Afrika – der umkämpfte Kontinent

NEUAUSRICHTUNG

1. Die militärische Betreuung der Welt

Es war vor allem die alte Welt, die sich jahrzehntelang den Zugriff auf die Rohstoffe Afrikas sicherte und das hierzulande als „Entwicklungshilfe“ verkaufte.

Mit den Abkommen von Yaoundé, Lomé und schließlich Cotonou sicherte sich die EWG und dann EU den Zugriff auf die Rohstoffe und Agrarprodukte Afrikas. Gleichzeitig sicherte sich die EU die Staaten Afrikas als Märkte und überschüttete sie mit ihren eigenen Produkten. Dazu wurde ein Kredit- und Bankwesen eingerichtet, um diese Staaten mit Zahlungsfähigkeit auszustatten, damit sie überhaupt als Markt funktionieren konnten. Das hat zu Schuldenkrisen geführt und Afrikas Staaten in Sachen Abhängigkeit noch über die Abkommen hinaus in europäische Schuldknechtschaft geführt.

Dieses ganze Verfahren wurde in den europäischen Medien paternalistisch als eine Art „Hilfe“ an die Staaten Afrikas verkauft, mit der sich die ehemaligen Aussauger sozusagen jetzt als Förderer ihrer ehemaligen Unterdrückten betätigen und ihnen helfen würden, auf eigenen Füßen zu stehen.

Dieses schiefe Verhältnis wollte natürlich militärisch betreut sein, was spezielle militärische Einrichtungen wie die französische Fremdenlegion oder zypriotische Basen und Ghurka-Einheiten der britischen Streitkräfte notwenig macht, – die sich natürlich nicht nur auf Afrika konzentrieren, sondern auch in anderen Gebieten eingesetzt werden, wo die westliche Staatengemeinschaft Ordnungsbedarf sieht.

Das alles ging so lange halbwegs gut, als sich in den afrikanischen Staaten Eliten fanden, die sich mit dieser subalternen Rolle abfanden oder gleich ihre Stellung für feste Bereicherung benutzten. Als die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand, war auch keine Alternative mehr da.

2. Afrika seit 1991

Aber in den mehr als 30 Jahren seit 1991 hat sich erstens das Entwicklungsideal gründlich blamiert, was sich vor allem in Flüchtlings-Strömen und den entsprechenden Tragödien äußert. Es ist inzwischen klar, daß Afrika von Europa nichts Gutes mehr zu erwarten hat. (Das wird übrigens in den Medien hier gar nicht mehr behauptet. Das Entwicklungs-Ideal wurde leise begraben.)

In dieser Zeit hat weiters China Afrika als Handelspartner entdeckt. Rußland hat eine aktive Außenpolitik entwickelt, in der es verlorengegangene Verbündete wieder zurückgewinnen will (Kuba, Nordkorea), auch in Afrika, und sogar neue rekrutiert.

Man kann sagen, daß es sich hier um eine Art Arbeitsteilung handelt: China will Afrika ökonomisch benützen und damit auf sich verpflichten, während Rußland eher strategisch ausgerichtet ist und rußlandfreundliche Regierungen mit dem nötigen militärischen Rückhalt versieht.

Was für die EU besonders ärgerlich ist, ist der Umstand, daß diese beiden Mächte sich hier sehr gut ergänzen und überhaupt nicht in die Quere geraten.

Außerdem bilden sich lokale Ambitionen bei den größeren afrikanischen Staaten. Der erste, der sein Land mit Ölgeld zur Führungsmacht machen wollte, wurde ziemlich gewalttätig von der westlichen Welt weggeräumt.
Der Sturz Ghaddafis war jedoch Rußland und China eine Lehre. Und auch den afrikanischen Staaten. Sie wurden darauf aufmerksam gemacht, daß der Westen ein Afrika mit eigenständigen politischen Vorstellungen nicht zu dulden bereit ist. Und sie wandten sich verstärkt den neuen Freunden zu. Vor allem zwei Staaten, die sich auf ihrer Größe bzw. Wirtschaftskraft zu Höherem berufen fühlen: Algerien und Südafrika.

Rußland verstärkte seine Militärpräsenz in Folge mit seiner eigenen Fremdenlegion, den Wagner-Einheiten. Diese haben anscheinend das Ableben ihres Führers überstanden und werden jetzt der russischen Armee als spezielle Auslands-Truppen eingegliedert. Es ist wahrscheinlich, daß Rußland in Zukunft auch um die Ausbildung einheimischen Militärs kümmern und das möglicherweise sogar finanzieren wird.

Ob das jetzt für die Bevölkerung Afrikas Gutes verspricht, sei dahingestellt.

Das Wichtige ist, daß der Einfluß Europas hiermit verdrängt und auch die ganzen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU neu und für die EU unvorteilhaft gestaltet werden.

China prescht mit seiner eigenen bzw. der BRICS-Entwicklungsbank daher und sagt mehr oder weniger „Fuck the IWF!“ – was sich für die ganzen Schuldenberge und deren Gültigkeit negativ auswirkt.

3. Machtwechsel

Die EU ist bezüglich Afrikas offenbar mit ihrem Latein am Ende:

„Laut diplomatischen Quellen konnten sich die 27 nicht auf eine Verlängerung der EUTM-Mission in Mali über den 18. Mai hinaus einigen, wenn ihr derzeitiges Mandat endet. Obwohl die diese Woche in Brüssel abgehaltenen Treffen technischer Natur waren, hat Frankreich deutlich gemacht, dass es sich weigert, eine Operation fortzusetzen, die 2013 begann und in jüngster Zeit auf ein Minimum reduziert wurde, was zu ihrer endgültigen Einstellung führte – da Einstimmigkeit notwendig wäre, um sie fortzusetzen.

Der von den befragten Quellen als selbstverständlich angesehene Abzug europäischer Ausbilder aus Mali markiert das Ende der militärischen Präsenz der EU in einer strategischen Region. Ein Gebiet, das einen beispiellosen Anstieg des dschihadistischen Terrorismus und eine starke Ausweitung von Netzwerken zum Handel mit Waffen, Drogen und Einwanderern verzeichnet, das aber auch große Reserven an Mineralien wie Uran und Gold birgt: Dies erklärt nach Ansicht von Experten das Interesse von Russland, aber auch China, diese Lücke zu schließen.“ (El País, 28.3.)

All diese schönen Begleiterscheinungen des friedlichen Handels und Wandels sind die Ergebnisse desselben, obwohl sie immer als unwillkommene Hindernisse der Benutzung dieser Weltgegenden gehandelt werden, für die die EU den betroffenen Staaten militärische „Hilfe“ gewähren mußte.

Was Gold und Uran betrifft, so sind die für beide Staaten zweitrangig, was den eigenen Gebrauch betrifft. Es geht höchstens darum, sie in den eigenen Einflußbereich zu holen, um dann sie dann der EU zu anderen Konditionen als den bisherigen verkaufen zu können – was schlechte Nachrichten für die Wettbewerbsfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt sind.

Wie sich Afrika weiter entwickelt, sollte man genau beobachten. Es scheint nämlich eine Art Modell oder zumindest ein Vorreiter für die multipolare Welt zu werden.

11 Gedanken zu “Afrika – der umkämpfte Kontinent

  1. „Wieso Botswana 20.000 Elefanten verschenken will

    Nur wenige Themen bewegen die meinungsstarke Prominenz scheinbar so sehr wie die Trophäenjagd. …
    In Großbritannien … haben sich mit Fußballikone Gary Lineker, Rockstar Liam Gallagher und Comedian Ricky Gervais einige … dem Artenschutz der Big Five gewidmet.

    Widerspruch kommt vom afrikanischen Kontinent. Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi etwa schickte zunächst im März einen Minister vor, der England die Entsendung von 10.000 lebenden Elefanten in Londons Hyde Park androhte. Und dann legte er in der deutschen Tageszeitung »Bild« persönlich nach. Man werde Deutschland gleich die doppelte Zahl schenken, das sei »kein Scherz«, so der … Präsident.

