UNRUHE IM HINTERHOF
Lateinamerika galt lange als der Hinterhof der USA. Dort wurde das System der konzessionierten Souveränität gegenüber dem Kolonialsystem der alten Welt entwickelt, ausgebaut und dann als Modell der Globalisierung auf die ganze Welt ausgebreitet. Besonders aktuell war das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.
Seither ist jedoch einiges geschehen. Vor allem das ökonomische Erstarken Chinas hat dort die Karten neu gemischt.
1. Argentiniens Bankrott und der Vormarsch Chinas
Einen bedeutenden Einschnitt in der wirtschaftlichen Entwicklung Südamerikas bedeutete der Bankrott Argentiniens 2001/2002. Das Land war ein Musterknabe des IWF gewesen, der inzwischen verstorbene Präsident Menem und der Wirtschaftsminister Cavallo hatten den argentinischen Peso an den Dollar geknüpft und dadurch die galoppierende Inflation in den Griff bekommen.
Diese als Currency Board hochgelobte Methode, Weichwährungen durch eine stabile Wechselkurspolitik zu stützen, galt damals als der Weisheit letzter Schluß und wurde in Wirtschaftsforen beklatscht. Er gab Argentinien die Möglichkeit, sich auf den Börsen von Frankfurt und New York zu verschulden, indem es dort auf Dollar lautende Staatsanleihen ausgab. Diese Wertpapiere erschienen den Investoren als sicher, weil durch die Dollarbindung die Zahlungsfähigkeit des Staates Argentinien gesichert schien. Es war aber ein Trugschluß, wie sich in diesem Millenium herausstellte, weil diese Bindung nur auf den Vereinbarungen mit dem IWF gegründet war, also weder auf der Wirtschaftsleistung Argentiniens noch auf irgendwelchen Garantien seitens der USA. Daher platzten diese Anleihengeschäfte nach dem Sturz des Präsidenten De La Rúa, der Peso entwertete sich und Argentinien war international nicht mehr zahlungsfähig. Das hatte sehr unerfreuliche Auswirkungen auf die argentinische Wirtschaft, die durch die Bedingungen, die der IWF an die Aufrechterhaltung des Currency Board geknüpft hatte, extrem importabhängig geworden war.
Was das alles für Argentinien bedeutete, kann man an den weiter unten angeführten Artikeln zu Argentinien entnehmen.
Für den Rest Lateinamerikas, vor allem Südamerikas, waren diese Entwicklungen eine Lehre. Sie wandten sich vermehrt vom IWF ab und einem neuen Kreditgeber zu, der wundersamerweise zu diesem Zeitpunkt am Horizont auftauchte: Der chinesischen Entwicklungsbank mit Sitz in Schanghai.
Diese Bank ist eine Art Anti-IWF oder Anti-Weltbank-Institution, die dazu ins Leben gerufen wurde, um – zusammen mit Chinas Außenhandelsbank – die bei China aufgehäuften Devisenreserven in greifbare Exporterfolge und ebenso greifbare Sicherstellung von notwendigen Importen zu sichern. Zum Unterschied vom IWF und Weltbank, die zwar US-dominierte, aber dennoch internationale Institutionen sind, sind diese Banken ausschließlich chinesische Institutionen und dienen daher anerkanntermaßen in erster Linie den Interessen der chinesischen Politik.
Sie finanzieren Infrastrukturprojekte wie den Bau von Straßen, Brücken oder Eisenbahnen, im Rahmen der sogenannten „neuen Seidenstraße“, die im Original einfach Verbindungs- und Straßenbauinitiative heißt. Außerdem finanzieren sie Unternehmen zur Energiegewinnung, investieren als Land Grabber in den Agrarsektor und vergeben Exportstützungskredite, mit deren Hilfe sie den lateinamerikanischen Markt mit Konsumgütern förmlich überschütten.
China hat daher Schritt für Schritt Lateinamerika sowohl als Rohstofflieferant als auch als Markt dem Zugriff der USA entzogen.
Dadurch ist auch in verschiedenen Staaten Lateinamerikas eine neue Händler-Elite entstanden, die sich auf den Handel mit China spezialisiert hat. Besonders augenfällig ist das z.B. in Bolivien, wo die eigentlich als großer Slum entstandene Zwillingsstadt zu La Paz, El Alto, zu einer kommerziellen Drehscheibe für den Chinahandel geworden ist und die alten, USA-orientierten Eliten schrittweise zurückgedrängt hat.
Damit wurden auch die Staaten Lateinamerikas intern aufgemischt. Die USA versuchen, ihren schwindenden Einfluß durch Bündnis mit den traditionellen Eliten und unter Zuhilfenahme von Sekten wieder zurückzuerlangen, was sich in Putschen und Unruhen äußert.
Eine weitere Waffe im Kampf um Einfluß ist das Thema „Korruption“ und die Zuhilfenahme der Justiz. Davon später einmal.
2. Der politische Einfluß Chinas in Lateinamerika
Außer dem ökonomischen Vormarsch hat China – in Zusammenarbeit mit Rußland – auch politisch einiges geleistet. Nach dem Putschversuch gegen Chávez 2002 und der Entlassung der darin verwickelten Angestellten der Erdölindustrie wurde die Erdölproduktion nur dank tatkräftiger Hilfe chinesischer – und iranischer! – Spezialisten weiter am Laufen gehalten. Nach Jahrzehnten der Obstruktion, Embargos und militärischer Bedrohung funktioniert der Erdölsektor Venezuelas nur dank chinesischer Investitionen weiter. China arbeitet daran, die Erdölreserven Venezuelas zu erschließen, den Erdölsektor zu modernisieren und die Exportkapazitäten zu erhöhen.
Um zu verstehen, warum das so langsam vonstatten geht, sei daran erinnert, daß Venezuela mit dem Iran und Kuba das Problem teilt, daß nach dem Bruch mit den USA die ganze Industrie auf das metrische System umgestellt werden mußte. Stück für Stück müssen alle Geräte, Raffinerien usw. umgebaut oder ganz ausgetauscht werden, da keine Ersatzteile mehr aus den USA importiert werden können.
Dieser Umbau geht übrigens nicht nur in Venezuela vonstatten. Auch die mit Hilfe Chinas groß gewordene Erdölindustrie, Bauindustrie und Flotte Brasiliens hat sich von den US-Firmen und Normen abgewandt und sich Know-Hows aus Rußland und der EU bedient.
Kuba schließlich hält sich bis heute nur dank russischer und chinesischer Unterstützung in verschiedenen Sektoren, nachdem Venezuela als großer Spender in Lateinamerika selbst in Bedrängnis geraten ist.
3. Rußlands Vormarsch in Lateinamerika
Rußlands Einfluß ist sowohl logistischer als auch militärischer Natur. Die Aufrüstung der venezolanischen Sicherheitskräfte war ein entscheidender Faktor, warum die USA und die Nachbarstaaten Venezuelas von einem Einmarsch absahen, wie er von den USA rund um das Guaidó-Theater erwogen wurde. (Es reichte nur zu einem operettenhaften Invasionsversuch.) Auch die Blockade von Tankern nach Venezuela wurde durch russisches Militär vereitelt. In Argentinien leistete Rußland sogar etwas Wirtschaftshilfe zum Aufbau einer bis dahin nicht exitenten Fisch- und Meeresfrüchteindustrie.
Vor allem aber unterstützen russische Firmen (und im Hintergrund dazu sogar bis zum Vorjahr deutsche) die Industrie in verschiedenen Sektoren der Energiewirtschaft.
Während der Pandemie tobten Kämpfe um die in Lateinamerika zugelassenen Impfstoffe. Damals gelang den Pharmafirmen Rußlands und Chinas ein Durchbruch auf dem Pharmasektor.
Alle diese Kämpfe sind nicht entschieden und befinden sich in einer heißen Phase.
