Pressespiegel El País 23.4.: Kriegstraumata

„UKRAINISCHE SOLDATEN MÜSSEN SICH OHNE UNTERSTÜTZUNG MIT DEN PSYCHOLOGISCHEN TRAUMATA DES KRIEGES AUSEINANDERSETZEN

Die Behörden des angegriffenen Landes beginnen zu begreifen, daß sie ein Problem ersten Ranges haben, aufgrund von Hunderttausenden Soldaten, die ohne angemessene Unterstützung kämpfen.“

Es stellt sich im Lauf des Artikels heraus, daß es sich um die psychologische Unterstützung handelt, nicht um die militärische.
Obwohl der Autor es durchaus offen läßt, ob nicht vielleicht die militärische auch mitgedacht sein könnte.

„Der Krieg in der Ukraine wird nicht nur an der Front ausgetragen, seine Explosionen und Toten finden sich auch in den Köpfen der Soldaten.
Der größte Konflikt, den Europa seit dem II. Weltkrieg erlebt hat, wird Hunderttausende von Soldaten auf beiden Seiten lebenslang gezeichnet hinterlassen, sagen Experten und Soldaten, die von EL PAÍS interviewt wurden. Auf ukrainischer Seite beginnen die Behörden davon auszugehen, daß die Folgen für die Zukunft, nach der Rückkehr des Militärs in das zivile Leben, ein Problem ersten Ranges sein wird.

In der Ukraine sind jetzt fast eine Million Männer und Frauen in irgendeiner Form in die Verteidigung des Landes eingebunden.
Der ukrainische Generalstab nennt keine konkreten Zahlen, aber militärische Quellen schätzen gegenüber dieser Zeitung, daß fast 500.000 Soldaten Kampferfahrung an der Front haben. Tausende von ihnen leiden bereits an psychischen Störungen, die auf das zurückzuführen sind, was sie miterlebt haben. »Was uns bevorsteht, hat unvorstellbare Ausmaße, und das Land ist darauf nicht vorbereitet«, folgert Robert van Voren, einer der führenden Experten für Psychiatrie in den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion.“

Um so mehr, als das Gesundheitswesen der Ukraine seit geraumer Zeit ohnehin nur für Zahlungsfähige da war, und sich irgendwo zwischen Leihmutter-Firmen und Biolaboren eingerichtet hat.

„Van Voren ist Exekutivdirektor der »Federation for the Global Initiative in Psychiatry«, einer Organisation, die mit der Verteidigung der Menschenrechte in Russland und Osteuropa verbunden ist.“

Menschenrechte in der Pychiatrie?
Da hätte dieses Institut vermutlich nicht nur in ehemaligen Mitgliedstaaten der SU zu tun, obwohl das offenbar seine Bestimmung ist. Um die Menschenrechte wird sich vor allem in Staaten gekümmert, wo alles nicht so nach Plan für Washington und Brüssel läuft.

„Die Einrichtung, erklärt der Experte, sei vom ukrainischen Justizministerium beauftragt worden, ein Behandlungsprogramm für Kriegsveteranen zu fördern, die im Gefängnissystem des Landes inhaftiert werden.“

Damit wird offenbar gerechnet bzw. es ist schon geschehen. Außerdem gibt es ja Richtwerte aus anderen, verbündeten Staaten:

„Sein Team wird Einheiten für den Einsatz in Gefängnissen mit Methoden ausbilden, die in Großbritannien angewendet werden. »17 % der britischen Veteranen aus Afghanistan und dem Irak sind im Gefängnis gelandet«, betont dieser niederländische Sowjetologe. Angesichts dieser Daten sei das Ausmaß des Problems klar, sagt er.