    Abschusspläne

    Botswana hat ein Drittel aller Afrikanischen Elefanten, rund 130.000 – und damit nach Einschätzung führender Experten zu viele.
    Masisi hob vor fünf Jahren ein Jagdverbot auf, unter anderem mit dem nicht ganz unberechtigten Verweis darauf, dass allein in den zwölf vorangegangenen Monaten 17 Menschen von Elefanten getötet und zahlreiche Felder zertrampelt worden seien. Es treffen schließlich zwei Spezies aufeinander, die enormen Lebensraum beanspruchen.

    Seitdem darf auch dort abgeschossen werden, 300 bis 400 entsprechende Genehmigungen für die Jagd der in den meisten anderen Ländern vom Aussterben bedrohten Elefanten werden jährlich an Großwildjäger verteilt. Masisi lenkt die Debatte regelmäßig auf die zerstörerischen Dickhäuter, was davon ablenkt, daß er die Abschussquoten für andere Tiere wie Leoparden aus Sicht von Artenschützern viel zu sehr angehoben hat.

    Doch pro Tier werden bis 16.000 Dollar kassiert – Befürworter der Trophäenjagd argumentieren, dass so letztlich ein finanzieller Anreiz für ihren Erhalt geschaffen wird. In Kenia, wo seit Jahrzehnten ein Jagdverbot gilt, ist der Bestand tatsächlich massiv gesunken.
    Hinzu komme, daß viele Gegenden, in denen gejagt wird, landschaftlich schlicht nicht schön genug seien, um die wegfallenden Einnahmen und Arbeitsplätze mit Fotosafari-Tourismus ersetzen zu können. Kritiker halten dem entgegen, dass kaum Geld aus den Jagderlösen bei den oft strukturschwachen Dörfern der Gegend ankommt.“

    Botswana hat die 7-fache Fläche Österreichs und seine Bevölkerung wird auf 2,6 Millionen geschätzt – durchschnittlich 4 Personen pro Quadratkilometer.
    Sehr einleuchtend, daß da die Dörfer „strukturschwach“ sind – was immer das heißen mag.

    „Lukrative Einnahmequelle

    Die Branche ist jedenfalls eine lukrative Einnahmequelle für die unzureichend diversifizierte (!!!) Volkswirtschaft Botswanas, die sich zu lange auf ihren Diamantenreichtum verlassen hat. Die Nachfrage nach den Edelsteinen ist am Boden – auch im Süden Afrikas spürt man die Auswirkungen des Ukrainekrieges.“

    Der Zusammenhang wäre erklärungsbedürftig.

    „Mit weniger als 4 Prozent Wirtschaftswachstum wackelt Botswanas Image als afrikanische Erfolgsgeschichte.“

    Ein unglaublich geistloser Satz, der aber typisch ist für die Art, wie über Afrika berichtet wird.

    „Masisi spricht generell offener aus, was viele andere afrikanische Präsidenten denken. Zuletzt echauffierte“

    (wenn ein Europäer einen Einwand hat, so „kritisiert“ er, wenn ein Schwarzafrikaner einen Einwand hat, so „echauffiert“ er sich)

    „er sich bei der G7-Gruppe der führenden Industrienationen über deren Forderung, dass alle Diamantenproduzenten ihre Steine nach Belgien zur Zertifizierung schicken. Der Westen will so verhindern, dass Diamanten aus Russland auf den Markt kommen. Produzierende Länder wie Botswana sehen das aber als unverhältnismäßige Bürde.“

    Na sowas!

    „Europa hat vielerorts einen schweren Stand auf dem“ (afrikanischen) „Kontinent, weil es einen Stopp von Subventionen für fossile Brennstoffe auf dem Kontinent fordert – sie aber selbst weiter massiv einkauft.

    Botswanas Staatschef ist sehr wohl bewusst, dass die Verschärfungen bereits bestehender Trophäenjagdbeschränkungen vorwiegend auf EU-Ebene vorangetrieben werden. In Belgien gibt es ein generelles Verbot schon. Und in Frankreich und Italien laufen entsprechende Gesetzgebungsverfahren. Weltweit kommen übrigens mit Abstand die meisten Großwildjäger aus den USA, Deutschland ist allerdings der wichtigste Markt innerhalb der EU für die Einfuhr von Jagdtrophäen: Im vergangenen Jahr gab es 650 entsprechende Einfuhren, davon 231 Bergzebras, 109 Bärenpaviane – und 26 Afrikanische Elefanten.“

    (Standard, 10.4.)

  2. Weg mit den letzten Besatzern!

    „USA erklären sich zu Abzug von Truppen aus dem Niger bereit

    Das Land war für die USA und Frankreich ein wichtiger Ausgangspunkt für Einsätze gegen Dschihadisten. Die letzten französischen Soldaten verließen es im Dezember

    Die USA haben sich nach Angaben von Regierungsvertretern dazu bereit erklärt, ihre mehr als 1.000 Soldaten aus dem Niger abzuziehen. US-Vizeaußenminister Kurt Campbell habe die Aufforderung zum Truppenabzug bei einem Treffen in Washington mit dem nigrischen Ministerpräsidenten Ali Mahaman Lamine Zeine akzeptiert, sagten US-Regierungsvertreter am Freitag der Nachrichtenagentur AFP.

    Geordneter Abzug

    Es sei sich darauf verständigt worden, dass eine US-Delegation in den nächsten Tagen in die Hauptstadt Niamey reisen wird, um einen geordneten Abzug zu organisieren. Das nigrische Staatsfernsehen hatte zuvor gemeldet, die US-Delegation werde kommende Woche anreisen.

    Militärs hatten am 26. Juli im Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum gestürzt, die Macht im Land übernommen und sich verstärkt Russland zugewandt.

    Der Niger galt bis zu dem Staatsstreich als einer der letzten Verbündeten in der Region im Kampf gegen Dschihadisten und Extremismus. Für die USA und für die frühere Kolonialmacht Frankreich war der Niger ein wichtiger Ausgangspunkt für Einsätze gegen Dschihadisten. Im Dezember verließen die letzten französischen Soldaten auf Wunsch der neuen Machthaber das Land.“

    (Standard, 20.4.)

    Ohgottogott, wer wird denn jetzt den Dschihadismus bekämpfen?

  3. „Die EU verfügt nicht über genügend Schiffe, um die Huthi im Roten Meer zu bekämpfen

    Die Marinen der Länder der EU sehen sich einem akuten Mangel an Kriegsschiffen gegenüber, die an der Operation zum Schutz ziviler Schiffe vor Angriffen der jemenitischen Ansar-Allah-Bewegung (Huthi) beteiligt sind. Dies erklärte der Kommandeur der EU-Marineoperation Aspides (»Schilde«) im Roten Meer, Vasilios Griparis.

    »Die europäische Flotte muss mehr als verdoppelt werden, da die Zahl der Angriffe durch […] die Houthis zunimmt«, zitierte Bloomberg Griparis am 21. Juni.
    Der Flottenadmiral warnte, dass nur 4 Kriegsschiffe im Roten Meer patrouillierten. Gleichzeitig reichen die unternommenen Anstrengungen seiner Meinung nach nicht aus, um die Sicherheit von Handelsschiffen angesichts der in den letzten Monaten zunehmenden Zahl von Huthi-Angriffen zu gewährleisten.
    »Wir haben nicht viele Schiffe im Einsatz und das Gebiet, das wir abdecken müssen, ist riesig. Ich fordere alle EU-Mitgliedstaaten auf, mehr Mittel bereitzustellen«, fügte er hinzu.

    Griparis sprach Anfang Mai über den Mangel an EU-Kriegsschiffen. Damals stellte er fest, daß er zur effektiven Erfüllung der Aufgaben mindestens zehn Schiffe sowie Luftunterstützung in Form einer Drohne oder eines Marineaufklärungsflugzeugs benötige. Der EU-Rat kündigte am 19. Februar den Start einer eigenen Operation zum Schutz der Schifffahrt in der Region, Eunavfor Aspides, an.
    Die jemenitische Ansar-Allah-Bewegung erklärte, sie werde keine Schiffe der europäischen Koalition im Roten Meer angreifen.“

    Die Huthi versuchen damit einen Keil zwischen die westlichen Verbündeten zu treiben – das gilt natürlich nur insoweit, als die EU-Mission ihrerseits die Huthi nicht angreift.
    Man fragt sich dann allerdings, was diese Eunavfor Aspides dort eigentlich macht und ausrichtet?
    Adabei?