Bisherige Artikel zu dem Thema:
Argentinien:
Das weltweite Finanzsystem – ARGENTINIENS SCHULDEN, WIEDER EINMAL (2022)
Argentiniens Schulden – SCHULDEN MÜSSEN GÜLTIG BLEIBEN (2021)
Pressespiegel: Rebelión, 5.2. – ARGENTINIEN IST IN DER SCHULDENFRAGE NICHT NACH SCHERZEN ZUMUTE (2020)
Wahlen in schwieriger Zeit – ARGENTINIEN; SEIN PRÄSIDENT UND SEINE SCHULDEN (2019)
Serie „Lateinamerika heute“. Teil 5: Argentinien – „DIE EWIGE WIEDERKEHR DER ARGENTINISCHEN KRISE (2018)
Macris Schwanengesang? – ARGENTINIEN BITTET DEN IWF UM KREDIT (2018)
Argentinien schifft wieder ab – RICHTUNGSWECHSEL IN ARGENTINIEN: MAURICIO MACRI, EIN HELD AUF ABRUF (2016)
Argentinien, der Weltmarkt und das Welt-Finanzsystem – FLEUNDSCHAFT! (2015)
Der Argentinien-Krimi, neueste Folge – DER COUNTDOWN LÄUFT (2014)
Argentinien am Scheideweg – DAS WELTWEITE KREDITSYSTEM WACKELT WIEDER EINMAL (2014)
Ein angesichts der Euro-Krise fast vergessener Schuldnerstaat – AASGEIER KREISEN ÜBER ARGENTINIEN (2013)
Die Weltfinanzbehörde läßt einen Musterschüler durchfallen – DER IWF, TEIL 6: ARGENTINIENS ZAHLUNGSUNFÄHIGKEIT (2011)
Ein großes Pyramidenspiel? – ARGENTINISCHE BANKIERS ZUR EURO-SCHULDENKRISE (2011)
Die Inflationsrate in Argentinien ist auf ca. 95 % angestiegen. "Damit erreichte die Teuerung 2022 das höchste Niveau seit 30 Jahren, wie die nationale Statistikbehörde Indec mitteilte. 2021 lag sie noch bei etwa 51 Prozent. Die Inflationsrate in Argentinien ist eine der höchsten der Welt. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Die Landeswährung Peso muss gegenüber dem US-Dollar immer wieder abgewertet werden." (DLF/ARD heute)
Zweimal im Jahr muss das Gehalt neu verhandelt werden. Pesoscheine als billiger Tapetenersatz, leere Restaurants und der gewohnte Familienalltag versinkt im Chaos. Die argentinische Fotografin Irina Werning zeigt die Inflation in ihrer Heimat. https://www.spiegel.de/ausland/inflation-in-argentinien-zweimal-im-jahr-muss-das-gehalt-neu-verhandelt-werden-a-098446f7-3799-49d5-ad65-5b27ee795193
Gemeinsame Latino-Währung als Abkoppelung vom Dollar?
https://www.nachdenkseiten.de/?p=92195
https://amerika21.de/2023/01/262039/celac-gipfel-buenos-aires
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IWF-Prognose für “Weltwirtschaft” 2023: https://www.telepolis.de/features/Fuer-den-IWF-kommt-das-Schlimmste-fuer-die-Weltwirtschaft-noch-7452331.html?seite=all
Stephan Kaufmann: “Weltweit haben Zentralbanken das Finanzsystem jahrelang mit Billionen gefüttert. Nun ziehen sie sich als Gläubiger aus den Schuldenmärkten zurück – das ist riskant.(…)”
https://www.fr.de/wirtschaft/auf-entzug-geldpolitik-anleihen-92006605.html
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Eine Reportage nicht aus Argentinien. Sondern:
“Klimawandel in der Karibik. »Sie haben unsere Grundlagen zerstört«
Der Umweltschützer Atherton Martin kritisiert den Wiederaufbau nach dem Hurrikan Maria auf der Karibikinsel Dominica und den einseitigen Blick aufs Wirtschaftswachstum”. (…)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1170072.klimawandel-in-der-karibik-sie-haben-unsere-grundlagen-zerstoert.html
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Und auch nicht aus Argentinien:
Wie ein Berater des Wirtschaftsministeriums für die Errichtung einer Kolonie Bolivien plädiert
Kolonialismus 2.0. Man ist auf dem Weg zur Arbeit und im Radio läuft der Informationskanal des Bayerischen Rundfunks. (…)
https://www.untergrund-blättle.ch/wirtschaft/bolivien-lithium-kolonialismus-2-0-7414.html
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Bereits 1992 resümierte der GSP den “Verfall unserer dritten Welt” als Folge der Herrichtung armer Nationen zum Anhängsel des Weltmarkts:
https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/verfall-dritten-welt#section4
…. und ob der zwischenzeitliche Aufstieg Chinas als “Handelspartner” für solche Staaten daran fundamental etwas verändert, oder ob das auch nur eine Variation darstellt, das ist noch nicht ganz heraus ….
“(…) Während der Westen versucht, Chinas Technologiegiganten Huawei die Tür vor der Nase zuzuschlagen und die US-Regierung sich sogar ein paar Milliarden US-Dollar kosten lässt, Huawei-Technik und Software aus der dortigen Telekommunikation zu entfernen, könnte der Konzern schon bald die arabische Welt nach neustem Standard vernetzen.
Xi Jinping nutzte den Besuch in Saudi-Arabien auch für einen erneuten Vorstoß in Sachen Internationalisierung der chinesischen Währung. Wie die in Hongkong erscheinende South China Morning Post schreibt, schlug er Saudi-Arabien und den anderen arabischen Golfstaaten vor, in drei bis fünf Jahren die Öl- und Gaslieferungen in die Volksrepublik abzuwickeln.
Damit wäre zwar der US-Dollar noch nicht vom Sockel gestürzt, aber Beijing würde sich von Eingriffen des Westens in seinen Handel, wie Russland sie gerade zu spüren bekommt, unabhängiger machen.”
https://www.telepolis.de/features/China-baut-Beziehungen-zu-den-arabischen-Staaten-aus-7398522.html
Hier eine Reportage des New Yorker aus Brasilia. Die Reporterin hat mit Leuten gesprochen, die beim Sturm auf die Regierungsgebäude dabei waren.
Irgendwer hat das Ganze organisiert, das ist sicher. Aber die meisten, mit denen geredet wurde, meinen, daß es einen harten Kern von Rowdys gegeben hätte, die sich der von allen Seiten herangekarrten Massen sozusagen als Deckung bedient hätten.
Man weiß allerdings nicht, was sich die sogenannten „friedlichen“ Protestmarschierer vorgestellt hätten? Das Zentrum Brasilias zu besetzen und zu warten, bis der gewählte Präsident aufgrund der massenhaften Präsenz von Gegnern zurücktritt?
Da wurden ein Haufen Dödl mit irgendwelchen falschen Versprechungen angeworben, die jetzt nicht wissen, wie ihnen geschieht.
In allen Medien ist auffällig, wie sehr der Sturm auf das brasilianische Parlament als das Werk von Wahnsinnigen, Vandalen, Primitivlingen und Bolsonaros Hand im Hintergrund dargestellt wird.
Gab es keinen Plan? Stand wirklich nur Bolsonaro dahinter? Wie ist es mit den Sicherheitskräften? Den brasilianischen Eliten? Den US-Diensten?
Immer nur wird der Sturm auf das Kapitol als Vorbild erwähnt.
Mir fallen aber eher die Ereignisse in Bolivien im November 2019 ein, die sind doch geographisch näher. Und zeitmäßig nicht so viel ferner als der Sturm auf das Kapitol etwas mehr als ein Jahr später.
Wenn dann noch in einem US-freundlichen Medium wie El País von einer „roten Flut“ geschrieben wird, die über Lateinamerika hinwegschwappt – so kann man dem entnehmen: Da fühlen sich offenbar viele Leute durch Lulas Wahlsieg gestört.
Umgekehrt hat sich Bolsonaro eben nicht als Statthalter von US-Interessen bewährt und wurde deshalb auch nicht mehr unterstützt.
Es waren Militärangehörige, oftmals bereits im Ruhestand befindliche und in Zivil, die die Türen des brasilianischen Parlaments geöffnet haben.
Später wurden dann Fenster und Möbel zerschlagen, aber die Türen wurden alle normal geöffnet, mit Schlüsseln.
Auf bröckelndem Boden
Berlin sucht in Brasilien die Kooperation mit Lula auszubauen, um seine Einflussverluste in dem Land wettzumachen. Think-Tank diagnostiziert wachsende Distanz zwischen EU und Lateinamerika.
BRASÍLIA/BERLIN (Eigener Bericht) – Mit Erleichterung reagiert Berlin auf die Niederschlagung der Umsturzbewegung in Brasilien. Bundeskanzler Olaf Scholz beteuert, die Bundesregierung stehe „eng an der Seite von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva“.
Laut Berichten plant Scholz in Kürze eine Reise in das südamerikanische Land. Hintergrund ist das Berliner Bestreben, den Wechsel im brasilianischen Präsidentenamt von Jair Messias Bolsonaro zu Lula zu nutzen, um den deutschen Einfluss in Brasilien wieder zu stärken, der seit Jahren deutlich rückläufig ist. Wie es in einer aktuellen Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, muss die Bundesregierung sich der Tatsache stellen, dass die Politik Berlins wie auch der EU in den vergangenen Jahren nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika zu ernsten Brüchen geführt hat.
