Pressespiegel El País, 5.11.: Was wird aus dem Gazastreifen?

„WAS KOMMT NACH DEM KRIEG?: DER GAZASTREIFEN VON ÜBERMORGEN BEUNRUHIGT DIE WELT

Die USA fordern Israel dringend auf, jetzt über Szenarien für den Gazastreifen nachzudenken, der aus den Trümmern entstehen soll.
Experten weisen auf die Schwachstellen des Plans hin, der Gestalt annimmt“

Wie sich im Weiteren herausstellt, gibt es keinen Plan, oder aber einen solchen, der nicht durchsetzbar sein wird: Die vollständige Vertreibung

„Heutzutage hört man in Israel häufig den Ausdruck: »Sobald wir gewinnen.« Es dient dazu, dringende Fragen aufzuschieben oder sich ein besseres Leben vorzustellen, wenn das Land die öffentlich dargelegte Mission erfüllt: die Hamas in Gaza zu liquidieren, die für ihren blutigsten Tag in 75 Jahren Geschichte verantwortlich ist.“

Man fragt sich, wann die israelische Führung eigentlich die HAMAS für „liquidiert“ ansieht?
Zur Erinnerung: Die HAMAS besteht aus vielen dezentralen Teilen. Ihre Anführer leben in Katar oder der Türkei. Sie lassen sich nicht so einfach von Israel liquidieren.
Weiters gehören zur HAMAS außer den Kassam-Brigaden, die den Anschlag nach Israel geplant und durchgeführt haben, auch verschiedene andere Unterorganisationen, die sozusagen den gesamten Sozialstaat im Gazastreifen verwalteten, von Lehrern über medizinisches Personal und Leute, die humanitäre Hilfe besorgten und verteilten, in Zusammenarbeit mit der UNO, dem Roten Halbmond und verschiedenen NGOs. Und auch Polizei, Justiz usw.
Weiters vermute ich, daß die HAMAS keine Mitgliedsbücher und kein Verzeichnis ihrer Mitglieder führt.
Es ist also im Grunde jeder Bewohner des Gazastreifens verdächtig, der HAMAS anzugehören oder mit ihr zu sympathisieren – schon allein deshalb, weil in den vergangenen Jahren bzw. Jahrzehnten dank der Bedingungen, unter denen die Bewohner des Gazastreifens existieren mußten, an der HAMAS kein Weg vorbei geführt hat.
Das heißt, solange noch Menschen dort leben, kann man nie sicher sein, die HAMAS „liquidiert“ zu haben.

„Auch wenn die Formulierung vage ist und Experten sich über ihren Realismus nicht einig sind, handelt es sich um ein klares Ziel, für das sie unaufhörlich bombardiert (die Zahl der Toten übersteigt 9.000, hauptsächlich Zivilisten) und die Hauptstadt von Gaza mit Panzern umgibt.
Aber was danach?
Wer wird den Gazastreifen regieren, wenn die islamistische Parteimiliz, die dies seit 2007 getan hat, gestürzt ist? Wer wird verhindern, dass der Hass in seinen Trümmern einen neuen Irak nach Saddam Hussein entstehen lässt?
Dies sind Fragen, die Washington – da sein sehr symbolträchtiger Rückzug aus Afghanistan noch lebendig im Gedächtnis ist – und die arabischen und europäischen Außenministerien, besorgt über die möglichen Auswirkungen, wie etwa eine Flüchtlingskrise, Israel dieser Tage privat stellen.“

Eine wohlbegründete Besorgnis. Israel will die Bewohner Gazas vertreiben, und genau das befürchten die Nachbarstaaten, die USA – und auch die EU.

„Letzte Woche reagierte der nationale Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi in einer Pressekonferenz defensiv (»Der Tag danach?«) und betonte, dass es Israels aktuelles Anliegen sei, die mehr als 200 Geiseln zu befreien und der Hamas ein Ende zu setzen.“

Das mit den Geiseln ist ein fertiger Textbaustein, hinter dem keine Ernsthaftigkeit steht.
Die israelische Führung nimmt locker in Kauf, daß diese Leute unter Schutt und Trümmern ihr Ende finden, genauso wie ihre Bewacher.

„»Wenn wir dem Ziel nahe sind, können wir über den Tag danach nachdenken«, betont der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat.