    „Die Houthis begannen seit November letzten Jahres mit Angriffen auf Schiffe im Roten Meer und im Golf von Aden, um gegen die israelischen Aktionen im Gazastreifen zu protestieren. Als Reaktion auf ihr Vorgehen starteten die USA und Großbritannien in der Nacht des 12. Januar einen Angriff auf Huthi-Ziele im Jemen.
    Das Weiße Haus sagte, die Angriffe auf von der Bewegung kontrollierte Gebiete des Landes seien defensiver Natur.“

    Har har.

    „Damals wurde auch behauptet, daß die Angriffe zum Schutz der internationalen Schiffahrt durchgeführt wurden.“

    (Izvestija, 21.6.)

    Das hat aber nicht viel geholfen, weil die meidet das Rote Meer seit dem vorigen Jahr in immer größerem Ausmaß, was Folgen für den Welthandel und den Staatshaushalt Ägyptens hat:

    „Rotes Meer:
    Eine Kettenreaktion

    Der Beschuss von Handelsschiffen im Roten Meer durch die Ansarollah hat globale Auswirkungen (…)

    Attackiert wurden Schiffe vor allem in der Straße von Bab Al-Mandab, einer 27 Kilometer breiten Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden, vereinzelt auch im Golf selbst. Die Route markiert die zentrale Zufahrt zum oder vom Suezkanal und ist damit ein wichtiges Nadelöhr der globalen Schiffahrt.
    Anfang Mai 2024 bilanzierte der Industrieversicherer Allianz Commercial, zwischen November 2023 und Ende April seien in dieser Region mehr als 50 Handelsschiffe angegriffen worden. Die dabei direkt angerichteten Schäden halten sich bislang in Grenzen: Mitte Februar wurde der Massengutfrachter »Rubymar« von einer Drohne getroffen und sank kurz darauf. Mitte März kamen beim Raketenangriff auf den Massengutfrachter »True Confidence« erstmals auch Seeleute ums Leben. Bei weiteren Attacken wurden Schiffe beschädigt und Besatzungsmitglieder verletzt. Jüngster Zwischenfall war der Angriff auf den Öltanker »Wind« am 18. Mai – das Schiff geriet in Brand, konnte aber nach Verzögerung weiter fahren.

    Devisen eingebüßt

    Ökonomisch deutlich schwerer wiegen die Folgen für den Seehandel insgesamt. Dieser Versuch einer Zusammenfassung ist auf dem Stand von Ende Mai. Er kann aber nur fragmentarisch sein, weil unterschiedliche Quellen teilweise stark voneinander abweichende Fakten liefern – manchmal verwirrend.

    Zunächst ein Blick auf den Suezkanal: Wer auf der Website der staatlichen Kanalbehörde Suez Canal Authority (SCA) den Suchbegriff »Ansarollah« oder »Houthi« eingibt, erhält die lapidare Auskunft »Nothing here matches your search« – es gibt also keine Auskunft, was Ägypten aktuell an Einnahmen einbüßt.
    Das Center for Strategic and International Studies in den USA berichtete dagegen schon Anfang Januar, die SCA erlebe einen Verlust von rund 40 Prozent im Vergleich zu 2023. Hinzukomme, dass Kanalgebühren traditionell in Fremdwährung gezahlt werden, Ägyptens Wirtschaft büße also massiv Devisen ein.

    Wer einen fortlaufend aktuellen Überblick zur Frequentierung des Suezkanals erhalten möchte, gehe zur vom Internationalen Währungsfonds (IWF) neu eingerichteten Webseite Portwatch.imf.org. Dort offenbart sich beispielsweise, dass am 4. Dezember 2023, also kurz nach Beginn der Ansarollah-Attacken, 69 Schiffe den Kanal passiert haben, bei einem Wochendurchschnitt von 74, während man am 31. Mai nur noch 29 Schiffe bei durchschnittlich 33 pro Woche zählte.

    Interessante Details zu den Kanalpassagen vermittelt auch eine Grafik der Chicagoer Logistikberater Project 44: Die verdeutlicht, von welchen Handelsrouten der Kanal wie stark frequentiert wird. Dem zugrundeliegende Angaben stammen zwar aus dem Jahr 2023, machen aber ein wichtiges Dilemma deutlich: Es geht in der aktuellen Krise nicht einfach“ (!!! Als ob das etwas Einfaches wäre!) „um Warenströme zwischen Asien und Europa samt Mittelmeer, sondern in der Tat um ein globales Problem.

    Knapp 16 Prozent der Kanalnutzung entfallen nämlich auf asiatischen Verkehr von und nach Nordamerika, zumeist der US-Ostküste: Manche Linien­reeder wählen zwischen dort und Fernost gern den Weg via Gibral­tar und Suez, um auch Häfen im Mittelmeer oder Arabien bedienen zu können.
    Darauf aktuell zu verzichten und etwa auf den Panamakanal auszuweichen, ist wegen dessen akut niedriger Wasserstände unter anderem in Folge ungewöhnlicher Dürre schwierig.

    Der Umweg übers südafrikanische Kap der Guten Hoffnung ist für diese Schiffe allerdings sehr lang. Was, wie das Wiener Logistikmagazin Dispo schreibt, eine »signifikante Verlagerung« von Transporten von der Ost- an die Westküste der USA und Kanadas zufolge hat. Das aber bewirkt seinerseits eine starke Zunahme inländischer Zu- und Abläufe per Schiene oder Lkw zwecks Verschiffung via Pazifik.

    Verzögerung über Monate

    Rund 58 Prozent der Kanalnutzung entfallen nach Project 44 auf den europäisch-asiatischen Seehandel – die meisten dieser Schiffe weichen jetzt auf die Route um das Kap aus: 58 Prozent. Eine Zahl, die ahnen lässt, was die Ansarollah-Attacken bedeuten. Die Kanalblockade durch den Containerfrachter »Ever Given« (IMO 9811000) im Frühjahr 2021 hatte bereits offenbart, wie sensibel die Verhältnisse sind – aber damals ging es um wenige Tage und bis zur »Renormalisierung« um Wochen. Jetzt geht es um Monate.

    Suez oder Kap – auch hier gibt es voneinander abweichende Angaben über die Folgen. Laut Project 44 verlängert sich die Transitzeit für die meisten das Kap umfahrenden Schiffe um sieben bis 20 Tage. Im Detail ist das abhängig von Start-, Ziel- und Zwischenhäfen. Das hat logistische und finanzielle Folgen. Manche Reeder lassen ihre Schiffe schneller fahren, um Verzögerungen zu minimieren. »Slow steaming« für den Klimaschutz erlebt derzeit keine Konjunktur, der Treibstoffverbrauch steigt, was sich nicht nur auf die Umwelt auswirkt, sondern auch den Seetransport verteuert.

    Verzögerungen wirbeln Fahrpläne durcheinander – und damit auch nahezu alle von Pünktlichkeit abhängigen Lieferketten. Wo höheres Tempo als Maßnahme nicht ausreicht, werden etwa Schiffe aus schwächer frequentierten Fahrtgebieten, beispielsweise aus dem Linienverkehr zwischen Asien und Südamerika, abgezogen. Aber das hat wiederum dort neue, weitere Störungen zur Folge.

    Kapazitätsprobleme

    Damit nicht genug: Längere Strecken und »verwirbelte« Lieferketten führen auch zu Engpässen beim verfügbaren Schiffsraum. Bislang konnten solche Probleme aufgefangen werden, dank einer rasant wachsenden Flotte: Nahezu täglich werden immer neue, vielfach größere Containerschiffe in Betrieb genommen. Die globale Transportkapazität der Branche nähert sich unaufhaltsam der 30-Millionen-TEU-Marke (Twenty-foot Equivalent Unit, Standardmaß für Containerladung) – rund drei Millionen mehr als noch vor einem Jahr. Und in den Orderbüchern der Werften stehen laut dem Infoportal Alphaliner Neubauaufträge für weitere knapp sechs Millionen TEU. Trotzdem geht die dänische Reederei Mærsk laut Dispo – angesichts steigender Frachtmengen im Ostasien-Europa-Verkehr – von zunehmenden Kapazitätsproblemen im zweiten Quartal 2024 aus.