So habe sich die EU mit der Weigerung, Covid-19-Impfstoffe zu liefern, und ihrer gleichzeitigen Agitation etwa gegen chinesische Impfstoffe nicht eben beliebt gemacht. Auch die Sanktionspolitik gegenüber Russland stoße auf dem Subkontinent auf Ablehnung. Die SWP warnt explizit: „Die gemeinsame Grundlage bröckelt.“
„Das postamerikanische Lateinamerika“
Hintergrund der Versuche, die beginnende Amtszeit des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu nutzen, um den deutschen bzw. europäischen Einfluss in Brasilien zu stärken, ist der deutliche Einflussverlust in den vergangenen Jahren. War etwa Deutschland im Jahr 2002 mit einem Anteil von 9,4 Prozent am brasilianischen Import noch drittgrößter Lieferant des Landes, so ist es inzwischen deutlich zurückgefallen und hält zur Zeit einen Anteil von nur noch 5,1 Prozent. Rasant zugenommen hat hingegen der Anteil Chinas an den brasilianischen Einfuhren, der zuletzt bei 22,8 Prozent lag, mit steigender Tendenz und klar vor den USA (17,7 Prozent). Als Abnehmer brasilianischer Exporte liegt China mit einem Anteil von 31,3 Prozent um Welten vor der Nummer zwei (Vereinigte Staaten, 11,2 Prozent). Auch politisch schwindet der Einfluss des Westens. So ist es Washington nicht gelungen, Brasilien zum Verzicht auf die 5G-Technologie des chinesischen Konzerns Huawei zu nötigen; lediglich in Regierungsnetzen dürfen Huawei-Bauteile nicht genutzt werden. Mit Blick darauf, dass der Einfluss Nordamerikas sowie Europas in Lateinamerika schwindet, hat im vergangenen Jahr die einflussreiche US-Fachzeitschrift Foreign Affairs das Schlagwort „post-amerikanisches Lateinamerika“ geprägt.
(…)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9130
Der Präsident von Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva, entließ unerwartet den Kommandanten der Armee (der Landabteilung der Streitkräfte), General Júlio Cesar de Arruda, inmitten einer Vertrauenskrise mit dem Militär nach dem Angriff auf die Hauptquartier der drei Mächte am 8. in Brasilia.
Der Offizier erhielt die Nachricht an diesem Samstag, berichtet die Zeitung Folha de S. Paulo. Der entlassene Militär traf sich an diesem Freitag mit Lula zusammen mit den Leitern der Marine und der Luftfahrt sowie dem Verteidigungsminister. Arruda trat sein Amt Ende Dezember an, als Ablöse des vorigen Amtsinhabers. Wie es Tradition ist, beförderte der Präsident die Veteranen aller Armeeabteilungen.
Als Ersatz für den Befehlshaber der Armee wurde General Tomás Miguel Ribeiro Paiva ausgewählt, der für die südöstliche Militärregion zuständig ist, zu der auch der Bundesstaat São Paulo gehört. Paiva ist in dieser Woche unter Brasilianern bekannt geworden durch eine Rede, die in Netzwerken kursierte, in der er vehement verteidigte, dass die Streitkräfte eine staatliche Institution seien, und Respekt vor den Wahlergebnissen forderte, "ob man will oder nicht". „Beim Militär zu sein bedeutet, professionell zu sein, die Hierarchie und Disziplin zu respektieren (…) Es bedeutet, eine Institution des Staates zu sein, unpolitisch und überparteilich. Egal, wer das Sagen hat, wir werden die Mission auf die gleiche Weise erfüllen“, verkündete er am Mittwoch bei einer offiziellen Zeremonie.
Lula, der die Regierung von radikalen Bolsonaristen befreien will, beklagte diese Woche in seinem ersten Interview als Präsident, die Geheimdienste hätten ihn nicht gewarnt, dass sich ein gewaltsamer Angriff auf die Institutionen anbahne.
Mehr als 1.500 Menschen wurden festgenommen – fast tausend wurden ins Gefängnis gesteckt – und der Oberste Gerichtshof untersucht, ob Bolsonaro die Invasion gefördert hat.
Die Landstreitkräfte, denen der bisherige Präsident Jair Bolsonaro jahrzehntelang angehörte, ist die größte Gruppe der Armee – zusätzlich gebildet durch die Marine und die Luftwaffe – und dort hat Bolsonaro in den letzten Jahren viele Anhänger gewonnen – mehr bei den unteren Chargen als bei den Kommandanten, so die Experten.
Die erwähnte Zeitung versichert, dass der Präsident die Entlassung beschlossen habe, nachdem General Arruda in der Sitzung am Freitag keine Bereitschaft gezeigt habe, die von Lula gewünschten Maßnahmen zu ergreifen, um das Misstrauen gegenüber dem Militär abzubauen.
Mit Bolsonaro erlangte das Militär eine seit dem Ende des Militärregimes (d.h., seit 1985) unbekannte Macht und Präsenz.
Der vorige Präsident, der sich weiterhin in den USA aufhält, ist Hauptmann der Armee, eine Institution, die er nach der Planung eines Bombenanschlags aus Protest gegen Niedriglöhne durch die Hintertür verließ. Danach wechselte er in die Politik und war fast drei Jahrzehnte lang Abgeordneter.
Während seiner Amtszeit als Präsident wurden die Streitkräfte stark politisiert. Er besetzte seine Regierung mit pensionierten Generälen, ernannte mitten in einer Pandemie einen aktiven General zum Gesundheitschef und verdoppelte die Zahl der uniformierten Beamten in zivilen Positionen in der Verwaltung auf über 6.000.
Die Entlassung des Militärchefs wurde bekannt, während Lula, der seit dem 1. Januar die Präsidentschaft innehat, die amazonische Stadt Boa Vista (Bundesstaat Roraima) besucht, um sich über die ernste Situation zu erkundigen, unter der das indigene Volk der Yanomami leidet, die an der Grenze mit Venezuela leben.
Diese indigene Gemeinschaft wird von illegalen Bergleuten belästigt, die auf ihrem angestammten Land nach Gold suchen, und leidet unter wirklich alarmierenden Raten von Unterernährung und Malaria, die das Gesundheitsministerium veranlasst haben, einen Gesundheitsnotstand auszurufen. (…)
In Lulas ersten beiden Amtszeiten (2003-2010) herrschte eine Art Waffenstillstand zwischen dem Präsidenten und den Streitkräften, da die Regierung wichtige Investitionsprojekte in militärisch interessanten Bereichen förderte.
Aber diese Beziehung verschlechterte sich mit dem Machtantritt seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff, die die Wahrheitskommission einrichtete, um die Verbrechen der Diktatur zu untersuchen.
https://elpais.com/internacional/2023-01-21/el-presidente-lula-destituye-al-jefe-del-ejercito-de-brasil-en-plena-crisis-de-confianza.html
Kein Wunder, sie gehörte selber zu den Verfolgten der Diktatur.
Brasilien und Argentinien wollen gemeinsame Währung einführen
Schon einmal kam die Idee auf, jetzt wird es laut einem Medienbericht konkret: Brasilien und Argentinien arbeiten an einer gemeinsamen Währung. Ziel der beiden Länder ist es, vom Dollar loszukommen und die eigene Wirtschaft zu stärken. (…)
https://www.nzz.ch/finanzen/brasilien-und-argentinien-beginnen-mit-vorbereitungen-fuer-gemeinsame-waehrung-ld.1722489
Dazu ein KOmmentar auch in der NZZ:
Eine gemeinsame Währung für Südamerika ist eine Schnapsidee
Es ist, als würde man den Karren vor den Esel spannen: Wie soll eine gemeinsame Währung funktionieren in einer Region, in der die Länder nicht einmal in der Lage sind, eine Freihandelszone zu bilden?
https://www.nzz.ch/meinung/brasilien-und-argentinien-gemeinsame-waehrung-als-schnapsidee-ld.1722632
Daran ist natürlich auch etwas, weil der Mercosur kommt nicht so richtig vom Fleck …
In aller Stille: EU bereitet Kursänderung in ihren Beziehungen zu Venezuela vor
Die Europäische Union (EU) hat große Veränderungen in der politischen Lage in Venezuela zur Kenntnis genommen und berät, wie sie sich darauf einstellen soll.
Zu dem Wandel in den letzten Monaten gehören die Absetzung des "Interimspräsidenten" Juan Guaidó und die Wiederherstellung der Beziehungen zu Kolumbien und Brasilien.
Diese und weitere Faktoren bewegen die EU, eine Änderung ihrer Position gegenüber Caracas einzuleiten. Auf dem Treffen der EU-Außenminister am 23. Januar in Brüssel, das vorrangig den Krieg in der Ukraine auf der Tagesordnung hatte, soll das Thema informell einigen Raum eingenommen haben.