Die USA drängen jedoch ihren Verbündeten, dem sie wirtschaftlich und militärisch helfen, mittel- bis langfristig zu denken. Außenminister Antony Blinken sprach das Thema an diesem Freitag auf einer Pressekonferenz in Tel Aviv an, bei seinem dritten Besuch in Israel seit Beginn des Krieges am 7. Oktober: »Alle sind sich einig, dass es keine Rückkehr zum Status quo gibt, in dem die HAMAS weiterhin Regierungs- und Sicherheitsverantwortung trägt.«
»Aber«, fügte er hinzu, »wir wissen auch, dass Israel die dauerhafte Kontrolle von Gaza, aus dem es 2005 seine Siedler und Soldaten abgezogen hat, das es aber technisch gesehen weiterhin besetzt hat, nicht wieder aufnehmen kann« und das auch »nicht beabsichtigt«. Mit diesen Zielen, fügte er hinzu, führen die USA Gespräche mit ihren regionalen und internationalen Partnern, aus denen sich »mehrere Möglichkeiten und Varianten« ergeben hätten, auf die es jedoch »verfrüht« sei, näher einzugehen.“

Eine davon wäre vermutlich, das Territorium samt Leuten Ägypten zu übergeben und denen dann die Aufsicht über die Bewohner zu übertragen.
Es fragt sich nur, ob das irgendwer will? – in Ägypten, in Israel und in der restlichen arabischen Welt, Palästinenser in der West Bank inbegriffen.

„Die Debatte dominiert jedoch bereits akademische und Sicherheitskreise. »Es ist keineswegs zu früh für die Biden-Administration, über das Thema zu sprechen«, sagte Gerald M. Feierstein, ehemaliger Diplomat und Nahostexperte am »Middle East Institute«, einem US-Analysezentrum für die Region, an diesem Donnerstag in einer Videokonferenz. Feierstein kritisierte, dass sich die gesamte Debatte »immer nur um Gaza dreht«, etwa »wer wird ihn regieren oder wie der Wiederaufbau aussehen wird … Wir müssen erkennen, dass dies eine israelisch-palästinensische Angelegenheit ist, nicht bloß Israel und Gaza, und dass die Lösung politisch und nicht militärisch ist und keine der Parteien durch Gewalt den Sieg erringen wird«, bemerkte er.
In den Gesprächen wird bereits ein Plan skizziert. Sobald das israelische Militär die exekutiven und militärischen Fähigkeiten der Hamas zerstört, würde es eine drei Kilometer lange Sicherheitspufferzone errichten. »Gaza muss am Ende des Krieges kleiner sein […] Wer einen Krieg mit Israel beginnt, muss Territorium verlieren«, sagte Gideon Saar, Minister ohne Geschäftsbereich in der neuen Notstandsregierung, vor der Landinvasion.“

Die ohnehin schon höchst beengte Bevölkerung Gazas würde also in ihren Trümmern noch weiter zusammengedrückt, und dauernd beschossen und bombardiert, weil ja die HAMAS noch nicht endgültig „liquidiert“ wäre.
Es ist klar, daß es sich hier um ein weiteres Vertreibungsszenario handelt, wo den Bewohnern des Gazastreifens das Leben unerträglich gemacht werden soll.

„Dann bliebe es einige Monate lang mit viel weniger Truppen vor Ort und entschiede sich für häufige Einfälle, um die vorhersehbaren Quellen des Aufstands zu unterdrücken. Westjordanland-Stil, aber ohne Siedler, die es zu schützen gilt.
Parallel dazu würde eine multinationale Streitmacht entstehen, voraussichtlich mit einer wichtigen Rolle aus dem Teil der arabisch-muslimischen Welt, der Israel anerkennt, wie Ägypten, Jordanien, der Türkei oder Marokko.“

Aha. Nur Staaten, die Israel bereits anerkannt haben, dürfen hier mitreden.

„Die laufende Verwaltung des Gazastreifens würde wieder in die Hände der Palästinensischen Autonomiebehörde (ANP) fallen, genau wie in den neunziger Jahren, nach den Oslo-Abkommen und dem Putsch der Hamas im Jahr 2007; und in den Städten des Westjordanlandes, die unter israelischer Militärbesatzung stehen.“

Dieser Plan hat mehrere Haken.
Schon im Westjordanland ist die PLO unpopulär, weil sie als Befehlsvollstrecker Israels angesehen werden. Sie ist auch schon längere Zeit durch keinerlei Wahlen legitimiert.
Ob sich die Bewohner Gazas nach allem, was geschehen ist, den Behörden dieser Gruppierung unterordnen würden, ist fraglich – sie würden als Kollaborateure Israels angesehen werden.
Zweitens ist ja auch im Westjordanland alles offen, nachdem dort die Siedler praktisch machen können, was sie wollen, und die Autonomiebehörde zusieht.

„All dies sollte von den Legitimitätssiegeln der UNO und der Arabischen Liga, einem Geldregen in Millionenhöhe für den Wiederaufbau“ (von wem?) „und einem neuen Vorstoß zur endgültigen Lösung des Konflikts mit der Schaffung eines palästinensischen Staates begleitet sein.