    Das US-Portal Marinelink.com meldete, der französische Familienkonzern CMA CGM schicke einen Teil seiner Schiffe, jeweils unter Militäreskorte, noch immer durchs Rote Meer. Weil die Lieferketten es verlangen, wird Konzernchef Rodolphe Saadé zitiert.“

    Kommt vielleicht immer noch billiger als die Route um Afrika herum.

    „Engpässe seien damit zwangsläufig.“

    Unklar, warum?

    „Prompt geraten in vielen Häfen Liegezeiten durcheinander, und das nicht nur wegen verzögerter Ankünfte. Vielfach fehlt es auch einfach an Containern, weil leere Boxen planwidrig irgendwo liegengeblieben oder mit Verspätung noch unterwegs sind. Mærsk gab bekannt, bisher mehr als 125.000 zusätzliche Container geleast zu haben.

    Bitter sind die Folgen für die Besatzungen: Zum einen müssen Schiffe, bevor sie sich auf den längeren Kap-Weg begeben, mehr Ausrüstung und mehr Proviant einplanen. Für große und seriöse Reedereien ist das kein Problem, ein Experte berichtet aber aus jüngster Zeit von zwei Fällen deutscher Reedereien, bei denen Frischproviantportionen (Obst, Gemüse) verringert wurden. Zum anderen gibt es wieder – wie 2020/21 – Probleme mit der Ablösung von Seeleuten, etwa, weil Schiffe während des fahrplanwidrigen Umwegs zusätzliche Häfen anlaufen (müssen). Das dürfte zwar nicht die Dimensionen der Pandemie erreichen, als sogar Häfen gesperrt waren. Doch es verlängert die Bordzeiten der Besatzungen und beeinträchtigt so deren Familien.

    Fahrzeit, Treibstoffverbrauch, Materialbedarf, Personalnöte – all dies und mehr treibt die Kosten des Seetransports in die Höhe. Nun sind Frachtraten in der Schiffahrt (wie auch bei anderen Verkehrsformen) kein reines Abbild realer Marktentwicklungen, sondern zu beträchtlichem Teil spekulativ. Anders lassen sich die jüngsten Sprünge kaum erklären. Die folgenden Angaben stützen sich auf den World Container Index (WCI) des Londoner Beratungsbüros Drewry. Der setzt sich zusammen aus den Werten acht zentraler Verkehrsrouten zwischen China, Europa und den USA und nennt Querschnittspreise in US-Dollar für 40-Fuß-Container. (…)

    Wann kommen Teuerungen?

    Zu Beginn der Ansarollah-Angriffe – Kalenderwoche (KW) 47/2023 – meldete Drewry einen Index von 1.384 US-Dollar. Innerhalb weniger Wochen – bis zur KW 04/2024 – verdreifachte sich der Preis nahezu auf 3.964 US-Dollar. Obwohl es in den Folgemonaten keine Entspannung, sondern weitere Übergriffe gab, sank der Index Ende April – KW 17/2024 – auf 2.706 US-Dollar, knapp doppelt so viel wie im November, aber gut 30 Prozent unter dem Januarwert. Bei Abschluss dieses Artikels indes – KW 23/2024 – hatte der Index einen neuen Rekord von 4.716 US-Dollar erreicht. Zudem haben mittlerweile laut dem Hamburger Spediteur Navis viele Transportversicherer verteuernde Vertragsänderungen durchgesetzt.

    Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wann und wie all diese Teuerungen auf Verbraucherpreise durchschlagen. Mærsk beispielsweise betonte Anfang Mai, man werde die Mehrkosten an die Frachtzahler weitergeben, Konsequenz offen. Die Schifffahrtsorganisation Baltic and International Maritime Council (­BIMCO) hingegen prognostizierte etwa zur selben Zeit einen kommenden Rückgang der Ansarollah-Angriffe und daher wieder sinkende Raten.

    Die Ansarollah selbst indes drohten jüngst, nicht nur im Roten Meer oder im Golf von Aden, sondern auch im Mittelmeer Schiffe angreifen zu wollen – eine Option, die von westlichen Militärexperten waffentechnisch für möglich gehalten wird. Es wäre eine Eskalation mit schwer kalkulierbaren Folgen, nicht nur ökonomisch, sondern auch technisch und politisch.“

    (junge Welt, 12.6.)

  4. Militärexperten nannten die Hauptgründe für die großen Verluste der russischen (ehemals Wagner-) Privattruppen in Mali

    Die Aufklärung scheiterte, die Luft-Aufklärung wurde durch einen Sandsturm behindert

    Eine große Kolonne von Regierungstruppen der Republik Mali, die von russischen Soldaten eines/des privaten Militärunternehmens“

    – bis heute ist der Status dieser russischen Privat-Truppe nicht geregelt, – weder rechtlich, noch politisch, noch vom Namen her – weshalb sie immer als „private Militär-Firma“ in den Nachrichten geführt wird –

    „begleitet wurde, wurde von Kämpfern einer dortigen Terrororganisation überfallen. Dies wurde am 28. Juli von mehreren Informationsquellen gemeldet, die die afrikanischen Aktivitäten unseres PMU überwachen. Die Verluste gehen in die Dutzende, einige gerieten auch in Gefangenschaft.

    Der ehemalige Kommandeur des Sturmtrupps Nr. 13 des PMU »Wagner« mit dem Decknamen „Russitsch“ (4 Tapferkeitsorden, 2 Tapferkeitsmedaillen, Verdienstorden für das Vaterland IV. Grades) berichtete in seinem (vermutlich Telegram-)Kanal, daß auf dem Territorium Malis im Gebiet der Stadt Tin-Zaouatin die nationalen Streitkräfte mit Unterstützung des Wagner PMC eine Operation durchführten.“

    Diese Stadt liegt in Algerien an der Grenze zu Mali, auf der maliensischen Seite befindet sich lediglich eine Art Vorort oder Grenzdorf.
    Die russischen Truppen haben sich offenbar in einer Art Grenzkonflikt verfangen, da die Truppen Malis, denen sie beigegeben waren, grenzüberschreitend tätig werden wollten – mit oder ohne Billigung Algeriens?

    „Dort kämpft das 13. Sturmtrupp, den Russitsch zuvor befehligte.“

    Warum eigentlich jetzt nicht mehr?
    Und dieser 13. Sturmtrupp, der blieb, während andere Strukturen Wagners aufgelöst wurden?
    So wird das nix mit Rußlands Vormarsch in Afrika …

    „Ihm zufolge erlitt die Abteilung schwere Verluste – mehr als 80 Mann, 15 gerieten in Gefangenschaft. Unter den Toten ist auch der Administrator des Kanals »Grey-Zone« Nikita »Belyj«.

    Dies ist die größte militärische Niederlage der Wagner-PMU in Afrika in den letzten Jahren. Es geschah fast ein Jahr, nachdem die oberste militärische Führung des Unternehmens, darunter sein Gründer Jewgenij Prigozhin, sowie der ehemalige Offizier des GRU-Generalstabs, Held der Russischen Föderation und Held der Volksrepublik Lugansk Dmitrij Utkin (sechs Tapferkeits-Orden) der die militärische Organisation der PMU leitete, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen.“

    Wieso diese demonstrative Nennung all der militärischen Orden? Will der Moskovskij Komsomolejets damit den beiden seine Reverenz erweisen – und daran erinnern, daß man nie wieder etwas von den Ursachen des Absturzes gehört hat?
    Oder vielleicht zum Ausdruck bringen, daß Prigozhin – na gut, der hat einen Aufstand gemacht, aber Utkin?

    „Utkins Spitzname »Wagner« übertrug sich auf die PMU.
    Zusammen mit ihnen kamen mehrere andere Kommandeure bei dem Absturz des Privatflugzeugs ums Leben.

    Experten zufolge könnte die Ablöse (!!!) der militärischen Führung einer der Gründe für diesen Unglücksfall in Mali sein. Das vorherige Kommando agierte mutig und entschlossen, vernachlässigte dabei aber nie die Aufklärung und die sorgfältig organisierte Interaktion aus der Luft, mit der die Bodenoperationen koordiniert wurden.