Darüber berichtete die digitale Tageszeitung Nueva Tribuna mit Sitz in Madrid. Diese berief sich auf einen "hochrangigen EU-Beamten", der im Vorfeld des Treffens Ausführungen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell über seine Absicht angekündigt hatte, "die europäische Politik an die neue Realität in dem südamerikanischen Land anzupassen".
(…)
https://amerika21.de/2023/01/262380/anzeichen-kursaenderung-eu-venezuela
Brasiliens Staatschef Lula für Abkehr vom Dollar
BRICS und MERCOSUR
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat kürzlich eine bemerkenswerte Initiative gestartet, die die Schaffung von gemeinsamen Währungen für die Vereinigungen BRICS und MERCOSUR vorsieht.
Er schlug in diesem Zusammenhang auch vor, die Abkehr von dem US-Dollar bei der Abwicklung von internationalen Handelsgeschäften zu beschleunigen.
Das Zeitalter der westlich dominierten Weltordnung, die sich in hohem Masse auf die Vorrangstellung des US-Dollars im Weltfinanzsystem stützt, steht womöglich vor grossen Umbrüchen. Denn der Dollar wird als globale Leitwährung in vielen Teilen der Welt inzwischen regelrecht in Frage gestellt. Immer mehr Länder wollen ihre Transaktionen bei dem internationalen Handel zukünftig ohne die US-amerikanische Währung abwickeln. So planen etwa die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – , die zusammen knapp 40 Prozent der Weltbevölkerung und 25 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts ausmachen, eine alternative Währung zu etablieren und den Dollar damit als Leitwährung abzulösen.
Dass der Dollar auf der Weltbühne langsam aber sicher an Boden verliert, zeigt neuerdings auch die Entwicklung in Südamerika. Dort plädieren die beiden grössten Staaten des Kontinents – Brasilien und Argentinien – lautstark dafür, die Abkehr der Weltwirtschaft von Dollar und Euro zu beschleunigen. Bei dem am Montag abgehaltenen Treffen zwischen dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und seinem argentinischen Amtskollegen Alberto Fernández wurde offiziell die Möglichkeit der Schaffung einer gemeinsamen Währung für den Handel zwischen den beiden Nachbarländern erörtert.
Brasiliens Staatschef "Lula" hat der Agentur TASS zufolge eine Initiative zur Schaffung einer eigenen BRICS-Währung vorgebracht und ausserdem vorgeschlagen, die Schaffung einer gemeinsamen Währung für die südamerikanische Ländervereinigung MERCOSUR (Mercado Común del Sur, Gemeinsamer Südamerikanischer Markt) in Angriff zu nehmen. Denn neben dem BRICS-Mitglied Russland gibt es auch diverse MERCOSUR-Staaten, die den Dollar aufgrund von westlichen Sanktionen nicht mehr verwenden können.
"Wenn es nach mir ginge, dann würden wir mit anderen Ländern immer in nationalen Währungen handeln, um nicht vom Dollar abhängig zu sein. Warum nicht den Versuch unternehmen, eine gemeinsame Währung für die MERCOSUR-Länder oder für die BRICS-Länder zu schaffen?", sagte Lula da Silva. Zudem würde der Übergang zu einer neuen einheitlichen Währung den regionalen Volkswirtschaften einen qualitativen Sprung ermöglichen, heisst es.
Dass Brasilien seine Währung vom Dollar entkoppeln und sich damit unabhängiger von Wechselkursschwankungen machen will, verdeutlichen insbesondere die Gespräche mit Argentinien, das im vergangenen Juni einen Antrag für den Beitritt zur BRICS-Gruppe gestellt hatte. Wie Medien bestätigten, würden Argentinien und Brasilien die Möglichkeit der Schaffung einer gemeinsamen Währung prüfen, die den Namen "Sur" ("Süden") tragen soll. "Wir haben beschlossen, die Gespräche über eine gemeinsame südamerikanische Währung voranzutreiben", erklärten Lula da Silva und Fernández in einem gemeinsamen Artikel für das Webportal der argentinischen Wochenzeitung "Perfil". Laut der US-Zeitung "Financial Times" soll die zunächst als bilaterales Projekt gestartete Initiative später auf andere lateinamerikanische Länder ausgeweitet werden.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters diesbezüglich anführt, streben Argentinien und Brasilien schon seit langer Zeit eine stärkere wirtschaftliche Integration an und wollen darum auch eine Gemeinschaftswährung für bestimmte Transaktionen auf den Weg bringen. Dennoch sei kein baldiges Ende des argentinischen Pesos und des brasilianischen Reals in Sicht. Von einer gemeinsamen Werteinheit wäre lediglich der bilaterale Handel zwischen den beiden Staaten betroffen.
"Diese Währung würde weder in Brasilien noch in Argentinien zirkulieren. Sie soll speziell ein gemeinsamer Nenner für den Handelsaustausch sein", sagte Fabio Terra, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Bundesuniversität in São Paulo, gegenüber Reuters. Das ist ein grosser Unterschied zum Euro, der für alle Arten von Transaktionen innerhalb der EU verwendet wird.
Laut Günther Maihold, dem Lateinamerika-Experten bei der deutschen "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP), scheiterten die Pläne für eine brasilianisch-argentinische Währungsunion bisher daran, dass das wirtschaftliche Krisenland Argentinien nicht eben als verlässlichster Partner schien. Hohe Inflationsraten, Verschuldung und Zahlungsunfähigkeit – in Brasilien fürchtet man, dass diese Risiken überwälzt werden könnten.
Argentinien seinerseits erhoffe sich von einer Gemeinschaftswährung eine "externe Stabilisierung", so Maihold. "Durch eine Assoziierung mit dem deutlich grösseren Partner Brasilien würde man sehr viel gewinnen. Gleichzeitig hätte man Spielraum gegenüber internationalen Organisationen, die angesichts der Verschuldung klare Massnahmen von Argentinien erwarten."
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/lateinamerika/brics-und-mercosur-brasiliens-staatschef-lula-fuer-abkehr-vom-dollar-7489.html
Dergleichen Pläne gab es immer wieder, aber vielleicht wird diesmal etwas draus, wenn Venezuela, Brasilien und Argentinien an einem Strang ziehen und China das ganze unterstützt.
Lula verweigert Scholz Panzer-Munition für die Ukraine
Brasília (dpa) – Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die Bitte von Bundeskanzler Olaf Scholz um Panzer-Munition für die Ukraine abgelehnt und sich stattdessen für eine Friedensinitiative stark gemacht.
"Brasilien ist ein Land des Friedens. Und deswegen will Brasilien keinerlei Beteiligung an diesem Krieg – auch nicht indirekt", sagte Lula beim Besuch des Kanzlers in Brasília zum deutschen Wunsch nach Munition für die von der Ukraine eingesetzten Gepard-Flugabwehrpanzer. Stattdessen brachte er am Montagabend bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Brasilien und China als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine ins Spiel. "Ich schlage vor, einen Club von Ländern zu gründen, die den Frieden auf diesem Planeten schaffen wollen."
Scholz betonte, dass es keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben könne und das Land als Folge des Krieges kein Territorium verlieren dürfe. Zum Abschluss seiner viertägigen Südamerika-Reise verteidigte er am Dienstag noch einmal seine Strategie, die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen. "Dieser Angriffskrieg, dieser imperialistische Krieg darf keinen Erfolg haben", sagte er. Scholz hatte vor Brasilien auch Chile und Argentinien besucht. Alle drei Länder wollen keine eigenen Waffen in die Ukraine liefern.
Ukraine lehnt Verhandlungen in derzeitiger Lage ab
Die Ukraine lehnt Verhandlungen ab, solange die russischen Truppen sich nicht vollständig von ukrainischem Gebiet zurückgezogen haben – inklusive der Krim. Die russische Führung hatte nach der Ankündigung Deutschlands und anderer westlicher Staaten, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, zuletzt ebenfalls Abstand von der Idee von Friedensverhandlungen genommen.
Um die brasilianische Munition für die Gepard-Panzer bemüht die Bundesregierung sich bereits seit April 2022. Damals hoffte man auf bis zu 300.000 Schuss. Deutschland hat 30 Gepard-Flugabwehrpanzer in die Ukraine geliefert und sieben weitere zugesagt. Die Munition dafür ist allerdings knapp, eine neue Fabrik des Rüstungsunternehmens Rheinmetall für die Herstellung von Nachschub entsteht zwar derzeit in Niedersachsen. Die Fertigung soll aber erst im Juni beginnen. Aus einer Übergangsversorgung aus Brasilien wird nun nichts.
