Der wirtschaftliche Abstieg des Westens

DIE ERGEBNISSE DER KRIEGSWIRTSCHAFT

Es ist angebracht, zu diesem Thema eine neue Beitragsseite einzurichten, weil sich die Ereignisse hier sozusagen überschlagen und die alte Seite zu den Sanktionen erstens voll und zweitens schon überholt ist.

In Folge der Erklärung des Wirtschaftskrieges ist nämlich eine verschärfte Konkurrenz der alten kapitalistischen Mächte ausgebrochen, die sich in Handels- und Währungsturbulenzen äußert, wobei noch viel Luft nach oben ist.

Die russische Ökonomie orientiert sich Richtung Osten um, die BRICS erstehen wieder auf und werden sich möglicherweise noch erweitern, und der europäische Wirtschaftsraum verliert rapid an Bedeutung.

136 Gedanken zu “Der wirtschaftliche Abstieg des Westens

  1. Russian demand for China's currency has surged 8x with ruble-yuan trading volumes at record highs

    • Russia's appetite for the Chinese yuan has grown eightfold since May 20, Reuters first reported. 
    • Meanwhile, ruble-yuan trading volume hit a record high of about $703 million this week.
    • Moscow said last week it wants to weaken the ruble through purchases of "friendly" currencies.

    Russians are embracing the Chinese yuan as Western sanctions on Moscow spur a drive to diversify away from the dollar and euro.

    Purchases of the yuan have jumped eightfold since May 20, when Russia's central bank eased foreign exchange restrictions, the state bank Otkritie said, according to Reuters.

    »The Chinese yuan has shown stability and relatively low volatility in recent years, and it can become the main tool for diversifying forex savings,« Aliya Zubkova, Otkritie's deputy head of forex, told Reuters.

    Russian have also stepped up purchases of the British pound and Swiss franc by two-and-a-half times, while dollars and euros saw less demand, according to Otkritie. 

    Meanwhile, the Moscow Exchange said ruble-yuan trading volume hit an all-time high this week of 44.3 billion rubles, or about $703 million. Ruble-yuan trading first started in 2013, and daily trading volume hit 25 billion rubles in April.

    Last week, Russia's finance minister said the country is weighing weakening the ruble by purchasing "friendly" currencies to influence its exchange rate

    The ruble has soared to seven-year highs against the dollar thanks in large part to the Russian central bank's curbs on currency outflows and steep interest rate hike after the invasion of Ukraine. 

    https://markets.businessinsider.com/news/currencies/russian-demand-china-currency-ruble-yuan-trading-volume-forex-sanctions-2022-7

    Der Rubel ist auch deshalb gestiegen, weil Rußland durch die hohen Gas- und Ölpreise mehr eingenommen hat als im vorigen Jahr.

  2. und auch das noch zur Ergänzung:

    Apple, Mercedes, Miele: So gelangen westliche Waren trotz Sanktionen weiter nach Russland

    Wegen des Kriegs dürfen westliche Unternehmen keine sanktionierten Waren mehr nach Russland liefern. Über Drittländer landen sie trotzdem dort. Ein Milliardenmarkt.

    Westliche Produkte gelangen weiterhin nach Russland, obwohl sich viele Firmen aus dem Land zurückgezogen haben. Russland hat sogenannte Parallelimporte von mehr als 50 Warengruppen legalisiert. So nennt man Importe ohne Zustimmung des Herstellers, die meist über Drittländer abgewickelt werden, die keine Sanktionen verhängt haben.

    Ein entsprechendes Gesetz der Staatsduma von Ende Juni gilt vorerst bis Jahresende. Die Rechtsgrundlage hatte Russland schon im März durch eine Verordnung geschaffen.

    Auf der Liste der so zugelassenen Produkte stehen auch viele deutsche Hersteller: Autos und Ersatzteile von Mercedes, Volkswagen, Tesla, ZF oder Continental, Haushaltsgeräte von Miele und Philips, Smartphones von Apple und Samsung, Klebstoffe von Henkel oder Produkte, die für den Betrieb von Produktionsanlagen oder Zügen nötig sind, wie sie etwa Siemens oder Bosch produzieren.

    Importe werden zum Imagerisiko für Apple, Miele und Mercedes.

    https://www.handelsblatt.com/unternehmen/parallelimporte-apple-mercedes-miele-so-gelangen-westliche-waren-trotz-sanktionen-weiter-nach-russland/28481686.html

    Der Rest des Artikels verschwindet hinter einer Bezahlschranke, aber das Sichtbare reicht auch schon.
    Die westlichen Firmen wollen ja diesen Parallelimport durch Umgehung der Sanktionen, weil sie auf den russischen Markt nicht verzichten wollen.
    Und ihre Nationen wollen das inzwischen ja auch, weil sonst der wirtschaftliche Crash noch härter ausfallen würde.

    Man wird sehen, wie lange dieser Eiertanz weitergeht.

  3. … und noch was zum Gas:

    „Im Falle Deutschlands, Hauptkunde für russisches Gas und größte Volkswirtschaft der EU, beträgt die Liefermenge derzeit 40% und und Nord Stream 1 … sperrt am Montag komplett aufgrund von Wartungsarbeiten. Die waren an und für sich vorgesehen und angekündigt und sollten 10 Tage andauern. Viele denken, daß nachher kein Gas mehr fließen wird.“

    Warum nur?
    Ist das ein Wunschdenken? oder Panikmache zum Erzielen höherer Preise? oder soll da politischer Druck aufgebaut werden?

    „Die Gasspeicher in der EU sind derzeit zu 60% gefüllt. Das sind 10 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, aber weniger als in den Jahren 19 und 20.
    Die Speicherung ist ein wichtiger Polster, aber selbst wenn es gelingt, die Speicher bis zum Eintreten der kalten Jahreszeit zu füllen, stellt das keine Garantie zur Vermeidung von Abschaltungen dar. Die Speicherkapazitäten stellen nämlich nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Gesamtverbrauchs dar.
    Im Falle des plötzlichen Versiegens der Lieferungen wären die sehr unzureichend und es ist auch verfehlt, zu denken, man könnte die ausgefallenen Liefermengen völlig durch andere Lieferanten auf dem Markt kompensieren.“

    (El País, 9.7.)

    Olaf Scholz kündigt Uniper-Rettung an
    Das Unternehmen kämpft aufgrund der Gasdrosselung seitens Russlands gegen die Insolvenz. Wie die Unterstützung genau aussieht, ist noch unklar.

    https://www.zeit.de/video/2022-07/6309288953112/energiekrise-olaf-scholz-kuendigt-uniper-rettung-an

    Hier zeigt sich, wie verfehlt die Liberalisierung des Energiemarktes war. Möglicherweise wird die jetzt im Rahmen der Krisen-Ökonomie wieder rückgängig gemacht.

    Es wäre gut, sich mit Rußland zu einigen, aber wer will das schon.

    Die Politik geht hier klar gegen das Interesse ihrer Bevölkerung vor, und zwar unabhängig von der Klassenzugehörigkeit.

    Damit gräbt sie sich allerdings selbst das Wasser ab, denn die Handlungsfähigkeit – und Verschuldungsfähigkeit! – einer Regierung hängt von ihrem wirtschaftlichen Output ab.

  4. Soviel ich weiß wurde der Gasdurchfluss um 40% reduziert, was nicht das selbe ist, wie 40% der möglichen Gasmengen von Nordstream 1. 

    Die Liberalisierung war eigentlich in allen Bereichen ein Fehler. Im Gesundheitswesen oder auf dem Wohnungsmarkt, wo lange Jahre der kommunale Wohnungsbestand an große Immobilienkonzerne verscherbelt wurden. Vorgestern war z.B. eine Ärztin in Talk im Hangar 7 die davon berichtet hat, wie übel es dort zugeht, dass alles nur auf Gewinn ausgelegt ist, die Patienten nicht richtig versorgt werden, das Personal am körperlich und seelisch am Anschlag arbeitet und das oftmals schlicht und einfach nicht mehr aushält und in andere Berufe abwandert. Sogar der Nachwuchs bleibt aus, spätestens wenn die Ärzte ein Klinikpraktikum machen, kommt der große Schock und viele wechseln dann den  Beruf. Ein so organisiertes Gesundheitswesen wirft dann vielleicht Gewinn ab, aber wehe dem der krank wird und auf diese Maschinerie angewiesen ist. Wer den Autounfall überlebt, der überlebt möglicherweise nicht das Krankenhaus.

  5. Natürlich hat das alles nicht der Bevölkerung gedient, aber es sollte ja dem Kapital Gewinne verschaffen.

    Die Privatisierung von allem und jedem war das Credo der EU, darauf hat sie sich gegründet. Das hielten ihre Macher und Anhänger für den Königsweg, um die USA auszustechen.
    Das haben ja die Neoliberalismus-Kritiker immer beklagt, denen schwebte ein Sozialstaat wie zu Zeiten des Kalten Krieges vor. Sie konnten das nicht anders erklären als mit moralischen Kategorien, die Bevölkerung würde verraten, alles würde an das Kapital „ausverkauft“ usw.
    Ganz in Vergessenheit ist dabei geraten, daß die Marktwirtschaft ja eben genau das heißt. Dem Kapital Profite verschaffen und den Rest der Mannschaft für diesen Zweck herrichten.

    Daß während des Kalten Krieges eine gewisse Zurückhaltung angesagt war und auch Europa nach dem Krieg wiederaufgebaut werden mußte, hat den seinerzeitigen Sozialstaat verursacht, der in den Nachbarstaaten des Eisernen Vorhangs am besten ausgestattet war.
    Nachdem der Feind im Osten weg war, so war diese Rücksichtnahme überflüssig und es haben sich ja auch die Massen Europas ihre Verarmung lange gefallen lassen, wenn sie dafür wenigstens Urlaub auf Malle kriegten und jede Art von seichter Unterhaltung.

    Allerdings ist damals bei den Regierenden eben ein wenig in Vergessenheit geraten, was Marx mit einem Rückgriff auf Ökonomen der Französischen Revolution die „faux frais“ nannte, die „falschen Kosten“, die das Kapital nicht allein stemmen kann und die der Staat übernehmen muß, damit die private Gewinnemacherei auf seinem Territorium hinhaut.

    Jetzt schauen alle blöd aus der Wäsche.

  6. Genau. Mit der Privatisierung der Bereiche in denen faux frais verausgabt werden, dachten sie Sphären zu eröffnen, die ebenfalls für die Gewinnemacherei taugen sollten. Alle Bereiche, die der Staat organisierte erschienen als Produkt einer falschen aufgeblähten unwirtschaftlichen Staatlichkeit, die der profitablen Bewirtschaftung entzogen waren – also als einziges irrationales kostenträchtiges Versäumnis.

    Spätestens mit der Pandemie hat sich aber gezeigt, dass die Bewirtschaftung durch den Staat gute Gründe gehabt hat. Plötzlich mussten nämlich ganze Abteilungen der Volkswirtschaft zugesperrt werden, um das am Anschlag arbeitende Gesundheitswesen nicht zu überlasten. Was natürlich die Nutzenverhältnisse auf den Kopf stellt. Schließlich soll das Gesundheitswesen, die notwendig im kapitalistischen Alltag anfallenden gesundheitlichen Schäden auffangen, damit sie nicht zum Problem für die Wirtschaft werden. Jetzt werden plötzlich Teile der Wirtschaft stillgelegt, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Man könnte meinen die Pandemiebewältigung folgt einzig und allein der Maxime zu vertuschen wie katastrophal sich sich diese neoliberalen Privatisierungen ausgewirkt haben. Beim Gas das selbe. Ich wette, dass es vor der Liberalisierung des Gasmarktes ein Bewusstsein dafür gab, wie kritisch und existentiell wichtig die Versorgung mit Gas für die ganze Wirtschaft ist. Speziell die Gasspeicher als Puffer sorgen dafür, dass kurzfristige Unterversorgung und Überversorgung ausgeglichen werden kann. Davon kann ein Land eigentlich nicht genug haben. Den Betrieb solcher Anlagen ganz liberal ausländischem Kapital wie Gazprom zu überlassen, ist für die Versorgungssicherheit destruktiv. Das führt dazu, dass bei jedem Huster, Aussetzer wie z.B. jetzt bei Nordstream 1 die Preise durch die Decke gehen und das Risiko besteht, dass die Wirtschaft nicht mehr beliefert werden kann. Das kann man jetzt sicher mit noch viel mehr Bereichen aus denen sich der Staat zurückgezogen hat durchexerzieren. 

    Das Ergebnis ist jedes mal, dass die Friktionen die durch solche Privatisierungen entstehen, in der Wirtschaft Schäden produziert, die in keinem Verhältnis zu dem Gewinn steht, der in diesen Geschäftsfeldern gemacht werden kann, weil er sich schädigend auf die gesamte Wirtschaft auswirkt. Und das war schließlich auch der Grund, warum das zuvor staatlich organisiert war. 

    Ein anderes Thema sind die unseligen Sanktionen.

  7. Sanktionen
    Auf dem Feld der internationalen Politik hat "Sanktion" die Bedeutung von Bestrafung. Sanktionen gelten dabei als einerseits die härtere Maßnahme im Vergleich zur verbalen Verurteilung und andererseits als die mildere Maßnahme im Vergleich zum Krieg. Dabei wird oft vergessen, dass Sanktionen völkerrechtswidrig sind, wenn sie nicht durch Art. 39 gedeckt sind.

    "Gelegentlich verhängen Staaten oder Staatenbündnisse (z. B. die Europäische Union) Wirtschaftssanktionen zum Beispiel gegen einen anderen Staat, gegen mehrere Staaten oder gegen Mitgliedsstaaten einer internationalen Organisation. Derartige Sanktionen sind völkerrechtswidrig, sofern sie nicht durch Artikel 39 ff. der UN-Charta gedeckt sind."

    "Artikel 39
    Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen." (Wikipedia)

    "Allerdings zeigt die Geschichte von Wirtschaftssanktionen: Sie funktionieren nur, wenn eine breite Koalition sie mitträgt."

    Es fragt sich , wie breit die Koalition eigentlich sein muss, damit sie funktionieren und was "funktionieren" eigentlich bedeutet? Klar haben Sanktionen Auswirkungen, denn

    "werden Handelsströme unterbrochen, trifft es beide Enden der Handelskette. Das macht die Entscheidung und das Votum für sogenannte Primärsanktionen so heikel.
    Man hat ja immer die Wirkungstheorie, dass sich wirtschaftlicher Schaden in politische Zugeständnisse ummünzen kann. Das heißt, man schaut innerhalb der wirtschaftlichen Verflechtungen, wo gibt es eine Beziehung, die – wenn ich diese unterbreche – mir weniger schadet als dem, den ich mit Sanktionen belege.“

    Sanktionen bestrafen also das Land dem sie gelten. Die Frage ist aber bestrafen sie das Land dem sie gelten mehr als das Land, das die Strafen verhängt und bringt es denjenigen zu einer Verhaltensänderung. Man muss lange suchen um Beispiele zu finden, von denen behauptet wird, dass sie erfolgreich waren. Als Beispiel wird Südafrika genannt.

    "Gegen Südafrika hatte der UN-Sicherheitsrat bereits 1963 zu einem Waffen­embargo aufgerufen und diesen Sanktionsaufruf später um einige Wirtschaftsbereiche erweitert. Doch erst 1977 verhängte die Staatengemeinschaft umfassende Sanktionen. Auch hier gilt, dass die internationale Isolation, die der südafrikanischen Führung nicht gleichgültig war, die wirtschaftlichen Kosten der Sanktionen und die Aussicht auf weitere Verschärfung einen wichtigen Beitrag zur Überwindung des Apartheidsystems leisteten. Auch Nelson Mandela hatte ausdrücklich umfassende Sanktionen gefordert und sie im Rückblick als wesentlich für die Überwindung der Apartheid ab 1990 bezeichnet."

    Gesetzt den Fall, es seien wirklich die Sanktionen gewesen, die zu einem Regimewechsel geführt haben und nicht das Ende des kalten Krieges, dann hat das also 13 Jahre gedauert.

    "Die Sanktionen gegen Libyen gelten ebenfalls als wirksam: Seit 1979 hatten die USA Strafmaßnahmen gegen Libyen verhängt, ab 1992 auch der UN-Sicherheitsrat, insbesondere wegen des Lockerbie-Anschlags und massiver Terrorismusvorwürfe gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi. Nachdem Libyen die Verdächtigten des Attentats gegen die Pan-Am-Maschine ausgeliefert hatte, lockerte der Sicherheitsrat 1999 einige Sanktionen. Dem Versuch Libyens, Chemiewaffen zu erhalten, folgten 2002 weitere US-Sanktionen. Anfang 2003 bot Libyen Verhandlungen zur Zerstörung seiner Massenvernichtungswaffen an. Die USA stellten bei diesen Gesprächen die Aufhebung der Strafmaßnahmen in Aussicht. Nachdem sich Libyen zur Entschädigung der Lockerbie-Opfer bereiterklärt hatte, hob der UN-Sicherheitsrat im September 2003 die Sanktionen auf."

    Sanktionen 24 Jahre in Kraft

    Sanktionen gegen den Iran wegen des Verdachts auf ein Atomprogramm, wurden 2006 Sanktionen verhängt, was eine Wirtschafskrise auslöste. Nach der Neuwahl des Staatspräsidenten, der versprach die internationale Isolation zu beenden, wurden die Sanktionen 2015 aufgehoben. 9 Jahre Sanktionen.

    Der Artikel aus dem diese Beispiele stammen spricht sich klar für Sanktionen aus.

    "Sanktionen sind ein Gradmesser für die Ernsthaftigkeit, mit der die internationale Gemeinschaft unterhalb der militärischen Schwelle auf Verstöße gegen internationale Normen reagiert. Bleiben entschiedene Reaktionen auf massive Regelverstöße aus, untergräbt dies die Glaubwürdigkeit, mit der die betroffenen Normen verteidigt und aufrechterhalten werden. Im Zusammenhang mit dem Iran und Syrien ist der Hinweis wichtig, dass diese Reaktionen unterhalb der Schwelle des Militärischen liegen. Denn im Fall Iran bestand die Möglichkeit eines militärischen Eingreifens durch Israel und die USA."

    1. Also waren es nicht allein die Sanktionen, sondern auch die Drohung, dass der Konflikt jederzeit militärisch eskaliert werden kann.

    Zudem wird ein ganz und gar irrationaler Grund angegeben. Sanktionen würden die “Ernsthaftigkeit” der "internationalen Gemeinschaft" unterstreichen. Was natürlich Blödsinn ist. Geglaubt wird auch eine verbale Verurteilung eines Staates und seiner Handlungen. Zudem ist das eine teure Ernsthaftigkeit.

    "Vor allem übersieht sie, dass es sich bei Sanktionen in erster Linie um Akte politischer Kommunikation handelt. Fordert ein Land, z.B. durch eine eindeutige Verletzung des Völkerrechts, die internationale Staatengemeinschaft heraus, so kann diese auf dreierlei Art reagieren: Sie kann rein verbal reagieren, militärisch intervenieren oder Sanktionen verhängen. Hinsichtlich der Optionen zwei und drei ist entscheidend: Aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft ist die – militärische oder wirtschaftliche – Bestrafung des Übeltäters ein öffentliches Gut. Das bedeutet, jede Regierung hat davon einen Nutzen, ganz unabhängig davon, ob sie sich an den Kosten der Strafaktion beteiligt hat oder nicht (Problem der Nicht-Ausschließbarkeit)."

    Eine Schädigung als Kommunikation zu bezeichnen ist natürlich eine Schönfärberei.  Im Fortgang wird aber deutlich worum es geht. Die Bestrafung sei öffentliches Gut – der "Nutzen" besteht also gar nicht in einem wirklich materiellen Nutzen, sondern in dem Prinzip, dass "überstaatliches Recht der internationalen Staatengemeinschaft" exekutiert werden soll. Also derjenigen Staaten, die sich dieser Staatengemeinschaft zurechnen und sich herausnehmen die Regeln dieser Staatengemeinschaft zu definieren. Das ist der Westen, die Nato, die USA und die EU. Der Wille die abtrünnigen Staaten unterzuordnen ist ein "öffentliches Gut" (gut ist das nur für die führenden Nationen) und dafür werden auch massive eigene Schäden in Kauf genommen. Weil es ums Prinzip geht verbietet sich eine nüchterne Kosten-Nutzen Rechnung. Der Haken bei der Bestrafung des Schurkenstaates ist, dass wenn diese Bestrafung nicht gelingt, die "Regeln" bzw. die Fähigkeit zur Regelsetzung dieser "Staatengemeinschaft" in Frage steht. Und das ist gleichbedeutend mit einem  Machtverlust der regelsetzenden Staaten.

    Sanktionen sind also ein kriegerischer Akt, der auf Unterordnung des feindlichen Willens zielt. Wie im Krieg wird nicht nachgerechnet was Sanktionen die sanktionierenden Staaten kosten. Der Anspruch auf Unterordnung muss unbedingt durchgesetzt werden. Im vorliegenden Fall von Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekrieges, erweisen sich die Sanktionen als ruinös und zwar nicht nur für den Adressaten. Das ist im Krieg nichts ungewöhnliches. (Allerdings gibt es Unterschiede. Manche der sanktionierenden Staaten trifft es mehr z.B. die EU. Manche trifft es weniger z.B. die USA.)

    Wenn schon die Staaten nicht nachrechnen, was Sanktionen sie kosten, kann man sich immerhin selbst ein Urteil bilden, wie aussichtsreich in dem speziellen Fall von Russland Sanktionen sind.

    1. Ist Russland nicht der Iran. Es ist das größte Land der Erde, es ist von der Anzahl der Sprengköpfe das Land mit dem größten Atomwaffenarsenal knapp vor den USA. Es liegt in der Ölförderung auf Patz 2 hinter den USA, knapp vor Saudi Arabien. 2020 fördert Russland 12.6% der Welterdölförderung und 16.6% der Welterdgasförderung. Bei der Getreideproduktion liegt Russland auf Platz 4, die Ukraine auf Platz 9. Es ist also klar, dass in einer globalisierten Weltwirtschaft der Ausfall russischer Waren eine erhebliche Rückwirkung auf den gesamten Weltmarkt hat. Das kann nicht so einfach kompensiert werden. Dazu kommt noch die Spekulation auf die Verteuerung von Waren, die die Preise noch weiter in die Höhe treibt.

    2. An den Sanktionen beteiligt sich hauptsächlich der Westen, Australien, Neuseeland und Japan. Die Türkei, obwohl in der Nato, hat keine Sanktionen verhängt. Ebenso, China, Indien, Südostasien, Afrika, die arabische Welt und Südamerika. Alle BRICS-Staaten nicht.
    Also kann von einer Isolierung Russlands keine Rede sein.

    3. Russland ist nicht hoch verschuldet, der Rubel steigt, der Euro fällt. Öl und Gas muss in Rubel bezahlt werden. Das wirkt wie ein Stützungskauf. Die russischen Einfuhren gehen wegen der Sanktionen zurück, also werden weniger Devisen benötigt, während gleichzeitig die Nachfrage nach Rubel steigt. Der Anstieg der Preise von Öl- und Gas spielt Russland in die Hände.

    4. Russland führt schon Krieg. Es war also der Meinung, dass es sich als Macht keinen feindlichen mit der Nato verbundenen Staat an seiner Südgrenze leisten will. Das war für sie nicht hinnehmbar. Da wird sie sich nicht von den westlichen Staaten vom Krieg abbringen lassen. Dass der russische Wille durch Sanktionen sich zur Unterordnung entschließt, ist so gut wie ausgeschlossen.

    5. Die Sanktionen werden dazu führen, dass Russland sich noch weiter Richtung Asien orientiert und seine Rohstoffe günstig nach Indien und China exportiert. Die günstige russische Energie vergünstigt Waren aus Fernost, während die Preise die Europa für seine Waren verlangt nach oben gehen. Das wird den Westen schwächen und Russland, China, Indien stärken.

    6. Da sich nur der Westen an Sanktionen beteiligt, können Sanktionen unterlaufen werden. Russland kann z.B. sein Öl an andere Staaten verkaufen und die verkaufen es dann weiter an den Westen. Das verteuert natürlich die Preise für den Westen. Umgekehrt werden Waren die der Westen sanktioniert über Drittstaaten eingeführt. Russland hat die Einfuhr von Parallelimporten legalisiert.

    7. Wieviel Jahre sollen die Sanktionen denn nach den bisherigen Erfahrungen mit erfolgreichen Sanktionen bestehen bleiben? 15 Jahre, 20 Jahre. Bis Putin den Weg alles irdischen gegangen ist?

    Wie wirken sich die Sanktionen denn bis jetzt aus in Russland?

    Hierzu folgendes Video: https://www.youtube.com/watch?v=WI_8fJc2Sg8
    Also erstmal steigen in Russland die Preise im Supermarkt. Das hört sich so an, als sei das ähnlich wie in Deutschland. Wobei ich den Eindruck habe, dass einige Lebensmittel sogar weit über 50% zugelegt haben. Quark z.B. von 59ct auf 99ct. Man kann auch gar nicht auf andere Produkte ausweichen, weil alles sich extrem verteuert hat.

    Am stärksten ist Russland anscheinend von Technologieimporten abhängig. Deshalb die Parallelimportliste. Eine Liste ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass das auch so klappt wie vorgesehen. z.B. weist Stefan Kaufman darauf hin, dass auch die Technologieimporte von China geschrumpft seien. Das sei nicht auf Sanktionen des Staates aber auf die sogenannte Internalisierung der westlichen Sanktionen bei den chinesischen Unternehmen zurückzuführen. Mit anderen Worten: Die Unternehmen trauen sich nicht nach Russland zu liefern aus Angst von den USA mit Sanktionen belegt zu werden.

    Wie das weitergeht ist offen.

    "Putin räumt erstmals Schäden an russischer Wirtschaft ein – und warnt den Westen
    Sollten die westlichen Sanktionen gegen sein Land ausgeweitet werden, warnt Russlands Präsident Wladimir Putin vor „katastrophalen Folgen“. Der „wirtschaftliche Blitzkrieg“ des Westens sei gescheitert. Dennoch räumt Putin Schäden an der russischen Wirtschaft ein."

    Putin hat seine letzten Trümpfe noch nicht ausgespielt. Die Gasabhängigkeit Europas ist in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Zwar hat Kanada die von den Sanktionen betroffene Turbine an Deutschland zurückgegeben und somit die Sanktionen nicht umgangen. Trotzdem ist noch unklar, ob nach der Wartung von Nordstream 1 der Gashahn wieder aufgedreht wird, denn Litauen blockiert immer noch den Transit von Waren nach Kaliningrad. Die EU versucht immerhin Litauen dazu zu bringen den Transit wieder zuzulassen. Das Argument lautet: Die Sanktionen würden nicht den Transit von Russland nach Russland betreffen. Litauen sieht das aber offenbar anders. Es macht keinen vorteilhaften Eindruck wie sich die EU von so einem Kleinstaat auf der Nase rumtanzen lässt, das sich durch den Ukrainekrieg und seine Nachbarschaft zu Russland plötzlich international aufgewertet fühlt.

    "In russischen Talkshows wurde die Eroberung eines „Korridors“ nach Kaliningrad gefordert. Dies schürte in der Region Ängste vor einer russischen Aggression."
     

  8. Jörg Goldberg: Globalisierung als Wirtschaftskrieg

    (…) Die Länder der westlichen »Triade« (USA, Japan, Westeuropa) nehmen den Ukraine-Krieg zum Anlass, um für eine grundlegende Veränderung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu werben. Diese sollen sich – wie in der Periode des Kalten Krieges – wieder an einer bipolaren Blocklogik orientieren, dieses Mal unter dem Vorzeichen »Demokratien gegen Autokratien«. Janet Yellen, US-Finanzministerin und ehemalige Präsidentin der US-Notenbank, forderte auf einer Veranstaltung des Atlantic Council am 13. April 2022 eine Neuorientierung des internationalen Handels- und Finanzsystems: Es ginge nicht mehr um »fairen«, sondern um »sicheren« Handel, was nichts anderes heißt, als die internationalen Wirtschaftsbeziehungen der militärischen Logik unterzuordnen. Sie sprach in diesem Zusammenhang von »Friend-Shoring« (in Abwandlung des Begriffs »Off-Shoring«).¹ In Deutschland wird in diesem Kontext von »wertebasierter Handelspolitik« gesprochen.² Das ist natürlich ein Euphemismus, denn in internationalen Beziehungen sind »Freunde« nicht unbedingt auch »werteverwandt«. (…)

    https://www.jungewelt.de/artikel/429834.ökonomie-globalisierung-als-wirtschaftskrieg.html

    Kommentar: Solchen Wirtschaftskrieg muss man sich leisten können. Das mag aus Sicht der USA für diese gelten und soll vermutlich, so die US-Order, auch als Anspruch "des gesamten Westens" gültig gemacht werden. Bereits jetzt funktioniert solche Einigkeit des Westens aber nicht. Erst recht nicht z.B. gegenüber China. 

  9. Robweri de Lapuente:   Wohlstand ist alle

    Wegen der Sanktionen gegen Russland, die jedoch der Westen und Deutschland ausbaden, sei unser Wohlstand in Gefahr. Dabei geht es hierzulande vielen gar nicht so richtig wohlständig.

    Über unseren Wohlstand reden wir gerne. Wir: Das sind die Deutschen. Seit Jahr und Tag bekommen sie eingetrichtert, dass sie im Wohlstand leben, ihn ausbauen oder gar verteidigen müssen. Dieses Deutschland, »in dem wir alle gut und gerne leben«, definiert sich von jeher als eine wohlständige Nation, in dem der »Wohlstand für alle« blühe. In den Jahren, in denen der Wohlstand sukzessive abgetragen, der Sozialstaat geschleift, der Rechtsstaat »neu strukturiert« wurde, hat man dennoch weiterhin vom Wohlstand gesprochen, in dem wir alle – ja, wirklich alle – lebten.

    Beliebt war es eine Zeitlang, den Wohlstand unserer Langzeitarbeitslosen mit dem Lebensstandard von Hirsebauern in Burundi zu vergleichen. Neben einem Afrikaner, der in einem Land lebt, in dem laut Welthunger-Index fast die Hälfte der Bevölkerung regelmäßig an Hunger leidet, sieht so ein Hartz-IV-Empfänger natürlich wie Onkel Krösus aus – gar keine Frage. Der Kniff, die absolute Armut anzuführen, um die relative Armut zu kaschieren, ist nicht originell, wirkt aber beizeiten noch immer.   (…)

    https://overton-magazin.de/kommentar/gesellschaft-kommentar/wohlstand-ist-alle/

  10. @Kehrer

    Ich vermute, Beiträge mit zu vielen Links werden in die Moderationsschleife geschickt.

    Südafrika wurde natürlich nicht wegen der Sanktionen demokratisch, sondern, wie du eben schreibst, wegen des Endes des Kalten Krieges – da wurde dieser Brückenkopf gegen Angola und Mosambique obsolet.
    Mandela ist damals als einer seiner ersten Staatsbesuche nach Libyen, um sich bei Ghaddafi für die jahrelange Unterstützung zu bedanken. Das wurde natürlich vom Westen übel aufgenommen, also hielt er offenbar solche Danksagungen an den Westen für notwendig, um es sich nicht mit der Freien Welt zu verscherzen.

    Was die Angelegenheit mit China angeht, so bin ich nicht sicher, ob das die ganze Wahrheit ist mit der Liefer-Zurückhaltung von Technologie.
    Den Chinesen ist es selber unangenehm, in gewissen Bereichen z.B. von Taiwan oder den USA abhängig zu sein. Ich nehme an, es wird derzeit auf Hochtouren daran gearbeitet, diesen Mangel zu beseitigen.

    Vermutlich werden in Zukunft verstärkt Pipelines nach Südostasien gebaut:

    KAMPF UMS GAS:
    Europa räumt den LNG-Markt leer

    https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europa-raeumt-lng-markt-leer-risiken-in-schwellenlaendern-wachsen-18151539.html

  11. @Leser: Die beiden Artikel sind spitze. 

    "Wer auch immer für die Blockade von 20 Millionen Tonnen Getreide in den ukrainischen Schwarzmeerhäfen verantwortlich ist – bei einer weltweiten Getreideproduktion von 2,8 Milliarden Tonnen im Jahr 2021/22 und Reserven von 560 Millionen Tonnen kann ein Ausfall von weniger als einem Prozent der Jahresproduktion Preissprünge um bis zu 50 Prozent nicht erklären. Die dafür vor allem verantwortliche Nahrungsmittelspekulation an den Finanzmärkten wurde von den G7 aber mit keinem Wort erwähnt."

    Ich halte das für einen schlagenden Beweis. Von wegen Verknappung des Angebots. Irgendwelche Spekulanten füllen sich hier die Taschen. Aber kein Schwein erwähnt das auch nur, denn Putin muss ja der böse sein und nicht das Finanzkapital, das sich am Elend der Massen bereichert.

    Unter dem Artikel von "Wohlstand ist Alle" wird auf einen Artikel von Wolfgang Bittner auf den Nachdenkseiten verwiesen. "Keiner soll hungern, ohne zu frieren. Der Weg in die Katastrophe"

    "Die Bevölkerung wird dementsprechend ohne jegliche Skrupel aufgefordert, weniger Gas zu verbrauchen, am Strom zu sparen, weniger zu duschen und so weiter. Einige Vermieter gehen bereits dazu über, Warmwasser zu rationieren. Wie schon in der Corona-Pandemie werden die Menschen in einem permanenten Alarmmodus gehalten, der sie im Sinne einer mehr und mehr verfehlten, existenzbedrohenden Politik beeinflussbar macht.

    Oskar Lafontaine hielt Habeck kurz und knapp entgegen: „Wenn man an die eigene Bevölkerung denkt, gibt es nur eine Lösung: Öffnet Nord Stream 2, um das Schlimmste zu verhindern.“"

    @nestor:

    "Das wurde natürlich vom Westen übel aufgenommen, also hielt er offenbar solche Danksagungen an den Westen für notwendig, um es sich nicht mit der Freien Welt zu verscherzen."

    Aha. Und diese abgenötigte Danksagung wird jetzt verwendet, um die Wirksamkeit von Sanktionen zu belegen.

    Was die Angelegenheit mit China angeht, so bin ich nicht sicher, ob das die ganze Wahrheit ist mit der Liefer-Zurückhaltung von Technologie.
    Den Chinesen ist es selber unangenehm, in gewissen Bereichen z.B. von Taiwan oder den USA abhängig zu sein. Ich nehme an, es wird derzeit auf Hochtouren daran gearbeitet, diesen Mangel zu beseitigen.

    Das glaube ich auch, dass das den Chinesen unangenehm ist. Aus Geschäftsgründen, aus Autonomiegründen und aus politischen Gründen, denn man will sicher Russland nicht indirekt in den Rücken fallen.

    Statt russisches Gas einfach nur durch Gas aus anderen Ländern zu ersetzen, sollte Europa aus Sicht der Energieagentur die Energiewende forcieren und so eine Abkehr vom Erdgas beschleunigen. Das würde den Druck auf dessen Weltmarktpreis verringern, „preisbewussten Schwellenländern“ den Zugang zu Lieferungen erleichtern und die Kohleverfeuerung in solchen Regionen früher beenden. In der Folge sänke der CO2-Ausstoß und es verbesserte sich die Luftqualität.

