russische Werte aufzuweichen«. Zu den Bedrohungen der Sicherheit Russlands zählte Patruschew auch die »teilweise im Staatsauftrag betriebene« (…) »Fälschung der Weltgeschichte«, insbesondere der Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg.
Mit einer Besserung der Situation in absehbarer Zeit wird in Russland offenbar nicht gerechnet. Wie Patruschew sagte, müsse Russlands Volkswirtschaft sich auf ihre inneren Ressourcen stützen – ohne sich dabei aber vom internationalen Handel abzuschotten. Bei den Zielen der russischen Sicherheitspolitik wird ein starker Akzent auf soziale Garantien gelegt: Nur ein wohlhabendes und sozial abgesichertes Volk könne die Grundlage eines starken Staates sein. Deshalb seien auch Ziele wie Umweltschutz, ordentliche medizinische Versorgung und moderne Bildung sicherheitsrelevant. Nach einem möglichen Zielkonflikt zwischen »Kanonen« und »Butter« wurde Patruschew nicht gefragt und äußerte sich auch nicht von sich aus dazu. Eingedenk der Tatsache, dass soziale Unzufriedenheit als Einfallstor für feindselige Einmischungsversuche wahrgenommen wird, ist der zumindest rhetorische Bezug auf soziale Garantien aber durchaus logisch, um solchen Versuchen präventiv die Grundlage zu entziehen. Ob dahinter mehr steckt als Rhetorik, bleibt abzuwarten.
Auch wenn die neue Sicherheitsdoktrin noch nicht offiziell verabschiedet worden ist, handeln die Behörden bereits in ihrem Sinne. So wurde am Montag ein in Sankt Petersburg bereits zum Start rollendes polnisches Linienflugzeug gestoppt, um den an Bord befindlichen russischen Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow festzunehmen. Er hatte die vom Exoligarchen Michail Chodorkowski finanzierte und in Russland seit 2017 »unerwünschte« Organisation »Offenes Russland« geleitet, diese allerdings vor einigen Tagen freiwillig aufgelöst, um die russischen Mitarbeitenden vor Repressalien zu bewahren. Piwowarow drohen nun mehrere Jahre Gefängnis. Parallel zu seiner Festnahme durchsuchte die Polizei die Wohnungen mehrerer anderer Aktivisten von »Offenes Russland«.
Der Preis der Hegemonie
Alexander Lukaschenko ist risikoreich für Russlands Diplomatie. Aber einstweilen bleibt er unentbehrlich
Von Reinhard Lauterbach
Nach dem Vorfall mit der Ryanair-Maschine am 23. Mai in Minsk hatte sich Russland zunächst bedeckt gehalten. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa bezeichnete die Sache als innere Angelegenheit von Belarus, und Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, nannte die Zwangslandung des Flugzeugs in einem Interview am 28. Mai mit dem Nachrichtenportal lenta.ru »ziemlich skandalös« und die Begründung mit der Bombendrohung an den Haaren herbeigezogen. Er sei aber sicher, dass Lukaschenko »auf eigene Rechnung randaliert«.
Billigung demonstrieren
Sofern das eine ernstgemeinte Einschätzung und nicht nur Geräuschkulisse gewesen sein sollte, kann man sie wenige Tage später mit einigem Grund bezweifeln. Ein Argument ist die Festnahme des von Michail Chodorkowski finanzierten Politorganisators Andrej Piwowarow am Montag aus einem bereits abgefertigten und zum Start rollenden ausländischen Flugzeug heraus. Wäre es nur darum gegangen, den Oppositionspolitiker aus dem Verkehr zu ziehen, hätte man das mit weit weniger öffentlichem Aufsehen im Zuge der Passkontrolle am Petersburger Flughafen machen können. Es sollte aber offensichtlich der nationalen und internationalen Öffentlichkeit die Billigung der russischen Sicherheitsdienste für das Vorgehen der Minsker Kollegen demonstriert werden: Wir machen so etwas auch, wenn wir es für erforderlich halten.
Wer die Rolle von Inszenierungen in der Politik niedriger einschätzt, bekam den Punkt an diesem Donnerstag auch explizit nachgeliefert. In Witebsk empfing der Chef des belarussischen Sicherheitsdienstes KGB, Iwan Tertel, seinen russischen Kollegen Sergej Naryschkin, Chef der Auslandsaufklärung SWR. Einzelheiten über den Inhalt ihrer Gespräche wurden nicht mitgeteilt, aber die amtliche Minsker Nachrichtenagentur BELTA meldete anschließend, beide Seiten seien sich darin einig, »im Geiste der traditionell brüderlichen Beziehungen« gemeinsam den »aggressiven Aktivitäten des Westens« zur »Destabilisierung der politischen und sozialen Situation auf dem Gebiet des Unionsstaates« entgegenzutreten. Genau jener inneren Destabilisierung, die in der vor einigen Tagen im Umriss bekanntgemachten neuen russischen Sicherheitsdoktrin unter den definierten Gefahren eine prominente Rolle spielt. Hier wurde Einigkeit demonstriert.
Tiefe Gräben
Eine andere Frage ist, wie ernst diese Demonstration gemeint ist. Der erwähnte Fjodor Lukjanow nannte Alexander Lukaschenko im Gespräch mit lenta.ru einen »befähigten Manipulator« und »Weltmeister im Nichteinhalten gegebener Versprechen«. Russlands Problem ist, dass Lukaschenko es bisher verstanden hat, sich für Moskau unentbehrlich zu machen. Eine »russische Partei« in Belarus aufzubauen, ist Russland in all den Jahren von Lukaschenkos Regierung nicht gelungen. Ein letztes Jahr ins Leben gerufenes Parteiprojekt namens »Recht des Volkes« hat, abgesehen von seinem Gründungskongress, keine erkennbaren Aktivitäten entfaltet. Und Wiktor Babariko, Gegenkandidat Lukaschenkos bei den Präsidentenwahlen 2020 und als ehemaliger Gasprom-Manager jemand, den viele in Belarus – ob berechtigt oder nicht – für Moskaus Mann hielten, sitzt seit fast einem Jahr im Gefängnis. Im Innern des belarussischen Staatsapparates hat Lukaschenko durch regelmäßige »Säuberungen« eine Kaste führender Beamter gezüchtet, die sich in erster Linie durch persönliche Loyalität gegenüber dem Staatschef auszeichnen. Moskau ist also auf absehbare Zeit gezwungen, mit Lukaschenko vorliebzunehmen.
Das Problem dabei ist: je repressiver Lukaschenkos Staatsmacht gegen innere Kritiker vorgeht, desto mehr wird Russland in der Öffentlichkeit für diese Repressalien mitverantwortlich gemacht. Desto schwieriger wird es also für Russland, in Minsk Ansprechpartner in den Reihen der Gesellschaft zu finden, und desto stärker orientiert sich die belarussische Opposition zwangsläufig auf den Westen – wenn man einmal unterstellt, dass sie nicht ohnehin ein westliches Politprojekt zum Zwecke des Regimewechsels ist.
Genau in dieser Ecke will Lukaschenko seine Gegner auch haben. Je tiefer die innenpolitischen Gräben innerhalb von Belarus sind, desto bedingungsloser ist Russland gezwungen, zu ihm zu halten – um nicht das ganze Land an den Westen zu verlieren und damit eine eigene geopolitische Niederlage zu kassieren. Wenn man sich fragt, warum Lukaschenko zu Repression greift, die auf den ersten Blick »übertrieben« scheint, sollte man diesen Zusammenhang nicht außer acht lassen.
Hintergrund: Pratassewitsch sagt aus
In den 1930er Jahren brauchte die Sowjetunion den großen Saal des Moskauer Gewerkschaftshauses, um die gewünschte Öffentlichkeit für die sogenannten Schauprozesse herzustellen. Heute geht das eleganter. Das belarussische Staatsfernsehen hatte am späten Donnerstag abend Raman Pratassewitsch als »Studiogast«. In einer bekannten Talkshow räumte er alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein und gab sogar noch etwas zu, was in den Augen der Ermittler den Vorwurf der terroristischen Aktivität stützen könnte: die Beteiligung an einer Besprechung dreier mutmaßlicher Verschwörer in Moskau im Frühjahr. Bei dem Treffen von drei Oppositionspolitikern in Moskau mit einem angeblich abtrünnigen, in Wahrheit aber wohl als Provokateur fungierenden Offizier war über Anschlagspläne gegen Lukaschenko und seine Familie nach dem Vorbild der Ermordung des ägyptischen Staatschefs Anwar Al-Sadat gesprochen worden. Pratassewitsch gab nun an, er sei bei der Besprechung über den Videokonferenzdienst Zoom zugeschaltet gewesen und habe Swetlana Tichanowskaja über den Inhalt der Putschpläne informiert, die damit also als angebliche Mitwisserin auch mit drinhängt.
Pratassewitsch nannte auch etwa ein Dutzend Namen von Mitstreitern und erklärte, der zur Koordinierung der Proteste genutzte Telegram-Kanal Nexta sei von »einem russischen Oligarchen« finanziert worden. Gegen Ende der Sendung brach Pratassewitsch, der körperlich angegriffen wirkte, öffentlich in Tränen aus, versicherte Alexander Lukaschenko seine Wertschätzung und bat, nicht an die »Volksrepublik Lugansk« ausgeliefert zu werden. Die will ihn wegen seiner Aktivitäten im Neonazibataillon »Asow« vor Gericht stellen und hat die Auslieferung beantragt. Pratassewitschs Vater äußerte sich nach der Sendung skeptisch, ob die Aussagen seines Sohnes freiwillig zustandegekommen seien. Sie widersprächen allem, was er in Freiheit geäußert habe.
Im Unterschied zu Pratassewitsch könnte seine gemeinsam mit ihm festgenommene Lebensgefährtin Sofia Sapega halbwegs glimpflich davonkommen. Der belarussische Außenminister Wladimir Makej sagte am Montag gegenüber der Moskauer Zeitung Kommersant, das Gerichtsverfahren gegen die russische Staatsbürgerin Sapega werde zwar in Belarus stattfinden. Aber es sei denkbar, sie nach einem Urteil zu begnadigen oder sie zur Verbüßung ihrer Strafe nach Russland zu überstellen, was bedeuten würde, dass Moskau sie auch laufen lassen kann. Sapega wird vorgeworfen, an der Publikation der Privatadressen belarussischer Polizisten im Internet beteiligt gewesen zu sein. (rl)
»Open Skies«: Russisches Oberhaus für Ausstieg
Moskau. Nach der Staatsduma hat auch der russische Föderationsrat für einen Ausstieg aus dem Vertrag über internationale militärische Beobachtungsflüge gestimmt. Der »Open Skies«-Vertrag steht damit vor dem Aus. Das Votum galt als letzter wichtiger Schritt von russischer Seite, nur noch die Unterschrift von Präsident Wladimir Putin fehlt. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump war vor rund einem Jahr aus dem Abkommen ausgestiegen. Daraufhin hatte auch Russland den Austritt angekündigt und Washington eine Frist gesetzt. Vergangene Woche hieß es aus Moskau, auch Joseph Biden werde nicht zum Vertrag zurückkehren. (dpa/jW)
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Nord Stream 2: Erste Leitung fertiggestellt
Sankt Petersburg. Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Freitag über die Fertigstellung des ersten von zwei Strängen der Ostseepipeline Nord Stream 2 informiert. Die Arbeiten am ersten Strang seien beendet, die Rohre verlegt; der russische Energiekonzern Gasprom sei bereit, die Leitung zu befüllen, sagte er beim Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum. Auf russischer Seite sei die Pipeline startklar. Zuvor hatten die Behörden mitgeteilt, dass in der kommenden Woche der Testbetrieb beginne. Russland sei bereit, auch weiterhin solche internationalen Projekte wie Nord Stream 2 umzusetzen, betonte Putin. (dpa/jW)
Russland: US-Dollar aus Staatsfonds gestrichen
Sankt Petersburg. Russland verzichtet wegen zahlreicher US-Sanktionen teilweise auf den US-Dollar in seinen Rücklagen. In ihren internationalen Reserven setzt die Rohstoffgroßmacht zwar weiter auf den US-Dollar, komplett verzichtet das Land aber auf die Währung in seinem für soziale Zwecke eingerichteten nationalen Wohlstandsfonds. Dort lag der Anteil bisher bei 35 Prozent. Die Zentralbank habe ihn auf null gesenkt, berichtete die Zeitung Kommersant am Freitag. Erhöht würden hingegen u. a. die Anteile der chinesischen Währung Yuan von 15 auf 30 Prozent. (dpa/jW)
Grüne im Kampfmodus: Wer nicht für sie ist, ist für den Iwan
Logik der Feindbegünstigung: Warum die Spitze der ehemaligen Friedens- und Ökopartei ihren außenpolitischen Kurs für unangreifbar hält.
@Neoprene
Also hat sich Spanien dazwischen von dem Programm verabschiedet, und ist erst unter der Regierung Sánchez wieder beigetreten, im Rahmen der von ihm betriebenen Außenpolitik, wo man sich ganz an Deutschland orientiert.
“Wir brauchen Schutz von Spanien vor ukrainischen Rechtsextremen”
Der lange Arm ukrainischer Rechtsradikaler sorgt dafür, dass dem Journalisten Scharij der Flüchtlingsstatus aberkannt wurde, weshalb er eine Auslieferung in den sicheren Tod fürchtet.
Beachtlich, wie sich die Friedensmacht EU und der Hort der Menschenrechte entwickelt.
Die EU überlegt – wieder einmal – das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, nachdem Ungarn – teilweise zusammen mit Polen – eine Reihe von Erklärungen blockiert hat, zuletzt eine EU-Resolution zu Hongkong.
Die bisherige Praxis in außenpolitischen Fragen war, die Erklärung abzugeben, und in einer Fußnote zu erwähnen, daß Ungarn nicht zustimmt, also nur 26 Stimmen für die Resolution stimmen.
Das hat erstens geringere außenpolitische Schlagkraft, und zeigt auch die Uneinigkeit schwarz auf weiß, ist also ein Schlag gegen die angestrebte gemeinsame EU-Außenpolitik.
Zweitens könnte die Obstruktion Ungarns auch beim Verhängen von Sanktionen hinderlich sein.
Seit Jahren wird überlegt, das Einstimmigkeitsprinzip aufzuheben. Aber es geht nichts weiter in dieser Frage.
Der öfters erwähnte Umstand, der diesen Schritt behindert: daß die Aufhebung der Einstimmigkeit einstimmig erfolgen müßte, ist nicht die ganze Wahrheit.
Die Einstimmigkeit ist ein wichtiger Baustein der Bündnis-Architektur. Wenn sie abgeschafft würde, so könnten die Gegensätze innerhalb der EU so ausgetragen werden, daß sich die einen über die Souveränität der anderen hinwegsetzen. Der Aufhebung der Einstimmigkeit würde daher nicht nur Ungarn nicht zustimmen, sondern auch viele andere ost- oder südeuropäische Staaten.
Außenpolitisch wäre auch nichts gewonnen durch die Abschaffung der Einstimmigkeit. Außenpolitische EU-Erklärungen wären dadurch entwertet, daß sie nicht von allen EU-Staaten mitgetragen werden. Sie wären somit – mehr noch als die bisherige Fußnotenpraxis – ein Dokument der Uneinigkeit und Schwäche dieses Staatenbündnisses.
Bei North Stream II geht doch was weiter:
Russische Regierung will Nord Stream 2 bis Jahresende fertigstellen
Am Freitag hatte Kremlchef Putin überraschend verkündet, dass der erste von zwei Strängen fertig verlegt sei
https://www.derstandard.at/story/2000127183212/russische-regierung-will-nord-stream-2-ist-bis-jahresende-fertigstellen
Reaktionen seitens Deutschland oder den USA sind mir bisher nicht untergekommen.
Also weder: Unerhört! Schluß jetzt! – noch: Hurra, bald ist die Pipeline fertig!
Ich frage mich, ob es Verhandlungen und Abmachungen zwischen D und USA gibt, sie wenig zu benützen, aber dafür erlaubt zu kriegen.
Undank ist Kiews Lohn
Trotz Neutralität von Minsk im Krieg in Donbass: Ukraine schließt sich EU-Sanktionen gegen Belarus an
Reinhard Lauterbach
Als die Ukraine 2014 ihren Feldzug zur Rückeroberung des Donbass begann, hat ihr der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko einen großen Dienst erwiesen. Zu einem Zeitpunkt, als über die Möglichkeit einer russischen Invasion über die 600 Kilometer lange Grenze zwischen der Ukraine und Belarus hinweg spekuliert wurde, erklärte er sein Land für strikt neutral und erlaubte damit der Ukraine, ihre gesamten Truppen in den Osten zu verlegen, ohne Reserven für die Sicherung der Nordgrenze zurückhalten zu müssen. In den anschließenden Jahren lieferten Raffinerien in Belarus den Treibstoff, mit dem Kiew seine Panzer durch den Donbass rollen ließ. Als Lohn bekam Lukaschenko den Prestigegewinn, dass die Friedensgespräche, die die Ukraine vor einer unmittelbaren militärischen Niederlage bewahrten, in Minsk stattfanden.
Heute hat sich die politische Konjunktur gedreht. Die Ukraine ist am Minsker Gesprächsformat nicht mehr interessiert, und ihr Delegationsleiter Leonid Kutschma kann treuherzig erklären, die ukrainischen Delegierten kämen beim besten Willen nicht mehr nach Belarus, weil es keine Flüge mehr gebe. Denn die Ukraine hat sich den EU-Sanktionen gegen Belarus angeschlossen und ebenfalls ihren Luftraum für die belarussische Linie Belavia gesperrt. Das trägt dazu bei, dass zum Beispiel deren wenige verbliebene Flüge zu Ferienzielen in der Türkei oder Ägypten nun weite Umwege über Russland machen müssen. Umgekehrt waren Flüge bzw. Fahrten von Kiew nach Minsk und von dort weiter nach Moskau seit der Einstellung des direkten Flug- und Bahnverkehrs die einzige Möglichkeit für Ukrainer, zur Arbeit oder zum Verwandtenbesuch nach Russland zu kommen. Diese Option fällt jetzt weg.
Schon seit dem Herbst 2020 ist die Ukraine Rückzugsraum für belarussische Regierungsgegner oder mindestens erste Anlaufstation, bevor sie, meist aus Mangel an Jobs, weiter in Richtung Westen migrieren. Mit dem Eifer des Neubekehrten schließt sich die Ukraine Sanktionen gegen Belarus an oder verhängt selbst welche. So hat die Stadt Lwiw Entscheidungen auf Regierungsebene vorgegriffen und eine Bestellung belarussischer Busse für die örtlichen Verkehrsbetriebe storniert.
Auf der anderen Seite halst sich Kiew mit seiner Haltung durchaus auch ernsthafte Schwierigkeiten auf. Zum Beispiel bei der Benzinversorgung. Auch ohne größeren Extrabedarf des Militärs kommt traditionell etwa die Hälfte des in der Ukraine verbrauchten Benzins und ein Drittel des Diesels aus belarussischen Raffinerien. Diese Lieferungen ließen sich zwar im Prinzip durch inländische ersetzen. Aber die Raffinerie, die dafür in Frage kommt, gehört dem politisch in Ungnade gefallenen Oligarchen Igor Kolomojskij. Und der ist bekannt dafür, dass er sich Lieferungen nicht nur auf Heller und Pfennig, sondern auch in politischen Zugeständnissen bezahlen lässt. Das politische Programm von Staatspräsident Wolodimir Selenskij, die Oligarchie »als Klasse zu liquidieren«, bekommt also einen Dämpfer, bevor es richtig angefangen hat.
Die neueste Kiewer Front gegen Belarus hat groteske Züge. Auf die Ankündigung Lukaschenkos, im grenznahen Gebiet Impfstationen für Ukrainer einzurichten, wo ihnen das russische Covid-Vakzin »Sputnik V« verabreicht werden soll, reagierte Kiew mit Protesten. Das sei »Hybridkrieg«; die Ukraine, wo dramatischer Impfstoffmangel herrscht, werde nicht zulassen, dass ihre Bürger mit dem russischen Präparat behandelt würden.
Gas gegen Greenback
Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg beendet: Moskau stößt US-Dollar-Reserven ab und gibt Fertigstellung von erster Nord-Stream-2-Röhre bekannt
Reinhard Lauterbach
Es war eine Punktlandung. Am Freitag ist nach russischen Angaben die erste der beiden Röhren der Ostseepipeline fertiggestellt worden. Und Präsident Wladimir Putin ließ sich nicht nehmen, die Nachricht vor den Teilnehmern des Internationalen Wirtschaftsforums in Sankt Petersburg tagesaktuell mitzuteilen.
Die Aktien des Betreibers Gasprom stiegen daraufhin an der Moskauer Börse auf den höchsten Stand seit 2008. Nach Putins Angaben ist Gasprom bereit, die Leitung zu befüllen. Die ersten Lieferungen könnten in etwa zehn Tagen beginnen. Alles liege jetzt daran, ob die Bundesrepublik die Genehmigung zur Inbetriebnahme erteile. Für die Fertigstellung der zweiten Röhre sind nach Putins Angaben noch etwa zwei Monate erforderlich. Putin bot der Ukraine an, auch weiterhin Transitland für russisches Gas zu bleiben. Dazu müsse Kiew allerdings mit den verlangten Gebühren heruntergehen.
Russlands Finanzminister Anton Siluanow kündigte an, dass der staatliche »Fonds für Nationalen Wohlstand« sich innerhalb eines Monats aus Anlagen im US-Dollar zurückziehen werde. Sie betrugen zuletzt trotz mehrfacher Ankündigungen zur »Dedollarisierung« immer noch 35 Prozent. Die bisher in US-Währung investierten Mittel würden in Euro und die chinesische Währung Yuan umgeschichtet. Künftig werde Russland 40 Prozent seiner Reserven in Euro und weitere 30 in Yuan halten, außerdem 20 Prozent in Gold und jeweils fünf Prozent in britischen Pfund und Yen.
Auch Putin ging auf den Abschied Russlands vom US-Dollar ein. Nach einem Bericht des Wiener Standard sagte er, die USA nutzten ihre Währung als Werkzeug des Wirtschaftskrieges. Russland könne deshalb erwägen, Öl- und Gasgeschäfte künftig in Euro und anderen Währungen abzuwickeln, so der russische Staatschef. Es wäre ein harter Schlag für den US-Dollar, falls Russlands Ölfirmen die Währung nicht mehr nutzen würden, merkte Putin an. Moskau wolle das aber nicht tun. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil frühere Versuche des Irak und Libyens, aus dem Regime des Petrodollars auszusteigen, von den USA mit Kriegen beantwortet worden sind.
Putin kündigte im übrigen ein ambitioniertes russisches Programm zum Klimaschutz an. Der Nettoausstoß Russlands an Treibhausgasen solle bis 2050 stärker reduziert werden als in der EU. Die Regierung solle bis Oktober einen entsprechenden Plan für die kommenden 30 Jahre ausarbeiten. Ebenso sollen Ausländer ab Juli die offizielle Möglichkeit erhalten, sich in Russland mit »Sputnik V« gegen Covid-19 impfen zu lassen. Mit Bahrain wurde bei dem Forum eine Absichtserklärung zum Aufbau einer Lizenzproduktion von »Sputnik V« in dem nahöstlichen Land unterzeichnet.
Während aus Österreich dessen Bundeskanzler Sebastian Kurz per Video zu der Plenarsitzung zugeschaltet war, war der einzige aktive Politiker aus Deutschland, der an dem Treffen in Sankt Petersburg teilnahm, der Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst (Die Linke). Allerdings waren die Vorstandsvorsitzenden der drei auf deutscher Seite an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen anwesend und sprachen sich übereinstimmend dafür aus, mit Russland »im Gespräch zu bleiben«. Der Chef des aus dem Eon-Konzern herausgelösten Gashändlers Uniper, Klaus-Dieter Maubach, verwies darauf, dass die deutsch-russischen Energiebeziehungen in den vergangenen 50 Jahren immer stabil gewesen seien. Es gebe keinen Anlass, an dieser Verlässlichkeit zu zweifeln. Der Vorstandsvorsitzende des Bereichs Energie bei Siemens, Christian Bruch, rief die Wirtschaft auf, die Beziehungen zu Russland in die eigenen Hände zu nehmen. Man dürfe diesen Bereich nicht der Politik überlassen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die diese Äußerungen am Wochenende referierte, sprach von einem »Kuschelkurs« deutscher Manager gegenüber Russland. Er ist allerdings auch durch reale Zahlen gestützt. Wie eine Vertreterin der deutsch-russischen Außenhandelskammer gegenüber der Deutschen Welle erklärte, betrug allein im ersten Quartal dieses Jahres das Volumen der deutschen Direktinvestitionen in Russland 1,1 Milliarden Euro. Es habe damit das Vorpandemieniveau wieder erreicht. Im Coronajahr 2020 lag Deutschland als Herkunftsland ausländischer Direktinvestitionen in Russland vor China und Katar auf Platz eins.
Leuchtturmprojekt auf der Kippe: Luftkampfsystem FCAS
Das derzeit wichtigste Rüstungsprojekt in Europa, von Frankreich und Deutschland vorangetrieben, erfährt starken Gegenwind.
Der Artikel über das FCAS-Projekt hat etwas von Kreml-Kaffeesatzleserei (Gerüchte aus den Korridoren des Parlaments), wo – um die Person von AKK schlecht aussehen zu lassen –, eine Story aufgebaut wird, als ob Deutschland kein Geld für Rüstung hätte.
Das kanns ja wohl nicht sein.
Belarus: Ein Netzwerk namens “Sieg”
Die exilierte Oppositionsführerin Tichanowskaja baut offenbar mit ehemaligen Sicherheitskräften eine Untergrundorganisation auf. Ziele und Methoden bleiben nebulös
Die Zeit der großen Straßenproteste in Belarus ist vorbei, die weitgehend exilierte Führung der Oppositionsbewegung wendet sich neuen Taktiken zu. Unter dem Label “Peramoga” soll ein geheimes Netzwerk entstehen, dessen geplante Methoden weitgehend unklar sind. Mit einer Radikalisierung ist zu rechnen.
Durchmarsch des Staatstrojaners
Überwachung per »Schadsoftware«: Regierungskoalition beschließt neue Abhörgesetze für Geheimdienste und Bundespolizei
Von Matthias Monroy
Deutsche Geheimdienste greifen künftig mit Spionagesoftware auf private Computer oder Telefone zu. Sie dürfen dabei nicht nur die laufende, sondern auch die »ruhende« Kommunikation abhören, mithin Daten, die auf den Geräten gespeichert sind, auslesen. Das hat der Bundestag am Donnerstag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD beschlossen. Zur Abstimmung stand die »Anpassung des Verfassungsschutzrechts«, die die »Aufklärung schwerer Bedrohungen für unseren demokratischen Rechtsstaat« erleichtern soll.
Das Gesetz regelt unter anderem die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (»Quellen-TKÜ«). Gemeint sind Trojanerprogramme, die für unterschiedliche Zwecke genutzt werden können. In der Vollversion ermöglichen sie das Auslesen der gesamten Festplatte oder des Speicherchips eines Zielgerätes. In der Strafprozessordnung wird dies als »Onlinedurchsuchung« bezeichnet, die Maßnahme wird – soweit bekannt – bisher nur äußerst selten eingesetzt und ist auch nur dem Bundeskriminalamt erlaubt. Als häufiger genutzte »Quellen-TKÜ« gilt die abgespeckte Version, wonach nur die laufende Kommunikation mitgeschnitten werden darf. Damit wollen die Behörden sichere, Ende-zu-Ende-verschlüsselte Verbindungen abhören, wie sie etwa mit Skype, Whats-App oder Signal technisch möglich sind.
De facto handelt es sich bei dem nun beschlossenen Gesetz um eine »Quellen-TKÜ plus«, wie es Sachverständige, Juristen und andere Kritiker bezeichnen. Denn das Herunterladen des gesamten Nachrichtenverlaufs durch Geheimdienste ist eigentlich eine Onlinedurchsuchung. So argumentieren auch zahlreiche Firmen, Verbände und Organisationen, die sich vor der Abstimmung in einer seltenen Allianz mit einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt haben. Zu den Unterzeichnern gehören etwa Facebook und Google, die deutschen Internetanbieter mailbox.org und JP Berlin oder der Chaos Computer Club. Dessen Sprecher Linus Neumann kritisiert das Gesetz als »Todesstoß für das Vertrauensverhältnis«, das zwischen Nutzern und Anbietern sicherer Kommunikation bestehen sollte. Denn die Firmen werden im Gesetz verpflichtet, allen berechtigten Behörden »während der Geschäftszeiten Zugang zu den Räumlichkeiten zu gewähren« und dort das Einspielen der Staatstrojaner in die laufende Kommunikation zu ermöglichen.
Neben den Geheimdiensten darf zukünftig auch die Bundespolizei von der staatlichen Schadsoftware Gebrauch machen. Auch dies hat der Bundestag am Donnerstag mit den Stimmen der Regierungskoalition beschlossen. Laut des erneuerten Bundespolizeigesetzes kann die Behörde Staatstrojaner sogar gegen Personen in Anschlag bringen, die noch keine Straftat begangen haben, indem etwa Kontaktpersonen von Verdächtigen überwacht werden.
Mit der Abstimmung ist die SPD auch in dieser Frage eingeknickt. Auf Twitter hatte die Parteivorsitzende Saskia Esken noch im Februar beteuert, die Bundespolizei bekomme den Staatstrojaner »auf keinen Fall präventiv, also nicht unterhalb der Schwelle der Strafprozessordnung«. Am Mittwoch schob sie auf dem Kurznachrichtendienst die Verantwortung von sich und schrieb, sie beuge sich einer »Mehrheit« ihrer Fraktion. Den Einsatz von Staatstrojanern durch Geheimdienste halte sie für falsch, einer damit erleichterten »effektiven Strafverfolgung« durch die Polizei stehe sie aber aufgeschlossen gegenüber. In einem weiteren Tweet nennt sie die Technik dann auch beim Namen: »Schadstoffsoftware«.
Was die weißrussische Opporsition angeht, ist zu bedenken, daß der inhaftierte Protassewitsch sich bereit erklärt hat, mit den Sicherheitskräften zu kooperieren, um der Todesstrafe oder der Auslieferung an die Donbass-Republiken zu entgehen.
Da werden jetzt sicher sehr viele Informationen fließen, und die weißrussische Opposition muß sich neu aufstellen.
Ende mit Schrecken
Vor 30 Jahren wurde Boris Jelzin zum Präsidenten Russlands gewählt
Von Reinhard Lauterbach
Der Wahlakt, zu dem die Bewohner Russlands am 12. Juni 1991 aufgerufen waren, wird in der Literatur als »erste demokratische Volkswahl eines russischen Präsidenten« gepriesen. Gesichert ist jedenfalls, dass sie mit geringerem Einsatz der sogenannten administrativen Ressourcen einherging als alle Präsidentenwahlen in Russland danach. Auch diejenige, die sich der Wahlsieger von 1991, Boris Jelzin, fünf Jahre später selbst genehmigte, als sein Ansehen bereits im Keller war und er sich von heimischen Oligarchen das Geld und von US-amerikanischen Wahlkampfstrategen das Know-how leihen musste, um den Wahlsieg von Gennadi Sjuganow, Chef der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), zu verhindern. 1991 erhielt Jelzin in der Volkswahl 57 Prozent der Stimmen, der Kandidat des »Establishments«, Exregierungschef Nikolai Ryschkow, nur 16. Ein deutliches Votum einer Bevölkerung, die nach sechs Jahren »Umbau« in den Trümmern ihres Landes Schlange nach dem Nötigsten stand. Dass in dieser Situation viele gedacht haben mögen, ein Ende mit Schrecken sei besser als ein Schrecken ohne Ende, ist im nachhinein nachvollziehbar.
Trotzdem war die Präsidentenwahl in der damals noch Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) nur die symbolische Krönung eines Kurses auf die Zerstörung der Sowjetunion, die der (seit 1989) Vorsitzende des Obersten Sowjets der RSFSR, Boris Jelzin, spätestens seit Ende 1987 verfolgt hatte. Genau ein Jahr zuvor, am 12. Juni 1990, hatte das von Jelzin geleitete Republiksparlament einen Beschluss über die Souveränität der Russischen Republik gefasst, der insbesondere den Vorrang der russischen Gesetzgebung gegenüber jener der UdSSR beanspruchte.
König Ohneland
Russland war nicht die erste Unionsrepublik, die diesen Vorrang in Anspruch nahm: Das war schon 1988 Estland gewesen, dem 1989 Litauen und bald darauf Georgien und Armenien folgten. Aber Russland war die bei weitem größte Unionsrepublik. Ohne Estland oder Georgien hätte die UdSSR weiterbestehen können; ohne Russland wurde sie zu einer leeren Hülle, und Michail Gorbatschow, der sich 1989 – nicht vom Volk, sondern vom Kongress der Volksdeputierten – zum Präsidenten der UdSSR hatte wählen lassen, zum König Ohneland.
Es ging bei der »Parade der Souveränitäten« nicht nur um formale Rechtsansprüche. Jede der für souverän erklärten Republiken hörte auf, Steuern an die Unionsebene abzuführen. Das untergrub deren Funktion als zentrale Umverteilungsinstanz, und es versetzte den ohnehin durch die Abschaffung der zentralen Wirtschaftsplanung geschwächten Lieferbeziehungen der Betriebe einen weiteren Schlag. Jede Republik versuchte, das in ihren Grenzen Erwirtschaftete für sich zu behalten; je größer sie war und je differenzierter ihre Wirtschaftsstruktur, desto besser die Überlebenschancen. Das war das rationale Moment hinter Jelzins Strategie hin zur Souveränität Russlands: Russland war – nicht relativ, da gaben die Balten und Belorussen mehr an die Zentrale ab, aber in absoluten Zahlen durchaus – die größte Quelle der Ressourcen, die mit immer schlechterem Erfolg an die peripheren Republiken umverteilt wurden. Es ist nicht erstaunlich, dass die zentralasiatischen Unionsrepubliken am Zerfall der Union am wenigsten interessiert waren: Sie waren traditionell die Empfänger der Mittel aus dem Unionshaushalt.
Jelzins Strategie der Herauslösung Russlands aus der UdSSR knüpfte an die Erfahrung des alltäglichen Mangels an, konkret in Moskau an den Einkaufstourismus von Bewohnern der Randrepubliken in die besser versorgte Hauptstadt. Die Jahre, über die wir hier sprechen, waren die, in denen an den Moskauer Bahnhöfen informelle Zollkontrollen eingeführt wurden und die Polizei den Leuten in die Taschen und Koffer schaute, ob sie nicht ein paar Dauerwürste oder Damenstrumpfhosen zuviel nach Riga oder Taschkent schleppten.
Gleichzeitig waren dem Großteil der sowjetischen Bevölkerung die politischen Konsequenzen der »Parade der Souveränitäten« vermutlich nicht klar. Jelzin wusste das, und er nutzte es skrupellos aus. Der Beschluss über die Wahl eines Staatspräsidenten der RSFSR wurde am 17. März 1991 gefasst, gleichzeitig mit einem Referendum, in dem die Bevölkerung eines Großteils der UdSSR über die Frage abstimmte, ob die Sowjetunion erhalten bleiben sollte. Sechs baltische und kaukasische Republiken verboten die Durchführung dieses Referendums auf ihrem Gebiet, vermutlich weil die Ergebnisse nicht so eindeutig im Sinne der neuen nationalistischen Eliten auszufallen drohten, wie die sich das wünschten. Im Rest des Landes stimmte eine Dreiviertelmehrheit der Teilnehmer (bis zu 98 Prozent in Turkmenistan) für den Erhalt der UdSSR in einer »erneuerten Gestalt«. Den Abstimmenden in Russland wurden also faktisch zwei Fragen gestellt, die sich gegenseitig ausschlossen.
Die nach wie vor breite Zustimmung zum Erhalt des eigenen Landes in der Bevölkerung war das letzte politische Argument, das Gorbatschow noch für sich ins Feld führen konnte. Insofern spielte der Versuch des sogenannten Staatskomitees für den Ausnahmezustand (GKTschP), im August 1991 den bereits eingeleiteten Zerfall der UdSSR mit militärisch-ordnungspolizeilichen Mitteln zu stoppen, objektiv Jelzin in die Hände. Indem die Mitglieder des GKTschP Gorbatschow daran hinderten, den Verhandlungsprozess über eine gelockerte, aber fortbestehende Union in Gang zu setzen, machten sie Jelzin zum Herrn der Lage. Und seltsamerweise gingen sie gegen Jelzin kaum vor – ebensowenig übrigens dieser später gegen jene. Nicht einmal Strom und Telefon wurden im Weißen Haus, dem Sitz des russischen Parlaments, abgeschaltet.
Steilvorlagen
Und Jelzin nutzte diese Steilvorlage aus: Als erstes verbot er die Tätigkeit der KPdSU in ganz Russland. Genau die Befürchtung, dass dieses Verbot in der Folge auf die ganze Union ausgedehnt werden könnte, veranlasste dann zum Beispiel in der Ukraine die regionale Abteilung der KPdSU, am 24. August – also nur fünf Tage nach dem »Augustputsch« – ihrerseits für die Unabhängigkeit der Ukraine zu stimmen und damit den abspaltungswilligen Nationalisten ein unerwartetes Geschenk zu machen. Mit den Worten des russischen Liberalen Pawel Miljukow von 1916 könnte man fragen, ob dies noch Dummheit oder schon Verrat gewesen sei. Die Antwort ist vermutlich pragmatischer: Die entscheidende Rolle dürfte das Eigeninteresse der ukrainischen Abteilung der sowjetischen Nomenklatura gespielt haben, sich das Staatseigentum in der damals zweitgrößten Unionsrepublik unter den Nagel zu reißen.
»Uns die Arbeit erspart.« Eine Würdigung Boris Jelzins, die heute so nicht mehr erscheinen würde
Ich habe mich immer gefragt, warum Boris Jelzin, einer der furchtbarsten Staatsmänner Russlands, im Westen so hochgeschrieben wurde: als »Held«, »Riese« und »Leuchtfeuer der Freiheit«.
Die meisten Russen erinnern sich an Jelzin ganz anders: als einen betrunkenen Opportunisten, der den Großteil seines Landes ins Elend stürzte, während er seiner Clique zu phantastischem Reichtum verhalf. Er war ein Präsident, der einer ganzen Generation ihre Ersparnisse und Renten raubte, der den Lebensstandard ins Bodenlose fallen ließ, der die Lebenserwartung männlicher Russen um zehn Jahre verkürzte und einen Bevölkerungsrückgang in Russland auslöste, der bis heute andauert. Als an einen Mann, der seine Karriere mit populistischen Angriffen gegen die bescheidene Korruption von Parteibossen startete und dann der Präsident einer Epoche wurde, in der Korruption und Gangstertum ungeahnte Ausmaße annahmen.
Ist der Grund für seine Wertschätzung im Westen dann vielleicht, dass er alle seine Untaten ausglich, indem er den Kommunismus begrub? Ja und nein. Zwar brach der sowjetische Kommunismus unter dem Gewicht seiner eigenen Widersprüche zusammen und nicht unter dem von Jelzin auf seinem Panzer; aber wenn Jelzin an die Stelle des Kommunismus nicht besoffenes Chaos und Unfähigkeit gesetzt hätte, sondern ein starkes Russland, das seine eigenen Interessen zu verteidigen gewusst hätte, dann wäre sein Ansehen im Westen heute sehr anders, und diejenigen, die ihn heute lobpreisen, würden ihn genauso verteufeln, wie sie das heute mit Wladimir Putin tun.
Er war der beste Präsident Russlands, den der Westen je gehabt hat. Er hat Russland untergepflügt und uns damit die Arbeit erspart, das selbst zu tun.
Quelle: Mark Simpson: Toasting Yeltsin. In: The Guardian, 25.4.2007, theguardian.com/commentisfree/2007/apr/25/toastingyeltsin
Die Empörung des Westens über Putin beruht darauf, daß er das Zerstörungswerk Jelzins gestoppt hat.
Die Einkreiser
NATO-Manöver und Putin-Biden-Gipfel
Von Reinhard Lauterbach
Das aktuelle NATO-Manöver in der Ostsee spiegelt ein reales Problem der westlichen Kriegsallianz wider: Sie hat sich übernommen, als sie 2004 die drei baltischen Staaten aufnahm. Damals schien das Risiko der NATO vertretbar, mehr als ein paar unfreundliche Bemerkungen aus Moskau würde man sich schon nicht einhandeln, dachte man. Man »übersah«, was Strategen nach 2014 unliebsam auffiel: dass die baltischen Staaten aus NATO-Sicht entfernte Außenposten sind, aus objektiven Gründen schlecht zu erreichen, und das über ein Terrain, in dem Russland erhebliche Kräfte stationiert hat und aus dem es sich erkennbar nicht verdrängen lassen will.
Außenminister Sergej Lawrow hat es lakonisch kommentiert, als der kollektive Westen in diesem Frühjahr die russischen Manöver an der Grenze zur Ukraine skandalisierte: »Wir wohnen da.« Russland hat praktisch kein Vorfeld mehr, auf das es künftige Auseinandersetzungen verlagern könnte. Ein kleiner Rest davon ist die Ostsee, die bisher östlich von Bornholm von der russischen Luft- und Schiffsabwehr kontrolliert wird, gestützt auf das hochgerüstete Gebiet Kaliningrad, das seinerseits freilich im Kriegsfall eine belagerte Festung würde. Genau deshalb üben die NATO-Marinen ausgerechnet in der Ostsee auch die »Absperrung von Seegebieten« (Maritime Interdiction): um Russland die Schlinge zu zeigen, die sie ihm gern um den Hals legen würden.
Denn genau diese Wahl will der Westen Russland aufzwingen: entweder einen Krieg auf eigenem Territorium zu riskieren – eine Option, die nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs niemand in Moskau ernsthaft in Betracht ziehen kann – oder klein beizugeben, was unter der gegenwärtigen Führungsmannschaft wohl auch nicht in Frage kommt. Sie hat in den neunziger Jahren erlebt, dass sich der Westen auch beim besten Willen Russlands nicht beschwichtigen lässt.
Im übrigen richtet sich die Machtdemonstration, die die NATO jetzt in der Ostsee veranstaltet, aber auch nach innen: Die Mitgliedsländer »an der Ostflanke« würden nicht »alleingelassen«, wie es etliche von ihnen angesichts des bevorstehenden Gipfels zwischen Joseph Biden und Wladimir Putin schon wieder lautstark beklagen. Denn was wären Estland, Lettland und Litauen, wenn sie nicht ihren Nationalstolz darin betätigen dürften, NATO-Frontstaaten zu sein?
An dieser Stelle haben die USA immerhin gegenüber der Ukraine ein Zeichen gesetzt. Als der dortige Präsident Wolodimir Selenskij vor einer Woche endlich »sein« Telefongespräch mit Biden bekam, ließ er ins amtliche Kommuniqué hineinschreiben, die USA unterstützten die NATO-Perspektive Kiews. Zwei Stunden später war dieser Verweis gelöscht. Auf US-Beschwerde hin. Washington definiert Rahmen und Grenzen der Konfrontation, hieß das. Nicht Kiew. Um so gespannter kann man bei aller Skepsis auf den Verlauf des Genfer Gipfels sein.
Protokoll des Jour Fixe München vom 07.06.2021:
1. Fortsetzung „Anti-“ gegen „Rassisten“ und
2. „Klimaschutzprogramm 2030“ (GS 1-21)
Nachfrage zum Protokoll und zum Artikel, Punkt III.1.
1. Fortsetzung der Diskussion des Artikels: „Anti-“ gegen „Rassisten“ – Der unrassistische Klassenstaat und seine verfeindeten Moralisten (GS 1-21), Punkt III.2.
2. „Klimaschutzprogramm 2030“, Klimaschutzgesetz, nationale Wasserstoffstrategie … Deutschlands Energieimperialismus wird klimaneutral (GS 1-21)
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf210607-Forts_Anti-Rassisten_Klimaschutz.pdf
https://de.gegenstandpunkt.com/jfp/jf-protokolle
vgl. auch https://www.jungewelt.de/artikel/399999.aus-der-b%C3%BCrgerlichen-gesellschaft-geglaubte-lebensl%C3%BCge.html?sstr=Wentzke
https://www.jungewelt.de/artikel/402135.gr%C3%BCne-marktwirtschaft-imperialismus-klimaneutral.html?sstr=Wentzke
—
Nächstes Mal, 21. Juni 2021, weiter mit Punkt 4 und dem Rest vom Artikel. Das nachfolgende Thema wird wie immer auf der Website des GegenStandpunkt-Verlags bekanntgegeben.
Russland einschnüren
NATO beansprucht Seeherrschaft in der Ostsee und im Schwarzen Meer
Von Reinhard Lauterbach
Der diesjährige NATO-Gipfel findet vor dem Hintergrund praktisch ständiger Marinemanöver der westlichen Kriegsallianz in den europäischen Meeren statt. Aktuell laufen gleich zwei Übungen der NATO-Seestreitkräfte: die eine, »Baltops 50«, in der Ostsee, die andere, »Steadfast Defender«, im Mittelmeer und im Schwarzem Meer.
»Baltops« begann am Sonntag vor einer Woche – einem bewusst gewählten symbolträchtigen Datum, dem 77. Jubiläum der anglo-amerikanischen Landeoperation an der französischen Kanalküste. Implizierter geopolitischer Kontext dieser behaupteten Analogie: Russland okkupiere den europäischen Kontinent ebenso wie einst Nazideutschland. Insofern ist es auch kein Zufall, dass der operative Höhepunkt des Manövers in dieser Woche eine amphibische Landung an der litauischen Ostseeküste sein wird. Die Übung vereint 40 Kriegsschiffe, 60 Flugzeuge und 4.000 Soldaten aus 16 NATO-Staaten sowie den »Partnernationen« Schweden und Finnland. Schweden spielt dabei den Gegner, indem es ein »hochbefähigtes« U-Boot abordnet, das der Rest der Truppe außer Gefecht setzen soll. Im übrigen haben die Planer den teilnehmenden Einheiten vielfache Ziele gesetzt: neben den bereits genannten Aspekten auch die Erkämpfung des Zugangs zur Ostsee in den dänischen Meerengen, die Fähigkeit, Seegebiete zu sperren, sowie die Verteidigung gegen Cyberangriffe. Zu Wasser.
Parallel dazu läuft schon seit Mai im Mittelmeer das NATO-Marinemanöver »Steadfast Defender«, das im Schwarzen Meer in die alljährliche Übung »Sea Breeze« übergehen soll. Ziel ist auch hier, Russland die Seeherrschaft im Vorfeld der eigenen Küste streitig zu machen. Verhandelt wird dies unter dem ideologischen Titel, die »Freiheit der Schiffahrt« zu sichern. Beide Manöver schließen an eine erste Serie von Marineübungen der NATO im Nordatlantik an, bei denen im März und April sowohl die Heranführung von Einheiten aus den USA trainiert wurde, als auch Landeoperationen in Norwegen – lies: an der russischen Schwarzmeerküste mit ihrem gebirgigen Relief – sowie Langstreckenangriffe mit Flugzeugen und Marschflugkörpern von Schiffen aus, die zwischen Norwegen und Island kreuzten. Es ist insofern wenig erstaunlich, dass Russland die Übungsserie der NATO als Provokation und als Säbelrasseln vor seiner Haustür kritisierte. Die Erklärung des Moskauer Außenministeriums hob insbesondere den Umstand hervor, dass zur »Sicherung des Seegebiets« aus NATO-Sicht auch die Teilnahme von atomwaffenfähigen US-Langstreckenbombern des Typs B-52 für erforderlich gehalten werde.
Ebenfalls im Vorfeld des NATO-Gipfels gab das US-Verteidigungsministerium bekannt, dass die Ukraine weitere »Militärhilfe« im Umfang von 150 Millionen US-Dollar (etwa 124 Millionen Euro) erhalten wird. Das Geld ist Teil eines bereits unter Donald Trump zugesagten Pakets und umfasst Artillerieaufklärungsradare, Systeme zur Erkennung von Drohnen und abhörsichere Kommunikationsausrüstung sowie die Ausbildung ukrainischen Militärpersonals an diesen Systemen.
Tiefstapeln vor Gipfel
»Im Prinzip vieles zu besprechen«: USA und Russland dämpfen Erwartungen an erste Zusammenkunft von Biden und Putin
Von Reinhard Lauterbach
Vor dem für Mittwoch geplanten Treffen der Präsidenten der USA und Russlands, Joseph Biden und Wladimir Putin, schrauben beide Seiten die Erwartungen herunter. Biden sagte nach dem G7-Gipfel im britischen Cornwall, er sei sich mit Putin darin einig, dass die gegenwärtigen Beziehungen beider Länder schlecht seien. Putin verletze in vielen Fällen internationale Normen, und es gebe keine Garantie, dass er sein Verhalten ändern werde. Er werde Putin die diesbezüglichen »Sorgen« der USA sehr direkt mitteilen, so Biden. Die USA suchten aber keinen Konflikt mit Russland, sondern eine stabile und vorhersehbare Beziehung. Trotz dieser eher maßvollen Wortwahl begleitet das Kriegsbündnis NATO seinen eigenen und den Biden-Putin-Gipfel mit einer Serie von Manövern zu Lande und zur See in Ostpolen, der Ostsee und dem Schwarzen Meer.
Auch Putin hatte in einem Vorabinterview mit dem US-Fernsehsender NBC gesagt, die Beziehungen zwischen Moskau und Washington seien »an einem Tiefpunkt«. Gleichwohl hätten beide Länder gemeinsame Interessen. Dazu gehörten die Eindämmung regionaler Konflikte sowie der Umwelt- und Klimaschutz. Er sei sicher, dass er mit Biden werde arbeiten können, so Putin in dem Interview. Der sei ein »Karrierepolitiker«, anders als die »bunte Persönlichkeit« Donald Trump, die »nicht aus dem Establishment gekommen« sei. Über den von Biden erhobenen Vorwurf, er sei ein »Killer«, ging Putin hinweg und bezeichnete ihn als »Teil der politischen Kultur der USA« und als »Hollywood-Machismo«. Er habe schon so viele Vorwürfe gehört, für den Tod dieses oder jenes Opponenten verantwortlich zu sein, dass ihn das nicht mehr interessiere.