    Die ersten Berichte über die Tragödie in Mali berichteten vom Absturz eines Mi-24-Begleithubschraubers, der vom Boden abgeschossen wurde. Doch später stellte sich heraus, dass es den Piloten gelang, den abgestürzten Hubschrauber zu landen und niemand an Bord verletzt wurde.
    Der zweite Mi-8-Hubschrauber wurde vom Boden aus beschossen, wobei der Kommandant getötet wurde. Der rechts sitzende 2. Pilot brachte den Apparat in sicherer Entfernung zu Boden.

    Der Militärexperte Jurij Podoljaka kommentierte diese Schlacht in Mali und wies darauf hin, dass die Tuareg von westlichen Ländern, die von der malischen Regierung als unfreundlich eingestuft werden, mit Geheimdienstinformationen versorgt werden.“

    Aha.
    1. Die gegnerischen Kämpfer waren also Tuareg, die dort in diesem Grenzgebiet zu Hause sind, wohingegen die malische Armee und die russischen Truppen eigentlich dort nichts verloren hätten.
    2. Westliche Dienste – Hauptverdächtige sind hier die USA und Frankreich – haben die Tuareg, die sie vorher als islamische Terroristen bekämpften, als neue Liebkinder entdeckt.

    „»Die Tuareg werden auch mit Kommunikationsausrüstung versorgt (ohne die es unmöglich wäre, einen solchen Hinterhalt zu organisieren). Wie es zur Guerilla-Kriegsführung gehört, wählten sie Ort und die Zeit (was angesichts der Tatsache wichtig ist, dass eine solche Niederlage in vielerlei Hinsicht eine Folge der Unmöglichkeit der Luftunterstützung aufgrund eines Sandsturms war)«, bemerkte der Experte.“

    Außerdem, wie gesagt, was machten die maliensisch-russischen Soldaten dort?
    Vermutlich waren es die Bewohner des Ortes Tin-Zaouatin selbst, die mit den Tuareg zusammenarbeiteten.

    „Der Militärexperte und ehemalige Offizier der US-Armee, Stanislav Krapivnik, sagte wiederum gegenüber MK, dass es mehrere Gründe geben könnte, warum der Konvoi überfallen wurde. »Dazu gehören Unkenntnis des Territoriums, Geländemerkmale, falsche Informationen über die Aktionen und den Standort des Feindes«, sagte er.
    Möglicherweise wurden falsche Daten empfangen. Das heißt, aufgrund von Fehlinformationen hätte der Konvoi auf eine Route geführt werden können, auf der es am einfachsten war, einen Hinterhalt zu organisieren. Kurz gesagt, es kann viele Gründe haben. Es ist möglich, dass das Kommando unseres PMC zu sehr auf die Hilfe der örtlichen Streitkräfte angewiesen war. Es gibt viele Fragen, aber leider gibt es kaum verlässliche Informationen.“

    (MK, 28.7.)

    Es ist also möglich, daß die Truppen versehentlich in das Grenzgebiet gelangten. Auf jeden Fall haben die Gegner eine bessere Koordination.

  5. Man versucht es auch auf anderer Ebene:

    „»Schlacht um Afrika«: Der Valdai-Klub hielt sein erstes Treffen auf dem Schwarzen Kontinent ab

    Der internationale Diskussionsclub »Valdai« bringt seit 2004 in- und ausländische Experten zusammen, die in regelmäßigen Treffen über Wege zum Aufbau einer neuen, gerechteren multipolaren Welt diskutieren.

    In den letzten Jahren veranstaltete Valdai Gastkonferenzen im Ausland, in befreundeten Ländern – Serbien, Usbekistan, Indien. Und nun überträgt der Expertenklub sein vielversprechendes Format auf andere Regionen: Am 24. Juli 2024 fand Valdai zum ersten Mal in Afrika statt: in Daressalam, Tansania. (…)

    Rußland wendet sich dem südlichen Kontinent zu – wie Maja Nikolskaja, stellvertretende Direktorin des Zentrums für Afrikanische Studien am MGIMO, auf dem Valdai-Treffen sagte: Bedeutende russische Universitäten (RUDN, die Moskauer Wirtschaftshochschule und andere) führen Programme zum Unterricht afrikanischer Sprachen – wie Suaheli – ein. (…)

    (KP, 28.7.)

    Wie sich in dem Artikel weiters herausstellt, wurde auch ein Valdai-Treffen mit einem Kant-Kongreß in Kaliningrad verbunden.
    Man will sich für die Multipolarität offenbar auch philosophische Weihen besorgen. angel

  6. Erinnerung an einige Basics über Afrikanische Ökonomie – am Beispiel von Niger – bis vorgestern noch vom Westen als innenafrikanischer Abwehrwall gegen Flüchtlinge Richtung Europa vorgesehen:

    “(…) So sieht es in einem fest mit dem Westen verbündeten demokratischen Entwicklungsland [Niger] nach mehr als 60 Jahren Unabhängigkeit für die Menschen aus: Armut, Hunger, eine extrem mangelhafte Gesundheitsversorgung, wenig Bildung, eine niedrige Lebenserwartung.
    Danach, wie die Menschen in Niger leben, hat vor dem Putsch kaum jemand gefragt, und die unsäglichen Lebensverhältnisse werden auch heute lediglich in einer sehr bemerkenswerten Hinsicht thematisiert. Ein Professor der Polizeiakademie Niedersachsen stellt fest: „Während der erst 2021 ins Amt gekommene Bazoum als wichtiger Verbündeter des Westens galt und Niger als Stabilitätsanker in der Sahelzone wahrgenommen wurde, war die Regierung in der Bevölkerung unbeliebt. Rund 40 Prozent der 26 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes leben in extremer Armut; Niger rangiert im Human Development Index der UN regelmäßig im untersten Bereich. Die Regierung von Bazoum konnte trotz dieser Situation das Steigen der Lebenshaltungskosten nicht aufhalten.“
    So kommen Armut und Unterentwicklung für einen „Experten“ also überhaupt ins Spiel: Weil ein paar Leute in einem der elendsten Länder der Welt ihre „unbeliebte“ Regierung zum Teufel jagen, „während“ die doch als wichtiger Verbündeter des Westens und sogar Stabilitätsanker der Sahelzone gilt. Immerhin schält sich mit dieser Bemerkung heraus, wer im Westen eigentlich und warum, um den weggeputschten Präsidenten trauert.(…)
    Renate Dillmann: Niger, Afrika und der Westen. Eine Lektion über Souveränität, Demokratie und Entwicklung
    https://wissenundkritik.de/wp-content/uploads/2023/09/Dillmann-Niger-Afrika-und-der-Westen-Neue-Welt-6.9.23.pdf
    (Im Artikel erläutert Renate Dillmann auch, wieso nach WKII für Ost und West vor allem die neu zu errichtende staatliche Souveränität Hauptziel war.)

    (Über die inneren Verhältnisse in Mali war hierzulande übrigens [außer, dass Frankreich dort jahrzehntelang fett seine Finger drin hatte,  so auch die BRD-Bundeswehr dorthin bewegen konnte, und die "innere Einheit" des Landes zwischen ein paar Städten und großen Tuareg- Wüsten-Gebieten eher "zerrissen" gewesen sein soll] mir zumindestens kaum was bekannt. [Auf den Kulturseiten hiesiger Intellektueller wurde von der Musik Malis u.a. bekannt gemacht, dass die verschiedenen Regionen zumindestens für westliche Interessenten eine Gemeinsamkeit darin hatten, dass die Griots (Musiker) die verbindende Einheit malischer Tugendgemälde in ihrer Musik hätten darstellen wollen – wo es anscheinend ansonsten wohl zwischen den Landesteilen wenig Verbindendes gab – und die diversen Tauareg-Gruppen sich auch untereinander nicht grün waren, – zum Rest des Landes auch nicht.)

  7. Was ich inzwischen über die Tuareg zusammengelesen habe, scheinen die jüngeren Aufstände und Auseinandersetzungen in der Sahel-Zone mit dem Sturz Gadaffis 2011 zusammenzuhängen.
    Die Tuareg waren Verbündete Gaddafis und wurden nach seinem Sturz aus Libyen vertrieben, wodurch sie zusammen mit anderen Tuareg an die Schaffung eines eigenen Staates machten, aus dem man sie nicht mehr vertreiben wird können – dem Azawad.