    Soll das ironisch sein? Nachdem er lang und breit erläutert hat, dass sich das Angebot an LNG nicht kurzfristig erhöhen lässt, soll das ausgerechnet mit den  erneuerbaren funktionieren – im Winter, wenn die Sonne nicht scheint. – Selten so gelacht.

  12. @Kehrer

    Diese Abhängigkeiten sind natürlich auch gewachsen. China hat sich ja am Anfang mit Hilfen von Kapital von Auslandschinesen geöffnet, in den Sonderwirtschaftszonen. Taiwan war da ganz vorne.
    Und da China Taiwan sowieso als eigenes Gebiet betrachtet, war es lange kein Problem, von ihnen Mikrochips zu beziehen – bis sich Taiwan extrem auf die USA konzentrierte und gegen China wandte.

    Auch sehr viel Technologie für die Raumfahrts- und Rüstungsindustrie bezog Rußland bis zum Maidan aus der Ukraine. Die russische Regierung wollte damit der Ukraine zeigen, daß sie an guten Beziehungen interessiert ist und man doch problemlos miteinander Geschäfte machen kann.
    Nach 2014 wurde das natürlich sehr schnell umgestellt, auch weil die EU der Ukraine praktisch jeden Handel mit Rußland kappte.

  13. Italiens Regierung droht wegen Koalitionsstreit zu zerbrechen

    Außenminister Di Maio hatte die Partei im Streit um die Ukraine-Politik verlassen. Die Fünf-Sterne-Bewegung möchte an einem Votum nicht teilnehmen, andere Parteien drohen mit Rückzug

    (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000137429947/italiens-regierung-droht-wegen-koalitionsstreit-zu-zerbrechen

    Conte ist nämlich als einziger Politiker eines großen europäischen Staates strikt gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Die 5-Sterne-Bewegung scheint gespalten zu sein über diese Frage.
    In Deutschland trauen sich das weder die AfD noch die Linke.

  14. Wie sich jetzt aus den Gas-Debatten in Erfahrung bringen läßt, ist Österreich längst das, was Deutschland – in größeren Dimensionen natürlich – erst mit den Nord Stream Pipelines werden wollte: Ein Gas-verteilerzentrum, das über den Pipeline-Kreuzungspunkt in Baumgarten ein Vielfaches des Gases bezieht, das es selbst verbraucht. Dieses Gas wurde bisher weiter geliefert, vor allem nach Italien und Deutschland, vermutlich mit einem Preisaufschlag.

    Während wir also die ganze Zeit hören: Bald geht uns das Gas aus und wir müssen frieren! – machen sich die österreichischen Versorger, allen voran die ÖMV, vor allem Sorgen, daß sie um ihre Transit-Einkünfte umfallen!

    Allerdings scheint es da längere Verträge zu geben, aus denen man auch nicht so einfach aussteigen kann, mit den Worten: Wir brauchen das Gas jetzt selber!
    Vor allem gibt es auch eine Art Versteigerung auf dem Gasmarkt: Wer bietet mehr für dieses knappe Gut? – behaltet man etwas für den nationalen Eigenbedarf ein, für weniger als den Höchstpreis, so ist der Gasversorger „wettbewerbsverzerrend“ und kann vor ein EU-Gericht gezerrt werden.

    Ja ja, die Marktwirtschaft, die mit ihrer invisible hand alles regelt …

  15. Im El País heute eine interessante Geschichte über die Auswirkungen der Sanktionen in Spanien:

    Während des Spanischen Bürgerkrieges wurden in den Jahren 1937 und 1938 Kinder in Länder evakuiert, die sich bereit erklärt hatten, sie aufzunehmen. Ungefähr 3000 von ihnen landeten in der SU, wo sie dann in den II. Weltkrieg gerieten. Viele von ihnen kehrten erst nach Francos Tod 1975 oder gar erst nach dem Zerfall der SU in den 90-er Jahren nach Spanien zurück.

    Die erhielten in Spanien eine Pension von Rußland, aufgrund von einem zwischen Spanien und Rußland abgeschlossenen Vertrag. Das sind zwischen 100 und 200 Euro monatlich, die dann von der spanischen Sozialversicherung auf die Mindestrente aufgefüllt werden.

    Jetzt kommt die Rente aus Rußland nicht mehr – nicht, weil die russische Behörde sie nicht überweisen würde, sondern weil die spanischen Banken keine Überweisungen aus Rußland mehr annehmen dürfen!
    Dadurch sitzen jetzt einige Über-80-Jährige ziemlich ohne Geld da. Die Ergänzungszahlung von der spanischen Sozialversicherung kommt zwar noch, aber wie lange? Der Vertrag sah vor, daß sie auf der russischen Pension beruht, also an sie gebunden ist.

    Der russische Pensionsfonds hat die Zahlungen temporär suspendiert und sucht jetzt nach einer Möglichkeit, das Geld anders nach Spanien zu überweisen.

  16. "– behaltet man etwas für den nationalen Eigenbedarf ein, für weniger als den Höchstpreis, so ist der Gasversorger „wettbewerbsverzerrend“ und kann vor ein EU-Gericht gezerrt werden."

    Wie ist das gemeint? Du meinst statt die langfristigen Lieferverpflichtungen einzuhalten, zwackt man Gas für sich ab und zahlt einen niedrigeren Preis als normalerweise? Das wär ja Betrug, das was die Ukraine macht. Das könnte der Staat zwar machen, weil er das Gewaltmonopol hat, aber es wäre eine Vertragsverletzung. 

    Ich hatte einen anderen Gedanken. Nehmen wir an, aus den Pipelines kommt eine bestimmte Menge Gas, die in Speichern zwischengelagert wird.  Diese Menge wird nicht mehr. Wenn jetzt ein Gasversorger ein bestimmte Menge kauft und der Preis steigt, weil sich alle absichern wollen, kann es sein dass er sein Kontingent wegen des Gewinns weiterverkauft. Voraussetzung ist er bekommt sein Gas irgendwoher günstiger als er es verkauft hat. Wenn also die Gasmenge ungefähr gleich bleibt, dann treiben auf einem liberalisierten Gasmarkt die Nachfrager sich gegenseitig die Preise hoch ohne dass am Ende mehr Gas zur Verfügung steht.

    Litauen beendet Blockade Kaliningrads

    Allerdings gibt es wieder Trouble um die Gasturbine

    Die Ukraine hat gegen die geplante Lieferung der gewarteten russischen Nord-Stream-1-Turbine von Kanada nach Deutschland protestiert. Man sei "zutiefst enttäuscht" über die Entscheidung der kanadischen Regierung, in diesem Fall eine Ausnahme von den gegen Russland verhängten Sanktionen zu machen, hieß es in einer Erklärung von Außen- und Energieministerium in Kiew. "Wir fordern die kanadische Regierung auf, diese Entscheidung zu überdenken und die Integrität des Sanktionssystems sicherzustellen."

    Russland sei auch ohne die Turbine in der Lage, Gas in vollem Umfang zu liefern, kritisierte die Ukraine, die sich mittlerweile seit viereinhalb Monaten gegen einen russischen Angriffskrieg verteidigt. "Russlands Forderung nach der obligatorischen Rückgabe der Turbine zur Fortsetzung des Gastransports ist Erpressung." Wenn der Westen nun nachgebe, werde ein "gefährlicher Präzedenzfall" geschaffen, der "Moskaus Gefühl der Straflosigkeit", verstärke, hieß es aus Kiew.

    Russland hatte vergangenen Freitag angekündigt, im Fall einer Rückkehr seiner reparierten Gasturbine aus Kanada die Energielieferungen durch die gedrosselte Ostseepipeline Nord Stream 1 wieder hochfahren zu wollen. "Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. "Die Frage ist nur, warum das nicht gleich so gemacht wurde." Peskow wies einmal mehr zurück, dass Russland sein Gas als politisches Druckmittel einsetze. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte Russland vorgeworfen, die Gründe für die Drosselung seien vorgeschoben.

    Gasturbine: Ukrainer klagen gegen Kanada vor Bundesgerichtshof

  17. @Kehrer

    Du meinst statt die langfristigen Lieferverpflichtungen einzuhalten, zwackt man Gas für sich ab und zahlt einen niedrigeren Preis als normalerweise?

    Ich glaube nicht, daß die ÖMV einen niedrigeren Preis zahlt „als normalerweise“. Was wäre „normalerweise“? Die Gazprom kriegt das vereinbarte Geld, und es wird dann teurer weiterverkauft.
    Ich nehme an, das war bisher auch schon so, nur war da die Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis geringer.

    Diese Menge wird nicht mehr.

    Warum nicht? Wenn sie trotz Lieferung sinkt, so eben deshalb, weil mehr verkauft wird als hineinkommt.

    Daß auf Gas spekuliert und Futures abgeschlossen werden, das geschieht sicher. Aber zunächst ist hier das ganz normal Prinzip „Teurer verkaufen als einkaufen“ in Kraft.

    Die ominöse Turbine, so sehe ich das, ist für Rußland nur ein Vorwand, um die EU unter Druck zu setzen. Und zwar in Richtung „unsinnige Sanktionen“.
    Das spricht übrigens nicht gegen Rußland – ich würde es genauso machen, wenn ich dort in der Direktionsetage säße.

  18. "als normalerweise" auf den Gasmärkten gezahlt wird.

    "Die Gazprom kriegt das vereinbarte Geld, und es wird dann teurer weiterverkauft."

    Ja gut. So wäre das die übliche Vorgehensweise. Wer ne Ware zu verkaufen hat, kann dafür verlangen, was die Konkurrenz der Käufer hergibt. Man kann das Gas auch selbst behalten, wenn man der Eigentümer ist. Wieso ein Gasversorger dafür vor einem europäischen Gericht landen soll versteh ich allerdings nicht.

    Warum nicht? Wenn sie trotz Lieferung sinkt, so eben deshalb, weil mehr verkauft wird als hineinkommt.

    Also nochmal: Nehmen wir an Europa sei ein Topf oder Eimer oder ein Fass. In dieses Fass führen Schläuche oder Pipelines. Das Fass wird aber nur voller wenn von Außen mehr ins Fass fließt. Aber nicht dadurch dass sich die im Fass befindlichen Unternehmen gegenseitig das Gas abkaufen. 

    Die ominöse Turbine, so sehe ich das, ist für Rußland nur ein Vorwand, um die EU unter Druck zu setzen.

    Ob sie "nur" ein Vorwand ist, kann ich nicht beurteilen. Ich finde eigentlich, dass es ziemlich einleuchtend ist, dass man eine Turbine braucht, um Gas zu befördern. Und wenn man keine Ersatzturbine rumstehen hat, dann reduziert eine Pumpe weniger eben die Pumpleistung. Dass Russland damit sagen will, dass die Sanktionen unsinnig sind, bestreite ich nicht. Steht ja oben implizit (Warum nicht gleich so).

    Sahra Wagenknecht mit Kommentaren.

    Sahra Wagenknecht ohne Kommentare

    Sahra Wagenknecht in Bild TV “Viertel nach Acht”:
    https://www.youtube.com/watch?v=GSljLN1i7mI
    17:30 Geht es um die Gasturbine. Das mit der Reduzierung um 40%, statt auf 40% hat sie auch nicht realisiert. Das Verhältnis von objektivem Tatbestand “Gasturbine kaputt, reduziert Durchflussmenge” und politischer Nutzung dieses Tatbestands hat sie richtig bestimmt.
    https://youtu.be/GSljLN1i7mI?t=1052

  19. @Kehrer

    Natürlich hast du recht, daß das Gas nicht mehr wird, wenn man es im Kreis in der EU herumverkauft!

    Es wird allerdings verbraucht. Man kriegt bei dem Gerede um die geringeren Fördermengen und die halbleeren Speicher das Gefühl, im Sommer braucht niemand Gas. Das ist natürlich verkehrt. Gas wird u.a. für die Stromerzeugung eingesetzt.
    Also kaufen diejenigen Gas besonders teuer, wo der Hut brennt, wie z.B. Italien, weil dort durch die Dürre viel Wasserkraft ausfällt. Und damit macht ein Versorger, der Gas hat, wie die ÖMV, ein gutes Geschäft – um dann die österreichische Politik jammern zu lassen, daß zu wenig Gas kommt.

    Ich vermute, daß Rußland auch diesen Inner-EU-Gashandel ein bißl dämpfen will – in seiner Art, Energie als Dienstleistung an die Gesellschaft zu sehen und nicht als Geschäftsmittel.

    —————-

    Deutsche Solaranlagen hängen Frankreichs AKW ab

    Kürzlich rühmt sich Frankreich noch, von russischem Gas unabhängig zu sein. Tatsächlich gibt es 56 Atomkraftwerke im Land, allerdings setzen ihnen Hitze und Alter zu – sodass sie derzeit weniger Strom produzieren als deutsche Solaranlagen.

    Im französischen Regierungsprogramm hat Atomkraft einen prominenten Platz: "Die Energiewende wird dank der Atomkraft gelingen", versicherte Premierministerin Elisabeth Borne den Abgeordneten und verwies darauf, dass Atomkraft CO2-neutral, "souverän und wettbewerbsfähig" sei. Doch in dem Land, das sich mehr als alle anderen der Atomkraft verschrieben hat, gibt es zahlreiche Probleme mit den alternden Kraftwerken. Ein heißer, trockener Sommer droht die Lage noch zu verschärfen.

    (…)

    https://www.n-tv.de/wirtschaft/Deutsche-Solaranlagen-haengen-Frankreichs-AKW-ab-article23450534.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

    Auch wieder so ein Fall, wo eine Niederlage als Sieg verkauft wird: Es ist nicht so, daß die Solarenergie so eine tolle Alternative zur Atomkraft wäre, – vom Gas ganz zu schweigen – sondern es ist so, daß die Atomkraft eine zweifelhafte Art der Energiegewinnung ist – weil sie aus Sicherheitsgründen hohe Investitionen erfordert.

  20. Den Sanktionenthread hab ich nicht mehr gefunden, deshalb jetzt hier der Link auf zwei Youtube-videos. Beide Videos argumentieren sachlich, nehmen aber einen nationalen Standpunkt ein, wenn auch einen kritischen. 

    Gas-Strategien und Sanktions-Spiele

    Christian Rieck sagt, dass es ein Fehler ist nur auf eine Energieschiene zu setzen und dass in der Vergangenheit vieles versäumt wurde und das auch im Moment noch nicht verstanden wurde.

    z.B. wenn man schon auf Gas setzt, dann hätte man ein Transsahara Erdgaspipeline bauen müssen, um im Notfall abgesichert zu sein. Überhaupt braucht man Redundanz also Mehrfachauslegung von Systemen, Reserven um Abhängigkeiten zu reduzieren und zwar in allen Bereichen. Das kostet natürlich. Eine Nation, die Kriege führen will oder Sanktionen aushalten will, muss diesen Weg gehen. Die Alleinige Fixierung auf erneuerbare Energien ist von diesem Standpunkt ein objektiver Fehler, weil sie die eine Abhängigkeit nur durch eine andere ersetzt. Statt neue Ölheizungen zu verbieten, die Gasheizung in Neubauten quasi zu bieten  sollten mehrere Alternativen möglich sein.

    "Die Bundesregierung hat wegen der anhaltenden Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs den Einbau reiner Gasheizungen verboten. Ab dem Jahr 2024 dürfen in Häusern nur noch Heizungen eingebaut werden, die zu mindestens 65 Prozent von erneuerbaren Energien gespeist werden."

    Sollte man sich breit aufstellen. In diesem und im nachfolgenden Video wird beklagt, dass in der Politik viel zu ideologisch, realitätsfern entschieden wird, als lebten Politiker in einer Parallelwelt.

    Tichys Ausblick: Gas, Inflation, Landwirtschaft – führt die Ampel Deutschland in die Steinzeit?

    Interessant sind die Beiträge von dem ehemaligen Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt und dem Landwirt Jan Holst-Oldenburg.

    "Bauern in den Niederlanden blockieren Autobahnen – Die Bauern protestieren seit Wochen gegen geplante Maßnahmen, den Stickstoffausstoß zu verringern. Landesweit soll der nach dem Plan der Regierung bis 2030 um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden, bei Naturgebieten sogar um mehr als 70 Prozent. Die intensive Landwirtschaft gilt als einer der größten Verursacher vor allem durch Ammoniak. Die Auflagen können nach Berechnungen der Regierung das Aus für etwa 30 Prozent der Viehbauern bedeuten."

    "Aber ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist, dass wir Lösungen finden müssen, um den Landwirten faire Preise zu zahlen. Fleisch darf nicht so billig bleiben. Stand: 14.07.2022"

    sagt Roos Benard, der  bei der niederländischen Sektion von Greenpeace arbeitet. Wenn man nur Körner frisst, dann kriegt man die Preissteigerung beim Fleisch um fast 100% ja nicht mit. Klar.

  21. „Versäumnisse“ zu bejammern ist immer ein Versuch, die Absage an die Politik von gestern zu verbrämen und eine Kontinuität herzustellen, wo keine ist.

    dass es ein Fehler ist nur auf eine Energieschiene zu setzen

    Das hat ja keiner gemacht. Man hörte und las doch seit geraumer Zeit vom Energie-Mix. Aber es beruhte alles auf den Gasimporten aus Rußland, mit denen sich Deutschland als saubere Energie-Vorbildnation aufspielte.
    Das mit der „einen Energieschiene“ ist so ein Textbaustein, der auch in Österreich ertönt, wo wirklich die Wasserkraft ziemlich flächendeckend ausgebaut und manche Flüsse schon mit Kraftwerken überfrachtet sind.
    Nirgends wurde auf „eine Energieschiene“ gesetzt, alle Staaten versuchten sich zu diversifizieren, auch diejenigen, die Gas aus Nordafrika kriegten, wie Spanien, Portugal und Italien.
    Der Sturz Ghaddafis hat hier viel zur Energie-Unsicherheit beigetragen. Er war zumindest für Öl jahrzehntelag ein sicherer Lieferant. Und wirkte auch auf die Nachbarstaaten als Stabilitätsfaktor.

    Es stimmt eben, was die Russen sagen, daß die EU ohne die russischen Energieträger kollabieren würde, weswegen sie gut beraten wäre, sich mit ihnen zu einigen.

    Irgendwie habe ich langsam den Eindruck, die deutsche Politik will – etwas verspätet zwar – den Morgenthau-Plan umsetzen.

  22. 48.000 Fass am Tag
    Warum die Saudis russisches Öl kaufen

    Saudi-Arabien hat seine Öl-Einfuhren aus Russland verdoppelt. Das dürfte US-Präsident Biden wenig gefallen. Doch mit Kritik am Verbündeten wird er sich wohl bei seinem Besuch zurückhalten.

    Während sich der Westen unabhängig von russischem Öl machen will, kaufen andere Länder bei den Russen ein – darunter auch Saudi-Arabien. Der weltweit größte Erdöl-Exporteur hat im zweiten Quartal seine Importe aus Russland sogar verdoppelt, wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf den Daten-Dienstleister Refinitiv meldet. In Zahlen ausgedrückt: Von April bis Juni erreichten 647.000 Tonnen Öl das Königreich über russische und estländische Häfen. Das sind 48.000 Fass pro Tag.

    Da stellt sich die Frage: Wieso kauft ein Land, das über ausreichend Öl verfügt, den Rohstoff anderswo? Weil russisches Öl sehr viel billiger ist als das eigene. Das Königreich nutzt das importierte raffinierte Öl, um Strom zu erzeugen und kann so eigenes Rohöl verkaufen. Besonders viel Strom verbraucht Saudi-Arabien für Kühlung in den heißen Sommermonaten, etwa für Klimaanlagen.

    Der Preisunterschied von russischem Öl zu dem anderer Produzenten ist gewaltig. Denn wegen der westlichen Sanktionen muss Russland das Öl anderswo und damit mit deutlichen Abschlägen verkaufen. Normalerweise kostet ein Fass der russischen Sorte Urals etwa 60 Cent weniger als ein Fass der Nordseesorte Brent. Derzeit ist ein Fass (159 Liter) rund 23 Dollar billiger als die Konkurrenz aus der Nordsee und von der Opec.

    Biden kommt zu Besuch

    Das Öl wird über Häfen in Russland und Estland nach Saudi-Arabien verschifft. Das Öl erreicht das EU-Mitglied offenbar mit der Eisenbahn. In die Europäische Union darf russisches Öl derzeit noch importiert werden. Im Dezember trifft ein Embargo in Kraft, das allerdings die Einfuhr per Pipeline erlaubt. Ölprodukte – beispielsweise Benzin und Diesel – dürfen ab Februar kommenden Jahres überhaupt nicht mehr eingeführt werden.

    US-Präsident Joe Biden reist heute von Israel nach Saudi-Arabien. Er dürfte dort unter anderem darauf drängen, dass der Opec-Anführer die Erdöl-Fördermenge erhöht. Damit solle der Ölpreis sinken, der die Inflation in den USA anheizt. Dass der Verbündete verstärkt russisches Öl kauft, zeigt die Schwierigkeiten des Westens, Russland international weitgehend zu isolieren.

    https://www.n-tv.de/wirtschaft/Warum-die-Saudis-russisches-Ol-kaufen-article23466926.html

    Ich lach mich tot.
    Erstens importiert der verbündete Ölproduzent vom Feind und macht damit Geschäfte. Dazu schließt sich dem ein EU-Mitglied an. Estland setzt in der Frage Ukraine-Krieg eher auf Kriegsgewinne als auf Konfrontation, wie es aussieht …

  23. Inzwischen will Japan seinen Ölimport aus Saudi-Arabien steigern.

    Saudi-Arabien wird also langsam zu einem Erdöl-Hub und baut seine Position als Energielieferant mittels Käufen – und möglicherweise Weiterverkauf – von russischem Öl aus.

  24. Aserbaidschan soll mehr Gas liefern

    Gazprom macht "höhere Gewalt" für ausfallende Gaslieferungen aus Russland geltend. Um unabhängiger von russischem Gas zu werden, hat die EU nun auch eine Vereinbarung mit Aserbaidschan geschlossen – das Land soll in den nächsten Jahren deutlich mehr Gas liefern.
    (…)

    https://www.tagesschau.de/wirtschaft/eu-gas-aserbaidschan-101.html

    Wie er lacht, der Herr Alijew!
    Wahrscheinlich hat er schon einen Deal mit Gazprom, von dort Gas zu Vorzugspreisen zu kaufen und mit ordentlichem Aufschlag an die EU weiterzugeben.

    Was Saudi-Arabien kann, kann Azerbadschan noch allemal, und dank dem sowjetischen Röhrensystem dürfte sich das alles machen lassen.

  25. "Das hat ja keiner gemacht. Man hörte und las doch seit geraumer Zeit vom Energie-Mix."

    Na ja, doch oder halb. z.B. indem verstärkt auf regenererative Energien gesetzt wird. Die ganze Wasserstoffwirtschaft erzeugt eine Abhängigkeit von Ländern, wo die Sonne scheint. Das ist vom Standpunkt der Energiesouveränität genauso schlecht wie vom Öl abhängig zu sein. 

    Im Moment braucht man noch das Gas für die Grundlastfähigkeit, (weil Kohle und Atom will man ja nicht). Nordstream 2 hat dem Zweck gedient Europa mit billigem russischem Gas zu versorgen. (daneben wollte Deutschland europäischer Gasverteiler werden) Vom Standpunkt eines kapitalistischen Staates verbilligt das die Waren und erhöht die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Es stiftet aber eine Abhängigkeit. Da kann man dann sagen: Ok nehmen wir in Kauf, dann können wir eben nicht gleichzeitig "Russlands Ruinierung" anstreben, weil wenn wir das doch tun, stellt Russland das Gas ab. Oder man sorgt für Alternativen z.B. eine Transsahara Pipeline oder man bohrt oder frackt die Norddeutsche Tiefebene oder man legt Gasspeicher an, die nicht nur der jahreszeitlichen Pufferung dienen, sondern Gasausfälle in der Lage sind auszugleichen.

    Übrigens: Von wegen Energiesouveränität. Da merkt man auch, dass Klimapolitik keinesfalls mit Energiesouveränität identisch ist, wie der GSP behauptet, sondern umgekehrt die Abhängigkeiten verstärkt. Nach dem Verbot von Ölheizungen bleibt noch die Gas- und Wärmepumpenheizung, nach dem Verbot von Gasheizung bleibt die Wärmepumpe und Wärmepumpen brauchen Strom und das nicht wenig. Strom ist nur umweltfreundlich wenn er vom Wind oder Solarzellen kommt. Was er im Moment nicht tut. Zudem braucht man Gas, um die Ausfälle bei Wind und Sonne zu kompensieren. Beim Verkehr dasselbe. Von Öl soll auf Strom umgestellt werden. Es wird also eine einseitige Abhängigkeit von Strom erzeugt. Strom ist aber energetisch ineffektiv (ca. 50% der Energie des Gases, stecken noch im damit erzeugten Strom), wenn er konventionell erzeugt wird. Rationell wäre es dann, wenn genügend regenerativ erzeugter Strom zur Verfügung steht auf Wärmepumpen umzusteigen. Bei der Wärmepumpe ist es aber so, dass dann wenn der meiste Strom gebraucht wird die Sonne nicht scheint. (Der Unterschied zwischen Juli und Dezember beträgt ca. 1:7, "Die Photovoltaikerträge summieren sich in den sechs Wintermonaten auf ca. 27 Prozent, also auf weniger als ein Drittel des Gesamtertrags.") Es ist also ungünstig Wärmepumpen mit Strom laufen zu lassen, der mit Gas erzeugt wird. Da ist eine Gasheizung deren Abwärme zum großen Teil im Gebäude bleibt besser. Bei modernen Geräten beträgt die Abgastemperatur nur 30-50°C.

    Das Versäumnis bestand also darin, die möglichen Rückwirkungen von Sanktionen nicht antizipiert zu haben, wie das Putin getan hat. Die deutsche Regierung hat wahrscheinlich gedacht, dass es nicht so weit kommen wird. Wenn sie dachte, dass es durchaus soweit kommen kann, dann war es entweder ein Versäumnis oder eine Zockerei darauf, dass der Fall nicht eintritt.

    "Das mit der „einen Energieschiene“ ist so ein Textbaustein, der auch in Österreich ertönt, wo wirklich die Wasserkraft ziemlich flächendeckend ausgebaut und manche Flüsse schon mit Kraftwerken überfrachtet sind."

    Österreich hat Berge, deshalb bringt Wasserkraft mehr. In Deutschland gibt es auch überall Wasserkraftwerke, bloß sind die natürlichen Voraussetzungen dafür nicht ganz so günstig. Ich glaube übrigens nicht, dass der Einsatz von Wasserkraft aus Gründen der Diversifizierung erfolgt ist. Wasserkraft ist schlicht billig. Da muss man nur das Kraftwerk bauen und fertig. Solange der Regen nicht ausbleibt wird Energie produziert. Der zweite Grund ist, dass Wasserkraft flexibel ist. Man kann auf Knopfdruck regulieren wieviel Strom erzeugt wird.

    "Nirgends wurde auf „eine Energieschiene“ gesetzt, alle Staaten versuchten sich zu diversifizieren, auch diejenigen, die Gas aus Nordafrika kriegten, wie Spanien, Portugal und Italien."

    Spanien gilt ja mittlerweile als Vorbild. https://www.sueddeutsche.de/politik/spanien-erdgas-russland-lng-pipeline-pyrenaeen-energieversorgung-1.5546836
    Doch. Die Stilllegung von AKWs und Braunkohle und Steinkohlekraftwerken ist faktisch das Setzen auf eine Weise der Energieerzeugung. Das soll man bloß nicht aussprechen. Man soll Klimaschutz dazu sagen. 

    "Es stimmt eben, was die Russen sagen, daß die EU ohne die russischen Energieträger kollabieren würde, weswegen sie gut beraten wäre, sich mit ihnen zu einigen."

    Zumindest die Staaten würden kollabieren, die von russischem Gas abhängig sind und das sind einige. Im Moment ist die EU absolut abhängig von russischem Gas. Aber auch mittelfistig und langfristig wäre es teuer russisches Gas zu ersetzen. LNG ist erstens teurer, zweitens hat die USA gar nicht die Mengen die Europa bräuchte. Oder es müssten Pipelines gebaut werden, die nicht nach Russland führen. Die EU nimmt eine Position ein die sie nicht durchhalten kann und auf die sie sich nicht gut genug vorbereitet hat. 

    "Erstens importiert der verbündete Ölproduzent vom Feind und macht damit Geschäfte."

    Im Endeffekt könnten die Saudis auch das russische Öl von einem Tanker in den anderen pumpen und damit wieder nach Europa fahren oder gleich von Estland nach Europa. Das käme aufs gleiche raus. Echt ein Witz. Man könnte wirklich den Eindruck gewinnen, alle anderen hätte Bahrs Spruch, dass es zwischen Staaten nicht um Werte, sondern um Interessen geht kapiert, bloß die Europäer bestehen noch auf dem Gestus des demokratischen Sendungsbewusstseins. Diese Haltung blamiert sich umso mehr, je mehr Nationen sich nicht um sie scheren, also je erfolgloser sie ist. 

    "Wahrscheinlich hat er schon einen Deal mit Gazprom, von dort Gas zu Vorzugspreisen zu kaufen und mit ordentlichem Aufschlag an die EU weiterzugeben."

    Genau. Aber hey. Die imperialistische Glaubwürdigkeit muss man sich eben was kosten lassen, auch wenn sich andere die Hände reiben und die Zusatzgewinne gerne in die eigene Tasche stecken. Die Frage ist bloß, was eine imperialistische Glaubwürdigkeit wert ist, wenn man sich dafür von anderen mit Ansage über den Tisch ziehen lässt.

  26. Heute war in den Nachrichten erst ein Bericht über das Treffen von Erdogan, Raissi und Putin in Teheran.
    Man hatte den Eindruck, dort werden sehr entscheidende Dinge besprochen, die für die Zukunft Europas, Asiens und des Nahen Ostens entscheidend sind.

    Als nächstes Frau Leyen in Brüssel mit den Gästen des Tages: Edi Rama/Albanien und Dimitar Kovacevski/Nordmazedonien – sie sollen doch in absehbarer Zeit der EU beitreten dürfen.
    Es wurde schon als strahlender Erfolg gewertet, daß eine etwaige Mitgliedschaft in dem Klub, der nicht weiß, wie er über den Winter kommt, in greifbare Nähe gerückt ist.

    Ich würde sagen, die imperialistische Glaubwürdigkeit der EU ist schon ziemlich beim Teufel.

  27. "Ich würde sagen, die imperialistische Glaubwürdigkeit der EU ist schon ziemlich beim Teufel."

    Das war eigentlich ein Bezug auf den Herrn Christian Rieck aus dem youtubevideo, der ja meinte, dass Sanktionen gut für die Drohung damit sind, um einen Widersacher vor einer bestimmten Vorgehensweise zurückschrecken zu lassen. In dem Moment wo sie dann tatsächlich ausgesprochen werden, würden sie nichts mehr bringen, weil der Widersacher ihre Wirkung schon antizipiert hätte. Sie würden aber trotzdem gemacht, weil sonst auch die Drohung damit künftig nicht mehr funktioniert.

    Meine Erklärung gibt also darüber Auskunft, wie/ auf welche Weise der Verlust der glaubwürdigen Drohung geschieht. Und das geht eben so, dass die Welt sieht, wie die Sanktionen zu kostspieliger Prinzipienreiterei wird, die nicht dem Adressaten, sondern offensichtlich für alle sichtbar denjenigen trifft, der die Sanktionen ausspricht. Die Sanktionen gehen ins Leere und nur noch der Schein ihrer Wirksamkeit wird aufrecht erhalten, indem russisches Öl über Umwege und viel teurer doch gekauft wird.

  28. "Schurkenstaaten fernhalten"
    Industrie warnt vor Zugriff Chinas auf Windenergie

    Aus der Industrie kommen Warnungen vor einer Abhängigkeit von China bei der Windenergie. Das Land liefert viele Komponenten.

    In Deutschland und den Niederlanden wächst die Sorge vor einem Zugriff chinesischer Firmen auf die europäischen Windenergienetze. Holger Berens, Vorstandschef des Bundesverbands für den Schutz Kritischer Infrastrukturen, fordert im "Spiegel" deshalb klare Regelungen zum Schutz der Energienetze – nach dem Vorbild des im vergangenen Jahr verschärften IT-Sicherheitsgesetzes, das den chinesischen Ausrüster Huawei faktisch vom Bau der 5G-Netze ausschloss.

    "Schurkenstaaten, die Menschenrechte verletzen" müssten benannt und von den Kernbereichen kritischer Infrastruktur ferngehalten werden, sagte Berens dem "Spiegel".

    Der Bundestag hatte am Donnerstag ein umfangreiches Gesetzespaket für einen schnelleren Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne in Deutschland beschlossen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sagte, das Paket sei das größte im Energiebereich der letzten Jahre, wahrscheinlich Jahrzehnte. Damit würden notwendige und dringend erforderliche Veränderungen umgesetzt. Die Windenergie soll ausgebaut werden, zwei Prozent der gesamten Bundesfläche sollen für Windräder an Land ausgewiesen werden, das ist mehr als eine Verdoppelung.

    China liefert große Teile der Infrastruktur

    Tim Holt, Vorstand von Siemens Energy, erklärte dem Spiegel, das Problem, vor dem die Ampelkoalition stehe. "Die Bundesregierung steht vor der schwierigen Frage, wie sie beschleunigte Energiewende und den Schutz kritischer Infrastruktur in Einklang bringt", so Holt.

    (…)

    https://www.t-online.de/finanzen/unternehmen-verbraucher/id_92353846/warnungen-vor-zugriff-chinas-auf-windenergie.html

    Bei der Solarenergie schaut es ähnlich aus …

  29. Ich habe mich schon gewundert, was mit der Turbine los ist:

    „Eine Siemens-Turbine, die für den vollen Betrieb der Gaspipeline Nord Stream benötigt wird, blieb beim Transport in Deutschland stecken, angeblich wegen fehlender Genehmigung aus Russland. Dies wurde heute, am 21. Juli, von Reuters unter Berufung auf Quellen gemeldet. Demnach befindet sich die Einheit, die nach Angaben der Russischen Föderation einen Rückgang der Gaslieferungen nach Europa über Nord Stream verursacht hat, immer noch in Deutschland, da die Russische Föderation angeblich noch keine Genehmigung für den Transport in die entgegengesetzte Richtung erteilt hat.
    Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die Turbine, die in der Regel in der russischen Verdichterstation Portovaja (bei Vyborg) in Betrieb ist, in Kanada gewartet und am 17. Juli vom Logistikunternehmen Challenge Group nach Köln gebracht wurde.

    Zuvor sagte Siemens, dass sich die Turbine für Nord Stream 1 aufgrund kanadischer Sanktionen verzögert habe. Die Regierungen von Kanada und Deutschland wurden über den Vorfall informiert.
    Ebenfalls zuvor hatte Gazprom aufgrund von Problemen mit Siemens-Anlagen eine Verringerung der Gasförderung durch die Nord Stream-Pipeline angekündigt. Wie in der russischen Holding angegeben, hat das deutsche Unternehmen die Gaspumpeinheiten nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurückgeschickt.“

    (KP, 21.7.)