Auch den Vorwurf der US-Tageszeitung Washington Post, Russland habe vor, dem Iran moderne Satelliten zu liefern, mit deren Hilfe sich das Land gegen einen eventuellen Angriff der USA wappnen und gegebenenfalls zurückschlagen könne, wies Putin als »Erfindung« zurück. Er habe zumindest nie etwas von einem solchen Vorhaben gehört.
In einem für die russischen Zuschauer aufgezeichneten Interview mit dem staatlichen Sender Rossija wollte Putin die möglichen Erwartungen des heimischen Publikums dämpfen. Es gebe zwar im Prinzip vieles mit den USA zu besprechen, aber er wäre, sagte Putin, schon froh, wenn auch nur die Bedingungen für künftige Gespräche geschaffen würden.
Vergleicht man die Inszenierung beider Gespräche, könnte der Unterschied nicht größer ausfallen: Das Interview mit NBC fand in Moskau, in den klassizistischen Innenräumen des Kreml statt, mit allen repräsentativen Insignien des Großmachtstatus. Das Gespräch mit dem Reporter von Rossija dagegen wurde am Rande einer Eishockeyarena im Umland der russischen Hauptstadt aufgezeichnet. Putin saß mit offenem Hemdkragen vor der Kamera und redete im beiläufigen Ton, als würde er als Eishockeytrainer die aktuelle Form seiner Mannschaft erörtern.
Beim Petersburger Wirtschaftsforum vor einer Woche hatte sich Russlands Staatschef im Vorgriff auf den Gipfel »als ehemaliger Bürger der ehemaligen Sowjetunion« eher spöttisch über die USA geäußert: Sie machten sämtliche Fehler, die die sowjetische Führung auch begangen habe – vor allem den, sich zu überschätzen. Solange, bis die Zahl der kleinen Fehler in eine große Krise umschlage.
Nord Stream 2: Ukraine will »Kompensationshilfen«
Berlin. Im Streit um die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 bringt die Ukraine finanzielle Hilfe wegen drohender Einnahmeverluste ins Spiel. »Wenn man uns Gespräche über Kompensationen anbietet, werden wir uns das ansehen«, sagte Außenminister Dmitri Kuleba der Welt (online am Sonntag). Derzeit führt Deutschland mit den USA Gespräche über die Zukunft des Projekts. Die Ukraine befürchtet, dass nach Fertigstellung von Nord Stream 2 die Milliardenzahlungen aus Russland für den Gastransit gekappt werden könnten. Das chronisch klamme Land ist auf die Einnahmen angewiesen und gehört deshalb zu den Kritikern der Gasleitung.(dpa/jW)
Was ist damit gemeint?
Kaliningrad oder die Krim räumen?
Das kanns doch nicht sein.
Rußland kann also gar nichts anderes machen, als aufrüsten und Wehrbereitschaft demonstrieren, was ihm natürlich als „Aggression“ angekreidet wird.
Das Verhältnis Russlands zum Iran sollte man weiter im Auge behalten.
Die SU galt Khomeini & Co. als ein großer Satan, aber gegenüber Rußland gibt es weniger Vorbehalte.
Außerdem wird der Iran durch die Aggression des Westens Rußland in die Arme getrieben.
Inzwischen hat sich offenbar auch in der iranischen Führung die Einsicht durchgesetzt, daß aus einem engen Bündnis mit Rußland auf Dauer kein Weg vorbeiführt.
Eine andere Frage sind die Verbindungen auf religiöser Ebene. Die muslimische Geistlichkeit Rußlands pflegt offenbar keine Kontakte mit dem Iran, und auch die Initiativen Ramzan Kadyrows beschränkten sich anscheinend bisher auf sunnitische Würdenträger.
Aber was nicht ist, kann noch werden.
Regierung von Ecuador hat Putschisten in Bolivien mit Waffen unterstützt
La Paz/Quito. Die Regierung von Ecuador unter Lenín Moreno (2017-2021) hat offenbar die Putschregierung in Bolivien mit Munition beliefert. Im November 2019 soll Moreno sie nicht nur mit Tränengas, sondern auch mit 5.500 Granaten und 2.949 Projektilen “als Leihgabe” unterstützt haben.
https://amerika21.de/2021/06/251429/regierung-ecuador-putschisten-bolivien
»Keine Zeit für uns«
Polen und Ukraine fühlen sich bei Russlandpolitik von USA übergangen
Von Reinhard Lauterbach
Die polnische Regierung beklagt sich schon seit längerer Zeit über Liebesentzug seitens ihres Hauptverbündeten USA. Normalerweise passiert so etwas inoffiziell. Am Freitag allerdings schoss Außenminister Zbigniew Rau aus vollen Rohren: Washington habe »leider keine Zeit gehabt«, vor seiner Einwilligung in die Fertigstellung von Nord Stream 2 seine osteuropäischen Verbündeten zu konsultieren, beschwerte sich der Minister in einem über eine ganze Seite der Tageszeitung Rzeczpospolita laufenden Interview. Die USA seien wie die Bundesrepublik »in die russische Falle gegangen«, indem sie den Bau der Gaspipeline durchgezogen hätten bzw. diese duldeten. Die USA seien nun derart fixiert auf das bevorstehende Treffen ihres Präsidenten mit Wladimir Putin, dass auch bei den diversen Gipfeln dieser Woche wieder keine Zeit für eine Audienz für Staatspräsident Andrzej Duda gewesen sei.
Das fällt einerseits in die Rubrik der kleinen diplomatischen Gehässigkeiten. Duda hatte nämlich aus seiner Sympathie für Donald Trump noch bis nach dessen Wahlniederlage gegen Biden keinen Hehl gemacht und diese noch Tage nach der Verkündigung des Ergebnisses angezweifelt. Joseph Biden dagegen hatte er zunächst nur zum »erfolgreichen Wahlkampf« gratuliert, nicht aber zur gewonnenen Wahl. Jetzt lassen die USA zur Vergeltung Polen zappeln. Nicht einmal ein neuer Botschafter sei ernannt worden, beklagte sich Minister Rau in dem genannten Interview, nachdem die Millionärin und Trump-Spenderin Georgette Mosbacher ihren Warschauer Posten mit dem Wechsel in Washington hatte räumen müssen.
Wenn aber ein gestandener Außenminister glaubt, die USA belehren zu müssen, dass Polen ein »für die Abschreckungsfähigkeit der NATO entscheidend wichtiges Land« sei, ohne das sich »weder das Baltikum verteidigen, noch die Ukraine wirksam unterstützen« lasse, dann merkt man, dass in manchen Warschauer Hinterköpfen einiges ins Wanken geraten ist: die ganze selbstgewählte Rolle Polens als Frontstaat im Rahmen einer Neuauflage des Kalten Krieges. Sollten die USA jetzt, so die Befürchtung, den Kalten Krieg am Ende absagen, stünde das Land im Regen.
Etwas im Widerspruch dazu der zweite Strang der Kommentierung. Die USA könnten zwar am Kurs auf eine Fortsetzung des Kalten Krieges festhalten, aber auf Kosten von Polens angestrebter Sonderrolle: »Biden setzt auf Deutschland«, lautete am Montag eine Schlagzeile der Rzeczpospolita, Polens mit Abstand seriösester Zeitung. An anderer Stelle wird beklagt, dass »Merkel die Befürchtungen Warschaus bestätigt« habe. Indem die Bundeskanzlerin nämlich das Gespräch mit Biden auf dem G7-Gipfel als »konstruktiv und freundschaftlich« bezeichnet und gesagt habe, Nord Stream 2 sei »auf gutem Weg«.
Ganz ähnliche Töne hatte es zuvor auch schon aus Kiew gegeben. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte sich – wie Rau – beklagt, er habe von der Duldungserklärung der USA für Nord Stream 2 aus den Medien erfahren, und Washington hätte das vorher mit der Ukraine nicht abgesprochen. Am vorletzten Wochenende bekam Selenskij dann zwar »seinen« Anruf aus dem Weißen Haus – auf den Duda bis heute wartet –, aber auch einen Dämpfer. Selenskijs Pressestelle redigierte in die entsprechende Erklärung die Formulierung hinein, Biden habe »die NATO-Perspektive der Ukraine bestätigt«. Zwei Stunden stand das so im Netz, danach nicht mehr. Die US-Seite hatte verlangt, diesen kritischen Punkt zu streichen. Sie wollte nicht festgelegt sein. Denn Washington weiß inzwischen, dass das Wort »NATO« in bezug auf die Ukraine oder Georgien in Russland eine rote Linie markiert.
Der leitende Russland-Analyst der dem Pentagon zuarbeitenden RAND Corporation, Samuel Charap, erläuterte dem oppositionellen Kiewer Portal strana.ua vergangene Woche auch, warum: Die Ukraine solle sich nicht in der Illusion wiegen, Washington würde für Kiew den Konflikt mit Russland ausfechten. Diplomatische Sanktionen zu ukrainischen Gunsten oder materielle Militärhilfe seien schon drin, so Charap. Mehr aber nicht. Den Grund für diese Haltung hatte dieselbe Stiftung im Frühjahr deutlich genannt: Russland habe mit seinen Manövern in Grenznähe vor allem Eskalationsfähigkeit innerhalb kurzer Zeit demonstriert: russische Truppen seien im Zweifelsfall schneller in Kiew als US-amerikanische. Das muss nicht wörtlich stimmen. Aber es markiert die Grenze des US-Einsatzes für »Alliierte«, solange keine direkten Interessen bedroht sind.
Selenskij bekam zum Trost eine Einladung ins Weiße Haus. Aber erst für den 16. Juli. Am 15. ist – als erste Regierungschefin aus Europa – Angela Merkel dort zu Gast.
Internationale Verträge meinen für die USA und für Russland nicht dasselbe. Anvisiert werden ja angeblich z.B. Verträge zwecks Erneuerung von Rüstungskontrollvereinbarungen. Haltung der USA ist, dass dadurch Russland sich festegen soll, den Status einer Mittelmacht anzuerkennen, und sich (auch nur noch) dementsprechend aufführen zu können. Also auf Optionen, Weltpolitik in eigenem Interesse inkl. Droh- also Eskalationspotential bis hin zum Atomkrieg, autonom durchführen zu können und ggf. zu wollen, explizit und vertraglich Verzicht zu üben.
Andererseits ziehen die USA sich selbst aus diversen Regionen der Welt faktisch ein Stück weit militärisch zurück. So sehen sie Gründe genug, ihre eigenen Kriegsziele stattdessen zukünftig auf Verhandlungswegen und in Absprachen mit/durch ihre Verbündeten durchzusetzen ( – auch über den traditionellen bisherigen NATO-Kreis hinaus: z.B. Richtung Indien und Australien).
Dafür wird auch ökonomisch was getan.
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/flugzeug-einigung-als-erster-schritt-in-neuen-eu-us-handelsbeziehungen/
Neben EU und NATO wird GB dafür wieder wichtiger werden sollen, und deswegen hat Biden diese Sonderbeziehungen noch einmal unterstrichen.
Im Freitag wird das nicht mit dem Standpunkt von Weltpoltik, sondern eher mit der Zuspitzung gegenüber China erklärt.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/termin-mit-dem-killer
Mir scheint es eher die Rückkehr zum Standpunkt des Regelsetzers der internationalen Ordnung sein zu wollen – bei gleichzeitigem militärischem Rückzug z.B. aus der ganzen Region zwischen Syrien und Afghanistan. Dazu soll Russland einverstanden sein mit Zuweisungen (‘Absprachen’) für seine weltweite Rolle. Und ins Visier genommen werden auch wieder verstärkt EU und NATO – als “Bündnispartner” amerikanischer Weltinteressen. Interessant wird sein, was mit und durch die Türkei dabei passiert….
“Rückkehr zur Vertragspolitik” – macht die Welt also nicht unbedingt “friedlicher”…
Zusammenfassung von Überschriften aus der Presse zu den diversen Treffen der letzten Tage
https://tages-politik.de/Aussenpolitik/G7-NATO-Gipfel-2021.html
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Die EU-Zentrale gefällt sich darin, so in dieser neuen Rolle von den USA nun anscheinend wertgeschätzt zu werden – mal schaun, ob das auch die Meinung der diversen einzelnen europäischen Staaten sein wird …
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-aussenvertreter-stellt-neuen-bericht-zu-russland-vor/
Borrell schlug “…eine dreiteilige Strategie zum künftigen Umgang mit Russland vor. Die EU müsse Moskau »zurückdrängen, einschränken und einbinden«, sagte Borrell in Brüssel. Gleichzeitig müsse die EU aktiver und vorausschauender in ihrer Russland-Politik werden, und die Mitgliedstaaten müssten auf Einzeldeals mit Moskau verzichten. Deshalb müssten die EU-Regierungen verstehen, dass sie nicht jeweils für sich alleine »bilaterale Deals mit Russland schließen können«, sagte Borrell. »Wenn alle sagen: Ihr müsst mit der Europäischen Union sprechen, dann muss Russland mit der Europäischen Union sprechen oder mit niemandem.« (ND)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153354.russland-bericht-moskau-zurueckdraengen-einschraenken-und-einbinden.html
“Wenn” das alle so sagen würden – dann würde er es gar nicht aufschreiben ….
Hierzulnde denkt man dabei im Regelfall an Polen und Ungarn. Europaweit denken die EU-Staaten vermutlich als erstes aber eher an den Anspruch der Führungsnationen der EU, vor allem BRD und F, selbstverständlich nationale Sonderbeziehungen zu Russland (und China) eingehen zu wollen, z.B. und nicht nur bei Nordstream…
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Interview mit Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/aufgetuermter-beziehungsmuell
Wie stellt sich die NATO/EUSA das vor?
Sie sagen Rußland: Schön brav sein, dann tun wir dir nix?
Und Rußland zieht sich überall zurück?
Dass diese westliche NATO-Sichtweise eher der von Verrückten ähnele, das meint auch dieser Kommentar bei Heise. Hm.
https://www.heise.de/tp/features/Nato-Russland-China-Die-wilden-Zwanziger-der-Aufruestung-6071930.html
Der Unterschied von Verrückten und Normalen bei solchen Weltordnungsfragen besteht mmeiner Ansicht nach u.a. auch darin, wer wen mit welchen Mitteln zu welcher Sichtweise nötigen kann – oder es doch eben gar nicht kann. Hm.
Dass die Russen einiges an Waffen neu aufgestelt haben, ist in US-Sichtweise nur Grund, deren Wucht Grenzen setzen zu wollen. Daher der Entschluss, bei den Mittelstreckenraketen und den Interkontinentalraketen neue Rüstungskontrollvereinbarungen auf den Weg bringen zu wollen. Solche Vereinbarungen sind und waren immerzu vor allem auch Ziele russischer Außenpolitik.
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Dass Bidens “Mutilateralismus” so den (verrückten?) Machtanspruch seines Vorgängers im Amt fortsetzt, – das wird hier behauptet:
https://tages-politik.de/Aussenpolitik/Biden_Chronik_America_first-2021.html
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Dass Putin ein ganz anderer Verhandler als seine (sowjet)russischen Amtsvorgänger wäre, das behauptet Lutz Herden:
“In Putin trifft er auf einen Politiker, der im Unterschied zu Gorbatschow keinerlei Illusionen über westliches Entgegenkommen pflegt und in der Überzeugung verhandelt, dass die derzeitige ideologische Frontbildung gegen Russland ausgeprägter ist als die Einheit des Westens, sind nationale Interessen aufgerufen. Man wird sich abtasten und austauschen, ohne auf Übereinkünfte bedacht zu sein.”
https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/diesmal-ohne-illusionen
Der Gegensatz bereits bem Verhandeln zwischen USA und Russland liegt aber nicht darin, ob der russische Chef sich einen blauen Dunst über den Westen vormachen will.
Der Unterschied ist vielmehr darin begründet, dass der amerikanische Kapitalismus ein ganz anderes internationales Gewalthandeln einfordert und unterstellt, als es die Notwendigkeiten der Außenpolitik Russlands den russischen Politikern nahe zu legen scheint. Die wollen anscheinend – derzeit – gar nicht die ganze Welt komplett zum Mittel des russischen Kapitalismus benutzen bzw. als dafür benutzbar regeln bzw. sogar herstellen. Wenn Russland global unterwegs war, wie z.B. in Syrien, dann war dort kein aus russischem kapitalistischem Verwertungsinteresse entspringendes globales Weltordnen unterwegs.
Etwas “halbherzig” wird hier an den angestrebten Rüstungskontrollvereinbarungen herumgemeckert
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153364.nutzlose-diplomatie.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Es fragt sich, ob es so etwas wie einen „russischen Kapitalismus“ überhaupt gibt.
Bei der Besprechung dessen, was in Rußland heute die ökonomische Ausrichtung ist, also um was es dort geht, tun sich alle möglichen Leute schwer.
Auch die Gegner Rußland kommen damit nicht zurecht. Dauernd prophezeien sie Abstürze, Vereldendung, um dann verärgert zu konstatieren, daß doch eigentlich alles dort drüben viel zu gut funktioniert.
Können die Russen auch anders – als anders?
Russische Alternativen in ihrer Außenpolitik …
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/putin-erklaert-den-krieg
… erläuterte Putin bereits 2007.
“Wenn gegen Russland aufgerüstet wird, wird dagegengehalten, und zwar in der Weise, wie es Russland für zweckmäßig hält: Die USA sollen sich keine Hoffnung auf ein neues Totrüsten machen, darauf, dass Russland an seinen Mitteln scheitert – was auch als Botschaft an die eigene Nation gedacht ist: Man soll sich dort keine Sorge machen, dass sich eine Politik wiederholt, die laut offizieller russischer Geschichtsbewältigung der Fehler der Sowjetunion gewesen sein soll.”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/putin-erklaert-den-krieg#section4
Aktuell schaut es nach einer Vergewisserung danach aus, ob dieser Kurs der einzig gegen die USA mögliche ist. (Was ganz neu gar nicht ist: auch gegenüber Trump gab es Bekundungen, dass einzig Feindschaft doch wohl nicht die ultima ratio der staatlichen Beziehungen der USA gegenüber Russland sein könne…)
“Damit ergeht an die Adresse der amerikanischen Weltmacht die unmissverständliche Anfrage, wie sie es denn haben will. Die USA sollen sich überlegen, ob sie auf das Geschäft der einvernehmlichen Rüstungskontrolle wirklich verzichten wollen. Oder sind sie bereit, mit Russland eine Kooperation einzugehen, in der dessen Interessen Berücksichtigung finden? Wenn sie aber so weitermachen wie bisher, dann wird sich Russland umstellen.
An die Adresse der Europäer ergeht die Botschaft, dass sie Stellung beziehen werden müssen. Man wird ja fragen dürfen, ob sich Europa seine Emanzipation so vorgestellt hat? Als Hilfstruppe Amerikas und Abstellplatz für dessen Verteidigungssysteme? Und die Länder, die sich als Aufstellungsort hergeben, sollten zur Kenntnis nehmen, dass sie sich nach der Logik der strategischen Rechnungen damit zum Angriffsziel machen. Die europäischen Staaten können jedenfalls nicht beides haben: einerseits als NATO-Partner der USA an der Einkreisung Russlands mitwirken und andererseits von nützlichen Beziehungen zu Russland profitieren. Ihren Muldenschleicher, zusammen mit den USA die Beschneidung russischer Macht zu betreiben und gleichzeitig in allen möglichen luftigen diplomatischen Floskeln eine Partnerschaft mit Russland zu beschwören, können sie sich jedenfalls abschminken.”
(Zitat aus dem GSP-Artikel von 2007)
Vgl. auch diese Fußnote dort: https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/putin-erklaert-den-krieg#fn5
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P.S. So ein Zufall auch… – denn zufällig bin ich auf eine Meldung von Karin Leukefeld in der jw gestoßen, dass von Seiten des Westens manche Fronten in Syrien ggf. neu formiert werden sollen. Wie die Türkei sich dazu stellt, – das wäre auch mal interessant …
https://www.jungewelt.de/artikel/404712.krieg-in-syrien-syrien-als-fu%C3%9Fnote.html
Als Rückblick auf den Kalten Krieg und als Vorausblick auf einen angeblich ähnlichen zukünftigen mit China resümiert Dean Baker im Counterpunch:
“… the U.S. government used the Soviet threat to justify policies designed to serve powerful corporate interests that would be very difficult to rationalize without this threat. In addition, we spent enormous sums on the military, which meant large profits for military contractors.
A New Cold War against China could be used in the same way. Needless to say, we can justify pretty much endless military spending based on the need to meet the China threat. Many people don’t seem to realize the absurdity of trying to spend China into the ground, as some would claim we did with the Soviet Union. While the Soviet Union’s economy peaked at around half of the size of the U.S. economy, China’s economy is already almost 20 percent larger than the U.S. economy, and will be around 80 percent larger by the end of the decade.
If the goal of arms race is to spend China into the ground, it is more likely we would spend ourselves into the ground…”
https://www.counterpunch.org/2021/06/18/biden-china-and-the-new-cold-war/
Da es im Thread um den Imperialismus geht, passt hier auch ein Protokoll über die Drangsale der Verwertung weltweit – von 2016 – also kurz vor Trump und lange vor den aktuell neuen Kredittürmen wg. Covid …
https://wissenundkritik.de/wp-content/uploads/2021/03/Weltkapitalismus-im-Krisenmodus-05.12.16-GS-3-16.pdf
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltkapitalismus-krisenmodus
Trumps Kommentar zum Gipfeltreffen wird in der FR zitiert: “Auf seinem Haus und Hof-Propagandasender Fox News äußerte sich Trump nach dem Treffen Bidens und Putins enttäuscht. Es sei „Ein guter Tag für Russland“ gewesen, sagte er höhnisch. „Wir haben gar nichts bekommen. Wir gaben Russland eine große Bühne bekommen und wir haben nichts dafür bekommen“, sagte Trump Fox-News Moderator und bekennendem Trump-Fan Sean Hannity. Biden habe alles falsch gemacht. „Ich habe Nordstream 2 gestoppt und die Pipeline wurde gestoppt. Sie wurde zurückgegeben und wir bekamen nichts dafür.“
Was die Politik der USA betrifft, so hat Biden ein schweres Erbe angetreten und versucht jetzt einmal vorsichtig auszuloten, was sich machen läßt.
Die USA und die EU sind beide auf dem absteigenden Ast und die US-Führung überlegt offenbar, wie man das stoppen könnte.
1., ähnlich wie im Kalten Krieg, die innerimperialistische Lpnkurrenz USA-EU herunterzuschrauben, gegen die Trump-Linie, sich mit der EU anzulegen, um sie klein zu machen.
Rückzug aus Kriegsschauplätzen, die nur kosten und nichts bringen.
Und eine Neuaufstellung gegenüber den weltpolitischen Rivalen.
Der Prozeß ist noch nicht abgeschlossen.
Aber man kann einmal feststellen, daß Biden zunächst alle Konfrontationen eingefroren hat, und es überall einmal mit Samtpdoten versucht.
Natürlich sieht Trump die praktische Kritik an seinem Kurs und ist verstimmt.
Was Rußland betrifft, so ist die Außenpolitik klar definiert.
Was weniger klar ist, ist die ökonomische Ausrichtung.
Das Abrutschen stoppen
Putin und Biden wollen nach Gipfel Möglichkeiten der Zusammenarbeit finden. Botschafter kehren zurück
Von Reinhard Lauterbach
Nach dem Gipfeltreffen am Mittwoch in Genf haben der Präsident Russlands und sein US-Amtskollege am Abend versucht, eine halbwegs positive Bilanz zu ziehen. Joseph Biden gestand Wladimir Putin zu, »sicher keinen neuen Kalten Krieg zu wollen« – mit dem Nachsatz, Russland könne als »Land, das verzweifelt bemüht ist, seinen Supermachtstatus zu halten«, an einem solchen kein Interesse haben. Putin nannte die Gespräche »konstruktiv und ohne Feindseligkeit« und erklärte, die Erläuterungen, die ihm Biden zum Kontext seiner »Killer«-Äußerung vom März gegeben habe, hätten ihn zufriedengestellt.
An unmittelbar sichtbaren Ergebnissen hat der Genfer Gipfel nicht viel gebracht. Aber die Botschafter der beiden Länder werden in den nächsten Tagen an ihre Dienstorte zurückkehren. Im übrigen sollen Arbeitsgruppen in den Regierungen in den kommenden Monaten ermitteln, wo und auf welchen Feldern eine wie auch immer beschränkte Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA möglich ist.
Neben der traditionellen Rüstungskontrolle rückte an dieser Stelle ein neues Feld der Absprachen in den Blickpunkt: elektronische Sabotage. Biden sagte, er habe Putin deutlich gemacht, dass die USA erhebliche technische Möglichkeiten auf dem Gebiet der Cyberkriegführung hätten und diese einsetzen würden, wenn es wieder »zu Regelverletzungen« kommen sollte. Putin wies jede Verantwortung offizieller russischer Behörden für Fälle wie die Erpressung einer Pipelinegesellschaft an der US-Ostküste zurück. Er räumte jedoch laut Biden ein, dass auf eventuelle Sabotage der russischen Gasleitungen auch von Moskau »reagiert« werden müsse.
Die Mauern des Misstrauens bleiben auf beiden Seiten hoch: Biden sagte, es gehe nicht um Vertrauen, sondern um das Eigeninteresse Russlands an einer Verbesserung der Beziehungen, und um die Kontrolle, ob Moskau sich künftig an »weltweit akzeptierte Regeln« halten werde. Putin erwiderte auf die Frage eines russischen Journalisten, ob er neue Illusionen habe, er habe schon keine alten mitgebracht.
Biden kündigte zudem an, die USA machten Putin persönlich für das Schicksal von Alexej Nawalny verantwortlich. Sollte er in Haft sterben, werde das »sehr ernste Folgen« für die Beziehungen beider Länder haben. Um den sich aufdrängenden Eindruck zu zerstreuen, er bestätige damit indirekt russische Vorwürfe, Nawalny sei ein US-Agent, flocht er diese Drohung ein in eine längere Ausführung darüber, dass die Wahrung der Menschenrechte konstitutiv für das politische Selbstverständnis der USA sei. Putin quittierte Fragen westlicher Journalisten nach Nawalny mit dem Hinweis, dieser habe seine Festnahme im Januar provoziert oder wenigstens billigend in Kauf genommen. Er habe bewusst gegen russisches Recht verstoßen und gewusst, was ihm drohe.
Putin in Führung
Genf und Russlands neues Selbstbewusstsein
Von Reinhard Lauterbach
Sieht so ein Neuanfang aus? Das hängt ganz davon ab, was man als den Ausgangspunkt ansieht. Beide Seiten, USA und Russland, hatten die Latte vor dem Genfer Treffen bewusst niedrig gelegt. Und was dann herauskam: die Ankündigung, auf dem Verhandlungswege nach eventuellen Feldern künftiger Annäherung oder wenigstens geschäftsmäßiger Beziehungen zu suchen, ist im Grunde die Vertagung dieses Neuanfangs bis in einigen Monaten, wenn die Ergebnisse der Vorgespräche bekannt sein werden.
Trotzdem sind einige allgemeine Einschätzungen möglich. Wenn ein US-Präsident nach drei Jahrzehnten, in denen die »einzig verbliebene Supermacht« sich in weltpolitischem Triumphalismus erging, die Gefahr »neuer, gefährlicher Waffensysteme« beschwört, dann heißt das nicht weniger, als dass Russland dem Hegemonieanspruch der USA wenigstens auf dem Gebiet der Waffentechnik erfolgreich die Stirn geboten hat. Die neuen Waffen, über deren Existenz Wladimir Putin 2018 die Weltöffentlichkeit informiert hatte, sind offenbar doch mehr als Computerpräsentationen, wie es damals im Westen hieß.
Putins Auftreten in Genf verdeutlicht dieses neue russische Selbstbewusstsein. Er hatte sich zu dem Gipfel bitten lassen und dankte US-Präsident Joseph Biden für die Initiative dazu; die »Killer«-Äußerung vom März bezeichnete er als »erledigt« – das heißt nicht, dass sie vergessen wäre. Ganz bewusst ließ der russische Präsident auf seiner Pressekonferenz etwa die Hälfte der Fragen von angelsächsischen Medien stellen, um zu zeigen: Ich habe keine Angst vor euch.
Die wie aus der Kuckucksuhr klingenden Vorwürfe bezüglich Alexej Nawalnys, generell des Umgangs mit der Opposition, den von ausländischen Regierungen oder Stiftungen finanzierten Medien usw., konterte er mit einer Taktik, die im Englischen als »Whataboutism« bekannt ist: Und wie sieht es bei euch auf diesem Gebiet aus? Putin nannte die Fortexistenz von Guantanamo – wo blieben da die Menschenrechte? –, den Sturm eines rechten Pöbels auf das Kapitol – müsse nicht jeder Staat sein Gewaltmonopol wahren? –, den Alltagsrassismus in den USA. Das ist zwar keine Widerlegung im strengen Sinn, aber doch die Aufforderung, mal halblang zu machen.
Diese »rhetorische Multipolarität« kann der Westen nicht anerkennen. Bidens Zurückweisung solcher Vergleiche als »lächerlich« war argumentativ ausgesprochen schwach. Denn der Punkt hinter diesen Vergleichen ist der Angriff auf die westliche Grundhaltung, die eigenen Werte für selbstverständlich und nicht hinterfragbar zu halten. Diesen wunden Punkt aller westlichen Argumentation mit »Werten« kann man mit einer flapsigen Reaktion wegwischen, aber nicht widerlegen. Putin mochte den Gipfel nicht mit einem Fußballspiel vergleichen. Aber zur Halbzeit liegt er in Führung.
In der Negativspirale (17.06.2021)
EU-Kommission sagt in neuem Strategiepapier den “Niedergang der Beziehungen zu Russland” voraus. Deutsche Soldaten singen in Litauen “Geburtstagsständchen für Hitler”.
BERLIN/BRÜSSEL/MOSKAU (Eigener Bericht) – In einem neuen Strategiepapier zur Russlandpolitik sagt die EU-Kommission “einen weiteren Niedergang” der EU-“Beziehungen zu Russland” voraus und droht mit neuen Sanktionen. Leiste sich die russische Regierung weiterhin “bösartige Handlungen”, dann schließe man weitere Strafmaßnahmen nicht aus, heißt es in dem Dokument, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am gestrigen Mittwoch vorgelegt hat. Es soll von den Staats- und Regierungschefs der Union auf ihrem Gipfeltreffen Ende kommender Woche abgesegnet werden. Das Strategiepapier fordert Schritte, um Russland “zurückzuweisen” und “einzuschränken”, verlangt von Moskau aber gleichzeitig eine Anpassung wirtschaftlicher Regeln an die Wünsche von Unternehmen aus der EU. Zudem wird eine weitere Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten in Aussicht gestellt. Während Brüssel die neuen aggressiven Schritte ankündigt, wird bekannt, dass deutsche Militärs in Litauen nahe der Grenze zu Russland “Geburtstagsständchen für Hitler” gesungen haben – unmittelbar vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion.
“Zurückweisen, einschränken, zusammenarbeiten”
Das Strategiepapier zur Russlandpolitik, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am gestrigen Mittwoch vorgestellt hat, prognostiziert eine weitere Verschlechterung der schon jetzt miserablen Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau. Wörtlich heißt es in dem Papier, die Beziehungen befänden sich in einer “Negativspirale”; diese wird ausschließlich “der russischen Regierung” angelastet, deren Vorgehen “eine strategische Herausforderung” darstelle.[1] Daher müsse sich die EU auf “einen weiteren Niedergang ihrer Beziehungen zu Russland” einstellen: Das sei “für die Gegenwart die realistischste Perspektive”. Eine “erneuerte Partnerschaft” sei allenfalls “eine ferne Aussicht”. In dem Strategiepapier, das die Staats- und Regierungschefs der Union auf ihrem Gipfeltreffen Ende kommender Woche offiziell annehmen sollen, werden für die Russlandpolitik diverse Vorschläge gemacht, die die für das Dokument verantwortlich zeichnende Kommission zu drei Gruppen bündelt. Deren letzte wird unter dem Schlagwort “zusammenarbeiten” (“engage”) geführt; allerdings gehen ihr zwei weitere Vorschlagsgruppen voraus, deren erste mit dem Wort “zurückweisen” (“push back”) überschrieben ist; die zweite steht unter dem Motto “einschränken” (“constrain”).
“Bösartige Handlungen”
Konkret zieht die EU in Reaktion auf “bösartige Handlungen” der russischen Regierung weitere Sanktionen in Betracht. Dabei könnten bereits verhängte Strafmaßnahmen ausgeweitet, aber auch gänzlich neue beschlossen werden, heißt es in dem Strategiepapier.[2] Ausdrücklich wird auf die Möglichkeit Bezug genommen, Bürger Russlands mit Einreisesperren zu belegen und etwaiges Vermögen in der EU einzufrieren; das dazu erforderliche Gesetz, das sich am US-amerikanischen “Magnitsky Act” orientiert und mit dem sich die Union praktisch zum Weltenrichter aufschwingt, hatten die EU-Außenminister im Dezember vergangenen Jahres angenommen.[3] Darüber hinaus kündigt die EU an, größere “Resilienz” zu entwickeln; so will sie etwa entschlossener gegen “ausländische Informationsmanipulation und Einmischung” vorgehen. Explizit aufgelistet wird dabei die East Stratcom Task Force, eine mit Millionensummen finanzierte EU-Stelle, die vorgibt, gegen “russische Desinformation” vorzugehen, faktisch jedoch Positionen der EU-Kommission verbreitet und unter anderem Kritik an der Union als “Fake News” auszugrenzen sucht.[4] Dabei bemüht sich die East Stratcom Task Force explizit, auch jenseits der EU Einfluss zu nehmen. Als unzulässige Einmischung gilt dies, anders als entsprechende russische Schritte, nicht.
“Ökonomische Ärgernisse”
Dem Stichwort “zusammenarbeiten” schlägt die Kommission zweierlei Aktivitäten zu. Zum einen geht es ihr darum, trotz des eskalierenden Konflikts Wirtschaftsinteressen zu bedienen; so heißt es, Moskau solle “die immense Anzahl ökonomischer Ärgernisse” beseitigen, etwa Handelsschranken sowie von der EU nicht gewünschte Subventionen.[5] Die Kommission weist explizit darauf hin, dass Russland fünftgrößter Handelspartner der Union ist und im vergangenen Jahr für rund 4,8 Prozent ihres Außenhandels stand. Allein deutsche Unternehmen erzielten vergangenes Jahr trotz der Sanktionen und der Coronakrise im Russlandgeschäft Handelsumsätze in Höhe von fast 45 Milliarden Euro. Parallel zur Forderung an Moskau, seine Wirtschaftsnormen an die EU-Wünsche anzupassen, enthält das Strategiepapier die Ankündigung, die Nutzung erneuerbarer Energien noch entschlossener als bisher voranzutreiben, um auf Erdöl und Erdgas aus Russland verzichten zu können. Zugleich heißt es, man wolle die “Zivilgesellschaft” in Russland und “unabhängige russischsprachige Medien” stärken – genau diejenige Form der Einmischung, mit der Brüssel sein Vorgehen gegen Moskau legitimiert. In diesem Zusammenhang nennt das Strategiepapier explizit die russischen Parlamentswahlen am 19. September 2021.
Manöver an der russischen Grenze
Während die EU neue aggressive Schritte gegen Moskau ankündigt, werden gravierende Vorwürfe gegen unweit der Grenze zu Russland stationierte deutsche Militärs laut. Die Bundeswehrsoldaten sind dort im NATO-Rahmen tätig und führen die litauische Battlegroup innerhalb der Enhanced Forward Presence (eFP), eines NATO-Dispositivs, das Kampfgruppen auch in Estland, Lettland sowie Polen umfasst und Teil des westlichen Truppenaufmarschs in größtmöglicher Nähe zur russischen Grenze ist. Erst vor kurzem, vom 19. bis zum 30. Mai, hatte die im litauischen Rukla stationierte Battlegroup in einer umfangreichen Übung ihre Einsatzfähigkeit unter Beweis gestellt; in der Übung “Iron Wolf” praktizierte sie allerlei Operationen gegen feindliche Truppen, die unschwer als fiktive russische Einheiten zu identifizieren waren. Zum Beispiel ging es darum, ein Gebiet um den litauischen Flugplatz Gaižūnai “im schnellen Feuerkampf” einzunehmen und “den gewonnenen Raum zu halten”.[6] Der deutsche Brigadegeneral Christian Freuding, Kommandeur der Panzerlehrbrigade 9, der das Manöver begleitete, urteilte anschließend, was er “an Leistungen gesehen” habe, sei “auf allen Ebenen sehr überzeugend” gewesen; die Truppe sei “combat-ready”: Sie “steht für unsere Allianz”.[7]
“Geburtstagsständchen für Hitler”
Das deutsche Kontingent in der litauischen Battlegroup sorgt nun für Schlagzeilen. So wurde bekannt, dass Soldaten eines Bundeswehrzugs mit einer Stärke von rund 30 Personen eine Soldatin mit sexualisiertem Mobbing attackiert und einen Soldaten sexuell missbraucht haben sollen – mit einer Handlung, für die in Bundeswehrkreisen offenbar sogar ein fester Begriff existiert.[8] Zudem sollen deutsche Militärs einen Kameraden mit afghanischen Vorfahren rassistisch beleidigt und “abfällige Sprüche über Juden” geäußert haben. Nicht zuletzt heißt es, Bundeswehrsoldaten hätten in einer Kaserne der litauischen Armee in Rukla “am 20. April”, dem “Führergeburtstag”, “ein Geburtstagsständchen für Adolf Hitler angestimmt”.[9] Die Truppe ist auf einst sowjetischem Territorium stationiert, das vor beinahe genau 80 Jahren von der Wehrmacht überfallen wurde; den deutschen Einheiten gelang es damals, das heutige Litauen binnen weniger Tage zu okkupieren. Bereits während die Angriffe noch liefen, begannen sie mit der Vernichtung der mehr als 200.000 litauischen Juden – annähernd 95 Prozent von ihnen wurden ermordet – und brachten zehntausende polnische Widerstandskämpfer sowie sowjetische Kriegsgefangene um.[10]
»Nicht grundsätzlich verbrecherisch«
Die Bundesregierung antwortet auf Fragen der Fraktion Die Linke zum Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren
Vorbemerkung der Fragesteller
In den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941 überfielen deutsche Soldaten und verbündete Finnen, Rumänen, Slowaken und Ungarn die Sowjetunion. Es begann das »Unternehmen Barbarossa«. In einem »Blitzkrieg« sollte die Wehrmacht das sowjetische Territorium bis zum Ural erobern und auf Dauer besetzen. Die NS-Propaganda versuchte, den Überfall als Präventivschlag gegen eine unmittelbar bevorstehende militärische Aggression der Sowjetunion zu kaschieren. Diese Propaganda wurde auch vom ehemaligen wissenschaftlichen Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) der Bundeswehr, Joachim Hoffmann, in seinem Pamphlet »Stalins Vernichtungskrieg 1941–1945« aufgegriffen. Die darin enthaltenen Äußerungen zum »Auschwitz-Problem« und die Aussagen, er habe für die »Gasangelegenheit« keine Beweise finden können, bei der Zahl von sechs Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden handele es sich »um eine Zahl der Sowjetpropaganda« und »eigentlich sei Stalin genauso schuld gewesen am Russland-Feldzug wie Hitler«, stießen laut Bundesregierung bereits damals, im Jahr 1996, einhellig auf Ablehnung (Antwort zu Frage 3 auf Bundestagsdrucksache 13/5773). Für das Vorwort, in dem die Ansichten Hoffmanns im wesentlichen bestätigt werden und das in Auszügen auch als Werbung auf dem Umschlag des Buches dient, zeichnet der leitende Archivdirektor des Bundesarchivs-Militärarchivs Manfred Kehrig verantwortlich (Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 13/5773).
Der deutsche Einmarsch in die Sowjetunion war auch zentraler Teil der Umsetzung des Plans, »Lebensraum« für das »deutsche Volk« zu schaffen, und eine Gelegenheit, den verhassten Kommunismus zu vernichten. Daher wurden die Militärkommandanten angewiesen, Kommissare der Roten Armee und Intellektuelle mit besonderer Härte und Brutalität zu behandeln (»Kommissar-Befehl«) (www.yadvashem.org/yv/de/holocaust/about/04/ussr.asp).
Den Feldzug führte die Wehrmacht vom ersten Tag an mit den Mitteln barbarischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung. Die deutsche Kriegsplanung sah im Jahr 1941 für die Sowjetunion ausdrücklich vor, dass die Bevölkerung um 30 bis 50 Millionen Menschen reduziert werden sollte. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann auch die entscheidende Phase im Plan der Nazis, »das Judenproblem zu lösen«. So gab es Massaker wie das bei Babi Jar, bei dem am 29. und 30. September 1941 in mörderischer Zusammenarbeit von Wehrmacht und SS über 33.000 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Kiew in eine Schlucht getrieben und ermordet wurden. Auch als »Zigeuner« verfolgte Menschen und sowjetische Kriegsgefangene zählten zu den Opfern. Insgesamt wurden nach Untersuchungen der sowjetischen Staatskommission in Babi Jar rund 100.000 Menschen ermordet (www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/voelkermord/massenmorde-von-babijar-1941.html). Allein bis Ende des Jahres 1942 wurden ungefähr 1,5 Millionen Juden in den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten der Sowjetunion ermordet (www.yadvashem.org/yv/de/holocaust/about/04/ussr.asp).
Eines der eklatantesten Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht während des Krieges gegen die Bevölkerung der Sowjetunion war die Blockade von Leningrad. Fast drei Jahre lang, vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, belagerte die Wehrmacht Leningrad; im September 1941 schlossen Wehrmacht und Waffen-SS einen Ring um die Stadt, woraufhin fast keine Lebensmittel mehr hineingelangten. In den Jahren der Blockade starben nach Schätzungen über eine Million Menschen (www.taz.de/!5236406). Die Stadt sollte nicht erobert, sondern die Einwohner durch Hunger getötet werden (www.spiegel.de/politik/deutschland/ueberfall-auf-sowjetunion-ukraine-bleibt-gedenken-in-berlin-fern-a-1097338.html).
Die Gewalt richtete sich gegen Zivilisten, aber auch gegen sowjetische Soldatinnen und Soldaten. Am Ende starben etwa 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus der Sowjetunion. Von den mehr als fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen kamen ca. 3,3 Millionen ums Leben (www. spiegel.de/politik/deutschland/ueberfall-auf-sowjetunion-ukraine-bleibt-gedenken-in-berlin-fern-a-1097338.html). Deutsche zerstörten 1.710 Städte, 70.000 Dörfer, 32.000 Fabriken, 2.766 Kirchen und Klöster, 4.000 Bibliotheken und 427 Museen (www.spiegel.de/politik/ausland/weltkriegsparade-in-moskau-stimmung-gegen-angela-merkel-a-968467.html).
In Deutschland empfanden vor allem die Überlebenden der Schoah (Völkermord an den Jüdinnen und Juden), des Porajmos (Völkermord an Sinti und Roma), der Konzentrationslager und Zuchthäuser und ihre Angehörigen, die befreiten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter den 8. Mai 1945 als den lang ersehnten Tag der Befreiung. »Aber auch wir alle, die wir heute leben, verdanken die Chance eines Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt den alliierten Streitkräften. Die Rote Armee und die sowjetische Bevölkerung hatten die größte Last des Krieges zu tragen« (berlin.vvn-bda.de/8-mai-1945-tag-der-befreiung).
Trotzdem wurde zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls lediglich eine vereinbarte Debatte im Deutschen Bundestag, jedoch keine Gedenkstunde durchgeführt (www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2016/kw25-de-sowjetunion-428728). Und nach Auffassung der Bundesregierung sind militärische Handlungen der Wehrmacht im Rahmen des »unprovozierten Angriffskrieg(es) des ›Dritten Reiches‹« und »rasseideologischen Vernichtungskrieg(es)« wie gegen die Sowjetunion (Antwort zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 18/8532) nicht grundsätzlich als verbrecherisch einzustufen. Vielmehr sei die Einordnung damaliger militärischer Handlungen der Wehrmacht als verbrecherisch im strafrechtlichen Sinne einzelfallbezogen vorzunehmen. Als verbrecherisch könnten Handlungen konkreter Täter einzustufen sein, die gegen anwendbares Recht verstießen, insbesondere Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zudem könne eine moralische Bewertung des soldatischen Dienstes einzelner Wehrmachtsangehöriger nur auf Grundlage des Prinzips der individuellen Verantwortlichkeit erfolgen (Antworten zu den Fragen 13 f. auf Bundestagsdrucksache 19/521).
Vorbemerkung der Bundesregierung
Die Erinnerung an den Angriff auf die Sowjetunion im Jahre 1941 nimmt in der historisch-politischen Bildung und im mahnenden Gedenken an den rasseideologischen Vernichtungskrieg im Osten einen bedeutenden Platz ein. Die Bundesregierung befürwortet ein gemeinsames, mahnendes Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.
An welchen Veranstaltungen zur Mahnung an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft im In- wie Ausland Mitglieder der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag des Angriffs auf die Sowjetunion teilnehmen werden, ist noch nicht abschließend entschieden.
Die von den Fragestellern mit Blick auf die sogenannte Präventivkriegsthese zitierte Literatur der 1990er Jahre (Bundestagsdrucksache 13/5773) hat zu keinem Zeitpunkt den Stand der Forschung repräsentiert. Wesentliche Grundlagen für den aktuellen Forschungsstand hat hingegen das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr bereits 1983 in Band vier des Reihenwerkes »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« mit Autoren wie Jürgen Förster und Rolf-Dieter Müller gelegt. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, einen bestimmten Forschungsstand für verbindlich zu erklären. (…)
4. Führt die Bundesregierung Veranstaltungen im Inland anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion in Eigenregie durch, und wenn ja, welche (bitte entsprechend nach Ressort, Veranstaltung, Ort und finanziellen Kosten einschließlich der Haushaltstitel, aus denen die Kosten gedeckt werden, auflisten)?
a) An welchen Veranstaltungen wird die Bundeskanzlerin teilnehmen?
b) An welchen Veranstaltungen wird die Kulturstaatsministerin teilnehmen?
Welche anderen Bundesministerinnen und Bundesminister werden an den entsprechenden Gedenkveranstaltungen teilnehmen?
Die Fragen 4, 4 a und 4 b werden zusammen beantwortet.
Die Bundesregierung führt im Inland keine Veranstaltungen im Sinne der Fragestellung durch. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 12 verwiesen. (…)
6. Wird der Militärattachéstab bei der deutschen Botschaft in Moskau, der die militärpolitischen, militärischen, wehrtechnischen und rüstungswirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation vertritt, einen Empfang in Erinnerung und ehrenden Gedenken anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion geben, und wenn ja, inwieweit?
Nein. (…)
12. Fördert die Bundesregierung Organisationen (Nichtregierungsorganisationen, staatliche Institutionen, Museen etc.) bezüglich Veranstaltungen mit finanziellen Mitteln speziell für das Gedenken an den 80. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion, und wenn ja, welche Organisationen bzw. Veranstaltungen sind dies (bitte entsprechend nach Datum, Organisation, Förderintention bzw. Projekt und finanziellen Mitteln auflisten)?
Das zu 100 Prozent durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderte Museum Berlin-Karlshorst erinnert an den 80. Jahrestag des Überfalls des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion am 22. Juni 2021 mit der feierlichen Eröffnung einer Sonderausstellung, die in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Verbindung mit dem Deutschen Historischen Institut Moskau erarbeitet wurde. BKM hat für die Ausstellung und ihre Eröffnungsveranstaltung Mittel in Höhe von 99.000 Euro bereitgestellt. Um eine Ausstellung im Freien realisieren zu können, verstärkt das Museum das Projekt mit Eigenmitteln i. H. v. 81.000 Euro.
Ebenfalls aus Anlass des 80. Jahrestages organisiert das Museum Berlin-Karlshorst in Zusammenarbeit mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, dem Internationalen Bildungs- und Begegnungszentrum Minsk und dem Botschafter von Belarus in Berlin einen repräsentativen Gedenkakt in Minsk mit virtueller Beteiligung aus Deutschland (voraussichtlich am 18. Juni 2021).
Am Abend des 22. Juni 2021 hat das Museum Berlin-Karlshorst zusammen mit der Stiftung Topographie des Terrors eine (analoge) Buchvorstellung mit anschließender Diskussion zur Bedeutung der Festung Brest organisiert.
Sollte eine Reise nach Moskau aus Pandemiegründen nicht möglich sein, empfängt das Museum Berlin-Karlshorst am 23. Juni 2021 eine Gruppe Jugendlicher des Projektes des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge »Peaceline« (gefördert durch das Auswärtige Amt).
Am 29. Juni 2021 hält das Museum Berlin-Karlshorst eine Lesung von Briefen von Rotarmisten und Einwohnern des ukrainischen Kamenezk-Podolsk kurz vor der Einnahme durch die Wehrmacht am 10. Juli 1941 (und Tatort des ersten Massakers, das als gezielter Genozid an den Juden Europas bezeichnet wird), die zusammen mit dem Weltkriegsmuseum in Kiew erschlossen wurden. (…)
15. Ist das Bundesministerium der Verteidigung in die Erinnerungsarbeit zum Gedenken an den 80. Jahrestag des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion eingebunden, und wenn ja, inwiefern?
16. Planen Dienststellen des Bundesministeriums der Verteidigung Publikationen speziell anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls Nazideutschlands auf die Sowjetunion, und wenn ja, welche?
Die Fragen 15 und 16 werden zusammen beantwortet.
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam leistet wesentliche Grundlagenforschung zum Zeitalter der Weltkriege im allgemeinen und zum Zweiten Weltkrieg im besonderen. Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden stellt die deutsche Militärgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart im historischen Gesamtzusammenhang auf Basis der Grundlagenforschung dar. Sowohl das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr als auch das Zentrum Innere Führung planen Veröffentlichungen zum Thema in den Print- und Onlinemedien der Bundeswehr:
– Podcast: Das »Unternehmen Barbarossa«
– Chris Helmecke: Überfall auf die Sowjetunion. Das Unternehmen »Barbarossa« 1941. In: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung 1/2021
– Peter Popp: Hitlers »eigentlicher« Krieg. Der Angriff NS-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren (AT). In: IF. Zeitschrift für Innere Führung 3/2021 (…)
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 28. April 2021 übermittelt.