Neben dem sowieso freien Wunschdenken besteht eines der Hauptprobleme dieser Szenarios darin, dass es zwar vielen Anliegen Israels entgegenkommt – das weder wieder das Leben von 2,3 Millionen Palästinensern verwalten noch wieder Hunderte seiner Bürger hilflos sterben sehen will, nachdem sich die ausgefeilte Grenzsicherungsmauer in einen Schweizer Käse verwandelt hat – jedoch nicht auf die Bedenken anderer Akteure eingeht, denen die vorgesehene Beteiligung kaum Vorteile bringt, aber dennoch als selbstverständlich angesehen wird.
Israel wird auch viele Garantien verlangen, bevor es seine Sicherheit in fremde Hände legt.

Die Zwei-Staaten-Lösung

Der Premierminister der ANP, Mohammed Schtajjeh, hat bereits darauf hingewiesen, dass sie nicht »an Bord einer F-16 oder eines israelischen Panzers« auf die Bühne kommen werden, ohne »eine politische Lösung für das Westjordanland« und einen »globalen Horizont des Friedens«, der es ermöglicht, Gaza an den Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung anzubinden. Es wird auch darüber nachgedacht, Mohammed Dahlan aus Dubai zu holen, den umstrittenen ehemaligen Sicherheitschef der ANP, der Israel recht wäre.
Er selbst hat seine Teilnahme bereits ausgeschlossen und besteht, obwohl er Al-Fatah-Mitglied ist, darauf, dass »die Hamas nicht verschwinden wird« und dass sie in der Lage sein sollte, an Wahlen teilzunehmen, um eine technokratische Übergangsregierung im Gazastreifen vorzubereiten.

Die arabischen Staaten ihrerseits »wollten nie Verantwortung für Gaza übernehmen«, erinnerte sich kürzlich Nathan J. Brown, Professor für Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der George Washington University und Autor mehrerer Essays über die Politik in der arabischen Welt.
»Und es ist wahrscheinlich, dass dies jetzt noch weniger der Fall ist – sie wollen sich nicht zusammensetzen, um ein Problem zu lösen, das in ihren Augen durch die Rücksichtslosigkeit anderer verursacht worden ist.«“

Ghassan Chatib, ehemaliger palästinensischer Minister und Professor für zeitgenössische Arabistik und internationale Studien an der Universität Bir Zeit im Westjordanland, vertraut auch nicht darauf, daß beide Parteien die heiße Kartoffel akzeptieren. »Israel hat sich nicht aus Gaza zurückgezogen, um dann dorthin zurückzukehren, und ich glaube, dass die arabischen Länder nach dem, was Israel jetzt tut, kein Interesse daran haben, eine Rolle bei der Verwaltung von Gaza zu spielen. Ich glaube auch nicht, dass die Palästinensische Autonomiebehörde dazu bereit ist«, sagt er.“

Nachvollziehbar.

Es geht ja nicht nur darum, Schutt und Asche aufzuräumen und die Toten zu begraben, also um den materiellen Wiederaufbau.
Mit diesem Krieg und Bombardement ist eigentlich jegliches Tischtuch zerschnitten, um mit Israel je wieder zu verhandeln. Die dortige Bevölkerung wird das nicht akzeptieren, ganz gleich, welche Verwaltung man ihr vor die Nase setzt.

„Einer der Favoriten des Westens, Salam Fayyad, zwischen 2007 und 2013 Premierminister der ANP, nachdem er die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds durchlaufen hatte, gab letzte Woche in der Zeitschrift Foreign Affairs zwei Warnungen heraus: Man kann »den Palästinensern keine konkrete Vereinbarung aufzwingen« und auch nicht anstreben, daß die schwache und diskreditierte ANP in ihrer derzeitigen Struktur die Verwaltung des Gazastreifens wieder übernimmt. Fayyad schlägt vor, es zusammen mit der PLO – dem gesetzlichen Vertreter des palästinensischen Volkes, zu der weder HAMAS noch Islamischer Dschihad gehören – so umzugestalten, dass sie »das gesamte Spektrum palästinensischer Ansichten darüber widerspiegeln, was ein akzeptables Abkommen wäre«.“

Fayyad möchte also die PLO in ihre alten Rechte einsetzen und wieder als einzigen Verteter der Palästinenser etablieren – und damit den Machtkampf zwischen HAMAS und PLO beenden.
Ein interessanter Vorschlag – man muß sehen, was Israel dazu sagt. Schließlich hat die israelische Führung seinerzeit – im Einklang mit der ähnlichen Politik der USA – die islamistische HAMAS unterstützt, um die PLO zu schwächen und die Palästinenser zu spalten.