In der Ukraine gibt es nur ein Zentrum, das auf die psychologische Behandlung von Kriegsteilnehmern spezialisiert ist. Es wurde im Juni 2022 eingeweiht und ist der Armee unterstellt. Sein Gründer, Oberst Oleksandr Vasilkovskij, präsentiert das Charkower Rehabilitations-Zentrum eher als private Initiative denn als staatliche Dienstleistung, da es keine öffentlichen Mittel erhält, sondern auf Spenden angewiesen ist. Diese Klinik wurde in einem ehemaligen sowjetischen Sanatorium am Rande Charkows, 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, eingerichtet. In den neun Monaten ihres Bestehens hat sie mehr als 2.700 Soldaten versorgt, mit einem einwöchigen“ (!) „Betreuungsprogramm, das sie auf die Rückkehr in den Kampf vorbereiten soll.“

Das Hauptziel dieser Klinik ist also, das Kanonenfutter wieder für den Einsatz zu befähigen. Da wird also auch darauf geachtet, daß keine Simulanten versuchen, sich der wichtigsten Vaterlandspflicht zu entziehen.

„Sergej Fjedoretschk wird vorerst nicht an die Front zurückkehren, weil er durch eine Explosion taub geworden ist. Am vergangenen Freitag verabschiedete er sich emotional von Vasilkovskij, nachdem er seine Genesungstage in der Charkower Einrichtung beendet hatte. Seine neue Partnerin, eine Krankenschwester, die ihn im Krankenhaus behandelte, holte ihn ab. Fjedoretschk ist ein Sergeant der Spezialeinheit der Luftwaffe. Er kann kaum sprechen, er sieht aus wie ein Boxer, der nach einem K.o. aufsteht. Aber er lächelt, weil er im Rehabilitationszentrum die erste friedliche Woche seit über einem Jahr hatte.
Vasilkovskijs Ziel ist es, daß das Militär wieder Stabilität gewinnt, damit es sich sicher fühlen kann, wieder zu kämpfen. Sowohl dieser Oberst als auch der Spezialist Van Voren und andere in den letzten Monaten befragte Soldaten stimmen darin überein, daß die Rotationen an der Front weniger häufig sind als nötig.“

Man fragt sich, wer eigentlich entscheidet, wie viele Pausen ein Soldat „nötig“ hat? Und „nötig“ wofür? Für den Soldaten? Für den wäre es das Beste, von der Front dauerhaft wegzukommen.
Oder für den Endsieg? Da sind Kampfpausen ganz schädlich, weil die schwächen die kämpfende Einheit.

„Das bedeutet, daß es Soldaten gibt, die monatelang einem Dauerdruck ausgesetzt sind. »In einer idealen Welt«, betont Vasilkovskij, »sollten Rotationen alle zwei oder drei Monate stattfinden, aber das ist nicht der Fall, weil unser Feind viel mehr Ressourcen hat als wir.«“

Hier wird also von kompetenter und unverdächtiger Seite bestätigt, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann und ihre Leute ohne wirkliche Perspektive an der Front verheizt.
Die „ideale Welt“ ist offenbar eine, in der Dauerkrieg herrscht …

„Das Verfahren zu einem Aufenthalt im Charkower Rehabilitations-Zentrum beginnt an der Front. Dort müssen Militärpsychologen diejenigen Soldaten identifizieren, die unter Panikattacken, Demoralisierung oder Selbstmordgedanken leiden.“

Es fragt sich, was genau unter „Demoralisierung“ zu verstehen ist? Desertationsgefahr?

„In Charkow angekommen, werden diese Männer – eventuell in Begleitung eines Angehörigen – ab sieben Uhr morgens mit verschiedenen individuellen und kollektiven Therapien behandelt: Sie führen unter anderem physiotherapeutische Maßnahmen durch, um den Körper zu entspannen; Übungen in einem Pool bei einer Temperatur von 32 Grad, der den vorgeburtlichen Zustand simuliert;“ (!!!) „Ruheräume mit Aromen, Salzen und auch mit Lasertechniken.“

Ein Wellnesszentrum für ausgepowerte Soldaten, wie neckisch.