Ehrendes Gedenken und seine Gegner
Für die russische Bevölkerung ist der 22. Juni ein Tag stiller Trauer. Um so lauter sind antisowjetische Aktivisten innerhalb und außerhalb des Landes
Von Andrei Doultsev
Der 22. Juni ist der traurigste Tag in der Geschichte der Völker der ehemaligen Sowjetunion: Das sowjetische Volk hat im Krieg über 20 Millionen Menschen verloren, um die Welt vom Faschismus zu befreien. In der Russischen Föderation gilt der 22. Juni offiziell als Gedenktag, den gleichen Status genießt er in der Republik Belarus und (derzeit noch) in der Ukraine.
Am 22. Juni werden die Staatsflaggen an Gebäuden von staatlichen Institutionen auf halbmast gesetzt. In Fernsehen und Rundfunk laufen den ganzen Tag über keine Unterhaltungsprogramme.
Russlandweit finden Gedenkveranstaltungen statt, Blumen und Kränze werden vor Mahnmalen zum Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg niedergelegt. An der Uferpromenade des Moskwa-Flusses in Moskau werden am 22. Juni jährlich 1418 Kerzen angezündet: Sie symbolisieren die 1418 Kriegstage – die Hölle, durch die das sowjetische Volk gehen musste, um den Hitlerfaschismus zu besiegen. Der russische Präsident legt einen Trauerkranz vor dem Grabmal des unbekannten Soldaten im Alexandergarten vor der Kremlmauer nieder.
Einstellungswandel
Im Gegensatz zum antisowjetischen Hexensabbat Anfang der neunziger Jahre, als in den Moskauer Straßen und in anderen sowjetischen Städten Hitlers »Mein Kampf« verkauft wurde, wird das ehrende Gedenken an die gefallenen Soldaten der Roten Armee und die zivilen Opfer heute nicht in Frage gestellt. Am 9. Juni verabschiedete die russische Staatsduma das neue Gesetz »Über die Verewigung des Sieges des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945«, das jegliche Gleichsetzung von Hitlerdeutschland und der UdSSR verbietet und den westlichen Geschichtsrevisionisten, die den Faschismus reinwaschen wollen, einen Riegel vorschiebt. Zudem hat sich die Einstellung der Bevölkerung im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gewandelt: Während 2013 bei einer Umfrage auf den Straßen in Sankt Petersburg kaum jemand von den Befragten sagen konnte, was es mit dem 22. Juni 1941 auf sich hat, wussten 68 Prozent der Befragten im Jahr 2020, was an dem Tag geschehen war.
Russen empfinden Stolz, wenn sie jedes Jahr bei der Parade am 9. Mai neue Militärausrüstung über den Roten Platz ziehen sehen. Sie freuen sich über Erfolge russischer Militärbetriebe angesichts des wachsenden Drucks aus dem Westen und der aggressiven NATO-Rhetorik. Eine große Mehrheit der Bevölkerung befürwortet die Modernisierung von Atomwaffen, die Russland vor seinen Feinden schützen sollen. Dennoch nützen die besten Waffen nichts, wenn die Gefahr besteht, dass sie eines Tages in falsche Hände geraten können. Die Erinnerung an den Niedergang der Sowjetunion, »die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts«, wie es Staatspräsident Wladimir Putin formuliert hat, sitzt der russischen Bevölkerung tief im Gedächtnis. Nicht ohne Grund sagen viele Russen, dass der 25. Dezember 1991, als Michail Gorbatschow die Auflösung der UdSSR verkündete, das traurigste Datum in der neuesten russischen Geschichte gleich nach dem 22. Juni 1941 ist.
Innerer Antisowjetismus
Am 22. Juni stellt sich die Frage, wie der innere Revisionismus – die Marktwirtschaft, das Erbe der neunziger Jahre, das Bekenntnis zur russischen Trikolore, unter der Weißgardisten und später HitlerKollaborateure aus der Wlassow-Armee gegen Sowjetrussland kämpften – überwunden werden kann. An diesem Tag sollte daran gedacht werden, was gegen die antisowjetische Hetze und die Verdrängung der eigenen Geschichte getan werden kann. Heute geht diese Bedrohung nicht nur von den offen handelnden prowestlichen liberalen Medien und politischen Provokateuren wie Alexej Nawalny aus, sondern häufig auch von jenen, die trotz Lippenbekenntnis zu Russland Filme drehen und Bücher veröffentlichen, in denen die sowjetische Geschichte entstellt wird. Viele antisowjetisch gesinnte Personen bekleiden nach wie vor hohe Ämter in Staat und Wirtschaft.
Der legalisierte Antisowjetismus erreichte in diesem Jahr während der Militärparade am 9. Mai seinen Höhepunkt, als das Lenin-Mausoleum hinter einer falschen Fassade versteckt wurde. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, Gennadi Sjuganow, bezeichnete das in einem offenen Brief an Wladimir Putin als Affront gegen die Völker der ehemaligen Sowjetunion. Hinter einem primitiven hellblauen Zaun wurde in diesem Jahr, wie auch in den Jahren zuvor, so Sjuganow, nicht nur der Name Lenins verborgen, sondern auch die Erinnerung an den ersten Arbeiter- und Bauernstaat und an jenes Gesellschaftssystem, das die größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts ermöglicht hat. Ohne die Namen von Wladimir Lenin, Josef Stalin, Feliks Dzierzynski, Georgi Schukow und vielen anderen, die an der Kremlmauer beigesetzt sind, wären die Entstehung der UdSSR, ihr wirtschaftlicher und politischer Aufbau und der Sieg des sowjetischen Volkes über Hitlerdeutschland sowie die Rettung vieler Völker der Welt vor Vernichtung und Versklavung durch die »Herrenmenschen« nicht möglich gewesen. An der Kremlmauer sind auch Symbolfiguren für den technischen Fortschritt der Sowjetmacht wie der Raketenkonstrukteur Sergei Koroljow und der erste Mensch im Weltall, der Kosmonaut Juri Gagarin, beigesetzt.
Pseudopatriotismus
Besorgniserregend ist auch ein aktuelles Umfrageergebnis, demzufolge 60 Prozent der jungen Menschen zwischen 19 und 24 Jahren einräumen, dass sie mit den USA sympathisieren, einem Land, das Russland zum Feind Nummer eins erklärt hat.
Die Ursachen für derartige Stimmungen und für die unklare Vorstellung von Russlands Rolle in der modernen Welt liegen im postsowjetischen Bildungssystem. Als der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Ansprache an die Föderationsversammlung Ende April bemängelte, dass in modernen russischen Geschichtslehrbüchern für Oberschulen die Stalingrader Schlacht nur nebenbei erwähnt wird, hatte er nur die Spitze eines Eisbergs benannt. Die Fernsehprogramme sind trotz der offiziellen patriotischen Rhetorik nach wie vor von Gewaltpropaganda, Niedertracht und skrupellosem Individualismus beherrscht. Die russische Informations- und Kulturlandschaft wird heute von denen geprägt, die die sowjetische Geschichte weiterhin negieren, und das in einem Land, das für seine Wissenschaftler und seine Kulturschaffenden berühmt war. Sie ist geprägt von Menschen, die unter dem Deckmäntelchen des Pseudopatriotismus z. B. eine Rehabilitierung der weißgardistischen Generäle Nikolai Judenitsch und Alexander Koltschak verlangen.
Antisowjetische Aktivisten verteufeln nach wie vor Stalin, ohne den die Niederschlagung Hitlerdeutschlands, die Befreiung der Konzentrationslager der Nazis und der osteuropäischen Völker sowie die stabile Nachkriegsordnung, die 50 Jahre lang den europäischen Frieden ermöglicht hat, undenkbar wären.
Der 22. Juni ist ein Gedenktag an die Gefallenen und die Opfer von Hitlerdeutschland, aber auch ein Tag, der daran erinnert, wie das sowjetische Volk dank seines Glaubens an die Befreiung vom Faschismus und an die humanistischen Ideale der Oktoberrevolution den schlimmsten aller Feinde im Mai 1945 besiegen konnte.
Zu dem Argumentieren im “Counterpunch”
“Many people don’t seem to realize the absurdity of trying to spend China into the ground…”
http://NestorMachno.blogsport.de/2021/05/12/imperialismus-heute-fortsetzung-mai-2021/#comment-43167
– ist dagegen zu sagen, dass
a) in US-Sicht so ein Kräftevergleich nichts einfach mathematisch gegebenes ist, sondern sowieso staatliche Anforderung, solche Resultate für die US-Bilanz zu verändern,
b) besteht der Nationalismus bei Republikanern wie Demokraten in gods own country bekanntlich unter anderem in dem Dogma, dass die Amis ganz prinzipiell und von vornherein, und als Veranstalter des weltweiten kapitalistischen Spektakels sowieso, immerzu und überall ganz prinzipiell die Besten sind, und es daher sein müssen, – es sei denn, dass
c) Bösewichter den Vergleich verfälscht haben, durch chinesische Markenpiraterie oder sonstige Schurkereien des weltpolitischen Feindes, wewegen
d) gerade deswegen gegen China (wie ja auch gegen Russland) weltpolitisch vorgagangen werden muss,
e) denn wenn Amerika nicht spitze ist, dann herrscht das Böse in der Welt und muss vernichtet werden.
f) Wie das zu gehen hat, mag in den USA umstritten sein. Das ist aber nur ein Streit über das “Wie”. Und nicht über das “Ob”.
Zusammengefasst als militärische Vorbereitungen der USA gegen China, von NN zusammengetragen:
http://nestormachno.blogsport.de/2021/05/27/der-aufstieg-chinas-zur-weltmacht-fortsetzung/#comment-43175
Die chinesische Deutung des Konflikts:
China “… nimmt mit der Beteuerung der Verfolgung friedlicher Anliegen die Absicht der USA nicht wirklich ernst, den Konkurrenten China kleinzukriegen, bzw. will dem die Spitze nehmen.
China pflegt das Bild der geschäftlichen Benutzung der Welt als legitimes, gleichberechtigtes Anliegen, während die USA das Monpol auf ökonomische Ausnutzung der Nationen, in Ausschließung insbesondere von aufstrebenden Weltmächten, beansprucht.
China spielt den imperialistischen Kern der ökonomischen Affären zwischen Staaten, an denen es mitbeteiligt ist, herunter: was als Streitigmachen ökonomischer Postionen auf dem Weltmarkt die USA zum Generalangriff auf China veranlasst, folgt nach den Chinesen einem naiven Muster friedlich-schiedlichen Wettstreits in Sachen geschäftlichen Ausgreifens (siehe das sog. Seidenstraßenprojekts umfassender Ausrichtung anderer Nationen auf China) und politischen Erfolgs.”
So wird es hier zusammengefasst:
https://tages-politik.de/Aussenpolitik/G7-NATO-Gipfel-2021.html
Und im chinesischen Originalton:
“Die Darstellung, China stelle eine Bedrohung für die globale Sicherheit dar, sei »eine Verleumdung der friedlichen Entwicklung Chinas, eine Fehleinschätzung der internationalen Entwicklung« und der eigenen Rolle der Nato in der Welt sowie »eine Fortsetzung der Mentalität des Kalten Krieges und der Blockpolitik«. China sei für kein Land eine »systemische Herausforderung«; stattdessen kündigte Peking an, nicht untätig bleiben zu wollen, wenn »systemische Herausforderungen« gegen die Volksrepublik gestellt würden.”
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153317.vor-dem-treffen-biden-putin-russland-und-china-naehern-sich-an.html
… von wegen “Fehleinschätzung”…
USA – Die alte und die neue Weltmacht,
so die Analyse von Stephan Kaufmann kurz vor der US-Wahl, nämlich vor 8 Monaten
https://www.fr.de/politik/die-alte-und-die-neue-weltmacht-90075209.html
Zur Konkurrenz der Währungen
Der sog. “Fiskalmultiplikator” soll ausdrücken, inwiefern Schulden des Staates kapitalistisches Wachstum anschieben – oder auch nicht. Ein anderer ideologischer Ausdruck dafür lautet “Schuldentragfähigkeit” – Schulden werden in ein Verhältnis gesetzt zu wirklichem oder angeblichem kapitalistischem Wachstum.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-mythische-macht-fiskalmultiplikator
Dass Schulden des Staates “von der Bevölkerung” nach Corona und demnächst auf Heller und Pfennig pro Person “zurückgezahlt” werden müssten, und deswegen müssten die Armen morgen stärker bluten, ist einerseits so unmittelbar nicht anzunehmen.
Andererseits wird an die unterschiedlichen staatlichen Schulden per Vergleich der Geldmärkte schon die Messlatte angelegt, dass sie für zukünftiges Wachstum stehen sollen.
Das war auch der Kern der “Maastricht-Ktiterien”, mit denen Europa kapitalistisches Wachstum generieren wollte. Unter Corona-Bedingungen sind dies nunmehr die Auflagen an die EU-Staaten, die diese befolgen müssen, um ihre jeweiligen nationalen Anteile des EU-Corona-Kredits auf sich beantragen zu können: sie sollen nachweisen, dass die neuen EU-Schulden europäisches Wachstum hervorbringen sollen (bei Grünkapitalismus, Wasserstofftechnologie, Digitalisierungsmaßnahmen u.ä.) Das müssen die europäischen Staaten planen – oder angeblich planen… -, sonst fließt kein Geld von Brüssel in den je nationalen Haushalt.
Und s o soll “sicher gestellt” werden, dass mit Schulden Wachstum angeschoben soll. Und dass für diese Programme dann die europäischen Staaten ihre Bevölkerung einzuspannen haben, da werde andere Vorhaben gekürzt werden sollen! – das ist erst einmal die Tour, wie dadurch der Schuldenberg auf die kleinen Leute “abgewälzt” wird.
In den USA wird die Tauglichkeit des Kredits für Wachstum immer wieder mal darin behauptet, dass Zinserhöhungen angekündigt werden – und solche Ankündigungen allein schon waren in der Vergangenheit probate Mittel, weiteren Kredit auf den Dollar ziehen zu können. Dass mit steigenden Zinsen manches Geschäft dann als nicht mehr lohnend bankrott gehen würde, ist der Grund, warum schon unter Obama die angeblichen Leitzinserhöhungen dann aber doch nicht erfolgt sind…
vgl. https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltgeld-gegen-corona-krise
—
Nachtrag: Ob und wie russisches Militär in Syrien oder russische Atomwaffen aus Sicht der USA Gründe für die Feindschaft gegen Russland abgeben, das ist hier nachzulesen …
https://wissenundkritik.de/wp-content/uploads/2021/04/Die-Vorantreibung-der-Entmachtung-Russlands-durch-die-USA-13.1.20.pdf
Iwan Timofejew: (…) Bidens Amtsvorgänger Trump hat versucht, China in die Rüstungskontrolle einzubeziehen. Die chinesische Seite hat klargemacht, dass sie sich daran nicht beteiligen wird. Auch weil sie von der Unsicherheit profitiert und weil die Zahl ihrer Atomsprengköpfe und Trägersysteme deutlich geringer ist, als die von Russland und den USA. Aus ihrer Sicht ist diese Position verständlich. Die Biden-Regierung hat verstanden, dass die Einbeziehung Chinas in diese Gleichung unmöglich ist. Die russische Seite ist der Meinung, dass das Chinas souveräne Angelegenheit ist, Entscheidungen zu treffen und nicht in russischer Verantwortung liegt.
(aus einem Gespräch mit Iwan Timofejew, Programmdirektor des Russischen Rates für Internationale Beziehungen)
https://www.heise.de/tp/features/Putin-Biden-Gipfel-Keiner-zeigte-seine-Faeuste-die-Keulen-blieben-im-Schrank-6111793.html?seite=all
Erdogans zweiter Türsteherjob
BRD-Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer handelt mit türkischem Amtskollegen Hulusi Akar eine dauerhafte Militärpräsenz in Kabul aus
Von Jörg Kronauer
Die Verteidigungsministerin zeigte sich durchaus zufrieden. »Als ein gutes Signal unter Partnern« habe Annegret Kramp-Karrenbauer ihr Gespräch mit ihrem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar am Donnerstag in Ankara gewertet, teilte ihr Ministerium gestern mit. Immerhin sei es – trotz Pandemie – schon das zweite persönliche Treffen der beiden in diesem Jahr nach Akars Besuch in Berlin am 2. Februar gewesen: Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Türkei »ein wichtiger Verbündeter« sei »und bleibe«. Die Themenpalette, die Kramp-Karrenbauer sowie der vormalige türkische Generalstabschef (2015 bis 2018) besprachen, war relativ breit; sie reichte von den Spannungen im östlichen Mittelmeer über die multinationale Marinekooperation in der Ägäis zur Flüchtlingsabwehr und den Einsatz in Afghanistan bis zum Vorgehen der NATO gegen Russland. Dies übrigens zu einem Zeitpunkt, zu dem die türkische Regierung unter anderem mit dem geplanten HDP-Verbot, mit militärischen Aggressionen im Irak und mit der fortdauernden Besatzung Nordsyriens von sich reden macht. Menschenrechte? War da was?
Einen starken Pluspunkt im Verhältnis zu den anderen NATO-Staaten hat die Türkei soeben in Afghanistan erzielt. Dort kümmert sie sich bereits seit Jahren um die Sicherung des Flughafens in Kabul. Ursprünglich hatte sie vor, dies auch nach dem Abzug der NATO-Truppen zu tun – bis vor gut eineinhalb Monaten plötzlich die Meldung die Runde machte, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan habe es sich anders überlegt. Das stürzte diejenigen westlichen Staaten – darunter die Bundesrepublik –, die ihre Botschaften in der afghanischen Hauptstadt nicht schließen wollen, mit einem Schlag in gravierende Probleme: Was, wenn der Krieg in Afghanistan nach dem Abzug der letzten NATO-Truppen die Hauptstadt erreicht, wenn die Taliban womöglich den Flughafen einnehmen und das verbliebene westliche Botschaftspersonal in der Falle sitzt? Eine alternative Lösung für die Sicherung des Flughafens war nicht in Sicht: Washington hatte sich gegenüber den Taliban zum Abzug sämtlicher Truppen außer denjenigen verpflichtet, die unmittelbar die US-Botschaft sichern. Die Zusage schließt private Söldnerfirmen ein.
Entsprechend hat Erdogan die prekäre Sicherung des Flughafens in Kabul bei seinem Treffen mit US-Präsident Joseph Biden am Rande des NATO-Gipfels als Hebel genutzt. Er hat das Gespräch, das immerhin 90 Minuten gedauert haben soll, anschließend positiv bewertet – eine Einschätzung, die Experten nicht unbedingt teilen. Keiner der zahlreichen Streitpunkte zwischen Washington und Ankara ist gelöst worden. Die Ausnahme: Erdogan hat zugesagt, ein türkisches Militärkontingent dauerhaft am Flughafen in Kabul zu stationieren, um die afghanische Hauptstadt für den Westen zugänglich zu halten. Die NATO will sich an der Finanzierung beteiligen, darüber hinaus verlangt Erdogan politische Unterstützung. Das Vorhaben bietet ihm Chancen, birgt aber auch Risiken. So kann die Türkei zwar darauf aufbauen, dass sie als islamisch geprägtes Land mit historisch verankerten Beziehungen zu Afghanistan dort durchaus über »soft power« verfügt, wie es kürzlich der türkische Außen- und Militärpolitikexperte Metin Gürcan formulierte. Zudem hat sie gute Kontakte zu den turksprachigen Minderheiten am Hindukusch, den Turkmenen und den Usbeken. Nur: Die liegen oft im Clinch mit den paschtunisch geprägten Taliban, die in Afghanistan in Zukunft den Ton angeben und die Präsenz aller fremden Truppen eigentlich ablehnen.
Geht Ankara mit der Fortsetzung des Einsatzes am Flughafen in Kabul also durchaus Risiken ein, so stärkt der Schritt seine Position gegenüber den NATO-Verbündeten. Wolle man diplomatisch am Hindukusch präsent bleiben, dann »braucht es sichere Infrastruktur an Flughäfen«, räumte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in Ankara ein: »Ich bin dankbar, dass die Türkei bereit ist, hier eine wesentliche Rolle zu übernehmen.« Faktisch hat sich Erdogan damit einen zweiten Hebel gesichert, den er auch gegenüber Berlin und der EU stets nutzen kann – ganz wie die Rolle seines Landes als »Türsteher« der Union bei der Flüchtlingsabwehr. Die wurde auch aus Anlass von Kramp-Karrenbauers Gespräch mit Akar thematisiert: Das Verteidigungsministerium verwies ausdrücklich darauf, dass die Fregatte Lübeck seit einigen Tagen als Flaggschiff der NATO-Operation in der Ägäis »den multinationalen Stab beherbergt, an dem sich auch Türken und Griechen beteiligen«. Aufgabe der NATO-Operation ist die Seeraumüberwachung, um Flüchtlinge noch vor ihrer unerwünschten Ankunft auf den griechischen Inseln stoppen zu können.
Kramp-Karrenbauer thematisierte in Ankara nicht zuletzt das Vorgehen der NATO gegen Russland. Die Türkei nimmt dabei aktuell eine durchaus ambivalente Haltung ein. Kramp-Karrenbauer erklärte, die NATO müsse sich im gesamten Bündnisgebiet gegen Moskau formieren, »von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer«. »An einer stabilen Südostflanke der NATO« müsse auch die Türkei Interesse haben. Das Bundesverteidigungsministerium wies zudem darauf hin, dass sich die Bundeswehr »personell am multinationalen Korps Südost in Rumänien« beteilige sowie am NATO Maritime Security Centre of Excellence (NATO Marsec COE) in Istanbul – und dass sie »temporär« am »Air Policing South zur Luftraumüberwachung mit Eurofightern der Luftwaffe« teilnehmen werde. Klar: All das richtet sich nicht zuletzt gegen Russland. Das verschafft nun aber der NATO – so hoffen es die Strategen jedenfalls – die Chance, ihr Mitglied Türkei in Konflikt mit Moskau zu bringen, mit dem es unverändert intensiv kooperiert. Ein Beispiel: An »Defender Europe 21«, dem zu Ende gehenden Großmanöver, das dieses Jahr einen Truppenaufmarsch der USA und ihrer Verbündeten durch Südosteuropa in Richtung russische Grenze probt, nahmen türkische Soldaten teil.
Nach allen Seiten offen
Die Türkei laviert zwischen Russland und dem Westen – und konnte damit ihren Einfluss stärken
Von Jörg Kronauer
Die Türkei hält an der Beschaffung des russischen S-400-Raketenabwehrsystems fest: Das hat Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag bei einem Besuch in Aserbaidschans Hauptstadt Baku bekräftigt. Damit setzt Ankara ein herausragendes Element seiner Kooperation mit Moskau fort. Die Zusammenarbeit der Türkei mit Russland ermöglicht es den zwei Staaten, trotz ihrer diametral entgegengesetzten Interessen in Syrien die Fäden zu ziehen. Sie hat es ihnen gestattet, Absprachen mit Blick auf Aserbaidschans Krieg gegen Armenien zu treffen. Nicht zuletzt sichert sie ihnen erheblichen Einfluss in Libyen, obwohl sie auch dort verfeindete Kriegsparteien unterstützen. Kompromisse aushandeln, ohne sich vom Westen dazwischenfunken zu lassen: So lautet das Motto der zuletzt durchaus erfolgreichen russisch-türkischen Kooperation.
Das bedeutet freilich nicht, dass die Türkei ihre nationalen Interessen zurückstellen würde – auch dort nicht, wo sie russische Interessen unmittelbar tangieren. Ein Beispiel bot Erdogans Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenskij am 10. April in Istanbul. Die »illegale und illegitime Annexion der Krim« müsse umgehend beendet werden, forderten beide nach ihrem Gespräch in einer gemeinsamen Erklärung. Wieso? Die Türkei unterhält zum einen enge Kontakte zu den turksprachigen und muslimischen Krimtataren. Zum anderen sorgt sie sich – um so mehr nach der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation – um ihren eigenen Einfluss gegenüber der russischen Position im Schwarzen Meer. Ankaras Kooperation mit Kiew, die ein Gegengewicht gegen Moskau bilden soll, umfasst sogar Rüstungsexporte: Die Ukraine hat vor drei Jahren zwölf türkische Bayraktar TB2-Drohnen gekauft, die übrigens ihrerseits mit ukrainischen Motoren fliegen, und sie schließt den Kauf weiterer türkischer Kampfdrohnen, die sich in Aserbaidschans Krieg gegen Armenien als entscheidend erwiesen haben, nicht aus.
Apropos türkische Drohnen: Auch Polen will welche kaufen. Berichtet wird vom Erwerb von 24 Bayraktar TB2, die ersten sollen bereits 2022 ausgeliefert werden. Um die Drohnen ging es beim Besuch des türkischen Präsidenten Andrzej Duda am 24. Mai in Ankara – und nicht nur das: Auch ein Austausch über die beiderseitige Unterstützung der Ukraine gegen Russland stand auf dem Programm. »Die Türkei ist unser stärkster Verbündeter in dieser Weltregion«, lobte Duda nach den Gesprächen; ein Hinweis, dass Warschau Ankara als Bollwerk gegen russischen Einfluss in der Schwarzmeerregion sieht. In der Tat: Erdogan gab sich für Dudas Vorschlag offen, einen »Dreierdialog« unter Hinzuziehung Rumäniens zu starten. Ob es gelingt, auf diesem Wege die türkisch-russische Kooperation zu brechen, mag man bezweifeln: Schlüge Ankara sich ganz eindeutig auf die Seite des Westens, gäbe es die Grundlage für einen Gutteil seines zuletzt beträchtlich gewachsenen Einflusses auf.
Erdogan wird offenbar von allen Seiten umworben.
Auch der Absturz der Lira scheint durch irgendeine freudliche Intervention wieder einmal gestoppt worden zu sein, ich vermute aus dem persischen Golf, wo genug Geld für solche Freundschaftsdienste da ist.
Zahlt wer? – Und w e r zahlt?
Der Staat “… borgt sich das brachliegende Geld oder schafft es selbst, indem er seine Zentralbank Geld drucken lässt. Dieses Geld gibt der Staat weiter als Kredit oder als Geschenk (»Helikoptergeld«) an Friseure, Autobauer und Bäcker. Oder er leiht es den Banken, die es ihrerseits weiterverleihen an die Wirtschaftssubjekte. Mit dieser Zahlungsfähigkeit ausgestattet, können sie weiter kaufen, produzieren und konsumieren. Der Staat umgeht damit vorübergehend den kapitalistischen Zwang, dass man etwas verkaufen muss, um an Geld zu kommen, mit dem man dann einkaufen kann und dem Verkäufer dadurch einen Profit einspielt. Das macht der Staat so lange, bis die Wirtschaft wieder »läuft«. Dann allerdings haben sich die Schulden der Gesellschaft vervielfältigt – alle haben Kredite aufgenommen, die zurückgezahlt werden müssen. Und dann liegt irgendwann die heiße Frage auf dem Tisch: Wer zahlt?”
fragt Stephan Kaufmann …
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134580.leben-auf-kredit-und-wer-zahlt.html
Der Kaufmann-Artikel bezieht sich allerdings auf Staaten, die über Weltgeld verfügen, das sie relativ einfach erzeugen können, weil es international nachgefragt wird.
Staaten wie die Türkei sind auf gute Freunde im Ausland angewiesen, die ihnen entweder Devisen borgen oder in großem Stil Stützungskäufe tätigen, alles mit Devisen, also Weltgeld. Es muß sich also um Freunde mit Zugang zu Weltgeld handeln.
Erste Verdächtige: Katar, Saudi Arabien, Emirate usw.
Aber ich würde auch die USA und die EU bzw. einzelne EU-Staaten mit intaktem Kredit (Schland usw.) nicht ausschließen. Die wissen auch, was sie an Erdogan haben.
Der Artikel ist auch inhaltlich falsch. Der Staat leiht das Geld nicht den Banken, sondern finanziert damit seine Bedürfnisse vom Schuldenkaufprogramm bis zu Streitkräften und Sozialstaat. Die Banken ihrerseits schaffen Kredit soweit sich damit ein Zins erzielen lässt (verleihen also nicht staatlich geschöpftes Geld).
Wer zahlt ist auch keine Frage: Keiner! Der Kredit wird entweder gestrichen oder inflationär entwertet.
Auch das leistet nicht der Staat, sondern der Kredit (also das Bankensystem). Er befreit die Akkumulation von der Beschränktheit des verfügbaren Kapitals.
Nein, das stimmt nicht.
Hier in Österreich erhielten Tourismusbetriebe Ausgleichszahlungen in einem Prozentsatz ihres vorjährigen Umsatzes.
Auf dergleichen Zahlungen bezieht sich der Kaufmann-Artikel.
In den USA erhielt jeder erwachsene Bürger einen Scheck oder mehrere, um ohne Einkommen über die Runden zu kommen.
Das waren keine Kredite, sondern Geschenke. Also auch an die Gastronomie, damit die nicht eingeht. Wenn die das alle zurückzahlen müßten, würden sie sofort pleite gehen.
Irgendwie könntest du das auch irgendwo nachlesen, bevor du gleich aus vollem Munde verkündest, daß wer anderer falsche Sachen behauptet.
Zitat Kaufmann:
Das ist verkehrt, wie auch die oben von mir zitierte Passage. Mit dem Helikoptergeld dient der Staat auch seinem Interesse an der Ökonomie – nämlich der Stabilität von Kredit und sozialem Zusammenhalt.
Er versucht halt die fällige Entwertung wegzukreditieren, indem er über den Umweg der Ausgabe von Staatsschuldscheinen Geld druckt und die fehlende Zahlungsfähigkeit ersetzt. Das Problem dabei ist, dass er seine Ökonomie genau davon abhängig macht, also das Problem verschärft in die Zukunft verschiebt.
Wie “die kleinen Leute” die Kredite demnächst “bezahlen sollen” (das behauptet ja z.B. “Die Linke” in ihrem Wahlprogramm, “weswegen” sie ‘für eine Reichensteuer’ eintritt), – das habe ich oben erklärt:
http://NestorMachno.blogsport.de/2021/05/12/imperialismus-heute-fortsetzung-mai-2021/#comment-43182
“Wer zahlt ist auch keine Frage: Keiner! Der Kredit wird entweder gestrichen oder inflationär entwertet.” (Libelle)
Dass das ohne weitere Folgen sei (keiner zahle dafür) – wie meinst du das?
Wenn die Entwertung inflationär erfolgt, dann sind alle Halter von nominell auf Nationalkredit lautenden Ansprüchen negativ betroffen (Rentner, Lohnarbeiter, Sparer, Leute mit Lebensversicherung etc.) Wenn die Entwertung durch Streichung des Kredits stattfindet, dann sind zunächst die Halter von Schuldtiteln betroffen (Banken, Versicherungen, Investoren in Schuldtitel). Danach natürlich auch die oben Genannten durch Insolvenzen, Entlassungen usw.
Den Reichtum die aufgenommenen Schulden von Unternehmen, Staaten usw. einfach zu bedienen gibt es in dieser Gesellschaft nicht. Es bleiben also nur die beiden Möglichkeiten Inflation oder Streichung und es spricht im Augenblick vieles dafür, dass der inflationäre Weg beschritten- d.h. einfach weiter Geld gedrückt wird und der Staat zunehmend zum Subjekt der Ökonomie wird d.h er sie mit seinem Kredit am laufen hält, mit der Hoffnung Wachstum in einem Umfang abzuschieben, das ihm die Bedienung der inflationierten Forderungen irgendwann erlaubt. So zumindest das Ideal der Staaten. Vom Pad geschrieben…ausführlich bei Gelegenheit & Rückfragen.
Die Frage, wer die ganzen aufgelaufenen Schulden einmal bezahlen muß, wird von verschiedenen Seiten je nach Interesse beantwortet.
Die Arbeiterfreunde sagen: Der kleine Mann, indem er verarmt. Typisch! Die Armen immer ärmer, die Reichen immer reicher!
Diese Sichtweise geht natrlich von einem gesamtgesellschaftlichen Eigentum aus, das den armen Leuten verweigert oder weggenommen wird.
Die Wahrheit ist allerdings, daß ihnen eben nichts gehört.
Libelle meint: Keiner! Es erfolgt Entwertung und Kreditstreichung!
Dem steht allerdings die Politik der letzten Jahrzehnte entgegen, vor allem in jüngerer Vergangenheit: Da ist doch offensichtlich, daß Kredit auf keinen Fall gestrichen werden darf, weil sonst die Weltwährungen ihre Grundlage verlieren. Die beruhen inzwischen nämlich vor allem auf den Schulden, die in dieser jeweiligen Währung aufgelaufen sind.
Die Politiker und Banker werden daher alles tun, um diese Entwertung zu verhindern.
Was die Inflation betrifft, so jammern doch alle, daß sie so niedrig ist. Nicht einmal Argentinien kriegt seine Schulden mit Inflation weg – weil sie beim Peso zwar bis zu 40 % schaffen, aber die Schulden sind in Dollar!
Mit so 2-3% kriegt man aber den Schuldenberg nicht weg.
Bleiben noch so Gutbürger wie Attac & Co., die meinen, man müsse mehr Reichensteuer machen, dann schmilzt der Schuldenberg dahin wie Schnee in der Sonne.
Ich meine: DIE FRAGE IST ÜBERHAUPT FALSCH. Denn diese Schulden kann niemand mehr bezahlen.
Die Frage dreht sich darum, wie lange sie überhaupt bedient werden kann.
“Die Banken ihrerseits schaffen Kredit soweit sich damit ein Zins erzielen lässt (verleihen also nicht staatlich geschöpftes Geld).” Eigentlich verleihen sie schon staatlich geschöpftes Geld. “Die Zentralbank kann Zentralbankgeld schaffen, indem sie Kredite zum jeweils gültigen Leitzins und gegen die Bereitstellung entsprechender Sicherheiten an Geschäftsbanken vergibt.” (wikipedia Geldschöpfung)
Geld das die Bank nicht hat zu verleihen, kann sie nicht so einfach selbst schöpfen, sondern sie muss es sich ebenfalls leihen von der Zentralbank und dafür “Sicherheiten” hinterlegen, die aber meist selbst nur aus “guten” Schulden bestehen. So habe ich den Satz von Kaufmann: “Oder er leiht es den Banken, die es ihrerseits weiterverleihen an die Wirtschaftssubjekte.” jedenfalls gelesen.
Was ist daran verkehrt, aus welchem Grund? Und wieso ist der Umstand, dass die ganzen Maßnahmen, die die Geldkreisläufe aufrechterhalten sollen, dem eigenen Interesse des Staates dient ein Gegenargument zu dem zitierten Satz von Kaufmann?
Was trotz Milliardenschulden ansteht, das ist Aufrüstung. Denn so stärkt sich der Staat, der für seine wuchernden Schuldenmassen den Gläubigern auch neue Sicherheiten versprechen will, damit die ihn auch weiter kreditieren. Und was wäre aus Sicht des Finanzkapitals bombensicherer – als staatliche Aufrüstung?
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153614.ruestungsprojekt-fcas-aufruestungswahn-in-der-kritik.html
Der Staat stärkt also sich. Und ist darin nicht Knecht eines militärisch-industriellen Komplexes o.ä.
Auch die sog. Energiewende und sog. Klimapolitik soll den deutschen Staat stärken – und ist so das zweite Standbein der Nach-Corona-Politik.
https://www.jungewelt.de/artikel/402135.gr%C3%BCne-marktwirtschaft-imperialismus-klimaneutral.html?sstr=Wentzke
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/bverfg-klaert-rechtslage-i-s-erderwaermung#section3
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Die Formulierung, dass die deutsche Rüstung ein Milliardengrab sei, – ist glatt verkehrt. Die Milliarden des deutschen Staates benötigen zu ihrer inneren wie äußeren Sicherheit massig deutsche Aufrüstung …
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/abflug-ins-ungewisse
… oder, wie im Freitag ztiert:
“FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin.”
Was Libelle zu der Fortsetzung meint, dass a) staatliche Schulden (hier: BRD in EUR) vergleichsweise Währungsvergleichereien zwischen den Währungen an den Finanzmärkten befeuern (‘Kursverfall des EUR’), – tät mich interessieren.
Dass b) imperialistische Klimapolitik und Aufrüstungsprogramme “durch” die Finanzmassen und Schulden des Staates “hervorgerufen” worden seien, sei nicht behauptet. Aber: sie passen in das allgemeine Szenario 2021, dass “Reformen” der Staatsvorhaben in den zwanziger Jahren hierzulande deswegen angeblich anstünden, um den Staat (grün) zu “modernisieren”, nachhaltiger, diverser, klimaneutraler und digitaler.
c) Modernisierung – so lautet das Label für Staatsreformprogramme derzeit. (Vor einigen Jahren wurden eher die offiziellen Vokabeln “Sparen” bzw. “Schwarze Null” gebraucht.)
(Klimaimperialismus und Aufrüstung hätten daher darin ihren angeblichen Grund, dass man nach vier ewigen Dekaden mit Merkel die BRD nun mal modernisieren müsse… Da seien – vom Himmel gefallen – neue Herausforderungen entstanden, “denen wir alle uns endlich mal stellen müssen”…
– Alles so weiter wie gestern – das ist dazu die offizielle Oppositiosparole von Werteunion und AFD.)
Also, dann fangen wir mal an:
1. Kehrer:
re: Geldschöpfung (Marx: fiktive Akkumulation)
Das ist verkehrt. Wenn eine Geschäftsbank einen Kredit an einen Kunden vergibt, dann tippt der Bankangestellte nach Vertragsunterzeichnung einfach die Summe in einen PC ein und sie erscheint auf dem Konto des Kreditnehmers. Das ist alles, was passiert und das ist der einzige Vorgang der Kreditvergabe von Banken an Bankkunden d.h. das hat nichts mit den Kreditverhältnissen zwischen Zentralbank und Geschäftsbank zu tun. Die Geschäftsbank reicht also in keinem Fall Zentralbankgeld an Geschäftskunden weiter, fungiert also als bloßer “Durchleiter” von Krediten der Zentralbank an die Geschäftsbank.
Die oben beschriebene Schöpfung von (VWL:Giral-)Geld (Marx: fiktive Akkumulation) wird von der Bank einzig und allein nach dem Kriterium vorgenommen, ob sich mit dem geschöpften Geld ein Zins verdienen lässt und ist durch die Basel (I, II, III) Bestimmungen reguliert die (wesentlich, aber nicht nur) das Verhältnis von ausgereichten Krediten und Eigenkapital betreffen. Nach diesen Bestimmungen, die Staaten (bzw. ihre Zentralbanken) ins Leben gerufen haben, um Bankzusammenbrüche unwahrscheinlicher zu machen, werden alle Kredite als risikogewichtete Assets bilanziert. D.h. ein Kredit, dem die Bank 10% Ausfallrisiko attestiert geht nur mit 10% in das Verhältnis ein, in dem die ausgereichten Kredite zum Eigenkapital der Bank stehen müssen. Dieses Verhältnis zwischen Eigenkapital und risikogewichteten Assets ist die regulatorische Schranke der Banken bei der Giralgeldschöpfung. Zu beachten ist: Die Zentralbank kann der Geschäftsbank Kredite zur Verfügung stellen, bis sie schwarz wird – die Geschäftsbank reicht ausschließlich dann Kredite an ihre Kunden aus, wenn sie sich einen Zins verspricht und sie braucht dafür keinen Zentralbankkredit, weil sie das nötige Geld einfach schöpft.
Was Krim in seinem Wikipedia-Zitat aufgeschnappt hat ist ein Repogeschäft. Und dabei geht es um Liquidität im Interbankenmarkt, das hat also nichts mit Kreditvergabe an Bankkunden zu tun. Auf dem Interbankenmarkt leihen sich Banken gegen Sicherheit kurzfristig Liquidität d.h. Bank A hat Assets (z.B. Staatsanleihen), braucht aber in den nächsten 24 h Liquidität, um Rechnungen zu bezahlen oder irgendwas glattzustellen. Nach Glattstellung fließt ihr diese (oder mehr) Liquidität wieder zu, weshalb sie nicht die Liquidität für die Glattstellung die ganze Zeit vorhält, sondern ihre Assets als Sicherheit für Kredit am Interbankenmarkt anbietet. Und da gibt es dann die Bank oder den Hedgefund B, der genau in der umgekehrten Position ist und über kurzfristige Liquidität verfügt, für die er keine Anlage hat. B gibt also A das Geld gegen die Hinterlegung der Sicherheit und einen Zins. Der Zins ist natürlich von der Qualität der Sicherheit abhängig, was Lehman-Brothers 2008 das Genick gebrochen hat. Damals ist der Interbankenmarkt zum Stillstand gekommen, weil MBSs nicht mehr (oder nur gegen horrende Zinsen) als Sicherheiten im Interbankenmarkt akzeptiert worden sind. Damit ist die Bank A in obigem Beispiel insolvent, weil sie die Glattstellung von irgendwelchen Derivate-Geschäften z.B. nicht mehr leisten kann. Die Derivate fallen aus, das erhöht den Liquiditätsbedarf bei anderen Banken, den sie auf dem Interbankenmarkt nicht befriedigen können, weil sie keine Sicherheiten haben und das Bankensystem bricht zusammen, wenn man das laufen lässt.
Das haben Zentralbanken nach der Krise von 2008 erkannt und sie haben Repo- und Reverse-Repo Fazilitäten eingerichtet d.h.: Wenn sich auf dem Interbankenmarkt nicht genug Sicherheiten oder Liquidität finden, dann springt die Zentralbank mit ihren Fazilitäten ein und akzeptiert bspw. MBS als Sicherheit und verhindert so den Anstieg der Zinsen im Interbankenmarkt und somit den Zusammenbruch (das musste sie z.B. im September 2019). Allgemein kann man festhalten, dass Kredit der Zentralbanken an Geschäftsbanken immer und ausschließlich etwas mit der Liquidität der Geschäftsbanken zu tun hat und nicht mit der Ausreichung von Krediten an Bankkunden.
Naja, das heißt ja nur, dass Kaufmann und du nicht wissen, wie fiktive Akkumulation oder das Zentralbanksystem funktionieren. Geschäftsbanken schöpfen sehr wohl Geld. Viel mehr als die Zentralbanken.
Das stellt sozusagen den tatsächlichen Grund gegen den fiktiven von Kaufmann. Geschäftsbanken reichen keine Zentralbankkredite an ihre Kundschaft durch. Erklärung steht oben.
2. Nestor:
Was soll man da antworten?! Die USA sind nicht Argentinien vielleicht. Man kann also nicht den Fall der Verschuldung in Fremdwährung als Argument gegen das Inflationsszenario an dem sich Zentralbanken aktuell abarbeiten bringen. Ob die Schulden zurückgezahlt werden war niemandes Problem, insofern weiß ich nicht, worauf sich Nestor da bezieht. Refinanziert müssen sie aber regelmäßig werden.
Wenn man Schulden nicht bedienen kann, dann ist man insolvent und die Schulden werden gestrichen. Das gilt auch für Staaten, die dem aber durch die Ausgabe von immer neuen Schulden in immer größerem Umfang, die von ihrer Zentralbank gekauft werden, bisher entgehen. Das geht genau so lange, wie Vertrauen in den jeweiligen Nationalkredit besteht. Das entzieht man durch die Gelddruckerei mit anschließender Inflation natürlich dem Nationalkredit tendenziell. Das ist ein Widerspruch, in dem die USA, die EU, China usw… sich bewegen. Und das geht nicht ewig so weiter, weil die Schuldenaufnahme sich durch den Zins beschleunigt. Irgendwann muss eines der beiden Szenarien (Streichung oder Inflation) eintreten und die Staaten (bzw. ihre Zentralbanken) präferieren ganz offensichtlich Inflation in der Hoffnung, das, was dann passiert irgendwie kontrollieren zu können.
3. Leser:
Naja, es gibt ja einen Konsens der Zentralbanken/Staaten die Krise in die Zukunft zu kreditieren und zu verschärfen. Das kommt daher, dass Staaten die Entwertung bei sich verhindern- und bei anderen stattfinden lassen wollen. Dann findet die Konkurrenz der Währungen eben darüber statt, dass das Finanzkapital die Schuldentragfähigkeit der jeweiligen Staaten beurteilt und daraus auf die Brauchbarkeit der jeweiligen Nationalkredite als Wertmateriatur schließt (und sie so herstellt). “Befeuert” wird da also nur insofern etwas, als dass einzelne Staaten oder Währungsräume für mehr oder weniger schuldentragfähig gehalten werden. Der Umstand, dass bei allen Währungen ihre Eignung als Uniform der Kapitals in Frage steht, ist eher der Auftakt für einen staatlich initiierten Verdrängungswettbewerb. Die USA wollen den Dollar als Weltgeld behaupten und (vor allem) China will das aufbrechen u.a. weil in Frage steht, was sie mit den Dollars eigentlich verdienen, die sie dann als T-Bills in ihren Währungsreserven halten. Und das sind für die Staaten existenzielle Fragen (vor allem für die USA), was man daran sieht, dass ihre Gegensätze ein grundsätzlicheres Niveau erreicht haben.
“Es gibt ja einen Konsens der Zentralbanken / Staaten die Krise in die Zukunft zu kreditieren und zu verschärfen. Das kommt daher, dass Staaten die Entwertung bei sich verhindern- und bei anderen stattfinden lassen wollen.” (Libelle)
Kreditiert werden soll das zukünftige nationale Wachstum, und wegen der Nationalfarben der kapitalistischen Produktion soll die damit und dafür notwendge Entwertung andernorts stattfinden. Der Zweck ist also Wachstum – auf Kosten anderer Länder, denen solch zukünftiges Geschäft dafür weggenommen werden soll.
Vielleicht hast du das auch gemeint (und ich habe es falsch aufgefasst), und ich will daher noch einmal den positiven, aber gegensätzlichen, Wachstumszweck unterstreichen. Da national bilanziert wird, ist eben nicht klar, für wen die Krise fortdauert bzw. sich ggf. verschärft, und wer sich an den Krisenfolgen der Konkurrenten sogar zu stärken vermag (z.B. indem er Marktsegmente neu auf sich ziehen kann). Das soll ja die Zweckhaftigkeit hiesiger Vorhaben wie “Digitalisierung” und “Modernisierung” bewirken. (Die daher vermutlich die Gegensätze innerhalb der EU erst recht vergrößern, was zumindestens nicht der Ideologie der EU-Kommission über ein angeblich “allgemeines europäisches Wachstum” entsprechen dürfte.)
Dass die Gegensätzlichkeit der kapitalistischen Konkurrenten bei Währungsfragen zunimmt, wird konterkariert durch die andere Besorgnis, dass die eigene Ökonomie durch die Beschädigung der Konkurrenten nicht selber Schaden erleiden solle. Darum gibt es neben den Mechanismen verschärfter Konkurrenz diverse staatliche “Überziehungskredit-Abmachungen” und sonstige G7- oder G20-Mechanismen, um sicher zu stellen, dass der Schaden der anderen einen nicht selbst betreffen soll. So ein Mechanismus scheint derzeit das Thema Klimapolitik zu sein, nun wieder mit den USA, – wiewohl man auch daran die nationale Gegensätzlichkeit der diversen Wachstumsvorhaben bemerkt.
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Die generelle Gemeinsamkeit von supranationaler angeblicher “Krisenverhinderung”-sbemühungen ist im Abschnitt III des Krisenartikels beim GSP nachzulesen:
” … wirken die Instanzen zusammen, die allein in der Lage wären, das hoheitliche Machtwort selbst in Frage zu stellen, das den Weltkreditgeldern ihre fortdauernde Gültigkeit sichert: die staatlichen Geldschöpfer und Schuldenmacher selber. Die widersprüchliche Krisenpolitik, die die Weltwirtschaftsmächte sich leisten, ist haltbar, weil diese Mächte in der Frage der Anerkennung ihres Kreditgelds gegen spekulative Angriffe auf eine der etablierten Weltwährungen zusammenhalten.”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltkapitalismus-krisenmodus
Zusammen halten tun sie also vor allem dagegen, dass mit dem Ausnutzen von und Spekulieren auf Währungsveränderungen “privates Finanzkapital” für sich einen Extra-Reibach einfahren will und dafür spekulativ die supra-nationale Gemeinsamkeit der Krisenverhinderung beschädigen würde.
@Libelle
Das war vielleicht einmal.
Inzwischen drucken die Staaten nicht einfach Geld, sondern emittieren Staatsschuld, die dann wieder von ihren Geschäftsbanken aufgekauft und dann recht schnell an Fed oder EZB weiterverkauft wird.
Zweitens sind auf diese Art und Weise schon zig Billionen in den Geldmarkt gepumpt worden, ohne daß eine nennenswerte Inflation erkennbar wäre.
Die volkswirtschaftliche Gleichung „Erhöhung der Geldmenge => Inflation“ ist also falsch.
Zur Erinnerung:
Inflation droht! DIE ANGST VOR DER GELDENTWERTUNG
und
Der Schrei nach Inflation: GELDVERMEHRUNG ALS WACHSTUMSHEBEL?
Betr.: Währungskooperations-Abkommen zwecks Regelung der Konkurrenz zwischen den Währungen
Die Bezeichnung “Überziehungskredit-Abmachungen” war von mir etwas fahrlässig formuliert, weil mir das genaue Wort “SWAP” grad nicht eingefalllen war.
Verdeutlicht am “SWAP”-Abkommen zwischen Katar und der Türkei von 2020:
“Die türkischen und katarischen Zentralbanken hatten sich im vergangenen Jahr nach einem offiziellen Staatsbesuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan darauf geeinigt, den Umfang eines Währungsswap-Geschäfts auf fünf Milliarden Dollar zu erhöhen.
Ein vorheriges Abkommen im Wert von drei Milliarden Dollar wurde im August 2018 unterzeichnet, nachdem Katar ein Investitionspaket von 15 Milliarden Dollar für die Türkei zugesagt hatte.”
https://www.trtdeutsch.com/wirtschaft-turkei/turkei-und-katar-beschliessen-engere-finanzkooperation-mit-wahrungsswap-2018960
Die unterschiedliche Attraktivität der Währungen macht sich z.B. in Unterschieden der Zinshöhe geltend – die Amis setzen Zinserhöhungen im Regelfall daher auch als Waffen im Konflikt der Währungen ein, – und sei es dadurch, dass sie mit Ankündigungen von Zinserhöhungen angeblich liebäugeln, was allein schon die Attraktivität des Dollars befeuert (wie vermutlich auch gerade aktuell).