„Jack Joury, Kommentator für arabische Angelegenheiten bei der Zeitung Haaretz, stellte an diesem Dienstag fest: »Ohne die Wiederherstellung der ANP und der Institutionen des palästinensischen Volkes werden Mogadischu und Beirut während ihrer jeweiligen Bürgerkriege im Vergleich zu dem, was sich zwischen Jabalia im Norden und Khan Yunis im Süden von Gaza entwickeln wird, wie ein Paradies erscheinen.«
Aber weder westliche Länder noch Israel werden die Präsenz der Hamas in einer palästinensischen Regierung akzeptieren, da sie dadurch eine Art wirksames Veto wie die Hisbollah im Libanon hätte.“

Es ist seltsam, daß dieses Kapitel „2-Staaten-Lösung“ übertitelt ist, wo doch von einem palästinensischen Staat in den Ausführungen gar keine Rede ist.

„Die Spaltung zwischen Gaza und dem Westjordanland

Heutzutage behandelt Israel die ANP wie einen alten Freund, den es jahrelang ignoriert hat und der plötzlich anruft, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Die Regierung von Benjamin Netanyahu – deren Koalitionsvertrag »das ausschließliche Recht des jüdischen Volkes« auf Israel und Palästina betont – fördert seit Jahren die Spaltung zwischen Gaza und dem Westjordanland, um die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern; und die ANP zu schwächen, ohne einen Dialoghorizont zu bieten, der sie gegenüber der Hamas legitimiert.
Für die extreme Rechte ist sie auch der Feind, wie der derzeitige Finanzminister Bezalel Smotrich es beschrieb: »Die ANP ist eine Last und die Hamas ein Aktivposten«, denn »niemand wird sie anerkennen, noch wird sie ihr einen Status [beim Internationalen Strafgerichtshof] verleihen, noch wird ihr erlaubt, eine Resolution im Sicherheitsrat der UNO vorzulegen.«“

Es geht aus diesem Zitat nicht hervor, ob Smotrich damit die ANP, die Hamas oder beide meint. Vermutlich beide. Er stellt damit zufrieden fest, daß die Palästinenser keine anerkannte internationale Vertretung haben und Israel daher mit ihnen machen kann, was es will.

„Wenige Tage vor dem Angriff am 7. schrieen die Ultranationalisten laut auf, weil die ANP-Sicherheitskräfte – deren Einsatz in Gaza derzeit erwogen wird – 18 von den USA finanzierte Fahrzeuge erhalten hatten.

Daniel Wajner ist Assistenzprofessor in der Abteilung für Internationale Beziehungen und Europäisches Forum der Hebräischen Universität Jerusalem und spezialisiert sich auf internationale Legitimation und Konfliktlösung. Er schließt drei Optionen aus: dass Israel die zivile Verwaltung des Gazastreifens wieder aufnimmt, dass die ANP dies tut (»selbst wenn sie es wollte, ist sie in ihrer Bevölkerung zu sehr delegitimiert«, argumentiert er) und ein internationales Mandat.
Er schlägt einen vierten vor: die Einbeziehung »zentraler Länder der arabisch-islamischen Welt«, zumindest Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die über die Anerkennung Israels verhandelt hatten. »Ich weiß nicht, ob es der beste Plan oder der sicherste ist, aber es ist der am meisten legitimierte«, stellt er klar.“

Man fragt sich, was diese hier ausersehenen Staaten machen sollen? Das zerstörte Gaza wieder aufbauen? Als Besatzungsmacht übernehmen? Was wäre dabei „legitimiert“?

„Wajner besteht darauf, dass die »internationale Einbeziehung«, insbesondere die Unterstützung der Arabischen Liga, wichtiger sei als die Anzahl und Größe der Länder. Was ist, wenn sie es nicht wollen?“

Was genau jetzt sollen sie „wollen“? Die Scherben aufräumen und die Palästinenser ruhigstellen?

„»Das ist die große Unbekannte. »Der Schlüssel wird sein, dass sie verstehen, dass sie davon profitieren können«, antwortet er, worauf er daran erinnert, dass sowohl Kairo – mit leeren Kassen und einer explodierenden Inflation – als auch Amman, das sich in einer besseren wirtschaftlichen Lage befindet, Geld vom IWF erhalten.“

Der IWF ist keine Spendenorganisation, sondern vergibt Kredite. D.h., sowohl Ägypten als Jordanien sind beim IWF verschuldet. Offenbar meint der Interviewte, der IWF sollte als Instrument eingesetzt werden, um diese Staaten dazu zu drängen, sich noch mehr zu verschulden, um Gaza aufzubauen.
Hmmm.
Die Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten.