  30. Laut El País ist es nur der Motor dieser Turbine, der in Köln liegt.

    Hier ist ein Katz- und Maus-Spiel im Gange: Die deutsche Führung möchte anscheinend, daß Rußland das Gas abdreht.
    Das wäre zwar das Ende der deutschen Ökonomie, so wie sie derzeit geht und steht, käme aber propagandistisch gelegen. Man hätte sich vom bösen Putin unabhängig gemacht. Die Rechnung dafür zahlt ohnehin nur die Bevölkerung.

    Rußland wiederum meint, falls die Sache mit der Turbine nicht in die Gänge kommt, könnte man ja Nord Stream II öffnen – dort sind alle Turbinen am Platz, es fehlt nur die Genehmigung.

    Deutschland könnte so immer noch zum Gas-Hub werden …

    Diese miesen Russen! Die wollen uns spalten!

  31. Scholz verkündet bei einer Pressekonferenz, es gäbe genug Gaspipelines, um Deutschland zu versorgen, man brauche nicht Nord Stream II. (KP, 22.7.)

    Man fragt sich, warum sie dann überhaupt gebaut wurde? Ging es da nicht um die Versorgung Europas?

    Außerdem, warum ist dann die Gasmenge, die durch Nord Stream I kommt, so ein Thema in den letzten Wochen?
    Was ist denn mit der Jamal und der Pipeline durch die Ukraine? Wurden die nicht angeblich von Polen und der Ukraine gesperrt, bzw. in letzterem Fall, reduziert?

  32. Das neue Sanktionspaket dürfte eher ein Sanktionsaufhebungspaket sein. Der Ettikettenschwindel setzt sich auch hier durch, und bei demonstrativer Einigkeit geht man wieder ein paar Schritte zurück:

    Neue europäische Sanktionen: Welche Zugeständnisse erwarten die russische Luftfahrt?

    Welche Arten von „technischer Hilfe“ dürfen zugelassen werden?

    Im neuen EU-Sanktionspaket, das am Donnerstag, 21. Juli, in Kraft trat, gibt es neben den regulären Verschärfungen eine Reihe von Lockerungen.

    Die Europäische Union verspricht, die Lieferung von Agrarprodukten und Düngemitteln aus Russland nicht zu behindern, um die Ernährungskrise nicht zu verschärfen. Es erlaubt auch die Lieferung von Medikamenten und den Transport von Öl aus Rußland in Drittländer. Die geheimnisvollsten Bestimmungen betreffen jedoch die Möglichkeit, Russland im Bereich der Luftfahrtprodukte und -technologien technische Hilfe zu leisten, allerdings innerhalb bestimmter Grenzen – soweit dies erforderlich ist, um die technischen Standards der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) aufrechtzuerhalten.

    Während bei Lebensmitteln und Öl alles mehr oder weniger klar ist, hat die „technische Hilfeleistung“ im Bereich der Luftfahrt für mannigfaltige Interpretationen gesorgt. Einige der Experten haben bereits begonnen, über die Möglichkeit zu sprechen, dass direkte Lieferungen von Ersatzteilen für Flugzeuge nach Rußland erlaubt werden. Wer im Einzelnen das darf – das sind dann rein bürokratische Fragen.

    „In Wirklichkeit hat die Europäische Union nur … einen Teil des »Papierkrams« und der Korrespondenz zugelassen“, behauptet (der ehemalige Vizepräsident für Transportluftfahrt der United Aircraft Corporation und Generaldirektor des nach S. V. Iljuschin benannten Luftfahrtkomplexes,) der russische Politiker Alexej Rogozin (Sohn des nicht unbekannten Dmitrij Rogozin).
    Die Veröffentlichung des vollständigen Textes des neuen europäischen Dokuments brachte keine Klarheit. Dort bezieht es sich insbesondere auf die Aufhebung des Verbots des „Informationsaustauschs“, das mit denselben ICAO-Standards verbunden ist.

    Dies könnte bis zu einem gewissen Grad auf Wartungsprobleme beziehen, meint Roman Gusarov, Chefredakteur des Avia.ru-Portals.
    Immerhin haben die Europäer ihre Zertifikate zurückgezogen, die sie unseren Organisationen zur Wartung ausgestellt haben. Es gibt auch Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Lufttüchtigkeitszeugnissen für Luftfahrzeuge. Das sind die Momente, die sie auch interessieren.
    Vielleicht haben wir angesichts solcher Zugeständnisse Chancen, in weitere Länder zu fliegen, die uns freundlich gesinnt sind. Die meisten Experten raten, noch keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Lassen Sie zunächst die europäischen Flugzeughersteller selbst herausfinden, was ihre Aufsichtsbehörden vorhatten.

    (…)

    (KP, 23.7.)

    Die Sanktionen selbst beziehen sich vor allem auf Einreiseverbote für Personen, die ohnehin nicht vorhaben, in die EU einzureisen, und Maßnahmen gegen russische Finanzinstitute, die aber angesichts der bereits getroffenen Einschränkungen nicht sehr ins Gewicht fallen.
    Man merkt, um des lieben Friedens willen mußten auch solche Kosmetik-Maßnahmen vorgenommen werden.

    Ebenso tritt das Handelsverbot mit russischen Gold in Kraft, das aber für die EU wenig Bedeutung hat, allerdings etwas mehr für Großbritannien.

  33. Stephan Kaufmann:   Der Preis der Zeitenwende

    Mit Wirtschaftssanktionen will der Westen Russland niederringen. Die Folgen sind weltweit zu spüren

    In Deutschland und Europa schwächt sich die Konjunktur ab, die Inflation klettert immer höher. Erklärt wird das zum Großteil mit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Das ist jedoch ungenau. Denn was die Weltwirtschaft erschüttert, ist weniger der Krieg an sich, sondern sind die Wirtschaftssanktionen des Westens und die russischen Reaktionen darauf. An den Sanktionen wird die Kritik laut, sie verursachten Kosten, bewegten Russland aber nicht zur Beendigung des Krieges. Diese Kritik geht jedoch fehl – das Ziel der Sanktionen ist wesentlich weiter gefasst. Sie sind Teil der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende.

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165705.ukrainekrieg-der-preis-der-zeitenwende.html

  34. Die Zeitenwende ist praktisch die Aufgabe der EU als weltpolitischem Akteur, nur hat sich das noch nicht in die Führungsetagen der EU herumgesprochen.

    Auch der Kaufmann-Artikel ist da unentschlossen, weil er die Absichten der EU-Granden zitiert, und damit die beabsichtigte Wirkung suggeriert:

    Vielmehr geht es den sanktionierenden Staaten laut eigenen Aussagen um Größeres: um die dauerhafte Ausschaltung Russlands als geopolitischem Akteur. Dafür setzen sie an der Basis seiner Macht an – der Ökonomie. (…)

    Die Sanktionen zeigen Wirkung. (…)

    Russlands Hoffnungen auf China als Ersatzlieferant scheinen sich zu zerschlagen: Laut dem Peterson Institute (PIIE) in Washington sind Chinas Ausfuhren nach Russland zwischen Kriegsbeginn und April um fast 40 Prozent gefallen. „Chinas Exporteure scheinen die Risiken der Verletzung des westlichen Sanktionsregimes internalisiert zu haben», erklärt Martin Chorzempa vom PIIE.

    Rußland hat sich auf das alles eingestellt und stellt sich weiter darauf ein – immerhin hat das größte Land der Welt ganz andere Ressourcen als irgendein anderes Land auf diesem Planeten.

    Dergleichen Artikel sind ein bißl das Pfeifen im Wald gegen die Angst.

  35. "Was ist denn mit der Jamal und der Pipeline durch die Ukraine? Wurden die nicht angeblich von Polen und der Ukraine gesperrt, bzw. in letzterem Fall, reduziert?"

    Na eben. Der Olaf lügt wie gedruckt, als wüsste er nicht ganz genau, dass durch Jamal nichts mehr kommt und dass die Ukraine den Gastransit reduziert hat. Was nützen denn die Piplines, wenn nichts mehr durchkommt.

    Die Gasturbine liegt anscheinend seit anderthalb Wochen in Köln rum, weil laut Gazprom die Zollpapiere fehlen, was Siemens Energy bestreitet. 

    Gazprom will Kommunikation mit Siemens Energy veröffentlichen
    Markelow sagte, Gazprom habe zehn Briefe an Siemens Energy geschrieben, aber nur zu einem Viertel seien die beanstandeten Probleme behoben worden. Details wurden nicht genannt, allerdings kündigte das Unternehmen die Veröffentlichung eines Teils der Kommunikation mit Siemens Energy an. Im Moment sei in der für Nord Stream 1 wichtigen Gasverdichterstation nur eine von sechs Turbinen im Einsatz, sagte Markelow.

    3 Turbinen müssen von Siemens Energy repariert werden, eine Turbine muss zur Wartung und eine liegt in Köln. Ich kann die Stellungnahme von Siemens Energy nicht nachvollziehen: „Wir sehen zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zusammenhang zwischen der Turbine und den durchgeführten beziehungsweise angekündigten Gasdrosselungen.“ Ich mein, ohne Pumpe kann man nicht Pumpen. Der Zusammenhang ist doch evident.

    Allerdings verstehe ich auch nicht, was das mit den Papieren soll. Will Russland, dass die Sanktionen in diesem Bereich zurückgenommen werden, will sie die Gaslieferungen rauszögern, damit Nord Stream 2 geöffnet wird?

    zu Stefan Kaufmann:
    "An den Sanktionen wird die Kritik laut, sie verursachten Kosten, bewegten Russland aber nicht zur Beendigung des Krieges. Diese Kritik geht jedoch fehl – das Ziel der Sanktionen ist wesentlich weiter gefasst."

    Ja. Russland soll ruiniert werden. Die Frage ist bloß, ob das funktioniert.
    Kaufmann führt zwei Argumente an:

    "Als Reaktion verlassen Konzerne reihenweise das Land. „An jedem Tag, den der russische Krieg gegen die Ukraine andauert, ziehen sich weitere internationale Unternehmen vom russischen Markt zurück und die Krise verschärft sich», erklärt Catharina Claas-Mühlhäuser vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Diese Woche berichtete eine russische Zeitung, Volkswagen suche einen Käufer für sein Werk in der Stadt Kaluga."

    Da man den sachlichen Reichtum nicht mitnehmen kann, müssen die Fabriken eben verkauft werden und weil das ein Notverkauf ist, wird das Zeug wie im Fall von Mc Donalds für nen Appel undn Ei verscherbelt. Die neuen Eigentümer dürften sich freuen. Ob das Russland so nachhaltig schadet ist fraglich. Neulich wurde von der hiesigen Presse hämisch berichtet, dass Lada ein Auto ohne Airbag und Abs auf den Markt bringt. Klar besser mit. Aber ich habe noch Zeiten erlebt, wo kein Auto sowas hatte und rumfahrn konnte man damit auch.

    "Laut dem Peterson Institute (PIIE) in Washington sind Chinas Ausfuhren nach Russland zwischen Kriegsbeginn und April um fast 40 Prozent gefallen. „Chinas Exporteure scheinen die Risiken der Verletzung des westlichen Sanktionsregimes internalisiert zu haben», erklärt Martin Chorzempa vom PIIE."

    Sagt ein Institut aus Washington. Der Kreml veröffentlicht keine Zahlen. Ob das so stimmt oder was da dran ist, weiß niemand. Kaufmann ist auch der einzige, der diese Information ausgegraben hat.

    "Die Sanktionen zeigen Wirkung. Zwar meldet Russland steigende Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf. Die Wirtschaftsleistung allerdings ist im zweiten Quartal 2022 laut Wirtschaftsministerium in Moskau um vier Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum geschrumpft. Für das Gesamtjahr erwartet der IWF eine Schrumpfung von sechs Prozent, das auf Osteuropa spezialisierte Wiener Institut WIIW sogar von sieben Prozent und das internationale Bankeninstitut IIF von 15 Prozent. Zur Erinnerung: Für Deutschland sagte der IWF im schlimmsten Fall eines vollständigen russischen Gaslieferstopps eine Kontraktion von knapp fünf Prozent voraus. In Russland herrscht also eine Krise, die sich verstärkt: Seine Wirtschaft wird um Jahre zurückgeworfen, es „zeichnet sich ein ökonomischer Schock auf Raten ab», so das WIIW. Die Produktionsausfälle in der Industrie aufgrund fehlender westlicher Komponenten seien schon jetzt dramatisch."

    Also eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung in Russland liegt zwischen 4 und 15%. Eine ziemlich große Spanne, oder? Je russenfeindlicher und amerikafreundlicher, desto höher der Prozentsatz. Mit realistischen Daten hat das nichts zu tun, eher mit einer Rechtfertigung der Sanktionen, denen man ihre Wirkung bescheinigen will. Nehmen wir mal den IWF: Russland 6%, Deutschland 5% – Ja, die Sanktion wirken zweifellos. Und Deutschland ist mit die stärkste Ökonomie im Euroraum.

    "Doch das sind nur die kurzfristigen Folgen, zu denen sich langfristige gesellen können. IIF-Chefökonom Robin Brooks sieht einen „erdbebenartigen Schock für die Eurozone, weil ein so großer Teil des europäischen Wachstumsmodells auf billiger russischer Energie basiert. Damit ist es vorbei.» Gefahr droht insbesondere für Deutschland. „Die aktuelle Gas-Krise und der Wechsel von relativ günstigem russischem Pipelinegas auf teureres LNG könnte einen Strukturwandel für den Industriestandort Deutschland und das deutsche exportorientierte Geschäftsmodell auslösen», schreibt Deutsche-Bank-Ökonom Erik Heymann in einer neuen Studie."

    Wohl wahr. Nestor ist deshalb zuzustimmen:

    Die Zeitenwende ist praktisch die Aufgabe der EU als weltpolitischem Akteur, nur hat sich das noch nicht in die Führungsetagen der EU herumgesprochen.

  36. Also das letzte, was ich zu der Turbine gelesen habe, ist, daß sie entgegen den vertraglich vereinbarten Leistungen nur zu einem Viertel gewartet bzw. repariert wurde und daher nicht voll leistungsfähig ist.

    Das muß man auch mit der Rolle von Siemens ins Verhältnis setzen, die diese Firma im Rußlandgeschäft einnimmt bzw. eingenommen hat.
    Man erinnere sich, 2018 wurde gegen Siemens ermittelt, weil sie genausolche Turbinen auf die Krim geliefert hatten.

    Jetzt hat sich Siemens völlig aus Rußland zurückgezogen, und wer weiß, nach was für Drohungen. Wenn die jetzt die Turbine 1A wieder zurück-installieren, wer weiß, was dann passiert …
    Es wird ja nicht öffentlich mitgeteilt, wie hinter den Kulissen die Sanktionen gültig gemacht werden und wie dort die imperialistische Konkurrenz aussieht.

  37. Die Probleme scheinen wirklich nicht beim Lieferanten zu liegen:

    Wie der Gasspeicher Haidach vom Vorzeigeprojekt zum Streitfall wurde

    Einst galt der Salzburger Speicher als Garant für Versorgungssicherheit. Heute steht er großteils leer – und sorgt für Konflikte zwischen Österreich und Bayern

    Im Jahr 2007 war die Welt noch in Ordnung. Der Energiemarkt boomte, Versorgung und günstige Preise schienen dauerhaft gewährleistet. Eine damalige Festschrift zur Eröffnung des Gasspeichers Haidach strotzt nur so vor feierlichen Worten. Eine "Bilderbuchlagerstätte" sei das, liest man da, die "einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit Europas" leiste. Gelobt wird auch die "sehr gute internationale Zusammenarbeit" mit der russischen Gazprom.

    Von all dem ist keine Rede mehr, seit Russland Ende Februar die Ukraine überfallen hat. Haidach, der zweitgrößte Gasspeicher Mitteleuropas unter der Ägide Gazproms, ist stattdessen zum Problemfall geworden. Zum Symbol für die Abhängigkeit von Russland. Zum Streitobjekt zwischen Österreich und Bayern – denn München fürchtet, Wien könne Gas aus Haidach für sich selbst abzweigen.

    Die Geschichte von Haidach erzählt viel über die Energiekrise und die enge Partnerschaft zwischen Österreich und Russland, die unter anderem den Boden dafür bereitet hat.

    Nahe der Gemeinde Straßwalchen, im Norden Salzburgs, befindet sich ein ehemaliges natürliches Erdgasreservoir, entdeckt im Jahr 1997, das sich bestens als Speicherstandort eignet. Die potenzielle Speicherkapazität ist riesig: 2,6 Milliarden Kubikmeter, das entspricht einem Drittel des Fassungsvermögens aller heimischen Speicher zusammen.

    Wenig Interesse

    Um die Jahrtausendwende entstand deshalb der Plan, in Haidach einen Speicher zu errichten. Das Problem: Es gab keine Nachfrage. Österreichs Energieunternehmen hatten schon mehr als genug Speicher für ihre Kunden, weil es hierzulande viele gut dafür geeignete Orte gibt. Das rief einen ausländischen Konzern auf den Plan, ohne den Haidach wohl nie errichtet worden wäre: Gazprom. Der Staatskonzern suchte nach Möglichkeiten, seine exportierten Gasreserven nahe an den Endkunden in Westeuropa zu lagern.

    Gazprom wollte damit gewappnet sein für den Fall, dass Pipelines in den Westen ausfallen – dann hat man vor Ort bereits Reserven. Überdies schwang bei den Russen geopolitisches Kalkül mit: Sollte es etwa mit der Ukraine zum Streit um die Durchleitung von Gas kommen – wie es 2009 tatsächlich geschah –, steht Russland stärker und verlässlicher da, wenn es über volle Lager im Westen verfügt.

    Versorgungssicherheit

    Aus diesen Gründen legte sich Gazprom zu dieser Zeit nicht nur in Haidach Speicherplatz zu, sondern etwa auch in Deutschland, Tschechien und Serbien. Die Gazprom-Pläne schienen Europas Versorgungssicherheit zu erhöhen. Sie wurden deshalb "recht positiv aufgenommen", erklärt Carola Millgramm, Chefin der Gas-Abteilung der Regulierungsbehörde E-Control, in Petajoule, einem Podcast der Österreichischen Energieagentur.

    Was aber tun mit dem vielen neuen Speichergas, an dem in Österreich kein Bedarf besteht? Haidach wurde konzipiert, um den süddeutschen Raum zu versorgen, speziell die gasintensiven Chemiebetriebe Bayerns. Der Speicher ist, wenn man so will, ein Stück deutsche Gasinfrastruktur, das sich aufgrund geografischer und geologischer Bedingungen auf österreichischem Boden befindet. Nur wenig Gas fließt – via Deutschland – weiter nach Tirol und Vorarlberg. Zum ostösterreichischen Gasnetz hat Haidach nicht einmal eine Anbindung.

    "Vermarktung" der Speicher

    Technisch betrieben wird die Anlage von der RAG Austria AG (Rohöl-Aufsuchungsgesellschaft), die mehrheitlich der niederösterreichischen EVN gehört und über eine Lizenz zum Betrieb von Gasspeichern verfügt.

    Die wirtschaftlichen Betreiber jedoch sind zwei Auslandstöchter der Gazprom, GSA und Astora. Die beiden "vermarkten" die Speicher, wie man in der Branche sagt. Sie vermieten also Speicherplatz an Interessenten. Vermutlich – genau weiß man das nicht – handelt es sich bei einem wichtigen Mieter um Gazprom selbst.

    Alles lief glatt – bis zum Jahresende 2021. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Füllstände im – bisher stets gut gefüllten – Haidach sukzessive niedriger. Am 29. März 2022 schließlich, einen Monat nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine, war einer der beiden Großspeicher, jener der GSA, vollständig entleert.

    Füllstand: 0,0 Prozent

    Gazprom setzt also heute seine Speicher als Waffen ein, um die Gaspreise in die Höhe zu treiben und die Europäer im Ukraine-Krieg zum Einknicken zu zwingen. Was dagegen tun? In den vergangenen Monaten arbeitete die Regierung in Wien an neuen Gesetzen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Eines davon ist eine sogenannte Use-it-or-lose-it-Klausel bei Gasspeichern. Das Grundprinzip: Wer seine Speicher nicht füllt, verliert die Nutzungsrechte.

    Und so geschah es. Mit 1. August startet nun die Befüllung des Speichers Haidach. Dafür verantwortlich ist nunmehr nicht mehr die Gazprom-Tochter GSA, der dieses Recht entzogen wurde, sondern vorübergehend die Regulierungsbehörde E-Control. Sie sucht nun nach einspeicherwilligen Unternehmen oder anderen Akteuren.

    Einen davon kennt man bereits: die Republik Österreich. Sie wird einen Teil ihrer neuen strategischen Gasreserven, die zur Krisensicherung angekauft werden, in Haidach einlagern. Haidach spielt eine wichtige Rolle beim Plan der türkis-grünen Regierung, bis Winterbeginn die Füllstände von Österreichs Speichern auf insgesamt 80 Prozent zu bringen. Zu diesem Zweck soll der Speicher auch rasch ans österreichische Netz angeschlossen werden. Denn im Notfall soll das Gas über eine stabile Verbindung Richtung Ostösterreich fließen können.

    Bayern protestiert

    Es gibt jedoch einen Protagonisten, den Österreichs neues Interesse an Haidach verstört: Bayern. "Wir beobachten die Entwicklungen mit großer Sorge", sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag – und appellierte an seine eigene Bundesregierung in Berlin, "zu sagen, wann und wie viel Gas aus Haidach nach Bayern fließt".

    Ein einstiges Vorzeigeprojekt wurde also zum Streitfall, ein Bilderbuch zum Lehrbuch über Energieknappheit. Über Haidach wird man in den kommenden Monaten garantiert noch viel hören.

    https://www.derstandard.at/story/2000137885870/wie-der-gasspeicher-haidach-vom-vorzeigeprojekt-zum-streitfall-wurde

    Rußland kann nichts richtig machen: Setzt es sein Gas „politisch“ ein, so ist es böse, und wenn es auf Marktwirtschaft macht, ist es auch böse.

    Auch über das Eigentum erfährt man einiges: Solange der Speicher Gazprom gehörte, war alles in Ordnung. Seit er von Österreich enteignet wurde, gehört er – Österreich? Oder doch nicht?

  38. 01.08.2022 Einzelhandel: Stärkster Umsatzeinbruch seit 28 Jahren

    "Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, war der Umsatz inflationsbereinigt um 8,8 Prozent niedriger als vor einem Jahr. Das sei der größte Rückgang zum Vorjahresmonat seit 1994. Experten rechnen auch weiterhin mit schwierigen Zeiten für den Handel. Die Verbraucher kämpften mit gravierenden Verlusten beim Realeinkommen und würden deshalb auf Konsum verzichten, hieß es zur Begründung. Auch die Gas-Umlage werde die Konsum-Wünsche in diesem Jahr noch beschneiden."

    Erste Auswirkungen der massiven Inflation machen sich bemerkbar. 8,8 % Inflationsbereinigt sind 16-17% nicht inflationsbereinigt. Und das sind Geldumsätze mit Waren, die sich um 30-50% verteuert haben. Würde mich mal interessieren, wieviel Waren weniger gekauft wurden. Das geht dann Richtung 30-40%. Selbst wenn die Umsätze nicht zurückgingen, würde mit dem gleichen Geld bei höheren Preisen, viel weniger Waren gekauft. Ich würde das als regelrechten Nachfrageschock bezeichnen. Bei den Produzenten müssen sich ja die Waren mittlerweile stapeln.

    Statt mit dem Preis runter zu gehen, werden die Sachen wahrscheinlich lieber vernichtet.

  39. "Der Krieg schlägt den Konsumenten auf die Stimmung
    Für Stefan Genth, Chef des Handelsdachverbandes HDE, hat der Rückschlag vor allem mit der Stimmung der Verbrauchenden zu tun: „Der Einzelhandel bekommt vielerorts die aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine schlechte Konsumstimmung zu spüren. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind verunsichert, wie es angesichts der Inflation mit ihren Arbeitsplätzen und ihrem Einkommen weitergeht“, sagte Genth dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

    Für Genth ist aber auch klar, dass die Stimmung derzeit schlechter ist als die tatsächliche Lage der Konsumenten: „Dabei ist grundsätzlich ausreichend Geld vorhanden, denn die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor stabil und viele haben während der Corona-Zeit zusätzlich gespart.“
    grundsätzlich" (2 Monate alt)

    Es ist schon seltsam wie manche Journalisten das Verhältnis von Arbeitereinkommen und Inflation betrachten. Der Geldmangel der Arbeiter wird da in eine eigentümliche Gemütslage übersetzt. Der Krieg hat die Kosumenten in eine schlechte Konsumstimmung versetzt. Klar, Putin verbreitet schlechte Laune, die elende Spaßbremse. Dabei ist diese Kriegsdepression total irrational, wie der Herr Dschurnalist zu berichten weiß, denn "grundsätzlich" d.h. eigentlich, theoretisch haben die Leute genug Geld, um die teurer gewordenen Produkte zu kaufen, denn

    1. haben sich die Leute während Corona den Urlaub gespart (auch so ein Narrativ, dass die Leute während Corona Reichtümer angesammelt hätten) und sowas ist natürlich ein unhaltbarer Zustand, weil der Lohn der Arbeiterklasse ja schon längst in ihrer Funktion als Konsumenten verplant ist. Da ist es ja wohl nicht zuviel verlangt, wenn sie dieses Geld in die unerschwinglich gewordenen Lebensmittel stecken, an den fehlenden Urlaub haben sie sich ja jetzt gewöhnt und außerdem war das Fleisch sowieso zu billig.

    2. sei der Arbeitsmarkt stabil. Ein stabiler Arbeitsmarkt erhöht bloß die Löhne nicht, weswegen praktisch eben nicht "ausreichend Geld vorhanden" ist, auch wenn es "grundsätzlich" da sein müsste. Dieses verstockte Konsumentenpack, hält einfach irrational und total grundlos sein Erspartes beisammen, obwohl das doch eigentlich dem Handel zusteht.

  40. Da gab es doch einmal vor Jahren das Schimpfwort der „Konsumverweigerung“, auf Leute gemünzt, die sich nicht fest verschuldeten, um dann fest zu konsumieren.

  41. Mit dem 1. August wird der Import russischer Kohle in die EU verboten. Bisher belief sich der Import russischer Kohle in die EU auf 4,4 Mrd. €. Auf dem Höhepunkt des Imports – 2018 – betrug er 62 Millionen Tonnen.
    Zu dieser Importabhängigkeit trug auch bei, daß die EU wegen Klima ihren eigenen Kohleabbau beschränkte, Rußland den seinen jedoch nicht.

    Während überall Kohlekraftwerke reaktiviert werden und ohnehin keiner weiß, woher die Kohle herkommen soll, verpflichtet die EU ihre Mitglieder, Kohle aus Übersee zu kaufen … Ob die eigenen Kohleproduzenten – neben Deutschland vor allem Polen und Spanien – hier wesentlich etwas beitragen können, ist nämlich fraglich.
    Dazu kommt noch, daß aus der Ukraine auch wenig zu erwarten ist, da die meisten Kohlebergwerke im Donbass liegen.

    Auf jeden Fall wird der Kohlepreis auch ordentlich steigen.

    Es kommt also zu einem wirtschaftlich absurden Wechsel, nach dem Kohle aus Australien nach Europa und Kohle aus Rußland nach Indien geliefert werden wird, mit beträchtlichen erhöhten Transportkosten. Außerdem wahrscheinlich so, daß Europa für seine Kohle mehr zahlen muß als Indien.

    Allerdings ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Großbritannien hat schon durchblicken lassen, daß man im Notfall auch Ausnahmegenehmigungen erteilen wird, die dann natürlich die ganze Sanktionspolitik endgültig ad absurdum führen werden.

  42. Die Turbine ist immer noch nicht an ihrem Arbeitsplatz angelangt!

    Deutscher Kanzler Scholz besucht Turbine für Nord Stream 1

    Die Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 befindet sich nach wie vor in Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz werde sie am Mittwochvormittag bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr besichtigen, teilte der Energietechnikkonzern am Dienstag mit. Dort stehe die in Kanada gewartete Turbine für den Weitertransport nach Russland bereit. Scholz werde gemeinsam mit Siemens-Energy-Chef Christian Bruch ein kurzes Pressestatement abgeben.

    Russland liefert seit längerer Zeit deutlich weniger Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 als technisch möglich wäre. Zur Begründung wird auf Probleme mit der Turbine verwiesen, deren Rückgabe sich nach der Wartung in Kanada seit Wochen verzögert.

    https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000137955123/1000276224/erstes-schiff-mit-getreide-aus-der-ukraine-auf-dem-weg

    Kabarett live.
    Diese Turbine ist eine Art Star geworden …

  43. Ärgerlich für die deutsche Politik, der Mann:

    Gerhard Schröders diplomatische Grüße aus Moskau

    Erneut war der deutsche Ex-Kanzler bei Wladimir Putin. Er sieht Chancen für Verhandlungen, um den Krieg zu beenden. Und er fordert, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen

    Diesmal war Gerhard Schröder zurückhaltender: Vom erneuten Besuch des deutschen Ex-Kanzlers (1998 bis 2005) in Moskau wusste kaum jemand. "Ich mache hier ein paar Tage Urlaub. Moskau ist eine schöne Stadt", sagte er vor wenigen Tagen zum Korrespondenten des deutschen Nachrichtensenders n-tv, als dieser den ehemaligen Regierungschef zufällig in der russischen Hauptstadt erblickte.

    Geglaubt hat das natürlich niemand. Doch immerhin war Schröder, der wegen seiner mangelnden Distanz zum russischen Präsidenten Wladimir Putin in Deutschland schwer in der Kritik steht, diskreter als noch im März.

    Damals war seine Ehefrau Soyeon Schröder-Kim mitgereist und hatte ein Selfie gepostet, das sie, ins Gebet versunken, vor der Kulisse Moskaus zeigte. In Deutschland löste es Befremden aus.

    Thema Energiepolitik

    In einem Interview mit dem "Stern" sagte der Altkanzler nun, dass er natürlich auch diesmal nicht als Tourist gekommen sei: "Ich war in Moskau, um mich um Energiepolitik zu kümmern."

    Er bestätigte auch ein Gespräch mit Putin und sagte darüber: "Die gute Nachricht heißt: Der Kreml will eine Verhandlungslösung." Lob gab es für die Türkei, diese habe sich in die Verhandlungen über Getreidelieferungen "sehr hilfreich" eingebracht. Vielleicht, so Schröder, "kann man das langsam zu einem Waffenstillstand ausbauen". Dafür müsse die deutsche Regierung sich aber stärker einbringen.

    Allerdings wies Schröder auf zu erwartende rote Linien Moskaus hin: "Wer glaubt denn ernsthaft, dass ein russischer Präsident die Krim je wieder aufgeben könnte?" Und: "Ohne die Unterstützung der Amerikaner wird es keine Verhandlungslösung geben." (…)

    Für die Versorgung mit Gas in Deutschland und Europa hat Altkanzler Schröder übrigens noch einen anderen Tipp: "Die einfachste Lösung wäre, die Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen." Diese wäre betriebsbereit, allerdings hat Deutschland das Projekt nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine auf Eis gelegt.

    Nord Stream 2 zu nutzen – das fordern auch sieben Bürgermeister der Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern. In dem ostdeutschen Bundesland, nicht weit von Rügen entfernt, befinden sich die Anlandestationen für Nord Stream 1 und 2.

    Nur so, meinen die Ortschefs, könne Deutschlands Energiesicherheit "auf Dauer" gewährleistet werden. Dieses Argument führt auch Schröder an. Sonst könnte es "zu einer ganz neuen Dimension von Verteilungskämpfen" kommen: "Da möchte ich nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken."

    https://www.derstandard.at/story/2000138010456/diplomatische-gruesse-aus-moskauschroeder-distanziert-sich-weiter-nicht-von-putin

    Oder aber, er stellt Weichen, für die manche in der deutschen Politik ihm dankbar sein könnten …

  44. Französische Armee: Der Stabschef schlägt Alarm

    Vor dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung erläuterten die Soldaten die Grenzen Frankreichs angesichts eines potenziellen Konflikts von „hoher Intensität“.

    Seit dem 24. Februar und dem Einmarsch russischer Truppen auf ukrainischem Boden wird in den französischen Kasernen die Debatte geführt: Wäre die französische Armee in der Lage, einen sogenannten „hochintensiven“ Konflikt auszuhalten?

    Ursprünglich dafür vorgesehen, um schnelle Eingreiftruppen um die Welt zu schicken, könnte das dreifarbige Modell einer „kompletten“, aber mit reduzierten Mitteln ausgestatteten Armee ein konventionelles „Massen“-Militärengagement mit einem Gegner mit symmetrischen Fähigkeiten aufrechterhalten, wie es die Soldaten der Ukraine tun, die den Streitkräften von Wladimir Putin gegenüberstehen?

    (…)

    https://www.lemonde.fr/international/article/2022/08/13/armee-francaise-l-alerte-des-chefs-d-etat-major_6137950_3210.html

    Die Armeeführung meint: Nein, weil die Armee nach 20 Jahren „assymetrischer Kriegsführung“, also gegen viel schlechter ausgerüstete Gegner, gar nicht darauf ausgerichtet ist.

    Außerdem soll es bei einigen Waffengattungen ein Defizit geben, weil alles an die Ukraine geliefert wurde.

  45. Da der Artikel hinter einer Bezahlschranke liegt, hier einer, den man lesen kann:

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der kürzlich eigens nach Katar gereist war und danach verkündete, dass Deutschland künftig statt von Russland aus dem Golf-Staat beliefert werde, hat laut Bild-Zeitung bekanntgegeben, dass die Reise erfolglos war: Die Kataris hätten sich entschieden, kein gutes Angebot zu machen, soll Habeck auf seiner Sommertour in Bayreuth gesagt haben. „Und die Unternehmen, mit denen ich damals da war, haben sich im Moment woanders Gas besorgt.“

    Deutschland hat sich darüber hinaus entschieden, die fertige Pipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb  zu nehmen. Die Energiepolitik bietet vorerst vor allem Steuerhöhungen in Form einer Gasumlage, moralische Appelle, Ankündigungen und Energiespar-Fantasien.

    Mit anderen Worten die Scheichs haben Habeck gnadenlos auflaufen lassen. Was soll auch rauskommen, wenn ein Grüner, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen fossile Brennstoffe hetzt, fossile Brennstoffe kaufen will.  Dass die Gasverbraucher kollektiv die Gasversorger schadlos halten sollen, die durch ihre Einkäufe auf hochspekulativen Spotmärkten entstehen, ist meines Wissens auch noch nie dagewesen. Abwälzen der Spekulationspreise auf Endverbraucher ist keine Maßnahme, die die Energiesouveränität voranbringt. 

    Hier sieht man, was die neoliberale Kacke in Wirklichkeit bedeutet. Wenn alles gut geht, dürfen die Privatunternehmen Gewinne machen. Wenn es schlecht geht, werden sie gerettet. Diesmal aber nicht durch den Staat, sondern durch die Gaskunden mit Hilfe des Staats. Soll der Staat die Unternehmen doch bankrott gehen lassen. Dann beteiligt er sich mit 51 % und sagt wo's lang geht.