Reagan machte seinerzeit Hochzins-Politik, um das „Star Wars“-Programm zu finanzieren, mit dem Kredit der ganzen Welt.
Das mündete dann in dem Börsencrash von 1987. Abgesehen davon wuchs damals die Staatsverschuldung ziemlich an.
Seither sind die USA etwas vorsichtiger mit Zinserhöhungen.
Das SDI wurde zwar nichts, aber die Abdankung der SU machte es überflüssig.
Interessante Themen, über die ich schon immer mal reden wollte.
1. Nestor Inflation
Nestor lehnt in seinem Text das Konzept, den Gedanken “Inflation” ab. Er redet in seinem Text einerseits von “Preissteigerungen”, die ständig stattfinden würden (was stimmt) und andererseits gibt er zu Protokoll:
Was einem unmittelbar bei solchen Aussagen einfällt ist: Kommt denn irgendwo Geld in die kapitalistische Welt, das bloß herrenlose “Menge” ist? Wenn man sich den Vorgang der Geldschöpfung anschaut, dann ist klar, dass Geld immer als zusätzliche Zahlungsfähigkeit von irgendwem geschöpft wird. Wenn Aktienpreise steigen, Kredite vergeben werden usw… immer verfügt irgendjemand über vermehrte Zahlungsfähigkeit. Und nicht nur das – Geld kommt selbst als Konsumentenkredit als Kapital zur Welt wird also mit einem Anspruch auf Zins, Preissteigerung, Dividende geschöpft etc.. (fiktive Akkumulation bei Aktien geht so, dass ja nicht jeden Tag alle Aktien eines Unternehmens gehandelt werden, am Ende des Tages aber alle mehr oder weniger Wert sind, das Gleiche beim Handel mit Krediten – die Oszillation der Kurse ist die Vernichtung oder fiktive Schöpfung von Kapital)
Festhalten kann man also: Alles Geld der kapitalistischen Welt ist irgendjemandes Zahlungsfähigkeit und geht mit einem Vermehrungsanspruch schwanger, ist also Kapital. Wo kommt nun der “Aufblähungsgedanke” her? Naja zunächst einmal unmittelbar aus der Tatsache, dass steigende Kurse an den Börsen, Giralgeldschöpfung bei den Banken etc. die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft aufblähen und die Menge an Kapital wachsen lassen ohne, dass dafür (naiv ausgedrückt) mehr produziert würde. Und damit ist der Satz von Nestor oben kritisiert. Es findet ja eine Aufblähung statt, das ist aber noch nicht die Inflation, vor der man sich fürchtet! Wenn man negativ von Inflation spricht ist das Phänomen gemeint, dass Teile der unproduktiv aufgeblähten Zahlungsfähigkeit, des fiktiv erzeugten Kapitals sich als zahlungsfähige Nachfrage gegenüber den produzierten Waren geltend machen und so die produktiven Kapitale in die Lage versetzen höhere Preise durchzusetzen. Mit dem “Aufblähen” der Geldmenge, die die VWL misst, hat man darauf keine Antwort und zwar nicht, weil es als bloße “Menge” vorstellig gemacht wird, sondern weil es eben darauf ankommt wo die zahlungsfähige Nachfrage wirksam wird. Bleibt sie in der Sphäre der fiktiven Akkumulation, beschleunigt sie die dort stattfindende Aufblähung, lässt also Aktienpreise usw… steigen. Das nennen viele “Vermögenspreisinflation” und die hat es in den letzten Jahren reichlich gegeben.
Was passiert nun im Zuge dieser Aufblähung mit dem, was Nestor den “Wert” des Geldes nennt d.h. wieviel “Werte” (wovon auch immer) man sich mit einer gegebenen Summe Nationalkredit kaufen kann? Naja – er nimmt ab, wenn die Preise steigen und er nimmt zu, wenn sie fallen.
Noch ein Gedanke fehlt, um die richtigen Fragen stellen zu können: Wenn man von einem fallenden Geldwert (Inflation) spricht, dann meint man das immer als allgemeines Phänomen, das sich durch alle Warengruppen bemerkbar macht.
Was sucht man also, ganz ohne irgendwas zu messen und Inflation zu nennen, wenn man die Frage beantworten will ob es Inflation gibt und ob und unter welchen Bedingungen es demnächst welche geben wird?
Eine Quelle von Zahlungsfähigkeit, die unabhängig von den kapitalistischen Zyklen der real akkumulierenden Kapitale sprudelt und immer neue Zahlungsfähigkeit ausspuckt, die produzierte Waren nachfragt. Eine Quelle hat man schnell gefunden: Das ist der Staat. Er fragt Waren nach und und stattet (wenigstens) den bei ihm beschäftigten Teil der Bevölkerung mit neu geschöpfter Zahlungsfähigkeit aus, soweit er sich dafür verschulden muss. Damit hat man die Quelle der langfristigen und schleichenden Inflation gefunden. In dem Maß, wie er gezwungen ist sich für den realen Teil seiner Nachfrage zu verschulden, erzeugt er dauerhafte Preissteigerungen, die von Produktivitätsfortschritten gedämpft werden. Und unmittelbar ist klar, dass z.B. die stimulus checks in den USA oder das Kurzarbeitergeld in Deutschland die Tendenz haben inflationär zu wirken – da wird das Salär der Lohnarbeiter erzeugt wie das der Beamten.
Das ist aber keine galoppierende- oder Hyperinflation, wie 1923, sondern eine Inflation, die langfristig die Preise steigen lässt (und so z.B. ständig Druck auf die Löhne ausübt und gewerkschaftliche Kämpfe notwendig macht etc..).
Wie sieht es jetzt mit der Hyperinflation aus? Die ist was Kurzfristigeres, kann also einerseits durch Produktivitätsfortschritte oder Verbilligung der Lohnarbeit nicht gedämpft werden. Was ist da die Quelle der Zahlungsfähigkeit? Antwort: Das fiktive Kapital. Und eine Situation, die zu einer Hyperinflation führen kann haben die Staaten in die Welt gesetzt. Die Situation besteht darin, dass die Staaten weltweit die Streichung von fiktivem Kapital, die Kontraktion des Kredits nicht mehr zulassen, sondern durch ihre Verschuldung das fiktive Kapital immer weiter aufblähen bzw. ihm die Mittel bereitstellen sich immer weiter aufzublähen. Aus der Perspektive des fiktiven Kapitals sind die Elemente der realen Akkumulation lediglich Vermögenswerte, Gelegenheiten sich spekulativ zu vermehren und das tut es mit diesen Elementen und treibt so die Preise von Rohstoffen, Agrarprodukten usw. in die Höhe. Nicht was die Zutaten der realen Akkumulation kosten, sondern was sie demnächst kosten könnten ist das Kriterium des fiktiven Kapitals. Das erzeugt zunächst einen Druck auf die Profite der real akkumulierenden Kapitale, den sie aber, da der Staat die Löhne (z.B. in den USA) weiter finanziert auch weitergeben können d.h. die Staaten mit ihrem Standpunkt die Kontraktion des Kredits nicht zuzulassen werden gezwungen sich für die Lohn-Preis Spirale zu verschulden – tun sie es nicht, kontrahiert der Kredit. Und das ist genau das Setup, was 1923 am Start war. Die Staaten entsprechen also dem Revenueinteresse ihrer Bürger (egal ob Kapitalisten oder Lohnarbeiter) indem sie ihre Währung ruinieren und das ist das starke Argument, warum es zunächst sowas wie eine galoppierende Inflation geben wird die eigentlich nur in einer Art Währungsreform enden kann (weil die Kontraktion des Kredits durch die Staaten ja ausgeschlossen wird).
Nestors Artikel, den er verlinkt hat finde ich ignorant. Er erklärt nichts, sondern mäkelt nur ein bisschen am Phänomen der Inflation herum, das er leugnet.
2. Leser – kommt noch.
“Alles Geld der kapitalistischen Welt ist irgendjemandes Zahlungsfähigkeit und geht mit einem Vermehrungsanspruch schwanger, ist also Kapital.”
Wirklich? Die Lohnsummen, die die Unternehmen ihren Beschäftigten zahlen, sind in deren Händen kein Kapital sondern zum größten Teil nur Geld, einfaches Zahlungsmittel. Ein kleiner Teil wird von den Lohnabhängigen natürlich auch “angelegt” oder auf einem Konto gespart, nur dann wird es auch zu einem Ding mit Vermehrungsanspruch. Bzw. war das früher so. dieser Tage gibt es auf Gespartes von Banken und Sparkassen ja gar keine Zinden mehr, zum Teil muß der “Anleger” ja sogar eine Gebühr dafür zahlen, daß er sein Geld “sicher” verwahren läßt und nicht unter seiner Matratze potentiellen Dieben preisgibt.
“Was sucht man also, ganz ohne irgendwas zu messen und Inflation zu nennen, wenn man die Frage beantworten will ob es Inflation gibt.”
Das kann man den Volkswirten wirklich nicht vorwerfen, daß sie nichts messen würde. Da gibt es doch “Warenkörbe” aller Art, wo akribisch die Preisentwicklung von jeder einzelnen Ware alle naselang ermittelt wird und “gewichtet” in die jeweilige Inflationsrate einließt. Und natürlich ist die Preisentwicklung nie in allen betrachteten Märkten gleich, es gibt immer Bereiche, da sinken die Preise sogar, auch wenn die anderen steigen.
“unmittelbar ist klar, dass z.B. die stimulus checks in den USA oder das Kurzarbeitergeld in Deutschland die Tendenz haben inflationär zu wirken.”
Schon am Wort “Tendenz” kann man ablesen, daß es ganz so einfach wohl auch nicht zu sein scheint. Jeder Volkswirt weiß da immer zu erzählen, daß zusätzliche monetäre Nachrage dann eher weniger Preissteigerungen nach sich zieht, wenn es wegen unausgelasteter Kapazitäten der Warenproduzenten schnell zu Steigerungen des Angebots kommen kann.
An dem Inflationsthema scheiden sich offenbar seit geraumer Zeit die Geister.
Worauf Libelle hinweist, ist der Unterschied von Geld und Kapital, der mit der heutigen Form der Geldschöpfung aufgehoben ist, weil das Geld eben nicht einfach gedruckt wird, sondern bereits als Anleihe mit Verwertungsanspruch auf die Welt kommt.
Eine interessante Verlängerung der oben von mir zitierten Behauptung von Libelle: „Gelddruckerei mit anschließender Inflation“
Die geschmäcklerische Abwertung meiner Ausführungen zur Inflation einmal dahingestellt, so geht es mir eben nicht um „Leugnung“, sondern um die Zurückweisung der Vorstellung, es läge an der Geldmenge.
Die Kritik, man würde etwas „leugnen“, ist eine Art, die eigenen Ausführungen sozusagen wasserdicht zu machen. Man sagt: Ich hab recht! und wer das nicht einsieht, „leugnet“ die Wahrheit und Wirklichkeit.
Die Ansprüche auf Verwertung, also Mehrwert der in die Welt gesetzten Geldsummen wachsen allerdings, aber das ist letztlich das Wesen des Kapitalismus überhaupt, der nur mit der heutigen Form der Geldschöpfung einen Turbo zugelegt hat.
Du weist auch darauf hin, daß eine gewisse Inflation im Sinne von Geldentwertung zum Kapitalismus dazugehört, und auch erwünscht ist.
Davon unterschieden sei die galoppierende Inflation, wo in der Sphäre des fiktiven Kapitals entstandene Zahlungsfähigkeit sich in die Welt der stofflichen Waren begibt und dort zu Preissteigerungen führt.
Dergleichen erleben wir derzeit auf den Rohstoffmärkten. Es ist also richtig, daß erhöhte Geldmengen Preissteigerungen hervorrufen. Eben deshalb, weil sie mit Vermehrungsanspruch auftreten – zum Unterschied von Endkonsumenten, der das nicht tut und deswegen immer die Wirtschaft und das Wachstum retten soll, indem er den Verwertungsanspruch anderer bedient.
Es ist nicht mir vorzuwerfen, daß ich diesen Umstand nicht zur Kenntnis nehmen würde, sondern der VWL, die den den Wirtschaftswissenschaften ansonsten wohlbekannten Gewinnanspruch hier nicht dingfest macht.
An das Kurzarbeitsgeld und die stimulus checks knüpfen sich volkswirtschaftliche Erwartungen, die notgedrungen enttäuscht werden müssen.
Es handelt sich dabei nämlich nicht um zusätzliches Geld, das in den Taschen der Lohnabhängigen landet, sondern um Zahlungen, die den Verdienstentgang – eben nur teilweise – kompensieren.
Es ist also kein „Helikoptergeld“, wie es in der VWL genannt wird.
“An das Kurzarbeitsgeld und die stimulus checks knüpfen sich volkswirtschaftliche Erwartungen, die notgedrungen enttäuscht werden müssen.”
Nein, denn mehr Erwartung als ein Absinken der Massennachfrage zu verhindern, haben die ja nicht. Gemessen an der duch die Entlassungen gesunkenen Lohnsumme sind die “stimuli” ja immer ein Plus. “Helikoptergeld” wird immer dann vorgeschlagen, wenn aus was für Gründen auch immer, zumeist wegen einer Rezession und dementsprechender gesunkener Massennachrage, unbedingt wieder eine Nachfrage her muß, weil sonst die Konsumgüterfirmen noch schlechter dastehen.
@neo:
Das stimmt und das gilt auch für die stimulus checks und für das bedingungslose Grundeinkommen, das es vielleicht demnächst geben wird. Dennoch gehen sie mit einem Geldvermehrungsanspruch schwanger – sie sind nämlich entweder Teil der Kapitalzirkulation (als Lohn, variables Kapital) oder sie werden bezahlt, damit der Kredit nicht kontrahiert (stimulus checks). Ihr Grund ist also nicht das, was sie in den Händen der Beschäftigten und Paupers sind, die das, was sie damit anstellen vielleicht damit verwechseln wollen, wozu dieses Geld da sei, was man dann für gewöhnlich kritisiert.
Das ist ein Missverständnis. Ich meinte damit, dass man erst etwas messen kann, wenn man mal ermittelt hat, was man denn messen will und nicht hergehen kann und sagen: Der CPI ist die Inflation (wie Nestor das in seinem Text auch tut). Dagegen meine ich: Die Inflation fällt zunächst mit ihrer Quelle zusammen, so findet man heraus, ob es sie gibt oder nicht und nicht in irgenwelchen Preisen, die man (interessiert) vergleicht. Gerade die Inflationsindize sind doch auch eine Auskunft über die Qualität des jeweiligen Nationalkredits und werden deshalb manipuliert. Misst man bspw. die US Inflation nach dem alten Verfahren, kommt man glaube ich bei 13% heraus. Die Zentralbanken wollen also einerseits die Inflation niedrig erscheinen lassen und andererseits hohe Inflationswerte haben. Dann sieht alles wie Prosperität aus, die am Ende dazu führt, dass der Kredit der Gesellschaft bedient werden kann. Ob diese Strategie, die ich da zu erkennen meine klappt steht auf einem anderen Blatt – auf jeden Fall kickt man so erfolgreich die can down the road.
Was aber von der tendenziellen Wirkung dieser Maßnahmen nichts wegnimmt. Und die Situation ist aktuell eine andere. Ich meine, die USA werden ihre stimulus checks nicht so leicht zurücknehmen können bzw. durch die drohende Krise, wenn sie es tun sich dazu aufgefordert fühlen sie weiter zu zahlen. Sie können natürlich auch immer die Krise in kauf nehmen. Eine Konsequenz dieses Gedankens ist, dass es am Ende faktisch ein wertloses Grundeinkommen gibt, das nicht viel mehr wird als Armenversorgung.
@Neoprene
Da bin ich mir nicht so sicher.
Seit Monaten tönt es aus allen Rohren, daß der private Konsum die Wirtschaft beleben muß, die große Hoffnung ist usw. Außerdem wird verbreitet, daß in der Pandemie soviel Geld gespart worden sei, das jetzt doch auf den Markt drängen müsse.
Natürlich ist damit nicht explizit das Kurzarbeitsgeld oder stimulus checks gemeint, aber generell wird die Kaufkraft schöngeredet, in einer Art Aufforderung, doch gefälligst kräftig zu konsumieren.
PS: Der volkswirtschaftliche Fehler, bzw. die interessierte Betrachtungsweise der „Experten“ besteht darin, alle Arten von Konsumenten gleichzusetzen – die Endverbraucher genauso wie die Spekulanten.
Dabei ist inzwischen erkennbar, wohin viel von der zurückgehaltenen Zahlungsfähigkeit geht: In die Spekulation auf Rohstoffe und Vorprodukte.
Ich habe kein quantitatives Verhältnis von Geld drucken und Inflation behauptet. Außer das ganz abstrakte: Mehr Geld drucken, mehr Inflation. Woran liegt denn deiner Auffassung nach die aktuell in den USA gemessene Inflation von 5% Oder woran der Umstand, dass (das Messverfahren mal beiseite gelassen) der Euro oder der US Dollar seit ihrer Einführung an “Wert” verloren haben? Wenn du die Vermehrung von zahlungsfähiger Nachfrage als Ursache zurückweist, musst du ja irgend eine andere Erklärung dafür haben oder es gibt für dich eben keine Infaltion. Und das weise ich zurück – das ist Realitätsverweigerung.
“Ihr Grund [von Lohnzahlungen usw.] ist also nicht das, was sie in den Händen der Beschäftigten und Paupers sind, die das, was sie damit anstellen vielleicht damit verwechseln wollen, wozu dieses Geld da sei.”
Ja, natürlich. Wie die das und wofür die das ausgeben, oder eben auch mal nicht alles ausgeben, daran hängt ein Großteil der Wirtschaft, der kapitalistischen Akkumulation (und des Standings des Staates.) Trotzdem sollte man immer konkret hinschauen, wer da was konkret mit “seinem” Geld anstellt.
“Ich meinte …, dass man erst etwas messen kann, wenn man mal ermittelt hat, was man denn messen will.”
Ja und nein. Einerseits gibt es von vielen Seiten das Interesse, die durchschnittliche Preisentwicklung eines Sektors möglichst “korrekt” zu erfassen. Das kann der Aktienmarkt für Großunternehmen der Chemiebranche sein oder die Preise für Eigenheime in Brandenburg. Aber, dauruf weist du ja auch hin, hängt politisch soviel an Inflationszahlen, daß es einen enormen Druck gibt, die Ermittlung so festzulegen, daß da auch garantiert die genehmen Zahlen bei rum kommen. Denn schließlich hängen solch riesige Schuldenberge aka Kapitalsummen und Staatsanleihebeträge an der “Prosperität”, dem “gesunden” Wachstum und nicht dem infaltionären, als daß man da etwas anbrennen lassen dürfte.
“Ich meine, die USA werden ihre stimulus checks nicht so leicht zurücknehmen können bzw. durch die drohende Krise, wenn sie es tun sich dazu aufgefordert fühlen sie weiter zu zahlen.”
Natürlich nicht, alles was erstmal hilft, die Verschärfung der Krise hinauszuschieben, ist das Mittel der Wahl. Und ja, auf Dauer wird das nicht helfen. Das sage ich zwar nun schon viele viele Jahre, ich meine aber, es wird sich letztlich als bittere Wahrheit herausstellen.
“Seit Monaten tönt es aus allen Rohren, daß der private Konsum die Wirtschaft beleben muß, die große Hoffnung ist usw.”
Nicht wirklich: Außer DGB-Posaunen setzt hierzulande niemand wirklich auf steigenden privaten Konsum. Deutschland ist ein Staat, der auf Steigerung der Exporte in alle Welt setzt. Dafür muß die Produktivität höher sein als im Rest der Welt und dazu tragen niedrige Löhne auch ihren Teil bei. Deshalb waren die Corona-Konsumhilfen in Deutschland ja auch ganz bewußt so knapp bemessen, wie das Merkel und Scholz gerade noch unvermeidbar gehalten haben.
“Dabei ist inzwischen erkennbar, wohin viel von der zurückgehaltenen Zahlungsfähigkeit geht: In die Spekulation auf Rohstoffe und Vorprodukte.”
Da wird nicht “Zahlungsfähigkeit” zurückgehalten, da suchen Kapitale nach Rendite. Spekulanten/Investoren bei Rohstoffen sind doch buchstäblich die selben, die in andere Asset-Klassen investieren, hauptsächlich Aktien und Immobilien, ein paar sogar in Gold.
@Libelle
Ich verstehe langsam nur Bahnhof.
Dann ist ja alles in Ordnung.
Ich dachte, wir waren da schon weiter und es liegt am Verwertungsanspruch des Geldes, der die „Vermehrung von zahlungsfähiger Nachfrage“ verursacht, und nicht einem rein quantitativen (Miß)verhältnis.
Um was geht es eigentlich jetzt?
Ich erinnere an den Ausgangspunkt der Debatte: Die Schulden sollen nach deinem Dafürhalten durch Inflation oder Streichung verschwinden.
Da habe ich gemeint, per Inflation geht das nicht. Daran halte ich nach wie vor fest.
Zur Streichung habe ich zu bedenken gegeben, daß die EU alles tat und tut, um dergleichen zu vermeiden – indem sie alten fragwürdigen Kredit durch neuen beglaubigt.
Ob sich das ewig fortsetzen läßt, ist zu bezweifeln, aber dann kommt es eben zu einem Crash, was ich aber nicht als „Streichung“ bezeichnen würde. Dieser Begriff unterstellt bei mir ein – oder mehrere – Subjekt(e), die diese durchführt/en.
Ich meine auch, daß zwar Schulden verschwinden müssen und auch tatsächlich verschwinden werden. Aber, da stimme ich Nestor zu, nie und nimmer durch allgemeines “Streichen”, dekretiert durch Regierungen. Sowas gab und gibt es natürlich immer mal wieder für einzelne Firmen (dann ist es eine Insolvenzabwicklung) oder einzelne Staaten, zum Beispiel durch Schuldenerlasse. Aber nie und nimmer werden die großen Staaten ihre eigenen Riesenberge an Schulden/Finanzkapitalien freiwillig entwerten und streichen. Sowas kann nur und wird auch nur durch eine massive Verschärfung der Krise, eben durch einen oder mehrere “Crashs” erfolgen. Da wird dann nicht nur die Welt der nächsten Lehman Brothers untergehen, befürchte ich.
Bei dem anderen Strang ging es, so habe ich es verstanden, darum, dass Libelle als Folge der Verschuldung die Verschärfung der Krise benannt hat, und ich mich daran gestoßen habe, dass dies ein “Zweck” sei. Zweck ist vielmehr nationales Wachstum, und dafür wird der Nationlkredit der Konkurrenten sowohl benutzt als auch beschädigt. Entwertung soll dort stattfinden. Ja. Aber der Zweck ist Wachstum des eigenen kapitalistischen Geschäftes, und dafür muss der Kredit des Konkurrenten für das eigene Geschäft benutzbar gehalten werden. (So erklärt sich die Zusrtimmung der BRD zu den Corona-Bonds, die deutsches Geschäft auch in Itaöien und Spanien sollen sichern können, angeblich.)
Entscheidendes Kriterium ist die relative Wucht und Durchsetzungskraft der eigenen Wähhrung, für deren Attraktivität gerade die Euro-Länder einiges tun wollen: a) Wirtschaftswachstumsprogramme anschieben in Form der Corona-Kredite u.a., b) Stärkung militärischer Macht durch beschlossene Aufrüstungsprogramme.
Einstweilen spielt man dadurch nicht in der Größenordnung des Dollars als souveräne Macht mit. Sondern als Gehilfe der USA, um sich dadurch davon zu emanzipieren. Dass man sich so eher zum Dödel der USA macht, das könnte dabei durchaus herauskommen….
“Einstweilen spielt man dadurch nicht in der Größenordnung des Dollars als souveräne Macht mit. Sondern als Gehilfe der USA, um sich dadurch davon zu emanzipieren. Dass man sich so eher zum Dödel der USA macht, das könnte dabei durchaus herauskommen….”
Ja, die EU ist lange nicht in der “Größenordnung” der USA. Weder mit ihrem Geld, noch mit Militär. Natürlich gibt es deshalb schon lange Jahre den Wunsch, sich von den USA, ihrem Geld und ihrer Militärmacht zu emanzipieren. Daraus ist aber offensichtlich auf allen wichtigen Feldern nicht allzuviel geworden, eher erlahmen die Bestrebungen bzw. nehmen die Erfolge sogar ab.
Von daher hängen die europäischen Staaten in der undankbaren Rolle, der “Gehilfe” für US-Ziele zu sein, insbesondere das Schlachtfeld für den nächsten Krieg mit Rußland zu stellen und mit ihren Wirtschaften für den anstehenden erstmal nur Wirtschaftskrieg gegen China bluten zu müssen. Wer das aus euro-nationaler Sicht unbefriedigend findet, der findet in der Tat wohl, daß die EU der Dödel der USA ist, bzw. zumindest zu werden droht. Aber wie da raus kommen? Da haben es ja all die Europa-First-Apologeten außer zu Sprüchen und sich zum Teil ausschließenden Vorschlägen nocht nicht weit gebracht.
Alles recht, so weit.
Mich tät aber Libelles Kommentar interessieren, zu den Themen Verschuldung, Entwertung und Wachstum.
—
@ Libelle nachgefragt: dass Euro oder Dollar “an Wert verloren haben” über einen bestimmten Zeitraum seit ihrer Einführung – ???
http://nestormachno.blogsport.de/2021/05/12/imperialismus-heute-fortsetzung-mai-2021/#comment-43235
ist das (der ‘Wertverlust’) jetzt eine Bestimmung, die jenseits des Konkurrenzverhältnisses von Dollar und Euro gemessen wird? Woran gemessen? Das ist mir nicht klar, was du damit meinst.
@leser:
Kuckst du auf die Alu-Hut Seite. Je nachdem wie man es misst hat die Inflation vom Dollar nicht mehr viel übrig gelassen. Untersuchungen der Lohnentwicklung zeigen, dass die mit diesem Verfall nicht Schritt gehalten hat.
Nochmal zur “Streichung” von Kredit, was ihr anscheinend in den falschen Hals bekommen habt – damit ist nichts weiter als seine Kontraktion gemeint. Ob mit oder ohne Insolvenzverfahren, ob durch Ersatz der durch die Zentralbanken gekauften Anleihen durch einen 0-Zins Bond mit unendlicher Laufzeit. (das hat auch Widersprüche, weil es dem Interbankenmarkt Sicherheiten entzieht).
“Je nachdem wie man es misst hat die Inflation vom Dollar nicht mehr viel übrig gelassen.”
Nur kann man halt die Kaufkraft des Dollars nicht vernünftig messen, wenn man sich nur anschaut, wieviel Unzen Gold man früher oder jetzt dafür bekommen hat oder bekommt. Denn so gut wie niemand kauft Goldmünzen, fast alle kaufen hinhgegen Autos, Bananen und Urlaubsreisen.
Es sind ja 2 Graphen in dem Diagramm und sie sagen das Gleiche aus. Auf die Zahlen würde ich nicht viel geben, die sind notwendig ungenau. Auf die Tendenz, die sie ausdrücken kann man sich aber verlassen. So geht die schleichende Inflation.
Ein großes Problem bei der Bestimmung der Entwicklung “der” Konsumentenpreise ist unter anderem, daß die Menschen heute merklich andere Sachen konsumieren als vor 100 oder auch nur 50 Jahren. Der Trend der schleichenden Inflation (der in den USA auch einige Jahre schon recht galoppierend war) stimmt natürlich doch.
@Leser
Genau deswegen ist eben Streichung von Kredit nicht möglich, weil das im Falle des Euro den eigenen Kredit beschädigen würde.
Deswegen werden die verunfallten Staaten über EZB und Eurobonds kreditmäßig versorgt, und deshalb haben wir eben die Null- und Niedrigzinsen.
Bei der Debatte über die Inflation bin ich mir inzwischen gar nicht mehr sicher, ob Libelle und ich über das Gleiche reden?
Ist Inflation allgemeines Steigen der Preise?
Wie „allgemein“ übrigens?
Ist Inflation Geldentwertung?
Da kommt Lesers Frage ins Spiel, woran die dann eigentlich gemessen wird?
Oder ist es das Überhandnehmen von Kapital, das keine Verwertungsmöglichkeit findet?
Oder alles zusammen?
Die “Asset-Bubbles”, also vor allem die irren Preisanstiege bei vielen Aktien und Immobilien (selbst bei exotischeren Anlageformen wie Kunstgegenständen oder richtig teure Oldtimer) sind sicher ein Anzeichen dafür, daß sich andere Anlageformen, z.B. Anleihen oder Fabriken bauen, offensichtlich nicht mehr so sehr lohnen, daß die Gelder wieder in diese Bereiche schwappen. Bei den Anleihen ist es naheliegend, weil nur noch richtige Ramschanleihen überhaupt Rendite versprechen, bei der Warenproduktion sehen die Finanzer wohl keine so rosigen Aussichten für ihre riesigen Geldbeträge.
“Die Staaten können das Wertlos-Werden ihrer riesigen Schuldenberge gar nicht kompensieren, die immer wieder erneute bloße Verlängerung des Kreditierens macht die unausweichliche Krise gerade dadurch gar nicht weg, sondern einzig wahrscheinlicher.” (das ist kein Zitat!!!! – sondern von mir etwas subjektiv Zusammengeschustertes.)
So ähnlich verstehe ich Libelle. Erst mal will ich kapieren, worum es ihm überhaupt geht.
Oder war es ganz anders gemeint?
Naja, das ist das Eine. Die Krise können sie mit ihrem Nationalkredit nicht verhindern. Das bestimmt aber nicht, was sie tun, sondern sagt nur ihr Treiben endet in einem unausweichlichen Resultat.
Ob die Zentralbanken/Staaten umgekehrt denken, dass sie die Krise (also die Kontraktion des Kredits) letztendlich verhindern können oder nicht, spielt keine Rolle für das, was sie tun (müssen). Sie sind gefangen zwischen 2 Entwicklungen: Das eine ist die Krise einfach geschehen zu lassen, was ihren nationalen Reichtum ruiniert, das andere ist sich mit ihrem Nationalkredit dagegen zu stemmen und durch Verschuldung (die inzwischen bloßes Gelddrucken ist, weil es die Nachfrage nach ihren Staatsanleihen nicht mehr in dem Umfang gibt, wie sie Schulden aufnehmen müssen) die an allen Ecken für den Fortgang der Akkumulation fehlende Zahlungsfähigkeit/Liquidität zu stiften. Letzteres macht sich dann eben in einer ansteigenden Inflation geltend d.h. die Entwertung der nominell auf Dollar/Euro usw. lautenden Kredite der Kapitale/Staaten usw… findet eben auf diesem Weg statt. Und diesen eben beschriebenen Weg gehen sie – und zwar alle mit der Hoffnung, dass sie die Krise “weginflationieren” können (inwiefern sie diesen Gedanken haben – darüber kann man wieder streiten). Das erklärt die riesigen Konjunkturprogramme der USA z.B.
Daneben habe ich eine Diskussion über Inflation angefangen. Die ist nicht das, was Nestor beschreibt (also irgend ein CPI-Wert, auf dessen Höhe er sich beruft und dann postuliert: Es hat keine Inflation gegeben.) Die hat sich nur deshalb nicht im CPI niedergeschagen, weil sie von anderen Effekten (Produktivitätssteigerungen z.B.) überlagert wird. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt, der Verweis auf irgendwelche niedrigen CPI-Werte ist ziemlich unwissend, wenn man weiß, was sie ist.
Und diese Situation verschärft z.B. auch die Konkurrenz zwischen China und den USA. Die USA übersetzen ihre Ansprüche auf den weltweiten Reichtum und die für sie unbefriedigenden Ergebnisse in unlauteres Verhalten der chinesischen Konkurrenz. Inzwischen sind sie da bei sehr prinzipiellen (Gewalt-)Fragen angekommen.
Die Staaten kümmern sich, statt um langfristige Wert-Entwicklungen, um Geschäftsmöglichkeiten hier und jetzt für ihre Kapitale.
Z.B. so wie hier:
(Zitat des Sicherheitspolitikers Ischinger:) “Wir tun noch so, also ob wir von Panzern und Nuklearwaffen bedroht werden. Im 21. Jahrhundert entscheidet aber die Herrschaft über Daten und technologische Systeme den Wettbewerb. Da fällt schon auf, dass China in der Klimatechnologie die Führung übernimmt.” (zitiert nach SZ)
Mit Abstand führe die fernöstliche Macht bei Elektroautos, Batterien und Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Sonnenenergie. Außerdem habe sie die maßgebliche Kontrolle über die für viele moderne Produkte so wichtigen Seltenen Erden. Die Europäische Union (EU) liege lediglich bei der Produktion von Windenergie-Turbinen vorn.
Die “Klima-Angst” sieht für einen Außenpolitiker (!!!) doch anders aus als für den Normalmenschen: Ischinger treibt die Sorge um, dass der falsche Staat am meisten von den Geschäftschancen profitiert, die der Klimaschutz bietet. Für ihn besteht die größte Gefahr des Klimawandels darin, im Kampf um die sich bietenden Profitgelegenheiten ins Hintertreffen zu geraten. Und damit von einem erklärten Gegner wie China die Geschäftsbedingungen diktiert zu bekommen.
Nicht auszudenken, wenn die EU zu wenig Seltene Erden aus anderen Ländern importieren kann oder auf Batterien aus Fernost angewiesen ist. Dann ändern sich damit auch die Machtverhältnisse.
So buchstabiert sich das “Risiko” des Klimawandels aus staatlicher, westlicher Sicht. Klimaschutz bedeutet hier Schutz vor unliebsamer Konkurrenz: In Sachen Erneuerbare Energien und emissionsfreie Mobilität darf sich der Westen nicht von China oder irgendwelchen anderen Staaten den Rang ablaufen lassen!”
Auszug aus einem viel längeren Aufsatz von Björn Hendrig bei Heise/TP
https://www.heise.de/tp/features/Klimaschutz-vom-Ladenhueter-zum-Bestseller-6116405.html?seite=all
Übrigens erinnert das ein wenig an die Geschichte der Solarenergie zur Jahrtausendwende, als China das erträumte deutsche Geschäftsmodell schlicht per Billigproduktion übernommen hat. Insofern hängt an der Debatte über den Klimawandel, die Wasserstofftechnologie etc, hierzulande einiges ….
Hendrig schließt so: “Welcher Staat [vom ‘Klimawandel’] wie betroffen ist, wie er damit umgeht, welche Mittel er hat, die Folgen abzuwehren, welches Kapital er im Land hat, um mit neuer Energietechnik zu profitieren, wie er damit mehr Macht durch Energie-Autarkie erlangt – all das scheidet die rund 200 Nationen dieser Welt schon mal ziemlich deutlich voneinander.”
Und solche Unterscheidung macht dann aus, ob ein Standort mehr an kapitalistisches Wachstum auf sich ziehen kann. Oder ob er als hoffnungsloser bloßer Verschuldungsfall gilt.
—
Gewaltfragen entsttehen nicht, weil sich alles zuspitzt. Sie sind von vornherein immerzu gegeben. Unlauteren Wettbwerb werfen die USA daher nicht jetzt erst den Chinesen vor, sondern das war ihr längst feststehendes Urteil, sobald irgendein Auto oder irgendein Schraubenzieher auf dem Markt erfolgreicher war. Da Gods own Country die Überlegenheit im Blut hat, sind bessere europäische Autos oder billigeres chinesisches Kinderspielzeug immer schon Resultate von Betrügereien, Markenpiraterie, Ausschluss amerikanischer Firmen vom Markt, sttaatlichem Protektionismus, o.ä. gewesen. Nicht erst seit heute oder gestern.
Dass die Konkurrenzlage der USA aktuell gegenüber China zunehmend prekär wird, die Feindschaft daher verschärft, sei explizit nicht bestritten.
Prinzipielle Gewaltfragen stehen aber immerzu auf der Tagesordnung, wenn Staaten erlauben sollen, dass sich andere Staaten an ihnen bereichern und sich so ermächtigen wollen. Dazu brauchte es keinen Donald Trump, um das zu bemerken…
(… oder deutsche Stammtisch-Bürger, wenn die darüber meckern, dass unser gutes Geld ungerechterweise statt ihnen den Polen, Griechen und Italienern zugute kommen würde …)
Stilles Gedenken
Russland erinnert an 80. Jahrestag des deutschen Überfalls
Von Reinhard Lauterbach
In ganz Russland haben am Dienstag Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion stattgefunden. Präsident Wladimir Putin legte im Alexandergarten an der Kremlmauer einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten nieder. Im ganzen Land wurden an den Denkmalen für die Gefallenen Kerzen angezündet. Lesungen aus Klassikern der sowjetischen Kriegsliteratur riefen die Erinnerung an die Jahre des Kampfes wach. Der Tag wird in Russland seit einigen Jahren als »Tag der Trauer und Erinnerung« in eher stillen Formaten begangen.
In Kiew legte Präsident Wolodimir Selenskij am Ehrenmal für die Kriegstoten einen Kranz nieder. Er nannte den 22. Juni 1941 einen der schlimmsten Tage in der Geschichte der Ukraine und den Beginn der blutigsten Periode des Zweiten Weltkriegs. Er verneigte sich vor denen, die durch ihren Kampf den Plänen zur Vernichtung des ukrainischen Volkes Widerstand geleistet hätten, sowie denjenigen, die Okkupation und Konzentrationslager überlebt hätten. In Belarus fand die zentrale Gedenkveranstaltung auf dem Gelände der ehemaligen Festung in Brest statt. Mehrere tausend Menschen waren laut Videoberichten im Morgengrauen, zur Stunde des damaligen Angriffs, auf das Gelände der Gedenkstätte gekommen.
In Berlin besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Morgen die Gedenkstätte auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in der Schönholzer Heide. Begleitet von einer Ehrenformation der Bundeswehr legte er einen Kranz zu Ehren der 13.000 sowjetischen Soldaten nieder, die hier bestattet sind. Bereits vor einigen Tagen hatte Steinmeier ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager im niedersächsischen Sandbostel besucht, in dem nach Schätzungen einige 10.000 sowjetische Kriegsgefangene an Hunger und Misshandlungen gestorben waren.
In Berlin erklärte Steinmeier am Dienstag, kein Land habe im Zweiten Weltkrieg mehr Opfer zu beklagen gehabt als die damalige Sowjetunion. Die Erinnerung an diese Menschen sei kein so fester Teil der kollektiven Erinnerung in Deutschland, wie es ihnen gebühre. Die Erinnerung an die »mörderische Barbarei« des deutschen Vernichtungskriegs müsse eine ständige Mahnung für Deutschland und die ganze Welt sein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von ihrer »Scham« für die deutschen Verbrechen im Zuge des Angriffs auf die Sowjetunion.
Die Wochenzeitung Zeit veröffentlichte am Dienstag aus Anlass des Jubiläums einen Namensartikel von Putin. Darin warb der russische Präsident ein weiteres Mal um eine kooperative Zukunft in Europa und Eurasien, von der alle beteiligten Seiten nur profitieren könnten. Moskau sei für die Wiederherstellung einer umfassenden Partnerschaft in Europa. Die neuen Herausforderungen seien zu groß, als dass ihre Bewältigung durch das Erbe des Kalten Krieges beeinträchtigt werden dürfe.
Offen sein, trotz der Vergangenheit
Zum 80. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion veröffentlichte Zeit online am Dienstag einen Gastkommentar von Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, in dem dieser seine Sicht auf Europas Geschichte und seine Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft darlegt:
(…) Wir sind stolz auf den Mut und die Standhaftigkeit der Helden der Roten Armee und der Arbeiter daheim, die nicht nur die Unabhängigkeit und Würde ihres Vaterlandes verteidigten, sondern auch Europa und die ganze Welt vor der Versklavung retteten. Ungeachtet jüngster Versuche, die Kapitel der Vergangenheit neu zu schreiben, lautet die Wahrheit, dass der Sowjetsoldat seinen Fuß nicht auf deutschen Boden setzte, um sich an den Deutschen zu rächen, sondern um seine edle und große Befreiungsmission zu erfüllen. Das Gedenken an die Helden im Kampf gegen den Nazismus ist uns heilig. Dankend erinnern wir an die Alliierten der Antihitlerkoalition, die Kämpfer der Résistance und die deutschen Antifaschisten, die den gemeinsamen Sieg näher brachten.
Trotz der schrecklichen Erlebnisse des Weltkrieges haben die Völker Europas es geschafft, Entfremdung zu überwinden und zu gegenseitigem Vertrauen und Respekt zurückzufinden. (…) Erinnert sei auch daran, dass es deutsche Unternehmer waren, die in den Nachkriegsjahren zu Pionieren der Kooperation mit unserem Land wurden. 1970 wurde zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik mit der Vereinbarung über langfristige Gaslieferungen nach Europa ein »Deal des Jahrhunderts« geschlossen. Damit wurden der Grundstein für eine konstruktive Interdependenz gelegt und im folgenden viele großartige Projekte, wie zum Beispiel Nord Stream, ermöglicht.
Wir hofften, dass das Ende des Kalten Krieges einen Sieg für ganz Europa bedeuten würde. Nicht mehr lange, so schien es, und Charles de Gaulles Traum vom geeinten Kontinent würde Wirklichkeit werden, und das weniger geographisch vom Atlantik bis hin zum Ural als vielmehr kulturell und zivilisatorisch von Lissabon bis Wladiwostok.
Gerade in diesem Sinne – in der Logik der Gestaltung eines großen Europas, das durch gemeinsame Werte und Interessen zusammengehalten würde – wollte Russland seine Beziehungen zu den Europäern aufbauen. Sowohl wir als auch die Europäische Union konnten auf diesem Wege viel erreichen.
Es setzte sich jedoch ein anderer Ansatz durch. Diesem lag die Erweiterung der Nordatlantischen Allianz zugrunde, die selbst ein Relikt des Kalten Krieges war. Denn geschaffen war sie ja zur Konfrontation aus der damaligen Zeit heraus. Die Grundursache des zunehmenden gegenseitigen Misstrauens in Europa lag im Vorrücken des Militärbündnisses gen Osten, das im übrigen damit begann, dass die sowjetische Führung de facto überredet wurde, dem NATO-Beitritt des geeinten Deutschlands zuzustimmen. (…)
Ich möchte noch einmal betonen: Russland plädiert für die Wiederherstellung einer umfassenden Partnerschaft zu Europa. (…) Unser gemeinsames und unstrittiges Ziel ist es, die Sicherheit des Kontinents ohne Trennlinien und einen einheitlichen Raum für eine gleichberechtigte Kooperation und kollektive Entwicklung im Sinne der Prosperität Europas und der ganzen Welt sicherzustellen.
http://www.zeit.de
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Moskau verteidigt Seegebiet gegen London
Moskau. Nach dem militärischen Zwischenfall vor der Krim hat Russland mit einer Bombardierung britischer Schiffe bei erneuten Konfrontationen gedroht. »Wir können an den gesunden Menschenverstand appellieren, die Einhaltung des Völkerrechts fordern, und wenn das nicht funktioniert, können wir bombardieren«, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow am Donnerstag russischen Nachrichtenagenturen zufolge. In Zukunft würden Bomben bei britischen Schiffen »nicht nur auf ihren Weg, sondern auch auf das Ziel« abgeworfen. In Moskau wurde die britische Botschafterin Deborah Bronnert einbestellt.
Der britische Premierminister Boris Johnson erklärte am Donnerstag, der Zerstörer habe sich rechtmäßig in internationalen Gewässern bewegt. London erkenne die Krim nicht als russisches Staatsgebiet an. »Das sind ukrainische Gewässer, und es war vollkommen richtig, sie zu nutzen, um sich von A nach B zu bewegen.« (Reuters/jW)
Ukraine verhängt Sanktionen gegen russischen Titanhersteller
Kiew. Die Ukraine hat Sanktionen gegen den weltweit größten Titanhersteller aus Russland verhängt. Nach einem am Donnerstag in der Hauptstadt Kiew veröffentlichten Erlass von Präsident Wolodimir Selenskij gelten unbefristet Einschränkungen gegen das Unternehmen WSMPO-AWISMA mit Hauptsitz im Ural. Ebenso unbefristet sind demnach der Direktor Sergej Tschermesow und dessen Stellvertreter Michail Schelkow mit Sanktionen belegt worden.
Begründet wurden die Strafmaßnahmen mit Lieferungen an russische Rüstungshersteller und Aktivitäten auf der seit 2014 nach einem Referendum zur Russischen Föderation gehörenden Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Juristen halten die von Selenskij in diesem Jahr regelmäßig gegen Ukrainer und ukrainische Firmen verhängten Maßnahmen für willkürlich und rechtswidrig. Weitere Sanktionen betreffen den ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch und seinen Konzern, der unter anderem im Titangeschäft aktiv ist.
Zu den größten Geschäftskunden von WSMPO-AWISMA gehört Firmenangaben zufolge der US-amerikanische Flugzeughersteller Boeing. Auch dessen europäischer Konkurrent Airbus bezieht Titanlegierungen aus Russland. Moskau reagierte prompt. Die Sanktionen seien ein weiterer Schritt hin zu einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen beiden Ländern, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Leonid Sluzki, nach Angaben der Agentur Interfax. »Russland wird natürlich darauf reagieren.« (dpa/jW)
… Und dass die Gewalt des eigenen Staates gute und gerechte Gewalt sei
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/mit-recht-krieg-unternehmen-barbarossa-6492.html
– das ist nämlich schon wieder so ein Dogma, das nach wie vor Gültigkeit besitzt …
Das Feindbild steht
»Transatlantischer Neustart«: US-Außenminister Blinken bei Berliner Libyen-Konferenz, Altmaier in Washington. Im Visier stehen Beijing und Moskau
Jörg Kronauer
Die Bundesregierung und die USA wollen wegen der eskalierenden globalen Konflikte nach den Verwerfungen der Ära Trump ihre Zusammenarbeit wieder intensivieren. Dies bestätigten Außenminister Heiko Maas sowie sein US-Amtskollege Antony Blinken am Mittwoch anlässlich ihres ersten persönlichen Arbeitstreffens in Berlin. Mit Blick auf die Machtkämpfe gegen China und Russland sowie auf die Konflikte etwa mit Belarus, Iran oder in der Ukraine postulierte Maas, man benötige mehr denn je »einen transatlantischen Schulterschluss«. Blinken ergänzte, schon jetzt stünden Soldaten beider Länder »Schulter an Schulter rund um die Welt«.
Trotz aller Kooperationsgelübde konnten beide Seiten immer noch keine Einigung im Streit um Nord Stream 2 erzielen. US-Präsident Joseph Biden hat zwar zugesagt, zumindest vorläufig keine Sanktionen gegen deutsche Unternehmen zu verhängen. Als Gegenleistung verlange Washington allerdings »sehr konkrete und belastbare« Maßnahmen, die die Garantie böten, dass Russland die Erdgasleitung nicht »als Waffe« gegen die Ukraine nutze, bekräftigte Blinken. Der US-Außenminister traf anschließend noch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen. Möglicherweise werde Merkel den Streit um die Pipeline bei ihrem Besuch in Washington am 15. Juli beilegen können, hieß es am Mittwoch in Berlin.
Vermutet wurde, dass auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den Streit bei seinem aktuellen Aufenthalt in der US-Hauptstadt ansprechen könne. Altmaier brach am Mittwoch dorthin auf, um den »transatlantischen Neustart« mit der Biden-Regierung auf wirtschaftlicher Ebene voranzubringen. Im Zentrum seiner Verhandlungen stehen allerdings, neben klima- und energiepolitischen Absprachen, die Handelsstreitigkeiten sowie die Strafzollschlachten zwischen den USA und der EU. Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor der größte Absatzmarkt und bedeutendster Investitionsstandort der deutschen Industrie.
Eine Nagelprobe für die Schlagkraft des wieder enger kooperierenden transatlantischen Bündnisses könnte sich aus der zweiten Berliner Libyen-Konferenz ergeben, an der Blinken am Mittwoch teilnahm. Die vom Auswärtigen Amt organisierte Konferenz sollte den Druck erhöhen, ausländische Truppen und Söldner aus Libyen abzuziehen. Zudem sollte sie die seit März amtierende Übergangsregierung in Tripolis, die als erste seit Jahren von den wichtigsten Kräften im ganzen Land anerkannt wird, veranlassen, wie geplant am 24. Dezember Parlaments- und Präsidentenwahlen abzuhalten. Maas hatte zuvor den im Oktober 2020 geschlossenen Waffenstillstand sowie die Bildung der Übergangsregierung als einen Erfolg der ersten Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 deklariert. Experten weisen dies als Wahlkampfgeklapper zurück; so hieß es kürzlich etwa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, tatsächliche »Sicherheitsgaranten« in Libyen seien die Türkei und Russland, während die Mächte Westeuropas allenfalls eine »Statistenrolle« spielten. Die Erfolgschancen der Libyen-Konferenz wurden denn auch als eher gering eingeschätzt.
Unmittelbar vor Beginn der Konferenz hatte »Ärzte ohne Grenzen« gefordert, die Bundesregierung müsse endlich etwas gegen die katastrophalen Verhältnisse in den libyschen Internierungslagern für Flüchtlinge unternehmen. Die Lage dort habe sich seit Jahresbeginn so sehr verschlechtert, dass die Organisation sich gezwungen sehe, in zweien von ihnen ihre Arbeit einzustellen. Insgesamt sind zur Zeit rund 6.000 Menschen in den Lagern interniert.
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USA kapern ausländische Webseiten
Washington lässt 36 Internetauftritte sperren. Vorwurf: »Iranische Propaganda«
Knut Mellenthin
Die US-Regierung hat am Dienstag mindestens 36 ausländische Websites aus dem Internet geworfen. Das meldete am späten Abend unter anderem die Nachrichtenagentur AFP. Wer auf diese Seiten zugreifen will, sieht nur noch die Überschrift »Diese Webseite wurde beschlagnahmt«, einen kurzen, unverständlichen juristischen Text und darunter die Siegel der Bundespolizei FBI und des US-Handelsministeriums.
Die Pressestelle des US-Justizministeriums hat zu dem Vorgang eine Erklärung veröffentlicht. Demnach seien 33 der gesperrten Seiten der iranischen Rundfunk- und Fernsehvereinigung (IRTVU) zuzuordnen, die übrigen drei einer schiitischen Miliz im Irak namens Kataib Hisbollah. Unter den gekaperten iranischen Websites ist die des englischsprachigen Auslandssenders Press TV, einer Abteilung der staatlichen Rundfunkgesellschaft IRIB.