Lula macht die Ukraine mitverantwortlich für den Krieg
Lula machte klar, dass er anders als die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten auf Verhandlungen statt Waffenlieferungen setzt. Über seine Friedensinitiative habe er schon mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesprochen und wolle sie noch US-Präsident Joe Biden und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping vorstellen. Der Linkspolitiker machte erneut die Ukraine mitverantwortlich für den russischen Angriffskrieg. Zwar habe Russland "den klassischen Fehler begangen, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen", sagte er. "Aber ich denke immer noch: "Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht."
(…)
Lula dringt auf schnellen Abschluss des Freihandelsabkommens
Die Meinungsverschiedenheiten in Sachen Ukraine-Krieg trübten den Neuanfang in den deutsch-brasilianischen Beziehungen, von dem man sich auch wirtschaftliche Impulse erhofft. Dazu soll der Abschluss des auf Eis liegenden Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur und der Europäischen Union beitragen. Lula forderte eine schnelle Finalisierung, machte aber auch deutlich, dass er ein Entgegenkommen der Europäer erwarte. “Wir werden versuchen, den Europäern zu zeigen, wie flexibel wir sind. Und wir wollen, dass die Europäer uns zeigen, wie flexibel sie sind.”
Die EU verhandelt mit dem Mercosur – zu dem Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay gehören – schon seit 1999 über das Abkommen, mit dem eine der größten Freihandelszonen der Welt mit mehr als 700 Millionen Menschen entstehen würde.
https://www.sueddeutsche.de/politik/international-lula-verweigert-scholz-panzer-munition-fuer-die-ukraine-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230131-99-417898
Nicht übel, das klare Auftreten.
Es ist übrigens lustig, wie die Süddeutsche sich um den Umstand herumschwindelt, daß Scholz in jeder Hinsicht eine Abfuhr gekriegt hat.
Kampf um Leitzins: Konflikt zwischen Zentralbank und Regierung in Brasilien
Hohes Zinsniveau steht Förderung des Binnenkonsums und Wirtschaftswachstum entgegen. Lula fordert Zentralbankchef auf, mit ihm in Armenviertel zu gehen
Die Zins- und Währungspolitik steht in Brasilien im Mittelpunkt einer anhaltenden Kontroverse. Während Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Zinsen senken und den Konsum erleichtern will, hat die Zentralbank Währungsstabilität und Inflationsbekämpfung im Blick.
Lohnerhöhungen und Konsummöglichkeiten waren zwei zentrale Wahlversprechen, mit denen Lula Teile der Arbeiter- und Mittelschichten gewann und die Wirtschaft ankurbeln wollte. Das hohe Zinsniveau steht diesen Zielen konträr gegenüber, nicht nur nach Meinung des Präsidenten.
Seit einigen Wochen pocht Lula auf eine Senkung des Leitzinses Selic, der seit Oktober 2022 bei 13,75 Prozent liegt. Der Selic wird von der Zentralbank (Banco Central, BCB) alle 45 Tage festgelegt und definiert den Zinssatz, mit dem Banken bei der BCB Geld aufnehmen oder anlegen, womit er alle weiteren – und automatisch höheren – Kredit- und Verbraucherzinsen bestimmt.
Der Ärger Lulas wuchs, nachdem das in der Zentralbank verantwortliche "währungspolitische Komitee" Procom entschied, den Leitzins nicht anzutasten. Begründet wurde das mit dem Inflationsdruck, der auch durch die Regierungsausgaben gestiegen sei, und einer "fiskalischen Unsicherheit".
Lula sprach von einer "Schande". Brasilien müsse "wieder wachsen", für den hohen Leitzins gebe es keine Rechtfertigung. Denn nach Meinung der Exekutive und vieler Ökonomen können nur niedrigere Zinsen einen breiten Binnenkonsum, weitere Produktivkräfte und das Wirtschaftswachstum fördern und zugleich eine langsame Umverteilung initiieren. Die BCB dagegen begründet die hohen Zinsen damit, die Inflation – 2022 knapp sechs Prozent – in Schach zu halten.
Linke Ökonomen beklagen, dass die Zentralbank den Interessen der Großbanken folge, die an den hohen Zinsen und der Anlagenspekulation so viel verdienen wie nie zuvor, und sehen die Regierung Lula von ihr in "Knebelhaft" genommen. Die von der BCB auferlegte "Austerität" sei "nicht kompatibel mit dem angestrebten sozialen Wiederaufbau", meint etwa Daniel Negreiros Conceição von der Bundesuniversität Rio de Janeiro, der "Währungspolitik im Dienste der Menschen“"fordert.
Ähnlich argumentiert auch Márcio Pochmann von der Unicamp, der 2007-2012 Präsident des regierungsnahen Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung war. Er erinnerte zudem daran, dass Brasilien das Land mit dem weltweit höchsten Realzins (Zinssatz abzüglich Inflationsrate) sei.
Lula und die Arbeiterpartei PT nehmen die Kontroverse auch zum Anlass, um die politische Autonomie der BCB in Frage zu stellen, die Anfang 2021 vom Kongress auf Initiative der Regierung von Jair Bolsonaro beschlossen wurde.
Staats- und BCB-Präsident haben seitdem unterschiedliche, um zwei Jahre überlappende Mandate. Der BCB-Präsident wird vom Senat gewählt, statt wie zuvor vom Staatspräsidenten ernannt. Diese Trennung wurde von der damals oppositionellen PT abgelehnt, die darin eine Unterwerfung der BCB unter das Finanzsystem sah – und den Verlust an politischer Einflussnahme. Genau das loben die Befürworter:innen einer "Autonomie", die auch das Vertrauen der Investor:innen in Wirtschaft und Währung Brasiliens steigere.
Eine zentrale Rolle in der Debatte spielt BCB-Präsident Roberto Campos Neto. Der an Elite-Universitäten in den USA ausgebildete Ökonom wurde 2019 auf Vorschlag Bolsonaros mit nur sechs Gegenstimmen im Senat gewählt. Er gewann vor allem als Wegbereiter des 2020 eingeführten digitalen Zahlungssystems PIX Ansehen. Rund 130 Millionen Brasilianer:innen, dabei viele aus dem informellen Sektor, nutzen PIX, das weitgehend zins- und gebührenlos unter der Obhut der BCB operiert.
Campos Neto, der stets die unterschiedlichen Logiken von Wirtschaft und Politik betont, steht derzeit im Fokus, nachdem die Zeitung Folha de S. Paulo seine Teilnahme an Chatgruppen der Vorgängerregierung aufdeckte. Dazu wurde er kürzlich auch im öffentlichen TV Cultura befragt. Campos Neto versicherte, die Teilnahme habe eine "rein informative Funktion" für die Ex-Minister gehabt. Sein Handeln habe dies nicht beeinflusst, zumal es 2022 noch vor den Wahlen zur Zinserhöhung auf den jetzigen Stand kam.
Der Ökonom, der mindestens die Hälfte von Lulas Mandat im Amt sein wird, erklärt sich "offen für eine Zusammenarbeit mit der Regierung".
(…)
(amerika21, 22.2.)
Eine bezeichnende Kontroverse.
1. zeigt sie deutlich, daß alles Wachstum heute kreditfinanziert ist. Will eine Wirtschaft wachsen, so muß Kredit fließen. D.h., das Finanzkapital hat es in der Hand, ob irgendwo die Schornsteine rauchen oder nicht.
2. geraten politische Gewalt und Finanzkapital – so sehr sie einerseits auf einander angewiesen sind – auch in Gegensatz zueinander, wenn das Geschäftsinteresse der einen von der Politik nicht (genügend) bedient wird und wenn die schönen Pläne einer Regierung an den Berechnungen ihrer Geldesel zuschanden werden.
3. Ist dieses Spannungsverhältnis auch ein probates Mittel, inferiore Mächte auf die Vorgaben der ökonomisch potenteren zu verpflichten, indem sie über internationale Institutionen den dortigen Geldhahn auf- oder zudrehen können.
Vor ca. einem Jahrzehnt hatte Ungarn ein weitaus dringlicheres, aber ähnlich gelagertes Problem: Der nationale Leitzins sollte hinunter, damit die Fremdwährungskredite in Forintkredite konvertiert und daher das Platzen der Immobilienblase irgendwie bewältigt werden konnte.
Der NB-Chef wiederum fürchtete um die Stabilität des Forint – mit Rückendeckung aus Brüssel – und lehnte Zinssenkungen ab.
Das Problem wurde durch den Abgang des Nationalbankdirektors und die Verpflichtung eines neuen gelöst.
Es wird sich zeigen, wie die Sache in Brasilien gelöst wird. Bedeutungsloser als Ungarn ist dieser Staat jedenfalls nicht.