    Das wäre wirklich ein Beitrag zur Energiesouveränität. Dann könnte der Staat nämlich direkt selbst planen, wie er die Energiesicherheit gewährleistet und er wäre nicht den Kalkulationen von Privatunternehmen ausgeliefert, denen er dann irgendwelche Vorschriften machen muss. z.B. mit dem Energiesicherungsgesetz- Dann müsste man aber zugeben, dass die ganze Marktliberalisierung ein großer Haufen Mist war. 

  46. Auch Katr hat nicht endlos Gas, dieser Mini-Staat. Und da waren eben andere schneller.

    Dazu kommt, daß Deutschland – und seine Unternehmen – im Lichte der Nord Stream-Pipelines und seiner eingebildeten Stellung als künftiger Energie-Hub lange überhaupt nicht um Öl und Gas aus der Golfregion angestellt hat und deshalb dort als Kunde auch nicht sehr gut eingeführt ist.

  47. Während Putin die Ukraine bombardiert, reisen Russen in die EU in die Ferien – das provoziert. Es zu unterbinden, ist allerdings nicht ganz einfach

    Seit der Aufhebung Covid-bedingter Beschränkungen passieren wieder vermehrt russische Bürger die Grenzübergänge zu Finnland. Dort erregt dies zunehmend Unmut. Doch weil es um Visa für den Schengenraum geht, hat Helsinki nur beschränkte Handlungsmöglichkeiten.

    (…)

    https://www.nzz.ch/international/waehrend-putin-die-ukraine-bombardiert-reisen-russen-in-die-eu-in-die-ferien-das-provoziert-es-zu-unterbinden-ist-allerdings-nicht-ganz-einfach-ld.1697010

    Die Leute fahren natürlich nicht in den Urlaub, sondern um einzukaufen. Genauso fahren Finnen über die Grenze nach Rußland, um zu tanken.
    Würde Finnland das unterbinden, so wäre wieder ein Stück eigener Ökonomie geschädigt.

  48. Du meinst es geht zu, wie im Supermarkt in der DDR oder wie im Winterschlussverkauf,  Man muss sich anstellen und wird der Reihe nach bedient? Eine Überschrift ist das doch nur wert, weil Deutschland das Nachsehen gegenüber Italien hat. Italien hat es besser gemacht, was ein Tadel für Deutschland sein soll. Wenn sogar Italien, das eigentlich nur im Fußball und beim Essen gut ist, besser zurecht kommt als Deutschland, dann geht schon fast die Welt unter. Das knabbert am nationalen Selbstbewusstsein.

    So ist das nun mal, wenn innerhalb von einer Woche die Strategie der nationalen Energieversorgung auf den Kopf gestellt und die Inbetriebnahme einer fertigen Pipeline verweigert wird. 

    “Würde Finnland das unterbinden, so wäre wieder ein Stück eigener Ökonomie geschädigt.” Du meinst so, wie Deutschland und Polen das tun.

  49. “Würde Finnland das unterbinden, so wäre wieder ein Stück eigener Ökonomie geschädigt.” Du meinst so, wie Deutschland und Polen das tun.

    Das ist ungefähr so "vernünftig", wie das Projekt von Finnland und Estland, gegen Rußland eine weitere Kriegsfront aufzumachen und die russische Ostseeflotte mit einer Blockade des Finnischen Meerbusens anzugreifen.

  50. Oder so vernünftig wie im Fall von Polen russische Gaslieferverträge zu kündigen, um fortan in umgekehrter Richtung von Deutschland Gas zu beziehen oder so vernünftig wie Nord Stream 2 nicht ans Netz gehen zu lassen.

  51. Nestor: Ich such gerade wieder nach einem Thread. Deine Suchfunktion taugt nichts, weil sie die Beiträge unberücksichtigt lässt. Außerdem kann man praktisch nur auf die Beiträge zugreifen, die kürzlich kommentiert wurden. Was etwas älter ist, erscheint da oft nicht mehr. Wenn es wenigstens eine längere Liste mit Threads gäbe, die man anklicken kann. Irgend eine Art Übersicht wäre nicht schlecht, aber nicht nur 5, sondern 20 oder 15.

  52. Sorry, aber so ist das nun einmal.

    Wenn ich die Beiträge kommentiere, so gehe ich auf „Sitemap“ ganz oben und suche dann. Mehr kann ich leider nicht anbieten. 😉

  53. Hat mich jetzt aber auch nicht weitergebracht. Ich such den Thread wo Leser den youtube-Beitrag von Küppersbusch und den Artikel: "Maischberger, Will, Plasberg und Jauch kümmern sich um Armut und Reichtum im Kapitalismus – Eine Studie über Techniken moralischer Urteilsbildung" verlinkt hat.

    Mag jetzt nicht mehr suchen, deshalb mein Kommentar zum Artikel hier.

    An der Analyse der Beiträge der Gäste in den verschiedenen Talkshows habe ich eigentlich nichts auszusetzen. Das Fazit finde ich aber daneben. Es trifft die Sache nicht.

    "Was den Inhalt angeht, wird um nichts weiter gestritten als um Überzeugungen, die die korrekte Einstellung zur gesellschaftlichen Realität im Besonderen und im Allgemeinen, den anerkennenswerten oder verabscheuungswürdigen Umgang mit ihr, zum Gegenstand haben und um Anerkennung als allgemein zu billigende hochanständige Standpunkte konkurrieren – letzteres eben mit den geistigen Waffen des abstrakten Denkens."

    Das moralische Urteilen der Staatsbürger als die Leistung von abstraktem Denken zu adeln, halte ich für völlig verkehrt. 1. Erstmal muss man festhalten, dass alles Denken abstrakt ist. Das ist sein Begriff und geht auch gar nicht anders. Das ist ein Pleonasmus wie weißer Schimmel. Also kann es schon deswegen überhaupt keine Kritik sein, dass Denken abstrakt vor sich geht. Nicht das Abstrahieren an sich ist ein Fehler, sondern das falsche Abstrahieren, also das absehen von Dingen, die eigentlich wesentlich sind. Was man in solchen Talkshows bewundern kann, ist nicht "abstraktes Denken", sondern interessegeleites Denken – also Ideologie. Was man hier studieren kann, ist wie die bürgerlichen Charaktere ihr Interesse als Bourgeois in einen staatsbürgerlichen Standpunkt (als citoyen) verwandeln. Ihre Sichtweise als ökonomisches Subjekt übersetzen sie umstandslos in einen allgemeinen übergeordneten Standpunkt und empfehlen diesen dem Gemeinwesen, also dem Staat, als Richtschnur als  Maxime seines Handeln an. Und genau darum wird konkurriert.

    "Was soll das heißen: ‚abstraktes Denken‘? Wer denkt da ‚abstrakt‘?….
    Der Urteilende ordnet da der begutachteten Angelegenheit (BRD in der Nachkriegszeit; Massenarbeitslosigkeit heute) ein besonderes Merkmal, das ihm aus subjektiven Beweggründen wichtig erscheint (Wohlstand; Faulheit; bürokratische Schikanen), als ihren entscheidenden Inhalt zu, und erklärt es zu ihrem ‚Begriff‘; zur Begründung dient ihm ein anschaulicher Beispielsfall, wobei gar nicht auf den wirklichen Fall hingeschaut, sondern der Fall als Beispiel auf das Merkmal hinstilisiert, auf den ‚Begriff‘ verkürzt wird, der daran wahrgenommen werden soll. Argumentiert wird also mit einem Zirkelschluss zwischen ‚Begriff‘ und ‚Anschauung‘…"

    Eine subjektiv ausgewählte Eigenschaft wird als Begriff der Sache behauptet. Was ist daran "abstrakt"? Die Bebilderung dieses "Begriffs" mit einem konkreten Beispiel, wird in den Rang einer Begründung erhoben. Eigentlich wird nur die Wirklichkeit unter das eigene Interesse subsumiert. Das Interesse verändert also 1. Den Begriff der Sache 2. die Wahrnehmung der Realität, die diesen Begriff rechtfertigen soll. 

    Was die Staatsbürger sich also gegenseitig um die Ohren hauen, ist ihr Bourgeois-Interesse, verwandelt in einen allgemeinen Standpunkt des Gemeinwesens. Jeder will  seinen subjektiven Standpunkt zur allgemeinen Vorschrift machen. Genau so geht moralisches Denken (nicht abstraktes).
     

  54. Hegel verstehe ich so, dass er unter (falsch) "abstraktem Denken" eines verstehen will, welches aus dem Begriff einer Sache einen willkürlichen Gesichtspunkt herausgreift, und solch zufälligen Gesichtspunkt für "das Eigentliche" der Sachse selbst erklärt.

    http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hegel,+Georg+Wilhelm+Friedrich/Wer+denkt+abstrakt

    Als Bonmot gab es immer wieder mal  den  Spruch, dass Wirklichkeit zerstöre, wer Abstraktion unmittelbar als Wirklichkeit geltend mache: „Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.“ — Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Lectures on the Philosophy of History

    Der Gedanke Hegels ist später anscheinend hier so verwandelt worden: Ein Moment innerhalb der Erklärung einer Sache, oder gar ein falsches Urteil, z.B. ein eigenes Interesse an ihr, das wird fälschlicherweise für die Sache (bzw. die begriffene Sache,  die Erklärung der Sache) selbst genommen. Und das wird hier “falsch” (!) “abstraktes Denken” genannt. Und die “Wirklichkeit”, die dadurch ‘zerstört’ werde, ist m.E. gemeint als Wirklichkeit des wirklichen Begreifen. Wer, anstatt etwas zu begreifen, und dafür muss man sich der Mühe der Erklärung unterwerfen, nur flott mit Vorurteilen um sich wirft, der behindert damit sogar die Erklärung der Sache. (Das scheint mir darin so was wie ein Idealismus des eigentlichen Erklärens zu sein, so als habe der Erklärer es so noch mal schwerer beim Erklären.) Was als Bonmot zu Talkshows angemerkt, deren Inhalt nicht gut trifft.

    So viel auf die Schnelle zu dem (falsch) abstraktem Denken.

    Deine Auflösung von Talkshows geht dahin, dass das bourgeoise eigene ökonomische Interesse dort (in Talkshows) in das citoyen-Interesse verwandelt würde.  Mhm.

  55. Also mein Senf dazu, und zu Hegels Gedanken:

    Abstrahieren heißt so viel wie Allgemeines festhalten. Die Fakten sind da, wenn man sie erklären will, so muß man aus dem Einzelnen allgemeine Bestimmungen festhalten, wenn man etwas erklären will.
    Dabei kann man sich auch täuschen, das ist klar. Es gibt so etwas wie falsche Abstraktionen. Das heißt, man nimmt ein Element der Sache, das für diese nicht wesentlich ist, und baut darauf eine Verallgemeinerung auf. Es gibt irgendwo bei Hegel die Bemerkung, nur Menschen haben Ohrläppchen, es wäre aber verkehrt, das deshalb für die wesentliche Bestimmung des Menschen zu halten, also für das, was den Menschen von Tieren untzerscheidet.

    Bei diesen ganzen Talkshows, die ich nicht kenne, geht es aber vielleicht gar nicht ums Erklären. Ich habe inzwischen den Eindruck, daß es kaum einem der Denker, Experten und sonstigen Menschen, die irgendwie öffentlich werden, sich äußern und publizieren, um Wissen und begriffliches Erfassen der Wirklichkeit geht. Die Moral und die Anbetung der eigenen Herrschaft bestimmt den öffentlichen Diskurs. Und leider auch den privaten.

    Und so ist der absurde Vorwurf einzureihen, jemand denke „zu abstrakt“: Das heißt nichts anderes, als daß er/sie es an der Parteilichkeit fehlen läßt, die allerorten eingefordert wird.

    Viele Dialoge und Artikel arbeiten mit fertigen Textbausteinen, die je nach Bedarf aus der Schublade geholt und aneinandergereiht werden. Damit ist man auf der sicheren Seite und fällt nicht aus dem Rahmen. Deshalb auch die vielen Plagiate in den Geisteswissenschaften, weil jeder möglichst viel aus dem als Wissenschaften anerkannten Blabla übernimmt, um keinen Karriereknick zu erleiden. Die Angelegenheit um Relotius war da nur die Spitze des Eisbergs.

    Diese ganze angestrengte Selbstverdummung hat natürlich auch ihre individuellen Folgen: Lauter unglückliche Menschen, die Pillen und Drogen aller Art schlucken, mit Depressionen und Burnouts kämpfen, oder ihre Nachbarn und Partner drangsalisieren, bis hin zur Vernichtung.
    Der heute übliche Gebrauch des Geistes ist sehr zerstörerisch.

  56. In dem Artikel geht es gar nicht um Hegel. Der ist dort nicht einmal erwähnt. Da steht nur was von abstraktem Denken. Wenn man sich auf Hegel beziehen will, sollte man das auch sagen. Und wer unter "abstraktem Denken", verkehrtes Abstrahieren meint, sollte auch das sagen und nicht einfach falsches Abstrahieren mit abstraktem Denken gleichsetzen. Ansonsten trifft nämlich die Kritik, einen zufälligen Gesichtspunkt zur Sache selbst erklären zu 100% auf ein so bestimmtes abstraktes Denken zu. Der zufällige Gesichtspunkt, dass man von eigentlich wesentlichen Dingen absieht, wird zur Sache selbst erklärt, dem abstrakten Denken. Als ob abstraktes Denken notwendig verkehrt sein müsste. Das ist natürlich Blödsinn.

     „Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.“

    Ja, das Bonmot gibt es. Bloß ist Denken nicht, Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen. Gedanken sind im Kopf, sie stellen keine Wirklichkeit her. Ein Denker ist nicht Gott der Wirklichkeit schafft: "Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist." Sogar Gott erschafft die Welt bloß in der Einbildung der Gläubigen.

    Im übrigen ist das Blödsinn. Pläne sind auch Abstraktionen und damit kann man Häuser und Städte und Maschinen bauen. Es kommt also ein kleines bisschen auch auf den Inhalt der Abstraktion an, ob sie zerstört oder nicht. Man kann natürlich sagen. Städte zerstören Natur. Aber man merkt schon, dass so eine abstrakte Weisheit nicht viel taugt, weil es eben drauf ankommt, w a s zerstört und was errichtet wird.

    "Und das wird hier “falsch” (!) “abstraktes Denken” genannt."

    "Falsch" steht in dem Artikel aber nicht.

    "Wer, anstatt etwas zu begreifen, und dafür muss man sich der Mühe der Erklärung unterwerfen, nur flott mit Vorurteilen um sich wirft, der behindert damit sogar die Erklärung der Sache."

    Das ist bestenfalls eine negative Bestimmung. Ein Vorurteil wird als Nicht-Erklärung als Erklärungs-behinderung bestimmt, was mindestens eine falsche Abstraktion ist, weil er gar nicht bestimmt, wie das Vorurteilsbehaftete Denken funktioniert. Zudem hat das mit dem moralischen Urteilen in Talkshows nicht wirklich viel zu tun.

    "Deine Auflösung von Talkshows geht dahin, dass das bourgeoise eigene ökonomische Interesse dort (in Talkshows) in das citoyen-Interesse verwandelt würde."

    Das Interesse als ökonomisches Subjekt wird nicht dort erst verwandelt. In Talkshows treffen schon verwandelte Staatsbürgerinteressen auf einander und konkurrieren als solche gegeneinander und relativieren sich gegenseitig. Die Frage ist: Was ist besser fürs Gemeinwesen?

    "Und so ist der absurde Vorwurf einzureihen, jemand denke „zu abstrakt“: Das heißt nichts anderes, als daß er/sie es an der Parteilichkeit fehlen läßt, die allerorten eingefordert wird."

    Der GS wird das aber wohl kaum meinen.

  57. Man muß sich schon entscheiden, was jetzt Gegenstand ist.

    Ich habe versucht, zu erklären, was mit „abstrakt“ gemeint ist und welches Schindluder hier möglicherweise mit diesem Begriff getrieben wird.

    Entweder man befaßt sich mit dem staatsbürgerlichen Diskurs, der in solchen von dir erwähnten Talkshows getrieben wird. Oder man befaßt sich mit Artikeln, die sich darauf beziehen. Ich halte aber diese Meta-Ebene für eine Sackgasse.

  58. "Das Interesse als ökonomisches Subjekt wird nicht dort erst verwandelt. In Talkshows treffen schon verwandelte Staatsbürgerinteressen auf einander und konkurrieren als solche gegeneinander und relativieren sich gegenseitig. Die Frage ist: Was ist besser fürs Gemeinwesen?"  

    Ja, das finde ich treffend. Allerdings, die Formulierung einer Verwandlung von Bourgeois-Interesse ins Cityyen-Interesse  stammt von dir. Und sollte was genau erklären?

    Das Problem scheint mir hier zu sein, dass allgemeine Bestimmungen des Denkens (dann noch aus einer Hegel-Lektüre) bzw. des bürgerlichen Staatsbürgers unvermittelt auf Talkshows angewendet werden.  (Das betrifft sowohl Kategorien wie 'falsch abstraktes Denken'. als auch 'Bourgeois-Citoyen'.)

    Zu deinem  Zitat  oben. möchte ich noch hinzufügen, dass Talkshows sich darin unterscheiden, wie die Fortbildung und Unterhaltung des Publikums im Sich-Auskennen bei Staatsbürger-Gesinnungen unterschiedlich akzentuiert wird. Bei Lanz wird's prinzipiell, gerne auch mit der Variante, dass die PolitikerInnen darin vorgeführt werden, dass sie sich in ihrer Materie selber gar nicht auskennen bzw.  nur allgemeines Blabla bzw. Widersprüchliches von sich geben. Und deswegen falsch in ihrem Job seien. (Weswegen sich manche Kandidaten oder Vorsitzende oder sonstig Wichtige anscheinend wohl gar nicht mehr dorthin trauen.) Da wird spätabends das elitäre Selbstbewusstsein des Bildungsbürgertums bedient: Man selber nämlich kenne sich doch eigentlich viel besser in der Welt aus als diese Politiker.   Bei Plasberg gehts eher um Volkes Meinung bzw. was vom Moderator  dafür gehalten wird. Und das Bedürfnis, das in beiden Talkshows bedient wird, ist, dass und ob die Politik dabei als “glaubwürdig” durchgeht, wenn sie Maßnahmen beschließt. Und diese mit dem Gütesiegel versehen wissen will, so sei es das Beste für das nationale ‘Wir’. Darüber wird dann debattiert. Über und mit unterschiedlichen Maßstäben für das nationale Wir. Gestiegene Preise interessieren nicht als materielle Schädigung desjenigen, der nun mehr Geld berappen soll, sondern was das für das nationale Wir von uns allen und für die Selbstdarstellung der Politik bedeute.

    (Also: Deine Anmerkungen zum Gebrauch von ‘abstrakt’ teile ich, weswegen ich ja ‘falsch abstrakt’ dazu gesetzt habe.)

  59. "Abstrahieren heißt so viel wie Allgemeines festhalten."

    Das kann es heißen, muss aber nicht. Abstrahieren heißt einfach absehen von etwas, etwas abtrennen. Das kann das Allgemeine vom Besonderen sein. An sich ist das Abstrahieren weder falsch noch richtig. Es trennt nur von einer Sache einige Eigenschaften ab, oder hebt einige Bestimmungen heraus, während andere weggelassen werden. Falsch oder richtig werden Abstraktionen im Verhältnis zu dem Zweck des Erklärens. Wer z.B. unwesentliche Bestimmungen heraushebt, die für die Bestimmung der Sache völlig irrelevant sind, abstrahiert falsch.

  60. Talkshow-Thema:  Wie können Bürger im nationalen Interesse bei der Belastung durch höhere Energiepreise trotzdem entlastet werden – das ist übrigens was ganz anderes als die Darlegung der Gewinn-Kalkulationen der deutschen bzw. europäischen Energiefirmen – und wie der deutsche Staat das zukünftig  managen will.  

  61. "Allerdings, die Formulierung einer Verwandlung von Bourgeois-Interesse ins Cityyen-Interesse  stammt von dir. Und sollte was genau erklären?"

    Vielleicht liest du dafür mal meine Ableitung der Moral auf meinem Forum. Das erklärt wie die Bürger auf ihr ziemlich unterschiedliches bis gegensätzliches Staatsbürgerinteresse kommen. Uli Hoeneß z.B. fährt quasi im Geiste im Vereinsbus durch die Fußballstadien Europas und bastelt daraus ein vergleichendes Urteil über das deutsche Staatswesen. Das ist ja nicht nur ein Wettstreit irgendwelcher zufällig subjektiv entstandener Ansichten, sondern da steckt eine Logik dahinter, die mit ihrem Dasein als ökonomisches Subjekt im Kapitalismus zu tun hat. Das kann man übrigens in dem von dir verlinkten Artikel des GS auch nachvollziehen. Deshalb hat mich ja auch das eher lahme bis verkehrte Fazit erstaunt.

    "Bei Lanz wird's prinzipiell, gerne auch mit der Variante, dass die PolitikerInnen darin vorgeführt werden,"

    Ich kann mich noch erinnern, wie er den, wenn ich mich recht erinnere, Bürgermeister von Halle fertiggemacht hat, weil er eine Impfung, die sonst verfallen wäre spät abends noch erhielt, obwohl er nicht zur Risikogruppe gehört. Also Impfdrängler als Bürgermeister – Skandal. Während Corona war Lanz ja noch erträglich. Aber mit der Hetze seit dem Ukrainekrieg, kann ich mir das nicht mehr anschauen. Auch sämtliche Satiresendungen sind gleichgeschaltet. Ob die Anstalt, Böhmermann oder Wochenshow. Alle verbreiten sie Putinhetze und alle haben vergessen, dass der Westen Russland eingekreist hat. Lanz konfrontiert die Politiker immer mit den eigenen Maßstäben. z.B. Scholz ruft eine Zeitenwende aus. Lanz fragt: Warum werden keine schweren Waffen geliefert? Warum reist Scholz nicht nach Kiew? Warum wird die Ukraine nicht besser unterstützt? Warum agiert Scholz so zögerlich? Gut an Lanz ist, dass er einigen Gästen ihre Lügen nicht durchgehen lässt und das Team gut recherchiert, um den Gästen ihre eigenen Aussagen unter die Nase zu reiben. 

  62. "Uli Hoeneß z.B. fährt quasi im Geiste im Vereinsbus durch die Fußballstadien Europas und bastelt daraus ein vergleichendes Urteil über das deutsche Staatswesen. Das ist ja nicht nur ein Wettstreit irgendwelcher zufällig subjektiv entstandener Ansichten, sondern da steckt eine Logik dahinter, die mit ihrem Dasein als ökonomisches Subjekt im Kapitalismus zu tun hat. "

    Ja, dass die Bürger sich vorstellen wollen, dass der bürgerliche Staat einer wäre, der ihren Gemeinwohl-Vorstellungen solle entsprechen können, sei unbezweifelt. Da ist jetzt aber eine derart allgemeine Schluss-Folgerung daraus, dass sie auf den Staat setzen wollen, dass  die Inhalte ihrer Vorstellungen von einem sittlicheren Staat vom Inhalt her gerade nicht als "Notwendigkeit" bestimmt, abgeleitet,  werden können. So schräg wie Uli Hornes kann also auch Karl Löhner aus einer rechten Ultra-Fangruppen über die Welt denken – und der hat ganz andere ökonomische Voraussetzungen, mit denen er befasst ist.  Daher hat der Uli ja auch dort einige seiner Fans, in München vermutlich sowieso. Und nicht nur im öffentlichen Vereinswesen der Bayern. Was am Staat sittlich angemeckert wird, das ist nämlich keine “Logik”, die in ihren konkreten Inhalten abgeleitet werden könnte von der jeweiligen ökonomischen Klassenlage.

    Oder: dass der Staat mehr auf Familie und Erziehung etc achten solle, – das unterstellt selbstredend, dass Familien eine wichtige Funktion für Staat und Kapital haben. Ob die vorgestellten Besorgnisse nun aber christlich, gewerkschaftsnah oder unternehmerfreundlich ausfallen: das lässt sich bei den Protagonisten in der Öffentlichkeit natürlich zurückverfolgen. Ein katholischer Bischof vertritt, dass Moral eine des Durchhaltens in der Ehe sei. Aber für das Fußvolk gilt, dass es sich komplett seine eigenen Reime machen darf. Dass das dann “ein Wettstreit irgendwelcher zufällig subjektiv entstandener Ansichten” ist, müsste ergänzt werden damit, dass darin sich die Idealvorstellungen von einem besseren nationalen Wir (besser in irgendeiner Hinsicht für die je eigene Messlatte) ‘streiten’. Und so immerzu um ideologische Vorstellungen von “Wir Alle”, “Gerechtigkeit” etcpp kreisen. (In dieser Freiheit steckt nämlich mehr an produktiver Einbildungskraft und Mitmachen des Volkes – als z.B. in einem faschistischen Führerstaat-Vorschriftenwesen., was desungeachtet daneben ja auch seine demokratisch gewendeten Blüten entfalten mag.)

  63.  "Da ist jetzt aber eine derart allgemeine Schluss-Folgerung daraus, dass sie auf den Staat setzen wollen, dass  die Inhalte ihrer Vorstellungen von einem sittlicheren Staat vom Inhalt her gerade nicht als "Notwendigkeit" bestimmt, abgeleitet,  werden können."

    Die Notwendigkeit kommt von ihre Affirmation des Gemeinwesens. Ihre Affirmation ist zwar nicht notwendig, aber wenn sie das Gemeinwesen affirmieren, folgen ihre Vorstellungen von den Maximen, den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, notwendig aus ihrem Dasein als ökonomisches Subjekt. Dann tun sie nämlich so als würden ihre ökonomischen Interessen in den Regeln des Gemeinwesens aufgehoben sein. Zumindest müssten sie das eigentlich sein. Das ist ihr Idealismus, den sie dem Staat als Versagen ankreiden, wenn er ihm nicht entspricht. Ihre Affirmation hat ja den Inhalt, dass der Staat ihnen Mittel zu sein habe. Von einem Gegensatz wollen sie nichts wissen, sonst müssten sie ja gegen den Staat sein. Also tun sie so als sei ihr Privatinteresse im Gemeinwesen aufgehoben. Folglich erdenken sie sich lauter fiktive Staatsaufgaben, die der Staat eigentlich wahrzunehmen hätte, damit er ihrem Privatinteresse Mittel ist. 
     
    Sie sagen nicht einfach das ist mein Privatinteresse, sondern sie bringen das verwandelt in ein allgemeines staatliches Interesse vor oder als staatliche Aufgabe vor, die ihrem Interesse entgegenkommt.  Und diese unterschiedlichen Auffassungen vom Staat und seinen Aufgaben hauen sie sich dann gegenseitig um die Ohren. Da gibt es natürlich Variationen von links bis rechts. Der Linke sagt eher, es muss eine Umverteilung von oben nach unten stattfinden, damit die Steuerlasten für Arbeiter nicht zu groß werden und das ist fair, weil die Arbeiter so viel leisten. Die Rechten sagen eher, der Missbrauch von Leistungen durch Unberechtigte ist der Fehler, Überflüssige, Ausländer, Flüchtlinge, notorisch Faule alle beziehen Leistungen, die eigentlich mir zustehen oder für die ich zahlen muss.

    Die Notwendigkeit besteht also nicht in dem letztendlichen Schluss, den sie ziehen, sondern in dem Dilemma, an dem sie sich abarbeiten. Sie wollen die Gegensätze, die das Gemeinwesen gegen sie austrägt, geistig zum Verschwinden bringen, weil sie es gut finden wollen, und deshalb denken sie sich einen Staat aus, der ihrem Interesse irgendwie entgegen kommt. Das geht auf verschiedene Weise, links, rechts, liberal, christlich…

    "Oder: dass der Staat mehr auf Familie und Erziehung etc achten solle, – das unterstellt selbstredend, dass Familien eine wichtige Funktion für Staat und Kapital haben."

    Genau. Teilweise haben sie nämlich auch recht. Bloß meistens nicht so wie sich das denken. z.B. haben wir während Corona gelernt, dass Ausbildung ein hohes Gut ist, das noch nicht mal wegen einer epidemischen Virusinfektion ausgesetzt werden darf. Oder es gibt ein profitables Gesundheitswesen, das keinesfalls überlastet werden darf und dafür erteilt man ganzen Abteilungen der Ökonomie Berufsverbote. Andererseits will wegen Überlastung keiner mehr im Gesundheitswesen arbeiten – dann wird aber nicht die Überlastung reduziert und die schlechte Bezahlung verbessert, sondern es wird ein "Problem" ausgemacht, das es zu lösen gilt. Das heißt: die ganzen Interessen werden gar nicht prinzipiell zurückgewiesen, sondern sie werden vom Staat teilweise anerkannt und zurückgewiesen. Unterm Strich kommt für die große Masse der Menschheit kein gescheites Leben dabei rum. Das liegt eben am Zweck dieser Gesellschaft bzw. an der Funktionalität der Arbeiterklasse fürs Kapital. Der Witz ist, dass die Anerkennung der Funktionalität der Arbeiterklasse durch den Staat eben nichts gutes ist, kein gutes Leben ermöglicht. Wer aber mit den Verhältnissen Frieden schließen will, der wird nicht müde den Staat für Versäumnisse von Pflichten anzuklagen, die er gar nicht hat.

  64. Könntet ihr vielleicht irgendwie zusammenfassen, worum es hier geht?

    Ich kann eurem Dialog kein Thema entnehmen.

  65. @nestor: Es geht um ein m.E. verkehrtes Fazit eines GSP-Artikels, den ich oben nochmal verlinkt habe, den Leser ursprünglich in einem anderen Thread geposted hat und den ich nicht hier mehr finde, sonst hätte ich die Kritik dort gepostet. Der Vorwurf in dem Artikel lautet, dass in den im Artikel untersuchten Talkshows "abstraktes Denken" unterwegs sei, was ich nicht für treffend halte und dazu/dagegen hab ich ein paar Argumente aufgeschrieben. Man muss das nicht auseinander dividieren (Entweder man befasst sich mit dem staatbürgerlichen Diskurs oder mit den Artikeln, die sich darauf beziehen) Denn wenn in dem Artikel sich verkehrt auf den staatsbürgerlichen Diskurs bezogen wird, muss man natürlich darum streiten wie der geht.

    @leser:"Talkshow-Thema:  Wie können Bürger im nationalen Interesse bei der Belastung durch höhere Energiepreise trotzdem entlastet werden – das ist übrigens was ganz anderes als die Darlegung der Gewinn-Kalkulationen der deutschen bzw. europäischen Energiefirmen – und wie der deutsche Staat das zukünftig  managen will."

    Ja, das ist schon seltsam. Man fragt sich ja sofort. Wenn die Leute entlastet werden sollen, warum dann überhaupt die Risiken eines spekulativen Marktes für Gasunternehmen auf die Verbraucher abwälzen. Kurz: Warum zuerst belasten, um dann zu entlasten? Das verweist darauf , dass beide Vorgänge sich nicht gegenseitig aufheben sollen, sonst könnte man sie in der Tat lassen. Also soll die Belastung gar nicht beseitigt werden, sondern bloß ein ideelles Trostpflaster für ausgewählte Härtefälle mitgeliefert werden, damit der Unmut nicht ganz so groß wird.

    Es wird übrigens nicht gerade rausposaunt wer diese Umlage erhalten soll, wer sie beantragt hat. rp-online hat einen Artikel hinter einer Bezahlschranke. 

    "Statt Namen nennt das Ministerium vor allem Zahlen: Zwölf Unternehmen hätten sich zunächst bei der verantwortlichen Trading Hub Europe GmbH listen lassen, um die Umlage für sich in Anspruch zu nehmen. Mit RWE habe ein Energieversorger allerdings im Nachhinein mitgeteilt, die Umlage doch nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Der Hintergrund: RWE gehört zu den Gewinnern der Energiekrise und macht in diesem Jahr mehr Gewinn als ursprünglich gedacht."

    Shell will anscheinend seine Gasbeschaffungskosten auch selbst bezahlen, denn auch gehören zu den Gewinnern der Krise. Der Verbraucher soll Geld an Unternehmen abdrücken, die er noch nicht mal kennt. Sehr interessant auch:

    "Die genaue Höhe der Umlage berechnet der sogenannte Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe, ein Gemeinschaftsunternehmen der Gas-Fernleitungsnetzbetreiber. Wie die Firma am Montag bekanntgab, soll die Höhe der staatlichen Gasumlage bei 2,419 Cent pro Kilowattstunde liegen."

    Ich halte es für skandalös, dass der Staat einem Gemeinschaftsunternehmen der Gasnetzbetreiber die Festsetzung dieser Umlage überlässt. Das ist wie ein Freibrief zum Diebstahl oder zur Selbstbedienung am Portemonnaie der Verbraucher. Das ist Neoliberalismus. Weil der Staat sich zurücknehmen will, wird selbst dort wo jedem Schwachsinnigen klar sein müsste dass ein Interessensgegensatz vorliegt, trotzdem ein privates Unternehmen beauftragt. Man macht den Bock zum Gärtner.

  66. Es ging darum, wieso immer mal wieder westdeutsche Talkshows so eintönig bzw. nahezu einstimmig mit ihrem prokriegerischen Tönen erfolgen. Angebot 1 dazu war, dass der thinktank der GRÜNEN 'Liberale Moderne' leider sehr effizient die proatlantischen, US-Deutungen der GRÜNEN auch bei Jung-JournalistInnen gut verbreitet hat.

    Meinung 2 dazu war, dass es an der Struktur von Talkshows generell liege, – und das ist das Zitat mit dem dort verbreiteten "abstrakten Denken". Unter Abschnitt a) dort: “Was soll das heißen “Abstraktes Denken”. https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/talkshows-ueber-armut-reichtum-kapitalismus#section28
    Am abstrakten Denken gab es a) eine inhaltliche Kritik, der Sachverhalt sei ein anderer als der eines abstrakten Denkens, b) gab es die Kritik, dass solche Inner-GSP-Selbstverständigung, dass ein Denken, das sich abtrennt (ab-strahiert) von der Erklärung einer Sache, und “stattdessen” (darin liegt übrigens die CRUX!) einen zufälligen Gesichtspunkt zum Wesen der Sache erklärt, als abstraktes Denken zu bezeichnen, zumindestens missverständlich formuliert sei, weil unter “abstraktem Denken” hierzulande meist was anderes verstanden wird, und solche Artikel sollen sich ja nicht nur an Hegel-Leser richten, denen solcher Sprachgebrauch vertraut ist. Punkt a) und b) sind bei mir leider nicht säuberlich getrennt worden.