„Maxim Baida, seit 2011 Militärpsychiater und verantwortlich für die psychologische Betreuung von Internierten der Charkower Klinik, betont, daß sie sich nicht um Langzeitfälle von posttraumatischer Belastungsstörung kümmern können, der häufigsten psychischen Erkrankung, unter der Soldaten in jedem Krieg leiden.
Ihre Priorität ist, daß sie ohne Albträume wieder einschlafen, daß sie aufhören, sich für ihre toten Kameraden schuldig zu fühlen und vor allem, daß sie ihre Angst verlieren, wann sie an die Front zurückkehren müssen, wenn sie die Straße entlang gehen, – oder wenn sie von Zukunftsängsten angesichts einer äußerst ungewissen Zukunft gequält werden.“

Na, da hat der Psychologe sicher viel zu tun und das in nur einer Woche!

„Julija Sobolta ist Therapeutin beim DoLadu-Projekt, das sich um Verwundete in Militärkrankenhäusern in Kiew kümmert. Sobolta arbeitet seit 2017 einen Monat lang mit Soldaten, während sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. In DoLadu arbeiten sie nicht grundlegend an den Traumata, die die Soldaten erleiden. Sie konzentrieren sich darauf, Patienten zu stabilisieren, ihnen Entspannungstechniken näherzubringen, sobald sie an die Front zurückkehren, und Meditation – etwas, das das Militär zum ersten Mal akzeptiert. »Es ist immer noch etwas ungewöhnlich, weil die Ukraine eine konservative Gesellschaft ist, die vom orthodoxen Christentum beeinflusst ist, und Meditation als eine von außen kommende religiöse Praktik angesehen wird«, sagt er.“

Meditation und Entspannungstechniken im Schützengraben und unter Raketenbeschuß – sehr innovativ.
Auch bei DoLadu (was soviel heißt wie „Wieder ins Lot bringen“) steht offenbar die Wiederherstellung der ramponierten Wehrtauglichkeit im Vordergrund.

„Sobolta weist darauf hin, daß die Haupttraumata unter den Soldaten die Schuld wegen verlorener Freunde ist, sowie in einer zivilen Umgebung überleben zu können, und nicht bei ihren Kameraden zu sein.“

Das ist etwas erklärungsbedürftig. Also erstens, wenn es an der Front einen Kameraden erwischt, so geben sich diese Patienten selbst die Schuld. Warum er und nicht ich?
Zweitens, die begründete Sorge, daß man nach allem, was man an der Front erlebt – und auch getan – hat, vielleicht nicht so einfach mehr in ein Leben als Ehemann, Sohn, oder in den Beruf zurückfindet.
Der 3. Punkt wirkt etwas aufgesetzt und soll anscheinend dem ausländischen Journalisten klarmachen, daß alle ukrainischen Soldaten ihre Landesverteidigung und die Kameradschaft im Schützengraben über alles stellen.
Aber im Zusammenhang mit Punkt 2 ist auch klar, daß das zivile Leben vorher und die Monate an der Front zwei Wirklichkeiten schaffen, die nur schwer miteinander vereinbar sind.
Die Mitarbeiter von DoLadu

„haben auch ein neues Problem in Bezug auf diejenigen entdeckt, die im Donbass-Krieg (seit 2014) gekämpft haben (…): »Jetzt sehen wir mehr Hoffnungslosigkeit, sie haben das Gefühl, daß es keinen sicheren Ort gibt, die Unsicherheit betreffend Leib und Leben ist viel größer«.“

Auch das ist etwas unklar.
Im Donbass hatte man als Soldat – oder auch Mitglied eines paramilitärischen Bataillons – das Gefühl, Separatismus zu bekämpfen und konnte ohne große Schwierigkeiten Scharfschützen auf Babuschkas und Kleinkinder schießen lassen.
Der Donbass-Krieg lief nämlich 8 Jahre lang als „Antiterroristische Operation“, man hatte also ein gewisses Rechtsbewußtsein und Gefühl der Stärke. Im Grunde verstieß es allerdings gegen die ukrainische Verfassung, Militär im Inland einzusetzen. Der Großteil der dort im Einsatz befindlichen Soldaten war freiwillig und aus Überzeugung dort.
Heute hingegen steht man einer gut gerüsteten Großmacht und deren Dauerfeuer gegenüber, und auf die Freiwilligkeit wird von der ukrainischen Regierung und Armeeführung auch verzichtet.