„Vages Konzept

Ein weiteres Problem liegt in der Unbestimmtheit des Konzepts der »Beseitigung der HAMAS«, einer Bewegung, die Gaza verwaltet und Zehntausende Beamte beschäftigt.
Bis zu welcher Hierarchieebene werden sie verhaftet oder eliminiert?

Eyal Hulata, Israels ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, plädierte letzte Woche dafür, einen Teil der zivilen Beamten während des Übergangs zu behalten. Ein französischer Vorschlag, über den in der Zeitung Haaretz berichtet wurde, sieht vor, alle von der HAMAS ernannten Beamten durch diejenigen ANP-Mitarbeiter zu ersetzen, die die HAMAS bei Straßenkämpfen ein Jahr nach ihrem Wahlsieg 2006 vertrieben hatte. Die ANP in Ramallah zahlt weiterhin ihre Gehälter, ohne daß sie arbeiten.

Auch Israel hat es nicht leicht, zu einer Einigung gelangen, was das Ziel sein soll. Das Fiasko vom 7. hat Netanjahus politische Zukunft aufs Spiel gesetzt, und die für den Krieg gebildete Notstandsregierung birgt heikle Positionen, die von denen, die eine Stärkung der ANP befürworten, die vor einem Monat noch Teil der Opposition waren, bis zu denen reichen, die eine Möglichkeit sehen, in Gaza zu bleiben und die Siedlung Gush Katif wieder aufzubauen, die 2005 evakuiert wurde.
Letzteres ist der Fall von Simja Rotman, der Vorsitzenden der parlamentarischen Justizkommission und Galeonsfigur der umstrittenen Justizreform, die den Sieg so definierte: »Dass ein jüdisches Kind durch die Hauptstraße von Gaza gehen kann.«“

Mit einem Wort, ein palästinenserfreies Gaza.

„Ein durchgesickertes Arbeitsdokument des Geheimdienstministeriums schlägt beispielsweise vor, die Bevölkerung von Gaza gewaltsam und für immer in den ägyptischen Sinai zu vertreiben.“

Das wäre natürlich der Traum von Netanjahu und Co., aber das wird sich unter den gegebenen Umständen nicht verwirklichen lassen.

„»Auf die Frage: ‚Wie soll Gaza regiert werden, wenn der Krieg vorbei ist?‘ gibt es möglicherweise keine guten Antworten und ist möglicherweise nicht einmal ein guter Ausgangspunkt«, fasste der Experte Brown in einem Artikel zusammen, der diesen Freitag im Carnegie Center über den Nahen Osten veröffentlicht wurde. »Es wäre besser zu fragen: Was bedeutet es, eine Partei wie Hamas von der Macht zu entfernen, wenn sie alle Regierungsebenen in Gaza dominiert? Was bedeutet es für Israel, zu versuchen, die militärischen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören, einer sozialen Bewegung mit einem militärischen Arm, die auch die öffentliche Sicherheit, die Verwaltung und andere Regierungsfunktionen überwacht, insbesondere wenn sie über und unter der Erde [durch das unterirdische Tunnelnetz] operiert? Was bedeutet ,Sieg‘? Und was wird Israel tatsächlich erreichen, Ziele hin oder her? Und woher soll jemand wissen, dass der Krieg vorbei ist?«“

Schöne Aussichten …

9 Gedanken zu “Pressespiegel El País, 5.11.: Was wird aus dem Gazastreifen?

  1. „Brasiliens Präsident Lula wirft Israel »Terrorismus« vor

    Der brasilianische Präsident Lula hat das Vorgehen der israelischen Armee verurteilt und mit »Terrorismus« gleichgesetzt. Der Dachverband der jüdischen Gemeinde reagiert empört.“

    Man merkt daran, wie sich die jüdische Gemeinde Israels wie selbstverständlich mit der Politik Israels identifiziert.

    Am Montag hatte er bei der Begrüßung von 32 aus dem Gazastreifen ausgeflogenen Brasilianern und ihren Familienmitgliedern Israel vorgeworfen, »eine Reihe von Terrorakten« zu begehen, indem es »nicht berücksichtigt, dass Kinder und Frauen nicht in den Krieg verwickelt sind«.“

    Der brasilianische Präsident hat weise geschwiegen, solange noch Staatsbürger seines Landes im Gazastreifen eingeschlossen waren, weil er mitgekriegt hat, daß Israel Kritik an seinem Vorgehen sofort mit Schwierigkeiten bei der Ausreise ahndet.

    „Den Evakuierungen brasilianischer Staatsbürger aus dem Gazastreifen war ein wochenlanges diplomatisches Tauziehen vorangegangen, das die Beziehungen zwischen Brasilien und Israel belastete.“

    (Spiegel, 14.11.)