    Als drittes war mir aufgefallen, dass Minister Habeck als nationalen Notstand erklärt hatte, dass die Profite der Energiekonzerne müssten gesichert werden, sonst sei Sense mit der kompletten BRD, weswegen diese Gas-Umlage für die Profite der Konzerne nun eingeführt wurde, bzw. den Konzernen erlaubt wurde. “(…) Der Wirtschaftsminister will sich also dafür bedanken, dass die Unternehmen auf das Geld verzichten, das der Staat ihnen freiwillig bereitstellt, obwohl sie es gar nicht brauchen. Auf die Nachfrage eines „Tagesspiegel“-Journalisten, welche Unternehmen denn generell von der Gasumlage Gebrauch machen können, ist Habeck nicht genauer eingegangen. Das Prinzip bestätigt Habeck jedoch: alle Unternehmen, die russisches Gas beschaffen hätten, unabhängig von den Mengen, könnten von der Gasumlage Gebrauch machen. Dabei war es nie ein Geheimnis, dass gerade RWE und Shell in der Vergangenheit nur sehr wenig russisches Gas eingekauft hatten und von der Gasdrosselung durch Russland nur sehr wenig bis gar nicht betroffen sind.(…)”
    https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/paradox-der-gasumlage-robert-habeck-bedankt-sich-bei-krisengewinnern-rwe-und-shell-li.256859

    Wenn aufgrund des Klimawandels die Transporte über Wasser (ausgetrocknete Flüsse) durch die Firmen im Herbst nicht mehr möglich sein sollten, so kehren die Grünen übrigens nicht zu ihrem Klimathema zurück. Sondern kündigen jetzt schon an, dass dann im Herbst die Bahn priorisiert werden müsse, also anstatt Menschen vor allem Waren für die Weiterverarbeitung durch Konzerne transportieren muss. Auch das wird so ganz nebenbei von oben (gestern bei Lanz, heute im Frühstücksfernsehen) jetzt schon mal durchgesagt. Und dass Otto Löhner sich jetzt schon mal darauf einstellen solle.

  67. Zu Angebot 1  (erste Zeilen oben zur 'Liberalen Moderne') wäre noch nachzutragen, was der Inhalt des pro-atlantischen Kurses der 'Liberalen Moderne' ist,  dass nämlich Baerbock und Biden sich explizit dazu bekennen, dass sie Russlands Fähigkeit, aus eigener Macht seine staatlichen Zwecke verfolgen zu können, zerstören wollen – entgegen ihrer Propaganda, sie wollten die Ukraine gg den Angreifer verteidigen. Im Gegenteil: dafür nehmen sie die Ukraine als Kriegsschauplatz her und ruinieren das Land. 

    —–

    [Nachtrag zum Klimathema: Sogar das Fracking wird von der Regierung zumindestens als Möglichkeit wieder ausgepackt. Denn die verwendeten Chemikalien seien doch eigentlich so was von ungiftig….]

    —-

    EDIT: Ja, – dass man gelegentlich ein bisschen vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt, das ist nicht selten und immer mal wieder so. Kehrer kann ja dort weiterdiskutieren; meins habe ich nun gesagt.

  68. Eine neue heiße Front?

    Chipmangel
    Infineon-Boss Hanebeck: Nächste Verknappung bei Halbleitern "kommt um die Ecke"

    Infineon sieht trotz zahlreicher geplanter Chip-Fabriken in Zukunft kein Überangebot an Halbleitern. Gleichzeitig mahnt die Österreich-Chefin die EU: Die Konkurrenz schlafe nicht. Und warum geopolitische Auseinandersetzungen um Taiwan die Situation massiv verschärfen könnten.

    Die Knappheit bei Halbleitern und Lieferkettenprobleme haben zuletzt dazu geführt, dass viele Unternehmen und Auftragsfertiger neue Chip-Werke bauen wollen. Dass es dadurch zu Überkapazitäten kommen wird, glaubt Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende von Infineon Technologies Austria, jedoch nicht. "Es gibt vielleicht kurzfristig ein Überangebot, das aber sofort durch den großen Bedarf aufgesaugt wird", sagte sie beim Salzburg Summit in der Stadt Salzburg.

    Auch wenn derzeit 30 bis 40 neue Fabriken angekündigt seien, betrage der Vorlauf des Baus einer neuen High-Tech-Halbleiterfabrik zum einen mindestens zwei bis drei Jahre. Dazu würden die Verfügbarkeit qualifizierter Baufirmen und des entsprechenden Equipments "Flaschenhälse" darstellen. Zum anderen ging Herlitschka heute weiter von steigender Nachfrage aus. "Alleine im Bereich Automotive und Industrie wird das Wachstum im Bereich um die zehn Prozent eingeschätzt." Die grüne Transformation sei durch den Einsatz von Energieeffizient-Anwendungen ebenfalls ein zentraler Treiber. Der deutsche Halbleiterhersteller hat selbst erst 2021 eine neue Chipfabrik in Villach eröffnet.

    Auch der Chef des Münchner Chip-Konzerns Infineon, Jochen Hanebeck, rechnet nicht mit einem schnellen Ende der Halbleiterkrise. "Engpässe bei Halbleitern, die wir von Auftragsfertigern beziehen, etwa im Bereich der Mikrokontroller und der Konnektivität, werden wir noch bis ins kommende Jahr sehen", sagte Hanebeck der "Süddeutschen Zeitung" vom Dienstag.

    Wenn er etwas weiter in die Zukunft schaue, dann sei es sogar "sehr wahrscheinlich, dass bald die nächste Verknappung bei Leistungshalbleitern um die Ecke kommt". Die starke Nachfrage in der Elektromobilität und bei erneuerbaren Energien komme zusammen, sagte Hanebeck, der seit April Vorstandsvorsitzender bei Infineon ist. "Wir stehen zwar auf dem Gaspedal und bauen die Kapazität aus. Aber ob wir die hohe Nachfrage bedienen werden können, ist unsicher."

    Sorgen mache ihm auch die Zuspitzung des Konfliktes um Taiwan, sagte der Infineon-Chef. "Wir haben in den vergangenen Jahren während der Halbleiterkrise gemerkt, was es bedeutet, wenn die Hersteller in Taiwan nicht genügend Chips liefern können. Wenn aus Taiwan aber gar keine Chips mehr kommen würden, hätte das tiefgreifende Auswirkungen auf alle Wirtschaftsbereiche, und zwar weltweit."

    Europa sei von Halbleitern aus Taiwan noch abhängiger als von Energie aus Russland, sagte Hanebeck. "Bei sehr ausgefeilten Halbleiterprodukten, etwa Prozessoren für Smartphones und Mikrokontroller der neusten Generation für Anwendungen im Auto, ist die Abhängigkeit sehr groß." Es gebe keine Möglichkeit, diese Fertigungen im nötigen Umfang in den nächsten fünf bis zehn Jahren an anderer Stelle zu ersetzen.

    Taiwans Chip-Industrie

    Mit den geopolitischen Spannungen rund um Taiwan steigen auch die Sorgen, dass sich der weltweite Halbleitermangel verstärken könnte. Der Inselstaat nimmt eine zentrale Rolle in der globalen Chip-Industrie ein. "Taiwan ist durch TSMC (Halbleiterproduzent, Anm.) das mit Abstand wichtigste Land für sogenannte Cutting-Edge Chips, also die modernsten Halbleiter, die es aktuell auf dem globalen Markt gibt", sagte Julia Hess, Expertin des Think Tanks "Stiftung Neue Verantwortung".

    Den Marktanteil Taiwans in diesem Bereich beziffert Hess mit 90 Prozent. Die modernen Halbleiterprodukte werden beispielsweise in Mobiltelefonen, Rechnern aber auch im Bereich der künstlichen Intelligenz oder des autonomen Fahrens gebraucht, erklärte die Expertin im Bereich "Technologie und Geopolitik" bei der deutschen Stiftung im APA-Gespräch.

    Darüber hinaus produziere Taiwan aber auch größere Chips, wie sie zum Beispiel in der Automobilbranche oder in der Industrie verwendet werden. Nimmt man alle Halbleiter-Kategorien zusammen, produziere Taiwan jeden zweiten Chip auf der Welt, so Hess.

    Sollte es zu einer Blockade Taiwans durch China kommen oder die Lieferketten zumindest gestört werden, wäre es besonders im Cutting-Edge-Bereich sehr schwer den Ausfall auszugleichen. Nachdem sich der Markt bei den modernsten Chips stark konsolidiert habe in den letzten Jahren, gäbe es neben TSMC mit Samsung mittlerweile nur noch einen einzigen Konkurrenten, sagt Hess. Die Südkoreaner würden im Gegensatz zu TSMC aber vor allem eigene Chips produzieren und es stünden somit kaum Kapazitäten für eine Auftragsfertigung zur Verfügung.

    Etwas besser schaue es bei Halbleitern aus, die in der Automobilbranche oder bei Industrieanwendungen zum Einsatz kommen. Hier gebe es in Europa und den USA durchaus Produzenten, die mögliche Engpässe ausgleichen könnten. "Man würde es nichtsdestotrotz merken, wie wir es bereits bei den Knappheiten 2020 gesehen haben", warnte die Halbleiter-Expertin.

    Eine schnelle Lösung für das Problem gebe es nicht. "Ein Kapazitätsausbau braucht mehrere Jahre", so Hess. Zudem gebe es oft wechselseitige Abhängigkeiten: So sei die taiwanesische Chipindustrie ihrerseits für Ausrüstung und Chemikalien von Europa und Japan und für Software von den USA abhängig.

    Dazu kommt, dass nur ein Teil der Halbleiter standardisiert sei. Viele Chips würden speziell für einen Kunden oder ein Endprodukt hergestellt, was eine Aufteilung auf mehrere Chiphersteller oder eine Lagerung erschwere.

    Die Spezialisierung und Monopolisierung haben in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, sagte die Expertin. Es gebe immer weniger Chiphersteller, die wie Samsung oder Intel vom Design über die Produktion bis zur Vermarktung der Chips alle Bereiche übernehmen (sogenannte Integrated Device Manufacturers (IDMs)), "weil die Unternehmen eben gemerkt haben, dass wenn sie mit diesem Innovationsdruck mithalten wollen und irgendwie ökonomisch dabei bleiben wollen, dass es dann nur sinnvoll ist sich auf eine Art Maschine, auf einen Produktionsschritt zu konzentrieren", erklärte Hess.

    Infineon fertigt laut Aussagen des Unternehmens 70 Prozent seiner Halbleiter selbst. "Andere Produkte lagern wir weltweit an verschiedene Auftragsfertiger aus" – mit welchen Auftragsfertigern man zusammenarbeitet, wollte Infineon aber nicht sagen. Die zunehmenden geopolitischen Spannungen sehe man "grundsätzlich mit großer Sorge", so Infineon in einem Statement.

    (…)

    https://industriemagazin.at/news/sabine-herlitschka-keine-ueberproduktion-bei-halbleitern/

  69. " und “stattdessen” (darin liegt übrigens die CRUX!) einen zufälligen Gesichtspunkt zum Wesen der Sache erklärt,"

    Und wie sähe diese Crux aus? Antwort: Dass diese Geistestätigkeit quasi eine Ersatzerklärung ist bzw. dass sie daran gemessen wird eine Erklärung zu sein. Was eben wiederum eine negative Bestimmung ist. 

    " solche Artikel sollen sich ja nicht nur an Hegel-Leser richten, denen solcher Sprachgebrauch vertraut ist. "

    Selbst wenn sich solche GS-Artikel nur an Hegel-Kenner richten würden, fände ich die Zusammenfassung, dass in den Talkshows "ein zufälliger Gesichspunkt zum Wesen der Sache erklärt wird" daneben.   

    "[Nachtrag zum Klimathema: Sogar das Fracking wird von der Regierung zumindest als Möglichkeit wieder ausgepackt. Denn die verwendeten Chemikalien seien doch eigentlich so was von ungiftig….]"

    Das würde aber seine Zeit brauchen bis das gefördert werden könnte. Wenig bekannt ist übrigens, dass der Untergrund schon längst zur Beseitigung von Salzwasser genutzt wird, das um die Salzabraumhalden beim Kalibergbau entsteht. Da ist Salz nämlich Abfall. Für die Sodaproduktion braucht man Salzwasser. Aber offenbar ist es zu teuer, das Salzwasser dort wo es anfällt zur Sodafabrik zu transportieren, weswegen es in den Untergrund verpresst wird. Deshalb soll es schon einen unterirdischen Salzsee von der Größe des Bodensees geben. 

    "Wenn aufgrund des Klimawandels die Transporte über Wasser (ausgetrocknete Flüsse) durch die Firmen im Herbst nicht mehr möglich sein sollten, so kehren die Grünen übrigens nicht zu ihrem Klimathema zurück. Sondern kündigen jetzt schon an, dass dann im Herbst die Bahn priorisiert werden müsse, also anstatt Menschen vor allem Waren für die Weiterverarbeitung durch Konzerne transportieren muss."

    Genau. Die Unternehmensförderung durch die Verbraucher ist ein neoliberaler Dammbruch. So kann man in einem fort Notlagen konstruieren und diese dann durch die Allgemeinheit bezahlen lassen. Corona hat da Wunder bewirkt. Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand. Das ist Absicht bzw. grüne Politik. Fossile Brennstoffe sollen absichtlich verteuert werden, damit ein Zwang zu regenerativen Energien hergestellt wird. Passieren tut aber was anderes. Die Gesellschaft wird mit immer höheren Kosten belastet, die zu weiterer Verarmung führt und auch für alle anderen Unternehmen, die nicht gerade mit Geld zugeschüttet werden, Kosten verursacht und die Waren verteuert. Und jetzt wären wir auch wieder beim Thema "der wirtschaftliche Abstieg des Westens". Die Grünen sind eben, wie ich es schon mal formulierte und wie es auch in einem Artikel in der jungen Welt heißt, "Bidens fünfte Kolonne". Man merkt es auch daran, wie alte grüne Forderung z.B. Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, Umstieg auf Bus und Bahn plötzlich keine Rolle mehr spielen. 

  70. Da hatte ich den Beitrag auch gepostet und ihn dann wieder gelöscht und hier gepostet, weil der Zusammenhang sonst verloren geht und das Thema eh zu Ende ist. Außerdem ist ein alter GS-Artikel auch kein Thema, der auf eine "Pinnwand zu heißen Themen" gehört. Nächstes mal benutze ich mein eigenes Forum, wenn dir das so gegen den Strich geht.

  71. Weil ich den von leser verlinkten Artikel von Jens Berger auf den Nachdenkseiten für wirklich gelungen halte und andererseits für einen bedeutenden Rückschlag im den imperialistischen Potenzen von insbesondere von Deutschland aber auch Europa, will ich ihn auch hier nochmal verlinken.

    Die USA haben den Gaskrieg gegen Russland gewonnen

    Ein Stück weit besiegelt das den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands und Europas und macht sie endgültig und in ganz anderer Weise zum imperialistischen Anhängsel der USA. Das ist tatsächlich eine Zeitenwende. Während also der echte Krieg weitergeht ist der Wirtschaftskrieg der USA gegen Europa und speziell Deutschland verloren. Der Titel müsste eigentlich heißen: Die USA haben den Gaskrieg gegen Russland und damit auch den Wirtschaftskrieg gegen Europa gewonnen. 

  72. Man könnte auch sagen, die USA haben den Gaskrieg gegen Deutschland gewonnen.

    Aber wie ich schon woanders angemerkt habe, ist die Zukunft dieses Fracking-Gases unklar. Das Fracking ist eine Technik, aus gashältigen Schichten recht aufwendig das Gas herauszupressen und konnte deshalb lange preismäßig nicht mithalten.
    Jetzt wird Gas herausgedrückt auf Teufel-komm-raus, aber es ist nicht klar, wie lange das noch geht.

    Nach den Reserven haben jedenfalls andere Staaten die Nase vorn.

  73. Ja, der verlorene Wirtschafts/Gaskrieg ist natürlich die deutsche/europäische Sicht. Das bedeutet umgekehrt, dass aus amerikanischer Perspektive der Gaskrieg gegen Deutschland und Europa gewonnen ist. Es ist ja nicht so, dass andere europäische Staaten nicht betroffen sind, Deutschland ist nur am meisten betroffen. Es ist auch eine Illusion, wenn man meint, dass man jetzt nur schnell die regenerativen Energien ausbauen muss und das ersetzt dann das Gas. Es ist gerade umgekehrt, dass Gas für die Grundlastfähigkeit gebraucht wird. Das wird auch in 10 Jahren noch nicht anders sein und da kommt dann die Zukunft des amerikanischen Frackinggases ins Spiel, das wahrscheinlich in 10 Jahren die benötigten Mengen selbst zu hohen Preisen nicht mehr liefern kann. Oder bis dahin ist die europäische Industrie soweit ruiniert, dass dann es dann vielleicht wieder ausreicht. Aber genau das ist die Perspektive.

    Ich verweise auch hier nochmal auf Sahra Wagenknechts neues Video, speziell ab 13:30
    Make America Great Again – wie US-Handelskriege & Sanktionen uns ruinieren
    Stichwort: Der unverziehene Strang nach Osten von 1982

  74. Arbeitsunfälle in Deutschland:  – Mehr als ein Toter pro Tag

    Am 17.10. dieses Jahres starb der bulgarische Arbeiter Refat S. unter bisher ungeklärten Umständen im Duisburger Stahlwerk von Thyssenkrupp. Er war 26 Jahre alt, es war sein zweiter Arbeitstag. Refat S. wurde im Schlackebecken gefunden, die Polizei ermittelt noch. In jeder Woche sterben durchschnittlich 10 Arbeiter auf Baustellen, in Stahlwerken, Chemiefabriken, Schlachthöfen. In der Regel sind es Männer. Oft Migranten, die unter besonders hohem Arbeitsdruck in besonders wenig gesicherten Bereichen arbeiten. Öffentlich interessiert das tägliche Sterben in der BRD nicht groß – jedenfalls deutlich weniger als der natürliche Tod einer uralten Monarchin. Von Renate Dillmann.

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=90247

    vgl. auch: https://www.contradictio.de/blog/archives/8856

  75. @Leser

    Vor eineinhalb Jahrzehnten war Spanien dasjenige Land, das durch die höchste Rate an Arbeitsunfällen auffiel. Ich glaube, gemessen wurde pro Kopf der offiziell als beschäftigt gemeldeten Bevölkerung.
    Damals schrieen die sozialdemokratischen Blätter und die Gewerkschaften auf strengeren Arbeitsschutzgesetzen. Als Vorbild wurde immer wieder Deutschland genannt …
    Ich nehme nicht an, daß sich die Lage in Spanien wesentlich gebessert hat – aber Deutschland hat offenbar nachgezogen.

    @Kehrer

    Ja, das ist alles auch meine Ansicht.

    „Gaskrieg gegen Deutschland“ ist eigentlich auch „Wirtschaftskrieg gegen Deutschland“, und der erscheint mir in mehrfacher Hinsicht gewonnen.
    Das von mehreren US-Präsidenten beklagte Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber Deutschland dürfte Geschichte sein.

    Erstens stürmen deutsche Firmen Richtung USA, wo geringere Energiekosten und ein zahlungsfähigerer Markt ist. Deutschland verliert also Produktion und muß womöglich die Importe seiner eigenen Unternehmer aus den USA importieren. Nix mehr mit Exportweltmeister.

    Zweitens zahlen die deutschen Unternehmer höhere Energiekosten, auch dank der EU-Liberalisierung und verlieren dadurch an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA. Dem versuchen Regierungen mit Subventionen gegenzusteuern, das geht möglicherweise nicht ewig gut. (=> Euro …)

    Drittens ist Deutschland jetzt von den USA noch mehr abhängig als es früher von Rußland war, weil es kaum Alternativen zum US-Fracking-Gas hat.

  76. "Drittens ist Deutschland jetzt von den USA noch mehr abhängig als es früher von Rußland war, weil es kaum Alternativen zum US-Fracking-Gas hat."

    Genau. Was die Wagenknecht macht, ist eigentlich bloß eine Variante von Nationalismus, nämlich an deutsche Interessen zu erinnern. Nicht umsonst wird sie oft von Bild: Viertel nach Acht eingeladen. z.B. 09.11.2022 " Die heutige These von Nena Brockhaus lautet: „Robert Habeck ignoriert deutsche Interessen" 

    Erstens stürmen deutsche Firmen Richtung USA, wo geringere Energiekosten und ein zahlungsfähigerer Markt ist. Deutschland verliert also Produktion und muß womöglich die Importe seiner eigenen Unternehmer aus den USA importieren. Nix mehr mit Exportweltmeister.

    Nicht nur wegen den niedrigen Energiekosten stürmen deutsche Unternehmen Richtung USA, sondern auch wegen des 400 Milliarden Klimapakets, das noch zusätzlich europäische Unternehmen anlocken soll. ab min 4:00 in: Make Amaerica great again.

    Es ist doch wirklich die Frage, wie lange die Regierung der Rezession und Deindustriealisierung noch zuschauen will. Ich habe den Eindruck, der Ernst der Lage wurde noch nicht vollumfänglich begriffen. Es ist ja nicht so, dass niemand darauf hinweisen würde. Darum wer in Europa Führungsnation ist, geht es doch schon lange nicht mehr. Im Moment ist das eine Luxusfrage. Es geht schlicht um das Überleben der europäischen Nationen als Kapitalstandort. Irgendwann ist es zu spät und dann lacht die Welt nur noch über das europäische Ansinnen Maßstäbe in Bezug auf erneuerbare Energien setzen zu wollen. 

  77. Ungarn habe "… den EU-Finanzministern bei einem Treffen in Brüssel mitgeteilt, dass es den notwendigen Änderungen zur Vorbereitung einer 18-Milliarden-Euro-Kreditlinie für die Ukraine im nächsten Jahr nicht zustimmen werde, berichtete Bloomberg  unter Berufung auf vertrauliche Quellen.
    Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, Kiew zinsgünstige Darlehen auf einer stabileren Basis zu gewähren, aber diese Initiative wird die Verwendung zusätzlicher Mittel aus dem EU-Haushalt erfordern.
    Die Stimmen aller 27 EU-Regierungen sind erforderlich, um die Finanzierung dieser Initiative zu sichern, aber der ungarische Finanzminister Mihaly Varga hat seinen Kollegen mitgeteilt, dass er nicht dafür stimmen würde.
    Zuvor hatte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto  erklärt,  sein Land werde die von der EU geplante Finanzierung für die Ukraine nicht unterstützen."

    https://tkp.at/2022/11/09/ungarn-blockiert-milliardenkredit-der-eu-fuer-kiew/

    Auch zum NATO-Beitritt von Schweden und Finnland pokert Ungarn anscheinend noch – und versucht, etwas für sich rauszuschlagen ….

    https://www.welt.de/politik/ausland/video242064779/Baerbock-draengt-Tuerkei-und-Ungarn-zu-Ratifizierung-von-Nato-Beitritten-von-Schweden-und-Finnland.html

    …. und auch bei anderen weltpolitischen Affären ….

    https://www.euractiv.de/section/handel-und-industrie/news/post-cotonou-abkommen-koennte-an-blockade-ungarns-scheitern/

    …. umgekehrt umgekehrt – sind die Intentionen der anderen 26 Staaten reine Uneigennützigkeit werteverbundener Europa-Idealisten eines einigen europäischen Willens (zumindestens wird dieser Anschein vermittelt)….

  78. ….  was zumindestens die Vermutung nahe legt, dass jeder der 27 Staatenlenker aus seinen eigenen nationalen Interessen heraus viel Verständnis aufbringt dafür, dass Aufrüsten und Kriegführen-Können ansteht. – Aus je eigenen nationalen Gründen.  
    (Oder wie sonst soll man deuten, dass sie sich allesamt in das aktuelle Kriegsgetümmel einspannen lassen – je mehr oder je weniger ?). – Wieso? – Und wie eigentlich soll europäische Aufrüstung vonstatten gehen?

    “Die Organisation zum Management von gemeinsamen Rüstungsvorhaben habe das Zeug dazu, »zum Nukleus einer europäischen Zusammenarbeit« zu werden” – so tönte Scholz. Und meint er damit, Dt/Frankreich als Nukleus?

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-wirbt-fuer-gemeinsame-europaeische-ruestung-a-f4f7a4ab-f591-4a20-8052-5d88505be776

    …. wobei sich am aktuellen Krieg bereits Differenzen innerhalb von EU und NATO ablesen lassen, nämlich. “… dass die Begeisterung für den Krieg unter den Nato-Staaten bekanntlich sehr unterschiedlich ist, wobei zumindest Italien, Ungarn, die Türkei, Frankreich und Deutschland eher zu Verhandlungen bereit sind als andere Mitglieder, darunter die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und eine Reihe ehemaliger Ostblockstaaten, die den Krieg auf unbestimmte Zeit fortsetzen wollen.” https://www.heise.de/tp/features/Nein-Ruf-nach-Diplomatie-zeugt-nicht-von-westlicher-Arroganz-7337834.html?seite=all

    Europäische Aufrüstung als Projekt einer stärkeren “Vergemeinschaftung” der EU, also damit einer stärkeren Unterordnung (“Einbindung”) der Mitgliedsstaaten unter die Direktiven der EU-Zentrale? Das wird nur dann funktionieren können, wenn neben den Oststaaten auch z.B. Frankreich und Italien und Spanien darin ihr eigenes nationales Projekt entdecken können. – Ist das denn so?

    https://www.euractiv.de/section/all/news/frankreich-will-militaerpraesenz-in-osteuropa-verstaerken/

    https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/bulgarien-bereitet-erstmals-militaerhilfe-fuer-die-ukraine-vor/

    [Zu Italien. vgl. https://www.tages-politik.de/Europapolitik/Italien_Meloni_2022.html. ]

    So – oder so – Otto Normalbürger wie Frère Jacques kriegen zukünftig noch weniger auf ihre privaten Teller ….

  79. Man darf bei dem vermeintlichen Alleingang Ungarns nicht übersehen, daß der viele Sympathien in anderen ex-sozialistischen Staaten hat, die sich seit geraumer Zeit von Brüssel untergebuttert fühlen.

    Die wirkliche Entrüstung ruft er nur in den „alten“ EU-Staaten hervor, die ihrem Hinterhof keine solche Eigenmächtigkeit zugestehen wollen.

  80. Matthias Monroy:   EU militarisiert Cyberraum

    Brüssel plant »aktive Verteidigungspolitik«. Borrell sieht Russland als Aggressor. Bundeswehr leitet Projekt

    https://www.jungewelt.de/artikel/438597.militär-und-geheimdienste-eu-militarisiert-cyberraum.html

    Dass Rolf Mützenich, SPD, auf einer ukrainischen Terror-Liste gelandet ist, demonstriert, dass auch die Ukraine ein Bewusstsein davon hat, dass die militärische Aufrüstung der EU zunächst mal die EU stärken soll – und bekanntlich ist der dt. Regierung zwar recht, dass Ukrainer den Kampf gegen Russland ausfechten – aber darin zeigt sich eben die Bedingtheit der militärischen Unterstützung der Ukraine, wobei die BRD anscheinend eben auch reichlich eigene rote Linien hat. (Und dieses nur bedingte Interesse definieren ukrainische Nationalisten als “Terror” gegen die Ukraine.)

    https://www.freitag.de/autoren/wolfgangmichal/terrorliste-der-ukraine-sie-lassen-rolf-muetzenich-im-regen-stehen

    Aus dem Nachfolgenden finde ich beachtenswert, worin genau Mützenich die frühere Ostpolitik denn klasse fand: Sie war ein Türöffner – wofür denn eigentlich?

    “Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat seine Forderung nach mehr diplomatischem Einsatz zur Beendigung des Kriegs bekräftigt. „Ich wünsche mir, dass genauso viel über Diplomatie gesprochen wird wie über Waffenlieferungen“, sagte er den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft. Er habe mitunter den Eindruck, dass „Diplomatie“ zu einem Schimpfwort zu werden drohe. Es gehe nicht darum, „über die Köpfe der Ukraine hinweg mit Russland zu verhandeln.“ Es müsse aber mit den Regierungen auf der Welt geredet werden, „die noch einen gewissen Einfluss auf Putin haben könnten“. Er plädiere dafür, „kleine diplomatische Fenster nicht unbedacht zu schließen“, sagte der langjährige Außenpolitiker.
    Mit Blick auf die Debatte in der SPD über die frühere Russland-Politik warnte der Fraktionschef vor übertriebener Selbstgeißelung. Die Entspannungspolitik der SPD sei „ein wichtiger Türöffner für die friedliche Herstellung der Souveränität von früher unterdrückten Staaten in Osteuropa“ gewesen. Gleichwohl räumte Mützenich Fehler in der Russland-Politik der vergangenen Jahre ein. „Dazu gehört etwa der Verkauf von Gasspeichern an russische Firmen und auch die Relativierung der politischen Dimension von Nord Stream 2”. https://www.faz.net/aktuell/politik/ukraine-liveticker-london-rueckzug-aus-cherson-schmach-fuer-russland-18134628.html

    https://overton-magazin.de/top-story/bulgarien-liefert-waffen-an-die-ukraine-ja-aber-nein/

    Eine Interpretation des laufenden Kriegsverlaufs von ‘Mengel’ heute (aktuell am Ende der dortigen Kommentare): https://overton-magazin.de/top-story/was-bezweckt-russland-mit-dem-rueckzug-aus-dem-annektierten-cherson/#comment-15389

  81. Scholz:  "Das vielleicht drängendste Problem in Europa sei die völlig unübersichtliche Zahl an Waffensystemen und Rüstungsgütern und die Konkurrenz unterschiedlicher Rüstungsunternehmen, sagte Scholz. „Nur der koordinierte Aufwuchs europäischer Fähigkeiten führt zu einem handlungsfähigen Europa“, betonte er. Ihm sei dabei besonders die Luftverteidigung wichtig."
    https://www.rnd.de/politik/olaf-scholz-wirbt-fuer-gemeinsame-europaeische-ruestung-V2KSVZRQ3F3HDDMZWPSBU7TBMI.html

    Vor allem eine gemeinsame Luftverteidigung – deswegen, weil unter der Prämisse des Ausbaus von Bedrohungspotential die Reaktionen der anderen Seite nicht auf sich werden warten lassen. Raketenabwehrsysteme aufbauen zu wollen ist also das Gegenteil von einer  rein defensiven Friedenssicherungsmaßnahme. Es kalkuliert ein, dass es auch in Europa zum Krieg kommen kann, und will das aber nicht als Einwand gegen die eigenen Aufrüstungspläne gelten lassen. (So ging bereits die militärtechnische Logik bei den Abrüstungsverhandlungen zwischen der Sowjetunion und den USA in den 70er Jahren – ausgerechnet die Luftverteidigungswaffen [ABM-Systeme] entpuppten sich als Stolpersteine bei den Verhandlungen, wegen ihrer Merkmale des eigenen  Kriegführungswillens.)
    Abschreckung funktioniert nur, wenn man zum Kriegführung und Kriegsgewinnen sich befähigt hat – so die Logik der anstehenden europäischen Aufrüstungsschritte. (Die sea-launched Raketensysteme erforderten damals die Modernisierung von Flottensystemen, Atomwaffen wurden für den Einsatz handhabbarer und präziser geplant etc – also schaunmermal, wie die nächsten Aufrüstungsschritte des Friedensnobelpreisträgers Europa ausschauen ….)

    P.S. Ob das als Mittel gegen ‘den wirtschaftlichen Niedergang Europas’, um den es hier ja thematisch gehen soll, taugt – zumindestens macht der Große Bruder vor, dass kapitalistische Stärke und Weltmacht nicht per weltweitem Vergleich von Lohnstückkosten sich ausrechnen lässt ….

    P.S. II. Eine Erinnerungen den Grund des Militärs:

    “Nicht mehr um zu erobern, sondern zur Beseitigung politischer Hindernisse, die er durch sein weltweites Wirken selbst provoziert, hält sich der imperialistische Staat ein Militär. Die Waffen der Konkurrenz, die die ökonomische Grundlage anderer Staaten mindern und ruinieren, beruhen auf der Konkurrenz der Waffen; die Überlegenheit in der Anwendung von Gewalt gegen das fremde Volk, das Mittel, dessen Reichtum zu vernichten, beugt den Willen des fremden Souveräns, bringt ihn dazu, sich in den Abhängigkeiten einzurichten, die ihn schwächen. Und zur Erhaltung seiner Souveränität im Rahmen der Erpressung ebenso wie zum druckvollen Umgang mit seinesgleichen hat auch jeder kleinere Potentat seine Wehrmacht. Insofern ist also das Militär tatsächlich “für den Frieden” da, als es den Krieg, die gewaltsame Übernahme der Herrschaft über ein anderes Volk als Verfahren der Bereicherung einer Nation ausschließt. Dass damit für kriegerische Unternehmungen kein Grund mehr besteht, glaubt niemand – der Wille zum Frieden, um den so viel “gerungen” wird, ist schließlich der zur Durchsetzung ohne den Einsatz der Gewalt, solange es ohne geht …”

    https://de.gegenstandpunkt.com/kapitel/imperialismus-1/emanzipation-politischen-gewalt-vom-geschaeft-sie-sichert-militaer#toc_2011040546

  82. Ein interessanter Artikel, auf den ich zufällig gestoßen bin und der zeigt, was Rußland (und Weißrußland) außer Energieträgern, Getreide, Düngemitteln und Waffen sonst noch alles auf den Weltmarkt geliefert haben:

    Der Tag, an dem Wladimir Putin in den Palettenmarkt eingriff

    Solange die Regale voll sind, interessiert niemanden, was die Welt im Innersten am Laufen hält. Erst wenn Rillennägel und Industrie-Russ knapp werden, zeigt sich, welche erstaunlichen Abhängigkeiten und seltsamen Stoffe unseren Alltag bestimmen.

    Wer sich über das Weltgeschehen informieren will, kann die Zeitung lesen oder die Preise von Holzpaletten der Holliger Paletten Logistik AG studieren. Für eine vierseitig unterfahrbare Europalette bezahlte man im Sommer 2019 noch 6 Euro 50, ein Jahr später waren es bereits 22 Euro und im Mai 2022 sogar 25 Euro, im Moment liegt der Preis bei 16 Euro. Die Preisturbulenzen sind die Folge von Ereignissen, die weit weg von Boniswil ihren Ursprung haben, wo Walter Holliger vor 105 Jahren die Schreinerei eröffnete. «Solange ich mich erinnern kann, hat es eine solche Situation noch nie gegeben», sagt Pascal Holliger, Urenkel von Walter Holliger und Mitglied der Geschäftsleitung. «Die Logik scheint ausgehebelt.» Wenn der Welthandel aus den Fugen gerät, spüren die Palettenhersteller das als Erste.

    Holliger ist nicht der Einzige, der mit neuen Gegebenheiten zurechtkommen muss. Bis vor kurzem lebten wir in einer Welt, in der die Regale voll waren und der Strom aus der Steckdose kam. Dass 1049 Firmen aus 45 Ländern die Komponenten für ein einzelnes iPhone liefern, nahmen wir allenfalls fasziniert zur Kenntnis. Gekümmert hat es uns nicht. Doch das hat sich geändert. Zu Beginn der Pandemie stellten wir erstaunt fest, dass neues Toilettenpapier nicht einfach durch Zellteilung über Nacht im Laden entsteht. In Spitälern fehlten plötzlich Medikamente, die es nicht mehr von China in die Schweiz schafften. Ebenso erging es neuen Brettspielen, die jetzt mit Hometrainern und Möbeln um einen Platz auf einem Containerschiff kämpften. Die weltumspannende Kaskade aus Produktion und Logistik war schon vor Corona hin und wieder ins Stocken geraten. Doch erst der globale Lockdown gab preis, wie instabil der gewohnte Lauf der Dinge war. Der Krieg in der Ukraine offenbarte uns ein zweites Geheimnis: Bevor die Produkte zu uns reisen können, müssen sie hergestellt werden. Das braucht Arbeitskraft und Energie, oft in Form von Gas oder Strom, die nun ebenfalls knapp wurden.