„Der Schmerz wegen toter Gefährten

Vjatschislav Melnikov ist 27 Jahre alt und Scharfschütze in einem Infanteriebataillon. Vor dem Krieg war er Maurer. Eine Granate eines feindlichen Panzers traf seine Stellung und die Prellungen, die er erlitt, hinterließen seelische Narben. Er wurde in das Rehabilitationszentrum Charkow eingeliefert, weil er jede Nacht Alpträume hatte und an Zittern in seinen Extremitäten litt. Er leidet unter den Selbstvorwürfen, nicht genug getan zu haben, um Gefährten vor dem Tod zu bewahren.
Er will nicht an die Zukunft denken, weil sie ihm Angst macht, und er erklärt, daß ihm Methoden beigebracht wurden, seinen Kopf auf ein Ziel zu konzentrieren. Sein Ziel ist es, so schnell wie möglich in den Kampf zurückzukehren. »Es ist wichtig, daß ich meine Familie nicht mit dem Hass anstecke, den ich empfinde. Ich möchte diesen Hass an der Front spüren, nicht zu Hause.« Er kann die Zahl der von ihm getöteten feindlichen Soldaten nicht nennen, aber er beteuert mit einem Blick, der Gewalt ahnen läßt, daß es kein Trauma sei, das Leben anderer Menschen beendet zu haben: »Diese Leute marschieren in mein Land ein. Ich bin nicht nach Russland gegangen, um Zivilisten zu töten. Ich beschütze unsere Familien.«“

Vorbildlich. Solche Leute muß man mit allen Mitteln wieder einsatzfähig machen.

„Sobolta betont, Experten, daß die Ukraine viel zu wenig“ (psychologische) „Experten habe: Nach ihren Schätzungen kommt in Militärkrankenhäusern auf 100 Soldaten ein Psychologe. In DoLadu halten sie es für wesentlich, daß dringend neue Gruppen von Experten für militärische psychische Gesundheit ausgebildet werden.“

Eine schwere Aufgabe. Weil die Lust am Töten psychologisch zu vermitteln, setzt erstens Freiwilligkeit bei den solchermaßen „Behandelten“ voraus. Die liegt aber möglichweise nicht vor … Außerdem steht sie in einem krassen Gegensatz zum bisher Gelehrten und Gelebten, wo Mord strafbar ist.
Und dann noch Leute zu finden, die diese schwere Aufgabe der Umerziehung beherrschen …

„Diese Einrichtung (DoLadu) arbeitet mit der Unterstützung der US-Regierung und verweist auf Israel als Referenz.
Die von Olena Selenskaja, der Ehefrau des Präsidenten, geleitete Stiftung hat in Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung ein Programm erarbeitet, durch das sie bereits etwa dreißig Therapeuten im Tel Aviv NATAL-Zentrum für die Behandlung von Opfern in Konfliktgebieten ausgebildet hat.“

Jetzt wird eines für die Behandlung von Tätern fällig.