  2. Osama Bin Laden als TikTok-Held: Warum die Generation Z plötzlich Al-Qaida feiert

    Auf der Videoplattform verbreitet sich seit Mittwoch das islamistische Pamphlet des Terroristen. Vor allem junge Menschen bezeichnen es als »augenöffnend«. (…)

    Vor allem amerikanische Nutzer des Netzwerks posten seit Mittwoch Videos, in denen sie sich positiv auf den ehemaligen Al-Qaida-Boss Osama Bin Laden und dessen islamistisches Pamphlet »Letter to America« beziehen. (…)

    Die britische Zeitung »Guardian« hatte Bin Ladens vollständigen »Letter to America« bereits 2002 auf ihrer Website veröffentlicht, um ihn Lesern zugänglich zu machen. Jahrzehntelang fand der antisemitische, amerikafeindliche und islamistische Brief dort wenig Beachtung – bis zu dieser Woche, in der sich Inhalte des Manifests plötzlich auf TikTok verbreiteten.

    Der »Guardian« reagierte schnell und löschte daraufhin die entsprechende Website mit der Begründung, dass sich einzelne Passagen ohne Kontext auf Social-Media-Plattformen verbreiten würden.

    Doch ausgerechnet die Entfernung des Bin Laden-Briefs sorgte für weitere Aufmerksamkeit unter vielen jungen TikTok-Nutzern, die sich in ihrer Ansicht bestätigt sahen, dass »die Medien« versuchen, bestimmte Meinungen zu unterdrücken.“

    Na sowas! Wie kommen die jungen Leute nur auf dergleichen Gedanken?!

    „Die Folge: Der Inhalt des terroristischen Manifests verbreitete sich trotz „Guardian“-Löschung rasant in den Weiten der chinesischen Videoplattform.“

    Das Ärgerliche dabei ist, daß man den Chinesen keine Zensurvorschriften machen kann.

    „Nutzer beschrieben in Clips, die teilweise über eine Million Aufrufe erhielten, dass der Brief ihnen die »Augen geöffnet hätte« und sie jetzt anders auf das Weltgeschehen blicken würden. Unter den begeisterten Kommentatoren der Videos finden sich auffallend viele junge Menschen der sogenannten »Generation Z«.

    Bei denjenigen, die auf der Videoplattform über ihre Leseerfahrung berichten, handelt es sich außerdem offenbar vor allem um Personen, die nach den Inhalten ihrer Social-Media-Konten eher einem linken Milieu zuzuordnen sind.“

    (Tagesspiegel, 16.11.)

  3. Für israelische Soldaten in Gaza ist TikTok eine Art Podium für Videospiele, wo sie in Form von Grußbotschaften oder Heldentaten eine Sprengung, ein Foto vor zerstörten Gebäuden oder auch Akte der Plünderung auf Video aufnehmen.

    Dergleichen Videos, zusammen mit der Forderung nach der Wiederherstellung einer israelischen Siedlung im Gazastreifen weisen darauf hin, daß die überwiegende Mehrheit der Israelis mit einer völligen Vertreibung der Araber aus Gaza rechnet.

  4. Beim heutigen Durchlesen mehrerer Zeitungen entsteht bei mir der Eindruck, daß die Nachrichten zu Gaza langsam in die 2. Reihe rücken. Die Israelis bomben weiter, die Leute dort krepieren weiter, die Geiseln interessieren niemanden mehr, die arabischen Staaten, sogar der Iran scheinen sich ausgemischt zu haben und beschränken sich auf Deklarationen.

    Die Medien befassen sich lieber mit innenpolitischem Schwachsinn, LGTB, Navalny, Klima und dergleichen.

  5. Der Druck Israels, die Bevölkerung des Gazastreifens im südlichen Teil der Enklave zuammenzudrängen, beunruhigt Ägypten

    Die Vertreibung von immer mehr Gaza-Bewohnern in den südlichen Teil des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten und die rasche Verschärfung der humanitären Krise in der palästinensischen Enklave verursachen in Kairo wachsende Besorgnis.

    Es wird befürchtet, dass die Ausweitung der israelischen Militäroffensive, ihre Belagerungspolitik und die ständigen Umsiedlungsbefehle an die Bevölkerung der Auftakt zu einer Vertreibung der Gaza-Bewohner auf die Sinai-Halbinsel sind oder ihre Situation so weit verschärfen werden, dass Tausende von Bürgern versuchen werden, die Grenze zu Ägypten gewaltsam zu überqueren, in einem Szenario, das die ägyptischen Behörden als eine rote Linie betrachten, die die Beziehungen zwischen den beiden Staaten erschüttern könnte.“

    (El País, 12.12.)