    Und so folgt auf die Millennials, die Generation Z und die Generation Alpha nun die Generation Mangelware, vereint im Warten auf Velo, Waschmaschine und Wärmepumpe. Weil vieles dann doch geliefert wird, wenn vielleicht auch teurer und später als versprochen, erfahren wir wenig von der Nervosität in den Unternehmen, den nächtelangen Verhandlungen und der Suche nach Ersatzprodukten. Welche konfusen Vorgänge, erstaunlichen Abhängigkeiten und seltsamen Stoffe dabei eine Rolle spielen, zeigen einige Beispiele aus der wunderbaren Welt der Lieferschwierigkeiten.

    Der globale Handel lastet auf 11 Brettern und 9 Klötzen, die von 78 nach vorgeschriebenem Nagelbild positionierten Rillennägeln zusammengehalten werden. Heute wird selbst ein so einfaches Produkt wie eine nervöse Aktie zu ständig ändernden Preisen gehandelt. Die Fertigungsvorschriften stammen aus den 1960er Jahren, als die europäischen Eisenbahnen festlegten, wie eine Europalette auszusehen hat.

    Seit 1991 wacht mit der Europäischen Paletten-Vereinigung (Epal) eine eigene Organisation über die Qualität der Paletten. Nur deshalb können sie ihren grossen Vorteil ausspielen: Es besteht die Möglichkeit, sie zu tauschen, ohne dass jemand befürchten muss, übers Ohr gehauen zu werden, denn nur zertifizierte Paletten dürfen das Brandzeichen der Epal tragen. Die Güter bleiben so bis zum Endverbrauch auf den Paletten stehen und müssen nicht umgeladen werden. Sie werden einfach gegen gleichwertige leere Paletten getauscht oder in einer Art E-Banking für Paletten als Schulden geführt.

    Die Grösse der Palette wurde zum Mass aller Dinge in der Logistik. Für Gabelstapler, Hochregallager und Lastwagen gab es nur noch eine Einheit: 120 mal 80 mal 14,4 Zentimeter. Mit der Weltwirtschaft wuchs auch der Palettenausstoss bei Holliger. Heute stellt das Unternehmen pro Jahr an mehreren Standorten – einer in Deutschland – 1,5 Millionen Paletten her und repariert 650 000.

    Wenn man Pascal Holliger fragt, was zur Erschütterung im Palettenmarkt der letzten Jahre geführt habe, fragt er zurück: «Wie viel Zeit haben Sie?» Der Crashkurs in angewandter Palettenökonomie dauert schliesslich eine Dreiviertelstunde. Darin treten auf: ein Virus, das Klima, der Borkenkäfer, ein Krieg und Schwedenöfen.

    (…)

    https://www.nzz.ch/gesellschaft/der-tag-an-dem-vladimir-putin-in-den-palettenmarkt-eingriff-ld.1710500

  83. RUSSISCHES FLÜSSIGGAS VERTEUERT SICH UND WIRD OHNE RABATTE VERKAUFT

    Bloomberg schreibt mit Berufung auf Quellen, dass verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Russland im Preis gestiegen sei und in Asien nicht mehr mit Rabatten verkauft werde. Das heißt, es wird zum normalen Marktpreis verkauft. Laut der Agentur verkaufte das russische Unternehmen Sakhalin Energy letzte Woche drei Chargen LNG zu Marktpreisen, im Gegensatz zum September, als Russland Gas mit einem erheblichen Abschlag handelte.

    Dies geschah aus mehreren Gründen.
    Erstens treffen westliche Sanktionen LNG nicht, weshalb seine Exporte im Oktober auf fast ein Rekordniveau gestiegen sind. Das Interessanteste ist jedoch, dass EU-Staaten und -Unternehmen aufgrund der wachsenden Nachfrage nach Gas russische LNG-Lieferungen aus Asien abfangen, die laut Agenturexperten dem Preiswettbewerb mit Europa nicht standhalten können.

    (KP, 13.11.)

  84. Na klar. Das war ja schließlich beabsichtigt. Wenn ein Politiker oder Journalist als Schreckbild an die Wand malt, dass bei einem EU-weit festgelegten Maximalpreis, LNG-Tanker Richtung Asien abdrehen könnten, dann hat man genau das im Verhältnis zu Asien vor. Man will nämlich Tanker die nach Asien fahren dazu bringen nach Europa abzudrehen. Das wird natürlich nicht gemacht, damit arme Leute ein warmes Zuhause haben, sondern damit dem Kapital der Lebenssaft nicht ausgeht. Und damit das ehemals russische LNG-Gas, das den Asiaten teuer unterm Hintern weggekauft wurde, bezahlbar bleibt für die Unternehmen, deshalb gibt es dann einen 200 Milliarden Abwehrschirm.

  85. Christoph Marischka:     Die neue französische Sicherheitsstrategie,  eine hybride Kriegserklärung
    Frankreich hat kürzlich seine neue Sicherheitsstrategie vorgestellt und damit seine eigene Rolle in der Welt definiert. Was in dem Papier steht und was es bedeutet.

    “Mit dem Ziel, uns vor allen staatlichen Aggressionen gegen unsere vitalen Interessen zu schützen, woher sie auch kommen mögen und welche Form sie auch haben werden, ist die [nukleare] Abschreckung die ultimative Garantie der Sicherheit, des Schutzes und der Unabhängigkeit unserer Nation”. Entsprechend wird die Aufrechterhaltung einer “robusten und glaubwürdigen nuklearen Abschreckung” gleich in Absatz acht als “strukturelles Element unseres strategischen Dialoges und der Absicherung unserer vitalen Interessen” zum ersten von zehn strategischen Zielen ernannt. (…). An vielen zentralen Stellen steht die Selbstbezeichnung Frankreichs als “ausgleichende Macht” (“puissance d‘équlibres”), ohne dass die darunter zu verstehende, geopolitische Selbstverortung nachvollziehbar ausformuliert wäre.

    Zwar werden EU und NATO als primäre sicherheitspolitische Bezugsrahmen mehrfach und prominent genannt. Die ihnen gewidmeten Unterkapitel allerdings bleiben relativ unkonkret und floskelhaft. Demgegenüber wird relativ prominent die Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit mit den USA hervorgehoben. .[Wichtig sei] (…) im Hinblick auf Jugend und Bildung, dass die “Attraktivität des Militärs” und eine “Geisteshaltung der Verteidigung … so früh wie möglich durch konkrete und belohnende Ansätze im Bildungsbereich verankert werden sollten”. Hierzu sollte auch das Militär verstärkt in die Bildungsinstitutionen eingebunden werden. Noch viel grundsätzlicher wird eingefordert, die gesamte Technologiepolitik dem Ziel der Verteidigungsfähigkeit und – an anderer Stelle – auch der Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckungsfähigkeit im Angesicht schnellen technologischen Wandels zu unterwerfen.

    (…). Von einer kritischen Reflexion der Afrikapolitik und deren europäischer Neuverhandlung ist in der neuen französischen Sicherheitsstrategie wenig zu spüren. Allenfalls deutet sich an, dass Frankreich zukünftig versuchen wird, mit deutlich kleinerem “Fußabdruck”, also weniger Sichtbarkeit, Partnerschaften mit den jeweiligen Streitkräften zu pflegen und so weiterhin militärisch Einfluss in den ehemaligen Kolonien auszuüben. Die aktuellen Diskussionen um eine neue, reformierte Ausbildungsmission der EU in der Republik Niger unter dem Akronym EUMPM (Military Partnership Mission) deuten darauf hin, dass diese auch hier Frankreich folgen wird, wie sie das vor zehn Jahren mit desaströser Bilanz in Mali getan hat.

    https://www.heise.de/tp/features/Die-neue-franzoesische-Sicherheitsstrategie-eine-hybride-Kriegserklaerung-7338711.html?seite=all

  86. Energie, Geld, Jobs – keine Strategie in der Mega-Krise?

    "maybrit illner" – Der Polit-Talk im ZDF vom 17. November 2022

    Eine der interessanteren Talkrunden, weil sie nur mit 2 prominenten Gästen bestritten wurde. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck und Deutsche Bank Chef Sewing. Vorerst um drauf aufmerksam zu machen. Ich schreib vielleicht noch was dazu.

    Und noch zwei Artikel zum Gas:
    Volle Speicher und Tankerstau, Europas Gasmarkt ist satt: Abfackeln von Gas lohnt sich wieder

    Wie die EU den Gaspreis deckeln will
    Der Gaspreisdeckel wird selbst immer weiter gedeckelt. Demnach wird jetzt diskutiert nur noch extreme Ausschläge die über dem Weltmarktpreis von Gas liegen zu deckeln.

    Klettern also die Preise in Europa im Gleichschritt mit denen im Rest der Welt, wird es keinen Deckel geben. Daneben kann die Kommission die Obergrenze jederzeit wieder einkassieren, sollten schädliche Nebenwirkungen auftreten. So warnen Deckel-Gegner wie die Bundesregierung, dass eine staatliche Obergrenze die Nachfrage anheizen und Förderländer verschrecken könnte. Auf der anderen Seite fordern die Regierungen von 15 Mitgliedstaaten, darunter Frankreich und Italien, ausdauernd die Einführung eines gesetzlichen Limits, um die Preise zu senken. 

    Mit “die Bundesregierung” ist das neoliberale Gesabber von Habeck gemeint hohe Preise würden “Anreize” für Kapitalisten schaffen. Das ist das wirtschaftswissenschaftlich, euphemistisch verbrämte Interesse von Kapitalisten sich dumm und dusselig zu verdienen. Als sei dieses Interesse so etwas wie ein ökonomisches Sachgesetz, dem man unbedingt nachkommen müsse. “Anreize” seien so etwas wir eine Vorbedingung damit sich Kapitalisten überhaupt herablassen tätig werden.

    Dabei ist offensichtlich nicht der normale Profit gemeint, den jeglicher Preisdeckel der EU lässig bezahlt. Es sind die Märchengewinne gemeint, denen der Wirtschaftshabeck hier unbedingt rechtgeben will. Die Gashändler sagen: Aufpassen, damit die Anreize erhalten bleiben. Heißt übersetzt: Ohne dass ihr uns weiter mit Geld zuschüttet, läuft gar nichts. Sagt der Vizehabeck: Sehr wohl, wird gemacht. Wozu sind wir denn sonst da, als euch reich zu machen jenseits aller Vorstellungskraft.

  87. Ich werd aus dem Heise-Artikel nicht wirklich schlau, worauf Frankreich eigentlich hinauswill.

    Krieg gegen die ganze Welt?
    Ein Abgesang auf die EU, die sich immer weniger als ein Vehikel für Frankreichs Größe entpuppt?
    Vorspiel zum Frexit? Das wohl doch nicht, weil das UK kein verlockendes Beispiel bietet.
    Oder eine Hinwendung zum Orbán-Weg? Maximale Ausnützung aller EU-Vorteile bei gleichzeitiger Hetze gegen die EU?
    Oder ist es eine reine Mißmutäußerung, mit der Frankreich mehr Mitspracherechte oder Entscheidungsgewalt in der EU einklagen will?

    Was heißen diese Absichtserklärungen gegenüber Afrika? Will sie von der EU mehr Geld, Soldaten usw., um seine immer mehr bröselnde Stellung in Afrika zu halten?
    Die Rest-EU wird sich hüten, sich von Frankreich in eine Art Afghanistan-Abenteuer in Afrika hineinziehen zu lassen, bei dem sie zuletzt eine sehr schlechte Figur gemacht hat.

  88. Ein Rätsel ist das aber schon, dass die Medien plötzlich anfangen gegen Katar zu hetzen. Ist das so, weil sie uns kein "gutes Angebot" beim Gas gemacht haben? Waltz hat ja zu overton auch einen Artikel verlinkt. Homosexuelle und Frauen werden diskriminiert, Arbeitsmigranten werden ausgebeutet und sterben. Ist das nicht in der Hälfte der Staaten auf der Welt so? Will man Katar den Prestigegewinn nicht gönnen?

    zu Frankreich: Der Zweck der Strategie ist unklar. Irgendwie französische Interessen in der Welt gegen Rivalen verteidigen, sich behaupten, Technologie der Verteidigungsfähigkeit unterordnen. Aber kein klarer Plan was sie konkret erreichen wollen oder was falsch gelaufen ist und was genau zu verändern ist.

  89. Ja, seltsam deshalb, weil die Vorbereitungen für diese WM schon seit Jahren laufen.
    Daß mit den toten Gastarbeitern ist ja schon länger bekannt, und auch sonst hat es bisher niemanden gestört, daß sich die Herrschaften dieser Gegenden den westlichen Werten nicht so verpflichtet fühlen.

    Mir fallen ja als Kritikpunkte an Katar ganz andere Sachen ein, wie die Rolle Katars beim Sturz Ghaddafis oder die Unterstützung des IS durch Katar. (Der IS ist nicht nur militärisch besiegt worden, sondern der Zwist zwischen Saudi-Arabien und Katar hat ihm finanziell die Luft ausgehen lassen.)

    Überhaupt hat dieser Staat durch seinen Ölreichtum, die US-Basis und das Al-Jazira-Medienimperium einen Einfluß in der Welt, der auffällig in Widerspruch zu seiner geringen Größe steht.

    Die WM haben sie sich gekauft und damit wollen sie sich jetzt ähnlich präsentieren wie die Russen in Sotschi und mit der WM 2018, oder wie China mit seinen Olympiaden.

    Ich vermute einmal, die Hetzerei gegen Katar hat mit dem Abschiffen der EU zu tun. Da sind die Meinungsmacher sauer, daß ihnen ein arabischer Staat die Show stiehlt, Geld hat wie Heu und gegen das ganze ideologische Getöse immun ist.

  90. Aus der Infantino-Rede:

    „Katar bietet Hunderttausenden von Einwanderern die Möglichkeit, hier zehnmal mehr zu verdienen und in ihre Länder zurückzukehren und ihren Familien beim Überleben zu helfen.“ Und er findet, der Westen sollte Lehren aus der katarischen Art ziehen: „In Europa erlauben wir fast keinem dieser Arbeiter, legal in unseren Ländern zu arbeiten“, sagte er. „Wenn Europa sich wirklich um das Schicksal dieser Menschen kümmern würde, würden sie tun, was Katar getan hat, legale Kanäle schaffen, damit einige dieser Arbeiter nach Europa gelangen können. Mit niedrigen Löhnen, aber mit Zukunft.“

    (El País, 19.11.)

  91. Die Katze ist aus dem Sack. Jetzt ist klar warum gegen Katar gehetzt wird.

    Katar schließt LNG-Vertrag mit China über 27 Jahre

    WM-Gastgeber Katar wird China Flüssigerdgas liefern – und zwar für die kommenden 27 Jahre. Deutschland geht dagegen leer aus, weil sich Berlin nicht auf derartig lange Laufzeiten einlassen will.

    Der Vertrag ist ganz nach dem Geschmack der Katarer: Der staatliche Energiekonzern QatarEnergy wird an Chinas staatlichen Energieversorger Sinopec für die kommenden 27 Jahre Flüssigerdgas (LNG) liefern. Es ist die längste Laufzeit, die jemals für einen LNG-Liefervertrag vereinbart wurde, jubelte der Chef von QatarEnergy, Saad al-Kaabi, am Montag….

    China hat offenbar kein Problem damit, sich über diesen langen Zeitraum an die fossilen Energien aus Katar zu binden. Deutschland dagegen wollte das LNG aus Katar nur als Übergangslösung einsetzen, um anschließend fossile Energien wie Öl und Gas durch nachhaltige Energien wie Wind und Sonne zu ersetzen und auf diese Weise die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen.

    Es ist ganz einfach. Katar entspricht nicht deutschen Interessen, sondern verkauft Gas an den Rivalen China. Jetzt ist Katar nicht mehr “unser Freund”. So langsam habe ich das Gefühl, dass Habeck quasi im Alleingang die deutsche Wettbewerbsfähigkeit ruiniert. 

    China schließt 60 Milliarden Dollar LNG-Deal mit Katar ab

  92. Alles klar.

    Ich habe mir gestern das Eröffnungsspiel angesehen und mich gefragt, warum Katar eigentlich diese WM wollte?
    Um in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu geraten und die anderen Golfstaaten auszustechen, vor allem Saudi-Arabien?
    Um die eigene Bevölkerung etwas mehr für Sport zu begeistern?

  93. "Um die eigene Bevölkerung etwas mehr für Sport zu begeistern?" Du meinst die 270 000 Katarer. 

    "Katar hat etwa 2,7 Millionen Einwohner, davon sind nur rund 10 % Staatsangehörige Katars." Die 270 000 sind ja eigentlich keine Bevölkerung, sondern eine Oberschicht. Die passen in zweieinhalb Fußballstadien. Oder entsprechen der Einwohnerzahl von Wiesbaden. Augsburg und Graz haben schon mehr Einwohner. Um Volksgesundheit geht es jedenfalls dabei nicht.

    Ich denke Katar macht das, wie andere Staaten auch, für das internationale Renommee. 

  94. Etwas älter aber wahrscheinlich zutreffend: 

    Wüstenstaat Katar will Zahl an Reisenden bis 2030 verdreifachen

    Der arabische Wüstenstaat Katar will mit der Fußball-WM im kommenden Jahr nicht nur internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sondern auch möglichst viele Touristinnen und Touristen ins Land locken. Und auch darüber hinaus hat das Emirat bezüglich des Tourismus große Ziele.

    Wie aus der „Quatar Tourism Strategy 2030″ hervorgeht, will Katar seine Touristenzahl bis 2030 auf etwa sechs Millionen verdreifachen. 70 Prozent der Urlauberinnen und Urlauber sollen dann aus Ländern einreisen, die nicht zu den Golfstaaten gehören – aktuell sind es nur etwa 30 Prozent.

    Dubai hat es vorgemacht.  "2016 hatte Dubai 15,3 Millionen Besucher, womit es weltweit auf Platz 4 lag. Mit über 31 Milliarden US-Dollar hatte es zudem die höchsten Tourismuseinnahmen aller Städte.[3]" Katar will also Dubai Konkurrenz machen.

  95. Nochmal zur Talkshow von Maybrit Illner mit Habeck und Sewing als Gästen.

    Für die Preistreiberei war wirklich zum großen Teil der Habeck verantwortlich. Der hat lange Panik geschoben, dass im Winter der Laden stillsteht, weil Gas fehlt und hat den Gasversorgern signalisiert, dass sie zu jedem Preis Gas kaufen sollen. Und dafür war er selbst verantwortlich, weil er ja groß rumgetönt hat, dass man vom russischen Gas loskommen will. Außerdem torpediert er weiterhin alle europäischen Vorschläge einen Preisdeckel einzuführen. Bei Maybrit Illner hat er noch behauptet die Gasumlage sei der einzig mögliche Weg gewesen, um die angeschlagenen Gasversorger zu retten. Was natürlich totaler Quatsch ist. Maybrit Illner wollte dann darauf hinaus, dass Lindner (Finanzminister) mögliche andere Vorschläge zurückgewiesen hat. Darauf ging Habeck nicht ein. Die Wahrheit wird sein, dass er eine Verstaatlichung von Uniper nicht wollte, weil das nicht dem neoliberalen Credo entspricht. Und wenn man von Anfang an Möglichkeiten ausschließt, kann es schon sein, dass ihm das so erscheint, dass er keine andere Möglichkeit hatte. Ich empfehle die Sendung anzusehen, weil man darin erkennt, dass ihre Lageanalyse falsch ist z.B. was die Inflation betrifft. 

    Es kommt nämlich ziemlich darauf an, was man unter Inflation versteht. Ist Inflation schlicht eine allgemeine Teuerung der Waren oder eine Entwertung der Währung.  Die EZB sagt beides

    "Allgemeiner Preisanstieg: In einer Marktwirtschaft können sich die Preise von Waren und Dienstleistungen immer wieder ändern. Manche Produkte werden teurer, andere billiger. Steigen die Preise von Waren und Dienstleistungen allgemein, und nicht nur die Preise einzelner Produkte, so bezeichnet man dies als Inflation. Dann kann man heute mit 1 € nicht so viel kaufen wie noch gestern. Anders gesagt: Durch Inflation sinkt mit der Zeit der Wert einer Währung."

    Die Frage ist, ob die allgemeine Preissteigerung Ausdruck der Entwertung der Währung ist oder nicht. Preistreiber sind im Moment die Preise für Öl und Gas. Weil sich die Energie für die fossilen Energieträger sich erhöht, erhöht sich der Energiepreis insgesamt. wegen z.B. dem Merit-Order System. Das ist politisch gewollt und im Moment fatal. Energie ist ein Grundstoff und so sorgt man dafür das sich die Verteuerung in nur einer Warengruppe verallgemeinern kann. (Eigentlich seltsam, dass die Grünen nichts dagegen einzuwenden haben, dass fossile Energie die Preise für Energie insgesamt bestimmt, wo sie doch von den Fossilen loskommen wollen. Beim Preis schätzen sie es offenbar, wenn die regenerativen an den fossilen hängen, weil das die regenerativen rentabel macht. Dafür aber alle anderen Geschäfte unrentabler. Das ist ja auch eine staatliche Subvention, wenn das Kapital insgesamt die Supergewinne der regenerativen Energiekapitalisten zahlen soll. Was natürlich auch die Konkurrenzfähigkeit deutscher Kapitale schmälert.) Und auf die Verteuerung, die durch die Erhöhung der Energiepreise verursacht wird, setzt sich dann eine allgemeine Inflation noch oben drauf, und zwar weil auch in Bereichen, wo der Energieanteil gering ist, die Preise angehoben werden. Der Preisanstieg durch die Erhöhung der Kostpreise, weil viel teure Energie in sie eingeht, wird betrachtet als sei sie eine allgemeine Entwertung des Geldes.

    Andererseits ist es nicht so, dass die Energiepreise steigen, weil ihre Förderung mehr abstrakte Arbeit kostet z.B. weil das Öl und Gas aus tieferen Schichten mit größerem technischen Aufwand gefördert werden muss, sondern weil durch die Nachfrage der Käufer der Preis steigt und diese Spekulationsgewinne von Händlern abgeschöpft werden. Das Geld mit dem das Gas bezahlt wird ist zunächst Staatskredit, also kein wirklicher Wert. Die Gasversorger wurden staatlicherseits mit unendlicher Liquidität ausgestattet, um den anderen Gaskäufern, das auf der Welt verfügbare LNG vor der Nase wegzukaufen. Das Geld floss in einem ersten Schritt, weil die Versorger Versorgungsicherheit gewährlisten müssen und weil sie den Preisanstieg, den sie selbst verursacht haben, wegen fester Verträge nicht sofort an die Kundschaft weitergeben konnten. Nachdem das Gas gekauft ist, sitzen sie nun auf dem teuren Gas, das, würde man es zu den eingekauften Preisen verkaufen, die Hälfte der Produktion im Land unrentabel machen würde, was nach kapitalistischer Logik bankrott und Stillstand bedeutet. Und wenn die Hälfte ausfällt, fällt die andere Hälfte auch aus, weil die Vorprodukte fehlen. Das heißt die gesellschaftliche Reproduktion wäre insgesamt gestört. Und da reden wir noch nicht davon, dass Heizen und Strom für private Verbraucher unerschwinglich wird und sie ohne Strom in einer kalten Wohnung sitzen. Der Wirtschaftshabeck kam also vom Regen in die Traufe, weil er die Konsequenzen seines Tuns nicht bedenkt, sondern von der einen Misere in die nächste getrieben wird. Um also die Folgemisere, die von ihm selbst in die Höhe getriebenen Energiepreise, abzumildern, also wenigstens bewältig b a r zur machen, muss jetzt der Gas- und Strompreis mit einem Deckel oder einer Bremse nach unten subventioniert werden. Abermals mit staatlichem Geld d.h. mit Schulden. 

    Beide Maßnahmen pumpen massiv nicht werthaltigen Staatskredit in die Ökonomie. Im ersten Fall bei der Gasbeschaffung fließt er allerdings fast komplett ins Ausland, hauptsächlich in die USA. Auch dort steht dadurch eine größere Geldmenge der gleichen Warenwertmenge gegenüber – Inflation. Im Inland werden die Energiepreise zum Teil subventioniert. Auch dort steht einem gleichbleibenden Warenwert eine höhere Geldmenge gegenüber. Einen Teil des Preisanstiegs zahlen die Leute mit verdientem Geld, was zu massiver Verarmung führt. Die Inflation in allen Bereichen verarmt sie noch weiter. Diese verringerte zahlungsfähige Nachfrage führt zwangsläufig in die Rezession. 

    Habeck bei Illner: "In gewissem Sinne widersprechen sich die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung und der Rezessionsbekämpfung. Rezession fordert eigentlich, dass der Staat mehr Geld ausgibt, in bestimmt Bereiche reininvestiert, die Kaufkraft der Menschen erhöht und anreizt, also die Geldmenge in irgend einer Form erhöht, das treibt aber die Inflation, wenn wir nicht aufpassen. Und die politische Kunst wird im Moment sein, die staatlichen Programme so auszurichten, dass wir in die Bereiche reingehen die nicht überhitzt sind. Dass wir also mit dem staatlichen Geld das Konsumverhalten der Bürger weiter stimulieren ohne die Inflation anzuheizen. Das ist extrem herausfordernd, aber aus meiner Sicht politisch möglich und ich würde sagen auch geboten. Darauf wollte ich bei der sagenumwobenen Maischberger Sendung hin. Ja. – Illner: Dass es möglich ist genau an den Stellen den Leuten mit der Liquidität zu helfen, auch den Firmen, den Kleinen und Mittelständlern dann mit der Liquidität zu helfen und zum anderen Kaufkraft zu ermöglichen. – Habeck: Dass der Staat mit seinen Maßnahmen und Entlastungspaketen, obwohl wir ja mit den höheren Zinsen, die Herr Sewing eben angesprochen hat, eigentlich verhindern, also "wir" will ich mal nicht sagen, aber die Logik dahinter ist die Inflation abzukühlen, trotzdem mit Geld und Unterstützungsprogrammen den Kaufkraftverlust der Bürgerinnen und Bürger zu reduzieren.

    Illner zu Sewing: Nochmal die Frage – was geht nicht zu retten. Wie soll mit diesem überschaubaren Hilfsgeld, wer eigentlich gerettet werden und wann setzt eine Triage ein. – Sewing: Ja zunächst einmal ist es schon ein Unterschied, ob ich ein Großunternehmen habe, was international aufgestellt ist, was auch die Möglichkeit hat seine Rohmaterialien oder seine Produktion zu verlagern, damit vielleicht auch die einen oder anderen Energiepreise einzusparen oder ob ich den Mittelständler habe, der eine Einproduktstrategie hat und eben das nicht kann. Von daher ist es so wichtig, dass wir möglichst fokussiert die retten, meines Erachtens unverschuldet in die Krise gekommen sind. Der andere Punkt ist. Wir dürfen auch aus Kapitalmarktgründen so ein Programm nicht dauerhaft laufen lassen. Ich glaube es ist enorm wichtig, dass wir das Jahr 2023 nutzen, um wieder aus dieser Rezession, die kommen wird in 2023 herauszukommen und dann in 2024 über ein Wirtschaftswachstum, dann über wettbewerbsfähige Energiepreise und natürlich auch über ne Energieversorgung in die Situation kommen, dass wir genau das nicht mehr machen müssen. 

    Illner: Wir haben Lieferprobleme, wir haben einen Fachkräftemangel, wir haben diese hohen Energiepreise, die gleiche Frage die Herr Habeck schon versucht hat zu sagen, wir brauchen auch Kaufkraft und es ist eine Gratwanderung. Wenn das die Preistreiber sind in der jetzigen Situation. Warum soll man dann mit höheren Zinsen diese Nachfrage noch abwürgen.

    Sewing: Na ja. Zunächst ist es so, wenn sie die Inflation jetzt nicht eindämmen und wir eine Inflation behalten von 10 oder 11% kommen sie in eine Spirale rein aus der sie nicht mehr rauskommen. Das haben wir vor 40 oder 50 Jahren gesehen. Ich glaube gerade unser Land hat ne Erinnerung, was passieren kann. Von daher ist es die vordringlichste Aufgabe diese Inflation zurückzuführen. Und wird sprechen hier nicht davon, dass man im nächsten Jahr auf ein Inflationsziel von 2% kommt, das wäre unrealistisch. 24 müssen wir auf unter 5% kommen. Ich glaube das besteht auch eine gute Chance. Und ich glaube auch mit der Gaspreisbremse haben wir auch die Chance, die Inflation die wir ursprünglich für 9-10% gesehen haben zumindest auf 7 oder 7,5% zu drücken. Das ist jetzt die vordringlichste Aufgabe, dass wir das schaffen, damit diese Spirale, diese Lohnpreisspirale eben nicht eintritt. Das wäre ne Gefahr, denn dann kommen sie aus der Situation nicht raus. 

    Da hat Habeck ja mal was gemerkt:

    "In gewissem Sinne widersprechen sich die Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung und der Rezessionsbekämpfung. Rezession fordert eigentlich, dass der Staat mehr Geld ausgibt, in bestimmt Bereiche reininvestiert, die Kaufkraft der Menschen erhöht und anreizt, also die Geldmenge in irgend einer Form erhöht, das treibt aber die Inflation, wenn wir nicht aufpassen."

    Der Grund dieser Rezession ist ja nicht eine Pleitewelle, die dadurch zustande kommt, dass die schrankenlos produzierten mehrwertgeschwängerten Waren an der beschränkten Zahlungsfähigkeit der Massen scheitert, sondern eine Inflation, die durch Energiepreisexplosion verursacht ist und die auf eine gleichbleibend beschränkte Zahlungsfähigkeit der Massen trifft. Das Ergebnis ist allerdings dasselbe. Eine höhere Preissumme der Waren trifft auf gleichbleibende Zahlungsfähigkeit. d.h. Waren werden nur noch entsprechend der vorhandenen Zahlungsfähigkeit verkauft – der Rest bleibt liegen und kann nicht mehr verkauft werden. Bei vielen Kapitalisten gerät der Rückfluss ins Stocken. Das führt zu Pleiten.

    Rezessionsbekämpfung, durch Erhöhung der Staatsausgaben, wie Habeck sie oben anspricht, soll ja Geld in die Ökonomie pumpen, um Geschäfte erneut anzustoßen, und das soll sich verallgemeinern über die Vorprodukte. Kurz: Eine geschrumpfte gesellschaftliche Reproduktion soll sich wieder erweitern.  Das ist jedoch gar nicht die momentane Situation. Denn die Rezession hat ja noch gar nicht voll durchgeschlagen, sondern kommt erst noch. 

    Da fragt man sich warum die Rezession bekämpft wird, bevor sie richtig angefangen hat. Ein Sinn könnte darin bestehen die Rezession zu dämpfen, nicht ganz so tief werden zu lassen, indem man die Verbraucher und die Industrie mit Zahlungsfähigkeit versorgt. Das hebt zwar die Inflation nicht auf, mildert ihre Wirkung aufs Geschäft aber etwas ab. Der inflationär kräftig erhöhten Preissumme der Waren steht eine etwas erhöhte Zahlungsfähigkeit bzw. ein durch die Energiepreisdeckel weniger geschrumpfte Nachfrage gegenüber.

    Einerseits ist es so, dass die von der Regierung selbst verursachten hohen Energiepreise durch die Energiepreisbremse, weniger stark die Inflation treiben als ohne Bremse. Wenn der Kostpreis weniger steigt müssen die Preise weniger erhöht werden. Die Regierung kauft praktisch einen Teil der selbst verursachten Inflation zurück. Das geht weil der Hauptpreistreiber die Einzelware Energie betrifft.

    Andererseits bringt sie so zusätzliches Geld in Umlauf, das keinen Wert darstellt, also eigentlich die Inflation antreibt. Das Geld landet zunächst bei den Energieversorgern. Industrie und Privatverbraucher haben durch die Bremsen ja nicht mehr Geld, sondern nur weniger weniger. Die Stromversorger kriegen aber alles, was über den Deckel hinaus geht vom Staat erstattet. Diese haben jetzt die inflationsverursachende Zahlungsfähigkeit und wenn sie diese ausgeben würden, gäbe es Inflation. Damit das nicht eintritt, müsste der Staat ihnen das Geld wieder weg nehmen. Das hat er zum Teil auch vor.

    Beim Strompreis hätte man das auch einfacher haben können, indem man das Merit-Order System abschafft. Dann steigen die Strompreise kaum (im Moment an der Börse bei 10 ct pro kWh, wenn man einen Vertrag abschließen will kostet der Strom 50-60ct pro kWh,) sie müssen nicht gedeckelt werden und keine inflationsverursachende Zahlungsfähigkeit fließt in die Ökonomie.

    Der Habeck weiß bloß, dass wenn die Regierung die Geldmenge erhöht Inflation entsteht, "wenn wir nicht aufpassen". Die Frage ist halt, was "aufpassen" bedeuten soll. Wahrscheinlich hat er da, wie Sewing, die Zinsen im Hinterkopf. Allerdings haben die mit dem vorliegenden Problem wenig zu tun. Die Theorie der Banker ist, dass zu viel Kredit die Inflation antreibt. Wieviel Kredit in der Welt ist, hängt von den Zinsen ab. Je niedriger die Zinsen, desto mehr Kredit wird nachgefragt bei den Banken. Die Zinsen waren bis vor kurzem niedrig damit mehr Kredit nachgefragt wird. Die Situation ist also gar nicht so, dass die Konjunktur überhitzt ist und deshalb durch hohe Zinsen gedämpft werden muss. Es ist im Moment eher umgekehrt, dass tautologisch geschlossen wird, dass wenn die Inflation hoch ist, die Konjunktur überhitzt sein muss. Das ist aber nicht der Fall. Deshalb wird eine Erhöhung der Zinsen auch nichts gegen die Inflation ausrichten. Die Begründung der EZB ist auch nicht, dass damit die Inflation gedämpft wird, sondern die Inflationserwartung. D.h. weil alle denken, dass höhere Zinsen die Inflation senken, werden die Preise nicht so stark erhöht. In Wirklichkeit werden die Zinsen bei der EZB erhöht, weil die FED die Zinsen erhöht und weil sonst zuviel Kapital in den Dollar geht und der Euro zu stark sinkt. Die FED erhöht die Zinsen tatsächlich, weil die Wirtschaft brummt. Die EZB erhöht die Zinsen, weil sie muss. Ob das der Inflation entgegenwirkt ist zweifelhaft.

     "Und die politische Kunst wird im Moment sein, die staatlichen Programme so auszurichten, dass wir in die Bereiche reingehen die nicht überhitzt sind."

    Welche Bereiche sind denn überhitzt? Zur Zeit eigentlich nichts. Insofern kein Problem irgendwo "reinzugehen". Man sieht aber, wie der Habeck diese Bankerdenke übernommen hat. Vielleicht wurde vorher schon von Sewing gebrieft oder er hat sich auf der Chinareise z.B. im Flugzeug mit Sewing unterhalten.