Medienberichten zufolge sind nicht nur die Webseiten der irakischen Miliz gesperrt, sondern auch die Internetauftritte des jemenitischen Senders Al-Masirah der Ansarollah, des Oppositionssenders Lualua TV in Bahrain und mehrerer palästinensischer Sender. Betroffen sind ausschließlich Domänen, die im Besitz von US-Firmen sind. Alle Seiten sind inzwischen unter anderen Adressen wieder erreichbar.
Nach demselben Muster hatte das US-Justizministerium am 7. Oktober vorigen Jahres 92 Domänennamen »beschlagnahmt«, hinter denen sich angeblich das »Korps der iranischen Revolutionsgarden« (IRGC) verbarg. In den offiziellen Begründungen steht schematisch, dass die betroffenen Seiten »iranische Propaganda« betreiben würden, »um die Innen- und Außenpolitik der USA zu beeinflussen«. Zudem seien sie Teil einer »weltweiten Desinformationskampagne Irans«.
Während das US-Justizministerium lobend die Mitwirkung von Google, Facebook und Twitter bei den Ermittlungen des FBI hervorhob, kritisierte der Bürochef des iranischen Präsidenten Hassan Rohani, Mahmud Waesi, am Mittwoch, dass die Maßnahmen »nicht konstruktiv« für die in Wien stattfindenden Gespräche über die Wiederherstellung des 2015 vereinbarten Atomabkommens seien.
Kraftprobe
USA schalten Webseiten ab
Knut Mellenthin
Die Verteidigung der Meinungs- und Informationsfreiheit erfordert offenbar in erster Linie ihre konsequente, immer schärfer praktizierte Einschränkung. Nach diesem Grundsatz, der so nicht in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten steht, hat die US-Regierung am Dienstag 33 iranische Websites abgeschaltet. Der zentrale Vorwurf lautet, diese Internetauftritte würden »Desinformation« verbreiten. Die Führung der Ermittlungen liegt bei der Bundespolizei FBI, obwohl solch ein »Delikt« kein juristisch gefasster Straftatbestand ist. Schon gar nicht gibt es eine internationale Verständigung über diesen Modebegriff, der in den kommenden Jahren immer wichtiger und schlagkräftiger zu werden droht. Was die USA und ihre Verbündeten als »Desinformation« verteufeln und kriminalisieren, nennen sie legitimes Eintreten für die gemeinsamen Werte, wenn sie dergleichen selbst betreiben. Für ihre Auslandspropaganda gaben die USA 2019 nach eigenen Angaben 2,2 Milliarden Dollar aus. Das Geld kommt hauptsächlich aus dem Etat des Außenministeriums.
Die Schwäche der gegenwärtigen Maßnahmen gegen ausländische Webseiten ist aus Sicht Washingtons ihre Unzulänglichkeit: Sie greifen nicht in internationales Recht ein, denn es werden nur Internetauftritte gesperrt, deren Domains sich im Besitz US-amerikanischer Firmen befinden. Dagegen darf die Regierung auf Grund nationaler Gesetze und Anordnungen vorgehen. Auf der anderen Seite können sich die ausländischen Betreiber wehren, indem sie auf Domains im eigenen Land oder an anderen Orten ausweichen. Alle am Dienstag gesperrten Website sind unter alternativen Adressen weiter zugänglich.
Ob der »freie Westen« künftig rabiater vorgehen wird, ist in diesem Moment ungewiss. Tatsache ist, dass die jetzt verkündeten Maßnahmen symbolischen und politischen Charakter haben. Ihr unmittelbarer Zweck ist die Beeinflussung der Gespräche, die seit Anfang April in der österreichischen Hauptstadt über die Wiederherstellung des Wiener Abkommens vom 14. Juli 2015 – englisch abgekürzt JCPOA – stattfinden. Dass die US-Regierung durch ihren zweifellos provokatorischen Schritt den Abbruch der Verhandlungen herbeiführen will, ist jedoch nicht ausgemacht, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht.
Auf jeden Fall bekräftigt die Biden-Regierung mit ihrem Vorgehen, was der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jacob Sullivan, am Sonntag im Sender ABC so formulierte: »Die Vereinigten Staaten bestehen auf ihrem Recht, auch unter dem JCPOA (…) aus anderen Gründen als dem Atomthema – wegen Terrorismus, wegen der Menschenrechte, wegen der Raketenentwicklung – Sanktionen zu verhängen.« 2015 hatte die von Präsident Hassan Rohani geführte Regierung diesen Vorbehalt der USA akzeptiert. Völlig auszuschließen ist das auch heute nicht.
US-Regierung sperrt iranische News-Websiten
Informationskrieg: Press TV und über 30 andere Webseiten wurden “konfisziert”.
Als militärische Vorhut des Westens (und nach wie vor allerbester Partner der USA) gegenüber Russland – versucht GB sich zu profilieren
https://www.heise.de/tp/features/Saebelrasseln-vor-der-Krim-6118240.html
Der dt./frz. Spaghat, gegenüber Russland gleichzeitig und vorwitzigerweise “Peitsche und Zuckerbrot” bereit zu halten, ist, man wollte da wohl nicht gegenüber GBs Vorlage zurückfallen, von den sonstigen Europäern heute Nacht als zu wenig kriegsdrohend abgelehnt worden. Auch so taugt GB als U-Boot bzw. Kriegsschiff der USA in oder außerhalb der EU weiterhin (was es allerdings, so die britische Befürchtung, angesichts der Osländer, dort wohl gar nicht mehr braucht….).
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/eu-gipfel-erteilt-deutsch-franzoesischem-plan-fuer-spitzentreffen-mit-putin-absage/
(Das ‘Dialog-Format’ der EU mit Russland solle aber erhalten bleiben, aktuell nur nicht auf ChefInnen-Ebene – na sowas….)
Spontaner Morgeneinfall zum Thema Inflation.
Die Veränderungen im Verhältnis der Preise kann man sicherlich feststellen, mittels Warenkörben, Austausch zum Goldpreis o.ä. Neoprene hat aber bereits darauf hingewiesen, dass auch solcher Vergleich mittels Warenkörben ein sehr veränderliches gesellschaftliches Moment beinhaltet, mal geht die Menschheit ins Kino und raucht hinterher eine Fluppe – mal werden Kinokarten und Alkoholiker-Kosten aus Warenkörben wieder rausgerechnet. Und wer geht denn eigentlich ins viel teurere Musical?
Das betrifft jetzt den Vergleich der Warenpreise. Solche Vergleiche erstellt der Sozialstaat zwecks Erhaltung seiner Lohnarbeiter-Klasse und der Berechnung dessen, was er dafür aufzubringen gewillt ist.
Auch die EU mit ihrem festgelegten Inflationsziel von 2 Prozent kommt in die Bredouille, weil die Rechnungsbasis für die Preisveränderungen sich mit den Konsumveränderungen der Leute ändert. Gibt es also wirklich heute so wenig Inflation? Gehen Miete und Heizgeld korrekt in die EU-Berechnung der Peiserhöhungen rein?
Beim Vergleich der Werte wird es noch einmal komplizierter, die einfache Ware lässt sich nur durch die Gesamtheit all ihrer Wertausdrücke in ihrem relativen (!) Wertgehalt ausdrücken. Da kann man also weder auf der Seite der einzelnen Ware noch der Materiatur ihres Wertausdrucks einfach irgendeinen “Wert” feststellen – denn der ergibt sich erst duch gesellschaftliche Nachfrage und darin Notwendigkeit von ihm. Wie wirkt also die Veränderung in der Produktivität der Arbeit auf die Wertgröße?
Ist “Inflation” also mehr als ein Begriff aus der bürgerlichen VWL?
Zu: Inflation und Staatshaushalt:
“… ökonomische Wahrheit, daß wirklicher Geldwert nur durch Produkte konstituiert wird, in denen sich kapitalistisch lohnend angewandte Arbeit vergegenständlicht hat. Diese Eigenart des kapitalistischen Reichtums, die dessen Liebhabern so fremd ist, wird nicht dadurch außer Kraft gesetzt, daß der bürgerliche Gewaltmonopolist mit der Macht seiner Gesetze den von ihm ausgenutzten Funktionalismus einer durch Schulden geschaffenen „Liquidität“ zur nationalen Geldsache erklärt. Sie macht sich im Gegenteil eben darin geltend, daß sich das so dekretierte Staatsgeld, Maß aller Dinge im kapitalistischen Erwerbsleben der Nation, als einigermaßen relative Angelegenheit herausstellt: Es muß sich selber am eigentlichen Geldwert messen lassen und erweist sich darin als bloßer Geldersatz, daß es im Laufe der Zeit eine immer geringere Portion jener privaten Macht enthält, deren Maß und schlagkräftiger Inbegriff es doch daheim wie in aller Welt darstellt. (…)
Nominelles und reales Wachstum treten auseinander; nomineller und realer abstrakter Reichtum überhaupt unterscheiden sich, weil die Wertminderung ja nicht bloß den Zuwachs, sondern die in nationaler Währung bezifferte und existierende Vermögenssubstanz selbst betrifft. Tatsächlich treten in dieser Differenz – so verfremdet und so dinglich, wie sich das für eine kapitalistische Wirtschaft gehört – das kreditfinanzierte staatliche Wachstumsprogramm und dessen Erfolg zueinander ins Verhältnis; sie ist selber eine praktische Bilanz über das erreichte im Verhältnis zum per Staatsverschuldung antizipierten nationalen Kapitalwachstum – also über das politökonomische Gelingen der Herrschaft im bürgerlichen Staat.
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/staatshaushalt#section23
Ich hatte einmal einen Beitrag vor zum Thema, wie die Inflation berechnet und wie dann mit diesen Zahlen umgegangen wird.
Vielleicht im Sommerloch … 🙂
Säbelrasseln vor der Krim
Kriegsschiff der Royal Navy in der Zwölf-Meilen-Zone: Großbritanniens Premier bestreitet, das sein Land nur knapp einer militärischen Konfrontation mit Russland entging.
Russische Medien sprechen von “Krimkrieg 2.0”
Regierungs- und oppositionsnahe Pressestimmen sind sich weitgehend einig, dass die britische Royal Navy vor der Halbinsel absichtlich provozieren wollte.
Stephan Kaufmann: Deutsches Leadgut
Klimawandel, Iran, Digitalisierung, Corona – die Liste der globalen Probleme ist lang. Für ihre Lösung braucht die Welt laut US-Präsident Joe Biden vor allem eins: »Leadership«, und zwar durch ihn persönlich.
Mit der gleichen Lösung, eine Problemnummer kleiner, warteten diese Woche die Kanzlerkandidaten von CDU, SPD und Grünen bei ihrem Auftritt am Tag der deutschen Industrie auf: Beim Versuch, den Gegensatz zwischen Unternehmensprofit und Klimaschutz zu lösen, »geht es jetzt ums Machen, ums Hinbekommen, um Leadership«, sagte Olaf Scholz. Und Annalena Baerbock sieht die Lösung in »politischer Leadership«.
Es geht also ums »Führen«. Aber was heißt das genau? (…) (Forts.):
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153758.fuehrung-deutsches-leadgut.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Merkel fordert harten Kurs gegen Russland
Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel ein hartes Vorgehen gegen Russland gefordert. »Die Ereignisse der letzten Monate – und nicht nur in Deutschland – haben deutlich gezeigt, dass es nicht reicht, wenn wir auf die Vielzahl russischer Provokationen unkoordiniert reagieren«, sagte sie am Donnerstag in ihrer letzten Regierungserklärung als Kanzlerin im Bundestag. Die EU sei wegen ihrer »räumlichen Nähe« und ihrer »Verantwortung« gegenüber »Ländern in der östlichen Partnerschaft« gefordert, auf »russische Aktivitäten« zu reagieren. (dpa/jW)
Kreml begrüßt Initiative für EU-Russland-Treffen
Moskau. Russland begrüßt eine von Deutschland und Frankreich ins Gespräch gebrachte Rückkehr zu Spitzentreffen zwischen Brüssel und Moskau. »Wir bewerten diese Initiative positiv«, sagte der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, am Donnerstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Wladimir Putin sei dafür, wenn es darum gehe, Dialog und Kontakte zwischen Brüssel und Moskau wiederherzustellen. Der neue Vorstoß von Berlin und Paris sollte am Donnerstag beim EU-Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs diskutiert werden. Den bislang letzten EU-Russland-Gipfel hatte es im Januar 2014 gegeben. (dpa/jW)
Hardliner schotten EU ab
Merkel und Macron scheitern bei Gipfel mit Vorstoß zur Annäherung an Russland. Türkei weiterhin Türsteherin
Von Jörg Kronauer
Erbitterter Streit hat den am Freitag zu Ende gegangenen EU-Gipfel in Brüssel dominiert. Heftige Debatten tobten zum einen um die Russland-Politik. Wie erwartet, einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs zunächst auf ein noch konfrontativeres Vorgehen gegen Moskau. So soll nun ein Plan erarbeitet werden, der bei unbotmäßigem Verhalten der russischen Regierung neue Strafmaßnahmen vorsieht. Er soll explizit auch Wirtschaftssanktionen umfassen. In der offiziellen Gipfelerklärung heißt es, man sehe »die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten« auf »jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands«. Die EU-Kommission hatte bereits in der vergangenen Woche den »weiteren Niedergang« der Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau prognostiziert.
Fand die weitere Zuspitzung des Konflikts mit Russland unter den 27 Staats- und Regierungschefs allgemeine Zustimmung, so gab es heftige Auseinandersetzungen um den Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, in Zukunft auch wieder Treffen mit dem russischen Amtskollegen Wladimir Putin abzuhalten. Merkel und Macron hatten sich intern vor einer Woche darauf geeinigt und den Vorschlag zunächst am Mittwoch beim Treffen der EU-Botschafter präsentiert, bevor sie ihn am Donnerstag dem EU-Gipfel vorlegten. Zur Begründung hieß es, es gehe nicht an, dass US-Präsident Joseph Biden sich – wie etwa vergangene Woche in Genf – mit Putin treffe, die EU aber keinerlei direkten Kontakt habe. Eine Rolle gespielt haben mag, dass Brüssel sich mit seiner ausschließlich konflikteskalierenden Politik in Abhängigkeit von antirussischen Hardlinern in den baltischen Staaten sowie in Polen und damit von deren Bezugspunkt Washington begibt. Eine eigenständige Weltpolitik, wie sie Berlin und Paris anstreben, setzt größere eigene Spielräume voraus. Der Merkel/Macron-Vorstoß wurde von ebenjenen Hardlinern unterbunden.
Mindestens so heftige Auseinandersetzungen gab es um das neue ungarische »Gesetz zur Einschränkung der freien Information über Homo- und Transsexualität«, das die Darstellung nichtheterosexueller Beziehungen unter Jugendschutz stellt. Regierungschef Viktor Orban wurde dafür ungewohnt heftig attackiert; der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte forderte ihn sogar explizit auf, für sein Land ein EU-Austrittsverfahren einzuleiten, sollte Budapest das Gesetz nicht rückgängig machen. Der belgische Premier Alexander De Croo berichtete, die EU-Kommission habe klargestellt, sie werde in der Sache »ein Vertragsverletzungsverfahren starten«. Unterstützung unterhielt Ungarn lediglich von Polen und von Slowenien.
Einigkeit herrschte in Brüssel unter anderem bei der Inkraftsetzung der jüngsten Sanktionen gegen Belarus, die den Handel unter anderem mit Öl- und Gasprodukten treffen und Beschränkungen beim Zugang zum EU-Kapitalmarkt vorsehen. Keinen Widerspruch gab es auch dagegen, dass der »Flüchtlingspakt« der Union mit der Türkei verlängert wird. Ankara wird also weiterhin für die EU, die sich penetrant als Hüterin der Menschenrechte inszeniert, den Türsteher bei der Abwehr unerwünschter Kriegs- und Armutsflüchtlinge spielen. Im Gespräch ist eine Ausgleichszahlung im Wert von rund 3,5 Milliarden Euro bis 2024.
Moskau antwortet
Bewusste Provokation durch britisches Kriegsschiff vor der Krim: Russischer Anspruch auf Küstengewässer sollte herausgefordert werden
Von Reinhard Lauterbach
Von 1945 bis 1991 war es gemeinsame Position des kollektiven Westens, die Eingliederung der baltischen Staaten in die Sowjetunion diplomatisch nicht anzuerkennen. Trotzdem folgte daraus nicht mehr, als dass sich in Westeuropa und den USA eine baltische Emigrantenszene etablierte, die sich mit staatlicher Duldung auf den »Tag X« vorbereitete. Keinem NATO-Kriegsschiff fiel es ein, während der Zeit, in der die Ostküste der Ostsee sowjetisch war, in der Rigaer Bucht oder der estnischen Inselwelt spazierenzufahren und zu behaupten, dies seien schließlich internationale Gewässer.
Dieser historische Vergleich macht den Grad der Provokation deutlich, den sich das britische Kriegsschiff »HMS Defender« am Mittwoch geleistet hat. Der russische Anspruch, mit der Eingliederung der Krim 2014 auch deren Küstengewässer einschließlich Zwölfmeilenzone übernommen zu haben, sollte ganz praktisch herausgefordert werden. Und von wegen »friedliche Passage«: Ein »eingebetteter« BBC-Reporter, der an Bord der »HMS Defender« mitfuhr, berichtete, dass die Besatzung das Schiff schon vor dem Eindringen in die zumindest faktisch russischen Territorialgewässer gefechtsklar gemacht habe. Der Kommandeur und seine Vorgesetzten wussten genau, was sie taten.
Und haben bekommen, was zu erwarten war: eine »überaus robuste Reaktion«, wie die BBC kommentierte. Nach Beschattung, Überflügen und Warnschüssen dann offenbar Warnbomben. Dass London das Bombardement bestreitet, macht die Sache nicht besser. Auch wenn es dort heißt, die »HMS Defender« sei vorab über russische Schießübungen im Schwarzen Meer vor der Krimküste informiert worden. Denn wer mitten in ein Manöver eines anderen Staates hineinfährt, will dieses stören – oder provozieren, zum Opfer eines »zufälligen Treffers« zu werden, mit allen Optionen weiterer Eskalation.
Das Ganze passt in das Szenario, das die NATO mit ständigen Marinemanövern im Schwarzen Meer seit einigen Jahren verfolgt: die faktische Seeherrschaft Russlands zu bestreiten und zu testen, ob eine »kürzeste Route« ausgerechnet zwischen der Ukraine und Georgien für die NATO befahrbar ist. Sollte Russland das dulden, wäre seine Schwarzmeerflotte, ob mit oder ohne Sewastopol, wieder in ihren Häfen blockiert; genau, wie es eingetreten wäre, wenn die Krim 2014 in westliche Hände gefallen wäre. Die ganze »Annexion« wäre nachträglich zwecklos geworden.
Kiew plant für Ende August aus Anlass des 30. Jahrestags der ukrainischen Abspaltung von der UdSSR die Einberufung einer sogenannten Krimplattform, auf der Wege zur Rückgewinnung der Halbinsel erörtert werden sollen. Wenn der »HMS Defender«-Zwischenfall ein Versuch war, aus Sicht einer der militärisch potenten Mächte praktisch zu testen, wie weit der Westen bei seiner Unterstützung des vorläufig theoretischen ukrainischen Anspruchs gehen kann, dann hat er eine Antwort erhalten.
Mir scheint sich eine eigenartige Konkurrenz der NATO-Mitglieder im Verhältnis zu Rußland zu entwickeln.
Als wollten einerseits die EU-Mitglieder den USA signalisieren: Gegen Rußland sind wir dabei – um dann bei China etwas weniger Feindschaft zeigen zu müssen, von wegen Export und Import und Lieferketten und Wachstum usw. usf.
Dann entwickelt sich unter den EU-Staaten eine eigene Konkurrenz zwischen denen, die Frontstaaten sein wollen und denen, die von Rußland doch noch Gas kaufen wollen, und überhaupt …
Eine Sonderstellung nimmt Großbritannien ein, das sich hier als militärische Macht profilieren will, um zu zeigen, daß es allen in Sachen Kriegsbereitschaft noch einen Schritt voraus ist.
Gas hat es selber, und in Sachen Rüstung ist es den meisten EU-Staaten um Nasenlängen voraus.
Eine beunruhigende Mischung …
Libelles Argumentation oben : http://NestorMachno.blogsport.de/2021/05/12/imperialismus-heute-fortsetzung-mai-2021/#comment-43250 geht von der Vorstellung aus, dass die aktuellen Konjunkturprogramme der USA deswegen aufgelegt würden, weil per Inflationierung die Schulden quasi automatisch verschwinden würden, denn so könne und wolle vor allem die USA die Kosten der Krise weginflationieren.
Dass eine Währung durch viele Schulden ‘angekratzt’ werde, ist z.B. an Argentinien (oder an der Türkei) deutlich. Es ist auch ein Moment des Vergleichs bei den Welt-Währungen untereinander. Allerdings haben die konkurrierenden Weltgelder in ähnlichem Umfang ja ebenfalls riesige Schulden aufgenommen, so dass dies vermutlich eher für die EURO-Schulden relevant werden könnte, – denn diese werden traditionell vom Finanzkapital ihrer Verschuldung wegen skeptisch beäugt, nicht nur wegen des Ausmaßes der Schulden, sondern auch wegen der zweifelhaften Konstruktion der sie garantierenden Gewaltinstanz, denn die EU-Zentrale ist kein staatlicher Gewaltmonopolist. (Schuldenbremese und Schwarze Null waren daher Vorstellungen in Europa. Von den USA habe ich ähnliches selten gehört.)
Aber in Europa ist der haushalterische Standpunkt gar nicht verschwurnden. Im Gegenteil wird immerzu verkündet, dass die Corona-Bonds eine einzige Ausnahme gewesen seien, und ansonsten würden die Maastricht-Kriterien etcpp weiterhin gelten.
Der Zweck des Schuldenmachens wird m.E. von Libelle doppelt bestimmt. Einerseits ist der m.E. wirkliche Zweck schon auch bei Libelle unterstellt, dass es um die Schaffung bzw. Eroberung bzw. Absicherung von weltweiten Märkten für das nationale Kapital geht, für dessen Wachstum sich der Staat neue Schulden leistet. (‘Konjunkturprogramm’ o.ä. unter Corona-Bedingungen.) Andererseits wird behauptet, beim und zum Schuldenmachen sei ihre Sorge, dass die Schulden ihnen zukünftig ihren Nationalkredit, also ihr Mittel, würden entwerten können, deswegen würden sie ausnutzen wollen, dass dieser Haken dadurch aktuell wegfallen könne, denn die Schulden würden per Inflation aktuell ja automatisch weniger bzw. verschwinden würden.
Und diese Kalkulation würde die riesigen Konjunkturprogramme der USA erklären, die sich quasi mittels riesiger Schulden nationale Vorteile sichern und gleichzeitig ihre Schulden (mittels Inflationierung) abbauen würden.
Auffällig, was die Geldpolitik der USA betrifft, ist aber, dass sie ihre Schuldenmacherei nach wie vor – auch – als Geschäft fürs Finanzkapital betreiben, also interessiert daran sind, dass ihre Schulden als Geschäft aufgekauft werden. Das würden sie nicht, würde man kalkulieren, dass sie morgen oder übermorgen nichts mehr wert wären. Im Gegenteil wird ganz anders kalkuliert, und dafür sogar noch Geld draufgezahlt! (Anleger nehmen sogar “Negativ-Zinsen” in Kauf, um in staatliche Titel gehen zu können, die ihnen nämlich als Sicherheit gelten. – Und nicht als Unsicherheitsfaktor…)
Die nämlich ganz andere Planung der USA geht so weit, dass sie (angeblich?) kalkulieren, den Zins des Dollars langsam sogar wieder anheben zu wollen, um die Attraktivität ihrer Währung zu steigern, als Konkurrenz zu den anderen Weltwährungen.
Dass der Standpunkt gelten würde, die USA wolle immerzu weiter Schulden machen, um damit die USA auch weiter zu entschulden (wofür übrigens?) – das sehe ich also so wenig – wie ich entdecken kann, dass es die von dir dargelegte Inflationierungstendenz als Zweck staatlichen Handelns geben täte.
Ein EU-Bericht über die deutschen Corona-Gelder:
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/eu-kommission-billigt-deutschen-ausgabenplan-fuer-corona-hilfsfonds/
Ein paar Bedenken, inwiefern man staatliches Konjunkturprogramm und kapitalistisches Wachstum denn überhaupt auseinander (be)rechnen könne, entwickelte Stephan Kaufmann schon vor 5 Monaten angesichts des ideologischen VWL-Begriffs eines “Fiskalmultiplikators”
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-mythische-macht-fiskalmultiplikator
@Leser
Mir fehlt im Moment die Kraft das Thema für mich erschöpfend zu behandeln. Deshalb mal ein paar Thesen, in welche Richtung ich das denke.
Die These 0 ist: Man kann das nicht in der Form abhandeln wie alles bisherige.
These 1:
Da gibt es zunächst einmal eine Frage: Unter welchen Umständen kann es denn sowas wie den US Dollar als Weltreservewährung geben? Ich meine nur unter den Umständen, dass die kapitalistische Konkurrenz marginalisiert ist (sowohl ökonomisch als auch gewaltmäßig). Ganz formell kann man jetzt schließen: Entweder die USA führen einen erfolgreichen Krieg gegen China oder schließen es aus dem Weltmarkt aus, oder die Hegemonie des US Dollar ist an ihrem Ende. Aus dieser Perspektive sollte man mal über das Problem nachdenken, bevor man sich den Kopf über “Währungskonkurrenz” zerbricht. Alle bisherigen Artikel aus dem Gegenstandpunkt, auf die du immer verweist und die das Thema Währungskonkurrenz behandeln, behandeln das auf der Grundlage des Dollar-Systems, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass es eine konkurrenzlose Währung gibt und konkurrierende Währungen bestenfalls den Anspruch haben das Gleiche wie der Dollar zu sein. Euro,Yen,Pfund sind Alternativen innerhalb des Dollar-Systems. Ein Währungsssystem in dem es wirklich konkurrierende Währungen gibt, in dem also keine der Währungen die allgemein gültige Wertmateriatur ist, hat einen Anker – Gold. D.h. da wird je nach Bedarf der Überschuss auswärtiger Währung, der sich bei der eigenen Nationalbank sammelt mit Gold saldiert. Das ist also das, was sehr wahrscheinlich stattfindet, wenn der Dollar seinen Weltreservestatus verliert und der Übergang da hin ist krisenhaft evtl. sogar mit Krieg und allem, was dazugehört.
Das ist der erste Komplex.
These 2:
Wie leben die USA mit ihrem Dollar, der (noch) Weltgeldstatus genießt? Weltgeld ist er darin, dass die ganze Welt ihn als Reserve und Geschäftsmittel nachfragt. Das bringt die USA in eine einzigartige Position: Ihre Schulden sind weltweit gültiger Reichtum! Der Beweis muss nicht durch die Konkurrenzfähigkeit ihrer nationalen Ökonomie angetreten werden, sondern wird weltweit, indem alle Welt Reichtumsvermehrung in Dollar bilanziert, vergleicht, anstößt etc… d.h. durch den bloßen Umstand dass Geschäft stattfindet geführt. Das ist was ganz anderes als der Euro oder der Yen.
Und das heißt die USA waren der einzige Staat der Welt, der sich ohne Rücksicht auf seine nationale Ökonomie, was dort an Reichtumsproduktion stattfindet etc… verschulden konnte, was du an ihren gigantischen Handelsbilanzdefiziten z.B. merkst. Das hat aus den USA etwas anderes gemacht. Ihr Reichtum steht und fällt mit der von ihnen eingerichteten Weltordnung, mit ihrem Dollarsystem, aber nicht damit wie die Bilanzen von Cantepillar und Google sind. Die Weltwirtschaft ist der Dollarraum.
Was heiß jetzt das Auftauchen von (ernsthaften) Konkurrenten für die USA? Antwort: Ihre Durchsetzung würde den Ruin dessen, was die USA sind bedeuten. Nicht nur eine Krise, sondern ihr eigenes Ende sehen sie in den Konkurrenten.
Wie geht nun das Staatsprogramm der Weltmacht USA hinsichtlich der Mittel? Naja, das steht und fällt mit ihrer Verschuldungsfähigkeit, die damit steht und fällt, dass der Dollar seine Hegemonie behauptet. Dafür brauchen sie ihren Militärapparat z.B. usw… den sie mit den Schulden in eine Form bringen, dass er weltweit möglichst konkurrenzlos ist. Und man sieht es sind 1-2 Staaten auf der Welt unterwegs, die ökonomisch und militärisch das Potential haben dagegen zu halten.
Der Weltmarkt als Ansammlung konkurrierender Nationalstaaten ist halt ein Widerspruch.
Dieser Weltmarkt hat den USA einerseits eine ungekannte Verschuldungsfähigkeit beschert (kein anderer Staat konnte sich auf die Weltwirtschaft als seine ökonomische Basis berufen), andererseits aber ein immer weiter beschleunigtes Wachstum dieser Schulden. Kann das immer so weitergehen?
Man kann sagen – naja, wenn es keine Alternative gibt schon. Es gibt aber immer eine und das ist Gold (oder andere reale Werte) d.h. wenn die Verschuldung in einem Maß zu Inflation führt, das z.B. nicht mehr ermöglicht den Wert in Dollar festzuhalten, dann fängt man an Bartergeschäfte zu machen oder eben in Gold zu bilanzieren. Es ist also nicht nur eine Frage, ob alle möglich in Frage kommenden alternativen Nationalkredite im gleichen Maß entwerten wie der Dollar. Der Staat kann das dann verbieten (hat er ja tw.) aber – er setzt seine Gewalt dann eben gegen den Umstand ein, dass sein Nationalkredit nicht als Wertmateriatur taugt (weil er sich ständig entwertet).
Und ich denke ein bisschen ist die Welt an so einem Punkt. Die Schulden sind in einem Maß gewachsen, das ein weiteres Schuldenwachstum zu ihrer Rechtfertigung nötig macht, dass die Eignung der Nationalkredite als Wertmateriatur in Frage stellt. Und das Verbot von alternativen löst das Problem für die Staaten nicht. (an den Punkt sind die Staaten gekommen, weil sie eben ihren Nationalkredit nach belieben vermehren können – dafür braucht es nicht mal genügend Nachfrage von Banken usw… wie man seit 2008 gesehen hat – und alle haben sich, weil sie Entwertung bei sich verhindern wollen praktisch zu diesem gemeinsamen Standpunkt durchgearbeitet und seitdem wird gedruckt was immer gebraucht wird )
These 3:
Wie wirkt Inflation auf die in Nationalkredit denominierten Schulden? Zunächst erhöht die Inflation das Streueraufkommen, weil nominell höhere Profite und Löhne verzeichnet werden. D.h. die Staaten müssen sich weniger verschulden.
Wird die Inflation nun dadurch ausgelöst oder verschärft, dass Sparguthaben etc…versuchen vor der Inflation zu fliehen und z.B. Rohstoffe nachfragen, dann ist diese Inflation nichteinmal durch Staatsschulden ausgelöst, sorgt aber dennoch für ein höheres Steueraufkommen. Faktisch würde der Staat so seine Gesellschaft ein Stück weit enteignen (und die USA den “Dollarraum”, also die Weltwirtschaft).
Die Inflation kann hat also das Potential Schuldner auf Kosten derer, die Guthaben haben zu entschulden.
These 4:
Die Schuldenstreichung (die Kontraktion des Kredits stattfinden zu lassen) ist für keinen Staat Programm, sondern das Programm ist immer Wachstum zu erzeugen d.h. den Kredit zu rechtfertigen und zu vermehren die Schulden zu bedienen etc.. und die einzige Möglichkeit das zu tun ist immer mehr Schulden aufzunehmen (und zwar beschleunigt mehr). Und das machen sie und das ist zunächsteinmal der Grund für die Konjunkturprogramme – nur sie sind sie an einem Punkt angekommen, an dem sie die Rücksicht auf die wertmäßige Stabilität des Nationalkredits fallen lassen (müssen) bzw. radikaler fallen lassen müssen als bisher.
Jetzt kann man sich darüber streiten inwiefern ihnen das klar ist, wie weit sie das bis zu ende denken. Ich meine sie wissen das. Sie treiben ihr bisheriges Verfahren weiter und bereiten ihre Staaten gleichzeitig auf ein mögliches “danach” vor, in dem die USA vielleicht auf ihre nationale Reichtumsvermehrung zurückgeworfen sind, weil der Dollar seinen Status verloren hat. Gleichzeitig versuchen sie diesen Status zu halten und China in die Schranken zu weisen.
So ungefähr.
Nachgefragt:
“Die Schulden sind in einem Maß gewachsen, das ein weiteres Schuldenwachstum zu ihrer Rechtfertigung nötig macht, dass [wer, wodurch, wie?] die Eignung der Nationalkredite als Wertmateriatur in Frage stellt. Und das Verbot von alternativen löst das Problem für die Staaten nicht.” (These 2)
Weiteres Schuldenwachstum – das gilt inzwischen 2021 ja fast als business as usual – mache es “nötig”, dass – wer denn???? – “die Eignung der Nationalkredite als Wertmateriatur in Frage stellt.”
Das Subjekt, das etwas nötig mache, das ist vermutlich eines derer innerer Widersprüche an und für sich? Oder eine Verbindung des Geldes von China und Russland als Alternative? Falls du an so was denkst, das wird nicht einfach als alternatives Weltgeld mal eben “verboten”. Das ist bereits verboten. Vgl. Iran-Geschäfte.
Dass die paar führenden Nationalkredite als Weltgelder n i c h t generell in Frage gestellt werden dürfen, ist überdies meines Wissens derzeitige gemeinsame Ausgangsbeschluss-Lage der gesamten kapitalistischen Staaten: explizit aller. Die G7 garantieren für die Benutzbarkeit der paar Welt-Währungen untereinander, vgl. oben, z.B. Einräumung von Sicherheiten, SWAPs etc. – sogar unter Trump war das ja auch der Standpunkt der USA. Derzeit meines Wissens gleichfalls.
Und deren immer wieder bekräftigter Zusammenschluss als G7 richtet sich nicht gegen einen staatlichen neumächtigen neuen Souverän, – wen auch -, sondern gegen privates Spekulationskapital, also das Austesten und Gefährden des Bestandes von Weltwährungen durch privates Finanzkapital.
Weiteres Schuldenwachstum stellt also n i c h t die Eignung der Weltwährungen in Frage, auch nicht, wenn es so formuliert wird: “die Eignung der Nationalkredite als Wertmateriatur”. Um den “Wert” bekümmert sich der Kapitalismus nämlich nicht, da geht es um den Preis, um den Gewinn, der zu erzielen ist, und um das Wachstum des Kapitalismus auf ihrem Standort, für den sie die ganze Welt benutzen wollen.
—
Ob und wie es unterschiedliche Weltgelder geben kann, und dass die ganze Welt dabei als Dollar-Raum okkupiert sei, was notwendig schief gehen müsse oder so ähnlich – darüber muss ich noch mal nachdenken…
Dass die Goldware aus sich heraus ein besseres allgemeines Zugriffsmittel auf Reichtum sei, und dafür jetzt schon bereit stünde, ist ein weiterer Punkt, der mir Kopfzerbrechen bereitet.
Dass Gold für die Saldierung von Überschüssen etc. (die auf Dollarbasis berechnet wurden!) eingesetzt würde, war etwas, das vor der freien Konvertibilität der Währungen auch mal Praxis war, und ich meine mich zu erinnern, gelesen zu haben, dass die USA wegen ihrer Verschuldung im Vietnöm-Krieg Schulden an Frankreich in Gold-Form haben überweisen müssen, weil damals die Währungsverhältnisse zwischen den Währungen festgelegt waren und saldiert werden mussten. Und nachdem De Gaulle einmal darauf bestanden hat, wurde dieser Mechanismus von den USA beendet.
Anschließend wurden von den G7 (mit Schmidt und Giscard d’Estaing) mit festgelegtem Ritual dogmatische Beschlüse gefasst über Auf- und Abwertungen von Währungen, woran vorher und nachher dann auch Spekulanten verdient haben, die rechtzeitig Milliarden derjenigen Staatsgelder gebunkert hatten, die nach dem G7-Beschluss dann plötzlich per Beschluss mehr Wert waren, – und obendrein mit ihren Spekulationen selber komplette Staatsgelder aushebeln konnten. Also sind in einem dritten Schritt Veränderungen in den Währungsverhältnissen anschließend nicht mehr reguliert worden, sondern die Notenbanken “beeinflussen” die Preisbildung der WÄhrungen mit allerlei Mechanismen – und regulieren den Marktmechanismus insgesamt mittels Staatseingriffen (wie nach der Pleite der Lehman-Bank oder eben in Corona-Zeiten mit riesigen Krediten – bei beiden Anlässen mussten die Staaten sich das wechselseitig erlauben, was sie getan haben, um nicht selber dabei unterzugehn.). Vorbehalten haben sich die Veranstalter des Börsenzirkus aber das Recht, den auch außer Kraft setzen zu können. Wiewohl sie ihre Beschlüsse anscheinend gerne an Wochenenden oder über Feiertage präsentieren, um den Börsenheinis erst anschließend neue Daten für deren Spekuliererei zu bieten. Statt Aufwertung und Abwertung von Währungen vorzuschreiben, werden den Finanzmärkte Daten von den G7 für die Spekuliererei der Finanzmärkte an die Hand gegeben.
Dass aus den Drangsalen dieser Historie der Währungsturbulenzen die Rückkehr zur Goldware nahe liegend wäre, ist bloß eine Behauptung. Als weltweites Zugriffsmittel auf Reichtum wird Gold im Verkehr heute kaum verwendet, es taugt eher zur Diversifizierung der Spekulationsobjekte weltweiter Anleger.
Mir scheint, dass Libelles Gedanken in unzulässiger Weise die kapitalistischen Drangsale nationaler Währungshüter mit Spekulationen aus Sicht von Werttheorien oder Marx-Exegesen vermischen. Währungshüter oder G7-Teilnehmer sind keine Werttheoretiker sondern eher Durchsetzer nationaler Interessen.
Die nationalen wirklichen Währungshüter gehen ziemlich stur und pur nur nach ihren nationalen kapitalistischen Interessen vor, und dafür müssen öfters mal die Währungen der anderen Konkurrenten aber eben dafür benutzt werden. So stellen sich ziemlich notwendig beim weltweiten Kaufen und Verkaufen Schadensfälle her, die entweder national ausgenutzt werden, oder aus nationalem Interesse nicht abgewickelt werden. So erklärt sich die Zustimmung der BRD zu den EU-Corona-Bonds: die Absatzmärkte für deutsche Industrie europaweit sollen erhalten bleiben.
Insofern ist die Gemeinsamkeit der G7 ein fragiles Resultat, und wird im Regelfall mit Phrasen über freien Welthandel, Modernisierung, Wettbwerb, Digitalisierung und Klimapolitik befestigt – bzw. gibt es gelegentlich wie unter Trump auch mal kein gemeinsames Kommunique. Das heißt aber auch nicht, dass die G7 deswegen auf Gold setzen würden.
Dass die Darstellung im Buch “Imperialismus 1” inzwischen historischen Staub angesetzt habe, mag sein. Nach wie vor geht es aber – damals wie heute – vor allem auch um den Dollar:
https://de.gegenstandpunkt.com/kapitel/imperialismus-1/unterwerfung-fremder-nationen-unter-beduerfnisse-kapitals-kapitalexport#toc_439731033
Zufälligerweise heute be Facebook gefunden:
“OnThisDay, 27 June 1893, the New York Stock Exchange crashed.
Karl Marx wrote that “from time to time the conflict of antagonistic agencies [the counteracting causes] find vent in crises. The crises are always but momentary and forcible solutions of the existing contradictions. They are violent eruptions which for a time restore the disturbed equilibrium”.
ℹ️ As stocks fell in 1893, people exchanged greenbacks for gold. The U.S. Treasury became unable to give people gold in exchange for currency, which compounded the crisis. As the treasury was required by the Sherman Silver Purchase Act to provide silver or gold in exchange for these notes. The Sherman Silver Purchase Act of 1890 compelled the Treasury to purchase 4.5 million ounces of silver every month at market value. The government purchased almost the total output of all silver mines.
The repeal of this act caused a decline in the value of silver and gold. This led to the closing of silver mines and related financial losses. This caused more than 16,000 businesses to fail by the end of 1893. Included in the failed businesses were 156 railroads and nearly 500 banks. Unemployment spread until one in six American men lost their jobs. The depression inspired “Coxey’s Army” a march on Washington of unemployed men. The protesters demanded that the government
provide public works jobs. Their leader, Jacob Coxey, was imprisoned for 20 days.
Auch von da:
“The mid-Victorian boom, & the Edwardian boom were driven by increased gold production.
This was the basis for the increased investment & consumption.
And because the boom gets accompanied by increased leverage & speculation, & so price increases, eventually the chain of credit breaks.
Hence the booms were followed by the Long Depression & the Great Depression, with the accompanying price decreases.
We had a similar boom after WWII with South African & Russian gold production, along with the huge destruction & devaluation of capital from the depression & the war, which restored the rate of profit.
By the late 60’s the US had created too many $ to maintain the $ at $35 per ounce.
The collapse of Bretton Woods & the devaluation of the $ to about $350 per ounce gave us stagflation instead of an outright depression with deflation.
In terms of weights of gold, commodity prices & wages were deflated.
And the Volcker Shock to save King $, & the accompanying deindustrialisation of the West, further restored prices to their values.
China & other cheap labour countries were then able to develop their productive forces working hand in glove with Western multinationals & investment banks.
Much of the US & UK working class have subsequently ended up with bullshit jobs & chronic insecurity.
Now of course the US ruling class has woken up to the fact that they have helped develop China into a rival super-power.
All fuelled by excessive printing of $’s & T-Bills.
The Fed & the BofE have forgotten ‘moral hazard’ & are having to keep the asset price bubble from deflating.
In so doing they are debasing their currencies.
The economic troubles lead to WWIII.”
Währungsturbulenzen, Weltmarkt, Inflation (und Zinserhöhungstendenzen) 2021 (und nicht 1893…) sind hingegen hier zum Thema gemacht:
“Die Emittenten dieser Gelder, die Staaten mit ihren Notenbanken, erfahren eine Einstufung als kapitalistisch mehr oder weniger, voll oder gar nicht geschäftsfähige ökonomische Subjekte, auf deren Geldgarantie mehr oder weniger oder am Ende gar kein Verlass ist. Sie sind mit einer praktisch gültigen, wirksamen Entscheidung darüber konfrontiert, was sich international mit ihrem Geld anfangen lässt und was sie folglich selbst mit ihrem Produkt international anfangen können; mit welcher Zahlungsfähigkeit im Welthandel die Geschäftswelt ihres Landes beim Gebrauch der nationalen Währung dasteht und ob überhaupt mit einem auswärts einsetzbaren Zugriffsmittel; ob sie mit ihrem Geld bei anderen Notenbanken Sicherheit stiften, also willkommen sind oder sich die Forderung nach Rücknahme und Umtausch in besseres Geld einhandeln. Der Gebrauch ihres Geldes durch die Außenwelt ist eine Ver- resp. Misstrauenserklärung. Und die können sie gar nicht ernst genug nehmen. Denn die betrifft sie existenziell, in ihrem Stellenwert als Teilhaber des Welthandels.”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/konkurrenz-kapitalisten-iii#section36
https://www.heise.de/tp/features/Inflationsraten-steigen-deutlich-6120485.html?seite=all
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1149149.inflation-preise-und-klasse.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
Also, da ist einiges zusammengekommen.
@Libelle
Ich weiß ja nicht, ob es bei Libelle wirklich in dieser Form gemeint ist, aber gezielte Inflation als Entschuldung ist unmöglich.
Erstens, weil bei dem angeführten Beispiel der Rohstoffpreiserhöhung ja nicht der Emitettent der Währung, also der Staat, das Subjekt ist. Daß sich Rohstoffpreise erhöhen, ist von Standpunkt derjenigen Nationen, die diese Rohstoffe verarbeiten, ärgerlich, weil es den Preis ihrer Waren auf dem Weltmarkt verteuert und daher über die verfallende Handelsbilanz ihre Schulden erhöht.
Aufgelegte Konjunkturprogramme dienen keineswegs der Steigerung der Inflation, also des Werteverfalls einer Währung. Weder der Absicht nach, noch dem Effekt nach.
Kein Staat hat Interesse am Verfall seiner Währung durch galoppierende Inflation, weil das ja seine Währung erstens im Ausland als Weltgeld, aber auch im Inland als Maß der Werte unbrauchbar machen würde.
Es haben sich allerdings die USA von den 50-er bis in die 80-er Jahre durch Abwertung des Dollars teilentschuldet, das ging aber nur, weil andere Währungen eben durch ihre Aufwärtsbewegung einen Teil dieser US-Schulden aufgefangen haben.
Dieser Weg ist aber heute aufgrund der Änderungen im Weltwährungssystem überhaupt nicht gangbar, und hätte auch bei der bis heute angewachsenen Schuldensumme sowieso kaum Bedeutung.
Ein anderes, gegenteiliges Beispiel ist Italien, das seine Produktion durch ständige Abwertung und hohe Inflation der Lira auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig gehalten hat und deshalb schon mit einem gewaltigen, die Maastricht-Kriterien übersteigenden Schuldenberg in den Euro eingetreten ist.
Bei dieser Währung hat die Inflation Schulden erhöht.
@Neoprene und die anderen
Immer wieder geistert Gold als Wertmaterie durch die Diskussion – nicht nur hier, auch in bürgerlichen Medien.
Die Zeit von Gold ist längst vorbei, das ist einmal zur Kenntnis zu nehmen. Das westliche Währungssystem kann mit Gold nichts anfangen, weil sich seine Geldemission von jeder realen Produktion gelöst hat und nur noch auf der eigenen Verschuldungsfähigkeit beruht.
Hier ist Gold nur mehr eine Ware unter anderen und ein Objekt der Rohstoffspekulation. Diese wird allerdings durch so Gerüchte und Visionen von Golddeckung beflügelt, weil viele dann Gold als vermeintlich sicheren Hafen einkaufen – wie die Geschäfte von Degussa & Co. zeigen.
Alternative Währungen werden nicht einfach „verboten“. Es wird eher einiges dazu getan, daß sie gar nicht erst entstehen. Eine Währung tritt ja nicht einfach auf den Weltmarkt und sagt. Hoppla, hier bin ich! Akzeptiert mich doch als Kauf-, Zahlungs- und Schatzmaterie!
Ich erinnere an das Projekt der BRICS. Damals wollten 5 Staaten sich aus dem Dollar-System ausklinken und auf bilaterale Verrechnung umsteigen, also ihre Währungen gegenseitig als grenzüberschreitende anerkennen.
Da haben die USA einiges getan, um dieses Projekt zum Fall zu bringen.
Der Sturz Roussews und die Wahl von Bolsonaro in Brasilien, sowie die Regierung Modi in Indien haben einiges getan, um sich aus diesem BRICS-Projekt auszuklinken. Man kann sagen, daß das ihren nationalen Ökonomien nicht gerade gut getan hat. Aber Hauptsache, sie kehren China und Rußland den Rücken.
Südafrika hingegen hat sich, so mein Eindruck, nicht positioniert und wartet ab, wie die Sache weitergeht.
China wiederum scheint von seinem Projekt, den Renminbi zur Weltwährung zu machen, vorläufig Abstand genommen zu haben.
“Die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA haben den Euro zuletzt belastet. Die Gemeinschaftswährung gab in den vergangenen Tagen von Kursen bei 1,22 auf unter 1,19 US-Dollar nach. Als Erklärung für diese starke Bewegung verwiesen Experten auf die Zinssitzung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die amerikanischen Währungshüter hatte nach einer jahrelangen Nullzinspolitik Zinserhöhungen zumindest auf ein längere Sicht in Aussicht gestellt. Bis zum Jahr 2023 sind demnach zwei Zinserhöhungen zu erwarten. (…) Für Herbst und Winter erwarten Experten wie die der Commerzbank wieder eine nachlassende Inflationsdynamik in den USA. Dann könne es “mit der US-Dollar-Euphorie auch wieder schnell vorbei sein”…
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/euro-schwaeche-us-dollar-staerke-leitzinsen-fed-ezb-101.html
… das meint tagesschau.de; Business as usual. Ich werde mich nun mit anderem Zeux beschäftigen ….
Na ja, das betrifft eben das Verhältnis vom Dollar zu den anderen Weltwährungen.
Da ist im Sommerloch weiterhin Business as usual zu erwarten.
Zu den Alternativen von
@Libelle
ist zu bemerken, daß die USA sich bei ersterem – zum Glück – derzeit keine Chancen ausrechnen und zwar gegen China auf die Pauke hauen, sich aber für einen solchen Waffengang noch etwas fiter machen wollen.
Um so mehr, als sich ausrechnen läßt, daß Rußland und Europa daran auch beteiligt wären.
(Der III. Weltkrieg wäre der letzte.)
Das zweite ist möglich, nur was bedeutet das?
Das Ende einer Leitwährung und das Erstarken einer neuen, oder das Ende von grenzüberschreitenden nationalen Geldern, also Weltwährungen überhaupt?
Wenn Nestor kategorisch sagt,
“Die Zeit von Gold ist längst vorbei, das ist einmal zur Kenntnis zu nehmen. Das westliche Währungssystem kann mit Gold nichts anfangen, weil sich seine Geldemission von jeder realen Produktion gelöst hat und nur noch auf der eigenen Verschuldungsfähigkeit beruht.”
dann muß man dem ja einerseits Recht geben, Gold interessiert nur die paar Anleger wirklich und auch wenn selbst dieser “kleine” Markt weltweit riesig ist.
Man schätzt, daß insgesamt in der Geschichte der Menschheit rund 175 Millionen Kilo Gold “produziert” wurden, davon 3 Millionen Kilo im letzten Jahr. Allein am Londoner Markt für “echtes” Gold, dem wohl größten der Welt, wird das meiste der rund 10.000 Kilo Gold, das pro Tag gefördert wird, verkauft. Und darauff aufsetzend vielleicht 10fach gehebelt mit allen möglichen Derivaten.