Münchner Konferenz: Kolumbien und Brasilien definieren globale Sicherheit anders
Francia Márquez: "Alte Richtlinien zur Militarisierung des Lebens" passen nicht zu den Bedürfnissen der Welt. Brasilien für friedliche Lösung im Ukraine-Krieg
Die kolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez hat sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) vom allgemeinen Tenor einer andauernden Militarisierung des Ukraine-Kriegs distanziert. Sie forderte einen entmilitarisierten Ansatz in Sicherheitsfragen. Der Außenminister von Brasilien, Mauro Vieira, bekräftige die Bereitschaft seines Landes, eine Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine mit zu erarbeiten. (…)
Die Beiträge von Márquez und Leyva auf der Münchner Sicherheitskonferenz sind besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass Kolumbien das einzige Land in Südamerika ist, das den Status eines "globalen Partners der Nato" hat.
Sie blieben in den deutschsprachigen Medien indes ebenso wenig erwähnt wie die Beiträge des brasilianischen Außenministers.
(amerika21, 21.2.)
Es macht eben keinen guten Eindruck, wenn sich andere Kontinente nicht in den Würgegriff der vor allem in den USA und Europa beheimateten „internationalen Staatengemeinschaft“ begeben.
„Die Präsidenten Volodímir Zelenski aus der Ukraine und Luiz Inácio Lula da Silva aus Brasilien sprachen an diesem Donnerstag zum ersten Mal im Rahmen der Vermittlungsinitiative des brasilianischen Präsidenten, um zu versuchen, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln.“
El País verwendet hier eine seltsame Ausdrucksweise, „den Krieg zu befrieden“, – womit offenbar ausgedrückt sein soll, daß es hier auch keinen großen Durchbruch erwartet, aber auch die Initiative nicht gleich so abtun möchte, wie diejenige Chinas.
„Während ihres Treffens per Videokonferenz haben sie laut einer Mitteilung der Präsidentschaft des südamerikanischen Landes »Krieg und die Suche nach Frieden« angesprochen. Das Ferntreffen findet zwei Monate nach der Machtübernahme Lulas und am Tag nach dem Treffen seines Außenministers Mauro Vieira mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow im Rahmen der in Neu-Delhi gefeierten G-20 statt. Lawrow hat bestätigt, dass er Brasilia im April besuchen wird.
Der Brasilianer bekräftigte »seine Bereitschaft, sich an allen Bemühungen zu beteiligen, um eine Gruppe von Ländern zusammenzubringen, die in der Lage ist, mit beiden Seiten einen Dialog zu führen, um den Frieden zu fördern«.“
Das ist schon etwas ambitioniert und auch bedrohlich für die westlich-ukrainische Kriegskoalition. Immerhin hat sich ein großer Teil der Welt den Sanktionen und damit ihrer Kriegspartei nicht angeschlossen.
„Lula hoffte, die Idee bei der nächsten offiziellen Reise, die er Ende des Monats nach Peking unternehmen will, noch ein wenig festigen zu können.“
Auch das noch. Zwei der größten Staaten der Welt und Mitglieder der BRICS stecken also hier die Köpfe zusammen.
Das war anscheinend der Grund für Selenskij, sich überhaupt zu einem Gespräch mit Lula herabzulassen.
„Kurz bevor sich die russische Invasion am 24. Feber jährte, verweigerte Lula Deutschland die Erlaubnis, deutsche Artilleriemunition nach Kiew zu liefern, die Brasilien in seinem Arsenal hat.“
Sehr eigenartig formuliert. Brasilien hat seinerzeit die Geschosse von Deutschland gekauft und rückt sie jetzt nicht heraus.
Hier klingt das so, als sei das weiterhin deutsches Eigentum und Brasilien habe sie nur bei sich gelagert.
„Und er setzt sich auch dafür ein, eine Vermittlungsbemühung von Ländern zu fördern, die wie Brasilien nicht direkt in den Streit verwickelt sind.“
Lula will Brasilien also, ähnlich wie China, in die Position eines Schiedsrichters bringen, der über den Parteien steht und sie so zur Ordnung ruft.
Das ist einerseits eine klare Herausforderung an USA, NATO und EU. Es bringt sie aber auch noch dazu in Verlegenheit, weil sie behaupten ja alle, die Ukraine nur zu unterstützen, aber nicht im Krieg mit Rußland zu sein.
„Parallel dazu wünscht sich der ukrainische Präsident die Hilfe des Brasilianers, um die Unterstützung der lateinamerikanischen Regierungen im Krieg mit Russland zu gewinnen.“
Auch wieder eine absurde Formulierung. Was heißt „parallel dazu“? Es müßte heißen „Im Gegensatz dazu“ – Selenskij will ja Brasilien dazu bringen, sich zur Kriegspartei zu machen und auch andere in den Krieg hineinzuziehen.
Sowohl Selenskij als auch Scholz haben eigentlich nichts in der Hand, um Brasilien zu einem solchen schädlichen Schritt zu bewegen, versuchen es aber dennoch.
„Brasilien hat die Invasion verurteilt, zieht es aber vor, im Konflikt neutral zu bleiben, wie seine Nachbarn und wie der frühere Präsident Jair Bolsonaro, der Moskau Tage vor Beginn des Krieges durch Wladimir Putin besuchte.
Der Präsident der Ukraine hat via Twitter erklärt, dass er in seinem Gespräch mit dem lateinamerikanischen Präsidenten »die Bedeutung der Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität betont« und »diplomatische Bemühungen zur Wiederherstellung des Friedens in der Ukraine und der Welt« angesprochen habe.“
Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Interessen und Werte bzw. Prinzipien im zwischenstaatlichen bzw. imperialistischen Diskurs vorkommen: Selenskij erinnert Lula an Prinzipien, zu denen er sich ja auch bekennt und will ihn damit dazu bewegen, gegen die Interessen Brasiliens vorzugehen.
Lula, nicht faul, macht die gleiche Heuchelei mit, er bekennt sich erneut zu den Prinzipien, leitet aber daraus keine Schritte ab, wie sie Selenskij fordert:
„Lula erinnerte Selenskij daran, dass er letzte Woche für die UN-Resolution zum Krieg gestimmt habe, die zum Frieden aufrufe und den Abzug der russischen Truppen forderte, weil »Brasilien die territoriale Integrität der Ukraine verteidigt«.
Obwohl es die russische Invasion verurteilt, hat es sich den westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen, eine Mehrheitsposition im sogenannten globalen Süden.“
Ärgerlicherweise, für Selenskij und seine Freunde.
„Während des Gesprächs zwischen den Präsidenten lud Selenskij Lula zu einem Besuch in die Ukraine ein, nachdem er daran erinnert hatte, dass er sowohl in seiner ersten als auch in seiner zweiten Amtszeit als Präsident dort war.“
Auf so einen Anerkennungsbesuch wäre Selenskij natürlich scharf, mit medialer Ausschlachtung. Lula besuchte damals nämlich seine Vorgänger – darunter Janukowitsch – und nicht ihn.
„Als er noch Kandidat war, sorgte der Brasilianer in einem Interview mit Time für erhebliche Kontroversen, als er sagte, Selenskij sei mitverantwortlich für den Ausbruch des Krieges mit Putin. In den folgenden Monaten mäßigte er seine Rede. Jetzt beharrt der Präsident darauf, dass Russland mit dem Einmarsch in das Nachbarland einen Fehler gemacht habe, aber kürzlich hat er sich wieder überzeugt gezeigt, dass »zwei nicht kämpfen, wenn einer nicht will«“.
Ja, als potentieller Schiedsrichter und Friedensstifter will man es sich natürlich mit keiner Seite verscherzen …
„Lulas Brasilien hat dieser Tage auch die Amerikaner irritiert, indem es das Andocken zweier iranischer Kriegsschiffe in Rio de Janeiro trotz Washingtons Einwänden genehmigte.
Die israelische Regierung hat die Präsenz der Schiffe in Brasilien als »gefährlich und bedauerlich« kritisiert.“
(El País, 3.3.)
Hier noch ein Link zu einem Artikel, in dem ausgeführt wird, wie Lula Scholz wegen der Munition abblitzen ließ.
Russland stärkt Beziehungen zu Verbündeten in Lateinamerika
Außenminister Lawrow in Kuba, Nicaragua, Venezuela und Brasilien. Wirtschaftskooperation und diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts standen im Zentrum der Gespräche
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat in der vergangenen Woche vier lateinamerikanische Staaten besucht. In Brasilien, Venezuela, Nicaragua und Kuba traf er seine Amtskollegen und die jeweiligen Staatsoberhäupter. Ziel der diplomatischen Rundreise war die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den vier Ländern, die als Hauptverbündete Russlands in der Region gelten.