„Um den Therapieplan für das Charkov-Zentrum zu entwerfen, hat Vasilkovskij Pflegeprogramme für amerikanische Veteranen des Vietnamkriegs studiert. Und er ist überzeugt, daß die Ukraine seit 2014 bereits genug Erfahrung hat, um ihre Experten auszubilden, – mehr als jede NATO-Armee.
Sowohl er als auch die Therapeutin betonen die Bedeutung der Kriegsveteranen des Donbass-Konfliktes, die sich als psychisch belastbarer erwiesen haben. »Diese Männer vermitteln Sicherheit an die Einheit und wissen, wie man sich verhält, wenn zum Beispiel ein Kollege eine Blockade hat«, sagt Oberst Vasilkovskij.“

Es handelt sich vermutlich um eine Blockade beim Töten.

„Das Positive sei, sagt Van Voren, daß die ukrainischen Behörden sich des Problems bewusst seien, weil sie sich seit 2014 damit befassen und sich seit 30 Jahren schrittweise den Standards der EU annähern.
Der Nachteil hingegen sei, fügt er hinzu, ist, daß »psychische Gesundheit nie eine Priorität war«.“

Man fragt sich, was die „psychische Gesundheit“ bei einem Scharfschützen sein soll? Kill, kill, kill – sowas wird doch den Leuten eingehämmert. Und wenn das nicht mehr funktioniert, so sind sie „krank“?

„Nach seinen Schätzungen hat ein Drittel der psychiatrischen Einrichtungen kriegsbedingt geschlossen und viele ihrer Mitarbeiter sind inzwischen Flüchtlinge im Ausland. Auf Seiten der Eindringlinge ist das Problem sicherlich größer, weil sich die russische Psychiatrie isoliert hat und weil die Position ihrer Soldaten schlechter ist, wie Van Voren“ mit Krokodilstränen „erwähnt: »Sie kämpfen in einem anderen Land, in einer Umgebung, in der sie gehasst werden und sie kommen aus einer Gesellschaft, in der die Menschen keine moralische Unterstützung haben.“

Nun ja, das ist natürlich ein Trost: Beim Feind ist alles viel schlimmer, der hat ja nicht einmal die fachliche Unterstützung der EU, der USA, des UK und Israels.

3 Gedanken zu “Pressespiegel El País 23.4.: Kriegstraumata

  1. Für den Holodomor ist auch kein Geld mehr da:

    Zelensky vetoes bill allocating almost $16 million to Holodomor Museum

    President Volodymyr Zelensky vetoed the bill allocating Hr 573.9 million ($15.6 million) to finish the construction of the National Museum of the Holodomor-Genocide on July 27.

    The bill has been returned to the Parliament with recommendations from the president.

    On July 13, the Parliament supported the allocation of the funds to reconstruct the first stage and commission a second stage of the museum.

    Former Culture Minister Oleksandr Tkachenko was criticized for the decision, prompting calls for wiser use of the state's budget during wartime

    Tkachenko defended the move, saying it plays a role in winning the international recognition of Holodomor as a genocide. He also noted that the completion of the Museum would serve to commemorate the 90th anniversary of the Holodomor.

    The issue added to the growing dissatisfaction with Tkachenko among the public. A petition calling for his dismissal reached 25,000 signatures in June, the minimum amount needed for consideration by the government.

    Zelensky then asked Prime Minister Denys Shmyhal to consider replacing Tkachenko on July 20, and the Parliament finally dismissed him on July 27.

    (The Kyiv Independent, 28.7.)

  2. „Von Demobilisierung keine Rede“

    (Es geht darum, daß Leute, die seit einenhalb Jahren an der Front kämpfen, nicht ersetzt werden können, weil niemand dafür da ist, und deswegen weiter im Schützengraben ausharren müssen.)

    „Nach der Verabschiedung des skandalösen Gesetzes zur Verschärfung der Mobilisierung und zur Streichung der Demobilisierungsklausel aus dem Text versuchten Vertreter der Partei »Diener des Volkes« zu erklären, dass zu diesem Thema ein separater Gesetzentwurf verabschiedet würde. Und die Wartezeit ist gar nicht so lang – acht bis zehn Monate. Vielleicht ein bisschen mehr. Diese guten Wünsche wurden jedoch vom Rada-Abgeordneten und Vertreter des Präsidenten der Ukraine im ukrainischen Parlament, Fjodor Venislavskij, völlig zunichte gemacht.