    (Kennen wir das nicht von irgendwoher? … ein eigener X-Staat – Sicherheit für alle X)

  8. Theo Wentzke: Putsch in Niger
    In Niger kämpft das Militär um »die Wiedererlangung der vollständigen Souveränität« gegen Islamisten und westliche Bevormundung in einem der ärmsten Länder der Welt.

    1. Staat ohne Macht
    – Kaputtes Gewaltmonopol
    – »Reichtümer« statt Nationalreichtum
    https://www.jungewelt.de/artikel/480153.sahel-staat-ohne-macht.html

    2. Problemfall der Weltherrschaft
    – Politischer Kredit
    – »Stabilitätsanker in der Region«
    – Der Aufstand der Putschisten
    – Imperialistische Konkurrenz
    https://www.jungewelt.de/artikel/480239.sahel-problemfall-der-weltherrschaft.html
     
    (Vgl. den Artikel "Putsch in Niger" im GSP 2/2024:  "Im drittärmsten Armenhaus der Welt kämpft das Militär um 'die Wiedererlangung der vollständigen Souveränität' des nigrischen Staates gegen Islamisten und westliche Bevormundung"  –  der Artikel ist beim GSP-Verlag aber noch nicht frei verfügbar.)

  9. Ich habe immer so meine Probleme, wenn von „einem der ärmsten Länder der Welt“ oder dem „drittärmsten Armenhaus der Welt“ die Rede ist.

    Armut wird hier als etwas Quantitatives aufgefaßt und leicht hysterisch mit superlativischen Titeln um sich geworfen, die meistens auf BIP-Vergleichen oder Währungsvergleichen (pro-Kopf-Einkommen in $) oder ähnlichen Statistiken beruhen.

    Diese ganzen Zählweisen sind erstens für Industriestaaten entwickelt, weil deren Macher halbwegs einen Überblick haben wollen darüber, was ihre Bürger treiben und wie das für Kreditwürdigkeit und Steuerleistung verwertbar ist.
    Sie sind also schon bei den sogenannten entwickelten Staaten von ihrer Aussagekraft zweifelwürdig, ebenso wie Gini-Koeffizient und ähnlicher Schmarrn.

    Besonders fragwürdig wird dergleichen aber, wenn es auf Staaten im Globalen Süden angewandt wird, wo ja schon die Währung von außen gestiftet wird usw.

    Auch die Redeweise vom „armen Land“ ist recht begriffslos, weil was heißt das? Ebbe in der Staatskasse? Was sagt das aus darüber, was die Bewohner im Kochtopf haben? Wie gesund oder krank sie sind? Wie sie behaust sind?
    Genau dem entspricht, wie oft z.B. auf Argentinien angewandt, es sei eigentlich ein „reiches Land“, aber „heruntergewirtschaftet“.

    Man sollte diese Phraseologie vermeiden, sie ist erstens unwissenschaftlich und zweitens irreführend über das Verhältnis von Staat, Kapital und Individuum.

  10. „Die Verschärfung des Konflikts in Mali treibt Tausende Flüchtlinge auf die Kanarischen Inseln

    Mauretanien steht vor der Herausforderung, rund 200.000 Malier aufzunehmen, die vor dem Krieg fliehen, während die Route nach Italien aufgrund von Vereinbarungen zwischen Tunesien und der EU zusehends versperrt wird

    Die Verschärfung und Ausweitung des Konflikts in Mali und der Stop des Transits durch Tunesien nach den Vereinbarungen mit der EU im Jahr 2023, die laut UNHCR zu einem Rückgang der Ankünfte in Italien um 66 % geführt haben, sind zwei Faktoren, die die Migration auf die kanarische Route vorantreiben.

    Tausende Malier fliehen vor dem Konflikt in ihrem Land. Hinzu kommt, dass das Transitland Mauretanien, das Land, durch das sie reisen, nicht in der Lage ist, diesen Strom zu bewältigen,“

    – eine interessierte Betrachtungsweise des spanischen Autors, der damit dem Land guten Willen, aber fehlende Möglichkeiten zubilligt.
    Mit „bewältigen“ meint er offenbar „aufhalten“, weil wie sollte man einen solche Reisetätigkeit sonst „bewältigen“? Sie wollen ja nicht nach Mauretanien, sondern nach Spanien, insofern ist das Transitland ohnehin gut geeignet …
    Der Autor bezieht sich offenbar darauf, daß die seit Jahren von Spanien an Mauretanien geleistete Unterstützung zur Überwachung der Küste aufgrund des erhöhten Flüchtlingsaufkommens nicht mehr reicht –

    „der Mali in diesem Jahr zum ersten Mal zum Haupt-Absprungsbrett der irregulären afrikanischen Auswanderung nach Spanien gemacht hat.
    Der spanische Präsident Pedro Sánchez landet an diesem Dienstag in Mauretanien zu einem Besuch, der ihn auch nach Gambia und Senegal führen wird, wobei die irreguläre Auswanderung ein zentrales Thema ist.“

    „Ein zentrales Thema“ – nur deswegen fährt er überhaupt dorthin.

    „Diese Veränderung bei der Herkunft der Flüchtlinge ist sehr bedeutsam, denn im Vergleich zu Marokkanern und Senegalesen, die eher Wirtschaftsflüchtlinge sind, ist die Mehrheit der Malier auf der Flucht vor einem Krieg.“

    Eine relativ willkürliche Universalbezeichnung, mit der den Regierungen Marokkos und Senegals ein Persilschein ausgestellt wird – Es sind gute Regimes –

    „Tatsächlich werden 96 % der Staatsangehörigen dieses Landes, die in Spanien Asyl beantragen, akzeptiert, so Xavier Creach, Koordinator für die Sahelzone des Hohen Flüchtlingskommissariats der UNO (UNHCR). »Es sind Menschen, die Schutz brauchen. Dieses Problem lässt sich nicht mit Einwanderungskontrollen lösen. Wenn die Malier keine Möglichkeit haben, in der Region zu bleiben, werden sie die Region weiterhin verlassen.«“

    Hier merkt man, um was es eigentlich geht, weil die Anerkennungsquote eine Mißbilligung der dortigen Regierung beinhaltet.

    „Die Kontrollen sind notwendig, aber es wäre schön, wenn der spanische Präsident Pedro Sánchez bei seinem Besuch auch über die Schaffung von Schutzräumen in Afrika sprechen könnte“, sagt er.“

    Macht er bestimmt – „Schutzräume“ heißt, daß die betreffenden Staaten doch diese Flüchtlinge bei sich kasernieren sollen, damit sie nicht nach Europa kommen.

    „Der Krieg in Mali, der 2012 ausbrach, als Tuareg-Rebellen und dschihadistische Gruppen im Norden des Landes zu den Waffen griffen, hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschärft. Die malische Armee und ihre russischen Verbündeten von der Kompanie Wagner haben eine Offensive gestartet, um die Kontrolle über das von bewaffneten Gruppen besetzte Zentrum und den Norden des Landes zurückzugewinnen. Diese Kampagne war durch die Begehung von Massakern an Zivilisten – wie dem von Moura im Jahr 2022 – gekennzeichnet. Es kam zu Plünderungen, Folter und Vergewaltigungen, die zu einem Anstieg der Zahl der Flüchtlinge geführt haben, die in Mauretanien und anderen Nachbarländern ankommen.“

    Diese Charakterisierung des Bürgerkriegsgeschehens in Mali ist relativ oberflächlich, die Botschaft ist jedoch klar: Russische Söldner stiften Unfrieden und die Flüchtlinge kommen dann auf die Kanaren, wo sie natürlich sofort als Flüchtlinge anerkannt werden.

    „Trotz dieser solchermaßen entfalteten Gewalt zeigt die Offensive nicht die erwarteten Ergebnisse. “

    Surprise, surprise.

    „Die Tuareg-Rebellen bedrängten die russisch-malischen Streitkräfte und die dschihadistischen Gruppen konnten ihren Aufstand auf das ganze Land ausweiten, wobei sie die Umgebung der Hauptstadt und Regionen wie Kayes und Sikasso im Westen bzw. Süden trafen, die bisher am wenigsten von dem Konflikt betroffen waren.“

    Wie dem Bisherigen unschwer zu entnehmen ist, handelt es sich um mehrere Konflikte, weil die Tuareg sind keine Islamisten. Aber das ist ja gleich, das Schlimme in den Auseinandersetzungen sind sowieso die russischen Söldner.