Bei seinem Besuch in Brasilien kam Lawrow mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Außenminister Mauro Vieira zusammen. Im Namen von Russlands Präsident Wladimir Putin lud er Lula zum Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg ein, das vom 14. bis 17. Juni in der russischen Metropole stattfindet.
Laut dem brasilianischen Außenministerium betrafen die inhaltlichen Schwerpunkte die Perspektiven der bilateralen Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und humanitäres Engagement. Lawrow sprach gegenüber der Presse von einer "gemeinsamen Vision" der beiden Länder. Dies bezieht sich wohl auch auf die wiederholten Vorschläge Lulas für eine diplomatische Lösung des Konflikts in der Ukraine, wo sich Brasilien neben China als Vermittler ins Spiel gebracht hat.
In Venezuela sprach Lawrow mit Präsident Nicolás Maduro sowie mit Vizepräsidentin Delcy Rodríguez und Außenminister Yván Gil. Nach dem Treffen mit Maduro im Präsidentenpalast Miraflores bezeichnete der russische Außenminister Venezuela als "einen der verlässlichsten Partner der Welt".
Er versprach zudem, Russlands werde "alles Mögliche unternehmen, damit die wirtschaftliche Entwicklung Venezuelas nicht von den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten abhängt". Die Außenminister Lawrow und Gil betonten die Ablehnung einseitiger Sanktionsmaßnahmen in der internationalen Politik und kündigten an, dass Russland und Venezuela sich in internationalen Gremien enger abstimmen wollen, um "die Prinzipien der Selbstbestimmung, Souveränität und den Weltfrieden zu verteidigen". Konkret vereinbarten die beiden Staaten eine engere Zusammenarbeit im Energie- und Finanzbereich sowie eine Ausweitung der Handelsbeziehungen und die Einrichtung zusätzlicher Flugverbindungen zwischen den beiden Ländern.
Auch in Nicaragua betonte Lawrow Russlands Unterstützung für eine eigenständige Politik des zentralamerikanischen Landes. "Wir hoffen, dass sich Nicaraguas Entwicklung auf Entscheide des Volkes stützen wird und nicht auf Einmischungen von außen", sagte Lawrow mit Blick auf das Sanktionsregime der USA und der Europäischen Union gegen die Regierung von Daniel Ortega.
Neben Gesprächen über laufende Zusammenarbeit bei den Themen Gesundheit, Nahrungsmittelversorgung, Lieferung von Düngemitteln und dem Austausch von Studierenden unterzeichnete der russische Chefdiplomat in Managua auch ein Abkommen über die Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Atomkraft.
(Amerika21, 25.4.)
Kapitalflucht in Lateinamerika hat weiter zugenommen
New York. Einzelpersonen und Unternehmen in den fünf größten Volkswirtschaften Lateinamerikas ziehen offenbar enorme Geldbeträge aus ihren Ländern ab. Nach Angaben von Bloomberg belief sich die Kapitalflucht aus Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien und Mexiko im Jahr 2022 auf rund 137 Milliarden US-Dollar. Das ist ein Anstieg um 41 Prozent gegenüber 2021 und der höchste Wert seit 2010.
Offiziell verfolgt niemand den Weg des Geldes. Laut Bloomberg gehören indes die Dominikanische Republik, Panama, Spanien und die USA zu den beliebtesten Zielen der Reichen. So berichtet diese Nachrichtenagentur für Wirtschaft und Finanzen, dass mexikanische Investoren seit 2020 mehr als 774 Millionen Dollar für Immobilien und Bauvorhaben in Spanien ausgegeben hätten.
Kolumbianer sollen allein in den letzten Monaten bis zu 500 Immobilien in Panama gekauft haben, schätzt Samuel Urrutia. Er leitet die regionale Abteilung des Immobilienunternehmens Colliers International Group Inc.. Die "Superreichen" kaufen demnach Immobilien in New York oder Madrid, die "reichen Reichen" entscheiden sich für Miami, und die "einfachen Reichen" für Panama oder die Dominikanische Republik, sagt er.
Das US-Medienhaus argumentiert, dass dieses Phänomen auf den politischen Paradigmenwechsel, den vermeintlichen "Linksruck" in der Region, zurückzuführen ist: Die Wohlhabenden wollten ihre Investitionen gegen mögliche wirtschaftliche Abschwünge absichern.
Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für Lateinamerika in diesem Jahr ein Wachstum von 1,7 Prozent, das ist weniger als in anderen Schwellenländern.
Der ehemalige kolumbianische Finanzminister, Mauricio Cardenas, erklärte, dass die Kapitalflucht eine wichtige Rolle spiele und eine soziale Reformpolitik erschweren könne: "Die Reichen wandern ab, die Wirtschaft leidet, die Inflation steigt und die Unruhen nehmen zu. Das ist ein Teufelskreis."
(Amerika21, 2.6.)
„Russlands Verbündete sorgen für Eklat – Scholz wertet Gipfeltreffen als Erfolg
Lateinamerikanische Verbündete von Kremlchef Wladimir Putin blockieren bei einem großen interkontinentalen Gipfel in Brüssel eine klare Verurteilung von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach dennoch von einem Erfolg und einem »großen Fortschritt«.“
Man fragt sich, „Eklat“ für wen? Der Umstand, daß die CELAC-Staaten nicht nach der Pfeife der EU tanzen, ist also für EU-Politiker und die „welt“ ein einziger Eklat.
„Das erste große Gipfeltreffen der EU mit lateinamerikanischen und karibischen Staaten seit acht Jahren ist von Streit über eine Erklärung zum Ukraine-Krieg überschattet worden. Mit Russland verbündete Länder wie Nicaragua, Venezuela und Kuba setzten bei der zweitägigen Zusammenkunft in Brüssel durch, dass der Text keine explizite Verurteilung des Krieges enthält und Russland nicht einmal erwähnt wird.“
Hier wird der Eindruck erweckt, diese 3 Staaten hätten sich da etwas herausgenommen, der Rest der Staatenwelt wäre eigentlich dafür gewesen. Dabei war diese Schlußerklärung ein reines EU-Anliegen.
„Nicaragua wollte am Ende nicht einmal einen Minimalkompromiss mittragen. Grund war nach Angaben von Diplomaten, dass dort von einem »Krieg gegen die Ukraine« und der »Notwendigkeit eines gerechten und nachhaltigen Friedens« die Rede ist.“
So ein Anliegen ist natürlich völlig untragbar.
„Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach trotzdem von einem Erfolg und einem »großen Fortschritt«, weil anerkannt worden sei, dass es sich um einen Angriffskrieg handele.“
Das ist natürlich auch eine gewisse Interpretationsleistung des etwas düpierten deutschen Kanzlers, der nach Hause Zeichen von Führungsstärke schicken muß.
Diese deutsche bzw. EU-Sprachregelung findet sich in der Abschlußerklärung nicht, es ist nur von einem „Krieg gegen die Ukraine“ die Rede.
Man kann es ja auch so auffassen, daß dieser Krieg zu Lasten der Ukraine auch von denen geführt wird, die sie militärisch unterstützen.
„Nur ein Land habe beim Gipfel eine andere Position eingenommen. »Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass insgesamt eine solche Verständigung hier gelungen ist.«“
Völlig folgenlos, übrigens.
„Ziel der EU war es, mit der Gipfelerklärung eine klare Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden. Diesem soll deutlich gemacht werden, dass er in der Weltgemeinschaft zunehmend isoliert ist und bei einer Fortsetzung des Angriffskriegs weitere wirtschaftliche Nachteile fürchten muss.
Die Hoffnung war, dass mächtige lateinamerikanische Länder wie Brasilien bei dem Spitzentreffen auf kleinere Staaten einwirken, um diese zu einer Verurteilung des russischen Angriffskrieges zu bewegen.“
Man fragt sich, worauf sich diese Hoffnung gründete? Brasilien und andere „mächtige“ Länder (gemeint sind vermutlich vor allem Argentinien und Mexiko) unterhalten ja beste wirtschaftliche Beziehungen mit Rußland.
„Lediglich »tiefe Besorgnis« zum Ausdruck gebracht
Am Ende brachten die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die 33 Länder der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) lediglich ihre »tiefe Besorgnis über den anhaltenden Krieg gegen die Ukraine« zum Ausdruck, der immenses menschliches Leid verursache und bestehende Verwundbarkeiten der Weltwirtschaft verstärke. Russland als Aggressor ist in dem Dokument aber nicht genannt.
Dass ein Großteil der Gipfelteilnehmer Russland für den Angriffskrieg verurteilt, wird nur indirekt mit einem Verweis auf das Abstimmungsverhalten bei entsprechenden Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen deutlich gemacht. In ihnen war Russland zuletzt im Februar zu einem Rückzug aus der Ukraine aufgefordert worden. 141 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stimmten im Februar dafür.“
Auch wieder eine Interpretationsleistung.