    "aber die Logik dahinter ist die Inflation abzukühlen, trotzdem mit Geld und Unterstützungsprogrammen den Kaufkraftverlust der Bürgerinnen und Bürger zu reduzieren." 

    Der Blödsinn ist eben zu behaupten Bereiche der Ökonomie seien überhitzt, weil es Inflation gibt. Also tautologisch zurück zu schließen, weil es Inflation gibt, muss die Wirtschaft überhitzt sein und weil die Wirtschaft (in Teilen) überhitzt ist, müssen die Zinsen rauf. Weil wiederum die Wirtschaft nur in Teilen überhitzt ist, darf man die nicht überhitzten Teile durch Deckel und Entlastungspakete weiter mit Geld versorgen. Die Wirtschaft ist aber nicht überhitzt.

    Was Habeck hier macht, ist sich seine Maßnahmen schön zu begründen. Auf die Erhöhung der Zinsen hat er keinen Einfluss. Also tut er so, als sei die Maßnahme begründet und nicht eine Notlage, in die die FED die EZB gebracht hat. Er stellt also fest, dass die Zinsen erhöht werden müssen, weil Teile der Wirtschaft boomen (was nicht der Fall ist). Jetzt bekommt er das Problem, dass es ein Widerspruch ist, während des Booms weiter Geld in die Wirtschaft zu pumpen, weil das die Wirtschaft ja noch weiter anheizt. Der argumentative Kniff besteht jetzt darin, die Wirtschaft zu unterteilen in Teile die überhitzt sind und Teile, die das nicht sind. Den überhitzten Teilen beschert die EZB höhere Zinsen, den nicht überhitzten Geld, Liquidität in Form von Entlastungspaketen und Energiepreisdeckeln. Das heißt Habeck legt sich eine Theorie entsprechend seiner Maßnahmen zurecht und nicht umgekehrt. Alles schön auszutarieren, also die überhitzten Teile mit Zinsen runter zu kühlen und die von Pleite bedrohten Teile mit Liquidität zu versorgen, ist seine "politische Kunst". Der Angeber.

  96. Die Frage ist, ob die allgemeine Preissteigerung Ausdruck der Entwertung der Währung ist oder nicht.

    Das ist meiner Ansicht nach keine Frage.
    Wie sonst soll denn der Wert der Währung sinken, wenn nicht durch Preissteigerungen?
    Wenn man für sein Geld immer weniger kriegt, so hat dieses offenbar an Wert verloren.

    Die strittige Frage ist vielleicht, was unter „Wert des Geldes“ zu verstehen ist?
    Da jede Bindung an Edelmetalle aufgegeben worden ist, ist der Wert nur im Verhältnis mit den Waren und/oder im Verhältnis zu anderen Währungen bestimmbar.

    Das mit der Bindung an Edelmetalle bezieht sich nur auf die theoretische Wertbestimmung des Geldes.
    Ich weise darauf gesondert hin, weil seit geraumer Zeit die Vorstellung herumgeistert, durch die Bindung an irgendeinen realen Wert könnte das Geldsystem stabilisiert werden, und das halte ich für verkehrt – abgesehen davon, daß bei dem derartigen Stand der Schuldenberge so eine Rückführung zumindest in den westlichen Industriestaaten unmöglich wäre.

  97. Zu dem, was du von Habeck zitierst, muß man sich einmal den Satz auf der Zunge zergehen lassen:

    Dass wir also mit dem staatlichen Geld das Konsumverhalten der Bürger weiter stimulieren ohne die Inflation anzuheizen.

    Es sollen durch irgendwelche Geldausschüttungen laut dem VWL-Kurs für Anfänger nicht die Leute befähigt werden, ihre notwendigen Zahlungen vorzunehmen – Miete, Heizung, Nahrung usw. – sondern sie sollen „stimuliert“ werden, irgendetwas zu kaufen, was sie auch entbehren könnten. Nur um die Wirtschaft zu fördern!

    Man kann sich ausrechnen, daß die beiden Ziele der Inflationsbekämpfung, so wie Habeck sie vorhat, und Rezessionsbekämpfung nicht vereinbar sind. Für ersteres müßte man nämlich die Sanktionen gegen Rußland aufheben und das will ja keiner.
    Deswegen gibt es auch so ein Herumgeeiere um die Inflation, weil deren wahre Gründe nicht genannt werden sollen.
    Das ist nämlich erstens die kapitalistische Wirtschaft und das Geld überhaupt, die seit der Wende als eine Art Wunder der Natur besprochen werden, an dem man nicht rühren darf. Dazu kommen dann noch Dinge wie EU, Euro und die Schuldenpolitik der EZB. Und schließlich die Konfrontation mit Rußland, die zum Ansteigen der Energiepreise geführt hat.

  98. "Wie sonst soll denn der Wert der Währung sinken, wenn nicht durch Preissteigerungen?"

    Ja so rum schon. Jede Entwertung des Geldes erfolgt über Preissteigerungen. Aber ist auch umgekehrt jede allgemeine Preissteigerung auch eine Entwertung des Geldes? Angenommen Energie wird teurer, weil mehr Arbeit erforderlich ist, um sie zu gewinnen, würde das auch eine allgemeine Preissteigerung zur Folge haben? Energie geht in alles ein, aber eine Entwertung hätte nicht stattgefunden, weil auch mehr Wert geschaffen worden ist.

    "laut dem VWL-Kurs für Anfänger"

    Genau deshalb hab ich das Zitat gebracht. Weil der Habeck hier mit VWL Theorien argumentiert. Möglicherweise befleißigt er sich jetzt deshalb betont der Theorien aus dieser Scheinwissenschaft, weil er sich bei Maischberger so blamiert hat, als er davon sprach einige kleinere Betriebe könnte ja einfach ein paar Monate Pause machen und dann mit dem Produzieren fortfahren. Also Insolvenz wäre nicht notwendig die Folge einer Produktionspause. Wahrscheinlicher ist aber, dass er diese VWL Theorien für den Inbegriff wirtschaftlicher Rationalität hält.

    "Deswegen gibt es auch so ein Herumgeeiere um die Inflation, weil deren wahre Gründe nicht genannt werden sollen."

    Vor allem weil die Regierung kein Mittel dagegen hat, wenn sie nicht tut, was sie nicht will. z.B. Sanktionen gegen Russland aufheben, nicht auf Gedeih und Verderb auf fossile Energie verzichten (wahrscheinlich wären die 27 Jahre kein Problem, wenn der Preis niedrig ist, widerspricht allerdings grüner Ideologie, 60 Milliarden auf 27 Jahre, sind pro Jahr etwas mehr als 2 Milliarden, gemessen an dem was für Summen jetzt ausgegeben werden ist das wenig), den Energiemarkt neu ordnen, sodass nicht die Spot-Börsen die Preise vorgeben, Merit-Order System abschaffen. Jetzt bleibt der Regierung nichts anderes übrig als mit den Preisdeckeln einen Teil der Inflation zu bezahlen, damit die Ökonomie nicht kollabiert. Die teilweise Übernahme der Inflationskosten durch den Staat ist ja kein Mittel gegen die Inflation, sondern ändert nur den Rechnungsempfänger.

    "Das ist nämlich erstens die kapitalistische Wirtschaft und das Geld überhaupt, die seit der Wende als eine Art Wunder der Natur besprochen werden, an dem man nicht rühren darf."

    Welche Wende? Am Kapitalismus wollte schon sehr lange keiner mehr rühren. Die Bürger werden lieber zum fernen Hinterhinterhof Chinas als den Kapitalismus abzuschaffen.

  99. Angenommen Energie wird teurer, weil mehr Arbeit erforderlich ist, um sie zu gewinnen, würde das auch eine allgemeine Preissteigerung zur Folge haben?

    Daß Energie teurer wird, weil mehr Arbeit erforderlich ist, kann man einmal für die sogenannten erneuerbaren Energien als sicher annehmen. Mitjedem Windpark, der neu aufgestellt wird, wird mehr Energie verbraucht, als durch ihn generiert wird, soweit ich diese Frage mitverfolgt habe.
    Das wird natürlich nicht so kommuniziert, weil es ein Offenbarungseid über das ganze Getöse um die Erneuerbaren wäre.
    Und ja, natürlich würde das das Geld entwerten. Weil für etwas, was vorher billiger war, jetzt auf einmal mehr Arbeit aufgewendet werden muß und sich dadurch alle Waren, die auf Energie beruhen, verteuern.
    Es ist übrigens für die Inflation – als Geldentwertung – gleichgültig, wodurch die Preissteigerung entsteht. Das Endergebnis ist, daß der gesellschaftliche Reichtum sich in einer Geldsumme ausdrückt, die höher ist als vorher.

    Über den Geldwert ist sowieso in der Eurozone eine große Verwirrung entstanden, als der Euro eingeführt worden ist. Die Konsumenten sahen sich auf einmal mit einem anderen Preisaufdruck auf den Waren konfrontiert. Da viele Nullen verschwanden, vermuteten viele, daß alles billiger geworden sei. Tatsächlich haben aber viele Waren-Anbieter, sowohl Produzenten als auch Handelskapital, diese Verwirrung ausgenützt, um etwas draufzuschlagen.
    Die durch den Euro verursachten de facto-Preissteigerungen wurden jedoch in der allgemeinen Euphorie über das neue Wunder-Weltgeld gar nicht zur Kenntnis genommen und auch nicht statistisch erfaßt.

  100. Welche Wende? Am Kapitalismus wollte schon sehr lange keiner mehr rühren.

    Natürlich.
    Aber nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist eine Wende in der Besprechung der Marktwirtschaft eingetreten.
    Vorher hieß es, sie sei das „bessere System“ und alle möglichen Beweise wurden aufgefahren, daß es hier mit rechten Dingen zuginge, die „unsichtbare Hand“ des Marktes regle alles.
    Drüben hingegen herrsche Mißwirtschaft, es mangle an allem, die Leute stünden dauernd Schlange für das Notwendigste, usw. usf.

    Der Systemvergleich nahm immerhin zur Kenntnis, daß es zwei Systeme gab, ein gutes und ein Schlechtes. Und zum Beweis dessen wurde einiges an journalistischem und wissenschaftlichem Hirnschmalz aufgeboten.

    Aber nach 1990 fiel das alles in sich zusammen.
    Seither heißt es: Die Marktwirtschaft ist menschengerecht. Der Mensch verlangt nach dem Markt, ist ein geborener homo oeconomicus, der Markt entspringt der Menschennatur. G-G´, Tausch, Profit sind sozusagen das natürlichste von der Welt. So etwas wie Blitz und Donner.

  101. Stephan Kaufmann:  Die Profiteure der Inflation

    Teure Rohstoffe, hohe Inflation und knappes Material – die Geschäfte für Deutschlands große Konzerne laufen trotzdem gut. Dank ihrer Preissetzungsmacht konnten sie Rekordgewinne einfahren und ihre Renditen steigern – anders als kleinere Unternehmen, die steigende Kosten nicht immer an die Kundschaft weitergeben können. So gut dürfte es für die Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) allerdings nicht weitergehen: Steigende Zinsen und hohe Inflationsraten mindern die Nachfrage, eine Rezession steht bevor. Der große Gewinneinbruch wird laut Analystenschätzungen allerdings wohl ausbleiben. (…) Die Commerzbank macht auf die steigende Anzahl an Gewinnwarnungen aufmerksam. „Für viele Unternehmen dürfte es immer schwerer werden, die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Zudem sollte sich die Nachfrage weiter abkühlen.” … –

    https://www.fr.de/wirtschaft/die-profiteure-der-inflation-91934338.html

    – ….  denn kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist ….

  102. @nestor: "Mit jedem Windpark, der neu aufgestellt wird, wird mehr Energie verbraucht, als durch ihn generiert wird, soweit ich diese Frage mitverfolgt habe." Das ist eine Fehlinformation. Die Googlequellen sagen:

    "Welche Klimabilanz hat Windkraft?
    Der Bau von Windkraftanlagen verbraucht viel Energie, vor allem die Herstellung der Stahltürme und der Betonfundamente. Laut Umweltbundesamt (UBA) erzeugen Windräder in 2,5 bis 11 Monaten Betrieb die Energiemenge, die zu ihrer Herstellung erforderlich war. Im Schnitt laufen Windräder etwa 25 Jahre, in der Zeit wird 40 Mal mehr Energie erzeugt als für Herstellung, Nutzung und Entsorgung der Anlage nötig sind.

    ———————————–

    Lediglich zwischen 5,2 und 6,4 Monate muss ein Windrad in Betrieb sein, bis es die Energie zurückgewonnen hat, die für seine Herstellung benötigt wurde. Das haben Forscher der Oregon State University errechnet. Für die Bilanz haben sie den gesamten Energiebedarf im Lebenszyklus eines Windrades aufsummiert: von der Rohstoffgewinnung über den Komponentenbau und die Installation bis hin zum Abbau der Anlage. Für die Berechnungen zogen sie eine Turbine mit zwei Megawatt Leistung heran, die derzeit in Oregon arbeitet."

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    "Und ja, natürlich würde das das Geld entwerten. Weil für etwas, was vorher billiger war, jetzt auf einmal mehr Arbeit aufgewendet werden muß und sich dadurch alle Waren, die auf Energie beruhen, verteuern."

    Nein. Wenn die Energie benötigt und bezahlt wird, dann steigt die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit dieser Ware, d.h. der Wert der Ware steigt, und wenn dann der Geldausdruck dieses Wert entsprechend steigt, wird das Geld natürlich n i c h t entwertet, weil dem höheren Preis auch ein höherer Wert gegenüber steht.

    "Tatsächlich haben aber viele Waren-Anbieter, sowohl Produzenten als auch Handelskapital, diese Verwirrung ausgenützt, um etwas draufzuschlagen."

    Die Leute haben schon gemerkt, dass die Preise gestiegen sind. In D musste man den alten Preis mit 2 multiplizieren. Das ist nicht so schwer. Allerdings ist es so, dass wenn der Preis eines Produkts überall teurer ist und man braucht es, muss man mangels Alternativen den teuren Preis zahlen.

    "Die durch den Euro verursachten de facto-Preissteigerungen wurden jedoch in der allgemeinen Euphorie über das neue Wunder-Weltgeld gar nicht zur Kenntnis genommen"

    Wie gesagt wurde das sehr wohl zur Kenntnis genommen und auch statistisch erfasst. Diese Teurung hat sogar ein Sprachdenkmal bekommen. Schon mal was vom "Teuro" gehört. 

    "Teuro ist ein Kofferwort im deutschen Sprachraum, zusammengesetzt aus teuer und Euro, das umgangssprachlich für die Währung Euro verwendet wird. Da es nach der Euro-Bargeldeinführung am 1. Januar 2002 eine weit verbreitete Wahrnehmung gab, dass sich die Preise von Waren und Dienstleistung deutlich verteuert hätten, konnte sich der Begriff durch verschiedene Medien im Sprachgebrauch manifestieren.

    Erhebungen der gefühlten Inflation zeigten für den gesamten neugeschaffenen Euroraum, aber insbesondere in Deutschland einen sprunghaften Anstieg seit 2001/02, der erst um 2005 langsam wieder abflaute. Demgegenüber stehen zahlreiche Untersuchungen über die reale Preisentwicklung, die zwar teilweise erhebliche Preissteigerungen in der Zeit unmittelbar nach der Euro-Einführung zeigen, aber über längere Zeiträume keine ungewöhnlichen Preissteigerungen feststellen können. Auf den gesamten Euroraum bezogen blieb die Inflation annähernd konstant, in Deutschland und Österreich war sie im Jahr 2002 sogar niedriger als 2001.[1]" (Wikipedia)

    "Seither heißt es: Die Marktwirtschaft ist menschengerecht. Der Mensch verlangt nach dem Markt, ist ein geborener homo oeconomicus, der Markt entspringt der Menschennatur. G-G´, Tausch, Profit sind sozusagen das natürlichste von der Welt. So etwas wie Blitz und Donner."

    Nein. Das alles hieß es vor der Auflösung der SU auch schon. Was sich geändert hat, ist dass niemand mehr die Marktwirtschaft als überlegen beweisen muss, weil die Alternative fehlt.

  103. @Kehrer

    Das mit dem Wind habe ich nicht von Google, sondern von einem Mitarbeiter der Technischen Uni in Wien.
    Ich habe den Eindruck, daß sich rund um die Windenergie ein ideologischer Kampf abspielt, mehr noch als um die restlichen Erneuerbaren. Denn die Wasserkraft ist nach mehreren Dürrejahren kein solcher Hoffnungsträger mehr, aber die Windenergie macht das Rennen. Von ihr werden wahre Wunderdinge erwartet. Aber es gibt in Europa Windkanäle, und wo es zu stark bläst, sind die Dinger unrentabel.
    Abgesehen davon, daß man so ein Ding nicht überall hinstellen kann. Im Gefälle ist es instabil. Wir reden bisher von den großen Dingern. Es gibt natürlich auch andere Entwicklungen:

    In den Pyrenäen habe ich dieses Ding fotografiert.

    Es sieht ja ganz nett aus, ist die Erfindung einer französischen Firma, die damit die Gegend vollfüllt. Der Vorteil ist, daß man sie fast überall aufstellen kann, vor allem im urbanen Bereich.
    Die Leistung ist allerdings sehr bescheiden, und Anschlüsse brauchen sie ja auch. Will heißen, es braucht über das Aufstellen noch eine ganze Menge an Verkabelung, die das Aufstellen des Bäumchens verteuert.

  104. Dann hat dir der Mitarbeiter der Uni wahrscheinlich seine Meinung mitgeteilt. Bei einem 40-fachen Energieüberschuss ist kaum ein Irrtum von solcher Dimension möglich, dass der Überschuss vom 40-fachen auf unter 1 fällt.

    Die Wasserkraft war nie ein Hoffnungsträger, weil sie nicht beliebig vermehrbar ist, sondern von der Natur weitgehend abhängig ist. Man braucht Wasser und Gefälle. Die Möglichkeit irgendwas aufstauen zu können und diese Möglichkeiten sind eben begrenzt.

    Laut diesem Artikel werden Windräder bei 90 km/h Windgeschwindigkeit abgestellt. Das ist laut deutschem Wetterdienst ein schwerer Sturm und der kommt nicht so häufig vor. Wenn Eisabwurf durch vereiste Rotorblätter droht, werden die Rotoren in den Wind gedreht, damit sie still stehen. Möglich ist auch, dass bei zu viel Wind zu viel Strom produziert wird für die Leitungskapazität. Das sind aber alles mehr oder weniger technische Probleme. Auch Gefälle verteuert eigentlich nur das Fundament. Natürlich ist das Hochgebirge vielleicht nicht der geeignete Standort. Fazit: Auch Standorte für Windräder gibt es nicht unbegrenzt. Aber flexibler wie Wasserkraft sind sie schon. Die Standorte für Wasserkraft sind schon weitgehend ausgeschöpft, die Standorte für Windräder noch nicht.

    Das Winddingens, das du fotografiert hast, würde ich eher als Kunst im urbanen Raum einstufen. "Genug, um einen Single-Haushalt oder im Idealfall sogar eine kleine Familie mit elektrischer Energie zu versorgen." Kein Gamechanger also.

  105. Obiger Sachverhalt, also dass die erzielbare Windausbeute am Grund und Boden hängt, dürfte der Grund sein, warum z.B. in der Norddeutschen Tiefebene bis 100 000 € Pacht pro Jahr für ein Windrad bezahlt werden.

    Die Höhe der Pacht richtet sich nach einer einfachen Formel: Der Verpächter will heute in der Spitze mit 13 Prozent an den Stromerträgen eines Windrades beteiligt werden. Für ein Windrad, das an einem durchschnittlichen Standort in Deutschland pro Jahr rund sechs Millionen Kilowattstunden Strom produziert, ergeben sich so Pachteinnahmen von rund 70.000 Euro. An windreichen Standorten sind aber auch 100.000 Euro möglich. 

    Das zahlen natürlich die Stromverbraucher. Bei Viertel nach Acht – 9. November 2022 nannte Eckhardt Rehberg, ehemaliger haushaltspolitischer Sprecher CDU/CSU-Fraktion "Diese ganze erneuerbare Energiengeschichte ist die größte Vermögensumverteilung der letzten Jahre und Jahrzehnte in Deutschland von den Nichtbesitzenden zu den Besitzenden. Weil die Nichtbesitzenden, wir alle bezahlen die erneuerbaren Energien. (Ab 10te Minute)."

    So sieht eine Geldmaschine aus: Üppige Einkünfte dank Windkraft

    Wir pachten oder kaufen Ihr Grundstück für Windkraft-Anlagen

    Übrigens ist das ein Parabeispiel für Differentialrente von Marx. Also ein durch den Eigentumstitel monopolisierbarer Lageunterschied bzw. Lagevorteil, der am Grund und Boden hängt und deshalb dem Grundrentner zufällt.

  106. Reichsbürger-Razzia: Weitere Beschuldigte und Durchsuchungen erwartet

    Die Sicherheitsbehörden sind überzeugt: Die Umsturzpläne waren ernsthaft und fortgeschritten. Auch Thüringens Innenminister erwartet weitere Festnahmen
    Berlin – Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen nach der Großrazzia in der “Reichsbürger”-Szene mit weiteren Beschuldigten. Am Mittwoch waren bei einem der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten – auch in Österreich und Italien – 25 Menschen wegen Umsturzplänen festgenommen worden. Es gibt 54 Beschuldigte. Thüringens Innenminister Georg Maier warf der AfD vor, eine Schnittstelle für Rechtsextreme zu sein. Laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist die Demokratie gefährdet.
    (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000141625414/reichsbuerger-razzia-weitere-beschuldigte-und-durchsuchungen-erwartet

    Der Schlag gegen die „Reichsbürger“ erfolgt vor dem Hintergrund, daß sich viele Deutsche von ihrer Regierung nicht mehr repräsentiert sehen und daher so Ideen wie die vom „besetzten Land“ auf fruchtbaren Boden fallen.

    Die AfD könnte auch ins Visier genommen werden, wenn sie ähnliche Gedanken verbreitet, und ist deshalb sehr vorsichtig geworden.

  107. Metallindustrie: So hoch sind Umsatzeinbußen durch Krieg und Sanktionen

    Für die Metalltechnische Industrie Österreichs war Russland jahrelang ein wichtiger Exportpartner. Welche Auswirkungen aber Rubel-Krise, Krieg und Sanktionen auf Umsatz und Wachstum haben, wird immer deutlicher.

    Die EU hat nun ihr neuntes Sanktionspaket veröffentlicht, mit spätestens gestern sind alle Punkte darin in Kraft getreten. Welche Sanktionen betreffen konkret die Metallindustrie?

    • Neu ist ein Verbot von Neuinvestitionen in den russischen Bergbausektor – wobei Ausnahmen vorgesehen sind.
    • Die Bestimmungen zum Einfuhrverbot für Stahlerzeugnisse wurden abgeändert.
    • Ebenfalls Änderungen gibt es in Bezug auf Güter und Technologien sowie Dual-Use-Güter/Technologien. Die Liste der Organisationen, denen strengere Ausfuhrbeschränkungen in Bezug auf Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck sowie Güter und Technologien auferlegt werden, wurde um 168 neue Einrichtungen erweitert.

    Russland als Exportpartner für die Metallindustrie

    Der Exportwert der österreichischen metalltechnischen Industrie nach Russland ist generell ein hoher. Laut Zahlen der Außenhandelsdatenbank der WKO wurde 2013 ein Höhepunkt erreicht, als für über 1,2 Milliarden Euro nach Russland exportiert wurde. Zu diesem Zeitpunkt betrugen die metalltechnischen Exporte in die Ukraine gut 129 Millionen Euro – etwas weniger als in den Jahren zuvor.

    Nachdem dann im März 2014 die ersten Dual-Use-Sanktionen griffen, sanken die Exporte nach Russland schlagartig auf 642 Millionen Euro. Zwar kletterten sie ab 2017 wieder in die Höhe, bis sie 2020 den Stand von 799 Millionen erreichten; doch 2021 lagen sie wiederum nur bei 616 Millionen Euro. In deutlich niedrigerem Rahmen, aber dennoch, stiegen vergangenes Jahr die Exporte in die Ukraine wieder auf 161,5 Millionen Euro.

    Nicht nur Sanktionen hatten ihre Auswirkungen, auch die Rubel-Krise. 2007 war Russland noch der fünftgrößte Exportpartner der Metalltechnischen Industrie – heute immerhin noch der zehntgrößte.

    Bedeutende Exportbranchen sind unter anderem Schlösser und Beschläge (83 Millionen Euro im Jahr 2021), Baumaschinen (66 Millionen Euro), sowie Hebezeuge und Fördermittel (56 Millionen Euro).

    Auch auf der Importseite spielt Russland für die Metalltechnische Industrie eine wichtige Rolle – speziell Industriemetalle. 2020 wurde etwa in der Höhe von 45 Millionen Euro Aluminium importiert, ebenso Nickel (42 Millionen Euro) und Stahl (21 Millionen Euro). Die Importe sind 2021 schon stark zurückgegangen, etwa Stahl auf 6,7 Millionen Euro und Aluminium auf 27,7 Millionen Euro.

    Ukraine als Exportpartner: Rückgang bereits seit Ostukraine-Besetzung

    Die Ukraine derweil gilt mit etwa 20 Millionen Euro Volumen als wichtiger Exportmarkt für die Beschlagsindustrie. Auch für viele Bereiche im Maschinenbau ist sie von Bedeutung, insbesondere für Landmaschinen (16 Millionen Euro), Nahrungsmittelmaschinen (8,4 Millionen Euro), Lifte (6 Millionen Euro) oder auch Metallkonstruktionen (5 Millionen Euro). Generell ist der Exportmarkt der Metallbranche in die Ukraine sehr breit aufgestellt. Entsprechend wichtig ist daher die Sicherung des Warenverkehrs zwischen der Ukraine und Österreich.

    Die Exporte in die Ukraine gingen als Folge der kriegerischen Handlungen in
    der Ostukraine ab 2014 stark zurück. Die Steigerungen, die aber zuletzt wieder zu sehen waren, sind nicht auf einen Einzelauftrag zurückzuführen, sondern auf die Nachfrage in allen großen Exportgruppen. Pro Jahr importiert die Metallindustrie außerdem Stahl im Wert von ca. 14,5 Millionen Euro aus der Ukraine. 2015 waren es noch 35 Millionen Euro. Der Rückgang der Stahlimporte ist ein direkter Effekt aus der Besetzung der Industriegebiete in der Ostukraine, etwa Donezk.

    Exporte der Metalltechnischen Branche: Kommt der Vollausfall?

    Derzeit geht die Branche von einem weitgehenden Exportstopp nach Russland, Belarus und in die Ukraine aus. Abgesehen von sanktionierten Produkten, stünden praktische Hemmnisse einem Export entgegen: Kriegshandlungen, geschlossene Transportwege, kaum Nachfrage, stark erschwerte Zahlungsabwicklungen, fehlende Exportversicherungen und nicht zuletzt freiwillige Exportstopps.

    Laut einer Blitzbefragung in der Metalltechnischen Industrie führt der Krieg in der Ukraine zu
    6,3 Prozent Umsatzeinbußen. Der jährliche Export von insgesamt 960 Millionen Euro nach Russland/Belarus/Ukraine wird 2022 wohl drastisch fallen. Kurzfristig rechnet die Branche sogar mit einem beinahe Vollausfall. Das Wachstum des Industriezweigs würde demnach um ein bis zwei Prozent sinken.

    https://industriemagazin.at/news/metallindustrie-so-hohe-umsatzeinbussen-durch-krieg-und-sanktionen

    Was für Österreich gilt, gilt sicher auch in vergrößertem Maßstab für Deutschland …

  108. Die Krisenfalle bürgerlicher Politik
    Grossbritannien: The first to fall?

    Das Vereinigte Königreich scheint das schwächste Glied der Kette der westlichen Industrieländer zu bilden.

    Ohne Brexit wäre das nicht passiert. Die Häme, mit der Deutschlands Presse den wirtschaftlichen Niedergang Grossbritanniens begleitet, wird kaum noch übertüncht. Kaum ein Bericht über die zunehmenden finanziellen und konjunkturellen Turbulenzen auf den Britischen Inseln, der nicht Ökonomen1 oder Zentralbanker2 zitieren würde, die dies auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zurückführten. Nördlich des Ärmelkanals drohe eine lang anhaltende Rezession,3 in deren Folge die britische Wirtschaft von ihren europäischen Konkurrenten abgehängt werde,4 während Grossbritannien zunehmend ins Abseits gerate,5 so der pessimistische Tenor der deutschsprachigen Wirtschaftspresse.

    Und da ist vieles schlicht wahr dran. Vielen Lohnabhängigen auf den Britischen Inseln droht tatsächlich der soziale Absturz. Mitte November veröffentlichte das Office of Budget Responsibility (OBR – Büro für Haushaltsverantwortung beim britischen Finanzministerium) eine langfristige Wirtschaftsprognose für die kommenden Jahre,6 die es in sich hatte: Demnach stehe der Bevölkerung Grossbritanniens bis Ende 2024 ein Rückgang des Lebensstandards um sieben Prozent bevor, was den grössten Einbruch seit dem Beginn der Erfassung des entsprechenden statistischen Materials in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts bilden würde.7 Die frei verfügbaren Haushaltseinkommen sollen schon im Fiskaljahr 2022/23 laut dem OBR um 4,3 Prozent zurückgehen – dies ist ebenfalls ein historischer Negativrekord.8 Die Wohlstandsgewinne der letzten acht Jahre sollen hierbei revidiert werden.

    Mehrere Faktoren tragen zu dieser sich anbahnenden sozialen Krisis bei: Die von steigenden Energie- und Nahrungspreisen angetriebene Inflation im Vereinigten Königreich ist mit 11,4 Prozent (Oktober 2022) besonders hoch,9 während das Land sich auf eine besonders lange Rezession einstellen muss, in deren Verlauf laut Prognosen des OBR rund 500 000 Lohnabhängige arbeitslos werden dürften und die Arbeitslosenquote von 3,5 auf 4,9 Prozent ansteigen soll. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Grossbritanniens soll bis 2024 um zwei Prozent schrumpfen, wobei das Vorkrisenniveau des BIP, das am Vorabend der Pandemie Anfang 2020 erfasst wurde, selbst Ende 2024 nicht erreicht werden soll.

    (…)

    https://www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/grossbritannien-england-krisenfalle-the-first-to-fall-7407.html

    Der Versuch, die Rezession durch Subventionierung der Rüstungsindustrie zu bekämpfen, wird vermutlich nicht von besonderem Erfolg gekrönt zu sein.

  109. Großbritannien – zu klein 
    Das Finanzkapital versagt dem Königreich die Kreditierung seines Krisenbewältigungsprogramms

    Die Federal Reserve Bank bekämpft die Inflation in den USA mit einer Zinswende und verteuert den Kredit, die Biden-Administration weitet den Staatskredit für die überlegene Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft aus. Damit fordern sie ihre weltwirtschaftlichen Konkurrenten heraus. Das Vereinigte Königreich sieht sich zu einer Kopie der US-Inflationsbekämpfung genötigt. Die bewirkt den Absturz des Pfund Sterling, löst eine Wirtschaftskrise aus, die nach den Prognosen der Bank of England bis in das Jahr 2024 dauern werde, und führt zum Sturz der kaum in die Downing Street eingezogenen neuen Bewohnerin. Schneller ist noch nie eine britische Regierung gescheitert. An mangelnder Kompetenz, wie Labour-Opposition und etablierter wirtschaftspolitischer Sachverstand es Prime Minister Truss und Chancellor Kwarteng vorwerfen, liegt das nicht. Eher schon am Zustand des Kredits und der Wirtschaftsmacht der Nation, die sie regieren, und an dem Urteil der internationalen Finanzmärkte, die die sechstgrößte Volkswirtschaft zum ersten Verlierer der weltwirtschaftlichen Krisenkonkurrenz machen. Im Einzelnen nachzulesen im neuen GSP-Heft 4/2022

    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/finanzkapital-versagt-koenigreich-kreditierung-seines-krisenbewaeltigungsprogramms

  110. In verschiedensten Medien wird der traurige Zustand GBs beklagt, es gibt Armuts-Reportagen usw.

    Aber es ist offensichtlich, daß damit das Problem isoliert und nur auf den Brexit geschoben werden soll. Nämlich daß dem UK der Kredit abhanden kommt.

  111. Ein Land funkt SOS – Deutschland an der Belastungsgrenze

    Schon während der Corona-Pandemie fragte sich das Ausland angesichts der Pannen hierzulande, was in Deutschland los sei. Eine Reise durch ein Land voller Herausforderungen.

    Bonn, Ende November, Bericht der Bundesnetzagentur: Deutschlands Mobilfunk-Netzbetreiber Telefonica Deutschland, die Deutsche Telekom und Vodafone hatten sich zwar verpflichtet, bis Ende 2022 in 500 bisherigen weißen Flecken neue Funkstationen zu bauen. Geschehen ist das in gerade einmal 95. Knapp drei Prozent der Fläche Deutschlands steckt immer noch im Funkloch, Gebiete, in denen weder 4G/LTE- noch 5G-Funksignale empfangen werden können.

    Lüdenscheid, 2. Dezember: Die Brücke der Autobahn 45 in Nordrhein-Westfalen feiert Jahrestag, sie ist seit 365 Tagen für den gesamten Verkehr gesperrt. Die Schäden an der Brücke sind so schwerwiegend, dass sie auch für PKW nicht wieder freigegeben werden kann. Seitdem wurde die Brücke weder gesprengt noch Aufträge für den Neubau vergeben. Pendler fahren seit zwölf Monaten über Umleitungsstrecken und stehen teils stundenlang im Stau. Bundesweit sind 4000 Brücken in einem kritischen Zustand und müssten zügig saniert werden.

    Deutschland | Künstler malen Friedensbotschaft auf gesperrte Autobahnbrücke

    Künstler haben eine Friedensbotschaft auf die gesperrte Autobahnbrücke bei Lüdenscheid gemalt

    Twitter-Eintrag vom 4.Dezember: "Die ICEs Hamburg-Berlin sind so überbucht, dass sie 20-30 Min lang nicht abfahren können. Die Züge fahren nur noch im Schritttempo ein, DB-Personal und Menschen ohne Reservierung sollen wieder raus. Erwachsene Menschen verstecken sich auf dem Klo oder blockieren mit Koffern." Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, sagt: "Die Eisenbahner und ich schämen uns für das, was wir der Gesellschaft bieten."

    Lehrermangel, Erziehermangel, Pflegemangel

    Hohenstein-Ernstthal, Sachsen, 12. Dezember: Weil der Unterricht ständig ausfällt, schreiben verzweifelte Mütter und Väter dem Kultusminister einen Brandbrief. Der Lehrplan an der Sachsenring-Oberschule: Religion wird nicht mehr unterrichtet. Biologie fällt in der achten Klasse aus. In der Sieben gibt es keinen Unterricht mehr in Musik und Gemeinschaftskunde. In nur drei Fächern wird der Unterricht nicht gekürzt. An deutschen Schulen fehlen bis zu 40.000 Lehrer, Sachsen-Anhalt sucht seine Lehrkräfte jetzt per Speeddating. Zur gleichen Zeit wird eine Studie der Bildungsforscher veröffentlicht: Jeder fünfte Grundschüler erreicht nicht die Mindeststandards für Deutsch und Mathematik.