    „Allein im August dieses Jahres bekannte sich die Unterstützungsgruppe für Islam und Muslime (JNIM) zu zwei Anschlägen in Melgué und Yelimané, einem Sprengsatz in Diabaly, alle nahe der mauretanischen Grenze, und der Detonation einer Mine in Yorosso der Süden.

    Aber die Malier fliehen nicht nur vor der Ausweitung des Konflikts auf praktisch das ganze Land, sondern auch vor den verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Krieges, die zu der wachsenden regionalen und internationalen Isolation hinzukommen, unter der sie nach der Machtübernahme des Militärs leiden: Ackerbauflächen werden verlassen, Weideflächen sind jetzt unzugänglich, Benzinknappheit und tägliche Stromausfälle sind an der Tagesordnung und der Handel ist ernsthaft beeinträchtigt. »Wenn man Geld von einer Bank in Bamako abheben will, ist die Höchstgrenze 1.500 Euro, weil nicht einmal die Banken Geld haben.“

    Kein Geld oder keine Euros? Der Text bleibt diesbezüglich unklar. Wahrscheinlich mit Absicht, weil der Autor sowieso keine Ahnung vom malischen Geld hat.
    Dort war nämlich bis vor kurzem der CFA-Franc üblich, der inzwischen vermutlich nicht mehr von Frankreich gestützt oder von der malischen Regierung bedient wird.

    „»Alle Unternehmer gehen weg«, sagt ein malischer Geschäftsmann, der jetzt im Senegal lebt.

    Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge, sowohl aus Maliern als auch aus anderen Ländern, die in der Region Konflikte erleben, bleiben auf dem afrikanischen Kontinent selbst. Doch auch dort steigen die Zahlen rasant an. Im vergangenen Juli gab es in West- und Zentralafrika 13,7 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene, 25 % mehr als im Juli 2023. Noch vor fünf Jahren waren es 6,5 Millionen. »Es ist klar, dass die 22.000 Menschen, die in sechs Monaten auf den Kanarischen Inseln angekommen sind, eine große Herausforderung für die Behörden der Inseln darstellen, aber diese Zahlen müssen mit den Flüchtlingszahlen in Afrika in Zusammenhang gebracht werden.« Allein in Burkina Faso, einem sehr armen Land,“

    – diese Bestimmung suggeriert, daß die Staaten in der Umgebung mehr oder weniger in Geld schwimmen –

    „gibt es zwischen 2 und 3 Millionen Binnenvertriebene. Im Tschad gibt es 1,2 Millionen Flüchtlinge, die Hälfte davon aus dem Sudan; und in Mauretanien, das fünf Millionen Einwohner hat, gibt es etwa 200.000 malische Flüchtlinge“, sagt Creach.

    Weniger Hilfe von außen

    Paradoxerweise führt die Zunahme der Obdachlosen nicht zu einer Erhöhung der internationalen Hilfe, ganz im Gegenteil.“

    Die muß ja auch irgendwoher finanziert werden, also ein Paradox ist das nicht.

    „Konnten die Geber im Jahr 2020 nur 60 % des Bedarfs von Burkina Faso, Mali und Niger zur Versorgung von Flüchtlingen und Vertriebenen decken, werden im Jahr 2024 nicht einmal 20 % der benötigten rund 2 Milliarden Euro finanziert sein. Die Krise in Mali wird nämlich von anderen Konflikten in der Welt überschattet. »Wenn Flüchtlinge keine Bildung, keine Gesundheitsversorgung, keinen Zugang zu Nahrung und Wasser erhalten oder keine Arbeit finden, ist ein Aufenthalt in Afrika für sie keine Option mehr«, sagt der UNHCR-Koordinator für die Sahelzone.

    Da es nicht möglich ist, Visa zu erhalten, sind die beiden traditionellen Routen der malischen Auswanderung nach Europa die Kanarischen Inseln und das Mittelmeer, das durch die Sahara erreicht wird und zwei Länder als Hauptausgangspunkte für Boote hat: Libyen und Tunesien.

    Allerdings machten die schweren Misshandlungen gegen Migranten im ersten Land, darunter Sklaverei, Folter und Entführungen, das zweite Land zum Epizentrum der Flucht nach Europa.“

    Auch ein Erfolg der EU-Politik, im Zuge derer den libyschen Milizen Geld hinübergeschoben wurde, damit sie Europa die Flüchtlinge vom Leibe halten.
    Die benahmen sich gegenüber den Flüchtlingen dann so, daß eine gewisse Abschreckungswirkung eingetreten ist.

    „Im Jahr 2023 kamen fast 160.000 Menschen auf dem irregulären Seeweg nach Italien, doch im Jahr 2024 ist ein Rückgang um 66% zu verzeichnen. Hinter diesem Rückgang stehen die von Italien und der EU mit Tunesien unterzeichneten Abkommen, die Investitionen von mehr als 1 Mrd. Euro vorsehen.“

    Alles recht günstig oder preisdrückerisch, wenn man diese Ausgaben mit dem vergleicht, was gegenwärtig an „Hilfen“ in die Ukraine geschoben wird …

    „Im Gegensatz dazu hat Tunesien nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen eine beispiellose Verfolgungspolitik gegen Migranten aus Ländern südlich der Sahara eingeleitet.“

    „Beispiellos“ ist sie keineswegs, sondern den tunesischen Behörden dienten die Behandlung der Flüchtlinge durch die libyschen Milizen als Vorbild. Folter, Versklavung und Vergewaltigung haben ja durchaus eine abschreckende Wirkung, wenn sie flächendeckend eingesetzt werden.

    Human Rights Watch hat Misshandlungen, Schläge, exzessive Gewaltanwendung, Fälle von Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, kollektive Ausweisungen, gefährliche Aufgriffe auf See, Zwangsräumungen sowie Diebstahl von Geld und Eigentum an Migranten dokumentiert.

    Ärzte ohne Grenzen wirft der EU »Mitschuld am anhaltenden Missbrauch gefangener Migranten« in Tunesien vor, dessen Präsident Kais Said wegen seiner Äußerungen gegen Migranten Rassismus vorgeworfen wird. Die harte Politik Tunesiens hat dazu beigetragen, daß sich die Route über die Kanarischen Inseln heute für Tausende von Maliern immer mehr anbietet. »Sie kommen auf Straßen oder überqueren einfach die Grenze«, sagen Quellen der mauretanischen Regierung,

    – Mauretanien hat 2236 km Grenze mit Mali, aber es gibt praktisch keine Verbindungen zwischen den beiden Staaten, die nur im weitläufigsten Sinne dem entsprechen würden, was man hierzulande unter „Straße“ versteht –

    »wir haben ein Freizügigkeitsabkommen, unsere Nomaden gehen auch auf der Suche nach Weideland nach Mali, und darüber hinaus sind wir sowohl aus Solidarität als auch per Gesetz verpflichtet, sie so gut wie möglich willkommen zu heißen«.

    Offizielle Zahlen sprechen von etwa 110.000 malischen Flüchtlingen in Mauretanien, doch die Realität liegt weitaus höher und könnte bei etwa 200.000 liegen: Das Lager Mbera erreichte vor Monaten seine Kapazitätsgrenze und beherbergt die Hälfte von ihnen. Der Rest lässt sich außerhalb des Lagers nieder oder versucht sein Glück in den Städten. Letztere haben stets als weitere Option den Sprung auf die Kanarischen Inseln.

    »Mauretanien kann nicht mehr tun«, sagt derselbe Interviewpartner (des mauretanischen Ministeriums). »im Februar war der spanische Präsident da und hat viele Versprechungen gemacht, aber bis heute ist nichts passiert. Es herrscht ein gewisses Unbehagen über diese unerfüllten Versprechen. Wir müssen unsere Sicherheit mit Drohnen, Fahrzeugen, Radargeräten und Material verstärken, aber wir brauchen auch wirtschaftlichen Investitionen, um zu verhindern, dass unsere jungen Leute weggehen. Auch sie fangen nämlich an, in Boote zu steigen«, fügt er hinzu.