    »Bis zum Ende des Krieges können wir nicht über Demobilisierungsmaßnahmen sprechen. Wir können höchstens über besondere Gründe für die Entlassung aus dem Militärdienst sprechen«, sagte Venislavskij.

    Seiner Meinung nach ist es falsch, den Begriff »Demobilisierung« unter den Bedingungen des Kriegsrechts zu verwenden, da Demobilisierung nicht nur die Entlassung von Militärangehörigen aus dem Militärdienst sei, sondern die Verlagerung der gesamten Wirtschaft, aller Lebensbereiche von Kriegs- in Friedenszeiten.“

    Im Klartext: Vor Kriegsende gibts keine Heimkehr.
    Möglicherweise wird das dann irgendwann einmal spontan und massenhaft entschieden …

    Unter den Bedingungen umfassender militärischer Konflikte kennt die Geschichte keine Beispiele, in denen Massenentlassungen von Militärangehörigen aufgrund des sogenannten Ablaufs der Dienstzeit erlaubt waren.“
    _____________

    „Wer ist der Letzte, der einen Reisepass erhält?

    Kilometerlange Schlangen ukrainischer Flüchtlinge bildeten sich in Prag, Warschau und anderen europäischen Hauptstädten vor den Konsulardiensten der ukrainischen Botschaften. Und nein, die Menschen in diesen Schlangen haben es nicht eilig, in die Ukraine zurückzukehren.
    Vielmehr versuchen sie im Gegenteil, es zu schaffen, Pässe zu erhalten und andere konsularische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, bevor das von der Rada verabschiedete Mobilisierungsgesetz in Kraft tritt, das die Möglichkeit der Erbringung konsularischer Dienstleistungen für Männer ohne Militärausweis einschränkt. Hier kommt es vor allem darauf an, pünktlich zu sein.
    Denn wer es nicht rechtzeitig schafft, ist zu spät und muß in die Ukraine zurückkehren. Und die Einreise dorthin ist im Gegensatz zur Ausreise problemlos möglich. Letztere ist praktisch unmöglich.“

    (KP, 14.4.)

  3. Von weiteren Verletzten im Ukraine-Krieg berichtet El País:

    „Nach Angaben lokaler Organisationen wie Pryncyp, die sich für die Verteidigung der Rechte des Militärpersonals einsetzen, wird die geringste Zahl der Amputierten infolge der russischen Invasion auf etwa 20.000 geschätzt. Der Höchstwert liegt bei etwa 50.000.
    Die Herausforderung für diese Kriegsopfer ist enorm: erstens wegen der Schwere ihrer Verletzungen; dann aufgrund des begrenzten und sehr teuren Zugangs zu Prothesen – sie können je nach Material und Technologie zwischen 3.000 und mehr als 100.000 Euro liegen –; schließlich aufgrund der Härte der Therapie und der psychosozialen Rehabilitation.

    Darüber hinaus ist für Soldaten eine mögliche Rückkehr an die Front zwar erschwert, aber nicht unmöglich.“

    El País stellt allen Ernstes Leute vor, die mit Prothesen wieder zurück an die Front wollen. Es handelt sich vor allem um Berufs-Militärs.
    Damit soll der ungebrochene Wille zur Landesverteidigung vorgestellt werden. Aber das ganzen hat den Beigeschmack eines letzten Aufgebots.

    Die Angelegenheit mit den Prothesen läuft auch daraus hinaus, daß die besseren Prothesen an diejenigen gehen dürften, deren Wehrwille ungebrochen ist …

    Das Programm für Recycling von Prothesen-Soldaten heißt „Zentrum für Übermenschen“ (Nietzsche schau obi). Es befindet sich in Vinniki, außerhalb von Lemberg.

