Eine Bilanz des Ukrainekriegs, 31. Oktober 2024

UNANGENEHME; ABER VORAUSSEHBARE ENTWICKLUNGEN

Voraussehbar nur für den, der nicht von Wunschdenken geleitet wird …

1. Die Lage in der Ukraine selbst

Seit 2023 rücken die russischen Truppen auf allen Frontabschnitten vor. Mit der Einnahme von Selidowe ist der Weg frei nach Pokrowsk. Auch an den anderen Frontabschnitten stehen die ukrainischen Truppen auf verlorenem Posten. Tschasow Jar, Sewersk, Kurachowe stehen kurz vor dem Fall. Damit überwinden die russischen Truppen die mit Bunkern ausgebaute ukrainische Verteidigungslinie und können ab da ziemlich ungehindert vorrücken. Mit dem Fall von Ugledar wurde auch im Süden eine wichtige Verteidigungsbastion überwunden.

Mit der ukrainischen Invasion nach Kursk wurde von ukrainischer Seite der Versuch unternommen, die bedrängten Frontabschnitte zu entlasten und gegenüber der NATO einen militärischen Erfolg vorzuweisen. Auf lange Sicht war das allerdings auch ein Schuß ins Knie, weil für diesen Schritt von anderen Frontabschnitten Truppen abgezogen werden mußten, die dort jetzt fehlen.
Die russische Armee läßt sich Zeit beim Bekämpfen der ukrainischen Truppen in Kursk, weil sie die dortigen ukrainischen Truppen binden und an der Rückkehr an andere Frontabschnitte hindern wollen.
Inzwischen wurden nordkoreanische Soldaten für diesen Frontabschnitt herbeigeholt.
Nordkorea ist nämlich sehr interessiert daran, seine Elitesoldaten einmal tatsächlich im Kampf auszuprobieren. Im Rahmen der neuen wiederbelebten Freundschaft mit Rußland gefällt ihnen die Möglichkeit, auch Südkorea damit zu drohen, daß sie über wirkliche Kampfmaschinen verfügen, die zu wahren Wundertaten fähig sind. Es ist sehr wahrscheinlich, daß bei der Rückeroberung der Provinz Kursk eine ziemliche Schlächterei unter den ukrainischen Truppen stattfinden wird. Was auch westliche Söldner betreffen könnte, die dort angeblich auch im Einsatz sind.

Mit dem Nachschub an Waffen schaut es auch schlecht aus. Niemand wollte die teuren Patriot-Systeme liefern, vor allem, nachdem die russische Armee 2 oder 3 von ihnen zerstört hat. Außerdem wurde mit einem dieser Systeme von ukrainischer Seite eine der wenigen F-16 abgeschossen, was sowohl das F-16-Experiment als auch die Patriot-Lieferungen ziemlich abrupt gestoppt hat. Die Ukraine erhält also inzwischen nur noch Munition, und auch die sehr begrenzt. Panzer erhält sie praktisch keine mehr.

Ebenso ist inzwischen auch in westliche Medien vorgedrungen, daß die Desertionen in der ukrainischen Armee zunehmen. In russischen Medien konnte man schon früher darüber lesen, daß die ukrainischen Zwangsrekrutierten, die auch inzwischen fast keine Ausbildung mehr erhalten, bei der ersten besten Gelegenheit abhauen, wenn sie nicht von ukrainischen, sogar ausländischen Soldaten daran gehindert werden.
Inzwischen kann man sogar in ukrainischen Publikationen über das Phänomen lesen – auch darüber, daß viele Soldaten vom Heimaturlaub nicht mehr an die Front zurückkehren, weil sie die Nase voll haben von der aussichtlosen Vaterlandverteidigung.
Dazu kommt, daß die sich Rekrutierungsabteilungen, die seit geraumer Zeit eine wahrhaftige Menschenjagd auf Wehrpflichtige unternehmen, wachsendem Widerstand gegenüber sehen. Auch darüber gibt es Berichte, daß von diesen Abteilungen immer mehr Leute abhauen.
Bisher war nämlich dieser Job gefragt: Erstens wurde man selbst nicht eingezogen, zweitens konnte man sich an denjenigen Zahlungen bereichern, mit denen die Wehrpflichtigen sich dem Wehrdienst entzogen. Inzwischen fragen sich jedoch die Mitglieder dieser Rekrutierungsabteilungen, was mit ihnen nach einem möglichen Sieg der russischen Armee geschieht?