Das ist aber noch gar nichts im Vergleich zu den riesigen Umsatzen, die weltweit mit Goldtermingeschäften gemacht werden: Gold.org eine offensichtlich als Gold-Werbeplattform agierende Webseite hat einen Chart zusammengestellt, wonach der Goldmarkt nach dem Markt für S+P-500-Aktien der zweitgrößte der Welt ist, knapp vor dem Handel mit US-Staatsanleihen und ein Vielfaches des Handels mit Dow-Jones-Aktien.
Trotzdem ist Nestors Hinweis ernst zu nehmen, “Das westliche Währungssystem kann mit Gold nichts anfangen, weil sich seine Geldemission von jeder realen Produktion gelöst hat und nur noch auf der eigenen Verschuldungsfähigkeit beruht.” Es ist nur die ja naheliegende Frage, ob das so bleiben wird, oder unvermeidlich krachen wird.
Eineweitere Frage wäre dann in der Tat, wie es nach einem Zusammenbruch der bisherigen großen Währungen (ich denke nicht, daß der Crash nur den US-Dollar ruinieren wird) dann überhaupt weitergehen kann.
Wie es um die Kriegsgefahr zwischen den USA und der VR China steht, wissen die jeweiligen Regierungen und Militärs natürlich besser als wir. Aber man kann immer wieder lesen, daß schon jetzt Top-Militärs der USA so nervös geworden sind angesichts des stetigen Aufrüstungskurses der VR China, daß sie lieber früher als später die Entscheidung militärisch herbeiführen wollen, denn wenn China so weitermacht wie bisher und in zentralen Militärbereichen schnell auf- und überholt, sehen sie ihre Felle schon in wenigen Jahren davonschwimmen.
Lesetipps zur Lage, zum “Weltkapitalismus im Krisenmodus”
“Die maßgeblichen Weltwirtschaftsmächte geben ihrem Kreditgewerbe reichlich Geld zum Nulltarif – und nichts mehr zu verdienen: Ihre Notenbanken refinanzieren praktisch umsonst jeden Finanzbedarf ihrer Bankenwelt und bewirken damit eine Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus in den niedrigen Promille-Bereich. Sie kaufen mit kraft Geldhoheit geschaffenem Geld staatliche und inzwischen auch kommerzielle Schuldpapiere in einem Umfang, der deren Rendite gegen Null sinken lässt. Die staatlichen Haushälter ihrerseits verkaufen ihre Anleihen zu minimalen Zinsen und sogar mit einem Aufschlag zu Lasten der Käufer, der die Rendite ins Minus drückt. Damit enttäuschen diese Staaten nicht bloß ihre Sparer: Sie führen das grundlegende Bankgeschäft, das Geldleihen gegen geringeren, das Geldverleihen gegen höheren Zins ad absurdum; sie machen die Geldanlage in einer Hauptabteilung des Wertpapiergeschäfts als Erwerbsquelle obsolet. Die Geldversorgung durch ihre Notenbank weiten sie nicht nur quantitativ in außergewöhnlichem Umfang aus; sie nehmen ihr die Qualität eines Zinsgeschäfts, sorgen für Zahlungsfähigkeit getrennt vom Kreditgeschäft der Banken, die die benötigte Liquidität im Normalfall aus dem Gang und für den Gang ihrer Kreditgeschäfte generieren, nehmen so dem Geld, das sie zirkulieren lassen, die Eigenschaft des Kreditzeichens: Es repräsentiert nur noch die gesetzliche Geldhoheit seines Schöpfers, nicht mehr ein finanzkapitalistisches Geschäft, das die staatliche Geldschöpfung ökonomisch rechtfertigen würde.
Das alles geschieht, weil das normale kapitalistische Kreditgeschäft mitsamt der davon abhängigen Geldversorgung der Gesellschaft nicht – nicht mehr und noch nicht wieder – funktioniert, zumindest nicht hinreichend Verlass darauf ist. Die Staaten refinanzieren den Bankensektor, um ihm von dem „Schuldenüberhang“ herunterzuhelfen, den der bis zur Krise der letzten acht Jahre auf- und noch immer nicht hinreichend abgebaut hat, so dass er dem normalen Refinanzierungsgeschäft der Branche noch immer im Weg steht. Sie übernehmen Liquiditätsrisiken der Banken, um deren Geldverkehr und den allgemeinen Geldfluss zu sichern, den die Geldinstitute noch immer nicht gewährleisten. Sie „belohnen“ Kreditvergabe, „bestrafen“ mit Zinsforderungen den Aufbau von Guthaben auf den Konten, die die Geschäftsbanken bei ihrer Notenbank unterhalten, investieren auch direkt in Unternehmensanleihen, um ihre Wirtschaft auf den Wachstumskurs zu bringen, den ihre Kreditbranche von sich aus nicht zustande bringt. Und das machen sie mangels durchschlagender Erfolge Jahr um Jahr.
Die großen Weltwirtschaftsmächte erhalten ihr Kreditgewerbe – auf Kosten des Kreditgeschäfts. Sie sichern ihr Kreditgeld – zu Lasten der Zweckbestimmung ihres Geldes, als Kredit zu fungieren. So wird die Krise des Geldkapitals mit und dank seiner Rettung zum Dauerzustand.”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltkapitalismus-krisenmodus
Protokoll einer Debatte über diesen Artikel – nebst Hinweisen zum Stellenwert solcher oder ähnlicher Krisenbeschreibungen:
https://wissenundkritik.de/wp-content/uploads/2021/03/Weltkapitalismus-im-Krisenmodus-05.12.16-GS-3-16.pdf
Zum Kredit unter Corona-Bedingungen:
“(…) und vermittels wechselseitig eingeräumter Kreditlinien wie vor 12 Jahren bei der Bewältigung der Finanzkrise garantiert sie [die Fed] die Weltgeldqualität der Währung ihrer Partner, die umgekehrt mit ihrer Dollarnachfrage der US-Währung ihre einzigartige Weltgeltung bestätigen und sichern. So deckt die Kooperation der Weltgeld-Nationen die krisenbedingte Kreditschöpfung aller; der weltweite partielle Shutdown der Wirtschaft und die ungeheure politische Schuldenwirtschaft, mit der dessen ruinöse Folgen überbrückt werden, stärken die kapitalistischen Zentren, die sich die neuen Schuldenberge leisten, und befestigen die Abhängigkeit der anderen Nationen von ihnen.”
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/weltgeld-gegen-corona-krise#section4
Möglichst Energieautarkie – sorry “Klimapolitik” – so lauten die hiesigen aktuellen Vokabeln für mehr deutschen Machtzuwachs:
“Deutschland – so das Projekt – verschafft sich Energieautonomie und damit der deutschen Macht Handlungsfreiheit für ihr weltpolitisches Agieren, weil sie in ihrer global übergriffigen ökonomischen und politischen Interessenverfolgung auf keine Rohstoffabhängigkeiten von anderen Nationen Rücksicht nehmen muss. Statt dessen erobert es sich mit diesem Fortschritt die Rolle eines kapitalistischen Großproduzenten und einer souveränen Macht in Sachen Energieversorgung. Mit diesem Umsturz in den Mitteln und Methoden der globalen Energieversorgung greift es die Geschäfts- und Machtverhältnisse auf dem Weltenergiemarkt an – und insbesondere die Rolle der USA, die für die immer noch gültigen »Grundkonstanten« dieses Marktes gesorgt haben.”
https://www.jungewelt.de/artikel/402135.gr%C3%BCne-marktwirtschaft-imperialismus-klimaneutral.html?sstr=Wentzke
Sowie dieses Protokoll ab S. 8:
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf210607-Forts_Anti-Rassisten_Klimaschutz.pdf
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Nachgetragen zu dem Finanzkrams – zufällig gefunden:
EU will Montenegro stützen
Brüssel zeigt sich zu finanziellen Hilfen für den bei China verschuldeten kleinen Staat an der Adria bereit (…)
Noch im Frühjahr hatte die EU-Kommission durch ihren Sprecher Peter Stano ausrichten lassen, man werde Podgorica finanziell nicht beistehen. Vor allem die Bundesrepublik wehrt sich aus Prinzip vehement dagegen, dass die EU für Fehlbeträge ihrer Mitglieder aufkommt. Noch weniger konnte das folglich Montenegro erwarten, das lediglich den Kandidatenstatus innehat. Doch der ehemaligen jugoslawischen Republik kommt zupass, dass sie durch die selbstgewählte Schuldenfalle immer stärker in den chinesischen Einflussbereich zu geraten drohte. Podgorica steht in Höhe von rund einem Fünftel seines Bruttoinlandsprodukts bei Peking in der Kreide. Das war auch für Berlin, das den Balkan als deutschen Hinterhof betrachtet, ausreichend Anlass zur Sorge.
Der nun geschmiedete Plan wird Montenegro wieder fester an die EU binden. Die neuen Schulden werden nicht mehr in US-Dollar, sondern in Euro, der Währung Montenegros, aufgenommen. Zurückgezahlt werden sollen sie innerhalb von 20 Jahren zu einem Zinssatz von einem Prozent. Verbunden ist das, so verlautet aus Podgorica, mit Kürzungen des Staatsbudgets. Auch sind weitere Privatisierungen nicht ausgeschlossen. Da hilft es auch nicht, dass nach der Rezession von 15 Prozent im vergangenen Jahr nun ein Aufschwung der vom Tourismus abhängigen Wirtschaft vorausgesagt wird.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153785.eu-will-montenegro-stuetzen.html
Also Leser ist ja in seinem letzten Beitrag vom bloßen Link-Posten zum zitieren der gemeinten Argumente aus den GSP Artikeln übergegangen, was schon mal erfreulich ist. Der Artikel des GSP ist aber nicht mehr ganz aktuell, da mit den stimulus checks inzwischen dazu übergegangen worden ist grundsätzlich alle fehlende Zahlungsfähigkeit durch die Aufblähung der Staatsverschuldung zu schöpfen – zumindest dort, wo die Zentralbanken das für “systemrelevant” halten. Was in dem Zitat nicht steht ist, dass das Geschäft darüber auch von der staatlichen Schöpfung fehlender Zahlungsfähigkeit abhängig wird und sich nur insofern davon befreien kann, als dass durch die staatlich geschöpfte Zahlungsfähigkeit Geschäft angestoßen wird, das diese spendierte Zahlungsfähigkeit ersetzt. Solange das nicht stattfindet, bleibt der Staat (mal den Standpunkt unterstellt, er wolle die Krise durch Stiftung fehlender Liquidität in die Zukunft verschieben) darauf verwiesen diese Zahlungsfähigkeit auch weiter zu stiften. Das hat die Wirkung, dass die Ökonomie zunnehmend zu einer Veranstaltung wird, die von der Ausweitung der Staatsverschuldung abhängig ist.
Aber mal zum Gold – zunächst mal eine Lästerei: Alle theoretischen Artikel des GSP sind nach der Aufhebung des Goldstandard verfasst, haben die Rolle des Goldes, die es nie ganz verloren hat also nicht reflektiert.
Wenn Nestor meint die Sache mit dem Gold sei vorbei, dann muss er erklären, warum die Zentralbanken dann ihre Goldvorräte 1. mehrheitlich nie aufgelöst und 2. in den letzten Jahren ausgebaut bzw. im Fall der Bundesbank die Hälfte aus den USA und Paris nach Frankfurt repatriiert haben? Sind das alles Nostalgiker, die nicht von der guten alten Zeit des Goldstanddards lassen wollen?! Die USA eingeschlossen, die nach wie vor die größten Bestände an Zentralbankgold halten, trotz des Umstandes, dass seit 1971 nicht mehr das Gold, sondern der Dollar die Weltreservewährung ist?!
Ganz offensichtlich ist die Sache mit dem Gold nicht vorbei und man muss eben erklären, warum das so ist.
Einen Hinweis auf die Rolle des Zentralbankgoldes bekommt man, wenn man sich mal anschaut, wer denn die größten Vorräte an Zentralbankgold neu aufgebaut hat. Das sind Russland und China – also Staaten, die sich der Hegemonie des US-Dollar ein Stück weit (oder gänzlich) entziehen wollen. Gold scheint also eine Alternative zum US Dollar zu sein. Den gleichen Hinweis bekommt man auch von der FED und den westlichen Zentralbanken selbst, wenn man z.B. Bücher wie “Geheime Goldpolitik: Warum die Zentralbanken den Goldpreis steuern” (Dimitri Speck) liest. Der Autor versucht mit statistischen Methoden und Auszügen aus FED Protokollen – sogar mit Datum und Uhrzeit – die Eingriffe in den Goldmarkt nachzuweisen. Er erklärt auch das Goldleihe-Geschäft der Zentralbanken usw..
Warum das Gold eine Alternative zum US-Dollar ist, ist auch nicht schwer herauszubekommen: Es ist die Ware, die sich in einem historischen Prozess von allen anderen Waren als Geldware geschieden hat und den Wert schlechthin repräsentiert. Während die universelle Gültigkeit des US Dollar als Wertmateriatur von der konkurrenzlosen Stellung der USA in der Welt (ihrem Weltmachtstatus) abhängt, hängt der Wert des Goldes nur von der Arbeit ab, die im Durchschnitt notwendig ist um ein bestimmtes Quantum Gold zu fördern. Gold ist also relativ zum US Dollar attraktiv für Staaten, weil es
a) ein unpolitisches Weltgeld ist d.h. der Weltgeldstatus von Gold ist nicht an den politischen Vorbehalt der USA gebunden
b) weil es wirklicher Wert ist, also nicht der Inflationierung unterliegt wie der US Dollar, die die USA zunehmend vorantreiben, um sich die Mittel für ihren Weltmachtstatus zu verschaffen, ihrer nationalen Ökonomie einseitig Vorteile einzuräumen etc…
c) es ist die Sicherheit, die man braucht, um nach einer Währungskrise eine neue Währung ausgeben zu können. Geht man mal davon aus, dass die USA die Krise infaltionär lösen wollen, (und das funktioniert – da wird der Kredit auf Kosten der Halter von Guthaben entwertet), dann können sie nicht einfach neues Papier mit weniger Nullern herausgeben, sondern müssen, damit das als Nationalkredit angenommen wird den Nationalkredit mit einer Sicherheit hinterlegen (von der sich dann beim Gebrauch wieder emanzipiert wird, weil die Menge des Goldes eben eine Schranke des Kredits ist). Aktuell steht die Welt genau vor diesem Umschlag: Der Kredit ist in einem Maß aufgebläht worden, dass er über eine Währungskrise mit Inflation abgewickelt wird. Das ist zumindest das wahrscheinlichste Szenario.
Dass Nestor sich dann gleich in die Pose wirft zu beurteilen, ob es demnächst einen Krieg der USA gegen China gibt oder nicht zeigt, dass er These 1 nicht richtig verstanden hat. DIe Aussage war: Den Dollar als Weltgeld kann es nur geben, wenn China marginalisiert wird.
@Leser
Das mit Montenegro ist beachtlich, weil das hat sich ja seinerzeit die DM und später den Euro aufs Aug drücken lassen – das war seinerzeit das Mittel von Djukanovic und Co., um von Belgrad loszukommen.
Der Widerspruch, eine Währung zu benutzen, auf deren Emission man als Regierung bzw. Nationalbank keinen Einfluß hat, ist offenbar in die Kreditaufnahme bei China gemündet. Ein nettes Problem für die EU …
@Libelle
Was die Sache mit dem Gold angeht, so ist natürlich nicht nur uns hier aufgefallen, daß die Weltwährungen auf sehr wackligem Boden stehen, sondern auch den Akteuren des Finanzkapitals und den Politikern des Westens. Sie würden auch gerne eine sicherere Grundlage schaffen, und träumen von einem Goldstandard.
Auch China und Rußland legen sich große Goldlager zu, Indien ist auch kräftig dabei, deswegen steigt der Goldpreis seit geraumer Zeit.
Das sind aber fromme Wünsche, was die Stabilisierung der bestehenden Weltwährungen angeht.
Man kann sagen: Die Aufgabe des Goldstandards seinerzeit unter Nixon war eine nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung, weil damals jegliche Bindung des Weltwährungssystems zur Warenproduktion gekappt wurde.
Was natürlich auch ein Gesichtspunkt sein kann, ist, daß erstens mit einem weltweiten Crash oder mit einem des Euro gerechnet wird und dann für einen etwaigen Neustart ein Goldschatz angeschafft wird, um zunächst wenigstens ein nationales Geld für den internen Umlauf schaffen zu können.
Auch das wäre natürlich eine absolute Premiere.
Na ja, derzeit gibt es ihn noch, und er ist Weltgeld. Es handelt sich also um keine Möglichkeit.
Wenn libelle schreibt, “Der Kredit ist in einem Maß aufgebläht worden, dass er über eine Währungskrise mit Inflation abgewickelt wird” dann klingt das so, als ob das eine rein technische Entwicklung werden würde, bei der Alles so bleibt wie bisher, nur hinterher sind alle Kredite im Wind zerstoben und alle Halter von Guthaben um ihr Geld gebracht. Ich denke, daß es eher zu einer weiteren Großen Depression kommen wird, die als eine umfassende Krise der Weltwirtschaft, der Gesellschaften und Staaten ablaufen wird. Weil damit enorme Verluste, auch von Staaten und ihren Reserven einhergehen werden, ist es nun wirklich nicht auszuschließen, daß es im Kampf um die Verteidigung bisheriger Positionen oder um die Erkämpfung neuer internationaler Machtpositionen auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen wird. Schon jetzt, noch ganz im “Frieden” gibt es ja andauernd Maßnahmen seitens der USA, der EU und der NATO gegenüber Rußland und der VR China, die zwar noch Kalter Krieg II sind, aber eben zeigen, daß ein weiterer Schießkrieg nicht auszuschließen ist und allseits massiv vorbereitet wird.
@neoprene – gegen deine Ausführungen habe ich im Wesentlichen keinen Einwand. Was dann passiert, wenn die Staaten ihren Kredit immer weiter ausdehnen und die Inflation mal ans Laufen kommt ist jetzt noch nicht prognostizierbar, sieht aber furchtbar aus. Krieg ist da nicht ausgeschlossen. Dennoch: Mein Argument ist eines zu einem Nationalkredit als Weltgeld. Das unterstellt, dass es eine Weltmacht gibt und die Konkurrenz marginalisiert ist.
@Nestor – In dem, was ich geschrieben habe geht es nicht um ein Zurück zum Goldstandard, sondern darum, dass Gold zwangsläufig die Weltwährung ist, wenn man in ein System konkurrierender Nationalwährungen zurückfällt. (Gold oder irgend ein anderer neutraler Wert) SZR bspw. würden es notwendig machen, dass der Weltgeldstatus (und die damit einhergehende Verschuldungsfähigkeit) unter Konkurrenten geteilt würde. Und das funktioniert nicht, ohne dass die Konkurrenten untergeordnet werden d.h. letztendlich doch wieder ein Staat sich als Weltmacht durchsetzt.
“Auch China und Rußland legen sich große Goldlager zu, Indien ist auch kräftig dabei”
Nein, tun sie nicht, sie vergößern zwar ihre Bestände, aber die sind immer noch erheblich niedriger als die der USA:
USA 8000 Tonnen, Deutschland 3000, Italien, Frankreich Rußland 2500, China noch rund 2000, selbst die Schweiz hat mehr Gold im Keller als Indien. https://www.nzz.ch/finanzen/autokraten-setzen-auf-gold-ld.1519943
Interessant auch, daß der Anteil des Goldes an den jeweilen Reserven der Nationalbanken bei den meisten westlichen imperialistischen Staaten viel höher ist als beim Rest: Stand Ende 2020 USA 79%, Deutschland 76%, Italien 71%, Frankreich 66%. Rußland nur 24%, China 4%(!), Indien 7%. Von den großen Handelsnationen hat nur Japan praktisch kein Gold in der Reserve: nur 7%. GB auch nur 10%.
Gerade China hat es all die Jahre konsequent vermieden, aus Dollarreserven auszusteigen und auf Gold oder Euro umzusteigen.
Ich glaube deshalb auch nicht, daß ins Gewicht fallende Teile der Entscheidungsträger in den führenden Weltmarktstaaten von einer Rückkehr zum Goldstandard “träumt”. Auch die teilen wohl Nestors Einschätzung,
“Die Aufgabe des Goldstandards seinerzeit unter Nixon war eine nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung, weil damals jegliche Bindung des Weltwährungssystems zur Warenproduktion gekappt wurde. ”
Das heißt nur nicht, daß diese Befreiung ewig so weiter gehen kann.
@Neoprene
???
Das Besondere ist in meinen Augen, daß eben diese Staaten – Rußland und China – überhaupt Goldbestände anhäufen. Sie sind deshalb niedriger als die USA, weil die von Haus aus Gold gehortet haben, eben in Zeiten des Goldstandards.
Die Sowjetunion kannte das Problem nicht, daß sie ihre Währung gültig halten muß, weil der Rubel war damals erstens alternativlos. Zweitens wurde aber im Sozialismus viel zugeteilt, das Geld hatte nicht das Moment des Zugriffs und Ausschlusses wie heute bzw. im Kapitalismus.
Was Indien betrifft, so habe ich gelesen, daß dort nicht nur der Staat, sondern auch Privatpersonen viel Gold ankaufen, – weil sie offenbar der Rupie nicht mehr trauen –, weshalb Indien zu so einem bedeutenden Goldmarkt geworden ist.
Was Libelle erwähnt hat, daß manche Staaten Gold aus den USA repatriieren, ist auch ein Teil dieser Krisenstrategie.
Ich erinnere daran, daß in den 90-er Jahren viele europäische Staaten ihre Goldbestände verkauft haben, weil sie ihre NB-Reserven auf Staats- und Bankanleihen umgestellt haben. Die waren nämlich verzinslich, machten also Junge, während Gold ein „totes Kapital“ blieb.
Heute kann das Gold mit den Anleihen konkurrieren, weil der Goldpreis steigt, auf die Anleihen gibts Nullzinsen.
Die damalige Umstellung auf Anleihen beflügelte natürlich den Kredit innerhalb der EU und war die Vorgeschichte zur „Erfolgsstory“ des Euro: Deshalb wurde er gleich so gut angenommen und hatte einen guten Kurs, weil er ja schon in Form von Anleihen – die wurden natürlich von den Nationalwährungen in Euro umgeschrieben – weit verbreitet war.
Dass anscheinend Monenegro komplett dem EU-Westen zugeführt werden soll, scheint eine neue Strategie der EU-Erweiterung deswegen zu sein, weil die bisherigen Modalitäten (man beantragt EU-Mitgliedschaft, dann werden Berichte verfasst, die Staaten müssen ihr ganzes Innen- und Außenleben auf die EU umstellen, darüber gibt es dann wieder Fortschrittsberichte, Beitrittsverhandlungen, alle 27 müssen letztlich dann einzeln zustimmen etc.) anscheinend hier nicht angewendet werden sollen.
Auffällig war ja sowieso, dass in der Region mit Russland und China auch andere Paten sich tummeln….
@Neoprene
Da habe ich mich vielleicht ungenau ausgedrückt. Ich weiß aber aus Bankerkreisen, daß an der Ecke herumgedacht wird, ob man nicht die Währungen wieder auf einer Ware, Gold oder ähnlichem, basieren kann.
Ja nun, was sind “große” Goldbestände einer Zentralbank? Ich habe deshalb ja auf die Anteile von Gold an den gesamten Reserven verwiesen, und dies nicht nur bei den USA, die den höchsten Anteil halten, schon weil sie als Staat mit der einzigen “echten” Weltwährung nicht groß andere Währungen dazunehmen müssen.
Nur Rußland hat in 2020 merklich mehr Gold gekauft, China nicht. Der größte Ankäufer war nämlich die Türkei https://www.gold.de/goldreserven/ , fünfmal soviel wie Rußland. (in 2019 hingegen hat Rußland genausoviel Gold gekauft wie die Türkei und 2018 sogar 6 mal so viel.)
Ob ein kapitalistischer Staat “jetzt” seine Goldbestände ausweitet oder nicht hängt wohl kaum damit zusammen, was ein sozialistischer Vorgängerstaat mit Geld und Reserven angestellt hat. Da spielen offensichtlich ganz nationale unterschiedliche Aspekte eine Rolle, sonst würde das ja nicht so schwanken zwischen den Staaten und im Laufe der Jahre.
In Indien wird traditionell von Privatpersonen viel Gold gekauft, insbsondere für Hochzeiten, auch die Tempel sollen riesige Goldschätze horten. Aber auch China ist mittlerweile eines der Hauptländer für verkauften Goldschmuck geworden, beide Staaten zusammen machen rund 40% der privaten weltweiten Goldnachfrage aus.
Ds scheint einer der ersten Schritte der G7 zu sein, um das chinesische Seidenstraßenprojekt zu beschädigen, – was die G7 anscheinend auch so vereinbart hatten:
“2014 nahm der EU-Beitrittskandidat Montenegro 944 Millionen Dollar (774 Millionen Euro) bei einer chinesischen Bank auf, um damit das chinesische Bauunternehmen CRBC zu bezahlen. Sechs Jahre lang bohrten chinesische Arbeiter Tunnel durchs Gestein und errichteten Betonpfeiler in Tälern. Gerade einmal 41 Kilometer Autobahn wurden gebaut, doch der Kredit ist bereits aufgebraucht. 130 weitere Kilometer und mindestens eine Milliarde Euro fehlen, damit die Straße wie geplant vom Adriahafen Bar im Süden vorbei an der Hauptstadt Podgorica bis zur serbischen Grenze im Norden führen kann. (…) Die große Frage ist, wie das 600.000-Einwohner-Land mit einem Bruttoinlandsprodukt von 4,9 Milliarden Euro seine Schulden jemals an China zurückzahlen soll. Die erste Rate ist im Juli fällig. Zahlt Montenegro nicht, könnte ein Schiedsspruch in Peking das Land zwingen, die Kontrolle über wichtige Infrastruktur abzugeben. Das geht aus dem Vertrag hervor, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt.
Peking steht seit Jahren in der Kritik, mit den Infrastrukturprojekten seiner „Neuen Seidenstraße“ Länder in die Schuldenfalle zu treiben. Die Volksrepublik könnte die finanzielle Abhängigkeit als Druckmittel einsetzen, um ihren politischen Einfluss auszuweiten.
Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten verabschiedeten deshalb am Wochenende eine globale Initiative für Infrastrukturprojekte als Gegenentwurf zu Chinas „Neuer Seidenstraße“. Sie wollen ärmeren Ländern „werteorientierte, hochwertige und transparente“ Partnerschaften anbieten. (…)
Die chinesische Botschaft in Montenegro weist die Vorbehalte zurück. „Diese Zusammenarbeit ist für beide Seiten vorteilhaft, eine Win-Win-Situation“, erklärte sie. Der montenegrinische Infrastrukturminister Mladen Bojanic sieht das anders: „Wenn wir keine Finanzierungsquellen finden, dann sind wir in großen Schwierigkeiten“, sagt er. Bojanic versucht nun, mit Hilfe der EU die Autobahn zu retten – ein Projekt, das er als Oppositionspolitiker vehement bekämpft hatte. Als riskant und rücksichtslos hatte er es bezeichnet.
https://www.focus.de/politik/ausland/montenegro-mit-der-teuersten-strasse-der-welt-treibt-china-ein-kleines-land-in-europa-in-den-ruin_id_13392731.html
Das sind ja interesssante Perspektiven für diverse Staaten auf der Welt …
(Und es scheint ein weltpolitischer Schritt der G7 zu sein, den die EU deswegen macht, um sich als Erfüllungsgehilfe der G7 aufzustellen. Von einer Modifikation der EU-Beitrittsbedingungen habe ich übrigens nichts gehört, aber in Brüssel wird anscheinend derzeit sowieso alles auf eine lange Bank verschoben…)
Dass die EU-Ostländer intern noch einmal andere Positionen gegenüber den Staaten aus der Region haben, das macht es noch einmal verworrener
https://www.heise.de/tp/features/Von-Kriegsverbrechern-regiert-4521715.html
Serbien zumindestens wurde grad mal wieder gerügt:
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/deutsch-serbische-wirtschaftskammer-serbien-soll-geschaeftsklima-verbessern/
… weil es sich anders aufführt als vorgesehen
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/serbiens-praesident-werde-kosovo-unabhaengigkeit-nicht-anerkennen/
Die Erpressungsmacht der Staaten mit Weltgeld gegenüber den anderen ist infolge der Corona-Lock-Downs übrigens extrem stärker geworden.
Von daher ergibt sich übrigens auch kein Grund, warum ausgerechnet Dollar und Euro prinzipiell unzufrieden mit ihrem privilegierten Status als Weltgelder sein sollten…. Im Gegentum!
Da müsste das Gold sich aber reichlich anstrengen, um der EU noch nützlicher sein zu sollen. Vermutlich soll auch noch alles haargenau so unterstellt sein wie aktuell gerade mit Fabriken, Banken, NATO und allem pipapo.
P.S. Und der deutsche Rentner kriegt wieder ordentlich Zinsen auf seine Sparguthaben, denn ein positiver Zins auf vom Leben Abgespartes, das ist ein Menschenrecht. (Wiewohl selbst deutsche Gerichte solche Positiv-Zins-als-Menschenrechts-Rhetorik inzwischen den sonstigen Staatszwecken subsumieren….)
Wächst sich Sea Breeze zum Sturm aus?
Die Nato und die Ukraine starten im Schwarzmeer das größte Manöver der vergangenen Jahre. Das Eskalationspotenzial ist hoch.
Im Einsatz am Schwarzen Meer (28.06.2021)
Britische Marineprovokation vor der Krim geschah parallel zur Stationierung deutscher Eurofighter am Schwarzen Meer. EU verschärft ebenfalls die Spannungen mit Russland.
BERLIN/LONDON/BUKAREST (Eigener Bericht) – Zeitgleich zum jüngsten Marinezwischenfall vor der Krim hat die deutsche Luftwaffe einen Einsatz am Schwarzen Meer begonnen. Während der britische Zerstörer HMS Defender Mitte vergangener Woche in die Hoheitsgewässer vor der Krim eindrang – ausweislich britischer Geheimdokumente in provokativer Absicht – und damit fast einen Zusammenstoß mit den russischen Streitkräften vom Zaun brach, sind zum ersten Mal deutsche Eurofighter im Rahmen der NATO-Luftraumüberwachung auf dem militärischen Flughafen der rumänischen Hafenstadt Constanța stationiert worden. Sie operieren dort innerhalb einer Alarmrotte der britischen Luftwaffe. Gleichzeitig beteiligt sich die Bundeswehr am Aufbau des Multinational Corps South-East, eines regionalen NATO-Hauptquartiers im rumänischen Sibiu. Zeigt die britische Marineprovokation, wie schnell die militärische Lage in einem Einsatzgebiet der Bundeswehr eskalieren kann, so verschärft auch die EU die Spannungen mit Moskau. Pläne, ein Gipfeltreffen der Union mit Russlands Präsident Wladimir Putin abzuhalten, wurden von den östlichen und südöstlichen Mitgliedstaaten torpediert.
Zwischenfall vor der Krim
Geheime Papiere aus dem britischen Verteidigungsministerium, die in der Nacht von Montag auf Dienstag vergangener Woche unter nicht geklärten Umständen durchweicht an einer Bushaltestelle in Kent (Südostengland) aufgefunden worden waren, bieten neue Einblicke in die Vorbereitung der Londoner Marineprovokation vor der Krim am vergangenen Mittwoch. An jenem Tag war der britische Zerstörer HMS Defender auf dem Weg aus dem Hafen von Odessa ins georgische Batumi unmittelbar am Südzipfel der Krim vorbeigefahren. Dabei drang er, wie Berichte “eingebetteter” Journalisten von der BBC und dem konservativen Boulevardblatt Daily Mail bestätigen, klar in die Zwölfmeilenzone vor der Halbinsel Krim und damit in deren Hoheitsgewässer ein; diese werden, seit die Krim 2014 der Russischen Föderation beigetreten ist, von Russland beansprucht. Wie aus den in Kent gefundenen Papieren hervorgeht, standen bei der Vorbereitung der Fahrt zwei verschiedene Routen zur Auswahl. Eine vermied das Eindringen in die Hoheitsgewässer; sie wurde letztlich nicht gewählt. Dabei war ausweislich den Dokumenten, die offenkundig bei einem am Montag abgehaltenen “UK-US Defence Dialogue” vorlagen [1], den Planern völlig klar, dass das Eindringen in die Zwölfmeilenzone zu scharfen Reaktionen auf russischer Seite führen würde.
In provokativer Absicht
Die Papiere belegen ebenfalls, dass bei der Auswahl der Route die Absicht im Mittelpunkt stand, mit der demonstrativen Missachtung der russischen Ansprüche Londons Position zu bekräftigen, es handele sich bei der Zwölfmeilenzone vor der Krim um “ukrainische Hoheitsgewässer”; jegliche Abstimmung mit Moskau über die Fahrt der HMS Defender sei deswegen überflüssig.[2] Die Fahrt des Zerstörers verfolgte damit denselben Zweck wie die sogenannten Freedom of Navigation-Operationen der U.S. Navy im Südchinesischen Meer; US-Kriegsschiffe durchqueren dort regelmäßig Zwölfmeilenzonen vor kleinen Inseln, die China für sich beansprucht – ein Anspruch, den Washington nicht anerkennt.[3] Der Zwischenfall vor der Krim belegt das Eskalationspotenzial derartiger Provokationen: Die russischen Streitkräfte brachten, wie ein von russischer Seite publiziertes Video bestätigt, mit Warnschüssen eines Kriegsschiffs sowie dem Abwurf von Bomben aus einem Militärflugzeug die HMS Defender dazu, die Hoheitsgewässer der Krim zu verlassen. Moskau warnt, wiederholte Provokationen werde man nicht hinnehmen – und beim nächsten Mal keine Warnschüsse, sondern gezielte Schüsse auf ein eindringendes Kriegsschiff abgeben.[4] Die HMS Defender ist gegenwärtig mit einer Flugzeugträgerkampfgruppe auf dem Weg ins Südchinesische Meer.
Sea Breeze 2021, Defender Europe 2021
Der Zwischenfall vor der Krim ereignete sich kurz vor dem heutigen Beginn des Manövers Sea Breeze 2021, das von der Sixth Fleet der U.S. Navy gemeinsam mit der ukrainischen Marine abgehalten wird. An der Kriegsübung, die seit 1997 jährlich im Schwarzen Meer stattfindet, nehmen 32 Staaten von allen Kontinenten teil, darunter Australien, Japan und Südkorea, Brasilien, Ägypten, Tunesien, Marokko und Senegal, Großbritannien und zahlreiche Staaten von NATO und EU. Gemeldet sind 5.000 Soldaten, 32 Kriegsschiffe, 40 Flugzeuge und 18 Spezialkräfteeinheiten; damit ist die Übung die größte ihrer Art seit Beginn der Serie im Jahr 1997.[5] Trainiert werden einer Mitteilung der US-Seestreitkräfte zufolge verschiedene Bereiche der Kriegführung, darunter amphibische Manöver sowie Manöver an Land, maritime Abriegelungsoperationen, Luftabwehr und U-Boot-Abwehr, Rettungs- sowie Spezialkräfteoperationen.[6] Sea Breeze 2021 beginnt unmittelbar nach dem Abschluss von Defender Europe 21, einem Großmanöver, das die Verlegung von US-Großverbänden aus den Vereinigten Staaten nach Europa probte – in diesem Jahr speziell nach Südosteuropa sowie ans Schwarze Meer.[7] Involviert waren rund 28.000 Soldaten aus 26 Staaten, darunter zahlreiche, die auch an Sea Breeze 2021 beteiligt sind.
Eurofighter in Constanța
Zwar nimmt die Bundeswehr – im Unterschied zu früheren Jahren – laut offiziellen Angaben nicht an Sea Breeze 2021 teil. Dennoch sind deutsche Soldaten zur Zeit in der Region im Einsatz – zum ersten Mal im Rahmen der Luftraumüberwachung in Rumänien. Wie im Baltikum [8], so hat die NATO auch an ihrer südosteuropäischen Flanke ein enhanced Air Policing South (eAPS) etabliert, das die sichere Kontrolle des rumänischen Luftraums insbesondere über dem Schwarzen Meer gewährleisten soll. Seit Mitte vergangener Woche sind Eurofighter-Kampfjets vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 “Richthofen” aus Wittmund auf dem militärischen Flughafen der Hafenstadt Constanța am Schwarzen Meer stationiert; sie sind dort in eine Alarmrotte der Royal Air Force integriert, um im Ernstfall an der Seite der britischen Einheit zum schnellstmöglichen Einsatz bereit zu sein.[9] Die Bundeswehr beteiligt sich zudem am personellen Ausbau des Multinational Corps South-East, eines Hauptquartiers der NATO, das in Zukunft für die Führung von Landoperationen in der Region zuständig sein soll. Es hat seinen Sitz in Sibiu und wird ab 2024 voll einsatzfähig sein. Seine “Anfangsbefähigung” wurde vor wenigen Tagen im Rahmen von Defender Europe 21 geprüft.[10]
In der Negativspirale
Zeigt die jüngste britische Marineprovokation vor der Krim, wie schnell die militärische Lage in einem Stationierungsgebiet der Bundeswehr eskalieren kann, so verschärft neben der NATO auch die EU die Spannungen mit Russland. Auf dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche in Brüssel behaupteten die Staats- und Regierungschefs der Union, sie sähen “die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten” auf “jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands”.[11] Dazu soll nun eine Konzeption erarbeitet werden, die bei missliebigen Handlungen der russischen Regierung Strafmaßnahmen vorsieht – neue Wirtschaftssanktionen inklusive. Die EU-Kommission hatte bereits zuvor einen weiteren “Niedergang der Beziehungen zu Russland” prognostiziert.[12] Ein Vorstoß der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ein Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Auge zu fassen, um eine unkontrollierte Eskalation der Beziehungen zu verhindern, wurde vor allem von ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten erfolgreich torpediert, die sich als EU-Speerspitze im Machtkampf gegen Moskau gerieren: die baltischen Staaten, Polen und Rumänien.
Lauter failed states am Balkan,
ein Nutzen für die EU stellt sich nicht recht ein.
Aber an China oder Russland darf die Region garantiert gar nicht fallen….
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/europa-sein-hinterhof-auf-balkan#section6
Ob man nach Trump sich mit den USA über Einflusssphären geeinigt hat? Schaut so aus.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ein-balkan-deal-mit-folgen
@Neoprene
Ich nehme an, daß nicht alle Goldreserven Rußlands auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Es ist selber ein großer Goldproduzent und ich halte es für möglich, daß da direkt Gold in den NB-Schatz abgeliefert wird.
Noch einmal, warum kauft Rußland überhaupt Gold?
Deswegen mein Hinweis auf die SU. In der Zeit des wilden Kapitalismus unter Jelzin war die Währungspflege eher chaotisch, und später setzte Rußland sehr auf Anleihen – sowohl auf selbst emittierte, als auch fremde zu Auffüllen des Staatsschatzes.
Vielleicht findest du dazu etwas, aber ich vermute einmal, daß das vermehrte Setzen auf Gold mit dem Rubelverfall nach der Ukrainekrise zu tun hat.
Die Sache mit dem Goldschmuck ist nicht einfach als Eitelkeit oder örtliche Folklore abzutun. Damit machen sich Leute kreditwürdig und haben etwas für Notzeiten. Es ist eben nicht jeder Schatzbildner jemand, der der das Geld vergräbt oder in die Matratze steckt.
Was ich nicht weiß, ist, ob das jetzt zugenommen hat.
Irgendwie wird weltweit derzeit viel Gold eingekauft, sonst wäre der Goldpreis nicht so hoch. Wer da jetzt alles die Käufer sind, kann ich nicht so gut erkennen.
Danke für deine Ausführungen, natürlich.
Ich glaube aber, daß der Goldmarkt nicht alle Bewegungen wiedergibt, weil es will sich ja auch nicht jeder Goldkäufer in die Karten schauen lassen.
Die Türkei kauft Gold – so, so. Da ist die Besonderheit, daß sie selbst nur über ein nicht weltmarkttaugliches Geld verfügt. Goldkauf bedeutet daher Devisenabfluß. Und dann ist für Interventionskäufe zur Kursstützug zuwenig da.
Hmmm.
Zur Türkei mag ich nun wirklich nicht spekulieren: einerseits steht deren Währung alle naselang vor dem weiteren Absturz, dann finden sich doch wieder Gönner und retten den Kurs. “die türkischen Zinshüter wollen sich mit den erhöhten Reserven offenbar um jeden Preis unabhängiger vom US-Dollar machen. Sie versucht damit, den Kurs der Lira vor möglichen Sanktionen durch die USA oder anderen Risikofaktoren von außerhalb zu schützen.” behauptet jedenfalls Focus.
Das Erstaunliche ist doch, daß weder Rußland noch vor allem die VR China wirklich umgeschwenkt sind von Devisenreserven auf Goldreserven. DieVR China ist ja praktisch die größte Kursstütze für den Dollar. Sicherlich auch, um nicht die Entwertung ihrer ja nun riesigen dollarnominierten Anleihen zu provozieren und damit eine enorme Destabilisierung der Weltwährungs- und Finanzmärkte. Mitgefangen, mitgehangen sozusagen.
@Leser
Ein Unterschied von Gold und Nationalwährung=Weltgeld ist der, daß man das Weltgeld im Inland herstellt – druckt und mit Wirtschaftswucht und Militär beglaubigt.
Das Gold muß man am Weltmarkt erstehen …
???
Leser: “Da müsste das Gold sich aber reichlich anstrengen, um der EU noch nützlicher sein zu sollen.”
Was auch immer damit gemeint sein sollte, Zentralbanken gehen dann aus Devisenreserven raus und in Gold rein, wenn ihnen die Devisen nicht mehr kursstabil erscheinen. Jedenfalls im Vergleich zum Gold. Die EU hat das Problem, daß sie Unmengen an Eurovolumina produziert hat, die zwar eventuell nicht ganz werthaltig sein mögen, aber mit aller Macht von der EZB im Wert gehalten werden. Die können natürlich überhaupt nicht aus ihrem eigenen Geld aussteigen und sich Gold zulegen. Da könnten sie gleich zugeben, daß “whatever it takes” eine reine Schutzbehauptung in der Not war.
Als Tendenz bei Regierenden sehe ich daher auch nirgends eine zur Goldware.
Ob mehr und welches “Digitalgeld” staatlich und wie genau reguliert werden kann, oder ob das nur digitale Namen für existente Weltgelder sein werden – das scheint mir da eher diskutiert zu werden.
(Mal abgesehen davon, dass immer mal wieder jemand sagt, für schlechte Zeiten solle man sich als Privamensch mit Gold versorgen, – so früher immer mal wieder auf deinem Blog…)
P.S. Die Zustimmung der BRD zu diversen Euro-Krediten ist von deutschen Sparern vor Gerichten damit beklagt worden, dass hier eine Enteignung von Eigentum vorliege, gespartes Geld werde statt mehr nämlich immer weniger, und das liege am Euro und dessen Niedrigzinspolitik. Die BRD dürfe der daher nicht zustimmen. (Von der Niedrigzinspolitik betroffen sind ja auch z.B. Kunden von Lebensversicherungen, – und so kommt schon eine Klientel zusammen, die sich durch die Niedrigzinspolitik der EZB als Kleinsparer gerupft fühlt….)
Ich habe immer noch die paar Krüger-Rand-Münzen, die ich von meiner Mutter geerbt habe. Dafür könnte ich mir jetzt immerhin neue Zähne leisten … (Für die sind nämlich schon schlechte Zeiten gekommen)
Was den Balkan betrifft, so sind da sehr viel Absichtserklärungen dabei. Was dann wirklich passiert, ist eine andere Sache.
Ich habe bezüglich der Botschaft Serbiens nichts gefunden. Serbien selbst hat gleich dementiert, daß Vucic da irgendetwas unterschrieben hätte.
Um den Einfluß Chinas zurückzudrängen, müßte sowohl die EU als auch die USA Geld in die Hand nehmen und die Infrastruktur dort bauen. Das will dann auch wieder niemand machen, und so bleibt das Gejammere über China.
Bei dem montenegrinischen Kredit ist der Hintergrund, daß Montenegro vom Tourismus lebt, der inzwischen sehr eingebrochen ist, und deswegen halten findige Politiker nach neuen Geldquellen Ausschau. Da fiel ihnen die gute Tante EU ein, die ja in ihren Euros sozusagen erstickt und die man vielleicht anzapfen kann.
(Man erinnere sich, die DM kam damals angeblich mit einer oder mehreren Flugzeugladungen nach Cavtat bei Dubrovnik und wurde mit Lastern nach Podgorica gebracht.
Vermutlich stellen sie sich jetzt etwas Ähnliches vor, wenn sie laut genug schreien.)
„»Wir arbeiten eng mit Montenegro und anderen Partnern in der Region zusammen, um sie auf ihrem Weg zur Einhaltung von EU-Standards, Reformen und allem anderen zu unterstützen, und wir stehen weiterhin zu ihnen, aber wir zahlen keine Kredite zurück, die sie von Dritten aufnehmen.« sagte (der Sprecher der Europäischen Kommission Peter) Stano bei der täglichen Pressekonferenz.“ (https://www.danas.rs/ekonomija/spinovi-i-zablude-o-kineskom-dugu-crne-gore/)
Das zusätzliche Problem ist, daß die Schulden für diese Straße aus Mautgebühren gezahlt werden soll und niemand weiß, wer die zahlen soll, weil wahrscheinlich sehr wenig Verkehr auf der Straße unterwegs wäre, ähnlich wie auf der Dalmatien-Autobahn in Kroatien, die für Touristenlawinen konzipiert und für die einheimische Bevölkerung zu teuer ist. Ähnlich sieht es mit einer Autobahn in Albanien aus, von Fushe Milot in Albanien nach Prizren im Kosovo – Berishas Cheopspyramide … Auf beiden Autobahnen gähnt die Leere.
Noch dazu sind die Straßen in diesen gebirgigen Gegenden sehr teuer zu bauen.
Trotzdem: Mit mehr als 100 Staaten habe China über das Seidenstraßenprojekt ökonomische Beziehungen geknüpft. Zu seinem Vorteil doch vermutlich.
Das allein dürfte aus westlicher Sicht ausreichen, diese (oder manche dieser…) Projekte entweder stören, oder westlich umdrehen zu wollen. Dass dabei viel heiße Luft im Spiel ist, sei unbestritten. Aber nur der heißen Luft wegen dürfte China diese Projekte ja auch nicht angeleiert haben…
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-06/neue-seidenstrasse-china-g7-wirtschaftsprojektt-infrastrukturplan?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/g7-gipfel-ein-gegenentwurf-zu-chinas-seidenstrasse
Dass es bei der G7-Initiative nicht um weltweites Impfen geht, und auch nicht um den Start eines neuen Entwicklungshilfe-Idealismus, sondern um die Schädigung der weltweiten Verflechtungen Chinas (so weit man davon nicht selber profitiert….), – das kömmt mir ziemlich plausibel vor. Zumindestens dürfte das der Wunsch der USA sein, die selber davon vermutlich kaum betroffen wären. – Während die EU sich selber ins Bein hacken würde, wenn sie überall in der EU gegen chinesische Infrastrukturprojekte vorgehen würde.
@Leser
Das alles geht nur, weil China mit seiner Schanghai-Entwicklungsbank – ursprünglich ein Teil des BRICS-Plans – ein Gegenprojekt zum IWF geschaffen hat und Kredit gibt, ohne über ein nationales Geld zu verfügen, das Weltgeld wäre.
Mit dem Währungs-System, wie es mit der pax americana eingerichtet worden ist, ist diese Konkurrenz für die USA-EU praktisch nicht zu knacken.
@Neoprene
Ja, die WK II-Generation setzte auf Goldmünzen im Safe oder in der Matratze. Die waren allerdings mit anderen Problemen konfrontiert – Inflation und Währungsverfall nach 2 verlorenen Weltkriegen.
Nach der Finanzkrise 2008 traten überall die Schlaumeier auf, die entweder dafür plädierten, Goldmünzen im Garten zu vergraben oder sich eine Kalaschnikov, einen Gemüsegarten und einen Stall mit Schweinen und Hühnern zuzulegen. + Generator, + Tank, + Brunnen …
Krisenbewältigung des guten Bürgers, letzteres in den USA ziemlich verbreitet.
Natürlich ist Gold auch bei vielen Preppern, Reichsbürgern usw. sehr beliebt. Aber eben nicht nur bei solchen Fans der individuellen Freiheiten sondern ja auch bei einem kleinen aber sehr lautstarken Teil des Mainstream-Bürgertums mit Bestsellern, Myriaden von Webseiten und teuren Seminaren wie bei mancher Sekte.
@Leser
Beim Gold ist eher das Handeln der Zentralbanken das Entscheidende und das ist ja im Thread genügend gewürdigt worden. Sie bauen ihre Goldreserven aus und das spricht eben für einen, wenn auch nicht geäußerten, Zweifel am Dollar. Das Gleiche gilt für die Repatriierung der Goldbestände. Die Sache mit dem Goldstandard sehe ich so: Die Vergrößerung der Bestände an Zentralbankgold geht auf Kosten anderer Reserven der Zentralbanken – namentlich auf Kosten der Dollarreserven. Verliert der Dollar seinen Reservestatus, übernimmt der Goldschatz die Funktion der Währungsreserve. Statt also die eingehende Fremdwährung als Währungsreserve zu halten, wird ein Teil von ihr in Gold umgesetzt bzw. wenn fremde Zentralbanken die eigene Währung verkaufen und ihr Kurs fällt, wird der Goldschatz eingesetzt um den Kurs zu stabilisieren. Dazu (für die Weltgeldrolle von Gold) braucht es kein Konvertibilitätsversprechen eines Nationalkredits in ein bestimmtes Quantum Gold.
Die CBDC ändern daran nichts, die sind also keine Alternative zum Gold, sondern stellen – je nachdem, wie sie eingeführt werden – die Kontrolle des Staates (der Zentralbank) über Geld und Kredit her. In gewisser Weise kommt das der Verstaatlichung des Bankensystems gleich. Die Krise seit 2008 hat den Staaten eben gezeigt, dass sie keinen Einfluss auf die Kreditvergabe der Banken haben – und das könnten sie mit einer CBDC ändern und könnten direkt Kredite vergeben. So ein System wäre was anderes als Kapitalismus bzw. würde das aktuelle System erheblich modifizieren.