    Daß Israel das vorhat, hat es auch nie verborgen – es gab ja schon den Vorschlag, die Bewohner des Gazastreifens auf dem Sinai anzusiedeln.

  6. „»Dass die Hamas vernichtet werden kann, ist Wunschdenken«

    Ist der Kampfgeist der Hamas gebrochen, wie Israel verkündet hat? Und lässt sie sich überhaupt zerschlagen? Zwei Experten äußern Zweifel. Eine Analyse aus Jerusalem

    Der Kampfgeist der Hamas sei geschwächt, der Sieg über die Terroristen in Griffweite: Diese Nachrichten hört man aus israelischen Militärkreisen nun immer öfter. Es sind frohe Botschaften an zwei Adressen: an die israelische Öffentlichkeit, die jeden Tag in den Nachrichten mit neuen Bildern und Biografien weiterer gefallener Soldaten im Gazakrieg konfrontiert wird – allein am Mittwoch waren es zehn Todesmeldungen. Und an Washington, wo US-Präsident Joe Biden zuletzt so deutlich wie nie Israel aufgerufen hat, die Kämpfe so bald wie möglich einzustellen. Biden warnte, dass Israel in absehbarer Zeit den Rückhalt im Westen verlieren könnte. Grund seien die "willkürlichen Bombenangriffe" der israelischen Armee in Gaza.

    Nicht nur in Gaza aktiv

    Wie lange wird es nun dauern, bis die Hamas besiegt ist? Dass die Moral der Hamas bereits deutlich geschwächt ist, glaubt der frühere Militärgeheimdienst-Offizier und israelische Hamas-Experte Michael Milstein nicht. Der politische Führer der Hamas in Gaza, Yahya Sinwar, sei sogar der Überzeugung, "dass 20.000 tote Palästinenser und die fast vollständige Zerstörung des Gazastreifens immer noch ein respektabler Preis für diesen siegreichen Schlag gegen Israel ist".

    Selbst wenn es gelingen sollte, zehntausende Hamas-Mitglieder zu töten, werde das die Hamas nicht zum Verschwinden bringen, meint Milstein. Die Terrororganisation sei schließlich nicht nur im Gazastreifen aktiv, sondern auch im Westjordanland, im Libanon, in Syrien, der Türkei und in Katar.

    Ideologie wird weiterverbreitet

    Israels Armee könne und müsse die Hamas militärisch schwächen und ihre Führung in Gaza vorerst beenden, sagt Hamas-Experte Michael Barak im STANDARD-Gespräch. "Dass die Hamas vernichtet werden kann, ist aber Wunschdenken", glaubt der Forscher am Internationalen Institut für Terrorismusabwehr und Lektor an der Verwaltungsakademie der Reichman Universität in Herzlia.

    Die Ideologie der Hamas werde von religiösen Autoritäten gestärkt und weiterverbreitet, sagt Barak. Er nennt die Al-Azhar-Universität in Kairo als Beispiel. Sie habe sich im vergangenen Jahrzehnt von einem mäßigenden zu einem radikalen Faktor gewandelt und positioniere sich jetzt auf der Seite der Muslimbrüderschaft und der Hamas. In einer Fatwa erklärte sie das gezielte Töten israelischer Zivilisten für legitim. "Wenn man eine solch wichtige religiöse Institution auf der Seite der Terroristen hat, ist es fast unmöglich, die Hamas zu schlagen", sagt Barak.

    Komplizierte Situation im Süden

    In Gaza merke man eine gewisse Frustration mit der Hamas, auch unter deren Kämpfern, sagt Barak. "Viele sind verärgert, weil die versprochenen Zahlungen für die Geiselnahmen am 7. Oktober ausgeblieben sind." Von einem Kontrollverlust der Hamas könne man derzeit aber nur im Norden des Gazastreifens sprechen. Im Süden, wo sich die Spitzen der Hamas aufhalten sollen und die Kämpfer untereinander besser vernetzt sind, "ist es extrem kompliziert", sagt Barak.

    Die Ideologie der Hamas werde von religiösen Autoritäten gestärkt und weiterverbreitet, sagt Barak. Er nennt die Al-Azhar-Universität in Kairo als Beispiel. Sie habe sich im vergangenen Jahrzehnt von einem mäßigenden zu einem radikalen Faktor gewandelt und positioniere sich jetzt auf der Seite der Muslimbrüderschaft und der Hamas. In einer Fatwa erklärte sie das gezielte Töten israelischer Zivilisten für legitim. "Wenn man eine solch wichtige religiöse Institution auf der Seite der Terroristen hat, ist es fast unmöglich, die Hamas zu schlagen", sagt Barak.