Man muß auf eine UN-Abstimmung verweisen, um eine Abschlußerklärung hinzukriegen. Das kann man dann zu Hause als „eigentlich-schon Verurteilung“ verkaufen.
„Das mittelamerikanische Nicaragua“
– eine Art Geographie-Nachhilfe, als gäbe es ein zweites Nicaragua auch noch –
„hatte damals aber als eines von nur sieben Ländern gegen die Annahme der Resolution gestimmt. Von den lateinamerikanischen und karibischen Staaten enthielten sich zudem Kuba, Bolivien und El Salvador. Venezuela, Dominica und Grenada nahmen nicht an der Abstimmung teil. Damit haben sieben von 33 Celac-Staaten in dieser Abstimmung den russischen Angriffskrieg in der UN-Vollversammlung nicht verurteilt.
In einer offiziellen Mitteilung aus dem mittelamerikanischen Nicaragua hieß es, Präsident Ortega und seine Ehefrau sowie Vizepräsidentin Rosario Murillo übermittelten Putin »unsere Zuneigung in revolutionärer Bruderschaft«.“
Unerhört.
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Kasten im Artikel: Nobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel: „Jetzt liefern die Deutschen wieder Panzer, sie haben nichts dazu gelernt“
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„Ob die Verbündeten von Russland für ihre Standhaftigkeit in Brüssel eine Belohnung aus Moskau erwarten können, blieb zunächst unklar. In der Vergangenheit hatte es für die drei Länder wiederholt Hilfsangebote aus Moskau gegeben – zum Teil auch im militärischen Bereich. Venezuela erhielt auch Waffen.“
Man merkt hier, daß laut „Welt“ solches sperriges Verhalten gegenüber den Anmaßungen der EU nur aus schnöden materiellen Interessen erfolgen kann.
Wir hingegen vertreten immaterielle Werte.
(Welt, 19.7.)
Venezuela gewinnt Kontrolle über Geldreserven in Portugal zurück
Der venezolanische Staat erhält Reserven im Wert von 1,3 Milliarden Euro zurück, die bei der portugiesischen Bank Novo Banco blockiert waren. Das hat ein Gericht in Portugal entschieden.
Die venezolanischen Guthaben waren seit dem 24. April 2019 blockiert und Novo Banco weigerte sich, das Geld den rechtmäßigen Eigentümern zurückzuerstatten. Hintergrund war die Anerkennung des oppositionellen »Interimspräsidenten« Juan Guaidó durch die portugiesische Regierung im Februar 2019.
Inzwischen unterhält Portugal wieder normale Beziehungen zur gewählten Regierung von Präsident Nicolás Maduro.
Mit dem Urteil vom 31. Juli erhalten das staatliche venezolanischen Ölunternehmen PdVSA und mehrere Tochterfirmen sowie die staatliche Entwicklungsbank Bandes ihre Guthaben im Gesamtwert von 1,3 Milliarden Euro bei Banco Novo zurück. Zudem werden Zinszahlungen von rund 22 Millionen Euro fällig.
In einem Kommuniqué begrüßte Venezuelas Außenministerium die Entscheidung. »Seit diese Mittel eingefroren wurden, haben sich venezolanische Institutionen an die Gerichte gewandt, um ihre Rechte angesichts eines eindeutig willkürlichen Akts geltend zu machen«, heißt es darin. Die Blockade der Gelder habe Venezuela »enorme Ressourcen vorenthalten, die zur Förderung der Entwicklung der nationalen Wirtschaft und zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere während der Zeit der Covid-19-Pandemie, bestimmt waren«.
Venezuela behalte sich auch das Recht vor, »geeignete Maßnahmen angesichts der Schäden zu ergreifen, die seinen Institutionen und seiner Bevölkerung durch das Einfrieren seiner Ressourcen entstanden sind«.
Venezuelas Anti-Blockade-Vizeminister William Castillo sprach im Zusammenhang mit dem Urteil von einem »politischen Sieg«, warnte jedoch davor, dass das Geld möglicherweise anderweitig blockiert werden könnte, da insbesondere die Entwicklungsbank Bandes weiterhin von US-Sanktionen betroffen ist. Die Novo Banco gehört zu 75 Prozent der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Lone Star Funds.
Die Bank erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, derzeit würden ihre Anwälte »die praktischen Auswirkungen des Urteils« analysieren.
(amerika21, 15.8.)
Sieh da, sieh da – auch Portugal und seine Banken beteiligten sich an dem Raubzug gegen Venezuela, im Windschatten der USA und GBs.
Lateinamerika: Forderung nach Waffenruhe, erste Hilfslieferungen für Gaza
Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Freitag hat die große Mehrheit der lateinamerikanischen Länder die Resolution befürwortet, die eine "sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe" zwischen Israel und der Hamas fordert.
"Alle Parteien" sollten "unverzüglich und in vollem Umfang" ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten nachkommen, "insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Zivilisten und zivilen Objekten", heißt es darin.
Das Dokument bekräftigt außerdem, dass eine "gerechte und dauerhafte Lösung" des israelisch-palästinensischen Konflikts nur mit friedlichen Mitteln, auf der Grundlage der einschlägigen UN-Resolutionen und im Einklang mit dem Völkerrecht sowie auf der Grundlage der Zweistaatenlösung erreicht werden könne.
Für die Resolution stimmten 120 Länder, dagegen 14 und 45 enthielten sich.
Aus Lateinamerika votierten Paraguay und Guatemala dagegen, Haiti und Uruguay enthielten sich der Stimme. (…)
(amerika21, 29.10.)
„Kanada hatte zuvor einen Zusatz zu der Resolution eingebracht, der die »Terrorattacken der Hamas« und die Geiselnahmen verurteilt und die sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln fordert. Dieser Zusatz verfehlte aber eine notwendige Zweidrittelmehrheit.
Israels Außenminister Eli Cohen verurteilte die Resolution mit scharfen Worten. "Wir lehnen den verabscheuungswürdigen Ruf der UN-Generalversammlung nach einem Waffenstillstand entschieden ab", schrieb Cohen in der Nacht zu Samstag auf der Plattform X. "Israel beabsichtigt, die Hamas zu eliminieren." So sei die Welt auch mit den Nazis und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) umgegangen, schrieb er weiter. (…)“
(Standard, 28.10.)
Zu den weiteren Gegenstimmen zählten die USA, Österreich, Israel, Kroatien, Tschechien, Ungarn, 5 Inseln im Pazifik.
Deutschland hat sich enthalten. Frankreich und 7 weitere EU-Staaten unterstützten die Resolution.
Es ist sehr schwierig, die Staaten zu finden, die dagegen gestimmt haben. Offenbar befürchtet man Unruhen.
Es ist auch nicht festzustellen, wie Kanada abgestimmt hat.
Österreich wird vermutlich diesen Alleingang und Schulterschluß mit den USA und Israel mit inneren Schwierigkeiten bezahlen.
Krieg im Nahen Osten:
Bolivien bricht diplomatische Beziehungen zu Israel ab
Aus Protest gegen die israelischen Angriffe will Bolivien seine staatlichen Beziehungen zu Israel beenden. Zudem beorderten Chile und Kolumbien ihre Botschafter zurück.
Wegen der israelischen Militäreinsätze im Gazastreifen hat Bolivien als erstes lateinamerikanisches Land angekündigt, seine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen. Der Schritt sei ein "Zeichen der Ablehnung und Verurteilung der aggressiven und unverhältnismäßigen israelischen Militäroffensive im Gazastreifen", teilte das Außenministerium des südamerikanischen Landes mit. Zudem beorderten Chile und Kolumbien ihre Botschafter in Israel für Konsultationen zurück.
Die Generalsekretärin der bolivianischen Präsidentschaft, María Nela Prada, sagte, Israel werde offiziell über die Entscheidung unterrichtet. "Wir fordern ein Ende der Angriffe […], die zu Tausenden toten Zivilisten und der Zwangsumsiedlung der Palästinenser geführt haben", sagte sie. Zugleich kündigte sie an, dass Bolivien humanitäre Hilfe in den Gazastreifen schicken werde.
Auch Kolumbien und Chile sprachen sich gegen die israelischen Angriffe im Gazastreifen aus. Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro schrieb auf X, er habe beschlossen, "unsere Botschafterin in Israel (Margarita Manjarrez) zu Konsultationen zurückzurufen. Wenn Israel das Massaker am palästinensischen Volk nicht stoppt, können wir nicht vor Ort sein", schrieb er. Chiles Außenministerium teilte mit, man reagiere mit der Entscheidung auf "die inakzeptablen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, die von Israel im Gazastreifen begangen" würden.
(…)
(Zeit, 1.11.)