    „Das »Zentrum für Übermenschen«, ein Name, der gewählt wurde, um die Moral der Patienten stärken und ausländische Spender anzulocken, wurde im April 2023 vom ukrainischen Geschäftsmann Andrey Stavnitser, 42, Mitbegründer des Hafenbetreibers TIS, und der Unterstützung (15 Millionen Euro) von der amerikanischen Howard G. Buffett Foundation gegründet. Die Initiative zielte darauf ab, eine nahezu unmögliche Aufgabe zu ermöglichen: die Versorgung einer so großen Zahl verstümmelter Bürger in so kurzer Zeit.

    Der ukrainische Staat bietet“ (zusätzlich?) „seinem Militär Hilfe bei Prothesen an. Die Regierung hat gerade einen Beschluss zur Beschleunigung des Zugangs zu hochfunktionellen Prothesen verabschiedet, dessen Kosten zwischen 25.000 und 55.000 Euro liegen. Aber das alles reicht nicht aus.

    Um einer dieser Übermenschen in den Vinniki-Einrichtungen zu werden,“

    steht wortwörtlich so im Original!

    „muß man online einen Antrag ausfüllen und auf einen Anruf warten. Jeden Freitag schließen etwa ein Dutzend Patienten die Therapie ab und geben die Staffel an ein weiteres Dutzend weiter, die mit der Therapie beginnen. Mehr als 700 Kandidaten befinden sich im Bewerbungsprozess, der mehrere Wochen dauern kann. Es wird geschätzt, dass weitere 2.500 Menschen den Zutritt zum Zentrum beantragt haben.“

    Angesichts dieses Andrangs erscheint die weiter oben kolportierte Zahl von 50.000 Verstümmelten realistisch, wenn nicht sogar zu niedrig.

    „Das hat Pavlo Romanovskij, 34, aus der Stadt Dnipro im Osten des Landes getan. Er trainiert, auf der gepolsterten Bank eines Kraftgeräts sitzend, den Stumpf seines linken Beins, der oberhalb des Knies amputiert wurde, und bewegt ihn von unten nach oben. Er schließt die Augen und verzieht das Gesicht. Das tut offensichtlich ziemlich weh.
    Er spricht, ohne sein Lächeln zu verlieren, über das verdammte Murphy-Gesetz, das dazu führte, dass am 22. Juli 2023 das einzige Projektil, das auf seine Position neben Andrejevka an der Ostfront fiel, nur Zentimeter von ihm entfernt einschlug. Kein einziges Detail wird ausgelassen. Er nimmt seinen Notizblock und zeichnet den Raketenwerfer und das Geschoß, die ihm ein Bein abgetrennt haben.
    Er hat ein Video, das zeigt, wie er aussah, mit bandagiertem Bein und Kopf. Romanovskii ist ein gutes Beispiel dafür, was für Verletzungen ein Mensch in diesem Krieg erleiden kann: Narben auf der ganzen Brust, Schäden am Hörsystem und 27 Eingriffe.

    »Ich fühle mich nicht wie ein Invalide«, fügt dieser Soldat mit langem Bart hinzu. Bald wurde ihm klar, dass er in Form sein und im Fitnessstudio hart arbeiten musste, um das tun zu können, was ihm schon immer Spaß gemacht hatte: Klettern, Motorradfahren oder Kitesurfen. Aber um so weit zu kommen, muß noch viel getan werden. 
    Seine Frau und seine fünfjährige Tochter sind im Augenblick die treibenden Kräfte, doch er gibt zu, dass zu »seinem bisherigen Leben« noch viel fehlt.“

    Vor allem eine Beendigung des Krieges, für den diese Übermenschen doch wieder fit werden sollen.

    „Er benötigt mehr Zeit, um die Prothese zu kontrollieren. Er stellt sie fachgerecht ein und greift mit seinem linken Arm nach einem kleinen Gewicht, um durch den Raum zu gehen. Die Übung ist hart.“

    Das amputierte Bein mit der Prothese muß also noch zusätzlich belastet werden.