    Komplizierte Situation im Süden

    In Gaza merke man eine gewisse Frustration mit der Hamas, auch unter deren Kämpfern, sagt Barak. "Viele sind verärgert, weil die versprochenen Zahlungen für die Geiselnahmen am 7. Oktober ausgeblieben sind." Von einem Kontrollverlust der Hamas könne man derzeit aber nur im Norden des Gazastreifens sprechen. Im Süden, wo sich die Spitzen der Hamas aufhalten sollen und die Kämpfer untereinander besser vernetzt sind, "ist es extrem kompliziert", sagt Barak.

    Um die Hamas längerfristig zu schwächen, sei Israel auf die Unterstützung der USA und Europas angewiesen, sagt Barak. "Der Westen muss Druck auf die Türkei und Katar ausüben, um die Finanzierungsquellen der Hamas auszutrocknen." Das ist aber ein längerfristiges Vorhaben. Für die kürzere Perspektive müsse man neue Lösungen finden, nicht zuletzt für die Frage, wer Gaza nach dem Krieg kontrollieren solle. Dass die Palästinenserbehörde (PA) diese Aufgabe übernehmen könne, hält Barak für unrealistisch. "Die PA hat schon gesagt, dass sie bereit ist, die Hamas in die Führung zu integrieren." Wenn die Terrorgruppe auf diese Weise zurück an die Macht findet, wäre das für Israel – und wohl auch für die USA und Europa – nicht akzeptabel.

    Israel müsse seine Politik der Hamas gegenüber von Grund auf ändern, sagen die Experten. In den vergangenen Jahren hat Israel es zugelassen, dass Katar Milliarden Dollar nach Gaza pumpen konnte. Die Annahme war, dass ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Sicherheit helfen würde, Gaza auch politisch zu stabilisieren und Eskalationen vorzubeugen. Der 7. Oktober hat diese Ansicht endgültig erschüttert.“ 

    (Standard, 14.12.)

    Ob die Vernichtung der HAMAS das wirkliche Ziel der israelischen Führung ist, kann bezweifelt werden.
    Es isr vielmehr der Titel, mit dem die Zerstörung des Gazastreifens vorangetrieben wird.

    Die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen ist das erklärte Ziel der israelischen Führung. Die Zerstörung der HAMAS ist nur sozusagen das Feigenblatt dafür, weil das wirkliche Ziel nicht zur Sprache gebracht werden darf.

    Ist also falsch, Israel an einem Ziel zu messen, daß diese Führung nicht hat.

  7. Das Gesundheitsministerium von Gaza hat berichtet, dass die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen aufgrund israelischer Angriffe seit Beginn des Krieges am 7. Oktober auf 22.185 Menschen gestiegen ist. Diese neue Bilanz des von der palästinensischen Hamas-Miliz kontrollierten Ministeriums umfasst 207 Menschen, die in den letzten 24 Stunden gestorben sind. Darüber hinaus wurden seit der Eskalation des Konflikts Anfang Oktober 57.035 Menschen im Gazastreifen verletzt. (AFP)

    (El País, 2.1.)

  8. Heute ein sehr ausführlicher Bericht in El País über ein System von Bestechungen, mit dessen Hilfe Leute aus Gaza nach Ägypten – über Rafah – ausreisen können. Ungefähr 10.000 $ pro person. Kinder sind etwas günstiger. Dazu kommen dann noch auf der ägyptischen Seite jede Menge Kosten für ein Visum usw. und eine sehr miese Behandlung durch die Behörden.

    Meistens legt die Familie zusammen, um einem Mann die Ausreise zu ermöglichen, damit er dann die Familie aus dem Ausland unterstützt. Oder genug Geld zusammenbringt, um dem Rest auch die Ausreise zu ermöglichen.

    Die ägyptische Seite kassiert zwar, rechnet aber damit, daß die solchermaßen Eingereisten nicht lange bleiben, also woandershin weiterreisen. Die Behandlung ist jedenfalls danach.

    Da aber wahrscheinlich auch die Ausreise von Israel kontrolliert wird – mit Berufung auf HAMAS-Mitglieder, die da ja flüchten könnten –, ist es klar, daß Israels Armee an diesen Deals mitschneidet.

  9. „Die israelische Armee beruft Tausende Reservisten für »Einsätze« in Gaza ein. Die Entscheidung »wird die Anstrengungen und Vorbereitungen fortsetzen, den Staat Israel weiterhin zu verteidigen und die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten.« Brigaden bestehen in der Regel aus einigen tausend Soldaten (zwischen 3.000 und 7.000).“

    (El País, 14.4.)

    Nach Gaza schaut im Augenblick niemand – eine günstige Gelegenheit, nimmt man offenbar in der israelischen Führung an.
    Vielleicht kann man wieder ein paar Häuser und Leute plattmachen.

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