    Rheinberg, 13.Dezember: Weil die städtische Kita krankheitsbedingt zwei Tage schließen muss, und das nicht zum ersten Mal, platzt einer Mutter der Kragen. Sie packt ihren Sohn, marschiert zum Stadthaus, um ihren Sohn beim Bürgermeister zur Betreuung abzugeben. Der unterbricht völlig verdutzt einen Termin, um mit der Mutter zu sprechen. Sie berichtet ihm von einer anderen Mutter, die am Vortag ihre lebensnotwendige Chemotherapie nicht machen konnte, weil sie ihren Sohn nicht in die Betreuung bekommen hat. Über 100.000 Erzieherinnen und Erzieher werden in Deutschland gesucht.

    (…)

    https://www.dw.com/de/ein-land-funkt-sos-deutschland-an-der-belastungsgrenze/a-64189343

    Bemerkenswert angesichts der Erhöhung des Wehrbudgets …

  112. Sacharova äußert sich verständnislos über die Weigerung Schwedens, im Nord Stream-Fall zu kooperieren

    Stockholm habe kein Interesse an der Bildung eines gemeinsamen Ermittlungsteams bekundet, stellte die Diplomatin fest

    Schwedens Weigerung, mit der russischen Seite bei der Untersuchung der Explosionen in den Nord Stream-Gaspipelines zusammenzuarbeiten, sei verblüffend, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharova. „Es ist aufrichtig verblüffend, dass sich die schwedische Seite geweigert hat, auf das nächste Ersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation um Rechtshilfe in einem Strafverfahren wegen Schäden an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 in der Sache zu reagieren,“ sagte die Diplomatin bei einem Briefing.

    Laut Sacharova wurde die russische Seite von Stockholm darüber informiert, dass die Befriedigung des Antrags angeblich eine Bedrohung für die Sicherheit Schwedens darstellen würde. Darüber hinaus erklärten die schwedischen Kollegen, dass sie kein Interesse daran hätten, die russische Initiative zur Bildung eines gemeinsamen Ermittlungsteams zur Untersuchung von Sabotage an Gaspipelines umzusetzen. Die Vertreterin des russischen Außenministeriums betonte, dass die Explosionen bei Nord Stream Russland enormen Schaden zugefügt hätten, daher habe sie das Recht, relevante Informationen zu erhalten, Fragen zu stellen und Antworten darauf zu verlangen.

    Das russische Außenministerium hatte zuvor (im Oktober 2022) vor dem Hintergrund einer Untersuchung wegen Sabotage an den Nord-Stream-Gaspipelines eine Protestnote gegenüber den Botschaftern Deutschlands, Dänemarks und Schwedens abgegeben. Das russische Außenministerium sagte damals, Moskau werde keine "Pseudo-Ergebnisse" der Untersuchung der Vorgänge bei Nord Stream anerkennen, es sei denn, russische Experten würden sich daran beteiligen.

    (KP, 12.1.)

  113. BASF mit Milliarden-Verlusten

    Der Chemiekonzern BASF ist wegen Abschreibungen auf das Russland-Geschäft seiner Fördertochter Wintershall Dea im Vorjahr in die roten Zahlen gerutscht. Warum die BASF-Tochter Wintershall Russland aber nicht verlassen kann und warum die Gaskrise auch im nächsten Jahr noch von Bedeutung sein könnte.

    Der Chemiekonzern BASF ist wegen Abschreibungen auf das Russland-Geschäft seiner Fördertochter Wintershall Dea im Vorjahr in die roten Zahlen gerutscht. Unter dem Strich häufte das Dax-Unternehmen vorläufigen Zahlen zufolge einen Verlust von rund 1,4 Mrd. Euro an, wie es am Dienstag nach Börsenschluss mitteilte. Verantwortlich dafür waren vor allem Wertminderungen auf Wintershall Dea von 7,3 Mrd. Euro, weil die Konzerntochter das Segment Russland abspaltet und neu bewertet.

    Außerdem fielen Abschreibungen auf die Nord Stream AG an. Allein im 4. Quartal betrugen die Abschreibungen bei BASF 5,4 Mrd. Euro. Wintershall Dea plant den Angaben zufolge einen vollständigen Rückzug aus Russland unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen.

    Auch im laufenden Geschäft lief es eher trüb. Vor Sonderposten und vor Zinsen und Steuern verdiente BASF 2022 rund 6,88 Mrd. Euro und damit gut 11 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Wegen hoher Kosten vor allem in Europa hatte der Konzern bereits ein Sparprogramm angekündigt. Chemieunternehmen hatten vor allem mit dem stark gestiegenen Gaspreis zu kämpfen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Analysten hatten zuletzt noch mit etwas mehr operativem Gewinn bei BASF gerechnet. Der Umsatz wuchs hingegen wegen höherer Preise und Währungseffekten um 11 Prozent auf 87,3 Mrd. Euro. (…)

    Gas-Versorgung auch in Zukunft ein Problem?

    Der Wintershall-Dea-Chef Mario Mehren sorgt sich um die Gasversorgung Deutschlands im Winter 2023/24 mehr als in diesem Winter. "Wenn es jetzt nicht noch extrem kalt wird und Unternehmen und Haushalte in Europa den Aufforderungen nachkommen, sparsam zu sein, dann können wir sicher durch diesen Winter kommen", sagte der Vorstandsvorsitzende des deutschen Öl- und Gaskonzerns dem "Handelsblatt".

    Im Jahr 2022 "hat Europa bis Juli noch 75 Milliarden Kubikmeter Gas bekommen. Das ist ungefähr die Hälfte dessen, was Europa aus Russland vor dem Krieg importiert hat", erklärte Mehren. Diese Menge werde Europa im kommenden Jahr möglicherweise nicht zur Verfügung stehen. Zudem rechne er damit, dass die Speicher, die derzeit voll sind, dann relativ leer seien.

    Wintershall Dea steht seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine in der Kritik, weil es an seinem Russland-Geschäft festhält. Neugeschäft gebe es zwar nicht. "Aber die einzige Möglichkeit, uns aus Russland zurückzuziehen, wäre es, dem russischen Staat unsere Aktivitäten zu schenken", sagte Mehren. Die Vermögenswerte in Russland betrügen rund 2,5 Mrd. Euro. (…)

    https://industriemagazin.at/news/basf-mit-milliarden-verlusten/

  114. Mehrere Unternehmen haben dem russischen Staat ihre Unternehmen schon geschenkt. Das machen Unternehmen aber nur, wenn sie es erstens verkraften und wenn zweitens ihre Aktivitäten in Russland ihren Ruf also das übrige Geschäft schädigen. Ergänzend dazu:

    Diese deutschen Firmen sind weiter in Russland aktiv

    Jobs oder Moral: Schoko-Firma Ritter liefert noch nach Russland und kämpft um ihren Ruf

    Bei netto gibt es diese Woche übrigens die Tafel Ritter Sport für 59ct. Da will wohl jemand seinen Ruf aufbessern.

  115. Hier bauen deutsche Logistiker die Putin-freie Route nach China

    Jede Menge Fracht rollt heute per Eisenbahn von China nach Europa – durch Russland über die nördliche Seidenstraße. Seit dem Ukrainekrieg suchen Logistiker nach Alternativen. Satellitenbilder zeigen, wie eine neue Route über Kasachstan, Georgien und die Türkei boomt.

    Es gibt kaum ein Gut, das man nicht in den Zügen findet, die über die eiserne Seidenstraße zwischen Chinas Ostküste und Westeuropa rollen: Lederstiefel und Holzstühle genauso wie Autoteile und Laptops. Gerade für Verbraucherelektronik ist der Weg begehrt, weil Kunden so nicht lange warten müssen. Auf den über 6000 Kilometern Eisenbahnschiene fahren die Waggons von den Werkbänken Chinas direkt in die europäischen Warenlager – und das über weite Strecken durch Russland.

    Doch seit Präsident Wladimir Putin seine Truppen in der Ukraine einmarschieren ließ, wachsen die Zweifel am Russlandtransit. Der sogenannte Nördliche Korridor steht in der Kritik. Logistiker wie die Eisenbahner des dänischen Konzerns Maersk wollen die Strecke nicht mehr bedienen. Auch andere verweigern den Transport, suchen nach Wegen, das riesige Land zu umfahren.

    Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO zeigen nun, wohin die Reise gehen könnte und wie auch deutsche Unternehmer von der Suche nach einer Putin-freien Route nach China profitieren. Denn damit Züge und Laster die Waren schnell befördern können, braucht es neben Eisenbahnlinien auch Straßen, Güterhäfen und Zwischenlager. Entlang der bisher unterentwickelten mittleren Seidenstraße, die durch Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien und die Türkei führt, entsteht so ein Milliardengeschäft.

    Mit welcher Geschwindigkeit die auch als Transkaspische Internationale Transportroute bezeichnete Strecke ausgebaut wird, zeigen Karten aus Zentralasien. Die kasachische Ortschaft Kuryk etwa ist selbst für viele Einheimische bislang unbekanntes Terrain. Am Zipfel des Kaspischen Meeres gelegen, gab es dort vor ein paar Jahren nichts als Sand, Steine und Schotterpisten. Geht es nach den Projektplanern des kasachischen Konsortiums Kuryk Port, führt hierdurch noch in diesem Jahr Asiens „Tor nach Europa“. So heißt es zumindest in einem Werbevideo. 

    Schon heute fahren Laster. Bereits in wenigen Monaten sollen Züge täglich Kohle, Getreide und Chemieerzeugnisse auf verschiedene Terminals abladen oder die Ware direkt von der Schiene mit der Fähre nach Baku in Aserbaidschan verschiffen. Ein neues Containerterminal bietet laut Broschüren dafür auf einer Fläche von 20 Hektar Platz für 180.000 Standardboxen.

    Das Kuriose: Der Umschlagplatz in Kuryk befindet sich nur eine Autofahrtstunde vom eigentlichen großen Hafen in Kasachstan entfernt, dem Hafen in Aktau.

    „Der bedauerliche Krieg in der Ukraine ist für den Ausbau des mittleren Korridors ein Rückenwind“, sagt Tobias Bartz, Chef des westfälischen Logistikers Rhenus. Das Unternehmen ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Region aktiv, beteiligt sich mit fast 500 Mitarbeitern an 39 Standorten in Kasachstan, Georgien und der Türkei. Allein am Terminal an der kasachischen Grenze zu China investiert das Unternehmen in Krananlagen und Flächen fast 50 Millionen Euro.

    Doch gehe es nicht nur um Transporte zwischen China und Europa, betont Bartz. Sein Ziel sei auch, einen Markt mit über 90 Millionen „gut ausgebildeten Personen“ zu erschließen. Die wollen besser wohnen, arbeiten und reisen. Dafür nötig sind vor allem Waren und Wege.

    Tatsächlich gelten die Länder um das kaspische Meer herum als Wachstumshoffnungen. Kasachstan und Usbekistan verfügen über Öl, Kohle und Gas – Rohstoffe, die Europa dringend benötigt. Zudem hat sich in der Region seit dem Krieg eine Vielzahl russischer und westlicher Firmen angesiedelt, die vorher in Russland tätig waren. Auch chinesische Unternehmen, für die die heimische Produktion zu teuer wird, investieren. „Man spürt einen Willen zum Wandel“, sagt der Rhenus-Chef.

    Um die Waren und Rohstoffe einzufahren, investieren Rhenus, aber auch die Deutsche Bahn und die österreichische Spedition Gebrüder Weiss, in Terminals und Infrastruktur. Lohnend ist das vor allem da, wo der Verkehr bislang stockt oder die Kapazitäten wachsen. So wird etwa am Hafen in Baku, auf der anderen Seite des kaspischen Meers, die mögliche Menge der Container um das fünffache erweitert. Auch soll ein gigantisches Flugzeugdrehkreuz entstehen, um Waren vom Flieger auf Schiene und Straße zu bringen. Das ist nötig, weil der Luftraum über Russland aufgrund der Sanktionen gesperrt wurde und jetzt Maschinen wie ein Schwarm Fliegen über Georgien kreisen.

    Ähnlich stark wächst der Hafen im georgischen Batumi. Auf Satellitenbildern sieht man, wie die Containerflächen erweitert werden. Der für Flüssiggüter bekannte Hafen wurde erst kürzlich um einen weiteren Zugang verstärkt.

    Ein weiterer Gewinner ist der Mittelmeerhafen im türkischen Mersin. Seit Beginn des Ukrainekrieges sind die türkischen Exporte nach Russland um fast die Hälfte gestiegen – Mersin, der größte Hafen der Türkei, gilt dabei als der zentrale Verschiebeort für allerlei Waren nach Russland. Von hier, so Experten, bringen Containerschiffe Güter nach Noworossiisk am Schwarzen Meer. Oder Brummifahrer schaffen sie über Georgien nach Krasnodar.

    Von oben betrachtet platzt Mersin heute aus allen Nähten. „Wir haben sprichwörtlich keinen Platz mehr“, sagte der Hafenchef Ezgi Bicer Ucar vor Kurzem der Zeitung „Le Monde“. Praktisch jeder freie Quadratmeter wurde in den vergangenen Monaten zugebaut. Umgerechnet 300 Laster verladen täglich die Waren.

    Ein ähnliches Bild bietet sich am Schwarzen Meer etwas nördlicher der Türkei. Auch der Hafen im rumänischen Konstanza ist seit Monaten überfüllt. Satellitenbilder zeigen, wie sehr die Betreiber die Anlagen im vergangenen Jahrzehnt ausgebaut haben: Aus Grün- wurden zugepackte Containerflächen. Die Kapazitäten weiter zu erhöhen, dürfte auch hier nicht ganz einfach sein. Praktisch sämtliche Hubs entlang des mittleren Korridors von der Türkei nach Duisburg und Rotterdam gelten als zugebaut.

    Nicht zuletzt durch Russlands Krieg scheint das Wachstumspotential des mittleren Korridors dennoch als unaufhaltsam. Allerdings gibt es Kritiker, die an der Nachhaltigkeit der Handelsstrecke zweifeln. Verglichen mit dem Warenfluss der transsibirischen Route zwischen China und Europa ist der mittlere Korridor bislang nicht mehr als ein Flüsschen. Knapp 1,5 Millionen Container wurden auf der Nordroute im vergangenen Jahr transportiert – den Hafen von Kuryk passiert nicht einmal ein Zehntel soviel.

    Seidenstraßen-Expertin Andreea Brinza vom rumänischen Institut für Asien-Pazifik glaubt nicht, dass die mittlere Route die nördliche auf Dauer ersetzen wird. Ihr zufolge fehlten dafür noch immer die Kapazitäten für mehr Güter.

    Zudem sei die Route im Süden umständlicher: sie ist länger, führt durch mehr Länder und über zwei Meere. Heißt: längere Wartezeiten an den Grenzen und höhere Kosten fürs Personal. „Der mittlere Korridor wird als eine temporäre Alternative zur Nordroute funktionieren“, sagt Brinza, „aber er wird ihn nicht ersetzen können“.

    https://www.wiwo.de/technologie/wirtschaft-von-oben/wirtschaft-von-oben-192-mittlere-seidenstrasse-hier-bauen-deutsche-logistiker-die-putin-freie-route-nach-china/28922120.html

    Der ganze aufgekratzte Tonfall steht in völligem Widerspruch zu den offensichtlichen Nachteilen der Route, wie man auch der Graphik entnehmen kann: Größere Distanz, Umladen von Bahn auf Schiff und von Schiff auf Bahn, überfüllte Häfen, und jede Menge Grenzen mit Zollformalitäten und Kontrollen – die Route ist langsamer, teurer und weniger leistungsfähig.

    Allerdings wird aus dieser hektischen Investitionstätigkeit offensichtlich, wie sehr die EU weiterhin am Handel mit China festhält.

    Und das Klima?! surprise

  116. Oh oh, das geht ja gar nicht:

    Gewinn der RBI springt dank Russlands auf 3,6 Milliarden Euro

    Russland und Belarus steuern rund 60 Prozent zum Konzernergebnis bei. Die Entscheidung über die Dividende wird erst in einer außerordentlichen Hauptversammlung fallen

    Die Raiffeisen Bank International, die derzeit vor allem wegen ihrer Präsenz in Russland Schlagzeilen macht, hat im Jahr 2022 prächtig verdient. Der Gewinn stieg auf 3,6 Milliarden Euro und hat sich damit im Vergleich zum Jahr davor (rund 1,4 Milliarden Euro) fast verdreifacht. Die Bank, die in Osteuropa und Österreich aktiv ist, hat vor allem bei Zins- und Provisionsüberschuss zugelegt, Ersterer stieg auf mehr als fünf Milliarden Euro, Letzterer auf fast 3,9 Milliarden. Ohne Russland lagen die entsprechenden Zahlen bei knapp vier bzw. 1,7 Milliarden Euro, teilte die Bank am Dienstagabend zu den vorläufigen Zahlen des Vorjahres in einer Aussendung mit.

    Der Löwenanteil des Konzernergebnisses kam aus dem Geschäft in Russland und Belarus, ohne diesen Beitrag (und ohne die 453 Millionen Verkaufserlös für die bulgarische Tochterbank) landete das Konzernergebnis bei rund 950 Millionen Euro – was einem Anstieg von 35 Prozent entspricht.

    2,2 Milliarden Gewinn aus Russland und Belarus

    Die Gewinne aus Russland und Belarus – in Summe fast 2,2 Milliarden Euro – können aufgrund der Sanktionen wegen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine nicht ausgeschüttet werden. Wie die Bank mitteilte, wird der Vorstand unter Johann Strobl eine Dividende in der Höhe von bis zu 80 Cent je Aktie vorschlagen. Allerdings nimmt man sich dafür mehr Zeit als üblich: Die Entscheidung und der Beschluss darüber sollen nicht in der Hauptversammlung Ende März fallen, sondern in einer außerordentlichen Aktionärsversammlung, sie seien auch von den "fortdauernden strategischen Überlegungen abhängig", heißt es in der Aussendung des Instituts.

    Die entsprechenden Überlegungen betreffen die Zukunft der russischen Tochterbank, man prüfe alle Optionen, lautet der entsprechende Satz des Vorstands in dem Zusammenhang stets. Es geht also um die Frage, ob die RBI Russland verlassen und sich also von der Moskauer Bank trennen oder bleiben soll. "Eine Bank ist kein Würstelstand, von dem man sich über Nacht trennt", sagte Strobl dazu in der Hauptversammlung im vorigen Jahr.

    Die harte Kernkapitalquote der RBI ist von 13,1 Prozent auf 16 Prozent gestiegen*, ebenso die Rate an notleidenden Krediten (1,6 Prozent). Von 53,5 Prozent auf rund 37 Prozent gesunken ist die Relation Kosten zu Ertrag (Cost-Income-Ratio).

    Am Mittwoch wird der Vorstand die vorläufigen Zahlen in einer Pressekonferenz präsentieren.

    (Standard, 31.1.)

    Jetzt war schon eine österreichische Delegation in Kiew, angeführt vom Bundespräsidenten, um beim unerbittlichen ukrainischen Staatsoberhaupt eine Art Dispens für die RBI zu erhalten, vergeblich.

    In Rußland selbst darf die RBI aufgrund eines Erlasses betreffend ausländische Firmen ihre dortige Bank nicht verkaufen.
    Wollte bzw. müßte sie sich aus Rußland zurückziehen, so müßte sie beim derzeitigen Stand der Dinge alles herschenken.

  117. Milliardengewinn in Russland: Wem nützt es, wenn Raiffeisen geht?

    Während hunderte westliche Unternehmen Russland verlassen, bleibt die Raiffeisen Bank International und verdient gut wie nie. Abseits der Frage der Moral: Würde ein Rückzug aus Russland schaden?

    3600 Millionen Euro Gewinn, und sie dürfen sich nicht einmal laut darüber freuen. Diese Woche hat die Raiffeisen Bank International (RBI) ihre Geschäftszahlen für 2022 präsentiert, und diese fielen so gut wie noch nie aus. Der Grund, warum das Rekordergebnis bei Raiffeisen nicht wortreich gefeiert wurde, hat einen Namen: Russland. Rund 60 Prozent des Gewinns, also rund zwei Milliarden Euro, erwirtschaftete die russische RBI-Tochter mit ihren 3,2 Millionen Kundinnen und Kunden.

    3600 Millionen Euro Gewinn, und sie dürfen sich nicht einmal laut darüber freuen. Diese Woche hat die Raiffeisen Bank International (RBI) ihre Geschäftszahlen für 2022 präsentiert, und diese fielen so gut wie noch nie aus. Der Grund, warum das Rekordergebnis bei Raiffeisen nicht wortreich gefeiert wurde, hat einen Namen: Russland. Rund 60 Prozent des Gewinns, also rund zwei Milliarden Euro, erwirtschaftete die russische RBI-Tochter mit ihren 3,2 Millionen Kundinnen und Kunden.

    Und die RBI? Sie macht laut Liste "business as usual".

    "Holen Sie sich Kredit"

    RBI-Chef Johann Strobl erklärt seit fast einem Jahr, dass das Institut "alle Optionen" prüfe, auch einen Rückzug der AO Raiffeisenbank, wie das Institut heißt, aus dem russischen Markt. Bis zu einer Entscheidung werde es aber noch dauern. Nicht müde werden die Banker in der Zentrale am Wiener Stadtpark zu betonen, dass in Russland kein Neugeschäft gemacht werde. Das Kreditvolumen wurde um rund ein Drittel zurückgefahren.

    Das hindert die Russland-Tochter aber offenbar nicht daran, für günstige Kredite zu werben. "Holen Sie sich online einen Kredit für jeden Zweck, ohne Sicherheiten und Bürgen, für bis zu sieben Jahre", verspricht die Bank auf ihrer Website. Dem Vernehmen nach soll sie auch Kundschaft anderer russischer Banken anlocken und saftige Gebühren verrechnen. Eine RBI-Sprecherin stellt das in Abrede, es gebe kein Abwerben von anderen Banken. Und Werbung wie die genannte, richte sich nur an bestehende Kunden.

    Empörung im Westen

    Das Verharren in Moskau sorgt für Empörung. Die Ukraine, auch da hat die RBI eine Tochter, hat erst vor wenigen Tagen eine Leasing-Gesellschaft der Giebelkreuzler in Russland auf die Sanktionsliste gesetzt. Davor schon wurde fünf von sechs Wiener RBI-Vorstandsmitgliedern die Rute ins Fenster gestellt, ihnen wurden Sanktionen angedroht. Das sind eher symbolische Akte, die Leasing-Gesellschaft macht kein Geschäft in der Ukraine – für internationale Schlagzeilen sorgt es dennoch. Auch in Österreich zeigen viele mit dem Finger auf die Bank. Der Vorwurf: Es sei unmoralisch, im Land des Aggressors Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen.

    (…)

    https://www.derstandard.at/story/2000143222641/milliardengewinn-in-russland-wem-nuetzt-es-wenn-raiffeisen-geht

    Wirklich lesenswerter Artikel über die Rolle der (vor allem österreichischen) Banken nach 1990 in den ehemals sozialistischen Staaten.

  118. Experten aus dem Finanzsektor rechnen mit einem baldigen Sinken der Immobilienpreise. Und zwar deshalb, weil der Zustrom an Investitionskapital in diesen Sektor nachlassen wird.
    Die steigenden Kreditzinsen erhöhen nämlich erstens die Baukosten und Bauvorhaben werden deshalb für Investoren unattraktiver. Zweitens werden die Anleihen durch steigende Zinsen wieder attraktiver für die Kapitalbesitzer.

  119. Dieser Artikel in Newsweek weist auf den Zusammenhang von Bankenkrise und Ukraine-Krieg hin, ohne jedoch das Kind wirklich beim Namen zu nennen.

    Zunächst wäre die Bankenkrise ein gefundenes Fressen für Putin, der darauf hinweisen kann, daß es mit dem Westen bergab geht.

    Außerdem sind die russischen Banken durch die Sanktionen vom westlichen Banksektor abgeschnitten und ihnen droht daher kein Übergreifen der Krise.
    Über diesen Umstand tröstet sich Newsweek mit der Bemerkung hinweg, daß die russische Ökonomie durch die Sanktionen so beschädigt sei, daß das nicht ins Gewicht fällt.

    Außerdem könnte die Bankenkrise die Finanzierung der Rüstungsgüter erschweren, die der Westen in Richtung Ukraine auf den Weg bringen will.

    Was Newsweek überhaupt nicht erwähnt, ist, inwiefern die Sanktionen die Bankenkrise befördert haben, durch Rückzug westlicher Firmen aus dem russischen Markt => weniger Gewinne, Verteuerung der Energieträger => Inflation, deswegen Anheben der Leitzinsen => Verringerung der Bankschätze, Enteignung russischen Vermögens => Abzug chinesischen Vermögens.

  120. IWF-FRÜHJAHRSTAGUNG
    Die Aussichten für die Weltwirtschaft sind trüb

    Florierendes Wachstum lässt laut dem Internationalen Währungsfonds auf sich warten. Ärmere Länder trifft das besonders hart. In Washington wird über Gefahren und Risiken durch Teuerung und andere Krisen beraten

    (…)

    Der IWF hat etwa der Ukraine eben erst ein Kreditprogramm in Milliardenhöhe genehmigt und dafür eigens seine Regeln geändert, um derartige Programme für Länder zu ermöglichen, die mit "außergewöhnlich hoher Unsicherheit" konfrontiert sind.

    Vor rund einer Woche floss die erste Tranche in einem Umfang von über 2,7 Milliarden Dollar (2,48 Milliarden Euro). Das IWF-Exekutivgremium hatte in der Woche davor ein Kreditprogramm im Umfang von 15,6 Milliarden Dollar genehmigt – der bisher größte Kredit für das Land seit Kriegsbeginn. Erstmals schnürte der Fonds auch ein größeres Paket – Teil eines internationalen Hilfspakets in Höhe von insgesamt 115 Milliarden US-Dollar – für ein Land, das sich im Krieg befindet.

    Das Programm solle eine "Politik verankern, die die fiskalische, außenwirtschaftliche, preisliche und finanzielle Stabilität" aufrechterhalte und die wirtschaftliche Erholung unterstütze, so der IWF.

    (Standard, 10.4.)

    Im Grunde ist alles, was an die Ukraine fließt, auf der einen Seite ein Geschenk. Auf der anderen Seite ist doch alles Geld, das in die Ukraine fließt, ein Kredit: Es laufen Schulden auf, wo man sich fragt, wie und wo die verbucht werden?

  121. Russland erlaubt Verkauf des VW-Werks

    Für den Verkauf des Volkswagen-Werks in Kaluga hat die russische Regierung einem Zeitungsbericht zufolge grünes Licht gegeben. Käufer sei die Autohändlergruppe Avilon. Das berichtete die Zeitung "Wedomosti" am Donnerstag unter Berufung auf zwei namentlich nicht genannte Insider. Bisher seien aber noch keine Dokumente unterzeichnet worden, sagte eine mit dem Vorgang vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters.

    Nach Angaben eines zweiten Insiders ist die Vereinbarung zwischen Volkswagen und Avilon in Arbeit. Ein Sprecher von Volkswagen wollte sich zu dem Thema zunächst nicht äußern. Sowohl das zuständige russische Handelsministerium als auch Avilon lehnten eine Stellungnahme ab.

    Sollte der Deal durchgehen, wäre dies de facto der komplette Rückzug des umsatzstärksten deutschen Unternehmens vom russischen Markt. Die VW-Importe sind bereits seit längerem ausgesetzt.

    Kein Export mehr nach Russland

    Für die Zukunft des Russlandgeschäfts würden verschiedene Szenarien durchgespielt, erklärte ein VW-Konzernsprecher Ende März. "Eine der Optionen ist der Verkauf der Vermögenswerte der Volkswagen Group Rus und damit auch des Werkes in Kaluga an eine dritte Partei", sagte er damals. "Die Gespräche dazu laufen, eine Entscheidung ist noch nicht final getroffen."

    Volkswagen hatte seine Aktivitäten in Russland nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf Eis gelegt. Das Werk Kaluga südlich von Moskau mit einer Kapazität von 225.000 Fahrzeugen pro Jahr steht seit März 2022 still. Zudem wurde beschlossen, für alle Konzernmarken keine Fahrzeuge mehr nach Russland zu exportieren. Aus der Produktion im russischen Montagewerk Nizhny Novgorod zog sich der Konzern im Mai zurück. Dort wurde gemeinsam mit dem Autobauer Gaz produziert, dessen Miteigentümer Oleg Deripaska kriegsbedingt auf Sanktionslisten steht.

    GAZ verklagt VW

    Ein Gericht in Nischni Nowgorod an der Wolga hatte Ende März das Vermögen des Wolfsburger Autokonzerns in Russland beschlagnahmt. Grund war eine Klage des früheren VW-Partners GAZ. GAZ habe beantragt, die Kündigung des Montagevertrags im dortigen Gemeinschaftswerk für nichtig zu erklären und Volkswagen zu einer Vertragsstrafe von 15,6 Milliarden Rubel (rund 190 Millionen Euro) zu verurteilen, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf die Gerichtsakte.

    Bei Europas größtem Autobauer hieß es dazu: "Wir sind uns der Forderung von GAZ bewusst und prüfen derzeit die Unterlagen zu diesem Fall." Zugleich zeigte man sich "überrascht, die Forderungen zu diesem Zeitpunkt zu erhalten".

    Tatsächlich galt – zumindest aus deutscher Sicht – die Trennung der beiden ehemaligen Partner längst als beschlossene Sache. In dem Werk in Nischni Nowgorod waren mehrere Modelle der VW-Kernmarke sowie der tschechischen Tochter Skoda montiert worden. Nachdem im Mai 2022 US-Sanktionen gegen GAZ wegen des russischen Krieges in der Ukraine in Kraft getreten waren, zog sich Volkswagen aus der Co-Produktion zurück und bot den Mitarbeitern Abfindungen an.

    Die Produktion war – ebenso wie im VW-eigenen Werk in Kaluga 150 Kilometer südwestlich von Moskau – bereits zuvor eingestellt worden. Auch die Lkw-Marke MAN produziert nicht mehr im Land.

    Krieg als Zäsur für die Auto-Industrie

    Lange Zeit galt die Russische Föderation für Volkswagen als vielversprechender Wachstumsmarkt. Doch der Kriegsausbruch Ende Februar 2022 bedeutete einen tiefen Einschnitt für die gesamte Automobilindustrie und viele andere Branchen. In Nizhny Novgorod gab es keinen kompletten Fahrzeugbau – stattdessen wurden fertige Baugruppen und Systeme angeliefert und zu Fahrzeugen endmontiert. Zu Sowjetzeiten war das Werk für seine Wolga-Limousinen bekannt.

    Das Werk Kaluga südlich von Moskau mit einer Kapazität von 225.000 Fahrzeugen pro Jahr steht seit März 2022 still.

    (Industriemagazin, 20.4.)

    Die Klage von Gaz kann durchaus dem Zweck dienen, den Preis ordentlich zu drücken.

    Man erinnere sich an die Zeiten des Umbruchs der 90-er, der Privatisierungen, der Treuhand, als in der DDR oder in Bosnien ganze Betriebe für eine symbolische DM verkauft wurden.

    Ähnliches könnte VW jetzt blühen. Wohlgemerkt, es handelt sich um keine Enteignung, sondern um einen Verkauf, der durch die von der EU verhängten Sanktionen notwendig geworden ist. VW verlor neben der Fabrik einen großen Markt.

    Rußland oder eines seiner Unternehmen erhält eine ziemlich fite Autofabrik um ein Schnäppchen. Und da es dort keine Probleme mit fossilen Treibstoffen gibt, fahren dort vielleicht einmal VW-Nachbauten herum, wenn VW im Westen … ?

  122. @ Hi Nestor,
    die letzten Beiträge zur Krise im Tech-Sektor,  dem Crash einer kleinen Start-Up-US-Bank und der Übernahme der größten Schweizer Bank durch UBS – die sind wo genau nun zu finden ( – der Thread – ‘Pinnwand zu heißen Themen’ ist es jedenfalls nicht….) ?

  123. STAATSSCHULDEN
    Schuldenberg kostet Österreich Reputation

    Mit den "Frugalen Vier", zu denen sich Österreich stolz zählte, kann die Republik kaum mithalten. Es fehlt an Budgetdisziplin, das europäische Triple-A wackelt

    Nach den US-Ratingagenturen, die Österreichs Budgetpolitik und vor allem die Staatsverschuldung kritisch sehen, ist nun auch der Ausblick der europäischen Bonitätsagentur Scope verhalten ausgefallen. Mit dem Triple-A der "Frugalen Vier", zu denen sich Österreich in der Pandemie zusammen mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden zählte und die vor drei Jahren noch gegen eine EU-Schuldenunion zu Felde zogen, wird die Alpenrepublik auf Dauer kaum mithalten können. Das von Scope verliehene AAA dürfte ohne Budgetmaßnahmen nicht zu halten sein. Bei US-Agenturen wie Fitch rangiert die Alpenrepublik nur mehr auf Platz zwei (AA+), das treibt die Zinsaufschläge nach oben.

    Das liegt nicht nur an den ungünstigen Langfristverträgen für Gaslieferungen aus Russland, sondern insbesondere an der Budgetdisziplin, die während der Pandemie und danach in der Energiekrise mehr oder weniger abhandengekommen ist.

    (…)

    (Standard, 13.7.)

  124. Eine Art Pressespiegel von GFP bringt Unerfreuliches:

    „Ein Autounfall in Zeitlupe

    Führende internationale Medien sagen den industriellen Abstieg Deutschlands voraus und üben scharfe Kritik an der Politik der Bundesregierung – auch weil diese die Ursachen des Aufstiegs der extremen Rechten nicht bekämpft.

    Schonungslose Beschreibungen der deutschen Wirtschaftskrise, scharfe Kritik an der Berliner Politik und Sorge über den Aufstieg der extremen Rechten lösen das einst positive Deutschlandbild in wichtigen internationalen Medien ab. Während die US-Nachrichtenagentur Bloomberg voraussagt, Deutschlands »Tage als industrielle Supermacht« seien gezählt, heißt es in der Londoner Financial Times, in der deutschen Wirtschaft könne man aktuell einen „Autounfall in Zeitlupe“ beobachten. Im Wall Street Journal ist vom »kranken Mann Europas« die Rede, während Pariser Medien mit – in Deutschland eher unbekannter – Selbstironie urteilen, die Krise der Bundesrepublik trage »französische Züge«.
    Der Londoner Guardian, ansonsten nicht für Deutschlandkritik bekannt, weist auf Widersprüche der Berliner Politik wie etwa denjenigen zwischen Belehrungen in Sachen Klimaschutz und dem Kampf für schwere Autos mit Verbrennungsmotor hin. Dass in Deutschland jüdische Kritiker der israelischen Regierung wegen angeblichem Antisemitismus festgenommen würden, sei »kafkaesk«. Die Berichterstattung kontrastiert scharf damit, dass Deutschland noch vor wenigen Jahren als »beliebtestes Land der Welt« gelobt wurde. (…)

    (GFP, 15.2.)

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