    Nouadhibou ist einer der traditionellen Abfahrtsorte, aber in den letzten Monaten sind viele Boote aus der Umgebung von Nouakchott in See gestochen, wo Kontrollen von mauretanischer Seite  oder durch die spanische Guardia Civil weniger häufig sind.“

    Die spanische Guardia Civil patrouilliert ganz selbstverständlich die Strände Mauretaniens …

    (El País, 27.8.)

  11. „Die Unterstützung der Ukraine für Tuareg-Rebellen, die gegen Wagner kämpfen, vergiftet den Sahel-Konflikt zusätzlich

    Mali, Niger und Burkina Faso fordern die UNO auf, gegen Kiew wegen seiner angeblichen Unterstützung des »Terrorismus in Afrika« vorzugehen.

    Die … Unterstützung der Ukraine für die Tuareg-Rebellen in ihrem Krieg gegen Wagners malische Armee und ihre russischen Verbündeten, die nach der Schlacht von Tinzaouaten im vergangenen Juli ans Licht kam, stellt eine neue Wendung in dem komplexen Konflikt dar, der in der Sahelzone herrscht und auf diese Region der USA übertragen wird

    Weltweit erinnern die Feindseligkeiten zwischen Moskau und Kiew an den Kalten Krieg. Am 19. August forderten die Militärjuntas, die Mali, Niger und Burkina Faso regieren und die Allianz der Sahel-Staaten (AES) bilden, die UNO auf, wegen dieser Unterstützung Maßnahmen gegen die Ukraine zu ergreifen.

    In einem gemeinsamen Brief an den Sicherheitsrat der UNO verurteilten die Außenminister der drei Länder »die offizielle und eindeutige Unterstützung der ukrainischen Regierung für den Terrorismus in Afrika, insbesondere in der Sahelzone« was, wie sie bekräftigen, »eine Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität« darstellt. In diesem Sinne fordern sie die UNO auf, »geeignete Maßnahmen gegen diese subversiven Handlungen zu ergreifen, die terroristische Gruppen in Afrika stärken«.

    Am 27. Juli wurde ein Konvoi aus Wagner-Söldnern und malischen Soldaten am Stadtrand von Tinzaouaten im Norden Malis nahe der Grenze zu Algerien von den Tuareg-Separatisten des »Ständigen Strategischen Rahmens zur Verteidigung des Volkes von Azawad« angegriffen (CSP-DPA, Abkürzung auf Französisch) und von Dschihadisten der Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime (JNIM, Abkürzung auf Arabisch).“

    Interessant, daß diese beiden Gruppierungen sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten, was auf militärisch-diplomatische Einflußnahme im Hintergrund weist.
    Nur von der Ukraine oder von jemandem anderen auch, z.B. Frankreich?

    „Nach Angaben der CSP-DPA starben in dieser Schlacht 84 russische Auftragnehmer und 47 malische Soldaten. In einer späteren Erklärung räumte Wagner ein, schwere Verluste erlitten zu haben.

    Zwei Tage später versicherte Andrij Jusov, Sprecher des Geheimdienstes des ukrainischen Verteidigungsministeriums (GUR), in einem Interview mit dem Fernsehen seines Landes, daß die Tuareg-Rebellen »die notwendigen Informationen und nicht nur Informationen erhalten haben, die es ihnen ermöglichten, eine erfolgreiche Militäroperation gegen russische Kriegsverbrecher durchzuführen.« 
    CSP-DPA nahestehende Quellen stimmen darin überein, dass die Ukraine Geheimdienstinformationen über die Bewegungen der Wagner-Kolonne bereitgestellt hat, dass sie aber in den letzten Monaten auch zur militärischen Ausbildung der Tuareg-Rebellen im Einsatz leichter Drohnen beigetragen hat, die kleine Sprengstoffe abwerfen können.“

    Die Drohnen kamen von wem?

    „Diese Aussagen sowie die Veröffentlichung eines Videos in sozialen Netzwerken, in dem Wagners Niederlage vom ukrainischen Botschafter im Senegal, Jurij Piwowarow, gefeiert wurde, motivierten zunächst Mali und dann Niger, die diplomatischen Beziehungen mit der Ukraine abzubrechen.

    Die senegalesische Regierung erinnerte Kiew außerdem an die Pflicht zur Diskretion und Nichteinmischung seiner Diplomaten und verurteilte das »Lob des Terrorismus« seines Botschafters.
    Sogar die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), die im Konflikt mit den ESA-Ländern steht, gab Tage später eine Erklärung ab, in der sie »jede ausländische Einmischung in die Region, die eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darstellen könnte, sowie jeden Versuch, die Region in die aktuellen geopolitischen Konfrontationen hineinzuziehen« verurteilte.

    Die ukrainische Regierung bestreitet, den »internationalen Terrorismus« zu unterstützen, wie ihr die Sahel-Länder vorwerfen, und wirft Mali vor, die Beziehungen abgebrochen zu haben, »ohne Beweise für die Beteiligung der Ukraine an der Schlacht von Tinzaouaten vorzulegen«.
    Allerdings unternimmt Kiew erhebliche Anstrengungen, um dem zunehmenden russischen Einfluss in Afrika entgegenzuwirken. Sein Außenminister Dmitro Kuleba hat den Kontinent bereits 4-mal bereist und versprochen, »Afrika von Russland zu befreien«.

    Obwohl sich seine Worte auf diplomatische Bemühungen beziehen, ist Mali nicht das erste afrikanische Land, in dem die Ukraine Wagner gegenübersteht: Ukrainische Spezialeinheiten kämpfen im Sudan an der Seite der Armee gegen die Rapid Support Forces, die wiederum als Verbündete russischer Söldner gelten.“

    Sieh da, sieh da.
    Man sollte meinen, die Ukraine braucht alle ihre Soldaten selbst?

    „Auf malischem Boden wurde keine Anwesenheit ukrainischer Streitkräfte bestätigt, aber die Worte des Geheimdienstsprechers sind eindeutig.
    Das Problem ist der Ausdruck der »Unterstützung des Terrorismus«, den Kiew bestreitet. Es ist nicht nur ein semantisches Problem.

    In ihrer Kommunikationsstrategie bezeichnet die malische Militärjunta sowohl die dschihadistischen Gruppen als auch die mehrheitlich von Tuareg dominierten Unabhängigkeitsgruppen im Norden des Landes als »Terroristen«.“

    Es ist ja inzwischen modern, alle nicht genehme Opposition, die man loswerden möchte, als „terroristisch“ zu bezeichnen.
    In Afrika handelt es sich allerdings um bewaffnete Separatisten und Islamisten, also die stehen diesem Begriff schon etwas näher.

    „Obwohl es sich um unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien handelt, haben Rebellen und islamische Radikale in der Vergangenheit zusammengearbeitet, zwischen ihnen herrscht große Porosität“

    – was immer das heißen mag, El País benützt hier mit Absicht einen sehr schwammigen Begriff –

    „und sie haben einen gemeinsamen Feind: die malische Armee und ihre Wagner-Verbündeten. Obwohl es offiziell keine gemeinsame Strategie gibt, gilt als gesichert, daß in Tinzaouaten sowohl die CSP-CDA als auch die JNIM den selben Militärkonvoi bekämpft haben.

    Die ukrainische Unterstützung für eine Rebellen- und Unabhängigkeitsgruppe, selbst wenn sie einer Militärjunta gegenübersteht, die durch einen Staatsstreich an die Macht kam, hat in vielen afrikanischen Ländern Unbehagen ausgelöst. Insofern stellt sie einen Rückschlag für Kiews Strategie dar, die Gunst eines Kontinents zu gewinnen, wo Russland, der wichtigste Waffenexporteur des Kontinents, wichtige Verbündete hat und wo rund 20 Staaten sich weigerten, die Invasion in der Ukraine zu verurteilen.
    »Die Erinnerung daran, wie die USA und die UdSSR den Kalten Krieg nach Afrika, wie nach Somalia, Angola oder der Demokratischen Republik Kongo übertrugen, die sich zu vergifteten Konflikten entwickelten, ist noch immer sehr präsent. Auch die Ukraine sollte sich daran erinnern, wenn sie den afrikanischen Kontinent auf ihrer Seite haben will«, sagt ein afrikanischer Diplomat.“

    (El País, 28.8.)

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