Dass Russland und China zumindestens behaupten, dass sie ihre Dollarbestände abbauen würden (und vermutlich lieber auch mehr Gold bunkern), – mag ja sein, dass sie sich das so überlegen.
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/russland-verzichtet-teilweise-auf-reserven-in-dollar-17372732.html
Dass diverse Nationen, deren Goldbestände nach WKII in den USA gebunkert gewesen sind, diese zunehmend ihrer eigenen Freiheiten wegen lieber bei sich selber bunkern, dürfte spätestens nach dem Irakkrieg, der den USA unerwartete neue Konstellationen in Europa beschert hatte, nachvollziehbar sein. Einen neuen staatlichen Run auf Gold mag ich darin aber auch nicht entdecken.
Dass es ein logischer Widerspruch ist, mehrere Weltwährungen zu haben, die gleichzeitig füreinander und für das Fortbestehen des Dollars als ihre Leitwährung bürgen sollen, ist mir als abstrakter Widerspruch schon klar. Diesen Widerspruch gibt es aber schon einige Jahre, spätestens seitdem es den Euro gibt.
Und derzeit schaut es eher nach dem Wiedererstarken der Kumpanei der Weltwährungsmächte zwecks Krisenbewältigung aus…
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Das Spekulieren darüber, dass auch das nicht das Ende der Geschichte sei, sei unbenommen. Aber auch das Spekulieren über das Spekulieren, dass …
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P.S. Dass aus Kreisen, die mit dem Geschäft mit dem Geld ihr eigenes Geschäft machen, immer mal wieder das Gold als Anlagesphäre für den Kleinanleger ins Spiel gebracht wird, oder der Kleinanleger aus sonstigen Vorsorge-, Prepper- oder Eigentumsschutz-Gründen selber grad in Krisenzeiten, wenn das Gold eh schon teurer geworden ist, daher dann auch noch zum Gold greift, oder ein Laden wie die AFD sogar Gold als Kritik am Eurosystem selber verscherbelt (hat), – all das sind bloße Nebengeräusche….
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Donald Trump wollte anscheinend eine stärkere Anbindung an den Goldstandard für die Fed durchsetzen – oder auch nicht. Oder war das auch wieder nur ein Punkt, dem (Geld-) Establishment eins auswischen zu wollen, – immerhin hat er völlig disparate Ideen und Figuren präsentiert, – zwecks …?
https://www.heise.de/tp/features/Senat-blockiert-Trumps-Zentralbank-Nominierung-4965772.html
Das ist ja nur ein gradueller Unterschied. “Run” triffts auch nicht, sondern der Dollar hat für viele Staaten, weil er eben auch als politisches Instrument der USA eingesetzt wird Nachteile. Und die Kumpanei der Mächte in Währungsdingen endet halt in der graduellen Entwertung aller Währungen, erzeugt also zusätzliche Argumente für Gold. Ihre Zusammenarbeit besteht doch in der Stiftung von Zahlungsfähigkeit zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems.
edit: Über Gold als Investment usw… brauchen wir hier nicht reden, das muss ein jeder für sich selbst entscheiden – man hat aber wenigstens eine Entscheidung, wenn man sich damit beschäftigt – im Unterschied zu denen, die meinen ihre Altersvorsorge in Lebensversicherungen wäre eine ausgemachte Sache.
Bisher hatte in der EU der Wettbewerbskommissar darauf achten sollen, dass Konkurrenzbedingungen für europäisches Kapital nicht dadurch tangiert würden, dass Staaten ihre eigenen Kapitale pushen, um ihnen ein besseres Fortkommen in Europa zu ermöglichen, auf Kosten der Konkurrenzlage anderer europäischer Kapitale.
Da inzwischen 2021 aber wirklich alle europäischen Staaten mehr oder minder ihre Wirtschaft mit Staatsgeldern zu versorgen trachten, gerade auch unter/nach Corona-Lock-Down-Bedingungen, müssen diverse Gesetzeswerke und Konkurrenzvorschriften in der EU aktuell neu gefasst bzw. die unterschiedlichen staatlichen Maßnahmen in ihren Auswirkungen EU-weit gesetzlich vereinheitlicht werden.
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/eu-kommission-will-regeln-fuer-staatsbeihilfen-ueberdenken/
‘Positiv’ formuliert: der Beschluss, dass Europa sein kapitalistisches angeblich gemeinsames Wachstum in den Bereichen Grünkapitalismus, Modernisierung, Digitalisierung, anstrebt, erfordert die Umstellung der EU-Paragraphen auf die Förderung dieser Bereiche. Konflikte gibt es daher sowohl mit bisherigen Schwerpunkten der EU-Förderung (z.B. Landwirtschaft, Regionalförderung) als auch mit Staatsvertretern, denen die ganze neue Richtung der neuen EU-Zentrale nicht oder auch teilweise nicht passt.
Ausgetragen werden solche Konflikte vermutlich mit viel Pathos unter Berufung auf Erdatmosphäre, Klimapolitik und unseren Enkeln …
https://www.heise.de/tp/features/Klimaschutz-vom-Ladenhueter-zum-Bestseller-6116405.html?seite=all
P.S. Dass man sein Geld auch in ausgesuchten Klecksereien, Sportwetten, Gold, Schiffahrt-Fonds, o.ä. anlegen kann, – darauf weisen doch die entspr. Verkäufer längst hin.
Rentnern das System der Rente rationell zu erklären – das nutzt solchen Verkäufern vermutlich aber eher weniger…
@Libelle
Dazu ist noch zu ergänzen, in welcher Form die Dollarreserven in den Safes liegen: nämlich in Form von Anleihen, und da konkurriert der Dollar-Zinssatz mit den Goldpreissteigerungen und den Euro-Zinsen.
Die niedrigeren Zinsen der Anleihen im Euro-Raum verdrängen daher – sofern die betreffenden Nationalbanken rein ökonomische Gesichtspunkte vor Augen haben – die Anleihen in Euro zugunsten von Gold und US-Anleihen und schwächen den Euro als Weltwährung gegenüber dem Dollar.
Zumindest bei Außer-EU-Staaten. Bei denen gibt es nämlich meines Wissens eine Mindestquote für Anleihen in Euro, zur Stützung der Gemeinschaftswährung.
Was hast du da vor Augen? Also welche fremden Zentralbanken verkaufen ihre eigene Währung, und in welcher Form?
@Leser
Von einem Run hat ja auch niemand hier geredet. Es ist nur erkennbar, daß verschiedene Staaten bzw. deren Nationalbanken Gold als Teil ihres Schatzes wiederentdeckt haben und man fragt sich jetzt eben, warum?
Gleichzeitig gibt es auch die Digitalisierungsversuche, die Libelle erwähnt.
Ich habe jetzt nachgeschaut, was da los ist:
Digitales Zentralbankgeld
https://de.wikipedia.org/wiki/Digitales_Zentralbankgeld
Das geht ja, könnte man sagen, genau in die umgekehrte Richtung, da wird die Geldmaterie entmaterialisiert.
Ich denke, das ist noch nicht weit genug fortgeschritten, um sich darüber sinnvoll austauschen zu können, aber man sollte diese Form der Geldschöpfung im Auge behalten.
@Neoprene
Die Idee ist weit verbreitet, aber viele der Vertreter oder Fans dieser Idee haben gar nicht die Mittel, das irgendwie sinnvoll umzusetzen, weil bei ihnen ohnehin Ebbe in der Kasse ist. Und zwar sowohl den Gemüsegarten ++ als auch den Topf mit Gold im Garten.
Es dient eher einer gewissen Art von Besserwisserei und Selbstbespiegelung, daß diese Ideen so kursieren, praktizierbar sind sie in unseren Breiten kaum.
“Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen zwölf Monaten alles getan, um den Euro zu schwächen. Im Mai 2014 notierte die Gemeinschaftswährung noch bei 1,35 Dollar. Diese Stärke schadete dem Exportsektor. EZB-Präsident Mario Draghi senkte in den folgenden Monaten den Leitzins auf 0,05 Prozent und kauft seit März jeden Monat Staatsanleihen der Euro-Zone im Wert von 60 Milliarden Euro. Das Kaufprogramm wird bis September 2016 mindestens 1,1 Billionen Euro in den Finanzmarkt schwemmen. Die Maßnahme soll die Währung schwächen, um die Exportindustrie der Euro-Zone zu stärken. Mit dem Aufschwung, so das Kalkül, würde die Inflation wieder steigen, auch weil die Importe teurer werden. Die Gefahr einer Deflation – eine Spirale aus sinkenden Preisen und wirtschaftlicher Stagnation – wäre vom Tisch, so der Plan der EZB.”
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verhaeltnis-zum-us-dollar-schwacher-euro-ganz-stark-1.2486734
Vor ein paar Jahren auch die Schweiz:
“In den vergangenen drei Jahren hat die SNB Franken gedruckt, um Euro und andere Währungen zu kaufen. Das Portfolio an ausländischen Anlagen ist dadurch heute vier Mal größer als zum Start des Programms Anfang 2010.”
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/schweizer-franken-die-hochriskante-wette-der-schweizer-notenbank-a-876739.html
@Neoprene
Ich nehme an, das soll eine Antwort auf meine Frage an Libelle bezüglich der NBanken, die eigene Währung verkaufen, sein?
Bei der Schweiz laß ich mir das einreden, die emittiert Franken und kauft ausländische Anleihen. Das kann man als Verkaufen der eigenen Währung interpretieren.
Aber beim Euro werden doch Anleihen in der eigenen Währung gekauft?
Ja, war Replik auf libelle.
“die Euro-Hüter… setzen daher auf eine Abwertung des Euro als wichtigsten Wirkungskanal ihrer Politik. Schon die Aussicht auf Anleihekäufe hat den Euro gegenüber dem Dollar seit Frühjahr 2014 um rund 17 Prozent abwerten lassen. Die Talfahrt dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Das verbilligt die Exporte und verteuert die Importe.” Warum?
“Der Wechselkurs war in den vergangenen Wochen ein heiß diskutiertes Thema. Einige Experten wie etwa Robin Brooks, der Chefökonom der Großbanken-Organisation IIF in Washington, vertraten die Meinung, die US-Notenbank (Fed) sorge mit ihrer lockeren Geldpolitik für einen niedrigen Dollarkurs und nötige dadurch die EZB zum Nachziehen.
Tatsächlich hat der Euro gegenüber dem Dollar spürbar aufgewertet.”
https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/coronahilfen-ezb-im-kaufrausch-lagarde-erhoeht-anleihekaeufe-um-500-milliarden-euro/26705700.html?ticket=ST-3256846-eGK1jLnP6CwP1HrUrTSC-ap6
Die eigene. Oder wer auch immer. Dann verkauft man Gold und damit die eigene Währung auf, um deren Abwertung zu verhindern z.B.
Die Türkei als einer der größten Käufer von Gold durch ihre Zentralbank hat ihr Zeugs immer wieder massiv auf den Markt geworfen um den Untergang der Lira rauszuzögern bzw. zu verhindern.
ÜBERTRAG:
Leser
30. Juni 2021 um 10:27 Uhr
Hohe Schulden und niedrige Zinsen,
je nach Land meint das was ganz verschiedenes,
und die Finanzmärkte interpretieren solche Daten zusätzlich pur nach ihren eigenen Kriterien und basteln daraus ihr eigenes Warum,
– … auch wenn es von Erdogan mal ganz anders geplant war…
https://www.dw.com/de/wie-erdogan-die-t%C3%BCrkische-lira-zum-absturz-bringt/a-57781206
Dass da irgendwas am Gold hinge, oder das Gold Abhilfe schaffen könne – ist vermutlich auch nur eine der gängigen Mystifikationen der Goldware. Sie wäre wunderlicher Weise von Natur aus gesellschaftlich, nämlich werthaltig ….
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libelle
30. Juni 2021 um 10:39 Uhr
https://www.gold.org/goldhub/gold-focus/2021/06/assets-russia-national-wealth-fund-be-invested-gold
Nochmal: Das Gold schafft Abhilfe gegen die politische Instrumentalisierung des Dollar-Systems durch die USA und es schafft im Fall der Inflation Abhilfe.
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Leser
30. Juni 2021 um 10:53 Uhr
Dass a) die Russen, b) in ihrem Pensionsfonds Gründe haben werden, diesen breiter zu streuen und c) den Dollar daraus wegzukicken, – liegt das nicht erst einmal genau an diesem gegnerischen Verhältnis? Wer so mit Kriegsdrohungen angegangen wird, dem wird das Anlass zu diesem und jenem geben.
Und d) mischen sie „ihren Pensionsfonds“ neu auf, wie dort zu lesen ist … Präziser: Innerhalb der nächsten Wochen w o l l e n sie das machen …
„Within the next couple of weeks Russia will change the structure of the NWF’s investment portfolio, entirely removing the US dollar, halving the share of the British pound and shifting to the euro, the Chinese yuan and gold.“
Und weil sie jetzt auch den Euro stärker berücksichtigen, – ich will mir lieber gar nicht ausmalen, welche herrlichen propagandistischen Folgen beim Argumentieren das nun haben wird ….
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edit: die andere rauszukickende bzw. zu halbierende Währung sei das britische Pfund.
Und wie praktisch, dass a) über einen Pensionsfonds und b) in vager Zukunft über unbestimmte Zahlenverhältnisse schwadroniert wird. Das ist ja noch vager als die Ankündigungsleier der USA, dass sie demnächst die Zinsen erhöhen werden ….
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libelle
30. Juni 2021 um 10:58 Uhr
Du darfst das gegnerische Verhältnis nicht vom Dollar trennen. Er ist das Mittel, wie die USA den Weltmarkt für sich instrumentalisieren und selbstverständlich gegnerische Staaten ökonomisch zu erpressen versuchen (Stichworte: Sanktionen, SWIFT System usw…) Der Dollar ist nichts Neutrales, sondern das Mittel der USA.
Oder mal andersherum @Leser: Was genau belegt der zitierte DW-Artikel aus deiner Sicht. Es ging ja um Neoprenes Illustration der Funktion des Goldes als Währungsreserve am Beispiel der Türkei. Wenn der Artikel aus deiner Sicht beweist, dass das Gold keine Währungsreserve für die türkische Zentralbak sei, ergibt sich die Frage, warum sie welches kaufen?!
Zum russischen Rentenfonds. Da ist nichts vage. Das Gold wird unallokiert (also als Derivat – vermutlich auf einen Teil des Zentralbankgoldes) dem Fonds zugeschlagen. Und dann wird das über die Jahre allokiert d,h, mit wirklichem Gold unterlegt. Der russische Staat bekommt (so vermute ich) die Dollar des Fonds im Austausch für den unallokierten Anspruch auf Gold.
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Leser
30. Juni 2021 um 11:26 Uhr
Dass Staaten ihre Währungsreserven immer wieder mal neu gestalten, z.B doch vermutlich auch danach, mit wem sie jeweils viele Geschäfte machen, werden, über wessen Geld sie also verfügen wollen, müssen, – oder auch nach Kriterien von Notstandsvorsorge o.ä. – das möchte ich gar nicht bezweifeln.
Aber dass Auguren daraus ablesen, sie würden sich darauf vorbereiten, dass demnächst Gold den auswärtigen Verkehr kapitalistischer Staaten und Ökonomien wesentlich managen würde, – das geben diese Quellen nur dann her, wenn man sie mit solch interessierter Brille lesen will. Dann kündet selbst eine sehr vage Ankündigung für einen russischen Pensionsfonds von dergleichen.
Aber da hier eh umgezogen wird…
P.S. Die jw hat letztens behauptet, durch unterschiedliche Finanzaktionen wolle Russland seinen Rubel stützen …
https://www.jungewelt.de/artikel/399934.devisen-moskau-sch%C3%BCtzt-den-rubel.html
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libelle
30. Juni 2021 um 11:29 Uhr
Du willst eine Entwicklung herunterspielen, die es seit 1971 nicht gegeben hat, nämlich einen wachsenden Trend weg vom Dollar (nicht nur bei Russland und China) und hinein ins Gold. Was daraus wird weiß keiner – auch nicht die mit der Brille, die das Gold aus der Wahrnehmung entfernt.
Vielleicht noch ein Nachtrag:
(Das gehört oben zu These 2)
Der Trend hin zum Gold ist eine Zerfallserscheinung des Dollar. Die Zerfallstendenz ergibt sich aus dem Umstand, dass den USA Konkurrenz auf Augenhöhe erwachsen ist (mitlitärisch und ökonomisch) und daraus, dass die USA ihren Nationalkredit für den Erhalt ihres Weltmachtstatus (ökonomisch und politisch) strapazieren.
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Neues_Protok
30. Juni 2021 um 15:38 Uhr
Die imperialistische Neugestaltung des Weltenergiemarktes – das ist der Kern der Politik „für den Klimaschutz“, der in der BRD 2021 von nahezu allen Parteien und sehr breit geteilt wird.
Näheres ist nachzulesen in zwei Protokollen des jour fixe München.
https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf210621-Klimaschutz-2.pdf
https://de.gegenstandpunkt.com/jfp/jf-protokolle
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/deutschlands-energieimperialismus-wird-klimaneutral
vgl. auch:
https://www.jungewelt.de/artikel/402135.gr%C3%BCne-marktwirtschaft-imperialismus-klimaneutral.html?sstr=Wentzke
Nestor
30. Juni 2021 um 20:14 Uhr
@Neoprene
Oh, oh.
Ich mache dich darauf aufmerksam, daß Stützungskäufe genau andersherum gehen: Da wird der Devisenschatz strapaziert, um die eigene Währung auf den Devisenmärkten aufzukaufen.
Umgekehrt, wenn jemand eine nationale Währung in Schwierigkeiten bringen will, so wirft er sie massenhaft auf den Markt, wie Soros seinerzeit bei seinen Angriffen auf italienische Lira und britisches Pfund.
Deswegen war ja meine Frage an Libelle, welche Staaten er da im Auge hat?
@Leser
Die gleiche Debatte um hohe und niedrige Leitzinsen der Nationalbank wie in der Türkei gab es vor mehr als einem Jahrzehnt in Ungarn.
Diese Debatte bleibt halt – absichtlich – an der Oberfläche.
Wenn die Wirtschaft abschifft und deshalb die Währung, so probiert der Notenbankchef eben sein trostloses Zinsrepertoire aus:
Zinsen hinauf zieht Kredit für staatliche und private Wertpapiere aus dem Ausland an, erhöht den Devidenschatz und die Staatsverschuldung – gibt aber Möglichkeiten für Stützungskäufe.
Das ganze Manöver bleibt innerhalb der Logik der Währungspflege und hat wenig Wirkung auf die angestrebte Erholung der Wirtschaft.
(In Ungarn wurde damals Járai, dem Notenbankchef, vorgeworfen, er ruiniere die ungarische Wirtschaft, noch dazu aus parteipolitischen Gründen, um der Regierung zu schaden.)
Zinsen hinunter verbilligt den Kredit für einheimische Unternehmen und soll die Wirtschaft stimulieren.
Wenn die einheimischen Firmen aber sowieso kurz vor dem Aus sind, so nützt der billige Kredit auch nix. Ihr Problem ist eher der stockende Absatz der Waren durch gesunkene Kaufkraft.
(In Ungarn was die Senkung des Zinssatzes wichtig, um die ganzen gestrandeten Hypothekarkredite irgendwie handhabbar zu machen, dafür wurde dann der NB-Chef abgesägt und durch einen anderen ersetzt, der die Zinsen senkte.)
Nestor
30. Juni 2021 um 20:27 Uhr
@Libelle
Das Gold schafft Abhilfe gegen die politische Instrumentalisierung des Dollar-Systems durch die USA und es schafft im Fall der Inflation Abhilfe.
Nur bei Staaten, die sich das leisten können, und das sind wenige.
Russland könnte sich ganz aus dem Dollar-System ausklinken, sofern der politische Wille da wäre, weil es ökonomisch autark ist – es könnte alles produzieren, was seine Volkswirtschaft braucht.
Aber schon zu sowjetischen Zeiten setzten die dortigen Politiker auf Westhandel, um die – selbst eingerichteten! – Unzulänglichkeiten der eigenen Ökonomie zu überwinden.
Seither gibt es jede Menge Ökonomen und Oligarchen dort, die aus verschiedenen Gründen auf den Weltmarkt setzen, und da braucht man Dollar.
Die Gegenpartie, die auf die eigenen Kräfte setzt, dürfte auch die die sein, die die Goldkäufe forciert.
Worauf @Leser zusätzlich hinweist, ist, daß es sich bei diesem Artikel um den Pensionsfonds und nicht um den NB-Fonds handelt.
Das ist ja noch einmal ein eigenes Thema.
Man fragt sich, warum braucht ein russischer (rumänischer, serbischer) Pensionsfonds überhaupt Gold oder Dollar oder Euro?
Das führt zur Problematik von Pensionsfonds in ehemals sozialistischen Staaten, die dergleichen nicht kannten und nach der Wende neu aufbauen mußten, unter Mithilfe lieber Berater aus der westlichen Finanzwelt, die dort fette Geschäfte witterten.
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Nestor
30. Juni 2021 um 20:28 Uhr
@Libelle
!!!
Da verstehe ich wirklich nur Bahnhof! 😀
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Neoprene
30. Juni 2021 um 21:27 Uhr
Genau das hat doch die Türkei mehrfach gemacht: Einen nicht unerheblichen Teil ihrer Goldreserven verkauft gegen Lira, um damit deren Kurs gegenüber dem Dollar und dem Euro zu verteidigen. Geht natürlich nicht ewig, weil irgendwann die Reserven erschöpft sind.
allokiertes Gold vs. unallokiertes Gold:
„An den einschlägigen Börsen gibt es etwa mit Gold besicherte Wertpapiere, die in der Regel als Exchange Traded Commodities (ETC) oder Exchange Traded Funds (ETF) bezeichnet werden. Im Gegensatz zu Derivaten werden diese Wertpapiere zu hundert Prozent von physischem Gold besichert, das hauptsächlich in allokierter Form gehalten wird, das heißt, die Bank bewahrt Goldbarren auf, die eindeutig einem Kunden zugeordnet sind und nicht für andere Markttransaktionen verwendet werden dürfen.“
„Laut Informationen der Deutschen Bundesbank hat man seinerzeit Gold aus England abgezogen, weil die Lagerkosten zu hoch gewesen seien. Gegenüber The Telegraph bringt Peter Hambro, Chef des Goldproduzenten Petropavlovsk andere Gründe ins Spiel. Seiner Meinung nach hat die Bundesbank das Gold zum Selbstschutz abgezogen. Das dort gelagerte Gold sei nicht allokiert gewesen. Dass heißt, die einzelnen Goldbarren habe man nicht direkt einem eindeutigen Besitzer zuordnen können.
„Vielleicht hat man entschieden, es sei sicherer, das Gold nach Hause zu bringen, weil die Bank of England in dieser Zeit zu viel Gold verliehen hat. Es geht um die Identifikation. Kann man sein eigens allokiertes Gold identifizieren oder ist man nur ein allgemeiner Gläubiger mit Metallkonto?“
„der Goldhandel in London ist mit weitem Abstand der größte Handelsplatz für Edelmetalle auf der Welt.
Täglich werden dort 5.500 Tonnen Gold, hauptsächlich im OTC Markt, gehandelt.
In einem Jahr werden somit über 1.350.000,- Tonnen Gold (OTC) gehandelt.
Es werden aber nur 6.500 Tonnen physisches Gold in London gelagert!“
Gold im eigenen Safe ist am sichersten, auch für eine Zentralbank. Etwas unsicherer, weil eben bei einer fremden Nationalbank, jedenfalls im Ausland gelagert, ist Gold, wo wenigstens der eigene Name am Regal steht. Und am unsichersten sind all die Goldzettel, die nur soviel wert zu sein versprechen, wie aufgedruckt. Also eben kein Gold sondern nur Papiergeld.
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Leser
30. Juni 2021 um 23:28 Uhr
Die Wirtschaftslage und die Währungspolitik der Türkei (inkl. Streitereien innerhalb der jetzigen türkischen Regierung über den Kurs der Wirtschaftspolitik) ist mir derzeit eher ein Rätsel, weswegen Hinweise auf z.B. das Verhältnis zu Dollar und Gold und zum IWF mir gleichfalls etwas rätselhaft bleiben.
Dass „die Wirtschaftslage“ dort irgendwie zwischen „angespannt“ und „katastrophal“ erscheint, hat ja noch keinen sonderlichen Erklärungswert. Anscheinend führt sich die AKP-Regierung dort als regionale Hegemonialmacht auf – haut vermutlich dafür massig Schulden raus. (Bei wem?)
Das mag ja am Beispiel einer sonstigen Großmacht gemessen für eine solche mittels ihres Weltgeldes btw. der Verschuldung in ihrem eigenen Geld zu managen sein.
Aber auch für die Türkei?
Letztens erschienen Berichte, dass z.B. Katar der Türkei sehr großzügige Kredite zur Verfügung gestellt habe. Bloßes Gerücht?
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/erdogan-tuerkische-lira-krise-zinsen-inflation-101.html
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Leser
01. Juli 2021 um 6:41 Uhr
Dem o.g. Tagesschau-Report über die Türkei entnehme ich, dass, gerade weil mal wieder insgesamt das Vertrauen in den Dollar zunimmt (!!!) – denn in Ami-Land sollen bald wieder Hochzins-Zeiten sein –, dass deswegen das Finanzkapital sein Geld – mal wieder – aus den früheren „Tigerstaaten“, Wachstumsstaaten, Emporkömmlingen, wieder abzieht, – und stattdessen lieber in US-Papiere, also in Dollar, geht.
Das trifft maßgeblich vermutlich mal wieder z.B. Türkei und Argentinien – und vermutlich andere sogenannte frühere „Schwellenländer“ oder „Tigerstaaten“.
Das ist ein inzwischen geläufiger Reflex. Das Finanzkapital flüchtet aus den Schwellenländern und geht zurück in die USA, denn das sei fürs Kapital ein sicherer(er…) (!) Hafen ….
Also grad das komplette Gegenprogramm (!) zu einer Flucht aus dem Dollar.
Die betreffenden Staaten, das kann man auch im Tagesschau-Report nachlesen, stehen dann vor der Wahl zwischen Pest und Cholera, weil ihnen ihr Hauptlebensmittel, der Zufluss von anlagesuchendem Kapital in Schwellenländern, ausgeht.
Das schafft Stoff für IWF-Initiativen – und in den betreffenden Ländern – hier der Türkei – geht das Diskutieren über die Richtigkeit des nationalen Erfolgsweges los. Dazu gibt es in der Türkei diverse zusätzliche Anlässe, die Nation diskutiert über die Verquickung der AKP mit Kriminalität, und ob die Einsätze in Syrien und darüber hinaus nur Beifall finden, weiß ich nicht. Merken tuns die Türken an galoppierenden Preissteigerungen, die vermutlich ihrerseits nicht nur Gründe für Bitcoins hergeben werden…
In Argentinien wurde der private Dollarbesitz mal von Staats wegen enteignet. Falls der türkische Staat ähnliches machen sollte… – ? Oder gibt es neben Katar weitere staatliche Geldgeber, die mit Dollars aushelfen? Wie stellt sich eigentlich China zur Türkei?
Zumindestens Russland scheint neben der Ukraine und dem gesamten Westen auch der Türkei seine Zähne zeigen zu wollen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153930.russland-russisches-manoever-vor-syriens-kueste.html
Dass die Staatenwelt insgesamt begeistert sei vom Dollar, das sei gar nicht behauptet. Das war aber – prinzipiell – in den letzten Jahren – noch nie prinzipiell anders.
(Dass eine Währung auch als Wertaufbewahrung taugen soll, ist nur eine Unterabteilung davon, dass man im Kapitalismus nach dem zeitweilen Bunkern anschließend neue Geschäfte anzuleiern bestrebt ist. Das ist das Spezifikum dieser Produktionsweise, dass Geld als Wertaufbewahrung der Akkumulatin subsumiert ist.
Hier ist der Standpunkt des Privatiers und Rentners ein sowieso komplett völlig anderer.)
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Dass kapitalistische Geschäfte vermehrt mit anderer Währung als mit dem Dollar gemacht werden (der Dollar steht typischerweise ja auch für Geschäfte mit fossilen Brennstoffen) – mag übrigens auch sein. Da müsste man sich mal schlau machen, davon hört man immer mal wieder …
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libelle
01. Juli 2021 um 8:22 Uhr
1. Allokiertes vs. unallokiertes Gold (Silber, Platin etc…)
@Neo hat es im Prinzip schon erklärt. Wenn man ein Wertpapier, das auf ein bestimmtes Quantum Gold lautet kauft, dann kauft man bestenfalls ein Lieferversprechen dieses Goldes. Ist das Gold allokiert, dann verfügt der Emittent tatsächlich über das Gold. Deshalb weisen ETC wie Xetra-Gold eben aus, wieviel allokiertes und unallokiertes Gold sie haben (mit einer Barrenliste z.B.). Unallokiertes Gold ergibt sich bei Xetra-Gold z.B. darüber, dass sie neue Anteilsscheine ausgeben, das Gold aber noch nicht gekauft haben. Ich glaube mal gelesen zu haben, dass die zu 98% oder so allokiert sein müssen.
Es gibt aber auch Anbieter, die bieten nur unallokiertes Gold an (oder zum großen Teil) und das heißt, sie verkaufen Lieferversprechen auf Gold für Gold, das sie nicht haben (z.B. kaufen sie für das Geld, das sie für den Verkauf von Anteilen einnehmen Futures auf den Goldmarkt o.ä.). Ein Future selbst ist auch ein unallokiertes Lieferversprechen. Das Gleiche gilt für Anbieter, die ihre Goldbestände verleihen – auch das wird als unallokiertes Gold ausgewiesen, weil die Leihe ja über beliebig viele Stationen stattfinden kann und das gleiche Quantum Gold entsprechend bei beliebig vielen Anbietern als underlying auftauchen kann, am Ende also diese Anbieter Lieferversprechen auf ein und die selbe Menge Gold ausgeben. Unallokiertes Gold ist also fiktives Gold, wenn man so will.
Im Fall des russischen Pensionsfonds ist für das Dollarguthaben auch unallokiertes Gold gekauft worden d.h. ein Lieferversprechen, dessen Gold nicht vorhanden ist. Ich vermute, dass dieses Lieferversprechen die russische Zentralbank gemacht hat. Sie könnten das Gold unmittelbar dem Fonds allokieren, da sie es ja haben, weshalb ich glaube, dass das Gold gegen die Dollar des Fonds in den Kanälen gekauft wird, in denen auch die Zentralbank ihr Gold kauft und der Fonds selber nicht als Käufer am Markt auftreten muss. Deshalb habe ich geschrieben, dass das vermutlich schrittweise allokiert wird.
2. „Das Vertrauen in den Dollar nimmt zu !!!!!!!!!!!!“ (oder doch eher 1000 !)
Man muss halt ein paar Dinge auseinanderhalten. Die Struktur der Währungsreserven ist ein langfistiges Projekt der Zentralbanken – und da ziehen sie sich tendenziell aus dem Dollar zurück.
„Gehörten Zentralbanken noch bis zum Jahr 2009 zu den Nettoverkäufern am Goldmarkt, so wandelte sich die Einstellung der Notenbanker zu dem alternativen Reserve-Asset im Zuge der Weltfinanzkrise 2008 ff. nachhaltig. Seitdem gab es kein einziges Jahr mehr, in dem die Bestände in den Tresoren der Notenbanken netto nicht anstiegen. Sieben von zehn der befragten Zentralbanken gaben an, insgesamt mehr Reserven zu haben als vor fünf Jahren. 62 Prozent sehen Gold hauptsächlich als Puffer gegen Zahlungsbilanzkrisen. Da der Eintritt einer solchen Krise im Zeitverlauf zunimmt, haben die Zentralbanken im vergangenen Jahr das Geldmetall in Rekordhöhe akkumuliert, nachdem bereits das Jahr 2018 ein Rekordjahr darstellte. Vor allem China, Russland, die Türkei und ab 2019 auch wieder verstärkt Indien gehörten zu den größten Goldkäufern der Welt.
Die Zentralbanken sind aktuell die bedeutendsten Goldinhaber mit einem Anteil von mehr als 33.650 Tonnen. Dies entspricht einem aktuellen Wert von ca. 1,65 Billionen US-Dollar. Allein in diesem Jahr gaben die Zentralbanken netto 1,15 Mrd. US-Dollar für Goldkäufe aus. Wurden im Jahr 2018 noch 656 Tonnen netto gekauft, waren es im Jahr 2019 bereits geschätzte 684 Tonnen. Im Jahr 2010, dem ersten Jahr der Netto-Goldkäufe, betrug die gekaufte Menge lediglich knapp 100 Tonnen. Seither hat sich das jährliche Kaufvolumen also versechseinhalbfacht. Diese Netto-Nachfrage der Notenbanken entspricht damit aktuell bereits einem Fünftel der gesamten Weltjahresproduktion (ca. 3.350 Tonnen). Damit sind die Zentralbanken nicht nur die mit Abstand größten Halter des monetären Edelmetalls, sondern in der Netto-Betrachtung auch die größte Käufergruppe.“
Quelle
Das Vertrauen in den Dollar kann kurzfristig (relativ zur türkischen Lira oder zum €) dann dennoch zu- oder abnehmen, je nachdem was der Dollar als Alternative zu den anderen Kreditgeldern hermacht.
Obiges Zitat beantwortet auch die Frage, ob sich nur die wenigsten Zentralbanken Goldkäufe leisten können – das können auf jeden Fall sehr viele und kaufen auch Gold. „Leisten“ kann sich das eine Zentralbank nur in dem Fall nicht, als dass der Handel ihr keine Dollar einspielt oder sie ihre Dollarreserven für was anderes braucht. Sonst steht sie vor der Frage, wie sie ihre Währungsreserven strukturiert.
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Nestor
01. Juli 2021 um 8:24 Uhr
@Neoprene
Danke für die Aufklärung.
Das mit der Türkei war also ein Mißverständnis. Sie ist aber ein schlechtes Beispiel, weil sie ja gerade nicht ihre eigene Währung verkauft, sondern dieselbe gekauft hat.
Ihre großen Goldkäufe relativieren sich daran, daß sie offenbar auch ein großer Goldverkäufer ist.
Man kann sich die Frage stellen, warum sie nicht Weltwährungen wie Dollar oder Euro verwendet, sondern Gold? Das dürfte mit ihrem Ehrgeiz, sich selber als Macht zu etablieren, zusammenhängen, es hat also außerökonomische Gründe. Von der Handhabung her ist es sperriger, mit Gold zu arbeiten.
@Leser
Die Türkei und ihre Währung wird – absurderweise – sowohl von Katar als auch von Saudi-Arabien gestützt.
Von Katar, weil sie dieses im Streit mit Saudi-Arabien unterstützt hat. Die Türkei hat sich damals zur militärischen Schutzmacht Katars erklärt und ist bis heute ein Partner, den Katar auf keinen Fall verlieren möchte.
Zweitens hat Saudi-Arabien nach der Kashoggi-Affäre massiv Stützungskäufe der Lira unternommen, um die Türkei von weiteren, allzu genauen Nachforschungen abzubringen. Das Thema war dann plötzlich vom Tisch.
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Leser
01. Juli 2021 um 9:16 Uhr
Noch mal unterstrichen:
Schatzbildung ist nicht der Zweck der kapitalistischen Produktionsweise. Sondern Akkumulation . Und Vermehrung (nicht Aufschatzung) abstrakten Reichtums. Das vermehrt auch die Zugriffsmacht auf die Reichtümer der ganzen Welt, welche wiederum nur den Zuwachs abstrakten Reichtums befördern sollen etc. Also das komplette Gegenprogramm zu Donald Duck, der Gold anhäufen will, um Gold anzuhäufen.
(Und danach richtet sich auch, wieviel von welcher Geldsorte dafür gebraucht wird.
Staatliche Reserven müssen dafür taugen. Das allein ist bereits für etliche Staaten ein Springpunkt.
Dass staatliche Reserven auch zusätzlich weitere Funktionen haben, ist dazu kein Gegenargument.)
—
Edit: Dass dir, sobald dir die Argumente ausgehen, das GSP-Bashing einfällt, ist leider immerzu so. Und dass dir bei jeder Krise Gold einfällt, sogar als Anlagetipp, das kann man im Blog Walgesang aus den vergangenen Jahren dort nachlesen. Einen Verfall kann ich darin gar nicht entdecken. Sondern eine Verwechselung des Willens hierzulande zurechtkommen zu wollen (dafür solle mehr an Gold taugen) mit Kalkulationen von Staaten, die in ihren Reserven je nach ihren Notwendigkeiten (!) diverse unterschiedliche Geldsorten parat halten, sicherlich darunter auch Gold.
edit II: Dass ein Geld oder sonstwas „zerfallen“ würde – oder eine Lage „sich zuspitze“ – das sind bereits bewertete Beobachtungen, die deswegen als Beobachtungen wichtig sein sollen, weil sie angeblich objektive „Trends“ seien, und diese Trends seien dann ratzfatz bereits Fakten…
Und so eben funktioniert interessierte Deutung.
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libelle
01. Juli 2021 um 9:22 Uhr
Das könntest du zu den Dollarreserven der Zentralbanken auch sagen, weshalb man sich fragt, warum dir das ausgerechnet dann einfällt, wenn viele Zentralbanken zu einer Alternative (Gold) wechseln. Ein „Schatz“ ist das als Dollarreserve nämlich genauso! Ganz offensichtlich braucht es halt einen Schatz bei der Zentralbank, um die Akkumulation grenzüberschreitend stattfinden zu lassen. Das heißt aber nicht, dass Schatzbildung deshalb der Zweck dieser Ökonomie ist.
edit: Da du ja engagiert GSP Links unter die Leute bringst, fragt man sich, ob das die Position des GSP ist, also die Links das, was du schreibst wirklich decken. Wenn ja müsste man auch beim GSP Verfall konstatieren.
@Leser:
Naja, ich würde sagen, das war Leser-Bashing. Lies doch mal Resultate Nr. 4, bevor du es als Quelle für dein Zeug in Anspruch nimmst.
Sonst: Ja, ich ziehe die Konsequenz, dass ich keine Lebensversicherungen als Rentenvorsorge halte, sondern das irgendwann gekündigt habe und seither (sogar mit ein bisschen Gewinn) u.a. Edelmetalle halte. Das ist natürlich ein Argument fürs „Zurechtkommen“ – aber überleg‘ dir doch mal wogegen du dein Argument in Anschlag bringst. Nämlich dagegen im Alter irgendwie zurechtzukommen. Das scheint man als Kommunist nicht zu müssen, da kann man scheinbar von Luft und Agitation leben und sich so ein Lebensbashing leisten, das man allen, die ihr Überleben in den Verhältnissen irgendwie organisieren aufs Brot schmiert. Und das ist ja wirklich nur eine Konsequenz, die das besprochene Thema, da es Folgen für das Zurechtkommen hat in den privaten Bereich verlängert – das war nie das Hauptthema.
Dass Zentralbanken ihre Goldschätze ausweiten und repatriiieren (Niederlande, Slowakei, Österreich, Deutschland) – also unter ihre Kontrolle bringen ist ein Faktum. Interessierte Deutung ist es eher das Faktum zu leugnen. Sag doch mal, warum das kein Trend sein soll?! Das findet doch seit Jahren statt!
edit: Also hier nochmal mein Lesetipp für Leser:
RESULTATE der Arbeitskonferenz 6.Jahrgang Nr. 4 Dez. 79 (Imperialismus 1 § 2 S.11 ff.)
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Neoprene
01. Juli 2021 um 12:39 Uhr
„Ganz offensichtlich braucht es halt einen Schatz bei der Zentralbank, um die Akkumulation grenzüberschreitend stattfinden zu lassen.“
Wobei das „Brauchen“ offensichtlich keine enge, strenge Voraussetzung ist. Erst recht „braucht“ es dazu keinen Goldschatz, jedenfalls gab es immer einige Staaten, die relativ viel Gold gehalten haben und andere, fast nur auf Devisen gesetzt haben, natürlich zumeist auf Dollar.
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libelle
01. Juli 2021 um 13:00 Uhr
@Neo
Naja, die Zentralbanken, deren Währung nicht ohne Weiteres konvertibel ist halten große Dollarreserven. Bei denen, deren Währung konvertibel ist, macht der Goldschatz i.d.R. den Großteil der Reserven der Zentralbank aus. edit: Und diese (großen) Dollarreserven, die in Form von Staatsanleihen gehalten werden, werden in ihrer Funktion als Schatz gewürdigt und da sind seit 2008 eben vermehrt Gründe aufgetaucht, die gegen den Dollar sprechen (siehe Thread). Deshalb tauscht eine Zentralbank nicht gleich alle Dollar in Gold (oder andere Währungen) um, sondern reduziert den Dollarbestand auf das Notwendige.
Der Schatz der Zentralbank hat ganz wesentlich die Funktion die Konvertibilität der eigenen Währung über (möglichst) alle Eventualitäten hinweg sicherzustellen.
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Neoprene
01. Juli 2021 um 13:11 Uhr
„die Zentralbanken, deren Währung nicht ohne Weiteres konvertibel ist halten große Dollarreserven. Bei denen, deren Währung konvertibel ist, macht der Goldschatz i.d.R. den Großteil der Reserven der Zentralbank aus.“
Nein, so einfach ist das nicht (Stand 2019):
Schweiz: 5,1% Anteil
Japan: 2,4%
Saudi-Arabien: 2,4%
Vereinigtes Königreich: 7,3%
Spanien: 15,8%
Türkei: 12,1%
Südkorea: 1%
Dänemark: 3,6%
Polen: 4,4%
Australien: 5,6%
Indien 5,9%
https://de.wikipedia.org/wiki/Goldreserve
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libelle
01. Juli 2021 um 13:24 Uhr
OK – auf diese komplizierte Frage habe ich keine Antwort. Vielleicht gibts ja auch Unterschiede in der Einschätzung des Dollar. Bei der SNB sind es besondere Gründe. Die musste um den Wechselkurs zum € zu verteidigen jede Menge Franken schöpfen, und hat für die Währung, die sie da eingenommen hatz.B. Aktien oder Südkoreanische Währung gekauft. Das ist eine Sondersituation und ich vermute, dass auch im Fall Südkorea und Australien besondere Argumente gelten. Australien ist z.B. einer der größten Goldförderer. OK vielleicht ist es ja immer eine Mischung aus den allgemeinen Gründen u, der besonderen Situation des jeweiligen Landes und der Zentralbankpolitik.
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NN
01. Juli 2021 um 17:52 Uhr
Flottille gegen Moskau
Großmanöver »Sea Breeze 2021« im Schwarzen Meer gestartet: Breites prowestliches Bündnis macht gegen Russische Föderation mobil
Von Jörg Kronauer
Unter Führung der USA und der Ukraine hat am Montag im Schwarzen Meer ein Großmanöver zur Optimierung gemeinsamer Militäroperationen der prowestlichen Anrainer mit der NATO begonnen. An der Kriegsübung »Sea Breeze 2021«, der bislang größten der seit 1997 abgehaltenen Manöverserie, nehmen 5.000 Soldaten aus 32 Ländern mit 32 Schiffen, 40 Flugzeugen sowie 18 Spezialeinheiten und Tauchteams teil. Geprobt werden verschiedene Operationsarten, darunter amphibische Manöver und Einsätze an Land, der Luft- und U-Boot-Abwehr sowie maritime Abriegelungsoperationen. Besondere Bedeutung besitzt die militärische Kooperation mit der Ukraine und Georgien, den beiden einzigen Anrainerstaaten außer Russland, die nicht der NATO angehören. Die Übung sei zudem »eine greifbare Demonstration der US-Unterstützung für die Ukraine«, wird die Geschäftsträgerin der US-Botschaft in Kiew, Kristina Kvien, zitiert.
Mit »Sea Breeze 2021« setzen die westlichen Mächte die Verstärkung ihrer Truppenpräsenz im und am Schwarzen Meer fort. Im März teilte die NATO in ihrem Jahresbericht mit, sie habe ihre Manöver in der Region intensiviert. Bereits zuvor hatte es geheißen, Kriegsschiffe der USA und weiterer Mitgliedstaaten abgesehen von den Anrainern operierten inzwischen während rund zwei Dritteln des Jahres im Schwarzen Meer. Vergangene Woche hat ein britischer Zerstörer mit einer gezielten Provokation, dem Eindringen in die Hoheitsgewässer vor der Krim, russische Reaktionen auf etwaige NATO-Vorstöße ausgetestet. Das soeben beendete Großmanöver »Defender Europe 21« hat die Verlegung von US-Großverbänden nach Südosteuropa und in die Schwarzmeerregion geübt, während die Bundeswehr sich am Aufbau eines neuen regionalen NATO-Hauptquartiers in Rumänien (Multinational Corps South-East) beteiligt und seit vergangener Woche Eurofighter für die rumänische Luftraumüberwachung in Constanta an der Schwarzmeerküste stellt.
Parallel nutzen die Vereinigten Staaten »Sea Breeze 2021«, um ihr globales Bündnissystem zu konsolidieren und auszudehnen. So nehmen an der Kriegsübung nicht nur Australien, Japan und Südkorea teil, deren Streitkräfte im Kern zum militärischen Dispositiv des Westens gegen China zählen. Auch Militärs aus Brasilien, Israel, Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind involviert, darüber hinaus zum ersten Mal vier Staaten Nord- und Westafrikas (Ägypten, Tunesien, Marokko, Senegal). Die deutsche Marine hingegen ist seit 2016 nicht mehr bei »Sea Breeze« präsent. Sie konzentriert sich neben ihren Einsätzen – vor allem im Mittelmeer – stark auf die Ostsee und bereitet sich aktuell auf ihre erste Übungsfahrt ins Südchinesische Meer vor.
Russland, gegen das sich »Sea Breeze 2021« richtet, fordert die Absage des Großmanövers: »Das Ausmaß und die offensichtlich aggressive Art der militärischen Übungen entsprechen in keiner Weise den tatsächlichen Sicherheitsbedürfnissen in der Schwarzmeerregion«, twitterte die russische Botschaft in Washington bereits vergangene Woche. Das beeindruckt im Westen freilich niemanden. Denn neben der Unterstützung der Ukraine geht es darum, Russland zu schwächen. Dessen Marinepräsenz in dem Gewässer sei nicht nur für die »Verteidigung der russischen Südflanke« existenziell, hielt vor geraumer Zeit das Fachblatt Marineforum fest; sie sei außerdem »das strategische Rückgrat« der russischen »Machtprojektion über den Bosporus hinaus ins östliche Mittelmeer und den Nahen Osten«.
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Provokation beantwortet
Russland testet Bereitschaft seiner Schwarzmeerflotte
In Reaktion auf die unter US-Führung gemeinsam mit der Ukraine und NATO derzeit abgehaltene Kriegsübung »Sea Breeze 2021« im Schwarzen Meer hat Russland am Dienstag die Bereitschaft seiner Flugabwehrsysteme auf der Krim getestet. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax setzte die russische Schwarzmeerflotte rund 20 Kampfflugzeuge und Hubschrauber, darunter »Su-24M«-Bomber, sowie »S-400«- und »Pantsir«-Boden-Luft-Raketensysteme bei den Bereitschaftstests ein.
»Die Schwarzmeerflotte tut eine Reihe von Dingen, um die Aktionen von Schiffen der NATO und anderen Ländern zu überwachen, die an ›Sea Breeze 2021‹ teilnehmen«, zitierte Interfax das nationale Verteidigungsmanagementzentrum in einer separaten Erklärung. Zuvor hatte Moskau gefordert, die Militärübungen abzusagen, und erklärt, das Verteidigungsministerium werde reagieren, wenn es zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendig sei.
Die am Montag begonnene Militärübung »Sea Breeze 2021« soll zwei Wochen dauern und umfasst etwa 5.000 Militärangehörige der NATO und anderer Verbündeter sowie rund 30 Schiffe und 40 Flugzeuge. (Reuters/dpa/jW)
Provokateure vor der Krim
Bericht: Erneuter Vorfall am Tag nach beabsichtigter Beinahekonfrontation mit britischem Kreuzer. Niederlande werfen Russland »Scheinangriffe« vor
Von Reinhard Lauterbach
Die Passage des britischen Zerstörers »HMS Defender« durch die von Russland beanspruchten Gewässer vor der Krim war offenbar Teil einer gezielten Provokationsserie. Das geht aus als »nur für britische Augen« klassifizierten Dokumenten des Londoner Verteidigungsministeriums hervor, die kurz nach dem Vorfall auf einem Müllhaufen an einer Bushaltestelle in der Grafschaft Kent gefunden wurden. In den Dokumenten, die der Finder zunächst der BBC zur Verfügung stellte, wurden vor der Operation der »HMS Defender« mehrere Szenarien und Kurse für die Fahrt des Schiffs von Odessa nach Batumi in Georgien durchgespielt. Für den küstennahen Kurs sprach demnach die Entscheidung des Verteidigungsministeriums, politische Unterstützung für die Ukraine zu demonstrieren. Ein Kurs über die hohe See könne in Russland den Eindruck erwecken, Großbritannien erkenne die Zugehörigkeit der Krim zu Russland indirekt an und »ziehe den Schwanz ein«.
Einen Tag nach dem »HMS Defender«-Zwischenfall ereignete sich, wie erst am Dienstag abend bekanntwurde, eine ähnliche Situation mit der niederländischen Fregatte »Evertsen«. Das niederländische Verteidigungsministerium warf Russland vor, mit Scheinangriffen und niedrigen Überflügen »unprofessionell« und »gefährlich« agiert zu haben. Außerdem sei die elektronische Ausrüstung der »Evertsen« für mehrere Stunden gestört gewesen – das zu demonstrieren, dürfte ein wesentlicher Zweck der russischen Aktivitäten gewesen sein. Solche Störungen der Bordelektronik haben in der Vergangenheit auch schon US-Kriegsschiffe veranlasst, Annäherungsversuche an die Küste der Krim abzubrechen.