    „Und trotz allem will auch er wieder an die Front. »Ich werde es für meine Tochter und für alle Kinder der Ukraine tun.«“

    Die freuen sich sicher, wenn der Krieg noch möglichst lange weitergeht.

    „Seine Brigade nimmt seinen Angaben zufolge durchaus uniformiertes Personal mit Amputationen auf.“

    Es scheint so zu sein, daß viele Brigaden offenbar motivierte, wenngleich mit Prothesen ausgestattete »Übermenschen« den Zwangsrekrutierten vorziehen, die bei der ersten besten Gelegenheit davonlaufen.

    Die Theorie besagt laut dem im April verabschiedeten Mobilisierungsgesetz, dass Männer mit beidseitiger Amputation auf beliebiger Höhe oder einseitiger Amputation der unteren Extremität oberhalb des oberen Drittels des Beins davon ausgenommen sind.“

    Das heißt, wem nur ein Arm amputiert wurde, der kann nach derzeitiger Gesetzeslage auch ohne besondere Rehab im Übermenschen-Zentrum wieder an die Front geschickt werden.

    „Eine andere Sache ist die Praxis: Erstens, weil die ukrainischen Streitkräfte, denen die russischen Soldaten zahlenmäßig überlegen sind, ihre Truppen vervielfachen müssen, und die meisten Veteranen wissen das.“

    Ob „die meisten Veteranen“ das auch wollen, ist eine andere Frage.

    „Zweitens, weil es viele Positionen im Hinterland gibt, die trotz Prothese ausgefüllt werden können“

    und auch ausgefüllt werden müssen, weil gerade an qualifiziertem Personal fehlt es überall.
    Ungefährlich sind diese Positionen allerdings auch nicht, weil auch Logistik-Zentren, Waffenlager und Punkte für elektronische Steuerung Ziele der russischen Artillerie sind.
    Auch ein kolumbianischer Söldner kommt zu Wort:

    „Albán Torres, 43 Jahre alt, aus dem Cauca-Tal in Kolumbien, kann sich nichts anderes vorstellen, als zu seinem Bataillon, dem 204., zurückzukehren.
    Er ist Teil des internationalen Kontingents der ukrainischen Streitkräfte“,

    der bereits 2022 aufgestellten ukrainischen Fremdenlegion.

    „»Geld ist nicht alles«, betont er mit Nachdruck, bevor er erzählt, wie er im Donezk-Sektor von einer sogenannten »Kamikaze«-Drohne verletzt wurde;
    wie er einen Teil seines rechten Beins verlor, einen Schuss in die Schulter erlitt und seine Ohren verletzt wurden – er probiert ein neues Hörgerät aus, hört aber immer noch viele »Geräusche« –;
    wie er seine Gefährten bat, ihm in den Kopf zu schießen, damit er auf der Stelle sterben konnte.“

    Scheint in Kolumbien mit schwerer Verletzten üblich zu sein, auch angesichts der mangelhaften medizinischen Versorgung im Großteil des Landes.

    „»Mir wurde klar, dass es eine Belastung sein würde«, sagt er nach Abschluss seiner Übungen. Er wurde in ein Krankenhaus in Konstiantinovka verlegt. Torres, ein Soldat mit 20 Dienstjahren, hat Familie in Kolumbien und seine Frau in Spanien.
    Seit zwei Wochen versucht er, aus dem Rollstuhl aufzustehen.“

    Die berufliche Laufbahn in Kolumbien scheint sich für ihn unerfreulich entwickelt zu haben, sodaß er diesen Job angenommen hat.

    Mit solchen Vollmotivierten versucht die Ukraine weiterhin Widerstand zu leisten, aber der Artikel läßt durchblicken, daß auch der Autor nicht voll vom Erfolg dieses Unterfangens überzeugt ist.

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