2. Das internationale Panorama

Dort ist inzwischen einiges geschehen.

Erstens haben sich die meisten Staaten der Welt nicht den von den USA und der EU verhängten Sanktionen angeschlossen. Das hat von Anfang an, also seit Februar 2022, gezeigt, daß die NATO und der „Globale Westen“ nicht besonders populär sind.

Auch der Ausschluß Rußlands aus dem SWIFT-System hat sich nicht als Wunderwaffe erwiesen, sondern dazu geführt, daß andere Zahlungsformen entwickelt wurden. Am Ende vom Tag wird das ganze SWIFT-System dadurch entwertet und auf immer weniger Partner zurückgeschrumpft. Auch hier hat sich der Westen ins Knie geschossen und humpelt seither, weil immer mehr Geschäfte außerhalb dieses Systems getätigt werden.

Außerdem kommt das BRICS-System voran. Immer mehr Staaten wollen diesem Bündnis beitreten. Nur deshalb wird diesem Begehr von Seiten der BRICS-Staaten nicht entsprochen, weil die bisherigen Mitglieder daran arbeiten, dieses Bündnis erst überhaupt zu etablieren.
Die Vorstellung der multipolaren Welt, innerhalb derer das BRICS-System funktionieren könnte bzw. deren Grundlage es bilden sollte, will erst einmal auf solide Grundlagen gestellt werden.

Im Zuge dessen sollten wichtige Mitglieder, wie China und Indien, erst einmal ihre Gegensätze arrangieren. Grenzstreitigkeiten müssen begraben werden.
Im Falle des Iran stehen Fragen der Art an, wie die restlichen BRICS-Staaten zu den Angriffen Israels stehen. Heißt so ein Staatenbündnis auch, daß man einander militärisch beisteht? Oder genügen ökonomische Maßnahmen, wie eine wirtschaftliche Blockade?

Schließlich treten auch Staaten wie Nordkorea, Vietnam, Laos oder die Mongolei in den Vordergrund, um Rußlands und Chinas Interessen zu befördern. Sei es militärisch oder ökonomisch, um außerhalb des SWIFT-Systems Handel zu treiben und als Transit-Staat zu fungieren, sei es, um militärische Kooperation zu betreiben, oder um aus strategischen Lagen zu profitieren. Alte Völkerfreundschaften werden neu belebt und neue geschaffen, wie mit Sri Lanka oder Myanmar.
Alle diese Staaten eilen begierig in Richtung BRICS, um der Umarmung der USA oder des IWF zu entkommen. Sie haben also zunächst ein rein negatives Interesse.

Ein eigenes Kapitel ist Afrika, wo mehrere Staaten um die Vorherrschaft rittern. Südafrika, Ägypten, Algerien und Nigeria hätten allesamt gerne die Nase vorn. Auf diesem Kontinent ist noch gar nichts entschieden, aber China und Rußland haben als neue Schutzmächte die Nase vorn.
Die Frage ist vor allem, wie weit die Marktwirtschaft dort der Motor der Entwicklung wird und inwiefern das Kreditsystem der chinesischen Schanghai-Entwicklungsbank die Regierungen der afrikanischen Staaten befriedigen wird.

Schließlich kommen hinzu die US-Wahlen. Sogar wenn Kamala Harris gewinnen sollte, wird angesichts des traurigen Bildes, das sich an der ukrainischen Front herauskristallisiert, die Unterstützung aus den USA bald aufhören. Es fehlt einfach die Perspektive für weitere Unterstützung.
Gewinnt Trump, so werden die USA recht geschwind aus dem schiefgegangenen Abenteuer Ukraine aussteigen.

In beiden Fällen muß die EU überlegen, wie sie weiter mit diesem Klotz am Bein umgehen will – noch mehr, wenn die russische Armee wirklich gewinnt.

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