Die Niederlande erklärten, der Zwischenfall mit der »Evertsen« habe sich 14 Seemeilen vor der Küste der Halbinsel ereignet. Der russische Dienst der BBC zitierte die Sprecherin des Ministeriums jedoch mit der Aussage, der Westen halte die fraglichen Gewässer für ukrainisch. Sollte Den Haag bei dieser Darstellung bleiben, würde das heißen, dass sich die »Evertsen« doch innerhalb der von Russland beanspruchten Zwölfmeilenzone aufgehalten haben muss. Von russischer Seite wurde indirekt eingeräumt, dass sich das niederländische Schiff zum Zeitpunkt des Alarms für die russischen Flugzeuge in internationalen Gewässern aufgehalten habe. Die Flugzeuge seien aufgestiegen, nachdem die »Evertsen« Kurs auf die Meerenge von Kertsch zwischen der Krim und dem Kuban-Gebiet genommen habe. Diese Meerenge betrachtet Russland inzwischen als sein Territorialgewässer; die Ukraine sieht dadurch ihren Zugang zu den Häfen Berdjansk und Mariupol am Asowschen Meer behindert.
Das zeitliche Zusammenfallen der beiden maritimen Zwischenfälle deutet darauf hin, dass eine der Aufgaben des derzeit im Schwarzen Meer stattfindenden NATO-Manövers »Sea Breeze 2021« wohl ist, die Reaktion der russischen Küstenverteidigung zu testen. Indirekt geht dies auch aus einem Bericht des US-Senders Radio Free Europe hervor; er warf Russland in seinem bulgarischen Dienst vor, das NATO-Manöver zum Anlass für eigene Übungen seiner Luft- und Schiffsabwehrkräfte auf der Krim zu nehmen.
Offizielle russische Medien warfen USA und NATO eine gezielte Provokationsstrategie im Schwarzen Meer vor. Je mehr solche Beinahekonfrontationen es gebe, desto größer sei die Gefahr, dass eines Tages wirklich geschossen werde, zitierte etwa die Krim-Ausgabe der Agentur RIA einen Wissenschaftler von der Diplomatenhochschule MGIMO. Gleichzeitig wird die eigene Bevölkerung beruhigt: Die russische Seeüberwachung kontrolliere das ganze Schwarze Meer bis zum Bosporus, und die Manövergruppierung der NATO sei nicht stark genug, um einen tatsächlichen Angriff auf russisches Territorium zu starten.
Moskau: Britische Chodorkowski-Stiftung unerwünscht
Die russische Justiz geht weiter gegen den im Exil lebenden Ex-Ölmagnaten Michail Chodorkowski vor. Dessen britische Stiftung sei als unerwünscht eingestuft worden, teilte die Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch in Moskau mit. Damit geht faktisch ein Betätigungsverbot einher. Die Aktivitäten der 2014 gegründeten Stiftung gefährdeten die »verfassungsmäßige Ordnung und Sicherheit der Russischen Föderation«, hieß es zur Begründung. Die Stiftung unterstützt nach eigener Darstellung Bildungsprogramme in Russland. Darüber hinaus wurden weitere Organisationen als unerwünscht erklärt. Der frühere Öl-Kapitalist Chodorkowski gehört zu den finanzstarken Gegnern des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er wurde in Russland wegen Betrugs verurteilt und 2013 überraschend begnadigt. In den vergangenen Jahren wurden bereits andere Chodorkowski-Stiftungen verboten. (dpa/jW)
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Nestor
01. Juli 2021 um 23:33 Uhr
@Leser
Na sowas.
Wer hätte das gedacht.
Das negative Urteil taugt prinzipiell nichts. Hier wird etwas dementiert, was gar nie behauptet wurde.
Es geht vor allem um die Politik der Nationalbanken und deren Bankschätze, und da ist Schatzbildung ein zentrales Moment. Im Übrigen gehört Schatzbildung natürlich aufgrund verschiedener Umstände zum Kapitalismus dazu, nachzulesen bei Marx in KI, I. Abschnitt, III. Kapitel, 3. Geld.
Um wen geht es da?
Bitte erwähne immer, auf wen und welchen Beitrag sich solche etwas tantigen Sprüche beziehen – wenn sie denn sein müssen.
@Neoprene
… wie z.B. die „alpine Sparkasse der kapitalistischen Welt“. Obwohl die Schweiz da inzwischen einige Konkurrenz hat.
Wenn man in Zürich durch irgendeine zentrale Straße geht, so heißt es, man wandle auf dem Schweizer Goldschatz.
Welchen Teil ein Staat bzw. dessen NB in Gold und was in Anleihen von wichtigen Nationen hält, kann sowohl ökonomische als außerökonomische Gründe haben.
Generell ist zu sagen, daß der Griff nach Gold von einem gewissen Mißtrauen in die diversen Mächte und ihre Gelder zeugt. Eine Art Katerstimmung nach dem Geldfetisch der Nullerjahre.
Europäische Konkurrenz nach Corona
Während in der BRD die Restrukturierung der ökonomischen Position dadurch versucht wird, dass der deutsche Standpunkt der Energiesouveränität mit entsprechender neuer nicht-fossiler Technologie (sog. ‘Klimaschutz-Bemühungen’) von der BRD europaweit verbindlich gemacht werden soll, will der französische Staat augenscheinlich die Re-Industrialisierung Frankreichs stärken, und fördert dafür diesbezügliche frz. Anstrengungen.
“(….) Auer ist eins von bisher 500 Unternehmen, dessen Reshoring-Pläne die Regierung unterstützt – innerhalb ihres milliardenschweren Wiederaufbauplans für die von Corona geplagte Wirtschaft. “Wir stellen insgesamt 500 Millionen Euro für diese Unternehmen zur Verfügung”, sagt Industrieministerin Agnès Pannier-Runacher zu DW. “Schließlich hat sich unser Land über die vergangenen 30 Jahre deindustrialisiert. Die Industrie macht nur noch zwölf Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes aus, im Vergleich zu 23 Prozent in Deutschland – dabei ist sie das Rückgrat unserer Wirtschaft. Wir wollen sie wiederherstellen! Die Pandemie habe zudem die Kehrseite von globalen Lieferketten deutlich gemacht. “Vielen Unternehmen ist klar geworden, dass Outsourcing sie weniger wettbewerbsfähig macht, wenn diese Lieferketten auf einmal unterbrochen sind. Außerdem kann man sich Marktentwicklungen viel besser anpassen und schneller neue Prototypen produzieren, wenn man im Heimatland herstellt”, unterstreicht die Ministerin.
(…) Dennoch habe Reshoring seine Grenzen. “Bisher verlagern Unternehmen vor allem kleine und mittlere Produktionslinien zurück nach Frankreich. Und unsere gesamte Industrie werden wir nicht zurückholen können – dafür fehlen uns die Facharbeiter”, so der Experte. (…) “Wenn wir in einem sich schnell entwickelndem Markt wie dem der umweltfreundlichen Wärmepumpen überleben wollen, müssen wir einfach die volle Kontrolle über unsere Innovationen und kritischen Komponenten haben”, gibt sich der Unternehmer überzeugt.”
https://www.dw.com/de/franz%C3%B6sische-firmen-holen-produktion-zur%C3%BCck-ins-land/a-58127052
Auch solche Tendenzen zum “Reshoring” schwächen die Position der sog. ’emerging markets’, so dass die Tendenz mancher Teile des Finanzkapitals, der (angeblich zukünftigen) höheren Zinsen in den Metropolen wegen sich aus ehemals boomender Peripherie langsam zurückzuziehen, auch von staatlicher Seite der maßgeblichen kapitalistischen Nationen zusätzlich mit solch ökonomischen staatlichen Fördermitteln verstärkt wird.
Dass Bitcoin in solchen Staaten eine größere Rolle bekommt, ist auch eines der Resultate solcher Entwicklungen:
“Subventionierter Strom macht Argentinien zum Bitcoin Schüfer-Paradies. Eine Million Argentinier hoffen zudem, mit dem Kauf der Kryptowährung wenigstens ein Geld vor der Inflation retten zu können.”
https://www.dw.com/de/argentinien-paradies-f%C3%BCr-bitcoin-sch%C3%BCrfer/av-58116496
Über Spaniens Schwerpunkte nach Corona – na ja, zwischendurch wird dort von steigenden Ansteckungszahlen gemeldet – habe ich ansonsten nur dies gefunden:
“Mit dem Plan de Acción para la Internacionalización de la Economía Española 2021-22 wird die staatliche Außenwirtschaftsförderung intensiviert. Infolge der Coronakrise wurde dieses Element der Zehnjahresstrategie 2017 bis 2027 angepasst.
Laut der Wirtschaftszeitung Cinco Días gilt das regionale Interesse vor allem Argentinien, Chile und Mexiko. In Europa steht der britische Markt nach dem Brexit im Fokus. Derzeit sind circa 55.000 spanische Unternehmen dauerhaft im Auslandsgeschäft aktiv. Das sind 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Budgets für ihre Förderung steigen 2021 an. ”
https://www.gtai.de/gtai-de/trade/wirtschaftsumfeld/meldung-wirtschaftsumfeld/spanien/regierung-erweitert-aussenwirtschaftsfoerderung–656966
Auch aus Italien wird berichtet, dass der Staat Bemühungen um eine Re-Industrialisierung forciert. Die divrsen EU-Bestimmungen betr. Wettbewerbsrecht und Verbot von Staatsfinanzierung sind anscheinend allenthalben ausgehebelt:
“Der italienische Staat beteiligt sich mit 400 Mio. € am Pleite-Stahlwerk von Arcelor-Mittal in Tarent in Süditalien. Weil es gemäss Gesetz ein «strategischer» Industriebetrieb ist, soll es gerettet werden. Das Finanzministerium erwirbt über seine Beteiligungsgesellschaft Invitalia vorerst 38% der Aktien und 50% der Stimmrechte, der Verwaltungsrat wird paritätisch besetzt. In einem zweiten Schritt soll der Staat sein Engagement auf 680 Mio. € ausweiten und 60% der Stimmrechte übernehmen. Arcelor-Mittal soll seinerseits 70 Mio. € an frischem Geld investieren. Das sind vergleichsweise bescheidene Zahlen. Gewerkschaftskreise forderten auch schon eine Investition von 3 Mrd. €.”
https://www.nzz.ch/wirtschaft/italien-staat-macht-mit-stahl-industriepolitik-in-taranto-ld.1612193
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Italien will die Konjunktur nach Corona mit Geld von der EU ankurbeln. Was jetzt getan werden muss, sagt Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand im DW-Gespräch:
Das industrielle Herz Italiens hier im Norden schlägt also weiter, konnte weiter produzieren?
Ja, das konnte weiter produzieren. Wir haben hier ja eine ganz eng verflochtene Produktion zwischen Deutschland und Italien in verschiedenen Sektoren. Das hat eigentlich bis auf ganz wenige Ausnahmen weiter funktioniert. Auch die Logistik stand. Das gilt vor allem für Unternehmen von einer Größe, die gut aufgestellt sind für Innovation und Ausrichtung auf die Zukunft. (…)
Sie haben den Recovery-Fund, das Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union angesprochen. Italien soll daraus etwa 200 Milliarden Euro erhalten. Wo sollte dieses Geld ihrer Meinung nach angelegt werden?
In Transformation der vorhandenen Industriestruktur in Richtung mehr Digitalisierung, in mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und den Produkten. Wir haben eine sehr gute industrielle Grundlage, wo wir auch kleine und mittlere Unternehmer mitziehen können, wenn dort wirtschaftlich eine starke Richtung vorgegeben wird: Mehr grün, mehr digital, mehr Vernetzung. Ein anderer wichtiger Punkt in die duale Berufsausbildung.
https://www.dw.com/de/buck-stimmung-in-der-italienischen-industrie-ist-gut/a-56873234
Die deutsche FES-Stiftung resümiert ihre Einschätzung der Debatte in der italienischen Politik: “Zu den Schwerpunkten der Diskussion zählen
folgende Themen: welche strategische Ausrichtung die Regierung den vielen wettbewerbsfähigen italienischen Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung geben sollte, die in vielen für den wirtschaftlichen Aufschwung und die grüne Transformation grundlegenden Bereichen (Energie, Verkehr, Telekommunikation) tätig sind; selektive Unternehmensförderung; Schaffung von «lokalen Innovationsökosystemen» in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften. Während der Coronapandemie erhob die Regierung mit Nachdruck ihre Stimme bei Geschehnissen, die einige Unternehmen von nationaler Bedeutung betrafen (Autostrade, ILVA, Alitalia, Vereinbarung zwischen TIM und Open Fiber). Dennoch konnten sich die Parteien des Mitte-links-Lagers noch nicht auf industriepolitische Strategien einigen, auch weil es in der Diskussion verständlicherweise vorrangig um den Gesundheitsnotstand und wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen geht.”
http://library.fes.de/pdf-files/bueros/rom/17114.pdf
Italien, – aus Sicht der taz von gestern:
“ROM taz | Wird Italien in den nächsten Jahren zum Umweltparadies, mit höherer Energieeffizienz, mit dem Ausbau der Elektromobilität, mit der Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung? Wenigstens die Zahlen legen das nahe. Aus dem europäischen Programm „Next Generation EU“ erhält das Land mit 191,5 Milliarden Euro so viel wie kein anderes EU-Mitglied, und auf diese Summe will es noch einmal 30 Milliarden aus eigenen Haushaltsmitteln draufpacken. Stolze 68,6 Milliarden und damit fast ein Drittel sind allein für das Kapitel „Grüne Revolution und ökologischer Übergang“ eingeplant.
Ins Bild passt, dass die Regierung unter dem früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi nach seinem Amtsantritt im Februar 2021 das bisherige Umweltministerium in „Ministerium für den ökologischen Übergang“ umgetauft hat. Dort residiert jetzt der Physiker Roberto Cingolani, der die Oberaufsicht für die Verwendung der ihm anvertrauten Milliarden hat.
6,5 Milliarden Euro will er nach dem „Nationalen Plan für Wiederaufschwung und Resilienz“ in nachhaltige Landwirtschaft sowie in „Kreislaufökonomie“ stecken. Damit ist vorneweg die Erhöhung der Recyclingquoten beim Müll gemeint. Mit 25 Milliarden Euro ist jedoch der größte Batzen für „Energiewandel und nachhaltige Mobilität“ vorgesehen.
Mit einer Quote der Erneuerbaren von 34 Prozent bei der Stromerzeugung und von knapp 18 Prozent beim gesamten Energieverbrauch liegt das Land gleichauf mit anderen wichtigen EU-Staaten; vor allem in den Jahren 2006 bis 2013 hatte es mit großzügigen Förderprogrammen den Ausbau von Wind-, Sonnen- und Biomassenenergie vorangetrieben. Auch infolge dieser Politik konnte Italien den jährlichen CO2-Ausstoß pro Kopf von fast 10 Tonnen im Jahr 2008 auf 7,2 Tonnen senken; der EU-Durchschnitt liegt bei 8,5 Tonnen.
Erreicht wurde dieses Resultat immerhin in dem Land, das mit seiner Industrieproduktion in der EU auf Platz zwei hinter Deutschland und noch vor Frankreich liegt. (…)
Stolze 15 Milliarden Euro nehmen Draghi und sein Umweltminister Cingolani für Gebäudesanierungen in die Hand. Zehntausende Wohnbauten sollen in den nächsten Jahren dank Fassadendämmung und neuer Heizungsanlagen ihre Energiebilanz deutlich verbessern. Um ihr Ziel zu erreichen, macht die Regierung Bürger*innen und Wohnungsunternehmen ein Angebot, das man kaum ausschlagen kann: Sie bekommen die Sanierung geschenkt. 110 Prozent der Kosten übernimmt der Staat mit auf zehn Jahre gestreckten Steuerabschlägen.
https://taz.de/Klimaschutz-in-Italien/!5780357/
Italien, Teil 3:
Italiens Staatsschulden schießen in die Höhe
Die ohnehin bereits enorme Staatsverschuldung Italiens ist in der Corona-Pandemie weiter stark angestiegen. Im ersten Quartal 2021 nahm das Land neue Schulden in Höhe von 13,1 Prozent der Wirtschaftsleistung auf, wie das nationale Statistik-Amt Istat am Donnerstag mitteilte.
Die Staatsausgaben stiegen demnach um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, während die Einnahmen um nur 1,4 Prozent wuchsen.
(…) Die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi hatte im April ihre De!zitprognose für 2021 von 9,5 Prozent des BIP auf 11,8 Prozent angehoben. Grund ist ein ehrgeiziges Konjunkturprogramm.
Zugleich ist Italien der größte Empfänger der Mittel aus dem Corona-Aufbaufonds der EU. 191,5 Milliarden Euro des insgesamt 750 Milliarden Euro umfassenden Topfes sind für Italien reserviert. Gut ein Drittel davon soll Rom in Form direkter Zuschüsse erhalten, die nicht zurückgezahlt werden müssen.
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/italiens-staatsschulden-schiessen-wegen-corona-krise-weiter-in-die-hoehe/
Staaten, wo noch einiges an Industrie da ist, können sich ja daran versuchen, ob sich darauf wieder aufbauen läßt.
Spanien hat die meiste seiner Industrie – und übrigens auch seiner Landwirtschaft – zugesperrt und sich unter „marca españa“ auf Dienstleistungen, Tourismus, Infrastruktur und Obst und Gemüse aus Folienhäusern spezialisiert.
Einmal sehen, ob da etwas kommt in Sachen Re-Industrialisierung.
Laut Stephan Kaufmann “… wird durch Delta deutlich, dass Corona wohl auch in Zukunft nicht verschwinden wird. Die Börsenkurse belastet dies derzeit jedoch nicht, hier werden neue Rekorde vorausgesagt. Denn Ökonomen erwarten, dass sich Konjunktur und Unternehmensgewinne zunehmend vom Infektionsgeschehen abkoppeln. (…) Weder die Aussicht auf vermehrte Ansteckungen noch der Übergang von der Pandemie zu Endemie macht den Konjunkturprognostikern derzeit allzu große Sorgen. Sie halten an ihrer Erwartung fest, dass das Wachstum auch in der zweiten Jahreshälfte stark wird. Denn, so die Commerzbank, es gibt einige Faktoren, die Hoffnung machen, dass die nächste Corona-Welle nicht so hoch werden wird wie die gerade ausgelaufene. (…)
An den Börsen wird mit weiteren Rekorden gerechnet. Denn durch die Erholung verdienen die Aktiengesellschaften gut. Bei den 600 Unternehmen aus dem europäischen Stoxx-Aktienindex gehen die Fachleute in den ersten beiden Quartalen von einer Verdopplung der Gewinne im Vergleich zum Vorjahr aus, die Folgequartale sollen immerhin Zuwächse von einem Drittel und einem Viertel bringen. „Wir sehen weiter die Impferfolge und die Öffnung der Wirtschaft als die treibende Kraft hinter den verbesserten Aussichten und damit letztlich hinter den Aktienkursgewinnen“, sagte Marija Veitmane vom Vermögensverwalter State Street Global Markets der Finanzagentur Bloomberg.
https://www.fr.de/wirtschaft/handel-nach-corona-die-konjunktur-wird-immunisiert-90842893.html
Das ist ja auch der Witz der ganzen Impfkampagne: Daß der Glauben der „Rückkehr zur Normalität“ gestärkt wird und damit das Geschäfte- und Gewinnemachen wieder losgehen kann.
Auf den Börsen also wieder alles wie gehabt.
Wie es auf der Stufe der realen Geschäfte von Kleingewerbetreibenden, ICH-AGs oder auch größeren produzierenden Firmen aussieht, ist eine andere Frage. Aber von dieser Art von Geschäft hat sich die Finanzwelt ohnehin schon lange abgekoppelt.
!Wer über Inflation spricht, spricht nicht über eine mysteriöse Entwertung des Geldes, die uns alle bedroht. Sondern über Macht und Ohnmacht auf dem Markt und die Verteilung des produzierten Reichtums. ”
Leider wird diese Erkenntnis von Stephan Kaufmann – die er im unten zitierten neuen Aufsatz im ‘Freitg’ begründet – von Sozialdemokraten und Gewerkschaften nicht in die prinzipielle Klassenfrage verlängert, sondern meist zum Anlass für Veteilungsanträge heruntergewirtschaftet ….
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/inflation-ist-ein-linkes-thema
Die Chip-Hersteller rechnen sich offenbar aus, nicht mit den bisherigen konkurrieren zu können:
Halbleiter
Infineon-Chef stellt Bedarf für neue Chipfabrik infrage
Infineon-Chef Reinhard Ploss sieht die von der EU forcierten Pläne für eine riesige Fabrik für die modernsten Computer-Chips in Europa skeptisch.
“Wenn man sich für eine Zwei-Nanometer-Fabrik in Europa entscheidet, würde ich mich fragen, wer die Kunden dafür sein sollen. Handy-Hersteller? Davon gibt es in Europa nicht mehr so viele. Computer-Produzenten? Wir mögen hier Computer nutzen, aber wir bauen sie nicht”, so Ploss in einem kürzlich veröffentlichten Interview. Die neue Zwei-Nanometer-Technologie ist vor allem für Smartphones und Laptops von Bedeutung.
Vor dem Hintergrund der Engpässe in der Chip-Produktion nach der Coronakrise hatte sich die EU für einen Ausbau der Kapazitäten in Europa stark gemacht, um weniger abhängig von den Lieferungen aus Asien zu sein. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton spricht seit Wochen mit wichtigen Branchenvertretern wie Intel-Chef Pat Gelsinger. Dieser hatte Deutschland als möglichen Standort für eine neue große Chip-Fabrik ins Gespräch gebracht, fordert dafür aber Subventionen in Milliardenhöhe. Am Freitag ist Breton zu Besuch in der Infineon-Zentrale in Neubiberg bei München.
(…)
https://industriemagazin.at/a/infineon-chef-stellt-bedarf-fuer-neue-chipfabrik-infrage
Ich verstehe auch nicht, warum in Europa ausgerechnet die Zwei-Nanometer-Technik gepushed werden soll, wo die europäischen Industrien, die überhaupt Chips nachfragen, da eher “uralte” 20-Nanometer-Chips brauchen und diversen Kleinkram, der auch nicht state-of-the-art sein muß. Bisher ist der Weltmarkt so aufgeteilt: “Die Halbleiter-Produktion sitzt etwa zur Hälfte in den USA, Südkorea hat gut ein Fünftel, die gesamte EU etwa neun Prozent.” Da kann die EU eh nur Rosinenpicken machen, denn um auf ganzer Breite die Produktion wieder in Europa zu kriegen, fehlt es sicherlich an allem: Geld, Expertise, Global Players, die sowas vermarkten könnten usw.
Mich erinnert das an die untergegangene DDR, die partout auch ihren eigenen Memory-Chip auf Weltniveau haben wollte. Das hat sie zwar 1988 gerade noch geschafft, aber zu einer Massenproduktion kam es wegen der Embargomaßnahmen der NATO nie. Nun ist die EU heute (noch?) nicht in einem kalten Krieg mit den USA wie es die DDR und der RGW waren, aber etwas blauäugig scheint mir dieses neue Prestigeprodukt schon zu sein.
@Neoprene
Das ist auch der springende Punkt, und um das zu erreichen, müßten die Staaten Geld in die Hand nehmen und das fördern, was offensichtlich nicht vorgesehen ist.
So fällt die EU Jahr für Jahr mehr zurück, träumt von „Aufholen“ und kann es sich gar nicht leisten, so mit China zu brechen, wie es die USA fordern.
Eine ‘gesamteuropäische Industriepolitik’ unter lauter Konkurrenten aufbauen zu wollen (will man nicht vollends den High-Tech-Anschluss an China, USA, Japan versemmeln) – darüber scheinen alle EU-Staaten nur in je konstruktiver Weise (für ihren je nationalen und gegensätzlichen Nutzen) stolpern zu wollen. Wer hätts gdacht …
https://www.euractiv.de/section/finanzen-und-wirtschaft/news/intervenieren-oder-den-markt-machen-lassen-ideologische-debatte-um-die-eu-industriepolitik/
Ein russischer Militärexperte über sogenannte “rote Linien” zwischen Russland und NATO:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/alle-zahlen-ihren-preis
“Das ist auch der springende Punkt, und um das zu erreichen, müssten die Staaten Geld in die Hand nehmen und das fördern, was offensichtlich nicht vorgesehen ist.”
Sie wollen doch Geld in die Hand nehmen, wenn ich den Artikel von Euractiv richtig lese. Außerdem geht es doch um eine strategische Entscheidung und da ist es doch erstmal zweitrangig, ob die Chips nun gebraucht werden oder nicht. Die werden ja eh für den Weltmarkt produziert und nicht für die heimische Computerbranche, die es anscheinend kaum mehr gibt. (2020 hat Fujitsu die Mainboardproduktion von Augsburg nach Fernost verlagert.) Das nennt sich strategische Unabhängigkeit oder digitale Souveränität. Das das Geld kostet ist doch klar.
Wegen Corona wurde die gesamte Produktion eben nach dem Gesichtspunkt durchsortiert, welche Branchen man unbedingt “strategisch” im eigenen Land haben muss damit man im Notfall, Krise, Krieg nicht aufgeschmissen ist. Da tun auf einem Flugplatz weggeschnappte Masken ihre Wirkung bei Politikern, die das für unerträglich halten.
“Eine ‘gesamteuropäische Industriepolitik’ unter lauter Konkurrenten aufbauen zu wollen (will man nicht vollends den High-Tech-Anschluss an China, USA, Japan versemmeln) – darüber scheinen alle EU-Staaten nur in je konstruktiver Weise (für ihren je nationalen und gegensätzlichen Nutzen) stolpern zu wollen. ” Konkurrenten sind es immer, wenn es um mehrere Firmen geht. Das ist auch in den USA so. Wieso da immer gleich von “stolpern” die Rede ist, weiß ich nicht. Eher scheint mir die Konfrontation zwischen neoliberalen und Euronationalisten bzw. Nationalisten zu verlaufen.
Ja, erstmal wollen die EU-Staaten natürlich ne Menge Geld locker machen für die “Zukunft”. Bisher ist aber offensichtlich noch überhaupt nicht klar, bei wem welche Zukunft gefördert werden soll. Und da ist halt extrem optimistisch “strategisch” sowas wie eine 2-Nanometer-Chip-Produktion aus dem Boden stampfen zu wollen, wenn überhaupt nicht klar ist, wie so ein Zeug, was in der Tat auf dem “Weltmarkt”, also nicht in der EU gebraucht wird, die EU-Positionen auf den Weltmärkten fördert. Wieso soll denn EU-Europa durch solch eine einzelne Riesenfabrik von den USA und/oder China “strategisch unabhängig” werden. Erst recht frage ich mich, was denn ein einzelnes HighTech-Projekt (was übrigens überhaupt erstmal klappen muß, Intel ist ja ein anschauliches Beispiel, daß selbst ein Weltmarkführer daran jahrelang scheitern kann, auch den nächsten technologischen Schritt hinzukriegen) zur angestrebeten “digitalen Souveränität” (was war das nochmal?) beitragen könnte.
Erstmal ist doch klar, dass sie lieber eine 2 Nanometer Fabrik fördern als eine veraltete 20 Nanometerfabrik/kapital. Außerdem war das schon immer so, dass der Staat Industrien, die gewaltige Kapitalmassen erfordern fördern, wenn nicht ganz aus der Taufe heben muss, weil sich so große Kapitale privat nicht finden oder nur dann, wenn der Erfolg praktisch sicher ist. Das ist er aber sowieso nie.
Außerdem muss man als imperialistischer Staat klotzen und nicht kleckern. Wer immer ängstlich fragt: Oh, Oh, ob das gutgeht. Der stellt nie was auf die Beine. Ist bei der Energiewende nicht anders.
“Wieso soll denn EU-Europa durch solch eine einzelne Riesenfabrik von den USA und/oder China “strategisch unabhängig” werden.” So wie China das mit seinen Sonderwirtschaftszonen auch geschafft hat. Indem sich Europa als günstiger Standort auch für andere Techunternehmen etabliert. Oder indem Zulieferer in der Umgebung einen Abnehmer finden.
“Erstmal ist doch klar, dass sie lieber eine 2 Nanometer Fabrik fördern als eine veraltete 20 Nanometerfabrik/kapital.”
Nein, nicht mal das ist selbstverständlich. Wieso hilft denn dieses Projekt – und dabei ist eh schon unterstellt, daß es überhaupt funktionieren wird – auch nur einer verbesserten Unabhängigkeit Europas bei Waren, die Elektronik erfordern (was zugegebenermaßen die wichtigsten Warengruppen betrifft, die in europa hergestellt werden)?
Ja, es stimmt, daß nur mit massiver Staatsknete “Zukunfts”industrieen aller Art in die Gänge kommen können. Mal wird das was, mal nicht, wird jetzt auch wieder so sein. Nur ist halt ein weiterer behindernder Faktor, daß es die “europäische” Antwort ja gar nicht geben kann, weil es weder einen europäischen Staat gibt, der so ein Programm anstoßen und durch ziehen könnte, noch einen Konzern oder auch nur eine Konzerngruppe, die man da anschieben könnte oder müßte. Das wird also noch ein dorniger Pfad zum vermeintlichen Platz an der Sonne.
Doch das ist deswegen selbstverständlich, weil es ja nicht drum geht, die Wirtschaft mit Gebrauchswerten zu versorgen, sondern eine Chipproduktion auf europäischen Boden zu haben, die einerseits die Potenz hat, in der Krise, d.h. wenn die Versorgung aus dem Weltmarkt nicht mehr klappt, die europäische Industrie mit Prozessoren zu versorgen und gleichzeitig, soll diese Branche ja erfolgreich auf dem Weltmarkt sein und das geht mit alten Chips nicht. Da muss man zumindest versuchen sich gleich an die Spitz der technologischen Entwicklung zu setzen. Das ist übrigens bei vergleichbaren Branchen genauso. Da geht es nicht nur, um den Gebrauchswert, sondern darum selbst die Maßstäbe zu setzen und damit letztendlich auch die faux frais der staatlichen Finanzierung zu rechtfertigen als Anstoß von Geschäft, das sich auf dem Weltmarkt durchsetzt, dem Ideal nach.
“Wieso hilft denn dieses Projekt –… – auch nur einer verbesserten Unabhängigkeit Europas bei Waren, die Elektronik erfordern?” Hä? Na dadurch, dass der Staat in Krisenzeiten direkten zugriff auf die Waren hat und nicht vom Ausland abhängt. Wär ja ne schande, wenn man einen Krieg verliert, weil die Chips nicht da sind, um irgendwelche Abwehrelektronik (oder Angriffselektronik) zu bauen.
“Nur ist halt ein weiterer behindernder Faktor, daß es die “europäische” Antwort ja gar nicht geben kann, weil es weder einen europäischen Staat gibt, der so ein Programm anstoßen und durch ziehen könnte, noch einen Konzern oder auch nur eine Konzerngruppe, die man da anschieben könnte oder müßte.” Die Verlaufsform steht doch im Euractivartikel. D und F schließen sich zusammen und machen das gemeinsam und alle die das nicht wollen und mehr auf Weltmarkt setzen lassen es.
Das Problem bei der ganzen europäischen Zukunfts-Industrien-Initiative scheint mir zu sein, daß es um die Gegenwartsindustrie schlecht bestellt ist.
Und zwar war eben die Praxis der EU seit Jahrzehnten, im Sinne von Kostenminimierung alles auszugliedern nach Südostasien oder andere Kontinente, was sich nur dorthin verlegen ließ. Von Hightech über Medikamente bis hin zu Textilien inklusive Masken.
Also selbst wenn jetzt die große Subventionitis ausbrechen sollte und alle Maximen von gestern auf den Misthaufen der Geschichte geworfen würden, ginge diese Rückholung sicher sehr holprig und langwierig.
Zweitens ist die EU ja keine doch noch zentral gelenkte Wirtschaft wie China, sondern eine privatwirtschaftlich organisierte, wo die Staatsführung in ihrer Wirtschaftsplanung von den Unternehmen abhängig ist, und deren Kalkulationen decken sich wahrscheinlich nicht immer mit dem, was von der Politik gewünscht ist.
Drittens ist die EU ein Bündnis konkurrierender Nationen und wie ich die liebe EU kenne, werden Staaten, wo noch halbwegs produziert wird, wie Deutschland, Frankreich oder Holland, versuchen, bei sich wieder Industrie aus dem Boden zu stampfen und die anderen EU-Staaten als ihren Markt betrachten, wo keine Konkurrenten entstehen sollen.
Den dritten Punkt halte ich für den wichtigsten, an dem eine gründlichere Reindustrialisierung Europas scheitern wird.
Das Problem ist, dass du immer Gründe suchst, an denen Europa scheitern wird.
Europa ist nicht deindustrialisiert, und es geht nicht um Reindustrialisierung, sondern es geht darum wichtige Industrien, an denen im Krisenfall der Erfolg der Nation bzw. der EU hängt, wieder in Europa anzusiedeln. (Diese Industrien fehlen ja nicht nur in der EU, sondern auch in den einzelnen Nationen. Was sich daran zeigt, dass nicht nur Deutschland diesen Mangel bemerkt) Das ist übrigens eine Notwendigkeit für jede imperialistische Macht, die etwas auf sich hält. Anlässlich von Corona fand da eine Neusortierung statt, die den neoliberalistischen Mainstream zumindest teilweise aufgebrochen hat und das auch nicht in allen Ländern. Das heißt, alle die sich an dem Aufbau solcher Industrien nicht beteiligen, die konkurrieren auch nicht. Konkurrenz ist im übrigen immer ein Problem, aber in diesem Fall ist das nicht die innereuropäische Konkurrenz, sondern die auf dem Weltmarkt.
Was ist Europa und woran wird es scheitern?
Wenn es um die EU geht, so ist die bereits mit ihren Weltmachtplänen gescheitert. Jetzt versucht sie sich noch als wichtigen Player im Spiel zu halten, und auch da macht sie keine besonders gute Figur.
Und ja, das mit den Zukunftsindustrien ist halt bisher Wunschdenken und Ankündigungspolitik.
Du nimmst hier den Willen fürs Werk und das ist im Imperialismus sowieso absurd.
Hmmm. Wenn sie in der EU fehlen, so fehlen sie notwendig in den einzelnen Nationen (derselben). Der Erkenntniswert dieses Satzes erschließt sich mir nicht.
Oder habe ich etwas mißverstanden?
???
Also was der „neoliberalistische Mainstream“ sein soll, ist ganz unklar. Noch mehr, wie er „aufgebrochen“ werden kann.
???
Welcher Industrien jetzt?
Wer konkurriert nicht? Wer ist das Subjekt? Politiker? Banker? Unternehmer?
“eine Chipproduktion auf europäischen Boden zu haben, die einerseits die Potenz hat, in der Krise, d.h. wenn die Versorgung aus dem Weltmarkt nicht mehr klappt, die europäische Industrie mit Prozessoren zu versorgen”
““Wieso hilft denn dieses Projekt –… – auch nur einer verbesserten Unabhängigkeit Europas bei Waren, die Elektronik erfordern?” Hä? Na dadurch, dass der Staat in Krisenzeiten direkten Zugriff auf die Waren hat und nicht vom Ausland abhängt.”
Ja, sowas wäre schon was. Aber wirklich nur eine Fabrik aus dem Boden stampfen zu wollen, die die besten Smartphonechips produzieren könnte trägt dazu nun wirklich nicht viel zur Erreichung dieses (Autarkie)Ziels bei, denn zur Versorgung gehört halt eine ganze Industrie und nicht nur ein Spitzenprodukt für wenige, ja noch nicht mal in Europa produzierte Waren.
“Da muss man zumindest versuchen sich gleich an die Spitze der technologischen Entwicklung zu setzen”
“Die” Spitze der technologischen Entwicklung gibt es doch gar nicht, sondern es alle möglichen Produktgruppen, die teilweise sicherlich eng beieinander liegen, andere wichtige Produkte brauchen ganz andere Technologien. Es ist doch pure Ideologie, daß da immer “Trickle Down”-Effekte sicher wären.
“D und F schließen sich zusammen und machen das gemeinsam und alle die das nicht wollen und mehr auf Weltmarkt setzen lassen es.”
Erstens haben sie das bisher ja auch noch so gut wie nie gemacht und bei den Projekten, die es tatsächlich gibt, kracht es ja auch schon (ich verweise nocjmal auf das Knirschen beim Future Combat Air System). Zweitens wäre so ein Alleingang ein weiterer Sargnagel in die gemeinsame EU-Politik. Deshalb teile ich auch Nestors Einschätzung:
“Den dritten Punkt [EU ein Bündnis konkurrierender Nationen] halte ich für den wichtigsten, an dem eine gründlichere Reindustrialisierung Europas scheitern wird.”
“Wenn es um die EU geht, so ist die bereits mit ihren Weltmachtplänen gescheitert.” Welche dunklen Weltmachtpläne hatte die EU denn, an denen sie angeblich gescheitert ist. Erstmal ging es doch darum ein Subjekt zu erschaffen, das überhaupt in der Lage ist in der Weltpolitik eine Rolle zu spielen. Und daran wird noch gearbeitet. Ich will das nicht verharmlosen. Das ist ein imperialistisches Programm. Nur stellst du als den Zweck der EU ein so anspruchsvolles Programm zu dem Zweck vor, um ein Scheitern festhalten zu können.
“Und ja, das mit den Zukunftsindustrien ist halt bisher Wunschdenken und Ankündigungspolitik.” Wie immer, wenn es um ein Vorhaben geht, ist das bei dir bloß Blabla der Politkasper. Leider nimmst du nicht zu Kenntnis, dass diese Akteure der Politshow die Machthaber sind, deren Pläne man ernst nehmen sollte. Ich nehme nicht den Willen fürs Werk (da wäre ich auf einen Beleg gespannt, den du bei mir nicht finden wirst), aber ich nehme den Willen ernst, weil es der Wille derjenigen ist, die in der Lage sind ihren Willen zu verwirklichen.
“Wenn sie in der EU fehlen, so fehlen sie notwendig in den einzelnen Nationen (derselben).” Na eben, gut aufgepasst. Also ein Grund auch für die einzelnen Nationen, das als Mangel zu empfinden.
“Also was der „neoliberalistische Mainstream“ sein soll, ist ganz unklar. Noch mehr, wie er „aufgebrochen“ werden kann.” Ja, was du nicht zur Kenntnis nehmen willst ist unklar. Dabei kannst du doch an diesem Punkt studieren, wie der Aufgebrochen wird und wer dafür ist die Cipproduktion dem Markt zu überlassen.
“Welcher Industrien jetzt?” Alle die “strategische Unabhängigkeit oder digitale Souveränität” berühren insbesondere Chipproduktion, um die es hier geht.
“Wer konkurriert nicht? ” Der Beitrag bezieht sich auf deinen Beitrag. Also meine ich was du gemeint hast. “Drittens ist die EU ein Bündnis konkurrierender Nationen und wie ich die liebe EU kenne, werden Staaten, wo noch halbwegs produziert wird, wie Deutschland, Frankreich oder Holland, versuchen, bei sich wieder Industrie aus dem Boden zu stampfen und die anderen EU-Staaten als ihren Markt betrachten, wo keine Konkurrenten entstehen sollen.” Ich bin sicher du kriegst das raus.
Die Entwicklung des Außenhandels der Staaten der Welt jeweils mit den USA und mit der VR China, wie sich das in den letzten 20 Jahren entwickelt hat:
https://www.facebook.com/photo/?fbid=10159429031018850&set=a.10150358687993850&__cft__%5B0%5D=AZUW1zx17UjKUwBGM0DOuP0FmNCSobDDXuenAr3Kh1qd-ec5dhNSE-5I4xGow_eywCMhmx3kd4SmsKVGIB1aiN5YlaAbohdK35qrrD40WP2lOBYhJxG3aSiewwnOZDDBNW2nnzMdUAdqbRrL-t2Dg0YlAlF4FuDYTQoCnhCCF8_i-ooq2m8zz92lOA2qCP8Ok2Y&__tn__=EH-y-R
“Ja, sowas wäre schon was. Aber wirklich nur eine Fabrik aus dem Boden stampfen zu wollen, die die besten Smartphonechips produzieren könnte trägt dazu nun wirklich nicht viel zur Erreichung dieses (Autarkie)Ziels bei, denn zur Versorgung gehört halt eine ganze Industrie und nicht nur ein Spitzenprodukt für wenige, ja noch nicht mal in Europa produzierte Waren.” Es ist ein Anfang. So sollte man das nehmen und verstehen. Ich denke, dass das die Befürworter dieser Strategie auch wissen.
““Die” Spitze der technologischen Entwicklung gibt es doch gar nicht,” In ein und derselben Branche gibt es das schon. Jedenfalls sind 20 Nanometer nicht die Spitze.
Die Frage war doch warum sie 2 nm fördern und nicht 20nm, obwohl billige 20nm Chips häufiger nachgefragt werden.
“Es ist doch pure Ideologie, daß da immer “Trickle Down”-Effekte sicher wären.” Meine Güte. Sicher ist der Tod. Sicher ist so gut wie nichts, wenn die Politik Anreize schafft, das ist immer so im Kapitalismus.
“Erstens haben sie das bisher ja auch noch so gut wie nie gemacht und bei den Projekten, die es tatsächlich gibt, kracht es ja auch schon (ich verweise nochmal auf das Knirschen beim Future Combat Air System).” Was offenbar kein Hindernis ist, dasselbe bei der Chipproduktion zu versuchen. Garantien gibt es nie. Aber es heißt auch umgekehrt nicht, dass das notwendig Scheitern muss.
“Zweitens wäre so ein Alleingang ein weiterer Sargnagel in die gemeinsame EU-Politik.” Quatsch. Seit wann verbietet es die EU bilaterale Verträge und Projekte zu verfolgen. Das ist auch nicht gegen die anderen gerichtet. Die machen eben bei dem DF Projekt nur nicht mit.
“Den dritten Punkt [EU ein Bündnis konkurrierender Nationen] halte ich für den wichtigsten, an dem eine gründlichere Reindustrialisierung Europas scheitern wird.”
Halte ich für völligen Käse. Weder geht es um die Reindustrialisierung Europas, das ist eine Themaverfehlung, noch gibt es die Notwendigkeit des Scheiterns. So ein Projekt scheitert doch nicht an innereuropäischen Konkurrenten, die es gar nicht gibt.
Wenn dann scheitert es am den Konkurrenten auf dem Weltmarkt, oder daran dass sich Deutschland und Frankreich bei der Bilanzierung von Kosten und Nutzen nicht einig werden. Aber sicher ist das nicht.
Man kann auch den Drübersteher mimen und sagen: Die Weicheier aus der EU kriegen eh nichts auf die Reihe. Kennt man ja: Viele Köche verderben den Brei. Aber das ist Stammtisch. Alles Bürokraten in der EU, keine echten Führer mehr. Deshalb geht alles den Bach runter. Und wenn doch eine europäische Halbleiterbranche aufgebaut werden soll, weil das eine Macht, die was darstellen will, einfach braucht, um in allen Krisen handlungsfähig zu bleiben. Dann sind das alles untaugliche Versuche, die auch nur von dem Dilettantismus der EU-Bürokraten zeugt, weil nur Rosinen gepickt werden und nicht breit genug gefördert wird, weil am Bedarf vorbei gefördert wird, weil sich die Europäer sowieso zerstreiten usw.
So pflegt man alles was passiert, in sein Weltbild von dem erwarteten Niedergang der EU ein.
“Drübersteher”, “Weicheier”, “Stammtisch”, “Dilettantismus”, “Weltbild”.
Wie gut, daß man dich glatt zum Pressesprecher noch jedes zweitklassigen Fußballvereins machen könnte. Dann würde endlich wieder alles den Bach rauffließen!
“Erwarteter Niedergang der EU” ist auch schön fomuliert, als wenn die noch auf einem hohen Roß sitzen würden. Träum weiter Junge, “wir” werden wieder Weltmeister!
Ich bin hier nicht als der Pressesprecher der EU unterwegs. Das scheint dir nur so, weil ich deinen Abgesang auf die EU störe, der hier anscheinend mittlerweile zum guten Ton gehört. Alles was die EU macht, wird nicht als das was es ist zur Kenntnis genommen, sondern bloß noch als weiteren Schritt auf den Abgrund zu.
““Erwarteter Niedergang der EU” ist auch schön formuliert, als wenn die noch auf einem hohen Roß sitzen würden.” Das heißt, du meinst, die EU sei schon gescheitert? Die ist nur gescheitert, wenn man ihr wie nestor Weltmachtpläne unterstellt, die sie in der Form nicht hatte. Und ja die sitzen noch auf einem hohen Roß. Mir ist dieses Roß jedenfalls hoch genug.
Ja, zum “guten Ton” gehört offensichtlich, nicht darauf zu schauen, was die EU tatsächlich “macht”, sondern es als bare Münze zu nehmen (eben wie ein Pressesprecher), was sie sagt, was sie erst noch tun will. Wobei ja auch schon immer wieder unklar ist oder wird, was denn die EU als Ganzes überhaupt für einen Willen hat.
“Abgrund” ist deshalb auch eine interessierte Unterstellung: Ich habe zuletzt z.B. “nur” darauf hingewiesen, daß die VR China mittlerweile für die meisten Staaten der Welt der wichtigste Handelspartner geworden ist, da hat sich kein Abrund aufgetan, sondern eine kontinuierliche Entwicklung hat die EU-Staaten an relativer Bedeutung verlieren lassen. Du magst das nicht “Niedergang” nennen, weil die EU ja noch nicht weiter abgeschifft ist, das fällt halt wieder unter Pressesprecherdeutsch.
Ausgerechnet Nestor und ich unterstellen der EU “Weltmachtpläne”, während Macron und Merkel nur ganz bescheidene Brötchen gebacken haben? Das ist eine recht törrichte Verharmlosung sowohl der aktuellen Weltpolitik der EU als auch der Projekte wie FCAS, die sie sich auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es ist halt nur ein gewaltiger Unterschied, ob man mit Maas & Co. Weltmacht”pläne” hat oder ob die EU tatsächlich eine Weltmacht auf dem Level der USA oder zunehmend der VR China sind.
(Nicht…) Für-Wahr-Halten von Aussagen und Programmen – mag mal jemand die Situation in Peru darstellen?
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154677.stichwahl-in-peru-linker-bewerber-setzt-sich-gegen-rechtspopulistin-fujimori-in-stichwahl-durch.html
https://amerika21.de/analyse/251500/pedro-castillo-peru-regierung-der-voelker
(Bin selber grad – zu faul). Und auch ein bisschen misstrauisch gegenüber den diversen Lesarten über diesen angeblichen Etappensieg eines angeblichen Linksradikalen.
Der Text von Amerika21 weist ja auch eher daraufhin, dass eine funktionierende bürgerliche Demokratie das Ideal des Kandidaten war – vielleicht etwas vergleichbar mit den Ideologien zur verfassungsgebenden Versammlung im Nachbarland Chile. Dort gab es deswegen diversen Aufruhr. Und in Peru gewinnt man einfach eine Wahl?
Kein Etablierter aus den Reihen bisher regierender Politiker dürfe Staatschef werden – das war wohl die Gemeinsamkeit des peruanischen neuen Präsidenten mit der chilenischen Vorsitzenden der verfassungsgebenden Versammlung. Ist das dann mehr als ein ideologischer Wunsch nach neuer Versöhnung, nach neuen Aufbruch-Idealen?
Material für eine Veränderung der Staatsvorstellungen von lateinamerikanischen Wählermassen, die man hierzulande vermutlich als “Mitte” bezeichnen würde, sind jeweils Bürgerrechte, die sich anscheinend am Beispiel der “Rechtelosigkeit” von Indigenas gut illustrieren lassen
https://www.npla.de/thema/memoria-justicia/wir-werden-chile-neu-gruenden/
https://amerika21.de/2021/07/252390/verfassungskonvention-chile-gegenwind
Der Stellenwert der Thematisierung von Indigenas als Material für den Kitt einer besseren bürgerlichen Gesellschaft ist “linksliberal” in Lateinamerika anscheinend weit verbreitet, um so zu illustrieren, dass ein neue staatliche Versöhnungsideologie her müsse.
Bei hiesigen Linken läuft das Kommentieren über diese Vorkommnisse in Chile und Peru oft unter dem Label “Scheitern” bzw. “Abwahl” des sog. “Neoliberalen Modells”…
https://amerika21.de/analyse/251527/die-abwahl-des-neoliberalismus-chile
[Übrigens ist die neue Editier-Funktion sehr gut gelungen.
Danke!]
Nicht eine Silbe verlieren die – hiesigen – Kommentare über die ökonomische Situation, zusätzlich inzwischen auch nur noch wenige Silben über Corona …
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_Perus
https://www.kinderweltreise.de/kontinente/suedamerika/peru/daten-fakten/wirtschaft/
“Korruption” als Thema in Lateinamerika – war übrigens auch hier im Blog bereits Thema
https://nestormachno.alanier.at/serie-lateinamerika-heute-teil-9-allgemeines/#comment-19031
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Sorry und edit: Der jetzige Präsident habe mit der Ankündigung die Wahl gewonnen, er wolle mit den Einnahmen aus dem Bergbau das peruanische Gesundheitswesen verbessern – so melden es zumindestens gerade die ARD-Nachrichten….
Ohne Freischaltung des 1. Kommentars – bleibt der 2. (der ist bereits freigeschaltet…) ziemlich unverständlich ….
Ob aus der Sympathie für Indigenas und deren Forderungen nach mehr staatsbürgerlichen Rechten für sie in Chile oder Peru dort mehr herauskommt als beim sprachhygienischem hiesigen K(r)ampf gegen die Bezeichnung "Zigeunerschnitzel" – das bleibt noch abzuwarten.
Solche Sprachhygiene hierzulande führt nun dazu, dass gegen die Bezeichnung "Schwarzfahren" in Berlin eigentümliche Einwände erhoben werden ….
https://www.heise.de/tp/features/Image-des-Schwarzfahrens-Wenn-Sprachkosmetik-soziale-Kaempfe-ersetzt-6143059.html
@Leser
Was Peru betrifft, so ist es relativ unwesentlich, wie links der Kandidat bzw. Wahlsieger ist – für die USA und die peruanischen Eliten scheint er zu links zu sein.
Es waren ja auch Lula oder Rousseff durchaus kapitalismuskompatibel, aber das BRICS-Projekt ging der Noch-Weltmacht USA entschieden gegen den Strich, und nachdem Bolsonaro an der Macht ist, ist es auch praktisch gestorben.
Ich frage mich, ob vielleicht das ganze Theater um Castillo daher rührt, daß er sich eine engere Kooperation mit China vorstellen könnte? Das stört nämlich auch die einheimischen Gschaftlmacher, weil da eine neue Händlerschicht entsteht.